Rede:
ID0312202100

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 23
    1. Sie: 3
    2. Meine: 1
    3. Damen: 1
    4. und: 1
    5. Herren,: 1
    6. der: 1
    7. Herr: 1
    8. Redner: 1
    9. hat: 1
    10. Anspruch: 1
    11. darauf,: 1
    12. daß: 1
    13. ihm: 1
    14. zuhören.: 1
    15. Wenn: 1
    16. es: 1
    17. nicht: 1
    18. wollen,: 1
    19. können: 1
    20. ja: 1
    21. den: 1
    22. Saal: 1
    23. verlassen.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein maßgebliches Mitglied dieses Hauses hat vor etwa einem Jahre in einem Interview mit einer Moskauer Zeitung einmal geäußert: Wir kennen Herrn Chruschtschow als einen Menschen, den sein Gefühl für Realitäten nicht verläßt. Nun, ich glaube, daß man nach dem Ausgang der Pariser Konferenz über diese Bemerkung durchaus streiten kann. Ich wage sogar, zu behaupten, daß wir hier unter Umständen heute gar nicht zusammensäßen, wenn nicht gerade diese Ereignisse Anlaß gegeben hätten, sich über Realitäten, u. a. auch über die Realitäten, wie Herr Chruschtschow sie versteht, zu unterhalten. Ich glaube, wohl mit Ihnen allen übereinszustimmen, wenn ich feststelle, daß durch den Ausgang der Pariser Konferenz und das vom sowjetischen Regierungschef gezeigte Verhalten die gesamte Weltöffentlichkeit jäh in die Wirklichkeit zurückgerissen wurde. Alle schönen Redensarten sind im Wind zerstoben vor dem, was sich dort im Kreise ernsthafter Männer abgespielt hat.
    Es war aber zugleich ein Fanal für uns, zu erkennen, daß wir endgültig Abschied vom Urlaub in der Geschichte nehmen müssen. Ich habe bei verflossenen außenpolitischen Debatten schon einige Male darauf hingewiesen, daß es auf der einen Seite natürlich unbequem war, unter der Herrschaft der Besatzungsmächte zu leben, andererseits eine sehr bequeme Angelegenheit, weil andere die Verantwortung für uns trugen.
    Wir alle sind wahrscheinlich glücklich, daß die Entwicklung so gelaufen ist, wie sie vor uns steht. Selbst die sozialdemokratische und auch die freie demokratische . Opposition stimmen, glaube ich, mindestens heute mit uns darin überein, daß der Weg, den wir beschritten haben, um wenigstens zu



    Schneider (Bremerhaven)

    dieser Souveränität und zu dieser Handlungsfreiheit zu kommen, der richtige gewesen ist.
    Im Zusammenhang mit der bevorstehenden und nun laufenden Debatte war viel von einer Bestandsaufnahme die Rede, woraus ohne weiteres zu erkennen war — und ich möchte das ausdrücklich dankbar anerkennen —, daß sich verantwortliche Politiker aller Parteien angesichts des Eklats von Paris nunmehr wirklich ernsthafte Gedanken darüber machten, wie wir zu einer größeren gemeinsamen Front und Zielstellung und auch zu einer größeren Durchschlagskraft für die Durchsetzung unserer nationalen Wünsche gelangen könnten. Gleichviel, wie man zu der Frage letztlich steht, und gleichviel auch, ob man das Wort von der sogenannten Bestandsaufnahme für glücklich hält, — ich halte es jedenfalls mit meinen politischen Freunden für außerordentlich glücklich, daß es überhaupt zu dieser Fragestellung kommen konnte und daß wir uns heute hier so sachlich und freimütig über dieses Problem unterhalten.
    Eine der Voraussetzungen im Rahmen der Verpflichtungen, im Rahmen unserer geographischen Lage und im Rahmen der Aufgabe, die dem deutschen Volk in dieser Welt gestellt ist, wäre, daß wir nach dem furchtbaren Desaster von 1945, innenpolitisch gesehen, endlich auch zu einer sachlichen, aber auch kritischen Wertung unserer Geschichte zurückkehren. Eine solche sachliche Wertung und ein Bekentnis zu unserer eigenen Geschichte sind nach der Auffassung meiner Freunde überhaupt die Grundvoraussetzungen für das Funktionieren der
    Gemeinschaft, in die wir uns selbst gestellt haben. Daß wir diese Gemeinschaft haben, ist zweifellos ein Erfolg der Politik, die die Regierungsparteien, die nun einmal in der Verantwortung gestanden haben, getrieben haben, und ist — ich will das ganz offen zugeben — selbstverständlich auch, wenn Sie so wollen, ein Teil glückliche Fügung, wie sie sich in den Zeitläuften der letzten Jahre ergeben hat, woran wir teils teilhaben, teils auch nicht. Eins steht fest: Die Tatsache, daß es uns gelungen ist, im europäischen Raum nicht nur eine formale Integration und auch nicht nur ein formales Bündnis, sondern eine wirkliche Freundschaft mit allen Völkern, mit denen wir uns jahrzehntelang oftmals blutig zerstritten haben, herzustellen, die Tatsache, daß wir nach dem total verlorenen Kriege heute vor dem Faktum stehen, daß wir wieder nicht nur bei diesen, sondern auch bei anderen Völkern der Welt Vertrauen haben, ist — ich möchte wirklich das Wort wagen — als wunderbar zu bezeichnen. Die Politik, die oft Unmögliches — auch Unmögliches im negativen Sinne — fertigbringt, hat hier fast ein Wunder vollbracht. Man sollte bei allen außenpolitischen Betrachtungen niemals daran vorbeigehen, daß zum mindesten in unserem europäischen Raum ein Musterbeispiel dafür geschaffen wurde, wie auch die gesamte übrige Welt friedlich miteinander auskommen könnte.
    Wenn ich sagte, daß die europäische Gemeinschaft, in der wir uns befinden, mehr ist als nur ein militärisches oder wirtschaftliches Bündnis, dann, glaube ich, sollte ich hinzufügen, daß sie ein geballtes Bekenntnis zum Frieden und zur Freiheit ist.
    Diese beiden aber, Frieden und Freiheit, sind — das ist hier im Hause sehr oft festgestellt worden, muß aber den Lauen und Ungläubigen draußen immer wieder gesagt werden — die unabdingbare Voraussetzung für unser Selbstbestimmungsrecht und für das Recht auf Heimat, wie es von allen demokratischen Parteien in unserem Lande vertreten wird. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die weltweite Auseinandersetzung, in der wir heute stehen, nicht zuletzt auch um diese Begriffe geht, wobei selbstverständlich militärische und andere Gegebenheiten eine wesentliche Rolle spielen.
    Für diesen Frieden und für diese Freiheit haben auch nach dem Kriege einmal deutsche Männer in Berlin geblutet. Ich glaube, es geziemt sich durchaus, an dieser Stelle dieser Tatsache zu gedenken. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, meine Damen und Herren, daß ich mich manchmal für meine Landsleute schäme, die es für richtig halten, den Tag des Gedenkens an jene Vorkommnisse zu einem zweiten Vatertag herabzuwürdigen.

    (Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, wir würden den Idealen, die wir vertreten, einen wirklichen Dienst erweisen und brauchten uns und unserer Landsleute und auch der Experten, die bereits jahrelang hin und her überlegen, wie man das ändern könnte, nicht zu schämen, wenn wir selbst kurz und bündig zur Tat schritten und das täten, was an sich längst jeder weiß, wozu sich aber noch nicht genügend Männer und Frauen aufgerafft haben, nämlich dieses historische Gedenken so zu gestalten, wie es sich gehört. Und was wäre einfacher als das? Ich glaube erlauben Sie mir bitte, meine Damen und Herren, diese Abschweifung im Rahmen der Debatte —, dieser Tag als ein normaler Arbeitstag und, auf die Gefahr hin, von diesem oder jenem an verflossene Zeiten erinnert zu werden, ein Stillstand der Menschen, der Maschinen, der Bahnen und dazu die Sirenen der Schiffe und Fabriken, das würde jeden Bürger unseres Staatestes zumindest zwei Minuten im Jahre an das gemahnen, was damals in Berlin geschehen ist. Die Verantwortlichen sollten endlich den Mut haben, das zu tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den verflossenen Jahren mancherlei Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen und sie auch vor unserem Volke vertreten müssen, und wir müssen uns, glaube ich, darüber im klaren sein, von links bis rechts, daß wir das in Zukunft erst recht werden tun müssen. Wir werden sie nicht nur zur Kenntnis nehmen müssen; nein, wir werden als verantwortliche Männer und Frauen dieses Staates dem Volke klarmachen müssen, daß diese Unbequemlichkeiten auch ertragen werden können. Und worauf ist das nicht zuletzt zurückzuführen? Es ist u. a. darauf zurückzuführen, daß der sowjetische Ministerpräsident in großartiger Manier der gesamten Welt abwechselnd Zuckerbrot und Peitsche bietet und daß auch bei der Frage des Zusammenlebens des Kommunismus mit dem Kapitalismus einmal diese und einmal



    Schneider (Bremerhaven)

    jene Lesart eine Rolle spielt, daß aber, glaube ich, eine der berufensten, wenn nicht überhaupt die entscheidende Lesart kürzlich über Radio Moskau wieder verbreitet wurde, jene Lesart, die wir uns alle bei unserem Zusammenleben und bei unseren politischen und außenpolitischen Entscheidungen stets vor Augen halten sollten, wenn wir wichtige Beschlüsse und Entschlüsse zu fassen haben. Radio Moskau hat nämlich zur Frage der Koexistenz gesagt:
    Der Weg der Normalisierung der internationalen Beziehungen kann nicht über eine Aussöhnung der Ideologien und über eine Absage an unsere Grundsätze verlaufen. Kommunisten können auf den Kampf für den Sieg der Diktatur des Proletariats nicht verzichten. Sie können nicht verzichten auf den Kampf für die Umwandlung des privaten kapitalistischen Besitzes in einen staatlichen. Denn auf den ideologischen Kampf zu verzichten, würde bedeuten, freiwillig den Platz an die bürgerliche Ideologie abzutreten. Unsere sozialistische Ideologie ist ein Abbild der unbestreitbaren Tatsache, daß die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft in der ganzen Welt unvermeidlich ist.
    Meine Damen und Herren, wenn man das heute draußen den Menschen vorstellt, gibt es immer wieder Leute, die einem entgegenhalten, daß solche Argumente zu billig seien und daß man ein Kommunistenfresser sei. Nun, wenn Sie so wollen — ich bekenne mich ehrlich dazu, daß ich einer bin,
    weil ich für mich jedenfalls 'die völlige, totale Bedrohung erkenne und mich ihr leidenschaftlich entgegenstelle, die etwa 'daraus entstehen könnte, wenn ein Prozeß der Aufweichung im Laufe jenes Zeitablaufs, den die Kommunisten sich gesetzt haben, eines Tages Platz griffe.
    Ich glaube, es ist eine unserer vornehmsten Aufgaben, auch auf diese Unbequemlichkeit und ihre Folgerungen hinzuweisen und die Resignation im Volke aufzuhalten und zu neuen Anstrengungen aufzurufen. Ich glaube, ein gutes Stück 'dieser Arbeit hat uns der sowjetische Ministerpräsident in Paris abgenommen, als er jene bekannte Konferenz zum Platzen brachte. Wenn es nicht in einer Weise so gefährlich und so bedauerlich wäre, so möchte man auf der anderen Seite fast Befriedigung darüber empfinden, daß durch ,dieses Ereignis der gesamte Westen und auch eine übrige Welt aus ihrer Lethargie aufgescheucht wurden.
    Hier wurde vorhin gesagt, daß die Kreml-Astrologie seit 43 Jahren eine schwierige Angelegenheit sei. Dem will ich gern beipflichten. Allerdings muß ich bekennen: ich persönlich bin, wie mir kürzlich eine große Tageszeitung bescheinigte, von schlichter Denkungsart und möchte mir deswegen meine eigenen Gedanken darüber machen; und die sind einfach so: Ich glaube nicht — und auch meine politischen Freunde nicht —, daß es etwa chinesische Einflüsse oder gar der Flug der U 2 gewesen seien, die Herrn Chruschtschow veranlaßt haben,, jene Szene in Paris zu vollführen, sondern daß es ganz schlicht und einfach jene Entschlossenheit unserer
    Bündnispartner war, wie sie auf der Pariser Konferenz zum Ausdruck kommen sollte, nachdem die Außenministerkonferenz in Washington sich eindeutig auf diese klare Linie festgelegt hatte.
    Es darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß eben jener Außenministerkonferenz von vielen Seiten Vorwürfe wegen ihrer starren und unbeugsamen Haltung, wegen Mangels an Phantasie gemacht wurden, weil ihr nichts anderes eingefallen sei, als die alten Vorschläge gegebenenfalls auf den Tisch zu legen. Ich möchte für meine Freunde erklären: wir sind dankbar dafür, daß man sich nicht irgendwelchen Phantasiegebilden hingegeben, sondern jenen klaren Standpunkt eingenommen hat, den wir von unseren Bündnispartnern in diesen Fragen stets erwartet haben. Es geziemt uns durchaus, ihnen von dieser Stelle aus dafür noch einmal ausdrücklich Dank zu sagen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, diese Haltung ist nicht zuletzt auch aus der einfachen klaren Erkenntnis entsprungen —nicht nur wegen der latenten andauernden Bedrohung Berlins und auch der Zone, ja, wir können sagen, des gesamten Weltfriedens, sondern auch auf Grund der ideologischen Verflechtungen und Ziele
    daß sich an den Zielen der Kommunisten eben nichts geändert hat. Allein schon aus diesem Grunde bestand also gar keine Veranlassung, etwas an- deres in Aussicht zu nehmen.
    Wer 'das immer noch nicht glaubt, sollte sich mancherlei Aussprüche dies sowjetischen Regierungschefs in Erinnerung rufen. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich einige seiner Äußerungen verlesen. Er hat u. a. einmal gesagt:
    Wenn jemand glaubt, unser Lächeln bedeute auch, daß wir die Lehren von Marx, Engels und Lenin aufgegeben hätten, dann täuscht er sich schwer. Die auf eine solche Preisgabe warten, könnten ebensogut darauf warten, daß die Krabben das Pfeifen lernen.
    Bei anderer Gelegenheit sagte Chruschtschow:
    In Fragen der Ideologie standen wir und werden wir fest stehen wie ein Fels.
    Jeder Bolschewist aber, der in Fragen der Ideologie fest steht wie ein Fels, das ist Ihnen bekannt, bekennt sich damit zu all den Zielen, die Lenin dem Weltbolschewismus gesetzt hat, u. a. zu den Aussprüchen: „Die Weltrevolution hat dann gesiegt, wenn die rote Fahne über Peking und Berlin weht" und „Wer Deutschland hat, hat Europa".
    Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren ist im Rahmen der Auseinandersetzungen um unsere Außenpolitik viel vom Kalten Krieg die Rede gewesen. Ich habe in der letzten außenpolitischen Debatte zwar freimütig bekannt, daß der Begriff und die Tatsache des Kalten Krieges äußerst unbequeme Angelegenheiten für die deutsche Öffentlichkeit, ja, ich möchte sogar sagen, auch für unsere Verbündeten, sind; ich habe aber auf der anderen Seite darauf hingewiesen, daß sich einer Täuschung hingibt, wer glaubt, daß der Kalte Krieg zu Ende sei. Ich glaube, ich darf es, ohne es groß untermau-



    Schneider (Bremerhaven)

    ern zu müssen, auch heute wieder aussprechen: Der Kalte Krieg dauert an. Es nützt kein Jammern darob, daß er andauert. Wir sollten ihn einfach zur Kenntnis nehmen, sollten die Konsequenzen daraus ziehen, sollten ihn insonderheit auch ertragen können und sollten uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, besonders nicht immer gegenseitig den Spiegel vors Gesicht halten und die Forderung aufstellen, den Kalten Krieg zu beenden. Denn es sind ja gar nicht wir, die ihn machen. Die ihn machen, sollen ihn beenden. Auch das muß einmal deutlich gesagt werden.
    Wenn wir aber schon in einem solchen Zustand zu leben gezwungen sind — und daran sind wir zumindest nur zum Teil schuldig —, dann sollte auch Klarheit darüber bestehen, daß wir in unserer Sache fest sein müssen, daß wir in der Taktik geschmeidig und unnachgiebig in Sachen der Landesverteidigung sein müssen. Ich glaube jedenfalls, daß nicht zuletzt diese gemeinsamen Anstrengungen auf diesen drei Gebieten in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, daß wir uns überhaupt noch in Freiheit hier versammeln und miteinander sprechen können und nicht ein furchtbares Unglück über Europa und die Welt gekommen ist.
    Um noch etwas zur Landesverteidigung zu sagen, möchte ich hier ausdrücklich feststellen — vielleicht gehört auch das zu einer Bestandsaufnahme —, daß nur das eindeutige Bekenntnis zur Landesverteidigung mit allen materiellen und ideellen Konsequenzen und nur das eindeutige Bekenntnis zum Bündnis den Bestand und die Freiheit dieses Lebensraumes auch weiterhin zu sichern vermögen. Bekenntnisse allgemeiner Art, die nur auf die soziale Betreuung unserer Soldaten oder auf eine Einschränkung einer entsprechenden waffenmäßigen Ausrüstung oder gar auf eine Einschränkung unseres Bündnisses abzielen, das allein bekanntermaßen uns Frieden und Freiheit garantiert, sind wertlos und können nur dazu führen, daß diejenigen zum Diktat herausgefordert werden, die schon lange darauf warten, uns ihrem Diktat zu unterwerfen.
    Ich darf abschließend dazu sagen: Wenn man den Mut zur Freiheit hat, muß man auch den Mut zu der Politik haben, die diese Freiheit sichert, und zwar ohne jede Einschränkung. Wir wissen alle, daß es in erster Linie das Gleichgewicht der militärischen Kräfte gewesen ist, das es uns ermöglicht hat, unseren Staat in einiger Gesichertheit wieder-aufzubauen. Wir wissen alle — so bedauerlich und so unbequem das auch für den einzelnen und für eine breite Öffentlichkeit sein mag —, daß das Gleichgewicht ,der militärischen Kräfte zur Zeit jedenfalls noch die Voraussetzung ist für die Sicherung der Freiheit und für jede Art erfolgreicher Verhandlungen, damit uns die Sowjetunion nicht irgendwelche Lösungen aufzwingt, die wir nicht wollen.
    Ich glaube, es war der Kollege Majonica, der heute morgen schon das Beispiel des japanischen Ministerpräsidenten angeführt hat. Dieser Mann hat ,den Mut gehabt, die Politik auch zu vertreten, die ihm das sicherte, was er mit seiner Politik bezweckt, nämlich die Freiheit für sein Land. Es
    geziemt sich vielleicht, auch von dieser Stelle aus einem so mutigen Manne ausdrücklich Anerkennung zu zollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer aber auch das wieder nicht glaubt, sollte sich jener Äußerungen erinnern, die immer wieder in sowjetischen Presseorganen, Rundfunkmeldungen usw. auftauchen. Eine der jüngsten Meldungen liegt mir vor. Die „Sowjetskaja Armija" schreibt:
    Die Sowjetsoldaten müssen im Geiste eines glühenden Hasses gegen die Imperialisten erzogen werden. Es ist unbedingt erforderlich, die modernen Waffen stets einsatzbereit zu halten.
    Meine Damen und Herren, ich frage: woher nehmen diejenigen, die solche Worte schreiben oder prägen, die Berechtigung, anderen Vorhaltungen zu machen, die da alles Mögliche tun wollen, um sich vor einem eventuellen Losgehen dieser Waffen zu schützen?
    Es ist geradezu lächerlich, wenn die Pankower Marionettenregierung das Märchen in die Welt setzt, ,daß wir mit der allgemeinen Wehrpflicht und der Wiederbewaffnung einen Agressionskrieg oder Blitzkrieg gegen sie selbst bzw. gegen den Osten überhaupt planten. Man kann über solche Behauptungen zur Tagesordnung übergehen; denn auch den Herren in Pankow kann es nicht entgangen sein, daß der Westen in den letzten zehn Jahren durchaus Zeiten militärischer Überlegenheit gehabt und seine Friedfertigkeit eindeutig dadurch bewiesen hat, daß er von diesen militärischen Möglichkeiten trotz aller Bedrohungen aus dem Osten nicht ein einziges Mal Gebrauch gemacht hat.
    Ich stehe auf der anderen Seite nicht an, auch freimütig zusagen, daß wir unter diesen Umständer selbstverständlich ständig, täglich, ja stündlich auf einem Pulverfaß leben. Welcher verantwortliche Politiker, wo immer er stehen mag, könnte über diese Tatsache zur Tagesordnung übergehen? Und wie furchtbar ist es, zu wissen, daß die Auslösung einer Katastrophe zu irgendeiner Stunde unter Umständen einem menschlichen oder technischen Versagen zugeschrieben werden kann, wobei dieser Tatbestand unerheblich wäre angesichts dessen, was sich dann auf unserem Stern ereignen würde. Auf der einen Seite ist das militärische Gleichgewicht notwendig, um die Waffen schweigen zu lassen, auf der anderen Seite sind aber Möglichkeiten des Versagens vorhanden, die diese Waffen doch zum Sprechen bringen können. Hier ist jene Grenze erreicht, an der es wichtig ist, daß sich alle Verantwortlichen in der Welt Gedanken darüber machen, wie durch eine allgemeine kontrollierte Abrüstung diese Spannung und damit diese Gefahr abgewandt werden kann. Die Entspannung muß auch schon deswegen Platz greifen, damit wir unser eigenes nationales Problem Nummer 1, nämlich das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen und das Selbstbestimmungsrecht für unsere Berliner, zu lösen vermögen.
    Der Kollege Wehner hat recht. Er hat heute morgen hier gesagt, Herr Chruschtschow habe eine Frist von sechs bis acht Monaten gesetzt; wir könn-



    Schneider (Bremerhaven)

    ten gewärtig sein, daß er diese Frist dazu nutzen werde, uns mit neuen Überraschungen zu kommen. Auch meine politischen Freunde sind dieser Meinung, und ich befürchte, je näher die amerikanischen Präsidentschaftswahlen kommen, um so gefährlicher wird es werden, weil sich die Sowjets nicht scheuen werden, diesen und jenen Test zu machen, um einmal festzustellen, wie weit sie in der Provokation der westlichen Welt gehen können, ohne riskieren zu müssen, daß es deswegen vielleicht doch zu einem totalen Krieg kommt.
    Trotz des Scheiterns der letzten Konferenz und trotz des mäßigen Ausgangs aller voraufgegangenen Konferenzen sind meine Freunde der Meinung, daß weitere Gespräche und Konferenzen selbstverständlich stattfinden werden und auch müssen, und daß die Frage, ob die Probleme der Welt besser auf solchen Konferenzen oder auf dem Wege der Geheimdiplomatie gelöst würden, in einem solchen Augenblick mehr akademischer Natur ist; denn die Menschheit wartet schlicht darauf, daß die Probleme gelöst werden, ehe es zu spät ist.
    Ich bin kaum besorgt, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß etwa das Thema Deutschland bzw. Berlin bei solchen Gesprächen oder Konferenzen nicht einen sehr wesentlichen Platz auf der Tagesordnung haben würde. Es soll aber niemals in Frage gestellt sein, daß die Unversehrtheit unseres Raumes, die Unversehrtheit Berlins und letzten Endes — weil im Augenblick nicht mehr zu erreichen ist — die Unversehrtheit des Status quo zumindest gesichert sein muß, wenn es schon nicht gelingt, Schritte nach vorwärts zu tun.
    Meine Damen und Herren! Nicht nur, um nicht in den Verruf zu kommen, daß ich lediglich den militärischen Dingen das Wort redete, sondern auch aus der ganz nüchternen Erkenntnis heraus, daß sich mancherlei politische Auseinandersetzungen heute bereits auf andere Gebiete verlagert haben, darf ich es mir nicht versagen, auch hier darauf hinzuweisen, daß wir in dem Wettlauf, der in wirtschaftlicher Hinsicht gestartet worden ist, selbstverständlich werden mithalten müssen, so unbequem und so teuer dies auch sein mag. Es würde auch eine geistige Verkrustung bedeuten, wenn sich etwa die Vorstellungen darüber, wie wir unsere Sicherheit und Freiheit erhalten können, lediglich auf das militärische Gebiet beschränkten. Die wirtschaftliche Integration Europas, die in den letzten Jahren — von der Öffentlichkeit teilweise mehr oder weniger unbeachtet — sehr große Fortschritte gemacht hat, und auch die Frage der Entwicklungshilfe für bestimmte Länder sind zwar auf der einen Seite ein wesentlicher Faktor des Kalten Krieges, auf der anderen Seite sind sie aber auch ein wesentlicher Faktor, um zu den Möglichkeiten einer Entspannung zwischen den Völkern und Blöcken beitragen zu können. Wir als Deutsche sind selbstverständlich aufgerufen — wenn dies auch wieder unbequem ist —, hieran mitzuwirken, und zwar sowohl aus Gründen der Vernunft als auch aus Gründen der Moral, denn wir haben in weiten Teilen der Entwicklungsländer nicht nur einen guten Ruf zu verlieren, sondern wir haben auch neue Freunde zu gewinnen.
    Daß das besonders wichtig ist in einem Augenblick, in dem wir um unser Selbstbestimmungsrecht, um jenes primitivste Recht, das jedem Volk auf dieser Welt zusteht, kämpfen, sollte von diesem Hause, sollte von der Regierung und sollte auch von der deutschen Öffentlichkeit, die sich heute noch zu einem Teil dagegen wehrt, daß wir in diese Dinge überhaupt einsteigen, nicht übersehen werden. Eine unserer vornehmsten Aufgaben wird es sein müssen, der deutschen Öffentlichkeit klarzumachen, daß es trotz mancher Opfer, die von ihr auf diesem Gebiete ver- langt werden, einfach unabdingbar ist, wenn wir nur den Grad unserer Freiheit erhalten wollen, den wir im Augenblick haben. Das ist aus moralischen Gründen unabdingbar, das ist aber auch unabdingbar, wenn wir in jener großen Auseinandersetzung, in die wir nicht durch unsere Schuld hineingestellt worden sind, bestehen wollen. Sicherlich werden die Früchte eines solchen Opfers nicht von heute auf morgen geerntet werden können. Auch das muß der deutschen Bevölkerung klargemacht werden; denn wir dürfen nicht, was heute leider oftmals schon viel zu sehr der Fall ist, einfach in den Tag hinein leben, sondern wir müssen auch an die zukünftige Gestaltung unseres deutschen Schicksals denken.
    Meine politischen Freunde sind in den vergangenen Jahren realistisch genug gewesen, selbstverständlich auch die berechtigten Sicherheitswünsche und Interessen der Sowjets anzuerkennen, in der klaren Erkenntnis, daß wir unsere nationale Frage Nr. 1 nicht gegen die Sowjets, sondern letztlich nur mit ihnen werden lösen können.
    Selbstverständlich sind die Auseinandersetzungen zwischen den Chinesen einerseits und den Russen andererseits — es mag vielleicht verfrüht sein, darüber schon etwas zu sagen; aber ein kurzes Wort sei in dem Zusammenhang gestattet bei uns auf große Beachtung gestoßen. Ich nehme an, daß es Ihnen nicht anders gegangen sein wird. Hier zeichnet sich ein neuer Aspekt der Weltpolitik ab, mit dein wir eines Tages so oder so zu tun haben werden. Wir geben uns dabei keinen Illusionen hin. Schließlich Bandelt es sich in beiden Fällen um kommunistische Staaten. Ich glaube aber, daß die Sowjetunion eines Tages einmal den Zeitfaktor, den sie auch jetzt noch gegen uns ins Feld führt, um ihre Ziele durchzusetzen, in anderer Hinsicht selbst beachten muß. Sie wird die Entwicklungen im Fernen Osten nicht außer acht lassen können. Auch das ist eine realistische Betrachtungsweise.
    Gewiß, als Angehöriger einer Regierungspartei gebe ich zu, daß sich manche unserer Hoffnungen in den letzten zehn Jahren nicht erfüllt haben und unter Umständen auch in absehbarer Zeit nicht erfüllen werden, genauso wie sich manche Hoffnungen, deren Verwirklichung wir schon sehr nahe standen, wieder zerschlagen haben. Ich glaube aber, es ist kein Hochmut und keine Rechthaberei, wenn ich insgesamt feststelle, daß wir als die Verantwortlichen das beste aus der Situation gemacht oder, für unsere Kritiker, zu machen versucht haben. Ich will gar nicht einmal sagen, daß unsere Politik völlig richtig oder allein richtig gewesen ist. Es sind von der anderen Seite da und dort vielerlei Bausteine



    Schneider (Bremerhaven)

    mit hinzugefügt worden. Aber in der grundsätzlichen Linie — das dürfen wir als Regierungsparteien für uns in Anspruch nehmen — haben wir den Kurs angegeben und ihn klar durchgehalten, und das hat sich, zumindest bis zur Stunde, ausgezahlt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt keine Außenpolitik mit dem Rechenschieber. Deshalb ist es richtig, wenn einer meiner Herren Vorredner hier gesagt hat, es habe keinen Zweck, dieses oder jenes Detail wieder auszugraben oder über dieses oder jenes Detail in der Zukunft zu sprechen; die Entwicklungen würden erst endgültig beweisen, was richtig und was falsch gewesen sei. Soweit wir in einer so wichtigen Materie sehen und planen können, haben wir, glaube ich, das getan, was wir auf Grund der Verantwortung vor unserem ganzen Volk tun mußten. Angesichts der Stellung, die die Bundesrepublik innerhalb der freien Völkergemeinschaft wieder einnimmt, kann ich wohl sagen: Wir haben es gut getan.
    Der Kollege Mende hat in seiner Rede das Thema der Ostblockstaaten angeschnitten. Sie erinnern sich vielleicht, daß mein Freund von Merkatz dieses Thema schon vor Jahren einmal behandelte, als es noch absolut tabu war, und konkrete Vorschläge machte, die dann auf Grund der politischen Entwicklungen nicht realisiert werden konnten. Der Herr Kollege Mende hat bei einer anderen Frage vorsichtshalber gesagt: Ich will mich von den Sozialdemokraten absetzen, damit ich nicht in den Geruch komme, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen; 1 das werden Sie verstehen; genauso werden auch die Sozialdemokraten bemüht sein, ihrerseits ihr eigenes und nur ihr eigenes Gesicht zu zeigen.

    (Abg. Dr. Mende: Historische Wahrheit! Nur darum geht es!)

    — Aber, Herr Kollege Mende, ich kritisiere das ja gar nicht, sondern ich wollte jetzt fortfahren: Sie werden mir deswegen nicht verübeln, daß ich in Fortsetzung einer damals von uns aufgenommenen Idee, eines Planes, eines Vorschlages — nicht etwa in Verfolgung des Vorschlags, den Sie genannt haben; ich hätte das jetzt nicht bemerkt, wenn Sie nicht dazwischengerufen hätten — die Bundesregierung bei der weiteren Erörterung der außenpolitischen Planungen auch bitten möchte, zu erwägen, inwieweit es vielleicht momentan opportun sein könnte, eine gewisse Auflockerung unter dem Gesichtspunkt Platz greifen zu lassen, daß Isolierungen, die diesen Staaten von kommunistischer Seite gezwungenermaßen bereitet worden sind, von uns nicht noch weiter verstärkt werden sollten, insbesondere was unseren unmittelbaren Nachbarn Polen betrifft.
    Was können wir noch tun, meine Damen und Herren? Meine Freunde und ich sind realistisch genug, zu wissen, daß es eine eigene außenpolitische Initiative, eine eigene nationalstaatliche Art, wie das früher üblich war, in dieser Welt und bei dieser Sachlage nicht geben kann. Trotzdem können wir noch einiges tun. Wir können beispielsweise verstärkt kulturelle Kontakte pflegen. Wer sagt denn, daß die europäische Kultur heute etwa schon
    an der Elbe endet? Wer sagt auf der anderen Seite, daß nicht eines Tages auch ein eiserner Kulturvorhang heruntergehen wird? Dann wäre es zu spät. Sorgen wir doch dafür, daß wir in dieser Hinsicht ebenfalls, getragen von dem und vor allen Dingen überzeugt von dem, was wir als freie Menschen zu vertreten haben, mehr tun als bisher!
    Sorgen wir auch dafür im Auslande, daß das überholte Bild der Deutschen, wie es oftmals von unseren eigenen Verbündeten noch in Fernsehsendungen oder sonstwo gezeichnet wird, revidiert werden kann. Sorgen wir auch dafür, daß insonderheit die kommunistische Darstellung über dieses Deutsch-
    land und über seine Menschen im Ausland widerlegt werden kann! Warum überlassen wir es den kommunistischen Kulturzentren mehr oder minder, de Meisterwerke deutscher Dichter und Komponisten dem Ausland zu präsentieren und zu interpretieren? Auch hier ist, glaube ich — die Kollegen, die sehr viel im Ausland gereist sind, Werden es mir bestätigen —, ein weites und wichtiges Feld für eine eigene deutsche Initiative.
    Was die Entwicklungshilfe betrifft — ich hatte vorhin bereits nähere Ausführungen darüber gemacht —, so gehört sie mit hinein in das Thema der Frage, was wir tun können. Ich will mich darauf beschränken, noch einmal festzustellen, daß die Entscheidung über Freundschaft oder Gegnerschaft mit denjenigen, denen da geholfen werden soll, in dieser zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts fällt. Ich wage sogar zu sagen: da auch die Deutschen immer irgendetwas brauchen, woran sie sich orientieren können, und da ich genau wie wahrscheinlich Sie allenthalben höre, es gebe nichts, an dem man sich hier orientieren könne, — hier wäre beispielsweise ein wirkliches Ideal, wenn man sich schon nicht mehr an dem Ideal — offenbar ist das in unserem Vaterland nur sehr schwer möglich, weil es zu abstrakt ist — der Freiheit zu begeistern vermag.
    Ein Weiteres können wir gegen die Auslandspropaganda tun. Sie erinnern sich vielleicht, daß ich bereits in der Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes auf diesen Punkt hingewiesen habe, und zwar auf Grund von Informationen, die mir von bestimmter Seite über ein bestimmtes Land zugegangen waren. Der Herr Bundesaußenminister hat damals diese Frage mit einer Handbewegung abgetan, indem er sagte: Ich lehne es ah, die diplomatischen Vertretungen zu. Propagandazentralen zu machen. Abgesehen davon, daß dies von mir weder gesagt noch gemeint war, kann gerade dieses Feld in Zukunft nicht so unbeackert bleiben, wie es bisher der Fall gewesen ist. Ich weiß, es ist sehr schwer für den Haushaltsausschuß, und ich weiß, es ist sehr schwer, einmal vorgefaßte Meinungen zu beseitigen. Ich weiß, daß die Skepsis im Anfange jedenfalls viel stärker ist als die Überzeugungskraft. Aber ich sage Ihnen: Wenn wir unseren Platz, den wir da und dort errungen haben, behaupten wollen und wenn wir dem Ausland klarmachen wollen, was mit diesem Land wirklich ist und wie diese Menschen denken, fühlen und leben, und wenn wir dem Ausland noch mehr klarmachen wollen, wie es um



    Schneider (Bremerhaven)

    die Zweiteilung unseres Vaterlandes und wie es um die Frage Berlin aussieht, dann werden wir nicht darum herumkommen, mehr in Fragen der Auslandspropaganda zu tun. Das ist schon nötig angesichts der Tatsache, daß sich die sogenannte Deutsche Demokratische Republik längst angeschickt hat, mit einem Massenaufwand von Personal und Geld dafür zu sorgen, daß d a s Bild von Deutschland draußen gezeichnet wird, das ihr in den Kram paßt. Und da können wir als verantwortliche Politiker einfach nicht zurückstehen, und wir können uns insonderheit bei dieser Frage auch nicht etwa daran orientieren, daß es einmal ein Propagandaministerium unter Goebbels gegeben hat; sondern wir können uns allein daran orientieren, ob es einen Nutzeffekt hat und ob es unserem Lande nutzt und frommt, daß wir das Ausland über uns sachlich und
    vernünftig aufklären. Das allein, glaube ich, darf und kann Richtschnur sein.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch ein Weiteres zur Propaganda. Mir sagte kürzlich ein Auslandsreisender, ein sehr prominenter Beamter: „Ich habe in Süditalien und in Südfrankreich auf meiner Reise die Zonensender hören müssen, weil die deutschen Sender nicht zu hören waren. Aber da ich etwas von Politik verstehe, war ich natürlich in der Lage, die Meldungen von Ost auf West umzudenken."

    (Lachen bei der SPD.)

    — Ja, wenn es nicht zum Weinen wäre, möchte man
    darüber lachen. Es ist aber schließlich wirklich nicht
    zum Lachen, sondern es sollte auch hier Veranlassung
    für alle sein, darüber nachzudenken, wie wir solchen ausgesprochenen Übelständen steuern können.
    Noch ein Weiteres können wir tun. Wir können die Kontakte unter den Deutschen selbst sehr viel mehr verstärken. In der Hast dieses Hauses, bei der Vielzahl der Dinge, die wir zu beraten haben, bei der Vielzahl der Probleme, die auf uns zukommen, verbleibt immer wieder ein menschliches Problem auch bei solchen Erörterungen wie heute, weil natürlich auch über die Frage des Wie und Ob hier gestritten und diskutiert werden muß, nämlich das Problem, wie man jene Kontakte mit den Menschen drüben erhalten und mehr forcieren kann, als es zur Zeit noch der Fall ist. Die Zeitung „Christ und Welt" hat in einem ausgezeichneten Artikel „Die kleine Straße", den ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle, vor einiger Zeit sehr richtig gesagt, daß man statt der vielen Pläne, die in den letzten Jahren vorgelegt worden seien und immer wieder noch vorgelegt würden, die menschlichen Begegnungen mehr forcieren müsse, da die Deutschen ein lebendiger Körper von ungeheurer Widerstandskraft seien, dessen Blutbahnen sich immer wieder verbinden, auch wenn sie da und dort unterbrochen werden. Der Verfasser fuhr fort, daß den Bundesbürgern sehr viel mehr als ein Stufenplan und Punkt 1, 2, 3 irgendeines Plans interessiere, ob er seine Eltern oder Verwandten in Swinemünde oder in Schwerin besuchen könne.

    (Abg. Frau Kalinke: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, werten Sie diesen Hinweis, wie Sie wollen. Ich glaube, daß tatsächlich über alle Schikanen und über alle Zwangsjacken hinweg, die uns Deutschen auferlegt sind, diese menschlichen Kontakte in erster Linie das sind und sein müssen, was uns unverrückbar zusammenhält.
    Und noch eins: Warum sollten wir nicht noch einmal prüfen, ob wir — auf welchem Wege auch immer, da brauchen nicht Bonner Minister mit angeblichen Pankower Ministern zu verhandeln — es uns bei der Sache, die wir zu vertreten haben, nicht leisten können, einen stärkeren Austausch von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften durchzuführen. Ich wage zu behaupten, wenn es die Möglichkeit gäbe, ostzonale Presseerzeugnisse an den Kiosken der Bahnhöfe und Städte zu kaufen, würde man wahrscheinlich in den ersten vier Wochen — wenn es hochkommt — in Westdeutschland einen Run auf diese Machwerke erleben. Das würde höchstens vier Wochen dauern, und danach würde man sich für diese Dinge überhaupt nicht mehr interessieren.
    Ich weiß, es ist schwierig, diese Dinge in Gang zu bringen. Aber wo finden sich ein paar mutige Männer, wenn es sein muß aus der privaten Wirtschaft oder aus der privaten Initiative, die dafür sorgen, daß diese menschlichen Kontakte — denn es sind letzten Endes auch menschliche Kontakte — eine stärkere Pflege erfahren. Darum fragt „Christ und Welt" mit Recht: Warum kann ein Studentenaustausch nur darin bestehen, daß nur eine sehr begrenzte Zahl Ostberliner Studenten überhaupt im Bundesgebiet studieren kann, statt dessen aber eine sehr große Zahl ausländischer Studenten, gegen die ich nichts habe, an unseren Hochschulen studieren? Angesichts dieses Problems muß ich sagen, es wäre sehr viel richtiger, erst einmal zu versuchen, eine möglichst große Zahl unserer Studenten nach drüben zu schicken und eine möglichst große Zahl ostzonaler Studenten herüberholen zu können.
    Die Tatsache, daß das im Augenblick vielleicht in diesem Raum nicht realisierbar erscheint oder daß es Skepsis hervorruft, sollte uns — das ist hier dankenswerterweise von meinen Vorrednern auch schon gesagt worden nicht von vornherein davon abhalten, solche Dinge immer wieder zu versuchen, um dadurch das System des Zwanges und des Terrors zu unterlaufen. Zwei Auffassungen stehen sich gegenüber: wir mit unserer fortschrittlich-konservativen Auffassung vom Menschen, der sich im Grunde nicht ändert, und der Kommunismus, der die gegenteilige Auffassung vertritt, der glaubt, er könne durch Zwangsjacke und Terror den Menschen schließlich doch ändern. Ich wage zu behaupten, daß wir die rechte Auffassung vertreten, und deswegen haben wir Aussicht, solche Dinge zu verwirklichen. Hier ist auch ein Ansatzpunkt für eine Gemeinsamkeit in der Politik.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas über die Frage der gemeinsamen Außenpolitik sagen, die in den letzten Wochen durch den Blätterwald gegeistert ist und von der heute die Rede war. Ich glaube, ich habe ein gutes Alibi als Vertreter meiner Partei, wenn ich noch einmal daran erinnere, daß ich nach jener unerfreulichen außenpolitischen Debatte des Deutschen Bundestages im Jahre 1958 als Sprecher



    Schneider (Bremerhaven)

    meiner Partei öffentlich erklärt hatte, daß es beklagenswert sei, daß nicht nur in diesem Hause, sondern speziell unter den großen Parteien, die die meiste Verantwortung tragen, Auseinandersetzungen dieser Art stattfänden, weil die Lebensfragen der Nation nicht in den parteipolitischen Hader gehören. Ich habe von diesem Wort hier und heute nichts zurückzunehmen, zumal ich festgestellt habe, daß sich die Vertreter aller Fraktionen über diese Frage nunmehr mehr oder minder einig sind. Wir bejahen eine gemeinsame Außenpolitik, aber nicht mit der Einschränkung, die der Herr Bundesaußenminister gemacht hat. Entscheidend ist nur eine richtige Außenpolitik. Zwar ist die richtige Außenpolitik zuletzt entscheidend, aber die Frage, welches die richtige Außenpolitik ist, muß schließlich erst einmal geklärt werden.

    (Unruhe.)

    — Herr Präsident, könnten Sie mir etwas Ruhe verschaffen?


Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, der Herr Redner hat Anspruch darauf, daß Sie ihm zuhören. Wenn Sie es nicht wollen, können Sie ja den Saal verlassen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Danke schön, Herr Präsident!
    Meine Damen und Herren, eine solche gemeinsame Außenpolitik ist auch nach Auffassung meiner Freunde erstrebenswert, vor allen Dingen deswegen, weil wir dann nicht der Versuchung erliegen, eine solche Politik irgendeiner Wahltaktik zu opfern. Die Ansichten über den Weg, den wir zu gehen haben -- auch ich mache in diesem Augenblick einen Strich unter das, was gewesen ist —, mögen auseinandergehen. Die Art und Weise der Darstellung allein beim Beginn einer Gemeinsamkeit ist entscheidend, und da will ich der Opposition an dieser Stelle gern das Zugeständnis machen, daß sie selbstverständlich in den verflossenen Jahren genauso wie wir alle bemüht gewesen ist, in Sorge um ,das ,deutsche Schicksal diese oder jene Maßnahme vorzuschlagen, die nach ihrer Ansicht — ich 'betone: nach ihrer Ansicht — praktikabel war. Wir waren .der Meinung, daß diese Maßnahmen nicht praktikabel seien. Wir haben mit unserer Ansicht recht behalten. Das sollte uns jedoch nicht zur Rechthaberei verleiten, sondern wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß es jetzt offenbar eine Möglichkeit gibt, sachlicher als in der Vergangenheit miteinander zu sprechen.
    Sicher ist es nicht die Schuld der Sozialdemokraten, jedenfalls nicht eine erwiesene Schuld und auch nicht eine Schuld, die sie etwa bewußt auf sich geladen haben, daß zeitweilig auch die Herren in Pankow oder sogar in Moskau gehofft haben, sie könnten aus den Divergenzen, die hier über außenpolitische Fragen entstanden sind, vielleicht eines Tages ihren Nutzen ziehen.
    Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren — auch das muß sehr deutlich gesagt werden —, daß die gegenseitigen Verdächtigungen und Vor-
    würfe jedenfalls in den Lebensfragen unseres Volkes definitiv aufhören müssen. Zu einer Bestandsaufnahme, die ehrlich gemeint ist, gehört auch die Feststellung, daß die häufige Herabwürdigung demokratischer Organe und Persönlichkeiten, vielfach auch prominenter Angehörigen der Regierung, das ständige Schüren des Eindrucks, es herrschten un- I demokratische Zustände im eigenen Land, nicht zuletzt auch das ständige Infragestellen unserer Glaubwürdigkeit als Nation und der Glaubwürdigkeit der Regierung sowie der moralischen Integrität der innenpolitischen Gegner, daß alle diese Dinge aufhören müssen, weil, wenn sie nicht aufhören, der lachende Dritte die Kommunisten aller Schattierungen sind. Ich sage es anders herum: Wer sich in diesen Fragen in Zukunft nicht auf rein sachliche Darstellungen beschränkt, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er nichts anderes tut, als dem Kommunismus Vorspanndienste zu leisten.
    Wir wollen genauso wenig wie die Opposition eine gemeinsame Außenpolitik auf sentimentaler Basis. Wir wollen auch keine Politik des, nun, sagen wir einmal, Wischiwaschi. Wir wollen eine klare außenpolitische Linie verfolgen.
    Zu den Ausführungen des Kollegen Wehner möchte ich sagen: wenn die Vorstellungen, die er hier für die Sozialdemokratische Partei entwickelt hat, ehrlich gemeint sind und wenn es gelingt, diese Vorstellungen auch in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei durchzusetzen, würde ich das als eine große Stärkung der Politik des freien Teiles Deutschlands betrachten.
    Es ist vielleicht müßig, heute noch zu untersuchen, warum auf Grund der schweren Zerwürfnisse in diesen wichtigen Fragen ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit resigniert hat. Es ist müßig, zu untersuchen, ob vielleicht auch auf Grund dieses Zerwürfnisses jene vielfältigen Entschließungen linksgerichteter Organisationen auch noch in jüngster Zeit erschienen sind. In dieser Stunde ist es vielmehr unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß auch in dieser Beziehung das Steuer herumgeworfen und die Debatte auch in diesen Organisationen und Verbänden wieder versachlicht wird. Dies ist deswegen wirklich eine nationale Aufgabe, weil unser Vaterland nach wie vor gespalten ist. Der Erfolg unserer Politik hängt zu einem erheblichen Teil von der Art und Weise ab, in der wir unsere Gegensätze austragen.
    Der Vorsitzende meiner Partei Hellwege hat auf einer Veranstaltung in Berlin kürzlich gesagt:
    Die Entscheidung zwischen Ost und West, zwischen Terror und Freiheit fällt nicht auf dem Feld der Lebenshaltung, sondern der Geisteshaltung, fällt nicht auf dem Feld des Wohlstandes, sondern der Moral, fällt nicht auf dem Feld des Verbrauchs, sondern des Verzichts.
    Meine Damen und Herren, Erschwernisse hat es für das deutsche Volk in seiner langen Geschichte, selbst wenn wir nur die letzten zehn Jahre davon nehmen, weiß Gott zur Genüge gegeben. Aber wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir uns als ein Volk in der Mitte Europas nicht einfach aus



    Schneider (Bremerhaven)

    der Geschichte und schon gar nicht aus den Verantwortungen, in die wir gestellt sind, herausstehlen können. Deswegen, so meinen meine Freunde, sollten wir den Mut zu den Verantwortungen haben, zu denen wir auf Grund dieser Stellung aufgerufen wurden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)