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ID0312202700

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    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner war heute so freundlich, mich sozusagen als Kronreferenz für wesentliche Elemente der sozialdemokratischen Politik zu zitieren, ich weiß nicht, ob der alten oder der neuen oder der gleichgebliebenen. Ich darf deshalb um Nachsicht und Ver-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    ständnis dafür bitten, daß ich zu den Fragen und den Problemen, zu denen ich zitiert worden bin, aus der Stellung eines Ersatzreservisten II, würde ich sagen, bei dieser Debatte heraustreten und einige Bemerkungen machen muß.
    Es ist richtig, Herr Kollege Wehner, daß ich von dem Wert und der Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik gesprochen habe. Es ist selbstverständlich, daß ich bei dieser Feststellung bleibe. Denn eine gemeinsame Außenpolitik ist ohne jeden Zweifel ein hohes politisches Ziel, ein wertvolles politisches Gut und ist ohne jeden Zweifel eine erstrebenswerte Angelegenheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte die Gründe, die Sie mir heute morgen — ich darf sagen: richtig, wenn auch nicht erschöpfend — in den Mund gelegt haben, in kurzen Zügen kommentieren.
    Sicherlich ist es gut und wertvoll, wenn eine Regierung in der Vertretung der legitimen nationalen Interessen des eigenen Volkes sich darauf berufen kann, und zwar glaubhaft darauf berufen kann, daß sie bei der Verfolgung dieser Ziele und bei der Vertretung dieser Interessen das Gewicht aller demokratischen politischen Kräfte des Landes hinter sich habe. Das erhöht ohne jeden Zweifel das Gewicht einer Regierung, erhöht das Gewicht ihrer Repräsentanz.
    Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Ich sage das gerade deshalb, weil mir bei meiner Reise durch die Vereinigten Staaten vor drei Wochen immer wieder eine Frage gestellt worden ist, frei von allen theoretischen Floskeln, frei auch von einer reservatio mentalis. Diese Frage wurde immer wieder gestellt, in offiziellen Kreisen, in geschlossenen Besprechungen, in offener Aussprache. Es war die Frage: Werden die Sozialdemokraten, wenn sie nach den Bundestagswahlen in die Lage versetzt werden sollten, den Gang der deutschen Politik zu bestimmen, eure Politik fortsetzen, oder werden sie diese Politik ändern? Hier handelt es sich nicht nur um das Gewicht der bestehenden Regierung. Gerade in der ernsten Situation, in der wir uns befinden, handelt es sich darum, daß die Politik eines Landes, gleichgültig wie sich die Mehrheiten innerhalb des demokratischen Lagers der Parteien gestalten, als kontinuierlich, als stabil, als zuverlässig und als vertrauenerweckend gilt!

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich darf das einmal von unserem Standpunkt aus hinsichtlich der amerikanischen Außenpolitik beleuchten: Wie würden z. B. wir unsere Politik gegenüber den Amerikanern, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, festlegen, wenn wir wüßten, daß die Sicherheitsgarantie für Berlin zwar ein Bestandteil der Politik Eisenhowers ist, daß aber bei einem kommenden Präsidenten, mag er heißen, wie er will, diese Gewähr nicht besteht und diese Frage von neuem gestellt wird?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Genauso müssen Sie auch unsere Sorge sehen, nicht als einen Versuch, Sie mit Polemik zu überschütten
    oder Ihnen provozierende Fragen zu stellen. Genauso müssen Sie unsere Sorge verstehen. Nicht um recht zu haben, stellen wir Fragen; nicht um recht zu haben, dringen wir auf eine Klärung, auf eine Bestandsaufnahme, die ja heute schon weitgehend erfolgt ist. Ich nehme an und hoffe, daß sie noch weitergehen wird; denn nur dann können wir auf die Kontinuität der Hilfe unserer Verbündeten in guten und in schlechten Tagen rechnen, wenn sich unsere Verbündeten ihrerseits auf die Kontinuität der deutschen Politik in Fragen von gemeinsamem Lebensinteresse verlassen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist unsere Sorge. Sie werden mir doch hoffentlich nicht unterstellen, daß das polemische, provozierende oder bösartige Fragen seien. Das sind wirklich lebenswichtige Probleme der deutschen Politik.
    Es geht aber noch weiter. Gerade bei meiner letzten Reise durch die Vereinigten Staaten ist mir noch etwas noch deutlicher, ich darf sagen, schmerzlich deutlicher geworden als in der Vergangenheit: Es geht nicht nur um das Gewicht der bestehenden Regierung, es geht nicht nur um die Kontinuität auch über die nächsten Wahlen hinweg, es geht — ich bitte um Nachsicht, wenn ich jetzt einen lateinischen Ausdruck gebrauche — um die historia perennis eines Landes, um die geschichtliche Kontinuität! Insoweit darf ich ohne Übertreibung behaupten — das hat nicht allein, nicht vorzugsweise mit der Politik der SPD zu tun —, daß die Vorstellungen, die öffentliche Meinung unserer Bundesgenossen angesichts der deutschen Vergangenheit — ich meine nicht nur: der zwölf Jahre, sondern angesichts der ganzen geschichtlichen Entwicklung Deutschlands — mit dem Gefühl belastet ist, daß der soziale und politische Weg des deutschen Volkes nicht vorausbestimmt werden kann. Wenn wir in den Zustand kommen — und dazu können Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, einen wesentlichen, ich darf sogar sagen, einen entscheidenden Beitrag leisten —, daß nicht nur die bestehende Regierung ein erhöhtes Gewicht hat in der Vertretung nationaler Lebensinteressen, wenn nicht nur der deutschen Politik Stabilität und Kontinuität gegeben wird, sondern wenn dank der Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte auch der deutschen geschichtlichen Entwicklung eine echte Kontinuität gegeben wird, dann haben wir viel erreicht. Denn dann fällt weg, was man in der ausländischen politischen Literatur die soziale und geschichtliche Unbestimmbarkeit des deutschen Volkes nennt!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das einzusehen, fällt Ihnen sicherlich nicht leicht, weil diese Frage auch so sehr mit der Person und der Politik des heutigen Bundeskanzlers verbunden ist. Aber es geht hier nicht um einen Mann mit einem in der Weltpolitik im Laufe von zehn Jahren groß und bedeutsam gewordenen Namen, es geht darum, ob diese Politik, die das Vertrauen unserer Freunde und den Respekt auch derer, die nicht so gute Freunde sind, gewonnen hat, über alle künftigen Wahlentscheidungen hinweg gesichert und ge-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    wahrt bleibt. Das ist doch die entscheidende Frage, und darauf können nur Sie bei der Bestandsaufnahme die Antwort geben und nicht wir.
    Sie haben, Herr Kollege Wehner, von den Methoden gesprochen, die ich vorgeschlagen habe, und da haben Sie subjektiv die volle Wahrheit gesagt. Ich darf aber sagen, daß es Ihnen hier gegangen ist, wie es uns oft geht: daß man einer halben Berichterstattung zum Opfer fällt, die die Prämisse wegläßt und nur den zweiten Teil bringt. Ich darf hier sagen, wie ich es gesagt habe, auch wie ich es meine, Herr Kollege Wehner, auch heute noch meine; das ist auch jetzt noch gültig. Ich bin in der Weise gefragt worden: Ist denn nach der Vorgeschichte zwischen den beiden Parteien nicht eine öffentliche Auseinandersetzung ungeeignet, eine gemeinsame Außenpolitik herbeizuführen? Ich habe geantwortet: Natürlich ist eine offene Auseinandersetzung, die mit bestimmten Epitheta ornantia belastet ist, nicht der richtige Weg; aber es hat jetzt auch keinen Sinn, eine geheime Bestandsaufnahme mit der sozialdemokratischen Opposition in Camera caritatis oder in der Klausur zu machen; der erste Akt müßte vielmehr sein, daß die deutsche Sozialdemokratie diese Bestandsaufnahme bei sich selbst durchführt. Der Meinung bin ich auch heute noch.
    Sie haben soeben von Herrn von Guttenberg — nach dieser Rede kann man sich eine Menge Arbeit sparen —

    (Heiterkeit)

    ja eine Reihe von umfangreichen Äußerungen gehört, bei denen es sich nicht um einen Lapsus linguae handelte, der jedem Politiker unterlaufen kann und in der Zitierung dann dreimal so deutlich in Erscheinung tritt. Sie haben danach eine Reihe von politischen Äußerungen getan — und zwar waren es prominente, maßgebende, gewichtige Vertreter der Sozialdemokratie —, die einfach nicht auf einen Nenner gebracht werden können, die einfach nicht durchschaubar sind, die intellektuell gesehen nicht sauber sind. Ich bitte, das Wort nicht im moralischem Sinne zu verstehen. Sie sind einfach nicht sauber, so daß man nicht weiß, was Sie eigentlich damit sagen wollen. Wir meinen es wirklich so, und das war auch der Sinn meiner Worte, daß Sie eine Bestandsaufnahme bei sich selbst durchführen sollten, damit all das, was Wehner und Erler und Brandt und Ollenhauer und Carlo Schmid — ich möchte auch noch weniger Prominente hier im Hintergrund nennen, denn bei Ihnen trifft es ja leider manchmal zu, daß Ihre Propagandisten Formulierungen prägen, die entweder von den Politikern gedeckt werden müssen, was ihnen oft sehr schwerfällt, oder ignoriert werden müssen, weil sie nicht gedeckt werden können; Sie wissen ja, was ich damit meine — ausgeführt haben, auf einen Nenner gebracht werden kann. Sie sollten diese Bestandsaufnahme bei sich selbst durchführen und auch einmal ganz klar sagen, ob die Vorgänge der jüngsten Zeit für Sie eine Veranlassung sind, Ihre Politik in wesentlichen, in der Vorrede geschilderten Punkten zu modifizieren.
    Der Sinn meiner Ausführungen ist nicht, zu sagen: Sie müssen den Gang nach Canossa antreten, oder: die bedingungslose Kapitulation ist der einzige
    Weg. Man weiß ja, was für eine Partei in einem Wahljahr die Wahrung ihres Gesichts bedeutet. Aber es geht uns beiderseits nicht um die Wahrung des Gesichts, es geht um die Wahrheit und Klarheit in unserer Politik und darum, daß mit dem Wort auch die Realität verbunden wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich fuhr fort, Herr Kollege Wehner, wenn das erfolgt ist, wenn Sie die Bestandsaufnahme bei sich durchgeführt haben und wenn Sie festgelegt haben, wo die Vorgänge ,der jüngsten Zeit nach Ihrem Urteil eine Änderung Ihrer Politik erforderlich machen, hat es einen Sinn, im Außenpolitischen Ausschuß oder in einem ähnlichen Gremium über diese Frage zu sprechen. Denn — ich kann das auf eine sehr lapidare einfache Formel bringen — für uns ist ja die Pariser Konferenz und ihr Ergebnis eine traurige Bestätigung und nicht eine völlig unerwartete Überraschung gewesen. Wir müssen hier auch gewisse Zungenschläge verhindern. Ich meine z. B. die Frage, die Sie an ,den Bundeskanzler gestellt haben — das war ebenfalls während meiner Reise durch die Vereinigten Staaten von Amerika
    ob er sich über den Ausgang der Gipfelkonferenz gefreut habe. Sie wissen, ich meine das Interview von Sulzberger; daraufhin sind dann von Ihrer Seite bestimmte Fragen gestellt worden, ,die ich dann in der amerikanischen Presse gelesen habe. Man sollte auch hier intellektuell sauber definieren. Wir sind durch den Ausgang der Pariser Konferenz nicht überrascht worden. Wir hätten gern einen anderen Ausgang erlebt, einen echten Anfang der Entspannung, ein echtes Stück vorwärts auf dem Wege zur Abrüstung, ein echtes Stück vorwärts auf dem Wege zur Lösung der ,deutschen Frage, eine Revision unseres •Urteils über den Kommunismus, —nicht zur Selbsttäuschung, sondern um eine Änderung der kommunistischen Haltung der letzten 15 Jahre zu erkennen. Wir sind aber leider in unseren unangenehmen Befürchtungen und Erwartungen bestätigt worden. Wir haben uns nicht darüber gefreut. Für Sie scheint doch die Pariser Konferenz irgendwie ein Anlaß zu sein, Ihre bisherige Politik zu durchdenken. Sonst wären uns alle Vorgänge in ,den letzten Wochen unverständlich. Dazu darf ich aber sagen, daß es besser ist, Sie fangen damit bei sich selber an, innerhalb Ihrer eigenen Reihen. Denn für Sie muß .die Pariser Konferenz ein Anlaß sein, irgend etwas anderes zu denken, etwas anderes vorzuschlagen als bisher.
    Wir müssen leider sagen, daß wir durch die Pariser Konferenz in Grundsätzen und Zielen unserer Politik nur bestätigt worden sind, daß wir also zu einer Änderung unserer Grundsätze, Ziele oder Wege auch nicht den leisesten Grund sehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte das nicht lange ausdehnen, sondern aus der politischen Diskussion der letzten Zeit nur noch ein Beispiel nennen. Leider muß ich jetzt den amtierenden Präsidenten in seiner Eigenschaft als Abgeordneten zitieren. Es handelt sich um einen Artikel ,des Kollegen Dr. Carlo Schmid aus der „Neuen Rhein-Zeitung vom 7. Mai 1960 mit der



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    verständlichen und berechtigten Überschrift ,,Liquidiert doch endlich den zweiten Weltkrieg!", eine sehr richtige Aufforderung, die wir aus vollem Herzen unterstützen. Der Kollege Dr, Schmid bringt an einer Stelle seines Artikels die Vorstellung zum Ausdruck, daß nach Beendigung des zweiten Weltkrieges die Verbündeten über die Teilung der Beute in Streit geraten seien. Dieser Artikel ist vor dem Ende der Gipfelkonferenz geschrieben worden; ich weiß nicht, ob er heute noch so geschrieben werden würde. Wenn diesem Artikel die Wertung und die Sicht zugrunde gelegen haben, daß die Verbündeten über .die Teilung der Beute in Streit geraten seien und daß wir deshalb weder dem einen noch dem anderen Bund angehören dürften, um die deutsche Frage zu lösen, dann nenne ich das eine Fehleinschätzung der politischen Situation und eine Fehleinschäzung der historischen Voraussetzungen, die zu dieser politischen Situation geführt haben. Denn nicht die Verbündeten sind über die Beute in Streit geraten. Sicherlich herrschten Sicherheitsinteressen, materielle Interessen, aber es besteht nicht der geringste Zweifel, daß die Alliierten des Westens und die Sieger des Ostens eine grundverschiedene Vorstellung von den Friedenszielen hatten. Sie waren sich einig hinsichtlich der kurz limitierten Kriegsziele — das war der militärische Sieg über Deutschland; es war ihr gutes Recht nach der Vorgeschichte, den zu verlangen —, aber hinsichtlich der Friedensziele haben doch die Vereinigten Staaten von Amerika als die mächtigste Siegermacht des Westens niemals irgendwelche Gebietsansprüche an uns gestellt oder von uns verlangt, daß wir ein bestimmtes soziales System wider unseren Willen übernehmen sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich behaupte in aller Deutlichkeit — diese Sache muß klargestellt werden, nicht, um in der Vegangenheit herumzuforschen und herumzustochern und dann zu rechten, wer recht oder unrecht gehabt hat —: die Frage ist nicht die Teilung der Beute zwischen den Alliierten, sondern die entscheidende Frage ist die, daß der Kommunismus von Anfang an die Chance, die ihm Hitler geboten hat, für den Zweck gebrauchen wollte, gebraucht hat und heute noch gebraucht, Deutschland in seine Hand zu bekommen, um mit Deutschland seine Herrschaft über Europa auszudehnen!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir in diesem Punkt einig wären und auch hinsichtlich der Konsequenzen, die daraus zu ziehen wären, wäre schon viel gewonnen. Denn wie kann man zu einem gemeinsamen Weg kommen, wenn man nicht ein Minimum von gemeinsamen Ausgangspunkten für die Wertung der gegenwärtigen Situation hat? Das wollte ich dem Herrn Kollegen Wehner zu diesem Punkt erwidern.
    Lassen Sie mich zu Ende kommen. Ich habe ja nicht eine zusammenhängende Darstellung oder einen in sich geschlossenen Beitrag zu dieser Debatte geben wollen. Sie haben die vier Punkte genannt, die ich in Erlangen behandelt habe. Sie haben dazu die sechs Punkte des Regierenden Bürgermeisters von Berlin genannt. Dem waren ja die zehn Fragen vorausgegangen, die ich seinerzeit an Sie gerichtet habe. Es war gar nicht meine Absicht, von Ihnen darauf eine Antwort zu bekommen. Ich bin lange Zeit weniger Ihr Kronzeuge als Ihr Hauptangriffsziel, sagen wir einmal: gewesen. Wieweit es auch zur gemeinsamen Außenpolitik gehört, das zu ändern, ist eine Frage weiterer Überlegungen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Aber wenn eines Ihrer prominenten Fraktionsmitglieder, der Kollege Helmut Schmidt, mich nach Amerika begleitet — ich meine nicht in physischer Anwesenheit, sondern mit geistiger Verfolgung —, indem er sieben Fragen an mich richtet, und wenn er diese Fragen mit den Worten einleitet: „Bundesverteidigungsminister Strauß hat uns mit einer Flut von Fragen überschüttet — keine Fragen, sondern Polemik; sie sind zur Diskriminierung der SPD bestimmt und nur zu diesem Zweck in die grammatikalische Verkleidung der Frageform hineingekünstelt", so muß ich sagen: diese Art der Auseinandersetzung sollte man nicht weiterführen.
    Ich möchte, um dem Hause Zeit zu ersparen, jetzt nicht die zehn Fragen wiederholen. Aber jede Frage berührt doch ein wesentliches Moment unserer Politik. Ich greife nur ein Beispiel heraus, ohne daß der Katalog vollständig ist, wenn ich Sie frage, ob Sie mit uns gemeinsam der Überzeugung sind, daß der Kommunismus nicht bereit ist, seine Machtposition in der Sowjetzone abzubauen, wenn wir im Westen aus der NATO austreten, sondern daß er die Herrschaft über die Sowjetzone und seine Möglichkeiten dazu gebrauchen will, die Herrschaft über ganz Deutschland und ganz Europa auszudehnen. Billigen Sie diese Auffassung oder nicht? Oder die andere Frage: Sind Sie auch heute noch der Auffassung, daß z. B. unser Austritt aus der NATO gegen den Austritt der sogenannten DDR aus dem sogenannten Warschauer Pakt, die Abschaffung der Wehrpflicht und die Ablegung der modernen Bewaffnung die Voraussetzung für die Zustimmung der Sowjets zu einem stufenweisen Abbau des kommunistischen Systems in der Sowjetzone wäre, beginnend mit dem Abzug der russischen Truppen? Ich muß Ihnen ganz offen sagen: ich glaube es nicht, weil ich eine andere Vorstellung von der Leninschen Ideologie, ihrer Missionsvorstellung und von ihren weltstrategischen und politischen Zielen in Europa und anderswo habe. Solange wir hier nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen, ist es müßig, Phrasen über irgendwelche Begriffe gemeinsam anzuwenden. Wir wollen nur die Wahrheit und die Klarheit darüber.
    Ich darf auch dem Herrn Kollegen Wehner der intellektuellen Sauberkeit halber sagen: Sie haben mich heute morgen richtig zitiert. Allerdings gehören Sie auch zu der Kategorie von Politikern, die keine Zeit mehr haben, die Texte ganz zu lesen. Sie haben den Auszug meiner Worte aus der Rede ,des Kollegen Schmidt genommen und sich in eine Reihe mit denjenigen gestellt, ,die zwar zitieren, aber selbst bereits nur Auszüge gelesen haben. Das Zitat ist völlig korrekt. Man muß das aber in einem größeren Zusammenhang sehen. Die Bundesregierung, unsere politische Gruppierung, war immer



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    bereit, die Bundesrepublik ganz oder teilweise zum Bestandteil einer Kontroll- und Inspektionszone zu machen, aber immer auch mit der Maßgabe — das werden Sie feststellen, wenn Sie den Text ganz lesen —, daß sich die Folgen und die Wirkungen dieser Abrüstung über die ganze Erde erstrecken, ohne daß ein einzelner Ausschnitt für sich allein und in sich ,geschlossen betrachtet wird. Diese unsere Vorstellung hat mit dem Disengagement-Gedanken nicht das geringste zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich bin hier als Kronzeuge einfach nicht strapazierbar. Ich habe nicht gedacht, daß ich vom Feind Nr. 1 einmal zum sozialistischen Kirchenvater .befördert werden würde.

    (Heiterkeit.)

    Aber in dem Zusammenhang bin ich auch noch gesehen falsch zitiert worden.
    Nun lassen Sie mich ein abschließendes Wort sagen! Sie haben vier Punkte von mir genannt, und Sie haben dem die Punkte des Regierenden Bürgermeisters von Berlin gegenübergestellt. Ich darf nur ganz kurz eine Wertung versuchen. Ich lese in den sechs Punkten des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, das deutsche Volk halbe sich gegen die Diktatur und für die Gemeinschaft des Westens — ich nehme an: für die Gemeinschaft mit dem Westen — entschieden. Die Texte sind in der Presse nicht genau, sprachlich oder philologisch nicht genau. Wenn dieser Wortlaut stimmt, ,so ist das eine ohne Zweifel richtige Feststellung. Aber was steckt en Gehalt dahinter? Was heißt denn „Gemeinschaft mit dem-Westen"? „Gemeinschaft mit dem Westen" heißt doch, daß man die Entstehungsgeschichte der Verträge, die uns mit dem Westen zusammengeführt haben, heute jedenfalls von Ihrer Seite anders wertet, als Sie es damals getan haben, — heute; Sie brauchen es ,gar nicht zuzugeben! Und ,es heißt doch, daß man diese Gemeinschaft mit dem Westen mit all ihren Rechten und Pflichten als eine selbstverständliche Konsequenz trägt und weiterführt. Das ist mit einer einfachen Formulierung „Wir haben uns für den Westen entschieden und bleiben dabei" nicht zu machen. Es gibt eine normative Kraft des Faktischen — das haben wir erlebt —; aber es gibt keine Fakten ersetzende Kraft des Phraseologischen!

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Wenn man in einem weiteren Punkt sagt, die verantwortungsbewußten Kräfte des Volkes — Sie haben sie heute vormittag zitiert — seien gegen den Kommunismus und gegen die sowjetische Deutschlandpolitik, so ist das absolut richtig. Aber was steckt dahinter? In welchen Maßnahmen, in welchen ,Aktionen unserer Politik haben wir dem Ausdruck gegeben? Wir haben doch in den Aktionen und Maßnahmen dieser Einstellung Ausdruck gegeben, die Sie leider, sage ich, nicht mitgemacht haben. Aber wir wollen nicht über die Vergangenheit reden.
    Darum muß ich fragen: sind Sie bereit, das in Zukunft gemeinsam zu tragen? Ich habe heute morgen wieder das im Lande zum Modewort gewordene „Ja zur Landesverteidigung" gehört. Ich darf Ihnen vom Standpunkt meiner Erfahrungen aus, deren Richtigkeit ich sehr wohl beweisen kann, folgendes sagen: Wer in Deutschland gegen die Verteidigungspflicht der Bürger auftritt und diese ablehnt, der kann nicht für die Fortführung des Aufbaues der Bundeswehr sein. Das ist definitiv unmöglich. Das ist ein Widerspruch in sich selbst.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie bekommen selbstverständlich 100 000 Mann für eine Berufspolizei, für eine Polizei, die etwa mit den Waffen der Reichswehr — plus einigen technischen Fortschritten darin — ausgerüstet ist, bei hoher Bezahlung; die 100 000 Prätorianer bekommen Sie dafür. Kein Wort gegen sie. Unter anderen politischen Umständen würde eine solche militärische Ausrüstung völlig genügen. Aber bei uns? Wollen Sie wirklich die 12 Divisionen, die wir aufbauen müssen, wollen Sie wirklich die 20 und soundsoviel Luftgeschwader, wollen Sie wirklich die 20 und soundsoviel Verbände der Flotte mit ihren 360 000 Mann Kampftruppen für die NATO? Und dahinter kommt die Depot- und Basisorganisation. Wenn Sie das wollen, können Sie im Lande nicht herumlaufen und sagen: „Wir wollen die Wehrpflicht abschaffen" oder „Wir sind gegen die Wehrpflicht". Sie schaffen es ohne die Wehrpflicht nicht!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man kann in der Politik hier nicht ein mit Nebel gefülltes Vakuum lassen und etwa argumentieren: Stockfinster war's, der Mond schien helle.

    (Heiterkeit.)

    Entschuldigen Sie, ich habe das vielleicht etwas sehr einfach gesagt. Aber so kommt es einem vor, wenn Sie ein Ja zur Landesverteidigung sagen, jedoch im gleichen Atemzug erklären: Die Wehrpflicht lehnen wir ab. Wollen Sie sie abschaffen, wenn Sie das nächste Jahr an die Regierung kommen? Wenn Sie sie abschaffen wollen, wenn Sie das einhalten wollen, womit Sie sich in ihrer eigenen Partei die bekannten Schwierigkeiten gemacht haben, womit Sie im deutschen Volk zum Teil unberechtigte Vorstellungen geweckt haben, dann können Sie den weiteren Aufbau der Bundeswehr ruhig einstellen und die Erfüllung und Einlösung unserer NATO-Verpflichtungen langsam liquidieren.
    Hier müssen Sie Farbe bekennen. Ich verlange nicht, daß Sie das hier in einem Zuruf oder in einer Rede tun; aber Sie müssen sich darüber klarwerden.
    Dasselbe gilt für die Einschmelzung unserer Verbände in das westliche Verteidigungssystem. Dasselbe gilt für die Atomwaffen. Ich habe keine Zeit mehr, auf die Einzelheiten einzugehen. Aber diese Gedanken kommen mir, wenn ich die Fülle von Äußerungen von Ihrer Seite lese. Herr Kollege Erler hat noch im März, glaube ich, in der sozialistischen Jugendzeitschrift „Konsequent" den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO, der sogenannten SBZ aus dem Warschauer Pakt und den Abzug der fremden Truppen aus einem bestimmten Gebiet verlangt, um damit die Voraussetzungen für eine



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    innere Wandlung der politischen Verhältnisse zu schaffen. — Ich habe es in einer sozialdemokratischen Tageszeitung gelesen, nicht im Original, Herr Kollege Erler. Ich frage jetzt wirklich, nicht um hier von Ihnen eine Antwort zu bekommen —Sie haben im März geschrieben —: Würden Sie das am 1. Juli auch schreiben, wenn Ihre Freunde Sie einlüden, über dieses Thema einen Artikel zu schreiben? Würden Sie genau dasselbe wieder schreiben? Wenn Sie dasselbe schrieben, dann brauchen wir nicht über gemeinsame Außenpolitik zu reden, denn dann ist es nur eine wahltaktische Phrase auf beiden Seiten.
    Ich will jetzt gar keine Vorwürfe erheben. Aber wir bleiben kaum bei Wahrheit und Klarheit, wenn wir in der Formulierung dieselben Worte in den Mund nehmen, in den Tatsachen jedoch schon im Ausgangspunkt meilenweit voneinander verschieden sind!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist die Bitte, die ich äußern darf und die Sie mir nicht übelnehmen dürfen.
    In den sechs Punkten des Regierenden Bürgermeisters heißt es — in zwei verschiedenen Formulierungen —.
    Bei aller Notwendigkeit, — lese ich in der „Welt"—
    den Fragen der Sicherheit ins Auge zu sehen, muß das deutsche Volk und die Bundesrepublik jede Anstrengung machen, um zur Sicherung des Friedens in der Welt beizutragen.
    Wir sind uns alle einig in großen Zielen. Ich habe noch niemanden getroffen, seit ich die knappen 15 Jahre im politischen Leben stehe, mit dem ich in den großen Zielen nicht einig war: Gegen Krieg, für Frieden, gegen Hunger, für Wohlstand, für Freiheit, Recht, Aufstieg der Menschheit, gesunde soziale Verhältnisse. Ich glaube, wir können die Grenzen der freien Welt ruhig überschreiten. Wir werden auch mit den Machthabern drüben noch in der Phraseologie, wenn man auch verschiedenes darunter versteht und die Realitäten dahinter ganz anders sind, einig gehen.
    Darum bitte ich Sie wirklich, uns zu verstehen, daß wir heute vom Wort nichts mehr halten, wenn hinter dem Wort nicht dieselbe Begriffsauslegung und dieselbe Wirklichkeit der politischen Entscheidung steckt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zustimmung des Abg. Schneider [Bremerhaven].)

    Ich kann die Äußerungen des Herrn Regierenden Bürgermeisters Brandt nur so auslegen, daß er sagt: Bei aller Notwendigkeit, den Fragen der Sicherheit ins Auge zu sehen — also bei aller Notwendigkeit, die Landesverteidigung zu betreiben —, muß doch jede Möglichkeit ausgenutzt werden, zur Sicherung des Friedens in der Welt beizutragen. Hierin steckt doch eine paradoxe Auffassung. Ich habe allerdings aus der „Welt" zitiert und hoffe, daß mein Zitat wörtlich und sinngemäß jedenfalls richtig ist. Denn in der Situation, in der wir uns befinden, ist die
    erste Anstrengung für den Frieden der Aufbau unserer Bundeswehr und die Erfüllung unserer Bündnispflichten. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Beitrag zur Sicherung des Friedens auf der einen Seite und Aufbau der Landesverteidigung im Rahmen der NATO auf der anderen Seite. Das ist identisch, so wie die Weltlage zur Zeit ist. In einer anderen Lage mögen andere Maßnahmen gelten. Aber in unserer Lage ist der beste Beitrag zum Frieden in der so beschaffenen, konkret vor uns gestellten Situation, den Aufbau der Bundeswehr zu tragen und zum Ende zu führen, so wie wir es uns vorgenommen haben.
    Darum nehmen Sie mir auch eine Bemerkung nicht übler, als Sie es ohnehin wahrscheinlich tun werden. Ich begegne doch, da ich mich ja nicht in einem Elfenbeinturm einsperren kann, landauf, landab den Folgen der politischen Reden, die Sie gehalten haben, und der von Ihnen ausgestreuten politischen Parolen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Wir erleben es in jeder Versammlung. Das sind doch nicht Kommunisten; dann müßten ja die Kommunisten einen stattlichen Prozentsatz haben; nein, S i e haben einen stattlichen Prozentsatz. Wir begegnen in jeder Versammlung hauptsächlich bei der Jugend — die Alten, die viel Erfahrung gesammelt haben, sind vielleicht noch leichter anzusprechen —den Wirkungen einer ganz verhängnisvollen — ich darf sagen — Verteidigungslosigkeitspropaganda. Und die müssen Sie abstellen, wenn der Begriff gemeinsame Außenpolitik eine Realität werden soll, i damit wir zusammenfinden und damit das Ausland hüben und drüben die Einstellung zu uns hat, die wir uns auf beiden Seiten, von dieser und von jener Seite, wünschen. Ich begegne aber doch landauf, landab der gekennzeichneten Haltung, daß sich z. B. in den Landtagen ein Minister Ihrer Partei, im Plenum oder im Ausschuß, hinstellt und sagt: 250 Millionen können wir ruhig aus dem Etat für Panzer oder für Verteidigung allgemein herausnehmen; damit bauen wir Schulen, Schwimmbäder, Sportplätze. — Ich möchte nicht in den Verruf kommen, gegen Schulen, Schwimmbäder, Sportplätze oder Kindergärten zu sein. Aber so, wie die Dinge liegen, müssen wir nach Prioritäten handeln, und die erste Priorität ist, unser Überleben in Freiheit zu sichern.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Und wer das immer im kleinen oder im großen tut, sündigt dagegen. Ich habe das in der Landtagswahl in Baden-Württemberg gemerkt, und entschuldigen Sie, wenn ich von den ätherischen Hoffnungen einer gemeinsamen Formulierung in die rauhen Niederungen einer politischen Praxis heruntersteige; die werden wir ja nächstes Jahr wieder erleben. Können wir wirklich die Zuversicht haben, daß die Leistungen für die Landesverteidigung, die schmerzlichen Opfer finanzieller und wirtschaftlicher Art oder Geländeabtretungen usw. — wir wissen zwar, daß all diese Dinge örtlich weiterhin Schwierigkeiten machen — hinsichtlich ihrer Durchführung von den großen Parteien dieses Hauses, von allen



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    Parteien dieses Hauses getragen werden? Haben wir die Gewähr dafür, daß Ihre Leute nicht mehr sagen: Mit der Munition, die da emgekauit worden ist, hätte man für diese Stadt 100 000 Wohnungen bauen können!? Ich könnte Ihnen sagen, wer das wo und wann gesagt hat. Sie werden mich doch wirklich verstehen und hoffentlich ernst genug nehmen und annehmen, daß es mir ernst damit ist und daß es mir nicht darum geht, gegen Sie ein Argument zu haben, d. h. um endlich einmal eine große, gemeinsame starke Basis aller politischen Krätte für den Aufbau dieser Armee zu schatten, die keine Regierungsarmee und keine Parteiarmee, sondern die eine Armee des deutschen Volkes ist, sein soll und werden wird.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    ich weiß nicht mehr genau, wer es gesagt hat, aber mir ist in schriftlichen und mündlichen Äußerungen mehrmals — auch innerhalb der Bundeswehr — die Formulierung begegnet, die da heißt: Parteiarmee, Regierungsarmee. Die Bundeswehr darf nicht eine Regierungsarmee oder eine Parteiarmee werden; darin stimme ich bei gleicher Begriffsbildung und bei einer sauber gehandhabten Wirklichkeit völlig mit ihnen überein. Aber warum ist dieses Schlagwort überhaupt geprägt worden? Denken Sie, meine Damen und Herren, die Sie im Jahre 1950 schon in diesem Hause waren, doch einmal zurück! Damals entstand die Problematik der Sicherheit und einer deutschen Beteiligung an der europäischen Verteidigung. Die Einzelheiten sind so bekannt, daß ich mir jede einzelne Schilderung ersparen kann.
    Was ist heute die Bundeswehr geworden? Wie ist sie entstanden? Sie ist doch so entstanden, daß die Regierung, daß der Bundeskanzler damals einige militärische Fachleute als seine Beauftragten geholt hat und sie mit den Alliierten zusammen in Gesprächen auf dem Petersberg darüber hat beraten lassen, was getan werden muß, um die Lücke in der europäischen Verteidigung zu schließen. Diese Regierung hat den Rat der Fachleute und die damit verbundenen Opfer und Unpopularitäten auf sich genommen, um das aufzustellen, was nach Meinung aller Vernünftigen in diesem Lande notwendig ist, um das Ziel zu erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich konnte nur einige Fragmente bieten aus den vier Punkten, die Herr Kollege Wehner genannt hat, nämlich europäische Einheit und atlantische Allianz als permanenter Bestandteil der deutschen Politik. Beim anderen Punkt, der Landesverteidigung, die von allen Seiten mit allen Konsequenzen getragen wird, wird sich in der politischen Diskussion draußen in den nächsten Wochen zeigen, ob Sie wirklich noch die Autorität bei Ihren eigenen Wählern und Anhängern haben, das zu vertreten, was Sie bisher bekämpft haben. Das ist eine sehr wesentliche Angelegenheit. Dann — was sicher für die Lage gilt, so wie sie ist —: „Schluß mit den Disengagement-Plänen!"
    Ich habe heute mit großer Zustimmung gehört, wie Sie meinen vierten Punkt betonen: Selbstbestimmungsrecht. Aber mir hallt es immer noch schauerlich in den Ohren, was ich, was wir jahrelang anhören mußten, daß nämlich die Forderung nach freien Wahlen als abgestandener Ladenhüter, als verstaubtes Requisit derer bezeichnet wurde, die von der Weltlage nichts mehr verstünden, die nicht realistisch genug seien, die nicht fortschrittlich genug seien, daß sogar die Forderung nach freien Wahlen als Sabotage an der Wiedervereinigung ausgelegt worden ist, weil sie so unrealistisch sei angesichts der berechtigten sowjetischen Forderung auf Sicherheit, daß man den Sowjets das nicht zumuten könne. Sehen Sie, das sind einige Beiträge, Herr Kollege Wehner — damit darf ich den Ring meiner sehr kurzen und unvollkommenen Überlegungen schließen —, das sind einige Fakten zu dem, was ich hinsichtlich der Methode, wie man eine gemeinsame Außenpolitik herbeiführen kann, gemeint habe. Diese Fragen können nicht hier geklärt werden. Diese Fragen können von Ihnen nicht allein durch das Aussprechen von Worten oder Begriffen geklärt werden. Diese Bestandsaufnahme muß in Ihrem eigenen Schoße erfolgen. Sie müssen selbst in Ihren eigenen Reihen klären, welche Konsequenzen Sie ziehen wollen. Und dann, glaube ich, wird jeder Demokrat in diesem Land dankbar sein für ein Gespräch, das das Gewicht unseres Landes und die Lebens- und Zukunftshoffnungen unserer Nation verstärkt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir aufrichtig leid, daß der Herr Kollege Guttenberg offenbar keine Zeit mehr hatte, seine Rede nach dem Anhören der Rede unseres Kollegen Herbert Wehner noch ein bißchen umzuformen. Es wäre sicher manches anders gewesen, wenn er etwas mehr Zeit dafür zur Verfügung gehabt hätte. Ich möchte vorschlagen, daß Sie einmal in einer Mußestunde diese beiden Reden nebeneinanderlegen. Der Vergleich wird außerordentlich interessant sein. Vielleicht gehört gerade dieser Vergleich der beiden Reden zu der Bestandsaufnahme, um die oder um deren Einleitung, es ja doch wohl in Wahrheit heute gehen sollte.
    Die Rede des Kollegen von Guttenberg war eine Rede der Selbstgerechtigkeit:

    (Beifall bei der SPD.)

    Auf der einen Seite des Hauses hat es nie Probleme, nie Schwierigkeiten gegeben; der Weg in die Zukunft ist so glasklar, als ob wir uns in der Welt nicht einer Fülle von Problemen gegenübersähen, die gemeinsames Nachdenken geradezu zur Pflicht machen, wie auch die Gegensätze früher zwischen uns gewesen sein mögen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Da kommt eine neue Großmacht auf, China, und klopft an die Tür und wird das Abrüstungsgespräch, dessen Wichtigkeit der Bundeskanzler und auch die



    Erler
    Regierung in ihren Erklärungen immer wieder so hervorgehoben haben, entscheidend beeinflussen. Da bekommen die Vereinten Nationen eine ganz andere Zusammensetzung. Und mancher von uns hat doch einmal die Vorstellung gehabt, daß unter Umständen vielleicht auch die Frage des Selbstbestimmungsrechtes unseres Volkes einmal vor diesem Forum als letzter Zuflucht erörtert werden müßte und daß wir dann auf jeden angewiesen sein würden, der dort Sitz und Stimme hat, daß es also darauf ankäme, sich auch um die Neuen, die in die Vereinten Nationen hineinkommen, entsprechend zu bemühen. Da ist nach dem Nichtzustandekommen der Gipfelkonferenz nun auch der eine weitere Gesprächsfaden in Genf zerrissen. Da besteht die Gefahr, daß angesichts der Sorgen, die andere Völker heute haben, die deutsche Frage, das Schicksal unserer Landsleute in der Sowjetzone aus der Erörterung in der Welt verschwindet.
    Für uns in diesem Hause alles kein Anlaß, nachzudenken! Wir haben ja immer in allem recht gehabt! So tönt es von den Regierungsbänken.
    Niemand kann die Bundesregierung und niemand kann die Mehrheitspartei daran hindern, auf die geistigen und politischen Fähigkeiten, die nun einmal auch in der Opposition zu Hause sind, zu verzichten, meine Damen und Herren. Ob das aber für unser Volk ein Gewinn ist, das wird sich weisen.
    Sie sprechen wie wir von der dringend erforderlichen westlichen Solidarität. Meinen Sie denn, daß diese Solidarität die Belastungsproben der Zukunft ungefährdet überstehen kann, wenn Sie durch Ihr Verhalten versuchen, einen großen Teil unseres eigenen Volkes von ihr fernzuhalten?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das geht eben nicht, und deshalb kann es heute bei der Debatte doch nicht darum gehen, daß man in mehr oder minder gemessenen Worten die Kapitulation der Sozialdemokratischen Partei verlangt. Ich hätte bei manchem Sprecher vorhin beinahe den Eindruck gehabt: eigentlich müßten wir ja nun alle als reuige Sünder in die Christlich-Demokratische Union eintreten.

    (Heiterkeit.)

    Aber das haben Sie doch wahrscheinlich selber nicht erwartet.
    Das, was Sie hier dargetan haben, spricht zwar alles von viel Selbstbewußtsein. Einer Nachprüfung der Notwendigkeiten der Stunde wird es nicht gerecht.
    Ich habe vorhin gesagt, die heutige Debatte soll der Bestandsaufnahme dienen. Sie ist ja noch nicht die Bestandsaufnahme selbst. Sie ist der Auftakt. Mein Freund Herbert Wehner und auch ich haben dargelegt, wie notwendig es wäre, daß, Herr Minister Strauß, nicht nur die Sozialdemokratische Partei, sondern alle Gutwilligen den Weg der Vergangenheit sich noch einmal zu Gemüte führen und vor allem — das ist viel entscheidender — prüfen, was in der Zukunft, und zwar in erster Linie in der nächsten Runde internationaler Diplomatie zu geschehen hat.
    Eine gemeinsame Politik mindestens auf Teilgebieten kann doch erst das Ergebnis der Bestandsaufnahme sein, und die können Sie doch nicht als Voraussetzung fordern, bevor man zusammen daran gearbeitet hat. Da will ich Ihnen einmal schildern — mein Freund Wehner hat sich hier mit einem Zitat des ehemaligen amerikanischen Außenministers Byrnes begnügt —, wie die Amerikaner das machen. Da gibt es den Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Dieser hat mit viel Geld — so viel haben wir leider nicht — und vielen anderen Hilfsmitteln eine ganze Serie von Studien in Auftrag gegeben. Wenn Sie nun sagen, das alles sei in den letzten zehn Jahren so eindeutig und klar gewesen, dann möchte ich doch eigentlich annehmen, daß das bei den Vereinigten Staaten mindestens genauso eindeutig und klar gewesen ist. Warum wohl vergibt man dort 15 Studienaufträge an die verschiedensten Forschungseinrichtungen, privaten Forschungsgruppen und Universitäten über die verschiedensten Aspekte der amerikanischen Außen-und Verteidigungspolitik, über die ideologischen Konflikte in der Welt, ihre Ursachen, ihre Auswirkungen in verschiedenen Ländern, über die ökonomischen Probleme, über die Auswirkungen der Auslandshilfe, über die technische Entwicklung sowohl auf dem militärischen als auch auf dem nicht militärischen Gebiet, die Auswirkungen dieser beiden Dinge auf die Außenpolitik, auf die Verteidigungspolitik, auf die Strategie? Offenbar hat das nur eine Weltmacht nötig, wir brauchen das alles nicht.
    Meine Damen und Herren, ich bin enttäuscht davon, daß Sie nicht mit ein wenig mehr gutem Willen versucht haben, heute schon die Bereitschaft — nicht zu einem ähnlichen Werk; da fehlt uns die Zeit, und es fehlen uns in der ganzen Bundesrepublik sogar einfach die Kräfte dazu, das durchzuführen — wenigstens mit dem Mindestmaß, das wir selber mit unseren Behörden, mit der Bundesregierung, dem Auswärtigen Amt und mit diesem Hause hier aufbringen können, zu zeigen, daß wir uns an das Studium der Probleme heranmachen, denen heute keine deutsche Außenpolitik mehr aus dem Wege gehen kann, weil sich deutsche Außenpolitik, so wichtig die Fragen der Verteidigungspolitik sind, so wichtig die Fragen der Wehrverfassung sind, so wichtig die Fragen der Aufrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr sind, nicht allein auf die beiden Formeln „Wehrpflicht" und „Atomwaffen" reduzieren läßt, wo Sie alle außenpolitischen Entscheidungen unterbringen wollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, bei einer solchen Bestandsaufnahme geht es doch auch gar nicht um „alles oder nichts". Wir wären merkwürdig gebaut — das gibt es doch in keinem Lande der Welt, selbst dort nicht, wo Opposition und Regierung in außenpolitischen Fragen einander stützen und tragen —, wenn wir in allen Fragen einer Meinung wären; das gibt es gar nicht. Da bleiben unter Umständen immer noch sehr wesentliche Aspekte draußen, in denen die Diskussion weitergeht, in denen man sich nicht zu gemeinsamen Beschlüssen und Handlungen hat durchringen können. Aber man



    Erler
    prüft wenigstens sorgsam: wie weit kann das Feld gesteckt werden, auf dem das Interesse des eigenen Volkes besser gewahrt werden kann, wenn es von allen demokratischen Kräften getragen wird und nicht nur von der Regierung und ihrer Mehrheitspartei.
    Sie versuchen, es auf den Punkt hinzubringen: „alles oder nichts." Das ist nie ein guter Rat in der Politik. Vielmehr müssen wir uns um ein Höchstmaß bemühen. Dann wird immer noch — seien wir ehrlich — manches draußen bleiben und auch heute nicht ohne weiteres in dem Höchstmaß unterzubringen sein.
    Da ist von der loyalen Erfüllung der für die Bundesrepublik geltenden Verträge gesprochen worden. Darüber herrscht kein Streit: Verträge kann man nicht dadurch austrocknen, ausdorren lassen, daß man dem Buchstaben nach so tut, als erfülle man sie. Deutsche Politik wird verhandlungsunfähig, wenn sich nicht jeder Partner, der einen Vertrag mit einer deutschen Regierung abgeschlossen hat, darauf verlassen kann, daß auch die nachfolgende deutsche Regierung den Vertrag nach Wortlaut und Sinn einzuhalten sich bemüht.

    (Beifall.)

    Darüber waren wir uns längst einig. Da braucht man gar keine großen Schwüre abzuhalten; man sollte endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß das so ist.
    Ein solcher Vertrag kann und darf nun nicht nur militärisch — wir wollen es gar nicht so einseitig sehen —, sondern er muß auch politisch genutzt werden. Herbert Wehner hat nicht nur von der NATO, sondern von dem ganzen System der Verträge, das die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, gesagt, daß sie die Grundlage und der Rahmen auch für die Wiedervereinigungspolitik seien. Wie kann es heute anders sein? Es gibt doch heute keinen anderen Rahmen, in dem wir uns bewegen können, um unsere Bundesgenossen hier zu einer gemeinsamen Politik zu ermuntern. Das steht nun einmal so da, und es ist selbstverständlich, daß das auch so gehalten wird.
    Aber unabhängig davon, was nun die Bundesregierung in einem solchen Vertragsrahmen mit ihren Vertragspartnern an Gedanken zu entwickeln hat, um den Rahmen auch auszufüllen, um auch ein Höchstmaß an praktischen Fortschritten in den uns bedrängenden Fragen in Zusammenarbeit mit den Partnern zu erreichen — darüber kann man diskutieren und muß man vor allem mit den Partnern diskutieren —, gibt es sogar auf militärischem Gebiet über das, was nötig und was zweckmäßig ist, auch unter denen, die die Verträge seinerzeit geschaffen haben, in zahlreichen Ländern Meinungsverschiedenheiten, Nuancen. Warum soll es bei uns auf diesem Gebiet plötzlich keine mehr geben? Wir müssen nur die Bereitschaft haben, diese Probleme einmal mit der Fülle von Informationen sorgsam zu durchdenken, über die die Bundesregierung verfügt und die Opposition leider nur bruchstückweise. Früher wurde uns gelegentlich vom Außenminister gesagt, sogar der Auswärtige Ausschuß sei dazu zu
    groß. Jetzt heißt es plötzlich, das Plenum des Bundestages sei dafür zu klein, damit müsse man vor die ganze Nation treten. Über all diese Einzelheiten muß man in den dafür in diesem Hause geschaffenen Gremien sorgsam reden.
    Dabei möchte ich mich gegen die auch in dieser Debatte leider allzu stark zum Vorschein gekommene Überbetonung der militärtechnischen Erwägungen wenden. Der Historiker Percy Schramm, der
    sich jetzt durch die Herausgabe der Kriegstagebücher aus dem zweiten Weltkrieg ein Verdienst erworben hat, hat in einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 18. Juni 1960 über den Generalobersten Beck geschrieben:
    Beck hat, wie seine „Studien" beweisen, als erster erkannt, daß wir in ein Zeitalter eingetreten sind, in dem die staatsmännischen und politischen Kräfte in erster Linie über die Völkerschicksale entscheiden. Rüstung und Rüstungsgleichgewicht sind allerdings auch dann notwendig, aber nicht als militärischer Selbstzweck, sondern als Subsidien einer klugen, verantwortlichen und
    — auch das hat er noch gesagt —wendigen Politik.
    Einer Politik, die zehn Jahre lang auf dem gleichen Kurs läuft, kann man, glaube ich, nicht ohne weiteres das Prädikat „wendig" zusprechen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nebenbei: ganz so unbeweglich waren Sie ja gar nicht. Aber die Rede des Freiherrn zu Guttenberg hat aus der Unbeweglichkeit ja beinahe noch einen Stolz gemacht.
    Hier taucht das Wort vom Gleichgewicht auf. Das sollen wir uns alle sorgsam zu Gemüte führen; daran darf nicht gerüttelt werden, und jeder weiß, daß das heute nicht für die Bundesrepublik allein gelten kann, sondern daß es sich hier um globale Zusammenhänge handelt und um eine Arbeitsteilung, wo also nicht jeder alles haben kann und bei vernünftiger Arbeitsteilung sogar nicht haben soll, wobei also über Organisation, Bewaffnung, Führung nach geographischen, militärtechnischen und strategischen Bedingungen jedes Landes gesprochen und entschieden werden muß, wie das ja die skandinavischen Staaten auch für sich in Anspruch nehmen. Das ist keine Frage der Gleichberechtigung. Denn wenn Sie es auf den Punkt zuspitzen, dann landen Sie dort, wo der Verteidigungsminister nach eigenem Ausspruch ausdrücklich nicht hin will: dann landen Sie bei der Wasserstoffbombe für die Bundesrepublik Deutschland, die er doch — aus guten Gründen, glaube ich — nicht haben will. Es gibt also Grenzen. Gut, wenn er einsieht, daß sie nicht aus dem Prinzip der Gleichberechtigung alle fallen müssen, daß es logische Grenzen gibt, dann kann man sich auch darüber unterhalten, wo diese Grenze für unser Volk und für die Bedürfnisse der westlichen Verteidigung am zweckmäßigsten und richtigsten zu ziehen ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit reduziert sich das auf eine Frage der militärischen und auch politischen Zweckmäßigkeit.



    Erler
    Meine Damen und Herren! Ich sprach vorhin davon, daß die Gefahr besteht, daß die deutsche Frage unter anderen Sorgen untergeht. Dabei stellt sich die Frage: was wird aus unseren Landsleuten drüben, wenn sich die Hoffnungslosigkeit ihrer bemächtigt? Wie soll Berlin auf die Dauer gesichert werden? Wie soll verhindert werden — ein Punkt, den Herbert Wehner heute erwähnte und der, glaube ich, des Nachdenkens wert wäre —, daß durch einseitige Aktionen der anderen sowohl der Status Deutschlands als auch der unserer bedrohten Hauptstadt Berlin so verändert wird, daß eben militärische Mittel allein nicht die Antwort sind?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Lohnt es sich nicht, darüber einmal nachzudenken? Sehen Sie nicht, daß es auch andere Gefahren gibt, mit denen man sich hier auseinandersetzen muß? Diese Diskussion ist selbstverständlich, wenn wir unter uns gesprochen haben, nur in Gemeinschaft mit dem Westen möglich, und dazu müssen wir unseren Einfluß in der NATO ausüben.
    Dann ist hier die Vergangenheit heraufbeschworen worden und ein Satz, den ich — ,allerdings nicht so im Wortlaut, deswegen werde ich ihn Ihnen jetzt sinngemäß bekanntgeben vor einigen Tagen in Heilbronn gesprochen habe. Dort wurden wir gefragt, ob wir denn alle unsere Kritik, die wir in der Vergangenheit an dem Zustandekommen der Einschmelzung der Bundesrepublik in das westliche Militärbündnis und vorher schon der anderen Seite in den Sowjetblock geübt haben, nun aufzugeben hätten. Da will ich Ihnen hier etwas vorlesen, einfach als ein Beweis dafür, daß wir nicht weiterkommen, wenn wir an diese Dinge nur mit Selbstgerechtigkeit herangehen. Der Herr Bundeskanzler hat am 15. Dezember 1954 hier im Bundestag gesagt:
    Das Vertragswerk macht ,die Bundesrepublik erst fähig, die Spaltung Deutschlands zu beseitigen und ,die sich mit der Wiedervereinigung stellenden Aufgaben zu bewältigen.
    Und vorher, am 16. März 1952 — in einer interessanten Zeit, es war eine Woche nach der Note vom 10. März 1952 — hat der Herr Bundeskanzler in Siegen gesagt:
    Ich bin fest davon überzeugt — und auch die letzte Note Sowjetrußlands ist wieder ein Beweis dafür —, daß, wenn wir auf diesem Wege fortfahren, der Zeitpunkt nicht mehr allzu fern ist, zu dem Sowjetrußland sich zu ,einem vernünftigen Gespräch bereit erklärt.
    Das ist acht Jahre her. Für „nicht allzufern" sind acht Jahre, glaube ich, recht kühn angesetzt.
    Das sind zwei Zitate von vielen. Ich will hier gar nicht in Schadenfreude verfallen; nein, wir können hier nur dem tiefen Bedauern Ausdruck geben, daß die Hoffnungen, die Sie damals an den Abschluß der Verträge geknüpft haben, offensichtlich nicht in Erfüllung gegangen sind, daß also auch Sie, meine Damen und Herren, Anlaß haben, manches zu überdenken. Wessen Illusionen sind nun eigentlich damit zerstoben, daß die deutsche Frage jetzt offensichtlich nicht unter den Aspekten behandelt wer-
    den kann, unter denen Sie damals glaubten sie behandeln zu können?
    Sicher, für die Opposition gilt schließlich auch, daß sich die Machtverhältnisse seit den Jahren 1952 und 1955 ganz entscheidend gewandelt haben, daß manches, was sich damals als denkbarer Weg zur Lösung der deutschen Frage abzeichnete, heute nicht mehr gangbar ist. Es wäre vermessen, das nicht zugestehen zu wollen. Aber es wäre genauso vermessen, auf der Behauptung zu bestehen, daß nun nach diesen Verträgen sich herausgestellt habe, sie seien der sicherste Weg, um schnell und bald zu Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands kommen zu können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit bin ich bei einem Punkt, der für das Verhältnis von Regierung und Opposition nicht ganz uninteressant ist. Hier wurde heute eine Fragestunde veranstaltet. Wir haben im Parlament aus gutem Grund die Fragestunde. Da wird die verantwortliche Regierung befragt über das, was sie tut oder auch nicht tut, über ihre Meinung. Die Fragestunde richtet sich eben nicht an den einzelnen Parlamentarier und fragt nicht nach seinen Meinungen, sondern das Parlament ist die Kontrollinstanz für die Tätigkeit der Regierung, die ja dafür auch die Verantwortung trägt, der die Verantwortung dafür übertragen worden ist. Sie hat zu erklären, was sie getan hat, warum sie eventuell etwas unterlassen hat, und was sie zu tun gedenkt.
    Natürlich hat der Wähler einen Anspruch darauf, bei Wahlen zu wissen, wie die Parteien sich eigentlich die politische Entwicklung vorstellen. Aber, meine Damen und Herren, die Wahlen sind im nächsten Jahr, und wir werden die Neugierde und den Anspruch der Wähler sehr gern befriedigen. Aber in diesem Jahr haben das Parlament und unser Volk ein Recht, zu erfahren, was die Regierung jetzt zu tun gedenkt, um die deutsche Frage und das festgefahrene Abrüstungsgespräch wieder in Gang bringen zu helfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darüber haben wir nichts gehört. Zum Abrüstungsgespräch hat der Bundesverteidigungsminister sich in Amerika auf die kurze Formel beschränkt, er sei dafür nicht zuständig.
    Meine Damen und Herren, ich hätte — wenn wir nun schon Fragen an Abgeordnete hier durchführen — vom Herrn Kollegen von Guttenberg gern einmal gewußt — nachdem er sich so intensiv mit dem Deutschlandplan der Sozialdemokraten, zu dem Herbert Wehner hier das Entscheidende gesagt hat, beschäftigt hat —, wie er sich sehr konkret und sehr im einzelnen praktisch den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands vorstellt.

    (Beifall bei der SPD)

    ohne als Voraussetzung den militärischen und politischen Zusammenbruch der Sowjetunion vorher anzunehmen; denn auf ,den können wir uns leider nicht einstellen.

    (Zustimmung bei der SPD.)




    Erler
    Da wir nun gerade bei der Wiedervereinigungspolitik sind, möchte ich hier nur einen Irrtum richtigstellen; eine Richtigstellung, an der mir sehr viel liegt und an der auch Ihnen liegen sollte. Die Sozialdemokraten haben zu keiner Stunde auf freie Wahlen in ganz Deutschland verzichtet. Sie haben sich immer — und das ist unsere wie Ihre Pflicht — Gedanken darüber gemacht — man kann sie kritisieren, man kann sie schelten, man kann sagen, die Gedanken waren falsch; aber es waren Gedanken aus einer bohrenden Sorge —: Wie kann man freie Wahlen auch in Mitteldeutschland herbeiführen? Das ist die Sorge, die uns bewegt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aus diesem sehr verständlichen Verhältnis zur Demokratie, zur Selbstregierung durch frei gewählte Organe schreibt sich auch her unser Verhältnis zu diesem Staat. Verehrter Kollege von Guttenberg, ich weiß nicht, ob Sie die Absicht hatten, zu verletzen. Aber mich hat es verletzt, daß Sie die Treue der Sozialdemokratischen Partei zu jener freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in Zweifel gezogen haben, das wir mit beschlossen haben und dem die CSU damals ihre Zustimmung großenteils nicht gegeben hat.

    (Lebhafter Beifall hei der SPD.)

    Wir bekennen uns zu diesem Staat. Wir bekämpfen nicht diesen Staat, sondern wir kämpfen darum, daß dieser Staat eine andere Regierung bekommt. Es ist unser Recht und unser oppositioneller Auftrag, für eine andere Regierung zu kämpfen. Das werden Sie uns nicht bestreiten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir wehren uns aber dagegen, daß sich aus der Art, wie mancher das Verhältnis der Sozialdemokratischen Partei zum Staat glaubt definieren zu können, praktisch doch die Vorstellung ergibt, er und seine Partei hielten sich für den Staat. Das ist ein entscheidender Irrtum, meine Damen und Herren, vor dem nicht genug gewarnt werden kann!

    (Beifall bei der SPD. Abg. Dr. Kliesing [Honnef] : Wer schwätzt denn von „Provisorium"?)

    — Nehmen wir das Wort vom Provisorium.

    (Abg. Freiherr zu Guttenberg: Wer redet denn vom „Bonner Staat"?)

    Hier handelt es sich darum, daß uns das von uns gemeinsam erarbeitete Grundgesetz den Auftrag gegeben hat, diesen Staat einmal in ein Gesamtdeutschland zu überführen, dessen endgültig vom gesamten deutschen Volk in freien Wahlen gebildete Nationalversammlung eine Verfassung zu beschließen hat, die die unsere dann in einem wiedervereinigten Deutschland in gesicherter Freiheit ablösen wird. So steht es in der Verfassung. Halten Sie es damit, oder halten Sie es nicht damit? Auch das ist eine Frage!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Nur in diesem Sinne, nicht abwertend, sondern als den einzigen Teil Deutschlands, in dem Freiheit herrscht, als den Teil auch, in dem wir, solange die anderen nicht selbst für sich sprechen können, für alle Deutschen sprechen, haben wir die Bundesrepublik zu betrachten. Sie ist nur insofern — jawohl — ein Provisorium, als wir nach dem Auftrag unserer Verfassung diesen Staat in der Zukunft in das ganze Deutschland einzubringen haben. Sonst, wenn Sie die Bundesrepublik als endgültig für alle Zeiten bezeichnen, sperren Sie praktisch einen Teil unseres eigenen Volkes aus diesem Staat aus!

    (Beifall bei der SPD.)

    Dabei will ich Ihnen in einem Punkt gleich recht geben: Der künftige Verfassungsgesetzgeber — das ist der Sinn, das ist ,der Auftrag, .den wir durch die Erkämpfung freier Wahlen hoffen erlangen zu können — soll, von den lebendigen freiheitlich-demokratischen Kräften getragen, so aussehen, daß das wiedervereinigte Deutschland über eine freiheitlichdemokratische Grundordnung verfügt und — jawohl, so wie es ebenfalls in unserem Grundgesetz steht — ein sozialer Rechtsstaat ist. Dafür werden wir kämpfen. Dabei wird uns jeder willkommen sein, hoffentlich auch Ihnen, der sich in diesem Sinne für die Übertragung der wesentlichen Grundrechte und -freiheiten unserer Bundesrepublik Deutschland in das künftige gesamtdeutsche Gebäude einsetzt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber, meine Damen und Herren, wie das künftige gesamtdeutsche Haus im übrigen innen aussieht, wie ein freies Volk in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung sein Haus einrichtet, ist dann sache des ganzen deutschen Volkes, nicht nur der jetzigen Einwohner der Bundesrepublik. Denn sonst betrügen wir unsere Landsleute in Mitteldeutschland gerade um das, was wir für sie erkämpfen wollen, nämlich urn den Sinn der freien Wahlen, die ihnen doch ein Mitbestimmungsrecht mit uns zusammen über das ganze deutsche Haus einräumen sollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun eine kleine Korrektur zu der Bemerkung, mein Freund Thomas habe die Einheit für wertvoller erklärt als die Freiheit. Er hat mir eine kleine Aufzeichnung geschickt. Bei der Tagung ist argumentiert worden, die nationale Einheit sei kein Gut an sich, und es blieb nach den Gedankengängen von Martini, die ja heute hier schon eine Rolle gespielt haben, nur die Freiheit übrig. Es wäre sicher ein unerhörter Fortschritt, wenn es gelänge, zunächst einmal die Freiheit der Mitteldeutschen herzustellen, Niemand könnte so vermessen sein, das von sich zu weisen mit der Begründung: Da haben wir nicht gleich auch die Einheit dabei. Aber das Ziel, das wir uns vorgenommen haben — und politisch gehört es doch wohl auch zusammen — ist die gesicherte Einheit in Freiheit. Wenn man die Einheit nicht mehr als ein Gut bezeichnet, das auch erstrebenswert wäre, hat man eine politische Entscheidung getroffen, die den Kampf um die Einheit des Vaterlandes schwächen müßte.