Ich glaube, Verfassungsfragen sind es immerhin wert, daß sie mit hinreichendem Ernst hier diskutiert werden.
Herr Kollege Dr. Schmidt, ich glaube, der Hinweis darauf, daß in Artikel 2 steht: „Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft", war nicht so ganz ernst gemeint, um darzutun, daß darin keine Rückwirkung liegt. Davor wird man sich natürlich hüten, das wäre ja auch allzu offenkundig, wenn man das Gesetz auch noch ausdrücklich rückwirkend in Kraft setzen wollte. Aber materiell steckt in diesem Gesetz eine Rückwirkung, und das können Sie, glaube ich, auch mit Formulierungen nicht ausräumen. Denn es steckt doch darin die Sanktionierung eines vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als nichtig erklärten Gesetzes und eines Sachverhalts, dem Sie nachträglich Verfassungskraft verleihen wollen, indem Sie dem für nichtig erklärten Gesetz nun außerdem auch noch für die Zukunft die volle Verfassungswirkung zugestehen wollen.
Ich glaube, man kann solchen Einwänden nicht damit begegnen, daß man sagt, man solle diesen kunstvollen Vergleich nicht an übersteigertem Formalismus scheitern lassen. Meine Damen und Herren, im Hinblick darauf, daß es sich hier immerhin um das Grundgesetz handelt, ist es nicht sehr angebracht, von „übersteigertem Formalismus" zu reden. Bedenken Sie bitte einmal, auf welchen Weg Sie sich begeben, wenn Sie hier einen Präzedenzfall dafür schaffen, daß Sie auf Grund einer Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, ein Gesetz sei nichtig, daraufhin das Grundgesetz ändern. Sie können darin den Auftrag sehen — und da machen wir mit, da gibt es gar keinen Vorbehalt, wenn das notwendig ist —, das Gesetz zu ändern und im normalen Gesetzgebungsgang die Schäden, die sich herausgestellt haben — um bei Ihrer Formulierung zu bleiben —, zu reparieren. Aber Sie können es doch nicht so machen, daß Sie einen Spruch des Verfassungsgerichts zum Anlaß nehmen, dann einfach die Verfassung zu ändern. Sind Sie sich denn gar nicht bewußt, daß Sie damit überhaupt die ganze Verfassung, das ganze Grundgesetz unglaubwürdig machen und unsere verfassungsmäßige Ordnung in ihrer Vorrangigkeit überhaupt in Frage stellen?
Ich glaube, das hat nichts mit übersteigertem Formalismus zu tun, sondern es ist die Frage: Wie
stellt man sich zu diesem Grundgesetz, wie betrachtet man seine Stellung in unserer Rechtsordnung, und welchen Rang mißt man ihm bei? Ich glaube, diese Frage können wir nicht ernst genug nehmen. Anhaltspunkte dafür, daß man sie nicht ernst genug nehmen kann, haben wir ja in den letzten Monaten hinreichend gehabt.