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ID0312201900

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    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zur Innenpolitik, in der sich Personen und Personengruppen im Kampf um die politische Macht oder um den Interessenausgleich gegenüberstehen, liegt das Wesen der Außenpolitik darin, daß Völker und Völkergemeinschaften, Staaten und Staatengemeinschaften sich in einem Miteinander, Nebeneinander oder leider manchmal auch in einem Gegeneinander als Subjekte und Objekte des Völkerrechts gegenüberstehen. Daher bemüht man sich in der Außenpolitik um eine weitestgehende Gemeinsamkeit, um die Interessen seines Volkes und Staates möglichst nachdrücklich zur Geltung bringen zu können, und stellt kleinliche, nebensächliche Fragen zurück.
    Das angelsächsische Vorbild hat uns seit Jahren ermuntert, auch für die Bundesrepublik wenigstens eine Gemeinsamkeit in den prinzipiellen Fragen der Deutschlandpolitik und der Außenpolitik zu fordern. Wir glauben, daß der bisherige Verlauf der heutigen Debatte bewiesen hat, daß es doch ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit in prinzipiellen Fragen gibt.
    Außenpolitik eignet sich andererseits nicht zu einer subtilen Behandlung vor einem Auditorium maximum von tausend Zuhörern und Zuhörerinnen,



    Dr. Mende
    sie ist ihrem Wesen nach mehr der Vertraulichkeit, mehr der Geheimdiplomatie, zugeeignet. Das Scheitern der bisherigen Propagandakonferenzen deutet darauf hin, daß auch die Staatsmänner prüfen, ob man nicht wieder reumütig zu dem alten und bewährten Institut der Geheimdiplomatie zurückkehren sollte, zumindest zu einer gründlicheren Vorbereitung der dann stattfindenden großen Konferenzen, als sie in den letzten Jahren zu verzeichnen gewesen ist. Die Organismen, in denen ein Parlament die subtilen Analysen der Außenpolitik unternehmmen kann, sind der Außenpolitische Ausschuß und, für die Sicherheitsfragen, der Verteidigungsausschuß. Es wird niemandem heute in diesem Auditorium maximum gelingen, zu überzeugen und neue Wege bis ins einzelne aufzuzeigen oder gar einen Austausch des zur Verfügung stehenden Geheimmaterials zu versuchen.
    Wenn wir bisher die Gemeinsamkeit in den prinzipiellen Fragen der Außenpolitik gefordert haben und sie auch heute fordern, dann glauben wir, daß die Bundesregierung selbst ein Interesse daran haben sollte, gewisse außenpolitische Fragen mit dem größeren Gewicht eines gemeinschaftlichen Auftretens aller Fraktionen dieses Hauses anzugehen. Es soll sogar anderswo ein geschicktes Kooperieren zwischen Opposition und Regierung dann geben, wenn die Regierung von der Opposition die Erörterung mancher Fragen wünscht, die sie selbst als Regierung glaubt nicht öffentlich erörtern zu können. Deswegen kann man den Wunsch nach Gemeinsamkeit nicht etwa mit „Gleichschaltung" gleichsetzen. Wir glauben, daß uns die nächsten Monate und Jahre genügend Anlaß geben werden, zu prüfen, ob wir eine politische Notgemeinschaft gegen die Bedrohung von außen schließen und näher zusammenrücken sollten, als das bisher sichtbar war.
    Auch in der heutigen Debatte hat es doch bei allen Sprechern in folgenden wenigen Fragen keine Differenzen gegeben. Beispielsweise in der Ablehnung jeglicher isolierter Lösungen in der Berlin-Frage! Die Berlin-Frage löst sich nur im Zusammenhang mit der Deutschland-Frage; sie ist daher auch ein Hebel zur Deutschland-Frage! Alle Fraktionen dieses Hauses lehnen Zwischenlösungen, sogenannte Interimslösungen, für Berlin ab.
    Allen Fraktionen dieses Hauses ist zweitens der Wille gemeinsam, die Einheit Deutschlands nicht um jeden Preis herzustellen, nicht um den Preis der Freiheit. Vielmehr ist Einheit für uns identisch mit den Grund- und Freiheitsrechten einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung.
    Die dritte Erkenntnis aus dem bisherigen Ablauf der Debatte ist, daß alle Fraktionen dieses Hauses die Freiheit für wert erachten, geschützt und verteidigt zu werden, und daß sich alle Parteien zum Notwehrrecht eines Volkes als einem kollektiven Grundrecht bekennen.
    Der Herr Bundesaußenminister hat es für richtig gehalten, in seine Regierungserklärung ein Gespräch zwischen dem Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau" und mir einzubeziehen. Die „Frankfurter Rundschau" wird ihm für diese Werbung dankbar sein. An dieses in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlichte Gespräch knüpft der Herr Bundesaußenminister aber falsche Folgerungen. Er erklärt, er unterstreiche, daß es in der Politik nicht wie in den exakten Wissenschaften die Möglichkeit gebe, zu prüfen, was richtig und was falsch sei, aber er verwahre sich dagegen, daß man auf das Urteil der Geschichte warten und daß man bis dahin die Hände in den Schoß legen wolle, daß man nicht handle. Das ist in diesem Gespräch mit keinem Wort gefordert worden. Gerade wir Freien Demokraten haben in den vergangenen Jahren bewiesen, daß wir die erbittertsten Gegner des Nichtstuns in der Deutschlandfrage sind. Wir haben mehr konstruktive Vorschläge zur Deutschlandfrage gemacht, als manchmal der Bundesregierung lieb war. Also die Hände in den Schoß legen und das Urteil der Geschichte abwarten — so war das nicht gemeint.
    Es war nur — nach meiner und meiner Freunde Überzeugung mit Recht — Verwahrung eingelegt worden gegen einen Monopolanspruch auf die allein richtige Auffassung in politischen, in außenpolitischen Fragen. Subjektiv, das unterstellen wir jedem von uns, glaubt jeder, daß sein Weg richtig sei. Ob er objektiv richtig war, das allerdings bestimmt in der Tat erst das Urteil der Geschichte, manchmal nach einem kurzen Zeitraum, manchmal nach einem längeren.
    Herr Bundesaußenminister, Sie haben, als Sie vor fünf Jahren der Bevölkerung an der Saar die Annahme des Saarstatuts empfahlen, sicher in der Überzeugung gehandelt, daß das der richtige Weg zur Lösung der Saarfrage sei. Unser Kollege, der Vizepräsident Max Becker, hat hier auf diesem Platz einen andern Weg mit Leidenschaft als richtig vertreten, nämlich den, über die Ablehnung des Saarstatuts zur Rückkehr der Saar zu Deutschland zu kommen, weil die Annahme des Saarstatuts die Ausklammerung der Saar aus dem deutschen Staatsverband bedeutet hätte. Es hat sich in dieser Diskussion eine heftige, eine leidenschaftliche Kontroverse entwickelt, die letzten Endes mit ursächlich dafür war, daß das bis dahin einigermaßen gute Verhältnis zwischen CDU und FDP in der Regierungskoalition von 1949 bis zum Februar 1956 sich doch so auseinanderentwickelte, daß die Koalition zerbrach.
    Wer hat nun vor der Geschichte objektiv recht behalten? Die Auffassungen sind in diesem kurzen Zeitraum bereits objektiv überprüfbar geworden. Es war objektiv richtig, daß Saarstatut abzulehnen! So ist die richtige Lösung in der Saarfrage erreicht worden und nicht, wie der Herr Bundesaußenminister und der Herr Bundeskanzler es subjektiv für richtig hielten, durch die Annahme des Saarstatuts.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Es ist auch nicht gut, eine Alternative zu setzen: gemeinsame Außenpolitik sei nicht so entscheidend; die richtige Außenpolitik sei entscheidend. Die Alternative zu „Gemeinsamkeit" ist „Einzelaktion", die Alternative zu „richtig" ist „falsch" oder „unrichtig". Auch das Beispiel mit dem Patienten, an dessen Krankenbett sich ein Konsilium von Ärzten



    Dr. Mende
    einfindet, nicht in dem Bemühen — wie der Herr Bundesaußenminister sagte —, eine gemeinsame Therapie zu finden, sondern in dem, die richtige Therapie zu finden, ist schief.
    Was ist das Wesen und was ist die geistige Grundlage des Pluralismus und des Parlamentarismus? Die geistige Grundlage des heutigen Parlamentarismus ist jener dynamisch-dialektische Vorgang von Rede und Gegenrede, von Argument und Gegenargument mit dem Ziel, aus der pluralistischen Diskussion die relativ beste und vielleicht die objektiv richtige Lösung zu finden. Auch wenn sich die Ärzte am Krankenbett im Konsilium zusammenfinden, hoffen sie, daß sie aus der Vielzahl der Erwägungen die objektiv richtige Therapie in Gang bringen. Ob es die richtige Therapie war, zeigt sich noch nicht beim Konsilium, sondern erst am Ende der Krise, nach der Genesung des Patienten.
    So ist es auch mit dem „deutschen Patienten". Deutschland befindet sich doch in der tiefen Krise seiner Dreiteilung. Ein Drittel des deutschen Raumes, die deutschen Ostgebiete, ist zur Zeit von uns getrennt. Der Rest ist zweigeteilt, und Berlin befindet sich in permanenter Bedrohung. Ich glaube, es ist daher auch in diesem Fall zu früh, bereits jetzt einen apodiktischen Anspruch und ein Monopol auf die objektiv richtige Deutschlandpolitik erheben zu können,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    sondern wir alle treffen uns in dem Bemühen, das subjektiv Richtige zu finden. Die Frage, ob es objektiv richtig war, wird in der Tat — wie in vergangenen Epochen — erst das Urteil der Geschichte entscheiden müssen. Wir alle wollen hoffen, daß es in unserem Sinne entscheidet, in dem es dann unseren Bemühungen gelungen ist, Deutschlands Einheit in freier Selbstbestimmung zu vollenden.
    Lassen Sie mich nun eine ganze Anzahl von Punkten erwähnen, in denen wir Freien Demokraten die Auffassung der Bundesregierung, wie sie in der Regierungserklärung zu hören war, unterstreichen. Die Regierungserklärung hat unsere Auffassung bestätigt, daß es in diesem Hause mehr Gemeinsames gibt, als gemeinhin in der politischen Auseinandersetzung bisher zu erkennen war. Wir Freien Demokraten teilen in folgenden Punkten die Auffassung der Bundesregierung und stimmen folgenden Feststellungen zu:
    1. Wir stimmen überein mit der Beurteilung der gegenwärtigen weltpolitischen Spannungen und der dadurch heraufbeschworenen unmittelbaren Kriegsgefahr. Noch vor zwei Jahren hat man in diesem Hause unsere gleichen ernsten Vorstellungen nicht ernst genommen.
    2. Wir stimmen dem zu, daß wir unter einer kommunistischen Bedrohung stehen — nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten freien Welt — und daß eine geistige und wirtschaftliche Offensive des Kommunismus begonnen hat.
    3. Auch wir bekennen uns zum unabdingbaren Willen der Verteidigung gegen die kommunistische Bedrohung auf geistigem, auf wirtschaftlichem und auf militärischem Gebiet.
    4. Wir unterstreichen das Urteil der Bundesregierung über die Bedeutung der Entwicklungshilfe, weil sich die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus längst vom engen militärischen Bereich auf den geistigen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich ausgedehnt hat und Afrika und Asien hier die in Zukunft entscheidenden Räume sein werden.
    5. Wir unterstreichen — wie auch der Sprecher der sozialdemokratischen Opposition — die Enttäuschung aller in diesem Hause über das Scheitern der Gipfelkonferenz und der Genfer Abrüstungskonferenz.
    6. Wir unterstützen den Willen der Bundesregierung, zu einer allgemeinen, kontrollierten Abrüstung beizutragen.
    7. Wir sind uns mit der Bundesregierung einig in der Ablehnung jeglicher militärischer Lösungen im Rahmen der Abrüstung, die die Stellung des Westens einseitig verschlechtern würden und die zu einer Störung des für den Frieden der Welt unerläßlichen Gleichgewichts führen könnten.
    8. Wir bekennen uns zur atlantischen Verteidigungsgemeinschaft, zumal wir Freien Demokraten den Beitritt der Bundesrepublik zu dieser Gemeinschaft seinerzeit mit unseren Stimmen in diesem Hause überhaupt erst ermöglicht haben. Wir unterstützen den Ausbau der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft und lehnen einseitige militärische Vorleistungen ab. Es muß ein unabdingbares Junktim zwischen möglichen neuen internationalen Sicherheitssystemen und der Wiedervereinigung Deutschlands geben.
    9. Für die Freie Demokratische Partei steht es außer Zweifel, daß das wiedervereinigte Deutschland sich politisch, wirtschaftlich und kulturell als zur Völkerfamilie der freien Welt gehörig fühlen wird, mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten.
    10. Wir sind wie die Bundesregierung der Überzeugung, daß die Bewahrung des Friedens oberstes Gebot unserer Außenpolitik und der Bemühungen der Staatsmänner dieser Welt sein muß.
    Wir Freien Demokraten bejahen eine Außenpolitik, die sich zu den Grundsätzen der nationalen Selbstbestimmung, der freiheitlichen Menschenrechte und des Rechts auf Heimat bekennt. Sie muß unserer Lage in Mitteleuropa Rechnung tragen, den entspannenden Ausgleich nach allen Seiten suchen und damit der Erhaltung des Friedens dienen. Diese Politik der Entspannung ist nur möglich unter Achtung der bestehenden Verträge und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den uns befreundeten Völkern. Wir sehen unsere Aufgabe darin, zur Milderung der Gegensätze und der weltpolitischen Spannungen auf unserem Boden beizutragen.
    Durch die Pariser Verträge konnte ein dauerhaftes Freundschaftsverhältnis zu den Westmächten angestrebt und erreicht werden. Ebenso stellt sich uns aber die Aufgabe, durch eine aktive und konstruktive Politik das Verhältnis Deutschlands zu den osteuropäischen Völkern friedlich zu regeln. Unser verstorbener Kollege Pfleiderer, der spätere Botschafter



    Dr. Mende
    in Belgrad, hat schon vor acht Jahren in einer außenpolitischen Debatte die Empfehlung an dieses Haus gegeben, diplomatische Beziehungen nicht nur nach dem Westen, sondern auch nach dem Osten aufzunehmen. Ihnen allen ist vielleicht noch der damalige klassische Ausspruch des Kollegen Pfleiderer bekannt: „Man hat gute diplomatische Beziehungen, man hat schlechte diplomatische Beziehungen — gar keine hat man nur im Krieg."
    Diplomatische Beziehungen sind die normalste Form des Verkehrs der Staaten und Völker untereinander. Wir unterstützen daher den Gedanken der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks. Wir sehen keine Gefahr, daß dadurch etwa politische oder territoriale Verhältnisse eine Anerkennung finden könnten. Genauso wie bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion — die mit der einstimmigen Billigung dieses Hauses erfolgt ist — die Vorbehalte zu Protokoll gegeben wurden, daß diese diplomatischen Beziehungen keine Anerkennung der politischen Verhältnisse in Mitteldeutschland und keine Anerkennung der Oder-Neiße-Linie darstellten, müßte selbstverständlich auch bei Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Prag, Warschau, Budapest, Bukarest, Sofia und zu Peking durch solche Vorbehalte die Gefahr ausgeschieden werden, daß etwa ein Schaden für die Position Deutschlands gestiftet wird.
    Wir bitten daher die Bundesregierung — die heutige Regierungserklärung sagt darüber nichts —,
    sich auch einmal zu überlegen, wie das Verhältnis zu den europäischen Nachbarstaaten im Osten einer allmählichen Normalisierung entgegengeführt werden kann.
    Man kann sich auf den Standpunkt stellen: Es geschieht nichts, es bleibt alles so. Wenn alles so bleibt, dann fürchten wir, daß wir das diplomatische Feld in Prag, Warschau, Budapest, Bukarest, Sofia und anderswo den sogenannten Botschaftern der sogenannten DDR überlassen, die dann weiterhin mit einem erheblichen Propagandaaufwand ein völlig falsches, ein verzerrtes Bild von dem Wollen und den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland geben.
    Wer daher nicht will, daß das Feld für die anderen frei gehalten bleibt, der sorge dafür und mache sich Gedanken, wie wir in diesem geistigen, wirtschaftlichen und kulturellen Wettbewerb uns bessere Ausgangspositionen schaffen, wie sie nun einmal durch diplomatische Beziehungen gegeben sind. Ich wiederhole: diese diplomatischen Beziehungen dürfen in keiner Weise die Position der Bundesrepublik schwächen. Sie dürfen nicht zu einer Anerkennung der Zweiteilung oder zu einer Anerkennung der territorialen Verhältnisse an der Oder-Neiße-Linie führen.
    In der Wiedervereinigungsfrage glauben wir Freien Demokraten feststellen zu müssen, daß die Ausgangsposition Deutschlands heute schlechter denn je in der Vergangenheit ist. Die Zeit scheint hier gegen uns gearbeitet zu haben. Ich will mich hier nicht in einen Streit einlassen; auch die bisherigen
    Sprecher vermieden es im allgemeinen, allzusehr rückschauend zu ,diskutieren. Es gibt die Auffassung, daß es 1952 günstigere Möglichkeiten einer Verhandlung um die deutsche Einheit gegeben hätte, damals als Stalin noch lebte und aus welchen Gründen auch immer der seinerzeitige Vorschlag zur Deutschlandfrage an die Westmächte erging.
    Es gibt andere, die erklären, 1955 sei im Rahmen der Genfer Konferenz durch die damalige Vorlage des Eden-Plans — des Plans des britischen Premierministers Eden — eine günstigere Ausgangsposition gewesen. Eden erwähnte das selber in seinen Memoiren, und der ehemalige französische Ministerpräsident, der damals ebenfalls Kronzeuge in Genf war, Edgar Faure, bestätigte das vor einigen Wochen in der französischen Zeitung „Combat". Der Herr Bundeskanzler selber hat in einer Note an die Sowjetunion — ich glaube, im Jahre 1956 — ausdrücklich auf den Eden-Plan Bezug genommen. Mit Vorschlägen zur kontrollierten Teilabrüstung im europäischen Bereich, Herr Kollege Wehner, hat sich also nicht nur ,der Verteidigungsminister, sondern haben sich auch der Bundeskanzler und damit die Bundesregierung einmal beschäftigt. So tabu waren diese Dinge einer Teilabrüstung in Europa also nicht. Das mißverständliche Wort „Disengagement" sollte man vermeiden; es sagt nichts Richtiges über das wahre Wollen aus. Aber ich gebe zu: nach den sehr harten Reaktionen der Amerikaner bei dem deutsch-amerikanischen Gespräch in Godesberg und nach dem, was wir aus dem Osten hören, scheint gegenwärtig für solche Vorschläge keine Realisierungsmöglichkeit vorhanden zu sein.
    Andere sagen, 1958 hätte beim Besuch Mikojans die Chance der Behandlung des deutschen Problems bestanden; Mikojan sei nicht nur hierhergekommen, um den Handelsvertrag zu schließen, das hätte auch sein Außenhandelsminister tun können, und er habe offensichtlich politische Verhandlungen gesucht. Andere wiederum sagen, es habe niemals die Chance gegeben, weder 1952 noch 1955, noch 1958. Keine von beiden Seiten ist in der Lage, diese Argumente mit mathematischer Exaktheit zu beweisen. Es bleiben Ermessensfragen, dem Urteil allenfalls der Historiker mach Kenntnis allen Materials überlassen.
    Aber eines ist sicher, wenn nicht mathematisch beweisbar, so doch sichtbar: die Haltung der Sowjetunion zur Deutschlandfrage hat sich von Jahr zu Jahr verhärtet. Das Auftreten der Regierung der UdSSR ist von Jahr zu Jahr schärfer gegen uns geworden. Ich erinnere nur an den Widerspruch zwischen dem Aide-mémoire von März 1958, in dem man noch ausdrücklich ablehnte, zwei Friedensverträge mit zwei deutschen Teilstaaten zu schließen und sich zu einem Friedensvertrag mit ganz Deutschland bekannte, und andererseits der Drohung Chruschtschows im Jahre 1960 mit dem sogenannten Separat-Friedensvertrag. Die Äußerungen, die der sowjetische Ministerpräsident in Paris und auch jetzt wieder zusammen mit seinem Verteidigungsminister Malinowski von sich gegeben hat, bestätigen unsere tiefe Enttäuschung wegen der harten, kompromißlosen Haltung der Sowjets in der Deutschlandfrage.



    Dr. Mende
    Es gibt sehr viele Erörterungen darüber, wo der Grund des scharfen Auftretens Chruschtschows in Paris gelegen haben könne. Aber Kremlastrologie ist seit 43 Jahren eine sehr undankbare Angelegenheit. Fest steht nur: offensichtlich scheint die Sowjetunion durch die technische Entwicklung in eine Position gekommen zu sein, in der sie glaubt, sich diese Art der Sprache und diese Erpressungsmethoden leisten zu können. Ich verweise hier auf Dinge, die uns schon in der Vergangenheit oft beschäftigt haben. Wir haben schon in der Vergangenheit öfter darauf hingewiesen, daß sich die Technik in einem rasenden Wettlauf mit der Zeit befinde, daß durch die Astronautik und durch die Raketenentwicklung völlig neue Perspektiven für die Strategie entstanden sind und daß sich aus der neuartigen Strategie auch veränderte Perspektiven in der Politik ergeben, daß sich technischer Fortschritt, strategisches Denken und Politik in einer ständigen Wechselwirkung gegenseitig beeinflussen.
    Es ist leider — Gott sei es geklagt — nicht zu leugnen, daß es der Sowjetunion gelungen ist, auf gewissen Gebieten der strategischen Forschung — Lunik I bis III und die interkontinentalen Raketen beweisen es — gewisse temporäre Überlegenheiten zu erreichen, aus denen heraus sie glaubt, ihre politischen Drohungen gegen Berlin und gegen den Westen ausüben zu können.
    Die Frage ist, wie sich noch weiter im Wettlauf zwischen Technik, Strategie und Politik möglicherweise das Verhältnis verschiebt und inwieweit sich auch der Einfluß Pekings auf Moskaus Entscheidungen, sei es im Positiven, sei es im Negativen, auf die kommenden politischen Entwicklungen auswirken wird.
    Wir alle sind tief bestürzt über den Haßausbruch, den sich der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow auf der Pariser Pressekonferenz gegen uns alle zuschulden kommen ließ. Millionen deutscher Männer und Frauen sind an den Fernsehschirmen Zeugen und Zeuginnen dieses Haßausbruchs geworden. Man kann es verstehen, wenn wenige Jahre nach dem Krieg aus den Ressentiments und den Leiden, die der Krieg über alle gebracht hat, noch solche haßerfüllten Äußerungen zu hören waren. Aber ein Staatsmann, der dank seiner Macht, die er erreicht hat, mit das Schicksal der Welt bestimmt, darf 15 Jahre danach nicht in solcher Form von Deutschland sprechen und beklagen, es wären nicht genügend deutsche Menschen bei Stalingrad, in der Ukraine und in Weißrußland gefallen. Das ist eines Staatsmannes, der dauernd von Entspannung redet, unwürdig und zeugt von einem un-staatsmännischen Völkerhaß gegen Deutschland.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und in der Mitte.)

    Wir sind, wie vor einigen Wochen alle Fraktionen zum Ausdruck gebracht haben, alle der Meinung, daß der sowjetische Ministerpräsident Verantwortung und Schuld für das Scheitern der Gipfelkonferenz zu tragen hat. Er hat bereits 1959 — und da gebe ich dem Bundesaußenminister und auch Herrn Majonica recht — doch schon bei seinem Besuch in
    Camp David gewußt, daß es Agenten auf beiden Seiten gibt. Wie anders wäre sonst seine Berner-kung zu dem Sicherheitschef der Amerikaner Allan Dulles zu verstehen: Herr Dulles, ich habe das Gefühl, daß manche unserer Agenten für uns beide arbeiten; wir sollten einmal unsere Berichte austauschen. — Spionage, Gegenspionage und Agententätigkeit gehören nun einmal leider zur modernen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts. Das allein kann nicht der Grund für das Scheitern der Gipfelkonferenz gewesen sein, daß sich die Sowjetunion über das abgeschossene amerikanische Aufklärungsflugzeug vom Typ U 2 mit Recht beklagen konnte.
    Ich will hier nicht prüfen, inwieweit auch das taktisch unkluge Verhalten der Amerikaner zu dem Scheitern mit beigetragen und Herrn Chruschtschow die Vorwände geliefert hat, dann leider so aufzutreten. In der amerikanischen Öffentlichkeit ist diese Diskussion um das taktische Verhalten gegenwärtig im Gange, und es ist nicht primär unsere Sache, hier Richter in amerikanischer Sache zu spielen. Das mögen die dafür verantwortlichen amerikanischen Politiker entscheiden.
    Wir Freien Demokraten haben in der Vergangenheit — ausgehend von der Berliner Entschließung vom 1. Oktober 1958 häufiger Vorschläge gemacht, wie wir uns die Wiedervereinigung denken. Wir haben diese Vorschläge in Leitsätzen zusammengefaßt und sie der Öffentlichkeit übergeben, nachdem sie vorher im Auswärtigen Ausschuß diskutiert worden waren. Herr Kollege Majonica war einer der Berichterstatter. Alle Fraktionen sind sich weitgehend darüber einig, daß, wenn die deutsche Wiedervereinigung überhaupt erreichbar ist, sie nur in einer untrennbaren Verbindung von neuen Sicherheitskonstruktionen mit politischen Lösungen zu finden ist. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten und ihrem Plan halten wir ein unabdingbares Junktim aufrecht und lehnen jegliche militärischen Vorleistungen ab.
    Wir möchten aber auch 'darauf hinweisen, daß es nicht der Sache der Wiedervereinigung dient, wenn man heute so tut, als stelle jegliche Zitierung der Bundesrepublik als Provisorium beinahe eine Art Landesverrat dar. Das Grundgesetz selbst hat in seiner Präambel eindeutig festgestellt, daß für eine Übergangszeit hier eine neue staatliche Ordnung geschaffen werden sollte. Der Art. 146 des Grundgesetzes ist die Bestätigung dieser für eine Übergangszeit beabsichtigten Ordnung; denn dort heißt es:
    Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
    Für uns bleiben die Präambel des Grundgesetzes
    und .das Wiedervereinigungsgebot von großer Wichtigkeit. Dort heißt es:
    Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
    Insofern ist — getreu nach Sinn und Text des
    Grundgesetzes — die Bundesrepublik ein Organis-



    Dr. Mende
    mus, „um" — ich zitiere wörtlich — „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben".
    Aber — vielleicht hat das der Herr Bundesaußenminister gemeint — gewisse im Grundgesetz niedergelegte Postulate sind allerdings keine Provisorien, sondern sie haben für eine rechtsstaatlich-demokratische Ordnung Ewigkeitswert. Das sind die Grund- und Freiheitsrechte, die im Grundgesetzkatalog niedergelegt sind, und das ist die rechtsstaatlich-demokratische Grundordnung, die wir für das wiedervereinigte Deutschland als allein möglich anerkennen können. Insofern, glaube ich, ist der Streit um Provisorium oder Definitivum durch eine solche Klarstellung leicht zu beseitigen. Wir würden auch der Revisionsklausel des Deutschlandvertrages nicht Rechnung tragen, wenn wir so täten, als wäre die Bundesrepublik für uns bereits etwas Definitives. Im Jahre 1952 war in der ursprünglichen Konstruktion des Deutschlandvertrages allerdings eine automatische Bindungsklausel, die dann, dank der Einsicht des amerikanischen Außenministers Acheson, seines Mitarbeiters Jessup und ,der Initiative der Freien Demokratischen Fraktion schließlich zu einer Revisionsklausel, zur jetzigen Fassung des Art. 10 Abs. 3 umgestaltet wurde.
    In unseren Leitsätzen für eine mögliche Wiedervereinigung sind Sicherheit und Wiedervereinigung in einem Junktim zusammengefaßt. Ich kann darauf verzichten, die Einzelheiten dieser Leitgedanken zu entwickeln. Sie sind in der Öffentlichkeit als „Deutschlandplan" bekannt. Wir haben keinen Anlaß, diese Leitsätze, die auf der Berliner Entschließung vom 1. Oktober 1958 basieren, zurückzuziehen oder zu revidieren. Wenn es überhaupt jemals eine Chance für die deutsche nationale Einheit in Freiheit gibt, kann sie nur auf der Basis der Berliner Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1958 und in der unabdingbaren Verbindung von Sicherheit, kontrollierter Abrüstung und politischen Entscheidungen im Rahmen freier Wahlen gefunden werden. Allerdings geben auch wir zu, daß nach den gescheiterten Konferenzen, der Genfer Außenministerkonferenz des vorigen Jahres, der Gipfelkonferenz und der jetzt leider auch gescheiterten Genfer Abrüstungskonferenz, die Aussichten für eine Realisierung dieses Plans in absehbarer Zukunft sich verringert haben. Wir sind objektiv genug, das — leider — einzugestehen.
    Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung noch einmal auf die Vergangenheit und die hier in diesem Hause gefällten Entscheidungen Bezug genommen und hat von der Opposition schlechthin gesprochen. Es ist nun einmal so, Herr Bundesaußenminister, daß wir gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der 35 Millionen Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik kein Zweiparteiensystem haben, sondern daß neben der Opposition der Sozialdemokratischen Partei seit dem Frühjahr 1956 auch 44 Abgeordnete der Freien Demokratischen Partei in einer Oppositionsstellung stehen. Aber die Art unserer Opposition ist auf Grund der vergangenen 11 Jahre und ihrer Entscheidungen anders, und ich wäre dankbar, wenn
    künftige Regierungserklärungen differenzierten, weil es der Objektivität entspricht und weil die Sozialdemokraten ein Interesse daran haben, mit uns nicht in einen Topf geworfen zu werden, und wir das gleiche wechselseitige Interesse daran haben, unsere andersgeartete Haltung zu dokumentieren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Hier möchte ich daran erinnern, daß wir 1949 dem Petersberger Abkommen, 1950 dem Beitritt zum Straßburger Europarat, ferner dem Beitritt zur Montan-Union, den Verhandlungen und dem Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie dem Beitritt zur Westeuropäischen Union und zur atlantischen Gemeinschaft, zur NATO, zugestimmt und sie daher mit unseren Stimmen mitverantwortet haben. Wir stehen zu dieser Verantwortung, und wir denken gar nicht daran, uns aus dieser Verantwortung zu lösen. Die sozialdemokratische Opposition hat alle genannten Verträge abgelehnt. Sie hat eine andere Ausgangsbasis für ihre kritische, für ihre oppositionelle Haltung. Wenn wir heute vor den gleichen Fragen stünden wie damals, würden wir gleichermaßen handeln müssen.
    Es ist zu leicht, die Funktion der NATO und die Wiederbewaffnung Deutschlands aus dem Jahre 1960 heraus zu beurteilen. Man muß, um die Funktion der NATO, die Eindämmung des Kommunismus, verstehen zu können, die damalige Bedrohung Berlins und Deutschlands durch den kommunistischen Expansionismus zur Grundlage seiner Beurteilung machen. Damals waren Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Tschechoslowakei und das halbe Deutschland bereits im Griff der Sowjets. Es bestand die Gefahr, daß durch die Berliner Blockade 1948/49 auch Berlin verlorenging, getreu dem Lenin-schen Grundsatz: Wer Berlin hat, hat Deutschland, und wer Deutschland hat, hat Europa.
    Nicht zugestimmt haben wir der Entscheidung des Deutschen Bundestages bezüglich des Beitritts zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Bedenken haben wir damals vorgetragen. Wir hatten die Sorge, es könne sich eine neue Spaltung Europas dadurch entwickeln, daß die EWG nicht mit der Freihandelszone gekoppelt sei. Inzwischen haben sich unsere Befürchtungen leider bestätigt. Neben der EWG steht die EFTA, und die Botschaft hör' ich wohl, daß man jetzt versuchen will, alle drei europäischen Institutionen zusammenzufügen, allein mir fehlt der Glaube, daß das so leicht möglich sein wird, wie es die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat. Wir wären glücklich, wenn es möglich wäre, den neu entstandenen Graben zwischen dem Europa der Sechs und dem Europa der Sieben wieder zu schließen, und wir wollen hoffen, daß einer solchen Entwicklung nicht noch mehr „Hallsteine" in den Weg gelegt werden, als es leider ohnehin schon geschehen ist.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir sehen keinen Widerspruch darin, daß wir das Anliegen der deutschen Einheit als das oberste Ziel im Rahmen unserer europäischen Bekenntnisse ansehen; denn mit Deutschland ist auch Europa ge-



    Dr. Mende
    teilt, und wer wirklich ein größeres Europa in seinen geographischen, in seinen kulturhistorischen Zusammenhängen wünscht, muß als Voraussetzung hierfür die staatliche Einheit Deutschlands herstellen, weil erst das wiedervereinigte Deutschland die ihm von der geographischen Lage und der Kultur zugewiesene Brückenfunktion zwischen West- und Osteuropa übernehmen kann.
    Der französische Staatspräsident de Gaulle und der französische Ministerpräsident Debré sind hier bereits von Herrn Kollegen Majonica zitiert worden. Herr Kollege Majonica sprach nicht mehr von der Integration, sondern von der Konföderation der europäischen Staaten und Völker. In der Tat, nach dem Bekenntnis Debrés und auch des Staatspräsidenten de Gaulle scheint es so, daß man sich das Europa der Vaterländer und nicht mehr das integrierte Europa vorstellt, in dem nur ein Teil des deutschen Vaterlandes integriert sein würde mit der Konsequenz, daß sich der andere Teil unseres Vaterlandes dann leider immer stärker nach Osten integrieren würde. Wer wirklich die Konföderation, das Europa der Vaterländer will, muß bereit sein, auch den Deutschen das Recht auf ein einiges Vaterland zuzugestehen. Das ist der Sinn unseres Wunsches nach nationaler Einheit in Freiheit in einem größeren Europa.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wir hoffen, daß die vier Siegermächte nicht aufhören werden, die deutsche Frage auch in Zukunft zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen. Die vier Siegermächte haben sich im Potsdamer Abkommen oder später in Zusatzabkommen verpflichtet, die staatliche Einheit Deutschlands zu gewährleisten. Daraus leiten wir einen Rechtsanspruch auf die staatliche Einheit unseres Volkes her, basierend auf dem Völkerrecht, auf der Atlantik-Charta, auf der Charta der Vereinten Nationen, und wir leiten daraus eine Rechtsverpflichtung der vier Siegermächte her, dem deutschen Volk seine nationale Einheit nicht vorzuenthalten.
    Man hat sich nach 1945 bereits dem Irrtum hingegeben, es gebe so etwas wie eine geschichtslose Zeit für das deutsche Volk, man könne das besiegte Deutschland in ein historisches, in ein weltpolitisches Ghetto sperren. Man täuscht sich vielleicht auch heute in Moskau oder anderswo, wenn man glaubt, daß der Zustand des dreigeteilten Deutschland, der Zustand seiner Hauptstadt Sicherheit und Stabilität versprechen. Dieser Zustand ist in höchstem Maße labil! Wer wirklich Sicherheit und Stabilität in Deutschland, in Europa, in der Welt will, muß die Zeitbombe der deutschen Zweiteilung zu entschärfen trachten.
    Wir glauben, daß die Bundesregierung gut beraten ist, wenn sie die aus der heutigen Debatte resultierenden Anfänge einer Gemeinsamkeit in den Prinzipien, wie sie auf jeden Fall aus den Ausführungen der bisherigen Sprecher herzuleiten wäre, nutzt, um im Verteidigungsausschuß und im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten wenigstens ein Minimum an Zusammenarbeit zur Abwehr der Bedrohung in Berlin und zur Zusammenarbeit in
    der Deutschlandfrage zu erreichen.
    Es hat auch nach der gescheiterten Gipfelkonferenz keine geschichtslose Pause eingesetzt, und niemand kann sagen, ob nicht die nächsten Monate oder die nächsten Jahre uns allen Veranlassung geben werden, in Berlin und insgesamt viel mehr zusammenzurücken und eine politische Notgemeinschaft aller deutschen demokratischen Parteien zu entwickeln, wenn wir nicht das Zurückrollen der Freiheit in Berlin und schließlich in Europa erleben wollen.
    In diesem Sinne ist die Freie Demokratische Partei bereit, zu ihrem Teil dazu beizutragen, daß in den wesentlichen Fragen der Deutschlandpolitik und Außenpolitik ein Höchstmaß der Geschlossenheit ohne irgendwelche Unterwerfung, ohne Rechthaberei, ohne Zwang erreichbar ist, in der Erkenntnis, daß neue Situationen auch zu neuen Konstruktionen und neuen Formen der Kooperation führen müssen, wenn Deutschland höher stehen soll als die Partei.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider (Bremerhaven).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein maßgebliches Mitglied dieses Hauses hat vor etwa einem Jahre in einem Interview mit einer Moskauer Zeitung einmal geäußert: Wir kennen Herrn Chruschtschow als einen Menschen, den sein Gefühl für Realitäten nicht verläßt. Nun, ich glaube, daß man nach dem Ausgang der Pariser Konferenz über diese Bemerkung durchaus streiten kann. Ich wage sogar, zu behaupten, daß wir hier unter Umständen heute gar nicht zusammensäßen, wenn nicht gerade diese Ereignisse Anlaß gegeben hätten, sich über Realitäten, u. a. auch über die Realitäten, wie Herr Chruschtschow sie versteht, zu unterhalten. Ich glaube, wohl mit Ihnen allen übereinszustimmen, wenn ich feststelle, daß durch den Ausgang der Pariser Konferenz und das vom sowjetischen Regierungschef gezeigte Verhalten die gesamte Weltöffentlichkeit jäh in die Wirklichkeit zurückgerissen wurde. Alle schönen Redensarten sind im Wind zerstoben vor dem, was sich dort im Kreise ernsthafter Männer abgespielt hat.
    Es war aber zugleich ein Fanal für uns, zu erkennen, daß wir endgültig Abschied vom Urlaub in der Geschichte nehmen müssen. Ich habe bei verflossenen außenpolitischen Debatten schon einige Male darauf hingewiesen, daß es auf der einen Seite natürlich unbequem war, unter der Herrschaft der Besatzungsmächte zu leben, andererseits eine sehr bequeme Angelegenheit, weil andere die Verantwortung für uns trugen.
    Wir alle sind wahrscheinlich glücklich, daß die Entwicklung so gelaufen ist, wie sie vor uns steht. Selbst die sozialdemokratische und auch die freie demokratische . Opposition stimmen, glaube ich, mindestens heute mit uns darin überein, daß der Weg, den wir beschritten haben, um wenigstens zu



    Schneider (Bremerhaven)

    dieser Souveränität und zu dieser Handlungsfreiheit zu kommen, der richtige gewesen ist.
    Im Zusammenhang mit der bevorstehenden und nun laufenden Debatte war viel von einer Bestandsaufnahme die Rede, woraus ohne weiteres zu erkennen war — und ich möchte das ausdrücklich dankbar anerkennen —, daß sich verantwortliche Politiker aller Parteien angesichts des Eklats von Paris nunmehr wirklich ernsthafte Gedanken darüber machten, wie wir zu einer größeren gemeinsamen Front und Zielstellung und auch zu einer größeren Durchschlagskraft für die Durchsetzung unserer nationalen Wünsche gelangen könnten. Gleichviel, wie man zu der Frage letztlich steht, und gleichviel auch, ob man das Wort von der sogenannten Bestandsaufnahme für glücklich hält, — ich halte es jedenfalls mit meinen politischen Freunden für außerordentlich glücklich, daß es überhaupt zu dieser Fragestellung kommen konnte und daß wir uns heute hier so sachlich und freimütig über dieses Problem unterhalten.
    Eine der Voraussetzungen im Rahmen der Verpflichtungen, im Rahmen unserer geographischen Lage und im Rahmen der Aufgabe, die dem deutschen Volk in dieser Welt gestellt ist, wäre, daß wir nach dem furchtbaren Desaster von 1945, innenpolitisch gesehen, endlich auch zu einer sachlichen, aber auch kritischen Wertung unserer Geschichte zurückkehren. Eine solche sachliche Wertung und ein Bekentnis zu unserer eigenen Geschichte sind nach der Auffassung meiner Freunde überhaupt die Grundvoraussetzungen für das Funktionieren der
    Gemeinschaft, in die wir uns selbst gestellt haben. Daß wir diese Gemeinschaft haben, ist zweifellos ein Erfolg der Politik, die die Regierungsparteien, die nun einmal in der Verantwortung gestanden haben, getrieben haben, und ist — ich will das ganz offen zugeben — selbstverständlich auch, wenn Sie so wollen, ein Teil glückliche Fügung, wie sie sich in den Zeitläuften der letzten Jahre ergeben hat, woran wir teils teilhaben, teils auch nicht. Eins steht fest: Die Tatsache, daß es uns gelungen ist, im europäischen Raum nicht nur eine formale Integration und auch nicht nur ein formales Bündnis, sondern eine wirkliche Freundschaft mit allen Völkern, mit denen wir uns jahrzehntelang oftmals blutig zerstritten haben, herzustellen, die Tatsache, daß wir nach dem total verlorenen Kriege heute vor dem Faktum stehen, daß wir wieder nicht nur bei diesen, sondern auch bei anderen Völkern der Welt Vertrauen haben, ist — ich möchte wirklich das Wort wagen — als wunderbar zu bezeichnen. Die Politik, die oft Unmögliches — auch Unmögliches im negativen Sinne — fertigbringt, hat hier fast ein Wunder vollbracht. Man sollte bei allen außenpolitischen Betrachtungen niemals daran vorbeigehen, daß zum mindesten in unserem europäischen Raum ein Musterbeispiel dafür geschaffen wurde, wie auch die gesamte übrige Welt friedlich miteinander auskommen könnte.
    Wenn ich sagte, daß die europäische Gemeinschaft, in der wir uns befinden, mehr ist als nur ein militärisches oder wirtschaftliches Bündnis, dann, glaube ich, sollte ich hinzufügen, daß sie ein geballtes Bekenntnis zum Frieden und zur Freiheit ist.
    Diese beiden aber, Frieden und Freiheit, sind — das ist hier im Hause sehr oft festgestellt worden, muß aber den Lauen und Ungläubigen draußen immer wieder gesagt werden — die unabdingbare Voraussetzung für unser Selbstbestimmungsrecht und für das Recht auf Heimat, wie es von allen demokratischen Parteien in unserem Lande vertreten wird. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die weltweite Auseinandersetzung, in der wir heute stehen, nicht zuletzt auch um diese Begriffe geht, wobei selbstverständlich militärische und andere Gegebenheiten eine wesentliche Rolle spielen.
    Für diesen Frieden und für diese Freiheit haben auch nach dem Kriege einmal deutsche Männer in Berlin geblutet. Ich glaube, es geziemt sich durchaus, an dieser Stelle dieser Tatsache zu gedenken. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, meine Damen und Herren, daß ich mich manchmal für meine Landsleute schäme, die es für richtig halten, den Tag des Gedenkens an jene Vorkommnisse zu einem zweiten Vatertag herabzuwürdigen.

    (Sehr gut! und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, wir würden den Idealen, die wir vertreten, einen wirklichen Dienst erweisen und brauchten uns und unserer Landsleute und auch der Experten, die bereits jahrelang hin und her überlegen, wie man das ändern könnte, nicht zu schämen, wenn wir selbst kurz und bündig zur Tat schritten und das täten, was an sich längst jeder weiß, wozu sich aber noch nicht genügend Männer und Frauen aufgerafft haben, nämlich dieses historische Gedenken so zu gestalten, wie es sich gehört. Und was wäre einfacher als das? Ich glaube erlauben Sie mir bitte, meine Damen und Herren, diese Abschweifung im Rahmen der Debatte —, dieser Tag als ein normaler Arbeitstag und, auf die Gefahr hin, von diesem oder jenem an verflossene Zeiten erinnert zu werden, ein Stillstand der Menschen, der Maschinen, der Bahnen und dazu die Sirenen der Schiffe und Fabriken, das würde jeden Bürger unseres Staatestes zumindest zwei Minuten im Jahre an das gemahnen, was damals in Berlin geschehen ist. Die Verantwortlichen sollten endlich den Mut haben, das zu tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den verflossenen Jahren mancherlei Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen und sie auch vor unserem Volke vertreten müssen, und wir müssen uns, glaube ich, darüber im klaren sein, von links bis rechts, daß wir das in Zukunft erst recht werden tun müssen. Wir werden sie nicht nur zur Kenntnis nehmen müssen; nein, wir werden als verantwortliche Männer und Frauen dieses Staates dem Volke klarmachen müssen, daß diese Unbequemlichkeiten auch ertragen werden können. Und worauf ist das nicht zuletzt zurückzuführen? Es ist u. a. darauf zurückzuführen, daß der sowjetische Ministerpräsident in großartiger Manier der gesamten Welt abwechselnd Zuckerbrot und Peitsche bietet und daß auch bei der Frage des Zusammenlebens des Kommunismus mit dem Kapitalismus einmal diese und einmal



    Schneider (Bremerhaven)

    jene Lesart eine Rolle spielt, daß aber, glaube ich, eine der berufensten, wenn nicht überhaupt die entscheidende Lesart kürzlich über Radio Moskau wieder verbreitet wurde, jene Lesart, die wir uns alle bei unserem Zusammenleben und bei unseren politischen und außenpolitischen Entscheidungen stets vor Augen halten sollten, wenn wir wichtige Beschlüsse und Entschlüsse zu fassen haben. Radio Moskau hat nämlich zur Frage der Koexistenz gesagt:
    Der Weg der Normalisierung der internationalen Beziehungen kann nicht über eine Aussöhnung der Ideologien und über eine Absage an unsere Grundsätze verlaufen. Kommunisten können auf den Kampf für den Sieg der Diktatur des Proletariats nicht verzichten. Sie können nicht verzichten auf den Kampf für die Umwandlung des privaten kapitalistischen Besitzes in einen staatlichen. Denn auf den ideologischen Kampf zu verzichten, würde bedeuten, freiwillig den Platz an die bürgerliche Ideologie abzutreten. Unsere sozialistische Ideologie ist ein Abbild der unbestreitbaren Tatsache, daß die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft in der ganzen Welt unvermeidlich ist.
    Meine Damen und Herren, wenn man das heute draußen den Menschen vorstellt, gibt es immer wieder Leute, die einem entgegenhalten, daß solche Argumente zu billig seien und daß man ein Kommunistenfresser sei. Nun, wenn Sie so wollen — ich bekenne mich ehrlich dazu, daß ich einer bin,
    weil ich für mich jedenfalls 'die völlige, totale Bedrohung erkenne und mich ihr leidenschaftlich entgegenstelle, die etwa 'daraus entstehen könnte, wenn ein Prozeß der Aufweichung im Laufe jenes Zeitablaufs, den die Kommunisten sich gesetzt haben, eines Tages Platz griffe.
    Ich glaube, es ist eine unserer vornehmsten Aufgaben, auch auf diese Unbequemlichkeit und ihre Folgerungen hinzuweisen und die Resignation im Volke aufzuhalten und zu neuen Anstrengungen aufzurufen. Ich glaube, ein gutes Stück 'dieser Arbeit hat uns der sowjetische Ministerpräsident in Paris abgenommen, als er jene bekannte Konferenz zum Platzen brachte. Wenn es nicht in einer Weise so gefährlich und so bedauerlich wäre, so möchte man auf der anderen Seite fast Befriedigung darüber empfinden, daß durch ,dieses Ereignis der gesamte Westen und auch eine übrige Welt aus ihrer Lethargie aufgescheucht wurden.
    Hier wurde vorhin gesagt, daß die Kreml-Astrologie seit 43 Jahren eine schwierige Angelegenheit sei. Dem will ich gern beipflichten. Allerdings muß ich bekennen: ich persönlich bin, wie mir kürzlich eine große Tageszeitung bescheinigte, von schlichter Denkungsart und möchte mir deswegen meine eigenen Gedanken darüber machen; und die sind einfach so: Ich glaube nicht — und auch meine politischen Freunde nicht —, daß es etwa chinesische Einflüsse oder gar der Flug der U 2 gewesen seien, die Herrn Chruschtschow veranlaßt haben,, jene Szene in Paris zu vollführen, sondern daß es ganz schlicht und einfach jene Entschlossenheit unserer
    Bündnispartner war, wie sie auf der Pariser Konferenz zum Ausdruck kommen sollte, nachdem die Außenministerkonferenz in Washington sich eindeutig auf diese klare Linie festgelegt hatte.
    Es darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß eben jener Außenministerkonferenz von vielen Seiten Vorwürfe wegen ihrer starren und unbeugsamen Haltung, wegen Mangels an Phantasie gemacht wurden, weil ihr nichts anderes eingefallen sei, als die alten Vorschläge gegebenenfalls auf den Tisch zu legen. Ich möchte für meine Freunde erklären: wir sind dankbar dafür, daß man sich nicht irgendwelchen Phantasiegebilden hingegeben, sondern jenen klaren Standpunkt eingenommen hat, den wir von unseren Bündnispartnern in diesen Fragen stets erwartet haben. Es geziemt uns durchaus, ihnen von dieser Stelle aus dafür noch einmal ausdrücklich Dank zu sagen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube, diese Haltung ist nicht zuletzt auch aus der einfachen klaren Erkenntnis entsprungen —nicht nur wegen der latenten andauernden Bedrohung Berlins und auch der Zone, ja, wir können sagen, des gesamten Weltfriedens, sondern auch auf Grund der ideologischen Verflechtungen und Ziele
    daß sich an den Zielen der Kommunisten eben nichts geändert hat. Allein schon aus diesem Grunde bestand also gar keine Veranlassung, etwas an- deres in Aussicht zu nehmen.
    Wer 'das immer noch nicht glaubt, sollte sich mancherlei Aussprüche dies sowjetischen Regierungschefs in Erinnerung rufen. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich einige seiner Äußerungen verlesen. Er hat u. a. einmal gesagt:
    Wenn jemand glaubt, unser Lächeln bedeute auch, daß wir die Lehren von Marx, Engels und Lenin aufgegeben hätten, dann täuscht er sich schwer. Die auf eine solche Preisgabe warten, könnten ebensogut darauf warten, daß die Krabben das Pfeifen lernen.
    Bei anderer Gelegenheit sagte Chruschtschow:
    In Fragen der Ideologie standen wir und werden wir fest stehen wie ein Fels.
    Jeder Bolschewist aber, der in Fragen der Ideologie fest steht wie ein Fels, das ist Ihnen bekannt, bekennt sich damit zu all den Zielen, die Lenin dem Weltbolschewismus gesetzt hat, u. a. zu den Aussprüchen: „Die Weltrevolution hat dann gesiegt, wenn die rote Fahne über Peking und Berlin weht" und „Wer Deutschland hat, hat Europa".
    Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren ist im Rahmen der Auseinandersetzungen um unsere Außenpolitik viel vom Kalten Krieg die Rede gewesen. Ich habe in der letzten außenpolitischen Debatte zwar freimütig bekannt, daß der Begriff und die Tatsache des Kalten Krieges äußerst unbequeme Angelegenheiten für die deutsche Öffentlichkeit, ja, ich möchte sogar sagen, auch für unsere Verbündeten, sind; ich habe aber auf der anderen Seite darauf hingewiesen, daß sich einer Täuschung hingibt, wer glaubt, daß der Kalte Krieg zu Ende sei. Ich glaube, ich darf es, ohne es groß untermau-



    Schneider (Bremerhaven)

    ern zu müssen, auch heute wieder aussprechen: Der Kalte Krieg dauert an. Es nützt kein Jammern darob, daß er andauert. Wir sollten ihn einfach zur Kenntnis nehmen, sollten die Konsequenzen daraus ziehen, sollten ihn insonderheit auch ertragen können und sollten uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, besonders nicht immer gegenseitig den Spiegel vors Gesicht halten und die Forderung aufstellen, den Kalten Krieg zu beenden. Denn es sind ja gar nicht wir, die ihn machen. Die ihn machen, sollen ihn beenden. Auch das muß einmal deutlich gesagt werden.
    Wenn wir aber schon in einem solchen Zustand zu leben gezwungen sind — und daran sind wir zumindest nur zum Teil schuldig —, dann sollte auch Klarheit darüber bestehen, daß wir in unserer Sache fest sein müssen, daß wir in der Taktik geschmeidig und unnachgiebig in Sachen der Landesverteidigung sein müssen. Ich glaube jedenfalls, daß nicht zuletzt diese gemeinsamen Anstrengungen auf diesen drei Gebieten in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, daß wir uns überhaupt noch in Freiheit hier versammeln und miteinander sprechen können und nicht ein furchtbares Unglück über Europa und die Welt gekommen ist.
    Um noch etwas zur Landesverteidigung zu sagen, möchte ich hier ausdrücklich feststellen — vielleicht gehört auch das zu einer Bestandsaufnahme —, daß nur das eindeutige Bekenntnis zur Landesverteidigung mit allen materiellen und ideellen Konsequenzen und nur das eindeutige Bekenntnis zum Bündnis den Bestand und die Freiheit dieses Lebensraumes auch weiterhin zu sichern vermögen. Bekenntnisse allgemeiner Art, die nur auf die soziale Betreuung unserer Soldaten oder auf eine Einschränkung einer entsprechenden waffenmäßigen Ausrüstung oder gar auf eine Einschränkung unseres Bündnisses abzielen, das allein bekanntermaßen uns Frieden und Freiheit garantiert, sind wertlos und können nur dazu führen, daß diejenigen zum Diktat herausgefordert werden, die schon lange darauf warten, uns ihrem Diktat zu unterwerfen.
    Ich darf abschließend dazu sagen: Wenn man den Mut zur Freiheit hat, muß man auch den Mut zu der Politik haben, die diese Freiheit sichert, und zwar ohne jede Einschränkung. Wir wissen alle, daß es in erster Linie das Gleichgewicht der militärischen Kräfte gewesen ist, das es uns ermöglicht hat, unseren Staat in einiger Gesichertheit wieder-aufzubauen. Wir wissen alle — so bedauerlich und so unbequem das auch für den einzelnen und für eine breite Öffentlichkeit sein mag —, daß das Gleichgewicht ,der militärischen Kräfte zur Zeit jedenfalls noch die Voraussetzung ist für die Sicherung der Freiheit und für jede Art erfolgreicher Verhandlungen, damit uns die Sowjetunion nicht irgendwelche Lösungen aufzwingt, die wir nicht wollen.
    Ich glaube, es war der Kollege Majonica, der heute morgen schon das Beispiel des japanischen Ministerpräsidenten angeführt hat. Dieser Mann hat ,den Mut gehabt, die Politik auch zu vertreten, die ihm das sicherte, was er mit seiner Politik bezweckt, nämlich die Freiheit für sein Land. Es
    geziemt sich vielleicht, auch von dieser Stelle aus einem so mutigen Manne ausdrücklich Anerkennung zu zollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer aber auch das wieder nicht glaubt, sollte sich jener Äußerungen erinnern, die immer wieder in sowjetischen Presseorganen, Rundfunkmeldungen usw. auftauchen. Eine der jüngsten Meldungen liegt mir vor. Die „Sowjetskaja Armija" schreibt:
    Die Sowjetsoldaten müssen im Geiste eines glühenden Hasses gegen die Imperialisten erzogen werden. Es ist unbedingt erforderlich, die modernen Waffen stets einsatzbereit zu halten.
    Meine Damen und Herren, ich frage: woher nehmen diejenigen, die solche Worte schreiben oder prägen, die Berechtigung, anderen Vorhaltungen zu machen, die da alles Mögliche tun wollen, um sich vor einem eventuellen Losgehen dieser Waffen zu schützen?
    Es ist geradezu lächerlich, wenn die Pankower Marionettenregierung das Märchen in die Welt setzt, ,daß wir mit der allgemeinen Wehrpflicht und der Wiederbewaffnung einen Agressionskrieg oder Blitzkrieg gegen sie selbst bzw. gegen den Osten überhaupt planten. Man kann über solche Behauptungen zur Tagesordnung übergehen; denn auch den Herren in Pankow kann es nicht entgangen sein, daß der Westen in den letzten zehn Jahren durchaus Zeiten militärischer Überlegenheit gehabt und seine Friedfertigkeit eindeutig dadurch bewiesen hat, daß er von diesen militärischen Möglichkeiten trotz aller Bedrohungen aus dem Osten nicht ein einziges Mal Gebrauch gemacht hat.
    Ich stehe auf der anderen Seite nicht an, auch freimütig zusagen, daß wir unter diesen Umständer selbstverständlich ständig, täglich, ja stündlich auf einem Pulverfaß leben. Welcher verantwortliche Politiker, wo immer er stehen mag, könnte über diese Tatsache zur Tagesordnung übergehen? Und wie furchtbar ist es, zu wissen, daß die Auslösung einer Katastrophe zu irgendeiner Stunde unter Umständen einem menschlichen oder technischen Versagen zugeschrieben werden kann, wobei dieser Tatbestand unerheblich wäre angesichts dessen, was sich dann auf unserem Stern ereignen würde. Auf der einen Seite ist das militärische Gleichgewicht notwendig, um die Waffen schweigen zu lassen, auf der anderen Seite sind aber Möglichkeiten des Versagens vorhanden, die diese Waffen doch zum Sprechen bringen können. Hier ist jene Grenze erreicht, an der es wichtig ist, daß sich alle Verantwortlichen in der Welt Gedanken darüber machen, wie durch eine allgemeine kontrollierte Abrüstung diese Spannung und damit diese Gefahr abgewandt werden kann. Die Entspannung muß auch schon deswegen Platz greifen, damit wir unser eigenes nationales Problem Nummer 1, nämlich das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen und das Selbstbestimmungsrecht für unsere Berliner, zu lösen vermögen.
    Der Kollege Wehner hat recht. Er hat heute morgen hier gesagt, Herr Chruschtschow habe eine Frist von sechs bis acht Monaten gesetzt; wir könn-



    Schneider (Bremerhaven)

    ten gewärtig sein, daß er diese Frist dazu nutzen werde, uns mit neuen Überraschungen zu kommen. Auch meine politischen Freunde sind dieser Meinung, und ich befürchte, je näher die amerikanischen Präsidentschaftswahlen kommen, um so gefährlicher wird es werden, weil sich die Sowjets nicht scheuen werden, diesen und jenen Test zu machen, um einmal festzustellen, wie weit sie in der Provokation der westlichen Welt gehen können, ohne riskieren zu müssen, daß es deswegen vielleicht doch zu einem totalen Krieg kommt.
    Trotz des Scheiterns der letzten Konferenz und trotz des mäßigen Ausgangs aller voraufgegangenen Konferenzen sind meine Freunde der Meinung, daß weitere Gespräche und Konferenzen selbstverständlich stattfinden werden und auch müssen, und daß die Frage, ob die Probleme der Welt besser auf solchen Konferenzen oder auf dem Wege der Geheimdiplomatie gelöst würden, in einem solchen Augenblick mehr akademischer Natur ist; denn die Menschheit wartet schlicht darauf, daß die Probleme gelöst werden, ehe es zu spät ist.
    Ich bin kaum besorgt, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß etwa das Thema Deutschland bzw. Berlin bei solchen Gesprächen oder Konferenzen nicht einen sehr wesentlichen Platz auf der Tagesordnung haben würde. Es soll aber niemals in Frage gestellt sein, daß die Unversehrtheit unseres Raumes, die Unversehrtheit Berlins und letzten Endes — weil im Augenblick nicht mehr zu erreichen ist — die Unversehrtheit des Status quo zumindest gesichert sein muß, wenn es schon nicht gelingt, Schritte nach vorwärts zu tun.
    Meine Damen und Herren! Nicht nur, um nicht in den Verruf zu kommen, daß ich lediglich den militärischen Dingen das Wort redete, sondern auch aus der ganz nüchternen Erkenntnis heraus, daß sich mancherlei politische Auseinandersetzungen heute bereits auf andere Gebiete verlagert haben, darf ich es mir nicht versagen, auch hier darauf hinzuweisen, daß wir in dem Wettlauf, der in wirtschaftlicher Hinsicht gestartet worden ist, selbstverständlich werden mithalten müssen, so unbequem und so teuer dies auch sein mag. Es würde auch eine geistige Verkrustung bedeuten, wenn sich etwa die Vorstellungen darüber, wie wir unsere Sicherheit und Freiheit erhalten können, lediglich auf das militärische Gebiet beschränkten. Die wirtschaftliche Integration Europas, die in den letzten Jahren — von der Öffentlichkeit teilweise mehr oder weniger unbeachtet — sehr große Fortschritte gemacht hat, und auch die Frage der Entwicklungshilfe für bestimmte Länder sind zwar auf der einen Seite ein wesentlicher Faktor des Kalten Krieges, auf der anderen Seite sind sie aber auch ein wesentlicher Faktor, um zu den Möglichkeiten einer Entspannung zwischen den Völkern und Blöcken beitragen zu können. Wir als Deutsche sind selbstverständlich aufgerufen — wenn dies auch wieder unbequem ist —, hieran mitzuwirken, und zwar sowohl aus Gründen der Vernunft als auch aus Gründen der Moral, denn wir haben in weiten Teilen der Entwicklungsländer nicht nur einen guten Ruf zu verlieren, sondern wir haben auch neue Freunde zu gewinnen.
    Daß das besonders wichtig ist in einem Augenblick, in dem wir um unser Selbstbestimmungsrecht, um jenes primitivste Recht, das jedem Volk auf dieser Welt zusteht, kämpfen, sollte von diesem Hause, sollte von der Regierung und sollte auch von der deutschen Öffentlichkeit, die sich heute noch zu einem Teil dagegen wehrt, daß wir in diese Dinge überhaupt einsteigen, nicht übersehen werden. Eine unserer vornehmsten Aufgaben wird es sein müssen, der deutschen Öffentlichkeit klarzumachen, daß es trotz mancher Opfer, die von ihr auf diesem Gebiete ver- langt werden, einfach unabdingbar ist, wenn wir nur den Grad unserer Freiheit erhalten wollen, den wir im Augenblick haben. Das ist aus moralischen Gründen unabdingbar, das ist aber auch unabdingbar, wenn wir in jener großen Auseinandersetzung, in die wir nicht durch unsere Schuld hineingestellt worden sind, bestehen wollen. Sicherlich werden die Früchte eines solchen Opfers nicht von heute auf morgen geerntet werden können. Auch das muß der deutschen Bevölkerung klargemacht werden; denn wir dürfen nicht, was heute leider oftmals schon viel zu sehr der Fall ist, einfach in den Tag hinein leben, sondern wir müssen auch an die zukünftige Gestaltung unseres deutschen Schicksals denken.
    Meine politischen Freunde sind in den vergangenen Jahren realistisch genug gewesen, selbstverständlich auch die berechtigten Sicherheitswünsche und Interessen der Sowjets anzuerkennen, in der klaren Erkenntnis, daß wir unsere nationale Frage Nr. 1 nicht gegen die Sowjets, sondern letztlich nur mit ihnen werden lösen können.
    Selbstverständlich sind die Auseinandersetzungen zwischen den Chinesen einerseits und den Russen andererseits — es mag vielleicht verfrüht sein, darüber schon etwas zu sagen; aber ein kurzes Wort sei in dem Zusammenhang gestattet bei uns auf große Beachtung gestoßen. Ich nehme an, daß es Ihnen nicht anders gegangen sein wird. Hier zeichnet sich ein neuer Aspekt der Weltpolitik ab, mit dein wir eines Tages so oder so zu tun haben werden. Wir geben uns dabei keinen Illusionen hin. Schließlich Bandelt es sich in beiden Fällen um kommunistische Staaten. Ich glaube aber, daß die Sowjetunion eines Tages einmal den Zeitfaktor, den sie auch jetzt noch gegen uns ins Feld führt, um ihre Ziele durchzusetzen, in anderer Hinsicht selbst beachten muß. Sie wird die Entwicklungen im Fernen Osten nicht außer acht lassen können. Auch das ist eine realistische Betrachtungsweise.
    Gewiß, als Angehöriger einer Regierungspartei gebe ich zu, daß sich manche unserer Hoffnungen in den letzten zehn Jahren nicht erfüllt haben und unter Umständen auch in absehbarer Zeit nicht erfüllen werden, genauso wie sich manche Hoffnungen, deren Verwirklichung wir schon sehr nahe standen, wieder zerschlagen haben. Ich glaube aber, es ist kein Hochmut und keine Rechthaberei, wenn ich insgesamt feststelle, daß wir als die Verantwortlichen das beste aus der Situation gemacht oder, für unsere Kritiker, zu machen versucht haben. Ich will gar nicht einmal sagen, daß unsere Politik völlig richtig oder allein richtig gewesen ist. Es sind von der anderen Seite da und dort vielerlei Bausteine



    Schneider (Bremerhaven)

    mit hinzugefügt worden. Aber in der grundsätzlichen Linie — das dürfen wir als Regierungsparteien für uns in Anspruch nehmen — haben wir den Kurs angegeben und ihn klar durchgehalten, und das hat sich, zumindest bis zur Stunde, ausgezahlt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt keine Außenpolitik mit dem Rechenschieber. Deshalb ist es richtig, wenn einer meiner Herren Vorredner hier gesagt hat, es habe keinen Zweck, dieses oder jenes Detail wieder auszugraben oder über dieses oder jenes Detail in der Zukunft zu sprechen; die Entwicklungen würden erst endgültig beweisen, was richtig und was falsch gewesen sei. Soweit wir in einer so wichtigen Materie sehen und planen können, haben wir, glaube ich, das getan, was wir auf Grund der Verantwortung vor unserem ganzen Volk tun mußten. Angesichts der Stellung, die die Bundesrepublik innerhalb der freien Völkergemeinschaft wieder einnimmt, kann ich wohl sagen: Wir haben es gut getan.
    Der Kollege Mende hat in seiner Rede das Thema der Ostblockstaaten angeschnitten. Sie erinnern sich vielleicht, daß mein Freund von Merkatz dieses Thema schon vor Jahren einmal behandelte, als es noch absolut tabu war, und konkrete Vorschläge machte, die dann auf Grund der politischen Entwicklungen nicht realisiert werden konnten. Der Herr Kollege Mende hat bei einer anderen Frage vorsichtshalber gesagt: Ich will mich von den Sozialdemokraten absetzen, damit ich nicht in den Geruch komme, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen; 1 das werden Sie verstehen; genauso werden auch die Sozialdemokraten bemüht sein, ihrerseits ihr eigenes und nur ihr eigenes Gesicht zu zeigen.

    (Abg. Dr. Mende: Historische Wahrheit! Nur darum geht es!)

    — Aber, Herr Kollege Mende, ich kritisiere das ja gar nicht, sondern ich wollte jetzt fortfahren: Sie werden mir deswegen nicht verübeln, daß ich in Fortsetzung einer damals von uns aufgenommenen Idee, eines Planes, eines Vorschlages — nicht etwa in Verfolgung des Vorschlags, den Sie genannt haben; ich hätte das jetzt nicht bemerkt, wenn Sie nicht dazwischengerufen hätten — die Bundesregierung bei der weiteren Erörterung der außenpolitischen Planungen auch bitten möchte, zu erwägen, inwieweit es vielleicht momentan opportun sein könnte, eine gewisse Auflockerung unter dem Gesichtspunkt Platz greifen zu lassen, daß Isolierungen, die diesen Staaten von kommunistischer Seite gezwungenermaßen bereitet worden sind, von uns nicht noch weiter verstärkt werden sollten, insbesondere was unseren unmittelbaren Nachbarn Polen betrifft.
    Was können wir noch tun, meine Damen und Herren? Meine Freunde und ich sind realistisch genug, zu wissen, daß es eine eigene außenpolitische Initiative, eine eigene nationalstaatliche Art, wie das früher üblich war, in dieser Welt und bei dieser Sachlage nicht geben kann. Trotzdem können wir noch einiges tun. Wir können beispielsweise verstärkt kulturelle Kontakte pflegen. Wer sagt denn, daß die europäische Kultur heute etwa schon
    an der Elbe endet? Wer sagt auf der anderen Seite, daß nicht eines Tages auch ein eiserner Kulturvorhang heruntergehen wird? Dann wäre es zu spät. Sorgen wir doch dafür, daß wir in dieser Hinsicht ebenfalls, getragen von dem und vor allen Dingen überzeugt von dem, was wir als freie Menschen zu vertreten haben, mehr tun als bisher!
    Sorgen wir auch dafür im Auslande, daß das überholte Bild der Deutschen, wie es oftmals von unseren eigenen Verbündeten noch in Fernsehsendungen oder sonstwo gezeichnet wird, revidiert werden kann. Sorgen wir auch dafür, daß insonderheit die kommunistische Darstellung über dieses Deutsch-
    land und über seine Menschen im Ausland widerlegt werden kann! Warum überlassen wir es den kommunistischen Kulturzentren mehr oder minder, de Meisterwerke deutscher Dichter und Komponisten dem Ausland zu präsentieren und zu interpretieren? Auch hier ist, glaube ich — die Kollegen, die sehr viel im Ausland gereist sind, Werden es mir bestätigen —, ein weites und wichtiges Feld für eine eigene deutsche Initiative.
    Was die Entwicklungshilfe betrifft — ich hatte vorhin bereits nähere Ausführungen darüber gemacht —, so gehört sie mit hinein in das Thema der Frage, was wir tun können. Ich will mich darauf beschränken, noch einmal festzustellen, daß die Entscheidung über Freundschaft oder Gegnerschaft mit denjenigen, denen da geholfen werden soll, in dieser zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts fällt. Ich wage sogar zu sagen: da auch die Deutschen immer irgendetwas brauchen, woran sie sich orientieren können, und da ich genau wie wahrscheinlich Sie allenthalben höre, es gebe nichts, an dem man sich hier orientieren könne, — hier wäre beispielsweise ein wirkliches Ideal, wenn man sich schon nicht mehr an dem Ideal — offenbar ist das in unserem Vaterland nur sehr schwer möglich, weil es zu abstrakt ist — der Freiheit zu begeistern vermag.
    Ein Weiteres können wir gegen die Auslandspropaganda tun. Sie erinnern sich vielleicht, daß ich bereits in der Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes auf diesen Punkt hingewiesen habe, und zwar auf Grund von Informationen, die mir von bestimmter Seite über ein bestimmtes Land zugegangen waren. Der Herr Bundesaußenminister hat damals diese Frage mit einer Handbewegung abgetan, indem er sagte: Ich lehne es ah, die diplomatischen Vertretungen zu. Propagandazentralen zu machen. Abgesehen davon, daß dies von mir weder gesagt noch gemeint war, kann gerade dieses Feld in Zukunft nicht so unbeackert bleiben, wie es bisher der Fall gewesen ist. Ich weiß, es ist sehr schwer für den Haushaltsausschuß, und ich weiß, es ist sehr schwer, einmal vorgefaßte Meinungen zu beseitigen. Ich weiß, daß die Skepsis im Anfange jedenfalls viel stärker ist als die Überzeugungskraft. Aber ich sage Ihnen: Wenn wir unseren Platz, den wir da und dort errungen haben, behaupten wollen und wenn wir dem Ausland klarmachen wollen, was mit diesem Land wirklich ist und wie diese Menschen denken, fühlen und leben, und wenn wir dem Ausland noch mehr klarmachen wollen, wie es um



    Schneider (Bremerhaven)

    die Zweiteilung unseres Vaterlandes und wie es um die Frage Berlin aussieht, dann werden wir nicht darum herumkommen, mehr in Fragen der Auslandspropaganda zu tun. Das ist schon nötig angesichts der Tatsache, daß sich die sogenannte Deutsche Demokratische Republik längst angeschickt hat, mit einem Massenaufwand von Personal und Geld dafür zu sorgen, daß d a s Bild von Deutschland draußen gezeichnet wird, das ihr in den Kram paßt. Und da können wir als verantwortliche Politiker einfach nicht zurückstehen, und wir können uns insonderheit bei dieser Frage auch nicht etwa daran orientieren, daß es einmal ein Propagandaministerium unter Goebbels gegeben hat; sondern wir können uns allein daran orientieren, ob es einen Nutzeffekt hat und ob es unserem Lande nutzt und frommt, daß wir das Ausland über uns sachlich und
    vernünftig aufklären. Das allein, glaube ich, darf und kann Richtschnur sein.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch ein Weiteres zur Propaganda. Mir sagte kürzlich ein Auslandsreisender, ein sehr prominenter Beamter: „Ich habe in Süditalien und in Südfrankreich auf meiner Reise die Zonensender hören müssen, weil die deutschen Sender nicht zu hören waren. Aber da ich etwas von Politik verstehe, war ich natürlich in der Lage, die Meldungen von Ost auf West umzudenken."

    (Lachen bei der SPD.)

    — Ja, wenn es nicht zum Weinen wäre, möchte man
    darüber lachen. Es ist aber schließlich wirklich nicht
    zum Lachen, sondern es sollte auch hier Veranlassung
    für alle sein, darüber nachzudenken, wie wir solchen ausgesprochenen Übelständen steuern können.
    Noch ein Weiteres können wir tun. Wir können die Kontakte unter den Deutschen selbst sehr viel mehr verstärken. In der Hast dieses Hauses, bei der Vielzahl der Dinge, die wir zu beraten haben, bei der Vielzahl der Probleme, die auf uns zukommen, verbleibt immer wieder ein menschliches Problem auch bei solchen Erörterungen wie heute, weil natürlich auch über die Frage des Wie und Ob hier gestritten und diskutiert werden muß, nämlich das Problem, wie man jene Kontakte mit den Menschen drüben erhalten und mehr forcieren kann, als es zur Zeit noch der Fall ist. Die Zeitung „Christ und Welt" hat in einem ausgezeichneten Artikel „Die kleine Straße", den ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle, vor einiger Zeit sehr richtig gesagt, daß man statt der vielen Pläne, die in den letzten Jahren vorgelegt worden seien und immer wieder noch vorgelegt würden, die menschlichen Begegnungen mehr forcieren müsse, da die Deutschen ein lebendiger Körper von ungeheurer Widerstandskraft seien, dessen Blutbahnen sich immer wieder verbinden, auch wenn sie da und dort unterbrochen werden. Der Verfasser fuhr fort, daß den Bundesbürgern sehr viel mehr als ein Stufenplan und Punkt 1, 2, 3 irgendeines Plans interessiere, ob er seine Eltern oder Verwandten in Swinemünde oder in Schwerin besuchen könne.

    (Abg. Frau Kalinke: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, werten Sie diesen Hinweis, wie Sie wollen. Ich glaube, daß tatsächlich über alle Schikanen und über alle Zwangsjacken hinweg, die uns Deutschen auferlegt sind, diese menschlichen Kontakte in erster Linie das sind und sein müssen, was uns unverrückbar zusammenhält.
    Und noch eins: Warum sollten wir nicht noch einmal prüfen, ob wir — auf welchem Wege auch immer, da brauchen nicht Bonner Minister mit angeblichen Pankower Ministern zu verhandeln — es uns bei der Sache, die wir zu vertreten haben, nicht leisten können, einen stärkeren Austausch von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften durchzuführen. Ich wage zu behaupten, wenn es die Möglichkeit gäbe, ostzonale Presseerzeugnisse an den Kiosken der Bahnhöfe und Städte zu kaufen, würde man wahrscheinlich in den ersten vier Wochen — wenn es hochkommt — in Westdeutschland einen Run auf diese Machwerke erleben. Das würde höchstens vier Wochen dauern, und danach würde man sich für diese Dinge überhaupt nicht mehr interessieren.
    Ich weiß, es ist schwierig, diese Dinge in Gang zu bringen. Aber wo finden sich ein paar mutige Männer, wenn es sein muß aus der privaten Wirtschaft oder aus der privaten Initiative, die dafür sorgen, daß diese menschlichen Kontakte — denn es sind letzten Endes auch menschliche Kontakte — eine stärkere Pflege erfahren. Darum fragt „Christ und Welt" mit Recht: Warum kann ein Studentenaustausch nur darin bestehen, daß nur eine sehr begrenzte Zahl Ostberliner Studenten überhaupt im Bundesgebiet studieren kann, statt dessen aber eine sehr große Zahl ausländischer Studenten, gegen die ich nichts habe, an unseren Hochschulen studieren? Angesichts dieses Problems muß ich sagen, es wäre sehr viel richtiger, erst einmal zu versuchen, eine möglichst große Zahl unserer Studenten nach drüben zu schicken und eine möglichst große Zahl ostzonaler Studenten herüberholen zu können.
    Die Tatsache, daß das im Augenblick vielleicht in diesem Raum nicht realisierbar erscheint oder daß es Skepsis hervorruft, sollte uns — das ist hier dankenswerterweise von meinen Vorrednern auch schon gesagt worden nicht von vornherein davon abhalten, solche Dinge immer wieder zu versuchen, um dadurch das System des Zwanges und des Terrors zu unterlaufen. Zwei Auffassungen stehen sich gegenüber: wir mit unserer fortschrittlich-konservativen Auffassung vom Menschen, der sich im Grunde nicht ändert, und der Kommunismus, der die gegenteilige Auffassung vertritt, der glaubt, er könne durch Zwangsjacke und Terror den Menschen schließlich doch ändern. Ich wage zu behaupten, daß wir die rechte Auffassung vertreten, und deswegen haben wir Aussicht, solche Dinge zu verwirklichen. Hier ist auch ein Ansatzpunkt für eine Gemeinsamkeit in der Politik.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas über die Frage der gemeinsamen Außenpolitik sagen, die in den letzten Wochen durch den Blätterwald gegeistert ist und von der heute die Rede war. Ich glaube, ich habe ein gutes Alibi als Vertreter meiner Partei, wenn ich noch einmal daran erinnere, daß ich nach jener unerfreulichen außenpolitischen Debatte des Deutschen Bundestages im Jahre 1958 als Sprecher



    Schneider (Bremerhaven)

    meiner Partei öffentlich erklärt hatte, daß es beklagenswert sei, daß nicht nur in diesem Hause, sondern speziell unter den großen Parteien, die die meiste Verantwortung tragen, Auseinandersetzungen dieser Art stattfänden, weil die Lebensfragen der Nation nicht in den parteipolitischen Hader gehören. Ich habe von diesem Wort hier und heute nichts zurückzunehmen, zumal ich festgestellt habe, daß sich die Vertreter aller Fraktionen über diese Frage nunmehr mehr oder minder einig sind. Wir bejahen eine gemeinsame Außenpolitik, aber nicht mit der Einschränkung, die der Herr Bundesaußenminister gemacht hat. Entscheidend ist nur eine richtige Außenpolitik. Zwar ist die richtige Außenpolitik zuletzt entscheidend, aber die Frage, welches die richtige Außenpolitik ist, muß schließlich erst einmal geklärt werden.

    (Unruhe.)

    — Herr Präsident, könnten Sie mir etwas Ruhe verschaffen?