warum konnte das nicht früher erarbeitet und uns auf den Tisch gelegt werden, warum muß das in die allerletzte Spanne der Legislaturperiode hineingedrängt werden? Wir haben uns Ihre Ausführungen darüber, daß dieses Gesetz ein Stück Existenzsicherung, auch in der Auseinandersetzung nach dem Osten hin, darstellt, sehr genau angehört. Sehr gute Worte! Aber das Kernproblem des Bundesvertriebenenministeriums sind nicht die guten und schönen Worte und Gedanken, sondern sind der Wille und die Energie, sie auch durchzusetzen,
sind Härte und Standhaftigkeit nicht nur innerhalb des Kabinetts und gegenüber den anderen Ministerien, sondern eben auch gegen eine ganze Anzahl von Interessentenwünschen.
In dieser Hinsicht, sehr geehrter Herr Minister, ist eine ganze Menge nachzuholen. All die Versäumnisse der vergangenen Jahre sind aufzuholen. Nebenbei: Wo wären wir überhaupt in diesen Fragen, wenn die Opposition nicht immer wieder die CDU unter Druck gesetzt hätte, die Konsequenzen zu überdenken, und wenn wir uns nicht immer wieder bemüht hätten, wenigstens dem Vertriebenenministerium das Mindestmaß an Rückensteifung zu geben, das nötig ist, um das bisher Erreichte durchzusetzen?
Ihre Ausführungen zur Frage der Möbelhilfe, Herr Minister, haben — um das vorwegzunehmen — mit Ihren guten Worten und auch mit der Bewegung, mit der Sie gesprochen haben, nicht in Einklang gestanden. Nach unserem Dafürhalten verdient die bisher vorgelegte Regelung alles andere als die Bezeichnung großzügig". Sie ist genau das, was Sie selber in Ihren Ausführungen abgelehnt haben, sie ist wiederum nur eine halbfürsorgerische, karitative Angelegenheit. Das rechtliche Fundament, das wir mit unserem Antrag erstreben, fehlt letzten Endes.
Ihre ganze Vorlage ist — ich muß das sagen — ein erneuter Beweis dafür, daß die Bundesregierung
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immer dann, wenn es um die Ausgleichung des menschlichen und sozialen Defizits des Krieges und seiner Folgen geht, einen krummen Rücken bekommt. In der doch eindeutigen, beinahe penetrant wirkenden Situation, in der wir aus mancherlei Gründen gezwungen sind, Milliardenbeträge in andere Länder und Kontinente zu geben — kein Wort gegen die Wichtigkeit und Richtigkeit dieser Maßnahmen angesichts der einmal eingetretenen Lage, aber man kann auch nicht die Optik für die Betroffenen übersehen, die zum Teil seit 10 oder 15 Jahren auf die Leistungen warten, die ihnen versprochen worden sind —, in einer solchen Situation wird von der Bundesregierung zur finanziellen Seite des Gesetzentwurfs eine buchhalterische Rechnung, eine Krämerrechnung aufgemacht, die den regelmäßigen, zum Teil bewußten finanziellen Fehlschätzungen in der Ära des Finanzministers Schäffer alle Ehre macht. Ich habe es sehr bedauert, Herr Bundesminister, daß Sie in dieser Richtung nicht klarer gesprochen haben und Ihre Ausführungen kaum zu Hoffnungen Anlaß geben, wenn ich auch die Darlegungen des Herrn Kollegen Kraft sehr positiv aufgenommen habe.
Die Rechnung, die die Bundesregierung hierzu bei der Begründung des Gesetzentwurfs aufgemacht hat, nimmt ihr draußen niemand ab.
Dazu haben die Betroffenen in diesen Fragen mit den Sachverständigen der Regierung und ihren Schätzungen vielzu eingehende und bittere Erfahrungen ,gemacht.
Der Herr Kollege Zühlke hat bereits darauf hingewiesen, was der Minister Hemsath im Bundesrat hierzu gesagt hat: Anläßlich der achten Novelle ist geschätzt worden, daß der Lastenausgleich eine Finanzierungslücke von 5,5 Milliarden DM haben würde. Vier Jahre danach ist errechnet worden, daß diese Finanzierungslücke überhaupt nicht besteht.
Im Gegenteil, aus der Regierungsvorlage ergibt sich, daß nach der jetzigen Rechnung die Fondseinnahmen die Ausgaben im rund 5 Milliarden DM übersteigen.
In dem „Fachberater" vom Oktober 1960 wird hierzu von dean zuständigen Abteilungsleiter im Ministerium ausgeführt:
Der Bilanzüberschuß von 4,9 Milliarden DM ist zunächst überraschend angesichts der Tatsache, daß das Bundesausgleichsamt noch vor kurzem in seiner Broschüre „Zehn Jahre Lastenausgleich" einen Bilanzfehlbetrag von 2,4 Milliarden berechnet hat, ...
Ein Unterschied also von 7,3 Milliarden!
Wir haben es also erlebt, daß die Schätzungen, die uns anläßlich der achten Novelle vorgelegt worden sind, um rund 10 Milliarden DM überhöht waren. Ich glaube, bei allem Wohlwollen und bei aller Anerkennung, daß Schätzungen eben nur Schätzungen sind, doch sagen zu können: Das, was man sich damit geleistet hat, verdient den Namen „Schätzung" nicht mehr. Wer einmal so schätzt, dem glaubt man nicht mehr.
Natürlich verlangt niemand, weder von den Betroffenen noch von meinen Partei- und Fraktionsfreunden, daß Sie so optimistisch kalkulieren wie Minister Erhard mit den Preisen. Aber hier wäre wirklich der und zwar einzig richtige Platz für das Wort ihres Parteichefs: Seien Sie nicht so pingelig! Und ich möchte hinzufügen: Kalkulieren Sie bei diesen Dingen auch einmal etwas mit dem Herzen!
Ich will es mir ersparen, noch einmal auf die Einzelheiten einzugehen. Ich möchte nur besonders herausheben und akzentuieren — damit hier keinerlei Mißverständnisse bestehen —: Es wird von den Geschädigten als einer der Hauptmängel des Gesetzes angesehen, daß als Stichtag für die Vermögensabgabe ein Termin vor der Währungsreform festgelegt wurde. Dadurch wurden die seit 1948 eingetretenen wesentlichen Wertsteigerungen bei allen Vermögenswerten durch die Vermögensabgabe nicht erfaßt. Hierdurch entgehen dem Einkommen des Lastenausgleichs zweifellos Milliarden. Die Kluft zwischen der seinerzeitigen Ausgangsbasis und dem heutigen wirtschaftlichen Status auf der Abgabenseite ist so groß geworden, daß die finanziellen Maßstäbe der Regierungsvorlage gerade auch unter diesem Gesichtspunkt von den Betroffenen nur als kränkend empfunden werden können, und ich teile diese Auffassung.
Zur Methode dieser Gesetzgebung! Wir stehen jetzt bei der Dreizehnten Novelle. Von notwendigen Korrekturen auf Grund der Erfahrungen abgesehen haben wir eine so umfangreiche und wiederholte Novellierung zu einem großen Teil deshalb vornehmen müssen, weil Sie sich eben immer nicht zu den wirklich notwendigen Entscheidungen bereit fanden. Ich habe schon bei der Elften Novelle von der unheilvollen Praxis der Gesetzgebung in Raten gesprochen, also von der umgekehrten „Salami-Taktik", die man hier anwendet, indem man nämlich Stück für Stück anfügt.
— Natürlich, Herr Kollege Schutz! — Diese Praxis stellt nicht nur die Verwaltung vor große, unlösbare Aufgaben — die Lösung der Aufgaben wird immer komplizierter, teurer und unwirtschaftlicher —, sie führt auch in der Bevölkerung zu einer zunehmenden Verbitterung und Unruhe. Deshalb ist es erforderlich, daß bei der Lösung der Kernprobleme, die bei dieser Novelle anstehen — bei der Frage des Stichtages der Höhe der Hauptentschädigung und der Altersversorgung der ehemals Selbständigen —, also bei der Lösung derjenigen Probleme, die zu dieser großen Unruhe bei den Betroffenen geführt haben, ganze Arbeit geleistet wird.
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Hier muß eine Arbeit geleistet werden, die nicht wiederum nur für eine Legislaturperiode Bestand hat, sondern die auch für die Zukunft reicht. Das möchte ich hier noch einmal mit allem Nachdruck sagen.
Es ist mir unbegreiflich, warum ein späterer Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme in der Bundesrepublik irgendeinen Einfluß auf die Entschädigungsfähigkeit eines Vertreibungsschadens ausüben soll. Die Vertriebenen aus der Zone haben ihre Heimat und ihren Besitz wie alle anderen Vertriebenen verloren. Der Schicksalsschlag, der sie noch einmal getroffen und sie auch um ihre neuerworbenen Güter gebracht hat, kann und darf sie deshalb nicht die Entschädigung ihres Vertreibungsschadens kosten.
Dais Argument, die Vertriebenen aus der Zone könnten deshalb nicht 'in den Lastenausgleich einbezogen werden, weil man sie gegenüber den anderen Flüchtlingen nicht bevorrechtigen dürfe, geht völlig an der Sache vorbei. Hinsichtlich der Schäden, die durch die Flucht aus der Zone entstanden sind, sind gewiß alle Flüchtlinge gleich. Um diese Schäden geht es aber nicht. Es geht einzig und allein und die bei der Vertreibung entstandenen Verluste. Es ist selbstverständlich, daß Vertreibungsverluste nur dem entschädigt werden können, bei dem sie entstanden sind. Es liegt also kein gleicher Tatbestand vor. Infolgedessen kann es auch insoweit keine Bevorzugung geben.
Vor allem: finanzielle Überlegungen dürfen bei der Lösung dieses Problems keine Rolle spielen. Es ist gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, die vorhandenen Mittel nach dem Gesichtspunkt sozialer Rechtsstaatlichkeit so zu verteilen, daß jedem, bei dem der gleiche Tatbestand erfüllt ist, die gleichen Leistungen zuteil werden. Es handelt sich nur darum, Herr Minister von Merkatz, daß das, was Sie Ihrerseits auch als Prinzip herausgestellt haben, nun auch wirklich konsequent und gewissenhaft 'in die Praxis umgesetzt wird.
Lassen Sie mich noch etwas zur Hauptentschädigung sagen. Der Maßstab bei der Schadensfeststellung ist der Einheitswert, also ein Steuerwert, der weit unter dem wirklichen Verkehrswert liegt. Hinsichtlich der Entschädigungsätze auch für größere Vermögen sollte sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, daß Grund-, Landwirtschafts- und Betriebsvermögen nicht schlechter entschädigt werden dürfen als Geldvermögen bei der Währungsreform. Es geht infolgedessen bei der Neugestaltung der Hauptentschädigung nicht nur darum, Korrekturen anzubringen. Es ist notwendig, daß der in der Zwischenzeit eingetretene Geldwertverfall ausgeglichen wird. Seit der Schaffung des Lastenausgleichsgesetzes hat die Deutsche Mark etwa 20 % ihres Wertes verloren. In diesem Ausmaß sollte also die Entschädigung, ob klein oder groß, heraufgesetzt werden.
Ein letztes Wort zu dem dritten entscheidenden Problem, dem Problem der Altersversorgung. Hier ist bisher bedauerlicherweise noch kein anderer Weg gefunden worden. Alle unsere Mahnungen an die Bundesregierung und auch an die große Regierungspartei und all unser Drängen haben noch zu keiner konstruktiven Überlegung geführt. Es bleibt infolgedessen nichts anderes übrig, als bei dieser Novelle den Versuch zumindest einer Teillösung über den Lastenausgleich zu machen. Es ist einer Kulturnation unwürdig, Alte und Erwerbsunfähige, die ein Arbeitsleben hinter sich haben, die aber eine grausame Entwicklung um ihr Vermögen und ihre Existenzbasis gebracht hat, der Fürsorge zuzuweisen. Deshalb muß durch den Lastenausgleich dafür gesorgt werden, daß jeder ehemals Selbständige etwas erhält, und daß der Betrag, den er erhält, ausreichend ist. Die Alten verfolgen auch diese heutige Diskussion und die Position, die hier abgesteckt wird, mit ganz besonderer Sorge; denn sie stehen vor der Angst um die Sicherung ihres Lebens, um die Sicherung der letzten Jahre und Tage ihres Lebens. Der Gesetzgeber isollte ihnen diese Sorge endlich nehmen; er sollte die mit den Jahrgängen zusammenhängende Problematik, soweit sie zu diesem Gesetz gehört, lösen und eine Regelung treffen, die den Alten die Gewißheit gibt, daß sie nicht der Fürsorge anheimfallen.
Herr Kollege Kraft, ich will zu den Ausführungen über § 252 nichts sagen; ich will nur fragen, warum nicht früher derartige Schritte unternommen worden sind. In dem Gesetz war der Bundesregierung durchaus die Möglichkeit gegeben, das Problem auf dem Wege der Rechstverordnung anzupacken. Ich meine, daß es nicht so sehr darauf ankommt, eine neue rechtliche oder gesetzgeberische Lösung zu finden, als vielmehr darauf, daß die Bundesregierung den Mut hat, das zu tun, was sie auf dem Wege über eine Verwaltungsbestimmung schon längst hätte praktizieren können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier ist darauf hingewiesen worden, welche Bedeutung die Regelung dieses gesamten Komplexes auch in unserem Verhältnis zur Zone hat. Die Bundesrepublik hat die Kriegsfolgelasten übernommen, nicht um Vertrauen zu werben, sondern weil wir uns für die Folgen des Krieges verantwortlich fühlen. Dieser Grundsatz unterscheidet uns ganz wesentlich von der Zone, die eine Wiedergutmachung und einen Lastenausgleich nicht kennt. Wir sollten die Entscheidungen, die bei den Beratungen in den kommenden Wochen und Monaten getroffen werden müssen, 'daher auch unter diesen — politischen — Gesichtspunkten sehen.
Ein letztes, meine Damen und Herren! Wir sollten nicht warten, bis uns die Reaktion auf die Enttäuschungen über eine erneute unzulängliche Novelle zum Lastenausgleichsgesetz die Entscheidungen aufzwingt. Wir sollten daher im Rahmen dieser Novelle das tun, was die Zeit, die soziale Verantwortung und die Gerechtigkeit auch diesen Menschen gegenüber von uns allen fordern.