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ID0312203300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bin gern bereit, das im Protokoll nachzulesen. Ich bin Ihnen für die Korrektur dankbar. Ich sage Ihnen nur ganz ehrlich: ich habe es anders im Ohr. Man kann sich ja täuschen. Ich habe das anders im Ohr gehabt, und wenn Herr Thomas es nicht auch anders im Ohr gehabt hätte, hätte er nicht von sich aus diese Notiz geschickt.
    Doch nun zurück zu einem anderen Punkt Ihrer Rede. Sie haben versucht, das Suchen des freiheitlichen Sozialismus nach seinem Standort zu umschreiben. Verehrter Herr zu Guttenberg, lassen Sie sich einmal gesagt sein: Die westliche Gemeinschaft sogar in der Form, in der sie sich ganz konkret in der Militärallianz der NATO niedergeschlagen hat — ist zu einem großen Teil von freiheitlichen Sozialisten geschaffen worden.

    (Abg. Freiherr zu Guttenberg: Einverstanden, aber nicht von den deutschen!)

    Da können Sie sich heute doch nicht hinstellen und sagen: es gibt also sozusagen einen inneren Gegensatz; wer ein Sozialist ist, der suche also den dritten Weg.

    (Abg. Freiherr zu Guttenberg: Habe ich auch nicht gesagt!)

    — Entschuldigen Sie, eis gibt einen andern, der immer versucht, der Sozialdemokratischen Partei den ,, dritten” Weg anzuhängen, um dann seine Kritik daran aufbaumeln zu können. Das ist ausgerechnet der Herr Ulbricht. Nein, für uns Sozialdemokraten gibt es keinen dritten Weg zwischen Freiheit und Kommunismus, für uns gibt es die Aufgabe — und da halten wir es mit dem viel berufenen Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU —, innerhalb der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft jene Gesinnung und jene Formen zu überwinden, die einst in den pästlichen Enzykliken als Kapitalismus gebrandmarkt worden sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie können doch jetzt nicht plötzlich sagen, ,daß das Bekenntnis zur Bundesrepublik, zur Freiheit und zur NATO automatisch das Bekenntnis zu dem sein müsse, was uns, nach Inhalt und Bedeutung völlig ungeklärt, von Ihnen als Kapitalismus angepriesen wird. Das ist zuviel verlangt.
    Wenn die westliche Welt den Wandel der Zeit im 20. Jahrhundert und sogar in den hochentwickelten Industriegesellschaften der Vereinigten Staaten nicht begriffe und nicht einsähe, wie wenig vom Kapitalismus des 19. Jahrhunderts übrig ist, wenn sie mit der Formel vom Kapitalismus als dem erstrebenswerten und zu verteidigenden Gut die Freiheit schützen wollte, dann wäre der Kampf in den Entwicklungsländern für die Sache der Freiheit verloren. Lassen Sie sich das bitte sagen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Im Zusammenhang mit der Standortbestimmung der Sozialisten sind hier über dieselben japanischen Sozialdemokraten harte Worte gefallen, über deren besonders freundlichen Empfang im Unterschied zur Bundesrepublik der Bundeskanzler hier einen rührenden Bericht nach seiner Japanreise gegeben hatte.

    (Lachen bei der SPD.)

    Gleichzeitig wurde es beklagt, daß wir uns nicht von jenen Aktionen distanziert hätten, die in Japan vorgekommen seien. Nun, ich habe vor mir die Frankfurter Rundschau vom 18. Juni. Dort ist Herbert Wehner frisch nach den japanischen Ereignissen befragt worden, auch mit dem Blick auf die deutsche Parallele. Darauf hat der Kollege Wehner ganz hart und unmißverständlich gesagt, zur Verteidigung der Demokratie gegen Faschisten unid Kommunisten würden wir sofort auf die Straße gehen, aber wir könnten es uns nicht leisten, den demokratischen Staat aus anderen Gründen einer solchen Belastungsprobe auszusetzen. Deshalb sei die SPD immer eine loyale, d. h. eine ,demokratische Opposition gewesen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Freiherr zu Guttenberg: Das habe ich auch gesagt!)

    — Bitte, wenn Sie das hier in der Zeitung lesen, dann ist das doch wohl genau das, worum Sie sich bemüht hatten, nämlich eine Würdigung dessen, daß wir es anders halten mit unseren Verhältnissen hier, also ein Absetzen, eine Distanzierung von dem Gehen auf die Straße in einem anderen Land, und zwar in Formen, wie sie nun einmal unter unabhängigen Parteien möglich sind, und mit erheblich weniger Rücksicht, als sie die Bundesregierung an den Tag legt, wenn sie sich z. B. mit der Rassenpolitik der Südafrikanischen Union beschäftigt.
    Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß. Ich meine, wenn auch dem Herrn Verteidigungsminister wenig an Prinzipien liegt, so ist es doch für unser Volk und für die Welt draußen wichtig, zu wissen, welch Feld denn eigentlich heute schon gedeckt ist und worüber man noch im einzelnen und genauer reden muß. Deshalb möchte ich das gedeckte Feld im Lichte der heutigen Debatte und mancher Erklärungen der letzten Wochen noch einmal in meiner Sprache abzustecken versuchen:
    1. Das deutsche Volk ist Teil der demokratischen Völkerfamilie. Es setzt sich gegen jeden Versuch zur Wehr, das kommunistische Regime auf den freien Teil Deutschlands auszudehnen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Erler
    2. Deshalb keine einseitige Schwächung des Westens. Vielleicht haben Sie damit Ihr „Womit?" beantwortet bekommen.
    3. Loyale Erfüllung der von der Bundesrepublik abgeschlossenen Verträge einschließlich des Vertrages über die NATO und die Westeuropäische Union

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Wehrpflicht!)

    nach Text und Sinn und Stärkung der westlichen Solidarität.
    4. Beachten der Gefahren, die der westlichen Solidarität durch eine Aufspaltung des freien Europa drohen, infolgedessen Einsatz der deutschen Politik zur Abwehr dieser Gefahren.
    5. Sicherung der Freiheit Berlins und der Verbundenheit der Bundesrepublik mit dem Land Berlin.
    6. Endgültige Lösung der Berliner Frage erst dadurch, daß Berlin die Hauptstadt des in gesicherter Freiheit wiedervereinigten Deutschland wird; ein Deutschland, das genauso das Selbstbestimmungsrecht für das ganze deutsche Volk beansprucht, wie wir es allen anderen Völkern in der Welt als selbstverständliches Grundrecht zugestehen.
    7. Deshalb heute — denn das Recht kommt nicht von selbst — dafür sorgen, daß die deutsche Frage nicht von der internationalen Tagesordnung abgesetzt wird, wodurch stillschweigend der Status quo mit der Fortdauer der Spaltung Deutschlands hingenommen würde.
    8. Zu diesem Zweck ein besseres Klima für die Behandlung der deutschen Frage schaffen; dazu gehören vor allem Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung.
    9. Die allgemeine kontrollierte Abrüstung ist das einzige dauerhafte Mittel, der Menschheit die Sorge vor dem Grauen eines Atomwaffenkrieges zu nehmen.
    10. Die Bundesrepublik unterstützt aus allgemeiner Überzeugung und im besonderen Interesse des deutschen Volkes die Bemühungen um eine von den Großmächten zustande zu bringende Vereinbarung über Maßnahmen zur kontrollierten Begrenzung der Rüstungen.
    Das sind die zehn Punkte, von denen ich nach der heutigen Debatte mit gutem Gewissen sagen kann, daß sie von beiden Seiten getragen werden. Deswegen gab es hier an keiner Stelle Erregung; denn niemand fand darin einen Punkt, dem er nicht zustimmen konnte. Über viele Einzelheiten, die sich aus der Anwendung dieser Prinzipien ergeben, sind sicher heute noch Meinungsverschiedenheiten vorhanden und morgen noch denkbar. Aber die Grundlage sollte unbestritten sein.
    Uns ist der Text einer Entschließung vorgelegt worden, wonach die heute vorgetragene Regierungserklärung zur Außenpolitik vom Bundestag gebilligt wird. Die Regierungserklärung enthielt nicht nur Gegenstände, über die wir lange und oft diskutiert haben; sie enthielt auch Fragen, die neu in diese Debatte hineingekommen sind, z. B. die sehr wesentliche Frage, wie es eigentlich mit dem Grundgesetz, dem Provisorium und der Wiedervereinigung Deutschlands bestellt ist, Positionen, die man sich sehr genau ansehen muß, um unserer künftigen Politik nicht ohne Not Schwierigkeiten in den Weg zu legen.
    Wir meinen daher, daß die Erklärung der Regierung einer eingehenden Beratung im Auswärtigen Ausschuß bedarf, und beantragen Überweisung der Entschließung an den Auswärtigen Ausschuß.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard Jaeger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Erler, wenn er nachher seine gedruckte Rede lesen wird, noch der Überzeugung sein wird, daß sie ein besonders überzeugender Auftakt für eine gemeinsame Außenpolitik gewesen ist; denn nach der so gut vorbereiteten und abgewogenen Rede, die Herr Wehner heute früh hier gehalten hat, erlebten wir nun einen Rückfall in die außenpolitische Polemik, die allerdings bisher in diesem Hause üblich war. Sie unterschied sich sehr kraß von den ruhigen Ausführungen, die mein Freund zu Guttenberg heute nachmittag hier gemacht hat.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

    Die Erregung, die Herrn Kollegen Erler so sichtlich an verschiedenen Stellen bewegt hat, ist demjenigen, der die Situation der deutschen Sozialdemokratie mit wachsamen Augen betrachtet — ich gebe zu: das ist von außen manchmal leichter als von innen —, nicht unverständlich; denn er befindet sich in einem Konflikt zwischen den Wählern, die er haben möchte, und den Funktionären, die er hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Wähler kann man — das haben die letzten beiden Bundestagswahlen bewiesen — nur durch eine Revision der sozialdemokratischen Außenpolitik gewinnen, wenn man es überhaupt kann; die Funktionäre aber kann man nur bei der Stange halten, indem man die alten Redensarten radikaler Prägung wiederholt, in denen man sie nun elf Jahre hat aufwachsen lassen.
    Über das Ergebnis von Paris ist vieles gesagt worden. Unter anderem scheint mir besonders bemerkenswert, daß die Schocktherapie des Herrn Chruschtschow jedenfalls neben der Wirkung einer noch stärkeren Einheit der westlichen Welt die stärksten Wirkungen im Westen überhaupt eben bei den deutschen Sozialdemokraten erzielt hat. Dafür können wir eigentlich alle dankbar sein: wir, weil die Sozialdemokraten wenigstens einmal anfangen, über ihre bisherige Außenpolitik zu diskutieren, und die Sozialdemokraten, weil sie ja nun von einem Irrweg abgeführt worden sind und immer noch die Chance besteht, daß sie vielleicht noch — auf die Dauer — auf den richtigen Weg der



    Dr. Jaeger
    Außenpolitik kommen, auch wenn uns der heutige Tag das leider noch nicht als in naher Zeit sichtbar vor Augen geführt hat.
    Aber etwas Weiteres ist doch deutlich gezeigt worden! Die Pariser Konferenz ist ja nicht an der deutschen Frage gescheitert, sondern an einer ganz anderen Frage, die unmittelbar zwischen den zwei größten Mächten dieser Erde schwebte. Daraus folgt doch die Erkenntnis, daß die deutsche Frage im allgemeinen und die Berliner Frage im besonderen nur ein Teil der allgemeinen Weltprobleme sind, mehr noch eine Folge des Gegensatzes, der in der Welt besteht, also eine Folge des russischen Aggressionswillens, als eine Ursache dieses Gegensatzes. Wenn man sich das vor Augen führt, muß man mit allem Bedauern auch feststellen, daß es leider nicht möglich ist, in kurzer, absehbarer Zeit durch eigene Initiative die deutsche Frage zu lösen, sondern daß dies eben nur auf lange Sicht und im festen Bündnis mit denen, die zu uns halten und die allein und insgesamt stärker sind als wir, erreicht werden kann.
    Es scheint mir unter diesen Umständen auch reichlich naiv, wenn Herr Kollege Erler hier die Frage stellt, wie die Bundesregierung die Abrüstungsgespräche, die in Genf gescheitert sind, wieder in Gang setzen zu können glaubt. Die Bundesregierung war bei dem Scheitern dieser Gespräche gar nicht beteiligt. Sie ist damit auch gar nicht in der Lage, diese Gespräche wieder in Gang zu setzen. Es bedeutet doch eine Überschätzung der deutschen Rolle, daß wir, die wir nicht einmal in der Lage sind, die eigene Frage aus eigener Kraft zu lösen, nun auch noch die Weltfragen aus unserer Kraft lösen sollen. Diese Überschätzung der deutschen Position steht genau im Gegensatz zu der Unterschätzung, die der Wert dieser Bundesrepublik auf der Seite der Sozialdemokratie immer wieder moralisch erleidet, wenn man das leidige Wort vom Provisorium spricht. Der Grundgesetzgeber von Bonn hat sich die Dinge leichter vorgestellt und hat sich die Lösung der deutschen Frage rascher vorgestellt, als sie uns heute erscheint.
    Auch Herr Wehner hat dieser Entwicklung Rechnung getragen und sich über den Zeitablauf zur Lösung der deutschen Frage heute früh nicht weniger skeptisch geäußert wie manche andere in diesem hause. Der Herr Bundespräsident Dr. Heuß — selbst ein Mann, der nie unserer Partei angehört hat; im übrigen ein Mann, der über die Parteien hinausgewachsen ist — hat das Wort „Provisorium" zu den Akten gelegt. Ein Staat, der seine jungen Bürger aufrufen muß, ihn zu verteidigen, kann sich nicht selber als provisorisch verstehen, sondern kann nur davon sprechen, daß seine östlichen Grenzen provisorisch sind, und daß selbstverständlich das gesamte deutsche Volk nach der Wiedervereinigung das Recht hat, wie es im Grundgesetz steht, sich auf Grund einer frei gewählten Nationalversammlung eine neue Verfassung zu geben, die aber in geistiger und politischer Hinsicht auf der Grundlage des Grundgesetzes beruhen wird.
    Wir wollen uns doch ganz klar darüber sein, daß das, was die Idee des deutschen Vaterlandes ist,
    einzig und allein in Freiheit verwirklicht werden 1 kann. Gewiß ist das deutsche Vaterland in Gänze erst wiederhergestellt, wenn wir einmal die Frage der Wiedervereinigung gelöst haben und wenn auch die Frage unserer östlichen Grenzen gelöst ist. Aber heute ist doch diese Bundesrepublik die einzig mögliche Realisierung der deutschen Vaterlandsidee in der Gegenwart, weil es nur in Freiheit möglich ist, den deutschen Gedanken zu verwirklichen. Daraus entspringt unser Recht, für das ganze Deutschland zu sprechen, und unsere Pflicht, unsere jungen Männer zu den Waffen zu rufen. Ich bitte doch, diesem Gedanken Rechnung zu tragen und den Staat, den wir alle aufgebaut haben — auch die Opposition rühmt sich, dazu einen Beitrag geleistet zu haben; zumindest in Ländern und Gemeinden —, nicht ständig abzuwerten und selber in Frage zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn wenn wir die Bundesrepublik in Frage stellen, spielen wir nur das Spiel des Ostens.
    Nun ist das Wort von der Bestandsaufnahme immer wieder, schon in den vorigen Tagen in der Presse und heute in diesem Hause, ausgesprochen worden; „eine redliche Bestandsaufnahme", hat Herr Wehner gesagt und geschrieben. Ich kann mir denken, daß für die Opposition diese redliche Bestandsaufnahme in besonderer Weise nützlich ist, weil sie bisher dieser Bilanz der deutschen Außenpolitik noch nicht in gebührender Weise Rechnung getragen hat. Denn wenn ich es in kurzen Schlagworten sagen will, dann schaut doch eine redliche Bilanz der Politik, die wir in diesem Hause und durch unsere Regierung betrieben haben, in den vergangenen elf Jahren so aus: damals Demontage, heute blühende Wirtschaft; damals besetztes Land, heute souveränes Land; damals Besatzungsmächte im Lande, heute Verbündete, die uns schützen; damals in der Welt verachtet, heute in freundschaftlichen Beziehungen zu allen freien Ländern der Erde; damals das Saargebiet getrennt und heute ein Bestandteil der Bundesrepublik. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine redliche Bestandsaufnahme, und das ist ein Erfolg unserer Politik. Ich glaube, eine Politik, die solche Erfolge hat, die hat auch den notwendigen Grad von Wendigkeit, den Herr Erler vorhin vermißt hat.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Dabei glaube ich allerdings, daß Herr Erler einem Irrtum unterlegen ist. Gewiß braucht es taktische Wendigkeit in der Politik, aber gerade in der Außenpolitik braucht es eine grundsätzliche Stetigkeit und Festigkeit. Und ein Volk, das das Vertrauen der übrigen Welt soweit aufs Spiel gesetzt und verloren hat wie Deutschland in jenen zwölf dunklen Jahren der Vergangenheit, kann nur durch Stetigkeit der Außenpolitik das Vertrauen erwerben, das es braucht, um leben zu können.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Im übrigen ist die Stetigkeit der Außenpolitik Konrad Adenauers, der Bundesregierung und der Union ja nur die Antwort auf die Stetigkeit der Politik des Sowjetblocks, die in der Taktik wendig,



    Dr. Jaeger
    aber im übrigen ganz stetig den eisernen Griff um den mittleren Teil Deutschlands nicht gelockert hat.
    Wir sind der Überzeugung, daß das Ergebnis von Paris uns in Deutschland zwingt, unsere bisherige Außenpolitik, eine Außenpolitik, die skeptisch ist gegenüber dem Osten und die das Vertrauen des Westens gewonnen hat, mit aller Konsequenz fortzusetzen. Ich will nicht Gegensätze aufreißen; ich habe gar nicht die Absicht, die Dinge hier zu verschärfen. Ich möchte wieder zu etwas gemäßigterer Tonart zurückkehren. Aber ich meine, wenn wir nun von der Bestandsaufnahme der deutschen Außenpolitik und ihrer Erfolge zu einer Bestandsaufnahme der Weltlage oder der Gefahren, die uns bedrohen, übergehen, so kann ich doch diese Bestandsaufnahme nicht machen, ohne als Ausgangspunkt die Tatsache zu nehmen, daß uns aus dem Osten eine Gefahr droht, die daraus entstanden ist, daß sich die Idee des Panslawismus mit der Idee der bolschewistischen Weltrevolution vereinigt hat.
    Ich habe immer das Gefühl, daß der wirkliche Gegensatz in der Außenpolitik zwischen der Union und der Sozialdemokratie nicht einmal darin besteht, wie wir diese Bundesrepublik bewerten, nicht einmal darin besteht, ob NATO oder nicht, sondern daß der wirkliche Grund der Verschiedenheit darin besteht, daß die deutsche Sozialdemokratie die Gefahr aus dem Osten zwar theoretisch bekämpft, aber in der praktischen Politik aus dieser Gefahr nicht die notwendigen Konsequenzen zieht, wahrscheinlich weil ihr die Größe dieser Gefahr gar nicht aufgegangen ist.
    Ich habe zwei höchst bedenkliche Äußerungen jüngster Zeit — nach der Verkündung der gemeinsamen Außenpolitik vernommen. Herr Kollege Merten hat im Deutschen Bundestag am 23. Juni auf eine Rede geantwortet, in der ich gesagt habe, daß ich den Eindruck hätte, die deutschen Sozialdemokraten fürchteten die Bundesregierung mehr als die Rote Armee. Dazu kann man vieles sagen. Sein Zwischenruf, den ich erst nachträglich im Protokoll gelesen habe, hieß: Wir — d. h. also wohl die Sozialdemokraten —, wir haben vor der Roten Armee überhaupt keine Angst. Meine Damen und Herren, da Herr Merten im Verteidigungsausschuß ist, sogar stellvertretender Vorsitzender, und über die Perfektion der Roten Armee im Bilde ist, sie also sicherlich in militärischer Hinsicht nicht verkleinern will, heißt das doch, daß er gar keine Angst hat, im Osten sei ein verbrecherischer Wille, der uns Freiheit und Frieden rauben könnte. Das scheint mir hökst gefährlich, und ich meine, jede gemeinsame Außenpolitik und jede Bestandsaufnahme muß bei der Gefahr anfangen, die aus ,dem Osten droht.
    Aber auch Herr Kollege Erler hat einen Satz gesprochen — am 2. Juni war es —, ich habe ihn auch selber im Parlament der Westeuropäischen Union gehört; er hat dort gesagt:
    Der rote Stern auf dem Kreml — den er selber gesehen habe —,
    erklärt immer noch einiges von der Politik der Sowjets.
    Was klingt in diesem „noch" auf? Da klingt doch der Gedanke auf: eigentlich ist das enttäuschend; eigentlich haben wir gemeint, das hat mit dem Bolschewismus gar nicht mehr viel zu tun. Aus den sozialdemokratischen Reden vor der Pariser Konferenz hätte ich allerdings den Eindruck gewinnen können, daß der Herr Chruschtschow sich zu einem pausbäckigen Friedensengel entwickeln würde.
    Nein, meine Damen und Herren, 43 Jahre der sowjetischen Politik sollten jeden von uns erkennen lassen, daß dieses System, mag es sich äußerlich wandeln, mag es in der Taktik wechseln, in seinem Wesen genauso dämonisch und diabolisch ist, wie es in seiner ersten Stunde gewesen war. Es hängt vielleicht, wenn diese Gefahren in der Mitte dieses Hauses und hoffentlich auch auf der Rechten klarer gesehen werden als auf der Linken, etwas mit der weltanschaulichen Struktur unseres Parteiwesens zusammen. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß ich Ihre Ahnenleiter und die der Bolschewisten in Karl Marx vereinige, obwohl das ja historisch nicht ganz zu bestreiten ist. Ich will auch auf den Streit, wer von den beiden Nachfahren recht hat, nicht eingehen. Ich meine etwas ganz anderes und viel weiteres, was auch auf diejenigen von Ihnen zutrifft, die nicht mehr auf Karl Marx eingeschworen sind: In der deutschen Sozialdemokratie sitzen heute noch die geistigen Nachfahren von Rousseau, der den Gedanken der kontinentalen Demokratie auf der naiven Meinung aufgebaut hat, der Mensch sei schlechthin und einfach gut.
    Wir sind in einer Partei, die den christlichen Namen nicht als Anspruch, sondern als Verpflichtung führt, auf Grund der christlichen Welterkenntnis von der Macht des Bösen mehr überzeugt, als es manche anderen sind, und wir meinen, daß sich diese Macht des Bösen in der Weltgeschichte vielleicht noch nie so drastisch enthüllt hat, wie in den 43 Jahren sowjetrussischer Politik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nur weil man auf der Seite der deutschen Sozialdemokraten diese dämonische Seite des Bolschewismus nicht erkennt, weil man glaubt, das seien ja auch im Grunde gute Menschen, die sich immer noch zum Besseren entwickeln könnten, ist man so weit gekommen, daß man Ungarn vergessen hat und plötzlich aufgewacht ist, als in Paris der Hammerschlag erfolgte.
    Außenpolitik muß aus einer bleibenden Erkenntnis kommen und als kontinuierliches Handeln vor sich gehen. Eine gemeinsame Außenpolitik muß kontinuierlich vom Gestern zum Morgen gehen, muß also stetig und kann nicht sprunghaft sein. Deshalb darf sich der Rhythmus der deutschen Außenpolitik und der Rhythmus unserer Verteidigungsanstrengungen nicht am Auf und Ab der Politik Chruschtschows messen, sondern muß fest und gerade sein, ganz gleich, ob er die Kriegsfanfare oder scheinbar die Friedensschalmei bläst. Wir haben die gemeinsame Außenpolitik immer gefordert. Sie ist keineswegs eine neue Forderung in diesem Hause und keineswegs ein Patent der Sozialdemokraten. Ich darf den Herrn Bundeskanz-



    Dr. Jaeger
    ler zitieren, der noch am 10. Februar 1960 vor diesem Hause gesagt hat, in Lebensfragen des deutschen Volkes, zumal in der Außenpolitik, solle man, wenn irgend möglich und soweit irgend möglich, zusammengehen. Ich darf den Herrn Kollegen Kiesinger, den jetzigen Ministerpräsidenten in Stuttgart, zitieren, der einen sehr bemerkenswerten Satz gesagt und darauf einen noch bemerkenswerteren Zwischenruf bekommen hat. Er hat am 31. Januar 1957 in diesem Hause wörtlich erklärt — ich bitte den Herrn Präsidenten, einige kurze Zitate bringen zu dürfen —:
    Wir wären froh, wenn es eine solche gemeinsame deutsche Außenpolitik gäbe. Immer, wenn wir daran appelliert haben, ist uns entgegengehalten worden, wir würden nach einer gemeinsamen deutschen Außenpolitik nur dann rufen, wenn wir uns in einer schwachen Position fühlen.
    Der sozialdemokratische Kollege Bauer (Würzburg) hat darauf den Zwischenruf gemacht: „Genau das ist richtig!"
    Nun wollen wir nicht zurückfragen, wer jetzt in einer schwachen Position ist. Aber daß w i r uns nach Paris nicht in einer schwachen Position befinden, hat die Welt inzwischen gemerkt. Wir halten trotzdem weiter an dieser gemeinsamen Außenpolitik als einer begrüßenswerten Sache fest. Aber ich darf daran erinnern, daß Herr Kollege Erler am 23. Januar 1958 hier gesagt hat: „Es ist doch immer wieder in diesem Hause ein schönes Gespenst beschworen worden: eine gemeinsame Außenpolitik". Das schöne Gespenst vom Jahre 1958 ist inzwischen bei den Sozialdemokraten offenbar zu Fleisch und Blut gekommen, oder es sollte wenigsten dazu kommen.
    Aber das ist noch gar nicht das Entscheidende. Das letzte Zitat, das ich Ihnen jetzt bringen werde, stammt aus der Bundestagssitzung vom 25. März 1958. Hier hat Herr 'Kiesinger gesagt:
    Es ist in diesem Haus der Appell an eine gemeinsame Außenpolitik erklungen.
    Daraufhin hat der Kollege Wehner den Zwischenruf gemacht: „Gibt es nicht!" Daraufhin fuhr Herr Kiesinger fort: „Die gibt es nicht, sagen Sie, Herr Wehner?" Daraufhin rief der Kollege Schoettle: „Nein, das sagen wir alle!" Und dann folgten weitere Zurufe links: „Sagen wir alle!" Und Herr Kiesinger stellte darauf fest — ganz resignierend —: „Das sagen Sie alle."
    Meine Damen und Herren, damals hat der Hauptredner der Sozialdemokraten die gemeinsame Außenpolitik abgelehnt, 'die er heute mit Begeisterung und Überzeugung bejaht. Das ist allerdings ein beachtliches Zeichen für Wendigkeit. Nehmen Sie es uns nicht übel, daß wir zwar bereit sind, Ihnen das zu glauben, daß wir es Ihnen aber erst dann abnehmen, wenn Sie den neuen Worten die Taten haben folgen lassen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    die Taten bei verschiedenen Gesetzen, Haushalten usw.
    Meine Damen und Herren von .der SPD, ich will es Ihnen wirklich nicht besonders schwer machen, den Weg zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu finden. Aber wir können Ihnen die Sache, die so ernst ist, auch nicht leichter machen, als sie wirklich ist. Und ,sie ist ungeheuer schwer. Sehen Sie, gemeinsame Außenpolitik ist keine Sache einer politischen Romantik. Es geht auch nicht allein um ferne Ziele, in denen wir alle einig sind. Wer in diesem Hause will nicht die Selbstbestimmung der Deutschen, wer will nicht die Wiedervereinigung, wer will nicht die Einheit der westlichen Welt? Es geht darum, daß wir, wie es schon in der Regierungserklärung gesagt wurde, auch in den Methoden miteinander einig sind, jedenfalls in den Methoden, die 'die Grundlinie unserer Politik und ihre Verwirklichung betreffen.
    Also: gemeinsame Außenpolitik ist keine sentimentale Manifestation, bei ,der man alles Strittige wegläßt; und bisher war ja das Strittige das meiste in der Außenpolitik in Deutschland! Schein allein wäre schädlich. Ich glaube, scheinbare Einigkeit ohne Entschlossenheit der Gesinnung und Festigkeit des Handelns wäre viel gefährlicher als eine Festigkeit der Führung, die nur eine Mehrheit hinter sich hat.
    Nein, meine Damen und Herren, wir müssen uns hier davor hüten, auch in das quantitative Mißverständnis der Wahrheit einzutreten, das der bekannte sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Wels einmal in die Worte ,gekleidet hat:
    Lieber mit der Mehrheit irren, als gegen die Mehrheit recht behalten.
    Ich habe, glaube ich, schon einmal gesagt: In der Weimarer Republik hat die Sozialdemokratie mit der Mehrheit geirrt, in der Bonner Republik irrt sie mit der Minderheit. Jedenfalls können wir das eine sagen: Damals handelte es sich um innenpolitische Irrtümer. Der Irrtum heute wäre viel schwerwiegender und endgültig.
    Herr Wehner hat in seiner Rede gesagt, die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union wecke oder nähre im Ausland Zweifel an der Vertragstreue der SPD, oder zumindest, sie sollte dies nicht tun. Nun, er hat selbst den Herrn Innenminister zitiert, der in Argentinien in einer ausgesprochen loyalen Weise über die Opposition gesprochen hat. Also wir wecken und nähren diese Ressentiments nicht. Aber, meine Damen und Herren, wer hat denn im Ausland das Ressentiment, den Zweifel an der Vertragstreue der deutschen Sozialdemokratie geweckt und genährt? Das war doch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion durch ihre Abstimmungen in diesem Hause!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man sagt in der Sozialdemokratie ein theoretisches Ja zur atlantischen Verteidigungsgemeinschaft. Ich will jetzt gar nicht auf weiß Gott wie schwerwiegende politische Probleme, sondern nur auf ein sehr sichtbares Problem eingehen. Alle Jahre treffen sich die Parlamentarier der NATO-Staaten zu einer gemeinsamen Konferenz. Alle



    Dr. Jaeger
    demokratischen Parteien aller 15 Mitgliedstaaten, auch alle sozialdemokratischen Parteien, sind anwesend. Die einzige sozialdemokratische Partei, die nicht anwesend ist, ist die deutsche Sozialdemokratie.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Wie sollen die Parlamentarier der anderen 14 Vertragsstaaten an die Überzeugung unserer Sozialdemokraten von der Richtigkeit des NATO-Gedankens, an ihre Vertragstreue nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geist nach glauben, wenn ihre Partei zu diesen gemeinsamen Beratungen als einzige demokratische Partei der westlichen Welt nicht erscheint? Wenn Sie schon theoretisch ja sagen zur NATO, dann bringen Sie wenigstens einmal in dieser Sache, die Sie ja sonst zu gar nichts verpflichtet, weil Sie in der Konferenz stimmen können, wie Sie wollen — genauso wie in anderen europäischen Gremien —, und keineswegs auf die Linie der Regierung oder der CDU festgelegt sind. übrigens auch nicht auf die Linie Ihrer sozialdemokratischen Gesinnungsfreunde im Ausland. die notwendige Konsequenz aus Ihrer theoretischen Erkenntnis auf.
    Meine Damen und Herren. die Sozialdemokratie hat ein Ja zur Landesverteidigung gesprochen, wiederum ein theoretisches Ja. Sie hat nicht nur seinerzeit neuen die Wehrpflicht gestimmt, sie hat auch wieder gegen die neue Novelle gestimmt trotz aller Fortschritte, die sie gebracht hat. Herr Erler hat damals gesagt. man brauche nicht in allen Einzelheiten mit der Regierung einig zu sein. Ich gebe das zu. Aber die Wehrpflicht ist nicht eine Einzelheit. sondern — ich kann mich kurz fassen: das hat der Herr Minister heute schon ausführlich genug gesagt — sie ist der tragende Pfeiler unserer Verteidigung. und sie ist damit ein tragender Pfeiler unserer Außenpolitik.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Es gibt keine gemeinsame Außenpolitik in dieser Zeit ohne ein gemeinsames Bejahen der Wehrpflicht. Es ist das gleiche mit den Kernwaffen. es ist das gleiche mit der gefährlichen Idee des Disengagement. Ich will nicht wiederholen. was heute schon gesagt wurde. Es ist das gleiche mit der Frage des Notstandes. Man muß eben den demokratischen Staat in die Lage versetzen, in Ausnahmezeiten jene Konzentration der Macht vorzunehmen, die in totalitären Staaten immer üblich ist und die allein notwendig ist, wenn man sich gegenüber der totalitären Macht im Ernstfall behaupten will. Es ist aber tragisch, daß die deutsche Sozialdemokratie bis zur Stunde die Bundeswehr daran hindert. den demokratischen Staat zu retten, zu dessen Rettung sie geschaffen ist.
    Meine Damen und Herren, wer das Ziel der Freiheit will, muß auch die notwendigen Mittel wollen, die ich hier aufgeführt habe. Freiheit ist nur durch Opfer zu verwirklichen. Ich glaube den Sozialdemokraten, daß sie sich zur Freiheit bekennen. Aber ich möchte, daß aus der Theorie der Freiheit endlich die Praxis der Opferbereitschaft wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nur wenn die deutschen Sozialdemokraten diese Praxis der Opferbereitschaft bei der Bewilligung der Haushaltsmittel für die Verteidigung, bei der allgemeinen Wehrpflicht zeigen, nur dann werden sie im Ausland glaubwürdig sein.
    Es wird behauptet, wir von der CDU/CSU seien gegen eine gemeinsame Außenpolitik aus innenpolitischen Gründen, wir wollten uns den Wahlschlager der Außenpolitik nicht entgehen lassen. Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich nur einmal einige Jahre zurückzuerinnern. Wer hat denn in Deutschland die Außenpolitik zum Wahlschlager gemacht?

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das waren doch nicht wir! Wir hatten 1953, als die Sozialdemokraten den Kampf gegen EVG und Wehrpflicht führten, wir hatten 1957, als die Sozialdemokraten den Kampf gegen NATO und Wehrpflicht und dann auch noch gegen die Kernwaffen führten, monatelang Sorge, wir würden die Wahl wegen der Außenpolitik verlieren. Wir haben doch gar nicht damit gerechnet, daß wir sie wegen der Außenpolitik gewinnen. Wir hatten gemeint, wir gewinnen sie wegen unserer guten Innenpolitik. Wir haben sie nachher wegen der Reife unseres Volkes, doch nicht zuletzt auch wegen der Außenpolitik gewonnen.
    Die Sozialdemokraten, die die Außenpolitik zum Wahlschlager gemacht haben, ja, sogar ein Volksbegehren, einen Volksentscheid in dieser Sache veranstalten wollten, haben es allein in der Hand, die Außenpolitik aus dem Wahlkampf herauszunehmen. Das geht nämlich ganz einfach. Wenn die deutschen Sozialdemokraten in den nächsten zwölf Monaten das Ja zu den Konsequenzen der deutschen Außenpolitik sprechen, dann ist die Außenpolitik selbstverständlich aus dem Wahlkampf heraus, weil es dann keinen außenpolitischen Gegensatz mehr zwischen uns gibt. Aber es scheint, daß sie diesen Weg nicht gehen wollen. Und solange sie diesen Weg nicht gehen, haben wir eben nicht die gemeinsame Außenpolitik. Nicht wir haben die Sozialdemokraten von der gemeinsamen Außenpolitik ausgeschlossen, sondern sie halten sich selbst seit ,elf Jahren von dieser Politik fern.
    Man kann hier nicht sagen, wir wollten ein kaudinisches Joch errichten. Gemeinsame Außenpolitik heißt in allen Staaten, wo es sie gibt, daß die Regierung die Außenpolitik macht und daß die beiden oder mehrere Parteien diese Außenpolitik eben im Grunde und auch in vielen Einzelmaßnahmen unterstützen, zweifellos auf Grund hinreichender Informationen. Aber es bleibt immer die Politik der Regierung. Wir errichten kein kaudinisches Joch — ich wiederhole es —, es gibt nur eine Zwangsläufigkeit, unter die die Geschichte alle Parteien dieses Hauses und damit auch die Sozialdemokratie gestellt hat.
    Herr Wehner hat gemeint, Berlin sei ein Prüfstein gemeinsamer Außenpolitik, und dort sei sie schon verwirklicht. Ich will ihm gar nicht widersprechen. Aber sie ist verwirklicht, weil die Berliner Sozialdemokraten die Außenpoltik der Bundesregierung übernommen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. Jaeger
    Wenn das ein kaudinisches Joch sein soll, so hat es die Berliner SPD längst durchschritten und damit sich selbst und der Stadt Berlin das wirkliche Joch der Sowjetherrschaft erspart.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Berlin-Frage, in der ja auch in diesem Hause Einigkeit besteht, sondern es geht auch darum, daß die Voraussetzungen unserer Berlinpolitik geschaffen werden oder, nachdem sie geschaffen sind, aufrecht erhalten bleiben, also das Bündnis der NATO, die Wehrpflicht, die Ausrüstung unserer Armee mit modernen Waffen und alles, was dazu gehört. Solange sich die Sozialdemokratie dazu nicht bekennt, wäre der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Brandt, als Bundeskanzler eine tragische Gestalt

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    — eine tragische Gestalt, gerade weil ich ihn für einen bedeutenden Mann halte; denn zur Tragik gehört eine gewisse Größe , weil er aufgerieben würde zwischen seiner und der Berliner Erkenntnis und der Haltung der Sozialdemokraten, wie sie jüngst erst in der Wehrpflichtnovelle zum Ausdruck gekommen ist.
    Nein, meine Damen und Herren, es ist schon so: Ehe wir hier die gemeinsame Außenpolitik formulieren können, müssen die Sozialdemokraten zuerst mit sich selbst ins Reine kommen. Wir sind gern bereit, mit Ihnen darüber weiterhin hier oder im Auswärtigen Ausschuß zu reden. Aber ich habe das Gefühl, es dauert lange, bis die deutsche Sozialdemokratie mit sich selbst ins Reine kommen wird. Deutschland kann so lange nicht warten. Deutschland braucht auch bis dahin wie bisher eine klare Außenpolitik.
    Um diese klare Außenpolitik zu ermöglichen, hat Ihnen die Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der Deutschen Partei, eine kurze und einfache Resolution vorgelegt. Sie will nichts anderes, als die sehr eingehenden und klaren Erklärungen des Herrn Bundesaußenministers vom Parlament aus zu unterstreichen und damit zu zeigen, daß wir entschlossen den alten Weg weitergehen. Ob dieser Weg ein Weg der gemeinsamen Außenpolitik ist, das liegt nicht an der Regierung und nicht an den Koalitionsparteien, das liegt allein an der Abstimmung der sozialdemokratischen Opposition.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)