Rede von
Herbert
Kriedemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um welch merkwürdige Angelegenheit es sich hier handelt, das wird auch dem, der mit der Materie nicht besonders eingehend befaßt worden ist, doch im Laufe der Debatte deutlich geworden sein. Von seiten eines Vertreters der SPD-Fraktion ist hier festgestellt worden, daß die Regierung in den Ausschußberatungen mit Eindeutigkeit erklärt hat, dieses Gesetz sei mit den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik nicht vereinbar. Das ist übrigens nicht nur im Ernährungsausschuß, das ist auch im Haushaltsausschuß geschehen.
Von einem Vertreter der FDP-Fraktion ist hier einiges gesagt worden, für das der Ausdruck „Kritik" eigentlich zu wenig ist. Man müßte schon geradezu von einer vernichtenden Kritik sprechen,
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1960 7715
Kriedemann
und es hat sich niemand im Hause bewogen gefühlt, zu den Feststellungen oder zu den Vorwürfen etwas zu sagen. Man ist offenbar bemüht, diese peinliche Sache so glatt wie möglich über die Runden zu bringen. Das möchte ich Ihnen mit meinen Ausführungen nur noch deutlich machen, damit Sie wirklich wissen, was Sie tun.
Sehen Sie, da fängt man zunächst mit dem Vertrag uber den Gemeinsamen Markt an. Da macht man uns apen klar, wie wichtig es ist, daß das Instrument zum Funktionieren kommt, und wieviel fur unsere gemeinsame Zukunft und Sicherheit in jeder Hinsicht davon abhängt. Dann versuchen eine ganze Menge Leute in diesem Lande die von den unvermeidllchen Konsequenzen einer solchen großen Wirtschaftsoperation Betroffenen damit zu trösten, daß man ihnen sagt: Das dauert ja noch lange, erst mal zwölf Jahre, und dann noch ein paar Notbremsen; und wer weiß, was bis dahin ist! — Aber die Beratungen gehen weiter, und dabei stellt sich das eine oder andere heraus.
Unter anderem stellt sich heraus, daß die im Vertrag ursprünglich vorgesehenen Fristen viel zu lang festgesetzt sind. Es wird ein Vorschlag zur Beschleunigung gemacht. Diesem Vorschlag stimmt die Bundesregierung dann auch zu, und ich glaube, sie hat an und für sich damit recht getan. Nun versucht man, durch neue taktische Manöver wieder einmal ein bißchen über die Runden, insbesondere über das Jahr 1961 hinwegzukommen. Eines schönen Tages merken bestimmte Teile unseres Wirtschaftslebens, daß die Geschichte mit ihren Folgen doch sehr viel schneller auf sie zukommt, als man ihnen eingeredet hat,
und dann bestürmen sie das Haus oder diejenigen, die sie dafür für verantwortlich halten, daß sie in solcher Verlegenheit sind, und fordern irgendwelche Maßnahmen.
Anstatt nun die Courage zu haben, ganz deutlich zu sagen, in welcher Lage wir sind und durch welche Verpflichtungen wir gebunden sind, wird beschlossen: wir machen so ein Gesetz zum Schutz der Leute! Dabei nimmt man gar nicht zur Kenntnis, daß man im Zuge der europäischen Zusammenarbeit natürlicherweise gar nicht mehr alles das machen kann, was man gerne möchte. Ich will gar nicht beklagen, daß das so ist, ich will es nur feststellen. Aber dann macht man ein solches Gesetz, das natürlich mit der üblichen Mehrheit im Ernährungsausschuß beschlossen wird. Man macht es sich ja da nicht sehr schwer mit der Auseinandersetzung über unsere Lage, über unsere wirklichen Möglichkeiten, über die Konsequenzen, die sich aus unserer internationalen Politik und aus unserem Angewiesensein auf neue Formen des internationalen Zusammenlebens ergeben. Das wird also beschlossen und bleibt erstaunlich lange im Kasten liegen. Aber irgendwann muß es ja nun doch einmal hier durchs Plenum geschleust werden.
— Aber die waren auch nicht schuld daran, daß wir den Entwurf erst heute auf dem Tisch liegen haben, Herr Bauknecht. Versuchen wir jetzt nicht, uns hier neue Rettungsanker zu konstruieren! Die halten alle nicht, Herr Bauknecht.
— Es ist eben nicht so. Das können wir aus den Daten ersehen. Sie hätten uns vorhin etwas sagen sollen und zwar zur Sache etwas sagen sollen.
Im letzten Augenblick wird es der Regierung dann offenbar doch unheimlich, daß man ihr ein Gesetz in die Hand drücken will, von dem mindestens die Regierung weiß, daß sie es nicht anwenden kann. Dann wird dieses „Marktordnungsgesetz" in eine Vollmacht umgewandelt. Und als dann die Lobbyisten, die in diesen Tagen das Haus am mei' sten bevölkert haben — weil sie unmittelbar von der Geschichte betroffen sind —, vor Schrecken wieder auf alle Leute einredeten, die damit zu tun haben, machte man es halb und halb. Dann wird das Malz in die Marktordnung einbezogen, ohne Rücksicht auf die GATT-Verpflichtungen, und für das andere wird dem Minister eine Ermächtigung gegeben.
Ich frage mich, ob eigentlich einer von den Unterzeichnern, einer von denen, die jetzt hier zugestimmt haben, auch nur einen Augenblick daran gedacht hat, in welche Lage er seinen eigenen Minister bringt. Er gibt ihm eine Vollmacht im Bewußtsein, daß er diese Vollmacht nicht gebrauchen kann. Ist das etwa in der Absicht geschehen, um den Betroffenen sagen zu können: Na ja, wir haben halt einen so schlechten Minister, dem geben wir hier Vollmachten; aber sie sehen ja: der Kerl macht keinen Gebrauch davon? Welche Art von Überlegungen sind dabei wohl angestellt worden?
Das Ganze läuft zum Schluß auf eine der vielen, sagen wir einmal ganz vorsichtig, Beruhigungspillen hinaus, die in der Agrarpolitik insbesondere seit Bestehen des Vertrages über den Gemeinsamen Markt üblich geworden sind. Es ist etwa dasselbe, wie wenn der Ernährungsausschuß der Regierung eine von ihr erbetene Zollvollmacht verweigert und sagt: Nein, wir wollen erst mal sehen, daß das Letzte an Wettbewerbsverzerrung usw. ausgeräumt ist, ehe wir noch einen Schritt weitergehen. Niemand, der sich auch nur ganz oberflächlich informiert, kann einen Zweifel daran haben, daß wir sehr viel schneller eine Feststellung bekommen werden — mit Zustimmung der Bundesregierung —, nun sei also der Weg zu der nächsten Zollsenkung frei.
Was ist das eigentlich für ein Spiel? Es führt zu nichts anderem, als der Agrarpolitik immer mehr Kredit zu nehmen. Diejenigen, die so etwas veranstalten, machen sie zum Gegenstand irgendwelcher Kasperletheaterstücke. Zum Schluß wird das alles nicht mehr ernst genommen. Und was das Allerfürchterlichste ist: In diesem Hin- und Her-manövrieren verlieren wir das bißchen an Zeit, das uns überhaupt noch übriggeblieben ist, um die Maßnahmen zum Schutz der Landwirtschaft, zum Schutz der Betroffenen und der Wirtschaftszweige zu ergreifen, die nun wirklich wirkungsvoll sind.
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Augenauswischerei mit einem so unhygienischen Stück Papier ist eine ganz besonders schlechte Sache. Deswegen werden die Sozialdemokraten diesem Gesetzentwurf in der dritten Lesung die Zustimmung verweigern.