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ID0314500600

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    Deutscher Bundestag 145. Sitzung Bonn, den 23. Februar 1961 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle (CDU/CSU) (Drucksache 2478) — Erste Beratung — Horn (CDU/CSU) 8215 B Dr. Schellenberg (SPD) 8218D, 8234 B Dr. Stammberger (FDP) . . . . . 8226 C Schütz (München) (CDU/CSU) . . . 8229 A Dr. Mommer (SPD) 8234 C Nächste Sitzung 8234 C Anlage 8235 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 145. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1961 8215 145. Sitzung Bonn, den 23. Februar 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 14.31 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Atzenroth 24. 2. Dr. Baade 23. 2. Bazille 15. 3. Bettgenhäuser 4. 3. Frau Beyer (Frankfurt) 23. 2. Dr. Birrenbach 6. 3. Fürst von Bismarck 24. 2. Börner 24. 2. Caspers 1. 4. Dr. Deist 2. 3. Demmelmeier 18. 3. Deringer 24. 2. Frau Döhring (Stuttgart) 24. 2. Dowidat 24. 2. Eberhard 7. 3. Ehren 28. 2. Eilers (Oldenburg) 23. 2. Eisenmann 24. 2. Enk 24. 2. Erler 24. 2. Dr. Furler 24. 2. Gehring 23. 2. Geiger (München) 28. 2. Dr. Gossel 23. 2. Dr. Götz 24. 2. Dr. Gradl 24. 2. Freiherr zu Guttenberg 24. 2. Haage 24. 2. Heiland 23. 2. Hellenbrock 23. 2. Höfler 24. 2. Hörauf 10. 3. Dr. Hoven 23. 2. Huth 23. 2. Jacobi 24. 2. Dr. Jordan 25. 2. Frau Kettig 23. 2. Dr. Knorr 23. 2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 6. 3. Kraus 23. 2. Kühn (Bonn) 28. 2. Kühn (Köln) 18. 3. Leber 24. 2. Logemann 23. 2. Lücker (München) 23. 2. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 23. 2. Dr. Martin 6. 3. Dr. Mende 4. 3. Mensing 24. 2. Dr. Menzel 28. 2. Dr. Meyer (Frankfurt) 24. 2. Freiherr von Mühlen 24. 2. Neubauer 10. 3. Nieberg 24. 2. Frau Dr. Probst 24. 2. Probst (Freiburg) 24. 2. Dr. Ripken 24. 2. Dr. Rüdel (Kiel) 3. 3. Ruhnke 25. 3. Scharnberg 24. 2. Scheel 24. 2. Dr. Schmid (Frankfurt) 24. 2. Schmidt (Hamburg) 24. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 24. 2. Schüttler 24. 2. Dr. Seffrin 1. 3. Frau Dr. Steinbiß 4. 3. Stenger 28. 2. Storch 25. 2. Theil (Bremen) 24. 2. Vehar 25. 2. Dr. Vogel 24. 2. Wacher 24. 2. Welke 25. 2. Wendelborn 26. 2. Werner 25. 2. Dr. Zimmer 27. 2. b) Urlaubsanträge Schultz 18. 3.
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    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer heute hier zum erstenmal auf der Tribüne des Hauses sitzt und die Ausführungen des Herrn Kollegen Horn gehört hat, der hat sicher den Eindruck gewonnen, es habe ein Ministerialrat des Bundesarbeitsministeriums ge-



    Dr. Schellenberg
    sprochen und nicht der sozialpolitische Sprecher der größten Fraktion dieses Hauses. Wir haben volles Verständnis dafür, daß Herr Kollege Horn für seine Fraktion den Eindruck zu erwecken versucht, daß es sich bei diesem Gesetzentwurf um die Regelung sehr interessanter sozialtechnischer Details handelt, und daß die CDU/CSU nicht gern politisch-grundsätzlich über die Zusammenhänge, die zu diesem Gesetzentwurf geführt haben, diskutieren möchte. Leider können wir der CDU/CSU nicht den Gefallen tun, auf diesen Wunsch einzugehen.

    (Abg. Memmel: Aber Sie werden nicht für die Tribüne sprechen, Herr Professor?)

    — Nein, nein! Ich werde Ihnen sehr viele lehrreiche Dinge zu sagen haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir werden Sie im Laufe des heutigen Nachmittags noch ermuntern, sich zu einigen grundsätzlichen Fragen so oder so zu bekennen. Denn ich glaube, es entspricht nicht der Bedeutung der Frage, die wir zu erörtern haben, daß wir hier eine Rede, die sich mit Detailfragen beschäftigt, entgegennehmen, durch die doch praktisch Ihre politische Hilflosigkeit in den Fragen, die zu erörtern sind, demonstriert wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, der Schritt, zu dem Sie durch die Vorlage dieses Gesetzentwurfes gezwungen sind, ist ein Dokument des Scheiterns Ihrer sozialpolitischen Vorstellungen in dieser Legislaturperiode.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die unglückselige Entwicklung in bezug auf die Reform der Krankenversicherung begann vor neun Jahren, als Sie am 21. Februar 1952 den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Einsetzung einer unabhängigen Studienkommission, die die Grundlagen für eine Sozialreform erarbeiten sollte, in überheblicher Weise ablehnten. Damit waren schon die Weichen falsch gestellt, und das ist eine Ursache für das Durcheinander, in das wir in dieser Legislaturperiode hineingeraten sind, weil es nämlich unterlassen wurde, zuerst die Grundlagen für eine Sozialreform und damit auch für eine Krankenversicherungsreform zu klären.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Zu Beginn dieser Legislaturperiode hat der Herr Bundeskanzler bekanntlich in der Regierungserklärung eine Neuordnung der Krankenversicherung und der Unfallversicherung versprochen. Dabei hat er erklärt, daß die Folgerungen aus der veränderten gesellschaftlichen Struktur unseres Volkes gezogen werden sollten. Der Herr Bundeskanzler hat ein solches Versprechen abgegeben, obwohl inzwischen offenkundig geworden ist, daß innerhalb der CDU/CSU in keiner Weise die Voraussetzungen zur Lösung derartiger gesellschaftspolitischer Aufgaben und sozialpolitischer Fragen vorhanden waren. Offenbar sind diese Voraussetzungen auch bis heute nicht eingetreten.
    Das hat die Bundesregierung und die CDU nicht daran gehindert, eine rege Propaganda für die
    Krankenversicherungsreform zu entfalten. Aus öffentlichen Mitteln sind nicht weniger als vier Flugschriften finanziert worden: „Wer soll das bezahlen?" hieß die erste Schrift, „Ärzte fordern" — fordern! — „Selbstbeteiligung", „Kampf um die Krankenversicherung", und „Hilfe allen Kranken".

    (Abg. Ruf: Alles ausgezeichnete Schriften!)

    — Gut, ich werde Ihnen gleich antworten. Wir alle wissen heute, daß es, anstatt die Öffentlichkeit mit Propagandaschriften zu überfluten, wichtiger gewesen wäre, erst einmal die CDU/CSU-Fraktion von den Plänen der Bundesregierung zu überzeugen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das hätte der Öffentlichkeit nicht unerhebliche finanzielle Mittel erspart, und wir hier in diesem Hause hätten uns sinnvolleren Aufgaben widmen können, als ein volles Jahr in sinnlos gewordener Arbeit verbringen zu müssen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Frau Kalinke: Keine Arbeit ist sinnlos! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Durch die Vorlage des Gesetzentwurfs, den wir heute zu beraten haben, wird de facto vom Plenum der Regierungsentwurf von der Tagesordnung abgesetzt. Es läge sehr nahe, das Hin und Her der Auseinandersetzungen um diesen Regierungsentwurf hier darzulegen. Ich will aus zeitlichen Gründen darauf verzichten, Details darzulegen. Diese Dinge werden als ein sehr unrühmliches Kapitel in die deutsche Sozialgeschichte eingehen und die Unfähigkeit der Partei offenbar machen, die die absolute Mehrheit hatte und unfähig war, in einer Legislativperiode auch nur einen Bereich der sozialen Ordnung neu zu gestalten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Memmel: Auch Sie müssen ein bißchen „mea culpa" sagen!)

    — Wir können uns darüber unterhalten. Dann kommen wir in die Debatte, die wir wollen. Herr Kollege Memmel, ich werde mich sehr freuen, wenn Sie nachher dazu Stellung nehmen. Dann wird das etwas interessanter als bei den Ausführungen des Herrn Horn.
    Meine Damen und Herren, ich will heute nur einige Tatbestände aus diesen Auseinandersetzungen um die Reform darlegen, die zur Bewertung des Gesetzentwurfs dienen können, den Sie heute als Ersatzlösung für die Reform einbringen. Nach all dem, was wir erlebt haben — und das muß ich Ihnen aus diesen Auseinandersetzungen darlegen
    —, liegt es doch sehr nahe, daß wir einigen Ihrer Vorschläge, die Sie heute einbringen, mit gewisser Skepsis begegnen müssen.
    Erstens. Schon bei der ersten Lesung dieses großartig angekündigten Regierungsentwurfs konnten
    — Herr Kollege Stingl, ich schaue Sie an — sehr
    geschickte Reden doch wohl nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Reform im Grunde, jedenfalls nach der Konzeption der Bundesregierung, schon gescheitert war, bevor wir überhaupt mit der Beratung hier im Hause begonnen hatten. Und dennoch



    Dr. Schellenberg
    schloß der Herr Bundesarbeitsminister die Begründung der Regierungsvorlage mit folgender Erklärung:
    Ich glaube, daß wir mit dem heutigen Tag den Anfang gemacht haben, auf dem Wege zu einer Sozialreform ein großes Stück fortzuschreiten. Zu der Arbeit, die vor Ihnen liegt, möchte ich Sie beglückwünschen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Das Protokoll verzeichnet anhaltenden lebhaften Beifall bei den Regierungsparteien.

    (Erneutes Lachen bei der SPD.)

    Es sei dahingestellt, ob es sich bei diesem anhaltenden lebhaften Beifall um Zweckoptimismus oder um Ahnungslosigkeit gehandelt hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Die zweite Phase bildeten die Beratungen im Ausschuß. Es ist unbestritten — Herr Kollege Memmel, Sie haben zuerst teilweise und nachher ständig an den Beratungen teilgenommen, Sie werden das bestätigen können —, daß beim ersten Durchgang im Ausschuß die CDU/CSU nicht in der Lage war, zu den neuralgischen Punkten der Regierungsvorlage Stellung zu nehmen. Dennoch wurde von der CDU nach Abschluß des ersten Durchgangs beantragt, nunmehr mit den Abstimmungen über alle anderen Punkte unverzüglich zu beginnen. Die sozialdemokratischen Mitglieder haben die Ausschußberatungen verlassen, weil uns Ihre Methode keine sinnvolle Arbeitsmethode zu sein schien. Wir fanden dabei, nachdem wir die Initiative ergriffen hatten, die Unterstützung — zuerst ein bißchen schwankend — der Kollegen der FDP. Nachdem wir den Ausschuß verlassen hatten, schien — schien! — die CDU/CSU endlich zur inneren Klarheit zu kommen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Einstimmig beschloß nach diesem Eklat die CDU-Fraktion, den Schwarzen Peter bei der Festlegung der Kostenbeteiligung der Selbstverwaltung der Krankenkassen zuzuschieben. In der offiziellen Fraktionserklärung heißt es wörtlich:
    Die gesetzestechnischen Formulierungen dieser Grundsätze werden wir in der Pfingstpause
    1960 —
    vorbereiten, so daß der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages sofort bei Wiederaufnahme der parlamentarischen Beratungen die Abstimmungen vornehmen kann.

    (Lachen bei der SPD.)

    Jetzt weiter:
    Damit sind alle Spekulationen, die in letzter Zeit über die Uneinigkeit der Fraktion
    — der CDU/CSU, muß ich in Klammern sagen —
    in dieser Frage angestellt wurden, gegenstandslos.
    So also die offiziellen Erklärungen der Fraktion!
    Diese pathetischen Erklärungen haben noch nicht
    einmal his zur nächsten Ausschußsitzung Bestand l gehabt.
    Im übrigen haben diese niemals verwirklichten, einstimmig gefaßten Beschlüsse der CDU/CSU-Fraktion diese Fraktion keineswegs daran gehindert, kurz darauf geschlossen wiederum — allerdings völlig andere — Beschlüsse zu fassen. Auch sie waren, das müssen wir wohl feststellen, so wenig durchdacht, daß die CDU/CSU-Mitglieder im Sozialpolitischen Ausschuß selbst davon abrückten. Die Sachlage war so, ich glaube, das wird letztlich kein Kollege der CDU/CSU, der im Ausschuß mitgearbeitet hat, bestreiten können — ich erwarte hier nicht eine offene Zustimmung, er wird es sich in seinem stillen Kämmerlein bestätigen —: erst dann, wenn die Sozialdemokraten, bildlich gesprochen, mit der Faust auf den Tisch gehauen haben, kam die CDU/CSU zu Beschlüssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Bezweifeln Sie das? Da gab es eine nette Story. In einer großen Zeitung, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", wurde die Story verbreitet, der Schellenberg sei der beste CDU-Mann, weil er dadurch, daß im Ausschuß Spannungen und Auseinandersetzungen seien, die CDU veranlasse, nun sich zur Einheit zusammenzuschließen.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Entschuldigen Sie, wenn ich hier so persönlich werde. Aber ich mußte das auf die Zwischenrufe sagen.
    Die CDU hat sich dann zusammengefunden zu einstimmigen Beschlüssen, die aber ebensowenig fundiert waren wie die vorhergehenden Beschlüsse. Insofern haben wir, Herr Kollege Memmel, eine „schwere Schuld" auf uns geladen, weil wir Ihre Unsicherheit, um nicht zu sagen, Unfähigkeit, diese Dinge zu meistern, jetzt offenbar gemacht haben. Das ist unser politisches Recht, und ich meine sogar, bei einer so unausgegorenen Sache unsere politische Pflicht gewesen.
    Nun ein dritter Tatbestand. Obwohl die CDU/CSU zu keiner einheitlichen Konzeption über die Neugestaltung kam, hat der Herr Bundeskanzler seine Fraktion wiederholt aufgefordert, nun endlich die Reform, die Gesamtreform so oder so zu verabschieden. Auch das muß ich zitieren, um es genau deutlich zu machen. Das ist zum ersten Male geschehen auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe im April 1960, zum zweiten Male am 22. September 1960 vor dem Bundesvorstand der CDU/CSU, zum dritten Male am 20. Oktober in einer Besprechung mit den CDU/CSU-Mitgliedern des Sozialpolitischen Ausschusses — wir mußten die Ausschußsitzung früher schließen, damit die CDU-Mitglieder sich zur Ermahnung zum Herrn Bundeskanzler begeben konnten —, und zum vierten Male ist am 18. November auf dem sogenannten Kleinen Parteitag der CDU im Bonner Bürgerverein die Ermahnung erfolgt. Nach Presseberichten hat der Herr Bundeskanzler erklärt: Nicht die Opposition, sondern die Mehrheit beherrscht das Parlament; ihre Entschließungen müssen unbedingt verwirklicht werden. — Dem kann man zustimmen; nur müssen die Entschlüsse und



    Dr. Schellenberg
    Entschließungen dieser Mehrheitsfraktion zuvor wohlüberlegt sein, ehe sie darangehen kann, ihre Mehrheit durchzusetzen, sonst endet die Sache im Fiasko, wie geschehen.
    Viertens muß folgendes erwähnt werden. Ungeachtet des Tatbestands, daß bei Beginn der Auseinandersetzungen Ihr Herr Fraktionsvorsitzender die Aktionen der Ärzte als staatsabträglich kennzeichnete, hat der Bundeskanzler mit denselben Repräsentanten der Ärzte in einer späteren Phase schriftliche Vereinbarungen getroffen und das Bundesarbeitsministerium angewiesen, entsprechende Formulierungen, die im Gegensatz zur Regierungsvorlage standen, auszuarbeiten. Wenn auch diese Vereinbarungen heute ad acta gelegt werden, ändert das doch wohl nichts daran, daß das eine verfassungspolitisch umstrittene Methode war.
    Nachdem die Arbeiten des Sozialpolitischen Ausschusses wegen dieses Durcheinanders in eine Sackgasse geraten waren, mußte Mitte vergangenen Jahres jedem Einsichtigen klar sein, daß es unmöglich war, eine umfassende Reform in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Mitte vergangenen Jahres gab es nur zwei Möglichkeiten. Die erste war, auf jede gesetzliche Regelung der Krankenversicherung in dieser Legislaturperiode zu verzichten. Zu dieser Auffassung haben sich die Kollegen der FDP im Grundsatz bekannt. Wir hielten und halten diesen Weg nicht für sinnvoll, weil er nach unserer Auffassung mit einer sinnvollen Leistungsgestaltung, auf die die versicherte Bevölkerung schon zu lange wartet, unvereinbar ist.
    Die zweite Möglichkeit bestand darin, sich in der Gesetzgebung auf Maßnahmen zu beschränken, die vordringlich sind, und diese noch in der gegenwärtigen Legislaturperiode durchzusetzen. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich für diese Konzeption entschieden und einen Gesetzentwurf, der diese vordringlichen Maßnahmen vorsieht, mit einer eingehenden finanziellen Begründung vorgelegt. Niemand wird bestreiten, daß dies ein konstruktiver Beitrag zur Lösung der Krise um die Krankenversicherung war. Obwohl die CDU/CSU selbstverständlich auf Grund ihrer Mehrheit die Möglichkeit gehabt hätte, unseren Entwurf im Ausschuß in vielfältiger Weise zu modifizieren, hat man unseren Vorschlag zur Überwindung der Krise hochmütig abgelehnt. Die CDU hat hier noch bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs entgegen allem Sachverstand die Behauptung gewagt, es könne in dieser Legislaturperiode bei Eifer aller Mitglieder nicht nur eine umfassende Krankenversicherungsreform, sondern auch noch eine umfassende Unfallversicherungsreform verabschiedet werden. Meine Damen und Herren, das war ein sehr uneinsichtiges Verhalten. Sie von der CDU haben dadurch eine schwere Schuld auf sich geladen; denn Sie tragen allein die Verantwortung dafür, daß wir Sozialpolitiker trotz angestrengter Arbeit Monate nutzlos vertan haben und daß andere wichtige Gesetzentwürfe unerledigt bleiben.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Heute legen Sie nun einen Gesetzentwurf vor, der in den wesentlichen Leistungsfragen sehr erheblich unserem Gesetzentwurf vom Juni 1960, den Sie auf Eis gelegt haben, entspricht.

    (Abg. Stingl: Ihr Gesetzentwurf hat der Regierungsvorlage entsprochen! — Abg Ruf: den Sie teilweise abgeschrieben haben!)

    — Wir kommen gleich zur fachlichen Auseinandersetzung. Ich möchte mich jetzt nicht über Grundlohn, Regellohn und ähnliche Fragen unterhalten. Herr Ruf, Sie kommen ja nachher zu Wort, und dann werde ich Ihnen darauf antworten.

    (Zurufe von CDU/CSU.)

    Im übrigen ist Ihr Zwischenruf in einem wesentlichen Punkt unrichtig; denn in dem Regierungsentwurf steht nichts von Leistungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall. Ich habe auch nichts davon gelesen, daß im Regierungsentwurf eine Beseitigung der Karenztage vorgesehen gewesen ist.

    (Abg. Stingl: Lesen Sie noch einmal meine Rede nach!)

    — Ja, Herr Kollege Stingl, ich habe schon gesagt: Sie haben eine geschickte Rede gehalten. Sie wollen das gern noch einmal hören.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Maßgebend ist das, was in dem Regierungsentwurf gestanden hat; maßgebend ist das, was hier von den Fraktionen als Gesetzentwurf eingebracht worden ist. Niemand kann bestreiten, daß wir Sozialdemokraten in dem Bestreben, aus der Kalamität hinsichtlich der Reform herauszuhelfen, als erste hier im Hause diese Verbesserungen am 21. Juni 1960 vorgeschlagen haben. Niemand kann das bestreiten. Heute müssen Sie mit der Einbringung Ihres Gesetzentwurfs offiziell das Scheitern der Regierungsvorstellungen zugeben. Sie gestehen damit ein, daß kein anderer Ausweg bleibt, als den Weg zu gehen, den wir bereits im Juni 1960 mit einem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben,

    (Beifall bei der SPD)

    nämlich die Regelung dringlicher Fragen im Bereich der Krankenversicherung. Nach all den harten Auseinandersetzungen kann man wohl sagen, daß das ein politischer Erfolg der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Horn: Wie immer!)

    — Herr Kollege Horn, ich will Sie beruhigen; wir triumphieren ja nicht;

    (Abg. Horn: Was tun Sie denn?! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dazu haben Sie auch keine Ursache!)

    denn wir wissen, daß sich kein Wandel Ihrer Auffassungen über die Zusammenhänge vollzogen hat,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern daß Sie nur aus taktischen Gründen kurzfristig klein beigeben wollen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, nur im Hinblick auf die
    Wahlen versuchen Sie mit mehr oder weniger Ge-



    Dr. Schellenberg
    schick, sich aus der verfahrenen Lage herauszuwinden.

    (Sehr richtig! und Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das mag wahltaktisch zweckmäßig sein, aber überzeugend und — gestatten Sie den Ausdruck — besonders glaubwürdig ist ein solches Verhalten nicht. Ich werde Ihnen das noch im einzelnen belegen, damit Sie mir nicht den Vorwurf eines unfairen Verhaltens machen können.
    Ich beschäftige mich deshalb jetzt mit den Grundlagen Ihres Gesetzentwurfs. Da ist erstens die Überschrift. Die Überschrift entspricht erstaunlicherweise nicht dem Inhalt, um den es sich handelt. Es ist nämlich im sozialpolitischen Inhalt keine Novelle zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle. Das wird auch behandelt; aber auf Grund des Gesamtinhalts würde jeder Ministerialbeamte bei der Formulierung der Überschrift die Verpflichtung haben, dem Gesetzentwurf eine andere Überschrift zu geben. Im übrigen wollen Sie sich doch sicher nicht dem Vorwurf aussetzen, daß Sie hier nur die Fragen der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter regeln und vor der Wahl nicht auch an die Angestellten oder an die Rentner denken. Also, meine Damen und Herren, die Überschrift des Gesetzentwurfs ist unzutreffend.
    Sie haben erstaunliche Dinge mit der textlichen Gestaltung gemacht. Nehmen Sie sich einmal den Art. 1 und den Art. 2 vor. Diesen beiden Artikeln haben Sie keine Zwischenüberschrift gegeben. Wenn
    Sie das nämlich getan hätten, hätten Sie dem Art. 2 die Zwischenüberschrift geben müssen: „Änderung und Ergänzung der Reichsversicherungsordnung", und dann wäre die Sache, die Sie verschleiern wollen, noch offensichtlicher geworden. Mit den Zwischenüberschriften haben Sie erst bei den Übergangsvorschriften angefangen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Also, meine Damen und Herren, das sind doch — entschuldigen Sie — kleine Tricks, mit denen Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versuchen, daß sich Ihr Gesetzentwurf fundamental von dem Vorschaltgesetzentwurf der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion unterscheide. Diese Kniffe — anders kann ich das wirklich nicht bezeichnen — ändern doch nichts daran, daß Ihr Entwurf in den entscheidenden Leistungsfragen dem Gesetzentwurf der SPD entspricht, den Sie sich bisher geweigert haben zur Grundlage der Beratung zu machen.
    Ich gebe gern zu, daß Sie in Ihren Entwurf auch einige Punkte des Regierungsentwurfs aufgenommen haben. Das steht freilich ein bißchen im Gegensatz zu dem, was Sie herausstellen wollen. Denn Sie möchten die Linie beziehen und sagen, diese ganze Materie habe nur sehr wenig mit der gescheiterten Krankenversicherungsreform zu tun. Sie wollen durch all diese Dinge den Eindruck erwecken, daß es sich nicht in Wirklichkeit um etwas handle, wofür wir den Ausdruck „Vorschaltgesetz" verwenden, also um einen Entwurf, der in seiner Grundanlage dem der SPD entspricht. Ich meine, wir sollten auf solche Manöver verzichten und uns jetzt endlich der sachlichen Arbeit widmen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, dazu komme ich auch noch!

    (Abg. Stingl: Da haben Ihre vielen Redner wohl bis jetzt nicht sachlich gearbeitet?!)

    -- Meine Damen und Herren, es ist nichts bei der Geschichte herausgekommen. Dafür trägt die Verantwortung — —

    (Abg. Stingl: Weil wir, statt zu arbeiten, geredet haben, schließe ich aus Ihrer Argumentation!)

    — Aber, Herr Kollege Stingl, nun kommen Sie doch nicht mit so billigen Dingen, zu meinen, die Reform sei deshalb gescheitert, weil Ihnen die Sozialdemokraten im Ausschuß beinahe zu jedem Antrag, den Sie eingebracht haben, nachgewiesen haben, daß er wenig überlegt war. Das war doch der Tatbestand!

    (Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Memmel.)

    — Meine Damen und Herren, Herr Kollege Memmel, ich bin bereit, hier darüber zu sprechen und das klarzustellen.
    Was war denn der Knall, mit dem die Beratungen dann platzten. Ihre wenig überlegte Konzeption der Dreiklassenbildung der Versicherten, einstimmig beschlossen von Ihrer Fraktion! Dann haben Sie das Ganze im Ausschuß abgeändert und sind zur Zweiklassenbildung der Versicherten gekommen. Auf unsere Fragen im Ausschuß stellte sich folgendes heraus: In Ihrer „Konzeption" war die Möglichkeit einer unterschiedlichen Honorierung der Ärzte für Versicherte der gleichen Krankenkasse begründet.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das hat doch ein Teil Ihrer eigenen Mitglieder noch gar nicht erkannt. Der Herr Regierungsvertreter hat mit viel Geschick versucht, Sie aus der Schwierigkeit herauszubringen, indem er sagte, das werde vertraglichen Verhandlungen überlassen bleiben.
    Zerbrochen sind die Ausschußberatungen dann, als sich aus der von Ihnen konzipierten Zweiklassenbildung ergab, daß die Versicherten der gleichen Krankenkasse bei der Verordnung von Arzneien unterschiedlich behandelt werden. Für den Normalversicherten sollte nämlich der Arzt die sogenannten Grundsätze der wirtschaftlichen Verordnungsweise anwenden, während er für die Sonderklasse nicht an die Grundsätze der wirtschaftlichen Verordnungsweise gebunden sein sollte. Meine Damen und Herren, das haben Sie von der CDU vorher nicht erkannt; das haben wir im Zusammenhang mit den Ausschußberatungen offenkundig gemacht. Dann fehlte selbst Ihnen der Mut, den üblichen Antrag auf Schluß der Debatte und Abstimmung zu stellen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das war der Schluß der Beratungen. Jeder wird es bestätigen können.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 145. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 23. Februar 1961 8223
    Dr. Schellenberg
    Deshalb ist es sehr unvorsichtig, mich durch Zwischenrufe gewissermaßen zu nötigen, hier Details aus den Ausschußberatungen vorzutragen, wenn ich doch grundsätzlich mit Ihnen diskutieren will.
    Nun zu der Aueinandersetzung mit dem Inhalt Ihres Entwurfs im einzelnen. Wir begrüßen es sehr, daß auch Sie sich durch diesen Gesetzentwurf dazu bekennen, in dieser Legislaturperiode Krankengeld und Zuschuß des Arbeitgebers so zu gestalten, daß Krankengeld und Zuschuß zusammen dem vollen Nettolohn entsprechen. Das begrüßen wir. Das entspricht unserem Gesetzentwurf vom Juni 1960 und war im Regierungsentwurf nicht enthalten.
    Wenn Herr Kollege Horn vorhin erklärt hat, die Vorlage sei der zweite Schritt in der Weiterentwicklung in bezug auf die wirtschaftliche Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle, so ist das richtig. Ich muß aber in diesem Zusammenhang sagen, daß die Initiative zum ersten Schritt des Jahres 1957 durch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ergriffen wurde. Denn das Gesetz von 1957 ging auf unseren Entwurf über die Gleichstellung der Arbeiter und Angestellten im Krankheitsfalle aus dem Jahre 1953 zurück. Wir sind froh, jetzt die Bestätigung zu erhalten, daß weitere Schritte zur Gleichstellung getan werden sollen. Aber wenn schon von ersten und zweiten Schritten gesprochen wird, muß klargestellt werden, daß der erste Schritt von den Sozialdemokraten vorgeschlagen und auch der zweite Schritt zuerst von Sozialdemokraten benutzt worden ist, nämlich durch unseren Gesetzentwurf vom 21. Juni 1960. Daran ist nun einmal nicht zu deuteln. Sie von der CDU hätten ja dafür sorgen können, daß die Bundesregierung Entsprechendes in ihren Gesetzentwurf aufnimmt, oder Sie selber hätten einen Entwurf rechtzeitig einbringen müssen.
    Wir begrüßen die Weiterentwicklung als bedeutsamen Schritt. Darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit; wir haben sie selber beantragt. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß damit noch keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle verwirklicht ist und daß damit der Antrag meiner Fraktion auf Drucksache 1927, der im Ausschuß liegt, noch nicht erledigt ist. Er besagt:
    Die Bundesregierung wird ersucht,
    ... dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die Lohnfortzahlung der Arbeiter im Krankheitsfalle vorzulegen.
    Er muß noch erledigt werden.
    Nun zu den weiteren Leistungsverbesserungen des Gesetzentwurfs! Die Erhöhung des Krankengeldes, insbesondere bei langdauernder Krankheit, die weitgehende Beseitigung der Aussteuerung, die Verbesserung hinsichtlich der Karenztage, -all diese Regelungen begrüßen wir selbstverständlich, und ich muß wieder hinzufügen: zumal da sie im Inhalt unserem Gesetzentwurf vom Juni 1960 entsprechen.
    Allerdings muß ich darauf hinweisen, daß Ihr Vorschlag bezüglich der Karenztage für einen Teil der Arbeiter noch Benachteiligungen enthält. Wir sind der Auffassung, daß die Karenztage in vollem Umfange beseitigt werden müßten. Das ist für uns nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern eine gesellschaftspolitische Frage der gleichen Behandlung der arbeitenden Menschen im Krankheitsfalle. Es ist geradezu ein moralisches Anliegen.
    Ein weiterer Gesichtspunkt! Wir begrüßen es selbstverständlich sehr, daß in Ihrem Vorschaltgesetzentwurf keine Vorschriften über Kostenbeteiligungen irgendwelcher Art enthalten sind. Das begrüßen wir insbesondere deshalb, weil die Kostenbeteiligung eine zentrale Frage der Auseinandersetzung war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und bleibt!)

    Meine Damen und Herren, ich darf namens meiner Fraktion erklären, daß wir Ihren vorläufigen Verzicht auf Kostenbeteiligung als einen großen politischen Erfolg derjenigen betrachten, die sich mit allem Nachdruck gegen die Kostenbeteiligung gewandt haben.

    (Abg. Ruf: Dafür werden Ihnen die Versicherten nicht dankbar sein!)

    — Herr Kollege Ruf, das hätten Sie nicht sagen sollen! Wenn Ihre Fraktion nicht der Auffassung gewesen wäre, daß der Verzicht auf die Kostenbeteiligung wahlpolitisch sehr wirksam ist, hätte sie die Pläne zur Kostenbeteiligung nicht fallengelassen.
    Wir begrüßen es, daß Sie sich für diese Phase von der Kostenbeteiligung distanzieren, um so mehr, als Sie noch im Januar dieses Jahres mit Ihrer Mehrheit im Ausschuß verschiedene Regelungen der Kostenbeteiligung durchgesetzt haben. Es ist deshalb für uns sehr interessant, daß Sie plötzlich — gewissermaßen über Nacht — darauf verzichten wollen, die von Ihnen im Ausschuß beschlossenen Bestimmungen über die Kostenbeteiligung durchzusetzen.
    Wir sind erfreut, aber gleichzeitig auch erstaunt über diesen plötzlichen Gesinnungswandel. Offenbar haben Sie eingesehen, daß Kostenbeteiligung nicht populär ist, obwohl Herr Ruf das Gegenteil gesagt hat. Deshalb schien es Ihnen ratsam, vor der Wahl auf eine Kostenbeteiligung zu verzichten.

    (Abg. Horn: Das hat aber mit dieser Vorlage überhaupt nichts zu tun! Die Vorlage sagt doch gar nichts darüber!)

    — Ach, Herr Kollege Horn, jetzt kommen Sie wieder mit dem kleinen Trick! Sie haben in Art. 2 die Überschrift „Änderung und Ergänzung der Reichsversicherungsordnung" weggelassen. Wer Kostenbeteiligung will, wer sie beschlossen hat und sich zu ihr bekennt, müßte eigentlich auch den § 186 der Regierungsvorlage in die Änderung der RVO aufnehmen und eine Kostenbeteiligung einführen. Das scheint Ihnen aber im Augenblick aus wahlpolitischen Gründen nicht ratsam zu sein.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Nach all dem, was wir von Ihnen wissen, kann es
    wohl nicht zweifelhaft sein, daß Sie eine Kostenbeteiligung in dieser oder jener Form nach der



    Dr. Schellenberg
    Wahl durchführen würden, wenn Sie die Möglichkeit dazu erhielten,

    (Abg. Becker [Pirmasens] : Dessen können Sie sicher sein!)

    was wir mit allen Kräften verhindern wollen. — Herr Kollege Becker, ich habe mit großem Interesse Ihren Zwischenruf gehört, daß wir dessen sicher sein können, daß Sie die Kostenbeteiligung nach der Wahl einführen;

    (lebhafte Zurufe von der Mitte: Nein, nein! — weiterer Widerspruch in der Mitte)

    das ist für uns außerordentlich interessant.

    (Zuruf von der Mitte: Daß wir ,die Wahl gewinnen werden, dessen können Sie sicher sein! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Sie wollen zur Frage der Kostenbeteiligung bis zur Wahl keine Erklärung abgeben?

    (Erneute Zurufe von der Mitte.)

    Ach, das wollen Sie erst nach der Wahl sagen?

    (Beifall bei der SPD. — Fortgesetzte Zurufe von der Mitte.)

    Ja, meine Damen und Herren, so kann man auch Politik betreiben. Wir halten das aber nicht für aufrichtig. Wir werden Sie vielleicht noch im Laufe der Diskussion oder der weiteren Beratungen zwingen, sich in dieser zentralen Frage, die den Gegenstand der Auseinandersetzung bildet, klar zu Ihrer wirklichen Auffassung zu bekennen.
    Nun, meine Damen und Herren, zu einer anderen sehr wichtigen Frage Ihres Gesetzentwurfs. Es ist sehr beachtlich, daß Ihr Entwurf keinen Vorschlag zur Finanzierung der vorgesehenen Leistungsverbesserungen enthält. Herr Kollege Horn hat sich mit vielen Details beschäftigt, die sehr kompliziert und für den Außenstehenden schwer begreiflich sind. Aber ich habe nicht gehört, Herr Kollege Horn, daß Sie eine klare Auskunft über die finanziellen Grundlagen Ihres Gesetzentwurfs gegeben haben. So, meine Damen und Herren, kann man doch wirklich nicht Sozialpolitik betreiben, indem uns hier in der ersten Lesung Detailfragen auf Punkt und Komma erläutert werden und zu der grundsätzlichen Frage, wie ein Leistungsvolumen in der Größenordnung, wie Fachleute schätzen, 500 Millionen DM finanziert werden soll, nicht ein klares Wort gesagt wird. Das halten wir nicht für eine verantwortungsbewußte und solide Politik. Das muß ich Ihnen mit allem Ernst sagen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie sich das bitte auch einmal selbst!)

    -- Aber, Herr Kollege, ich komme doch gleich noch darauf. Glauben Sie doch nicht, daß ich zur Finanzierung nicht spreche! Sie wissen doch, das ist ein Lieblingsthema von mir.

    (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit. — Abg. Pelster: Nicht nur Ihres!)

    Meine Damen und Herren, da Sie keine Finanzierungsvorschläge für die Leistungsverbesserungen
    durch die Änderung von Vorschriften der RVO
    machen, führt dieser Teil Ihres Gesetzentwurfs zwangsläufig zu einer Erhöhung der Beiträge.
    Das drängt mir einen Vergleich auf. Sie haben im Laufe der Auseinandersetzung — ich erwähnte es vorhin schon — einmal vorgeschlagen, den Kassen bei der Kostenbeteiligung den Schwarzen Peter zuzuschieben. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie nun hinsichtlich der Finanzierung der Leistungsverbesserungen durch Beitragserhöhungen die gleiche Methode anwenden wollen, indem Sie den Selbstverwaltungsorganen der Kassen die Verantwortung für die Beitragserhöhung zuschieben wollen, damit Sie selber von der politischen Verantwortung für die Finanzierung befreit sind.

    (Abg. Stingl: Sollen wir die Beiträge festsetzen?)

    Diesen Eindruck habe ich und muß ihn haben bis zum Beweis des Gegenteils.

    (Abg. Stingl: Können wir denn die Beiträge festsetzen?)

    — Man kann die Finanzierung anders gestalten. Ich will es gleich darlegen.

    (Abg. Stingl: Das ist es ja eben!)

    — Ich komme darauf.
    Meine Damen und Herren, im übrigen muß man den Eindruck haben, daß bei Ihren Plänen, die Verbesserungen durch Beitragserhöhungen zu finanzieren, der Gedanke mitgespielt habe, daß eine solche Methode die Vorstufe für eine Kostenbeteiligung sei, die nach der Wahl eingeführt werden könnte.
    Deshalb muß ich namens meiner Fraktion sehr deutlich und mit allem Nachdruck betonen, daß klare Finanzverhältnisse zur Sicherung der Leistungsverbesserungen geschaffen werden müssen.
    Wir haben in unserem Gesetzentwurf dazu Vorschläge gemacht. Die Vorschläge zielen auf eine Befreiung der Krankenversicherung von den sachfremden Aufgaben ab. Ich will sie ganz kurz in Ihr Gedächtnis zurückrufen.

    (Abg. Arndgen: Die kennen wir!)

    — Sie haben sie aber nicht beachtet, Herr Kollege Arndgen, obwohl hinsichtlich der Arbeitsunfälle die Bundesregierung selber bereits in der zweiten Legislaturperiode in ihrem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Unfallversicherung das vorgesehen hat, was wir nachher — und dazu bekenne ich mich — in unserem Entwurf eines Vorschaltgesetzes übernommen haben. Bezüglich der Finanzierung haben wir nämlich das übernommen, um es Ihnen zu erschweren, diese Art der Finanzierung abzulehnen. Wir haben also die Konzeption der Bundesregierung der vorigen Legislaturperiode übernommen, damit sie endlich in dieser Legislaturperiode verwirklicht wird.

    (Abg. Arndgen: Das stimmt ja nicht!)

    — Herr Kollege Arndgen, Sie kennen leider die verschiedenen Entwürfe der Bundesregierung nicht. Ich



    Dr. Schellenberg
    meine den Gesetzentwurf der vergangenen Legislaturperiode.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    In dieser Legislaturperiode hat nämlich die Bundesregierung eine schlechtere Finanzierung vorgesehen. Auf diese Basis will ich mich natürlich nicht begeben. Wir wollen, daß Sie sich zu dem bekennen, was die Bundesregierung in der vorigen Legislaturperiode vorgeschlagen hat. Das ist unser Anliegen. Sie werden jedenfalls bei der Erörterung dieses Gesetzentwurfs nicht darum herumkommen, sich zur Frage der Finanzierung und der Erstattung sachfremder Ausgaben durch Abstimmung zu entscheiden.
    Wir haben ferner vorgeschlagen, einen Teil der Ausgaben der Wochenhilfe aus Bundesmitteln zu finanzieren, eine Forderung, die überwiegend auch von den Sachverständigen erhoben wird. Im übrigen hat sich dieses Haus wiederholt mit der Frage des Ersatzes dieser Kosten beschäftigt. Wir haben durch einen einstimmigen Beschluß die Bundesregierung beauftragt, baldmöglichst die Frage des Ersatzes der Fremdaufgaben zu überprüfen. Wenn jetzt ein Gesetz zur Änderung der Reichsversicherungsordnung gemacht wird und keine klaren finanziellen Grundlagen vorhanden sind, muß endlich die Frage des Kostenersatzes geregelt werden.
    Ich komme in Kürze zum Schluß.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie haben reichlich Gelegenheit, noch Stellung zu nehmen. Ich bin bei den wirklichen Problemen und nicht bei gesetzestechnischen Einzelheiten, die wir gern mit Ihnen im Ausschuß beraten wollen.
    Meine Damen und Herren, erstaunlicherweise ist in dem Teil Ihres Gesetzentwurfes, der die Änderung der Reichsversicherungsordnung betrifft, kein Vorschlag enthalten, die Versicherungspflichtgrenze von 660 DM zu ändern, obwohl doch im Ausschuß bei Beratung der Regierungsvorlage zur Neueregelung der Krankenversicherung beschlossen worden ist, die Versicherungspflichtgrenze und damit die Beitrags- und Leistungsgrenze auf 750 DM zu erhöhen. Es handelt sich hier um eine Frage, die für den überwiegenden Teil der Angestellten und für einen nicht unbeachtlichen Teil der Arbeiter von großer Bedeutung ist, zumal heute schon der überwiegende Teil der männlichen Angestellten ein Einkommen hat, das über der veralteten Versicherungs- und Beitragsgrenze von 660 DM liegt. Der Angestellte muß also seinen Krankenversicherungsbeitrag selbst zahlen, der Anteil des Arbeitgebers entfällt, und bei der Leistungsgewährung wird nicht sein tatsächliches Arbeitseinkommen, sondern ein vermindertes Arbeitseinkommen zugrunde gelegt. Das halten wir sozialpolitisch und vor allen Dingen familienpolitisch — Herr Kollege Winkelheide, ich wende mich da besonders an Sie — für sehr bedenklich. Wir werden Sie deshalb bei der Beratung des Gesetzentwurfs bitten, sich zu den Beschlüssen zu bekennen, die Sie im Ausschuß hinsichtlich der Versicherungspflichtgrenze gefaßt haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Beschlüsse gelten doch nicht mehr!)

    Es ist im übrigen auch finanzwirtschaftlich unverständlich, daß Sie zur Frage der Versicherungspflichtgrenze in Ihrem Vorschaltgesetz nicht Stellung genommen haben.

    (Abg. Memmel: Das würde ja nicht zur Überschrift passen!)

    — Die Überschrift müssen wir sowieso ändern, Herr Memmel. Daran werden wir nicht vorbeikommen, weil man nicht ein Gesetz verabschieden kann, dessen Überschrift mit dem Inhalt in so offensichtlichem Widerspruch steht. Sie als Jurist werden mir das sicherlich bestätigen, Herr Kollege Memmel, ich erhoffe Ihre tatkräftige Mitarbeit dabei, dem Gesetz eine Überschrift zu geben, die dem Sachverhalt entspricht. Diese Überschrift wird der Überschrift sehr ähnlich sein, die die Sozialdemokraten ihrem Gesetzentwurf gegeben haben: Gesetzentwurf über vordringliche Maßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dann wären wir bezüglich der Überschrift einig, und über den Inhalt werden wir uns dann noch gründlich austauschen.
    Aber, meine Damen und Herren, ich will meinen Gedanken weiterführen. Daß Sie die Versicherungspflichtgrenze nicht ändern wollen, ist auch unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten bedenklich; denn wir alle wissen, daß eine Erhöhung der Versicherungspflicht- und Beitragsgrenze mit zur Finanzierung der Leistungsverbesserung beitragen kann.

    (Abg. Ruf: Das ist aber die schlechteste Begründung!)

    — Das ist ein Gesichtspunkt, Herr Kollege Ruf. Wenn Sie andere Finanzierungsvorschläge, etwa auf vollen Kostenersatz, haben, werden wir dankbar sein. Eins kommt zum anderen, um eine Finanzierung ohne Beitragserhöhungen sicherzustellen. Darauf kommt es entscheidend an.
    Nun noch eine Leistungsfrage. Wir sind erstaunt, daß Sie in dem Abschnitt des Gesetzentwurfs „Änderung und Ergänzung der Reichsversicherungsordnung" — ohne Überschrift — nichts über die Frage der Gewährung eines Rechtsanspruchs auf Krankenhauspflege, über die Verbesserung der Leistungsgestaltung bei der Familienhilfe und über die Frage der Vorsorge gesagt haben. Diese Fragen haben Sie beim Regierungsentwurf als die positiven Seiten betont. Wir haben diese Verbesserungen in unserem Gesetzentwurf beantragt. Wir werden Sie natürlich bitten müssen, im Ausschuß zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Die Frage des Rechtsanspruchs auf Krankenhauspflege und Sicherung des gleichen Rechtsanspruchs auf Familienhilfe hat finanziell, wie wir wissen, erfreulicherweise insgesamt kein sehr bedeutsames Gewicht. Sie ist für den Einzelnen, der von Krankheit betroffen wird, unter Umständen von erheblicher sozialer und familienpolitischer Bedeutung.
    Eine Reihe von anderen Leistungsfragen, auf die Herr Kollege Horn eingegangen ist, sind im Entwurf wenig durchdacht. Ich habe den Eindruck, da ist manches in Eile zusammengeschrieben. Das sehen Sie schon, wenn Sie die Überschrift des Art. 1 lesen.



    Dr. Schellenberg
    Der erste Abschnitt des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle ... wird wie folgt geändert und ergänzt.
    Das ist doch völlig falsch!
    Es gibt auch noch andere Stellen, die übereilt hingeschrieben worden sind. Um einiges zu nennen und zu belegen: Krankengeld für Rentner soll es praktisch nicht geben. Aber die Konsequenz wäre doch dann, daß in § 167 die Versicherungspflicht der Altersrentner geregelt werden muß. Das haben Sie offenbar vergessen, oder Sie wollten nicht so viele Vorschriften aus der Reichsversicherungsordnung hineinbringen, damit nicht der Eindruck entsteht, hier würde die Reichsversicherungsordnung geändert. Es gibt noch andere Punkte: Familienzuschläge beim Hausgeld. Fehler! Die werden wir selbstverständlich korrigieren.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Dazu sind wir bereit, und das werden wir selbstverständlich im Ausschuß tun.
    Meine Damen und Herren, ungeachtet der Skepsis auf Grund der Erfahrungen, die wir bei der Auseinandersetzung über die Neuregelung der Krankenversicherung ein Jahr lang gewonnen haben, möchte ich im Namen meiner Fraktion folgendes erklären. Wir werden alles tun, um den Gesetzentwurf möglichst bald zur Verabschiedung zu bringen. Das ist im Interesse der Menschen, die schon viel zu lange auf die dringend erforderlichen Leistungsverbesserungen warten, unbedingt erforderlich.
    Selbstverständlich muß dieser Gesetzentwurf im Ausschuß zusammen mit dem bereits vorliegenden Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über vordringliche Maßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung gemeinsam beraten werden, da beide Gesetzentwürfe die gleiche Materie beinhalten.

    (Zuruf des Abg. Horn.)

    — Das wird der Ausschuß entscheiden! Herr Kollege Horn, ich möchte Sie bitten, nun nicht in dem Augenblick, in dem wir erklären, wir sind bereit, alles zu tun, um den Gesetzentwurf beschleunigt zu verabschieden, schon den Ausschußentscheidungen vorzugreifen und zu sagen: Machen wir nicht!
    Meine Damen und Herren, Sie haben die Mehrheit, Sie können das beschließen. Dann wird es zu jedem einzelnen der Paragraphen einen Änderungsantrag geben. Aber, meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, daß wir nun endlich im Bereich der Krankenversicherung zu einer Arbeit kommen, die bald sachliche Ergebnisse bringt. Das muß doch die gemeinsame Angelegenheit sein. Deshalb würde ich bitten, nicht schon vor Beginn der Ausschußberatungen sich auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Auffassung festzulegen. Es war bisher immer üblich, und wir werden alle politischen Mittel dafür einsetzen, daß ein Ausschuß, wenn zu der gleichen Materie zwei Gesetzentwürfe vorliegen, beide Gesetzentwürfe zur Grundlage seiner Beratung macht. Aber das werden wir im Ausschuß noch klären.
    Meine Damen und Herren, das Ziel muß sein, zweierlei zu verwirklichen: einmal die Leistungsverbesserungen, über deren Inhalt wir im einzelnen noch diskutieren werden, und zum anderen die Finanzierung dieser Leistungsverbesserungen ohne Beitragserhöhung, nämlich durch Kostenersatz. Das ist die Aufgabe, die uns für den Rest der Legislaturperiode im Bereich der Krankenversicherung obliegt. Über alle anderen Fragen der zukünftigen Gestaltung der Krankenversicherung wird dann der Wähler entscheiden.
    Ich schließe mit dem Umdruck der Erwartung, daß alle Parteien vorher der Öffentlichkeit klar sagen, welche Vorstellungen sie von einer Gesamtreform der Krankenversicherung haben. Die Sozialdemokraten werden das jedenfalls tun.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Stammberger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Reichskanzler Otto von Bismarck hat einmal folgende Sätze geprägt:
    An Grundsätzen hält man solange fest, wie sie nicht auf die Probe gestellt werden. Geschieht das, so wirft man sie fort wie der Bauer die Pantoffeln und läuft, wie einem die Beine gewachsen sind.
    Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang Bismarck das gesagt hat. Aber wenn er eine seherische Gabe hatte, dann hat er damit sicherlich die Bestrebungen der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion zur Reform der sozialen Krankenversicherung gemeint.

    (Lachen bei der FDP und bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wenn Sie das bestreiten, dann hätten Sie sich vielleicht auf den heutigen Tag dadurch vorbereiten sollen, daß Sie einmal als eine Art Pflichtlektüre die Debatten nachgelesen hätten, die wir am 17. Februar vorigen Jahres bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs und am 29. September vorigen Jahres bei der ersten Lesung des Vorschaltgesetzes der SPD hier geführt haben. Sie haben am 17. Februar mit Fanfarengeschmetter den Stilwandel in der Sozialpolitik verkündet, und Sie haben diese Fiktion — wenn auch nur noch mit gedämpftem Trommelschlag — am 29. September aufrechterhalten. Und was ist dabei herausgekommen? Bestenfalls ein Scherbenhaufen, die kümmerlichen Reste dieses Reformversuches, die Sie jetzt mit der Fassade eines kleinen Mäuerchens zu verdecken suchen.
    Herr Kollege Schellenberg hat Ihnen bereits gesagt: Das ist ein unrühmliches Kapitel in Ihrer parlamentarischen Tätigkeit. Er hat das — wie seine ganze Rede — mit dem genüßlichen Lächeln eines Feinschmeckeres getan, der sich an eine wohlbestellte Tafel setzt, die ihm die CDU/CSU hier bereitet hat. Ich muß gestehen, Herr Kollege Schellenberg, Sie haben reichlich lange und ausdauernd daran gespeist.

    (Heiterkeit.)




    Dr. Stammberger
    Im Grunde genommen hat aber Herr Kollege Schellenberg in diesem Punkte natürlich recht. Sie sollten dieses unrühmliche Kapitel in Ihrer Tätigkeit mit der Überschrift versehen: Vom Stilwandel zum Wandelstil.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FPD und der SPD.)

    Sie sollten nun auch nicht in den Fehler verfallen, die Schuld bei anderen zu suchen. Herr Kollege Memmel hat das mit seinen Zurufen bereits getan. Begonnen mit solch einer Art, ich möchte fast sagen „Dolchstoßlegende" hat der Bundeskanzler auf dem kleinen Parteitag der CDU/CSU im November des vorigen Jahres, als er seine Fraktion ermahnte, sich von der Opposition doch nicht abhalten zu lassen, dieses Reformwerk nun endlich zu beenden und das Gesetz zu verkünden. Als ob wir das angesichts Ihrer absoluten Mehrheit in diesem Hause überhaupt könnten!
    Meine Damen und Herren, auch jetzt ist in einigen der Regierung wohlwollenden Zeitungen das Märlein aufgetaucht, an diesem Zusammenbruch seien gewisse Einflüsse auch außerhalb des Hauses schuld.

    (Zuruf des Abg. Ruf.)

    Aber daß es, Kollege Ruf, zum Scheitern dieser Reform kommen würde, das haben wir Freien Demokraten Ihnen bereits bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs vorausgesagt. Er ist gescheitert aus folgenden Gründen:
    Erstens, weil dieser Entwurf in jeder Hinsicht mangelhaft und unüberlegt war;
    zweitens, weil dieser Entwurf viel zu spät eingebracht wurde, als daß man der damals bei der ersten Lesung ausgesprochenen Hoffnung des Herrn Bundesarbeitsministers noch hätte entsprechen können, wir könnten aus diesem Entwurf etwas Vernünftiges machen;
    zum dritten, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, weil Sie nicht in der Lage gewesen sind, sich auch nur zu einem einzigen Beschluß durchzuringer, der länger Bestand hatte als his zu Ihrer nächsten Arbeitskreis- oder Fraktionssitzung.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Und wo sind Sie jetzt gelandet? — Klatschen Sie bitte nicht zu früh, meine Herren von der SPD! —Wo sind Sie jetzt gelandet? Sie sind genau auf dem Boden eines „Rosinen-Gesetzes" gelandet, wie Sie es der SPD am 29. September vorigen Jahres bei der ersten Lesung des SPD-Entwurfs vorgeworfen haben. Nichts anderes ist dabei herausgekommen.
    Herr Schellenberg hat mit Recht gesagt: „Na, für uns ist es ein gewisser politischer Erfolg." Ob es auch ein Erfolg ist für einen Stilwandel in der Sozialpolitik — den wir vom Grundsatz her begrüßen —, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren! Das Bedauerliche ist, daß diese jetzt aus dem Zusammenhang gerissenen Einzelfragen, die in Ihrem Vorschaltgesetz hier nun vorgelegt werden, für sich allein betrachtet, gar nicht einmal so unsympathisch sind — das ist ja auch wohl der Sinn Ihres Gesetzentwurfes —, z. B. die Beseitigung der Aussteuerung, gegen die sich natürlich niemand aus guten Gründen wenden kann, und dann, Herr Kollege Horn, das, was Sie als einen „beachtlichen Vorschlag" bezeichnet haben, nämlich der Wegfall der Karenztage. Ich glaube, das Beachtlichste an diesem Ihrem Vorschlag ist doch, daß Sie plötzlich den Vorschlag der FDP aufnehmen, den wir bereits am 11. Dezember 1957 auf der Drucksache 83 diesem Hause vorgelegt haben.

    (Abg. Stingl: Sie irren sich!)

    — Ich irre gar nicht; Sie müssen es nur einmal nachlesen, Herr Kollege Stingl.

    (Abg. Stingl: Und was haben Sie geschrieben?)

    — Zu Ihren früheren Zitaten komme ich nachher auch noch. — Wir haben damals das gleiche beantragt, was Sie jetzt in Ihrem Vorschaltgesetz beantragen; nur mit dem Erfolg natürlich — so geht es einer augenblicklich noch kleinen Partei —, daß dieser Vorschlag einen dreijährigen Dornröschenschlaf — —(Abg. Stingl: Sie übertreiben Ihre Hoffnungen!)

    — Warten Sie nur mal ab! — Nur mit dem Ergebnis, daß dieser Vorschlag nun seit drei .Jahren einen Dörnröschenschlaf im Ausschuß schläft, bis Prinz Horn jetzt kommt und ihn wieder wachküßt.

    (Heiterkeit.)

    Aber Sie haben — und daher wohl Ihr Irrtum, Herr Kollege Stingl — eine etwas andere Formulierung gewählt, damit man es nicht gar zu sehr merkt; und diese Formulierung führt leicht zu Mißverständnissen, weshalb Sie zweckmäßigerweise doch auf unsere Formulierung zurückgreifen; aber das ist letzten Endes eine Sache der Ausschußarbeit.
    Herr Kollege Horn, Sie haben Ihre Rede sehr hoffnungsvoll begonnen mit der Feststellung, daß alle Punkte der sozialen Krankenversicherung letzten Endes in einem untrennbaren und unvermeidbaren Zusammenhang stehen und daß man aus dieser Gesamtreform nichts herausbrechen sollte. Das ist richtig. Sie haben es allerdings später dann wieder eingeschränkt dahin gehend, daß das nicht gilt für die Punkte, die Sie in Ihrem Vorschaltgesetz gern haben wollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gar kein Vorschaltgesetz!)

    Nun, Herr Kollege Stingl, muß ich Sie zitieren, nämlich aus der Debatte über das Lohnfortzahlungsgesetz am 31. Mai 1957. Da haben Sie ausdrücklich gesagt: Es handelt sich hier um eine vorläufige Regelung; die endgültige Regelung kann erst im Zusammenhang mit der Krankenkassenreform im dritten Bundestag erfolgen. Damals waren Sie noch optimistisch. Sie glaubten, sie käme

    (Abg. Stingl: Würden Sie sich selber auch zitieren?)




    Dr. Stammberger
    im dritten Bundestag. Inzwischen sind Sie nicht mehr optimistisch. Sie sind bescheidener geworden. Statt optimistisch sind Sie jetzt optisch und nur noch auf die Wirkung zur Wahl bedacht.

    (Heiterkeit.)

    Aber, meine Damen und Herren, wird sich die Optik letzten Endes auszahlen? Vielleicht bis zu den Wahlen; aber hinterher dürfte der große Katzenjammer kommen.
    Da muß man doch auf einige Mängel Ihres Entwurfs hinweisen. Ein Mitglied Ihrer Fraktion, nämlich Herr Kollege Blöcker, hat sich sogar ein Gutachten fertigen lassen, das in der Zeitschrift „Die Krankenversicherung" veröffentlicht worden ist. Ich weiß nicht, ob er Ihnen dieses Gutachten in der Fraktionssitzung entgegengehalten hat oder ob er es unter dem Tisch hat verschwinden lassen; denn in diesem Gutachten wird nachgewiesen, daß wegen des Lohnsteuerausgleichs bereits bei einer 90%igen, erst recht natürlich bei einer 100%igen Lohnfortzahlung die Krankheit — sagen wir es einmal ganz deutlich — zum Geschäft werden kann. Das, was Herr Kollege Horn an der jetzigen Lösung bereits bemängelt, wird sich in einem noch viel stärkeren Maße dann fortsetzen, wenn man Ihrem Vorschlag folgt. Herr Kollege Horn, Sie haben eine derartige Entwicklung mit Recht als bedenklich bezeichnet, und ich glaube auch, daß sich mancher Sozialversicherte überlegen wird, ob es sinnvoll für ihn ist, mit seinen Kassenbeiträgen letzten Endes diejenigen zu finanzieren, die diese unschönen Lücken des Gesetzes in ebenso unschöner Weise ausnutzen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, sind Sie sich darüber im klaren, daß es dann immer noch eine Gruppe von Angestellten gibt, und zwar die kurzfristig tätigen Angestellten, die je nach dem Tarifvertrag erst nach drei oder sechs Monaten in den vollen Genuß ihrer Rechte aus dem Angestelltenverhältnis kommen, die dann immer noch nicht von der Regelung erfaßt sind und daher eine Schlechterstellung gegenüber den Arbeitern erfahren? Sind Sie sich darüber klar, welche zusätzlichen Belastungen durch dieses Gesetz auf die gewerbliche Wirtschaft und insbesondere auch hier wieder auf den lohnintensiven Mittelstand zukommen? Auch als die SPD am 29. September vorigen Jahres ihren Antrag einbrachte, hat sie sich in klarer Erkenntnis dieser Folgen dafür ausgesprochen, daß hier in irgendeiner Form ein Ausgleich gefunden werden muß, wenn auch der Vorschlag, staatliche Subventionen zu zahlen, nicht der Weisheit letzter Schluß sein sollte. Und sind Sie sich auch darüber klar, daß es — um nun zu dem Lieblingskind des Herrn Kollegen Schellenberg zu kommen — hinsichtlich der Finanzierung zu erheblichen Schwierigkeiten bei den Kassen kommen wird? Der zulässige Höchstsatz der Kassenbeiträge ist 9 %. Der jetzt erhobene Beitrag beläuft sich im Bundesdurchschnitt auf 8,48 N. Sie haben sicher von jener Tagung der Arbeits- und Sozialminister der Länder gelesen, die vorgestern stattgefunden hat und in der man ganz offen davon gesprochen hat, daß es zu einem Ruin der Krankenkassen kommen muß, wenn man nicht dazu übergeht — und sind Sie etwa gewillt, das zu tun? —, die §§ 389 und 390 der Reichsversicherungsordnung entsprechend zu ändern, so daß die Kassen beträchtliche Beitragserhöhungen vornehmen können. Oder wollen Sie etwa, daß die Kassen das ihnen verbleibende Gebiet der Selbstverwaltung, nämlich die freiwilligen Leistungen, abbauen, damit sie die Möglichkeit haben, die pflichtmäßigen Mehrausgaben zu finanzieren? Mit dieser Frage sollten wir uns sehr eingehend beschäftigen. Es ist bezeichnend, daß selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund in einer Eingabe, die Sie heute vorgefunden haben, vor dieser Entwicklung warnt.
    Meine Damen und Herren! Wir haben ja schon einmal die Folgen eines Lohnfortzahlungsgesetzes erlebt. Ich meine das Gesetz, das wir im Jahr 1957 verabschiedet haben und das dann im Winter 1957/58 fast zu einem Ruin der sozialen Kassen geführt hat. Damals sind die ersten Rufe nach einer Reform laut geworden. Ich fürchte, wenn wir in allernächster Zeit wieder ein derartiges finanzielles Fiasko der Kassen erleben werden, dann wird der Beginn unserer sozialpolitischen Tätigkeit im 4. Bundestag auf diesem Gebiet wieder mit dem Odium belastet sein, daß die Kassen finanziell am Ende sind, und jede Reform wird auch im 4. Bundestag durch eine Hypothek des Mißtrauens belastet werden. Man wird nämlich wiederum in der breiten Öffentlichkeit der Auffassung sein, daß eine derartige Reform nicht aus dem Wandel der gesellschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen heraus erfolgt, eben im Sinne des von der Bundesregierung proklamierten Stilwandels, sondern daß diese Reform letztlich eine Sanierung der Kassen auf Kosten der Versicherten ist.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Das ist schon rein psychologisch ein außerordentlich gefährlicher Weg, den Sie hier zu beschreiten beginnen.
    Dazu kommt noch eins, und die SPD hat es heute sehr deutlich gesagt: sie wird versuchen, aus diesem Vorschaltgesetz noch viel mehr zu machen. Sie wird versuchen, dieses ihr Vorschaltgesetz etwa in die Richtung des SPD-Entwurfs zu bringen. Unsere Vorstellungen von diesem Entwurf haben wir bereits am 29. September vorigen Jahres dargelegt. Ich will mich hier nicht wiederholen. Ich bin fest davon überzeugt, daß es der SPD, weil die 2. und 3. Lesung dieses Entwurfs kurz vor den Wahlen sein wird, mit Hilfe des linken Flügels der CDU/CSU-Fraktion auch gelingen wird, diese Gedanken durchzusetzen. Sie kennen ja das alte Sprichwort: „Der Katzer läßt die Flausen nicht."

    (Heiterkeit.)

    Aus diesem Grunde werden wir zwar der Überweisung des Gesetzentwurfs an die Ausschüsse zustimmen, aber ob wir auch in der 3. Lesung endgültig zuzustimmen vermögen, wird sich daraus ergeben, was der Sozialpolitische Ausschuß in seiner Mehrheit aus SPD und linkem Flügel der CDU/CSU aus diesem Gesetzentwurf machen und wie die von der SPD bereits heute angekündigte 2. Lesung mit all ihren großen Debatten ausgehen wird. Eine



    Dr. Stammberger
    Stellungnahme zur Schlußabstimmung können wir
    unter diesen Umständen heute unmöglich abgeben.

    (Beifall bei der FDP.)