Würden Sie es für klug oder würden Sie es für ,dem Charakter des Bundeskanzlers angemessen halten, wenn er seine bisherige Rechtsüberzeugung verleugnete? Er hat sich dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts zu beugen, aber er kann seinen eigenen Charakter nicht aufgeben.
— Ja, Herr Kollege Schmid, ich hatte auf Grund der Rede des Herrn Bundeskanzlers durchaus den Eindruck, daß er dem Gericht den schuldigen Respekt erweist, indem er das Urteil durchführt.
Im übrigen möchten Sie ja nur, daß der Herr Bundeskanzler so viel Respekt vor dem Gericht hat, daß er zurücktritt. Das ist ja aus der Rede des Herrn Erler hervorgegangen. Da kann ich nur sagen: Der Herr Bundeskanzler hat sich, da Sie sich ja immer als die Patentdemokraten hinstellen, an dem demokratischen Verhalten des Ministerpräsidenten Zinn und der Bürgermeister Brauer und Kaisen orientiert, die auch nicht zurückgetreten sind, als ihnen das Bundesverfassungsgericht bestätigt hatte, daß sie in einer Zentralfrage der Demokratie unrecht gehabt hatten.
Herr Kollege Erler, Sie meinen, in Hamburg sei
kein Mißbrauch staatlicher Gewalt erfolgt. Nun, sind
staatliche Gelder vielleicht keine staatliche Gewalt? In dieser Welt ist wahrscheinlich das Geld eine der größten Gewalten!
Und glauben Sie nicht, daß die Frage der Volksbefragung eine Frage ist, die an die Fundamente unserer Demokratie mehr gerührt hat als jeder andere Prozeß?
Dieses Hohe Haus, das das deutsche Volk repräsentiert, hätte abdanken müssen, wenn die Volksbefragungen durchgeführt worden wären, und dem Weltbolschewismus wäre das Tor in unser Vaterland geöffnet worden.
Ich behaupte nicht, daß Sie keine Demokraten sind, weil Sie sich hier in einer Verfassungsrechtsfrage geirrt haben. Aber Sie sollen auch nicht von der Bundesregierung behaupten, sie sei nicht aus Demokraten zusammengesetzt, wenn sie sich nach dem Urteil des Gerichts einmal geirrt hat.
Meine Damen und Herren, ich darf nun zu dem kommen, was ich auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Erler in der Hauptsache sagen möchte, nämlich zu den Fragen der auswärtigen Politik. Herr Kollege Erler hat hier gesagt, es komme darauf an, daß. die guten Beziehungen zwischen den Staaten fundiert würden durch eine Freundschaft zwischen den Völkern, und man solle deshalb nicht nur die Beziehungen zwischen den Regierungen, sondern auch zu 'den Teilen des Volkes pflegen, die nicht in der Regierung repräsentiert sind. Ein vollkommen richtiger Satz! Aber diesen Satz hat, glaube ich, diese Bundesregierung verwirklicht. Denn sie hatte genau die gleichen guten Beziehungen zum Präsidenten Truman und seinem Außenminister Acheson, die Demokraten waren, wie zum Präsidenten Eisenhower und seinen Außenministern Dulles und Herter, die Republikaner waren, wie — der Besuch Harrimans hat es erst erwiesen — zum heutigen Präsidenten Kennedy und seinem Außenminister Rusk. Ich glaube, diese Regierung, die Regierung der gleichen Partei durch zwölf Jahre, hat zu drei amerikanischen Regierungen, die zwei verschiedenen Parteien angehört haben, immer die gleichen guten Beziehungen gehabt und wird diese Beziehungen auch weiter pflegen.
Und dann, meine Damen und Herren, worauf beruht wohl die Freundschaft, die wir für unser Volk in anderen Völkern und nicht zuletzt im Volk der Vereinigten Staaten erringen wollten und errungen haben? Sie beruht, glaube ich, auf der Überzeugung unserer Verbündeten, daß dieses Volk eine wirkliche geistige Wiedergeburt erlebt hat und daß es in einem echten Sinne demokratisch gesinnt ist. Diese Freundschaft beruht darauf, daß man der Regierung dieses Volkes zutraut, daß sie die geschlossenen Verträge hält.
Sie haben vorhin gesagt, Herr Brandt gehöre zu den Männern, die sich darum bemühten, der Welt zu zeigen, daß Hitler und Eichmann nicht Deutschland gewesen seien. Aber bevor Herr Brandt als
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch; den 8. März 1961 8323
Dr. Jaeger
Regierender Bürgermeister solch einen Versuch machen konnte, hatte dieser Bundeskanzler die ganze Welt davon schon überzeugt.
Daran, daß die Welt an. die demokratische Gesinnung des deutschen Volkes glaubt, hat sicherlich nicht nur die Regierung, sondern daran hat auch die Opposition ein Verdienst. Aber an die Vertragstreue hat doch die Welt bis vor einem Jahr nur bei der Bundesregierung glauben können.
Denn vorher gab es eine gemeinsame Außenpolitik ja nicht einmal in Worten.
Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, daß am 25. März 1958 mein Freund Kiesinger, der heutige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hier als Sprecher unserer Fraktion von gemeinsamer Außenpolitik sprach und der Abgeordnete Wehner damals gerufen hat: „Gibt es nicht!", und der Abgeordnete Schoettle gerufen hat: „Gibt es nicht!". Wenn Sie heute die gemeinsame Außenpolitik wünschen und auf den Boden der Außenpolitik dieser Regierung treten wollen, dann sind wir die letzten, die das nicht begrüßen. Das kann dem Vertrauen der Welt zu Deutschland, das kann der Freundschaft der Vereinigten Staaten zu unserem Volk nur nützen. Wenn es bisher daran gefehlt hat, dann lag es nicht an uns; es lag an Ihnen.
Aber eine gemeinsame Außenpolitik ist keine Sache der Worte, die in diesem Hohen Hause, die in Rundfunkreden, die vielleicht vom Regierenden Bürgermeister von Berlin verkündet werden, sondern es ist eine Frage des politischen Verhaltens in den Konsequenzen.
Wo ist die Konsequenz der NATO-Treue in der Zustimmung zu den modernen Waffen, ohne die keine Armee der Welt bestehen kann?
Wenn Sie schon diese modernsten Waffen, die nuklearen Waffen, absolut ablehnen wollen, so könnten Sie trotzdem dem Verteidigungshaushalt zustimmen; denn diese Waffen sind nicht deutscher Besitz und kosten keinen Pfennig.
Sie könnten also für die anderen Waffen stimmen. Aber Sie wollen auch den neuen Verteidigungshaushalt ablehnen wie den alten. Sie haben in diesem Hause so gestimmt, daß es, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, bis zum heutigen Tage keinen deutschen Soldaten gäbe, keinen Wehrpflichtigen und keinen Berufssoldaten,
keine moderne und keine konventionelle Waffe,
keine Patrone und keinen Hosenknopf! Und dann
gehen Sie hinaus ins Land und spielen sich draußen
als die Schutzherren der Bundeswehr und ihrer Offiziere auf!
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Europapolitik sagen. Ich weiß nicht, was Herr Erler hier für Vorstellungen hat und was er an unserer Politik aussetzen will. Unsere Europapolitik war konsequent vom ersten Tage bis heute. Wir haben doch ja gesagt zum Beitritt zum Europarat, Sie haben nein gesagt! Wir haben ja gesagt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Sie haben nein gesagt. So ist es bei vielen anderen Abstimmungen gewesen. Unsere Politik war immer klar, auch im Verhältnis zu Großbritannien. Wir haben immer den Standpunkt vertreten, daß man Europa, wenn möglich, mit England bauen muß, daß man es nur im Notfall und zeitweise ohne England und niemals gegen England bauen darf. Wir freuen uns, daß unser Bundeskanzler, nachdem ihm die Freundschaft und Versöhnung mit Frankreich gelungen ist, nun dabei ist, dieselbe feste und dauerhafte Freundschaft zu Großbritannien herzustellen.
Meine Damen und Herren, malen Sie auf der Linken keine Gespenster an die Wand! Es gibt in diesem Lande keine Emigrantenhetze und schon gar keine Emigrantenhetze aus den Reihen der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union.
In unseren Reihen sind genauso wie in den Ihren Männer gestanden, die am 20. Juli aufgestanden sind. In unseren Reihen sind genauso wie in den Ihrigen Männer gestanden, die hinausgehen mußten. Ich bin der Meinung, man kann weder diejenigen, die im Lande geblieben sind, noch diejenigen, die hinausgegangen sind, über einen Kamm scheren. Man muß jeden nach seinem persönlichen Verhalten beurteilen.
Niemals werde ich dem heutigen Regierenden Bürdermeister von Berlin oder einem anderen einen Vorwurf machen, weil er, um sein Leben zu retten, hinausgegangen ist. Meine Damen und Herren, wir sind doch nicht wahnwitzig. Wir haben doch in diesem Lande gelebt. Wir wissen doch, was passiert ist. Wir wollen auch gar nicht alles aufzählen, was einmal in früheren Zeiten, vor 1945, geschrieben worden ist. Diejenigen, die mit der Archivarbeit angefangen haben, waren ja die Sozialdemokraten, die den letzten kleinsten Nationalsozialisten gepiesackt haben und nun nicht wollen, daß wir nach großen Kommunisten fragen.