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ID0312201700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Um es ganz klarzustellen, Herr Kollege Wehner: ich habe nicht die Richtigkeit Ihres Zitierens bestritten,

    (Abg. Wehner: Besten Dank!)

    sondern ich bestreite, daß eine verkürzte Meldung genügenden Aufschluß über ein lange Sache geben kann. Um ein objektiveres Urteil zu ermöglichen, habe ich zwei ausführliche Berichte aus deutschsprachigen argentinischen Zeitungen zitiert.

    (Abg. Wehner: Wofür ich Ihnen gedankt habe!)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.

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    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zur Innenpolitik, in der sich Personen und Personengruppen im Kampf um die politische Macht oder um den Interessenausgleich gegenüberstehen, liegt das Wesen der Außenpolitik darin, daß Völker und Völkergemeinschaften, Staaten und Staatengemeinschaften sich in einem Miteinander, Nebeneinander oder leider manchmal auch in einem Gegeneinander als Subjekte und Objekte des Völkerrechts gegenüberstehen. Daher bemüht man sich in der Außenpolitik um eine weitestgehende Gemeinsamkeit, um die Interessen seines Volkes und Staates möglichst nachdrücklich zur Geltung bringen zu können, und stellt kleinliche, nebensächliche Fragen zurück.
    Das angelsächsische Vorbild hat uns seit Jahren ermuntert, auch für die Bundesrepublik wenigstens eine Gemeinsamkeit in den prinzipiellen Fragen der Deutschlandpolitik und der Außenpolitik zu fordern. Wir glauben, daß der bisherige Verlauf der heutigen Debatte bewiesen hat, daß es doch ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit in prinzipiellen Fragen gibt.
    Außenpolitik eignet sich andererseits nicht zu einer subtilen Behandlung vor einem Auditorium maximum von tausend Zuhörern und Zuhörerinnen,



    Dr. Mende
    sie ist ihrem Wesen nach mehr der Vertraulichkeit, mehr der Geheimdiplomatie, zugeeignet. Das Scheitern der bisherigen Propagandakonferenzen deutet darauf hin, daß auch die Staatsmänner prüfen, ob man nicht wieder reumütig zu dem alten und bewährten Institut der Geheimdiplomatie zurückkehren sollte, zumindest zu einer gründlicheren Vorbereitung der dann stattfindenden großen Konferenzen, als sie in den letzten Jahren zu verzeichnen gewesen ist. Die Organismen, in denen ein Parlament die subtilen Analysen der Außenpolitik unternehmmen kann, sind der Außenpolitische Ausschuß und, für die Sicherheitsfragen, der Verteidigungsausschuß. Es wird niemandem heute in diesem Auditorium maximum gelingen, zu überzeugen und neue Wege bis ins einzelne aufzuzeigen oder gar einen Austausch des zur Verfügung stehenden Geheimmaterials zu versuchen.
    Wenn wir bisher die Gemeinsamkeit in den prinzipiellen Fragen der Außenpolitik gefordert haben und sie auch heute fordern, dann glauben wir, daß die Bundesregierung selbst ein Interesse daran haben sollte, gewisse außenpolitische Fragen mit dem größeren Gewicht eines gemeinschaftlichen Auftretens aller Fraktionen dieses Hauses anzugehen. Es soll sogar anderswo ein geschicktes Kooperieren zwischen Opposition und Regierung dann geben, wenn die Regierung von der Opposition die Erörterung mancher Fragen wünscht, die sie selbst als Regierung glaubt nicht öffentlich erörtern zu können. Deswegen kann man den Wunsch nach Gemeinsamkeit nicht etwa mit „Gleichschaltung" gleichsetzen. Wir glauben, daß uns die nächsten Monate und Jahre genügend Anlaß geben werden, zu prüfen, ob wir eine politische Notgemeinschaft gegen die Bedrohung von außen schließen und näher zusammenrücken sollten, als das bisher sichtbar war.
    Auch in der heutigen Debatte hat es doch bei allen Sprechern in folgenden wenigen Fragen keine Differenzen gegeben. Beispielsweise in der Ablehnung jeglicher isolierter Lösungen in der Berlin-Frage! Die Berlin-Frage löst sich nur im Zusammenhang mit der Deutschland-Frage; sie ist daher auch ein Hebel zur Deutschland-Frage! Alle Fraktionen dieses Hauses lehnen Zwischenlösungen, sogenannte Interimslösungen, für Berlin ab.
    Allen Fraktionen dieses Hauses ist zweitens der Wille gemeinsam, die Einheit Deutschlands nicht um jeden Preis herzustellen, nicht um den Preis der Freiheit. Vielmehr ist Einheit für uns identisch mit den Grund- und Freiheitsrechten einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung.
    Die dritte Erkenntnis aus dem bisherigen Ablauf der Debatte ist, daß alle Fraktionen dieses Hauses die Freiheit für wert erachten, geschützt und verteidigt zu werden, und daß sich alle Parteien zum Notwehrrecht eines Volkes als einem kollektiven Grundrecht bekennen.
    Der Herr Bundesaußenminister hat es für richtig gehalten, in seine Regierungserklärung ein Gespräch zwischen dem Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau" und mir einzubeziehen. Die „Frankfurter Rundschau" wird ihm für diese Werbung dankbar sein. An dieses in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlichte Gespräch knüpft der Herr Bundesaußenminister aber falsche Folgerungen. Er erklärt, er unterstreiche, daß es in der Politik nicht wie in den exakten Wissenschaften die Möglichkeit gebe, zu prüfen, was richtig und was falsch sei, aber er verwahre sich dagegen, daß man auf das Urteil der Geschichte warten und daß man bis dahin die Hände in den Schoß legen wolle, daß man nicht handle. Das ist in diesem Gespräch mit keinem Wort gefordert worden. Gerade wir Freien Demokraten haben in den vergangenen Jahren bewiesen, daß wir die erbittertsten Gegner des Nichtstuns in der Deutschlandfrage sind. Wir haben mehr konstruktive Vorschläge zur Deutschlandfrage gemacht, als manchmal der Bundesregierung lieb war. Also die Hände in den Schoß legen und das Urteil der Geschichte abwarten — so war das nicht gemeint.
    Es war nur — nach meiner und meiner Freunde Überzeugung mit Recht — Verwahrung eingelegt worden gegen einen Monopolanspruch auf die allein richtige Auffassung in politischen, in außenpolitischen Fragen. Subjektiv, das unterstellen wir jedem von uns, glaubt jeder, daß sein Weg richtig sei. Ob er objektiv richtig war, das allerdings bestimmt in der Tat erst das Urteil der Geschichte, manchmal nach einem kurzen Zeitraum, manchmal nach einem längeren.
    Herr Bundesaußenminister, Sie haben, als Sie vor fünf Jahren der Bevölkerung an der Saar die Annahme des Saarstatuts empfahlen, sicher in der Überzeugung gehandelt, daß das der richtige Weg zur Lösung der Saarfrage sei. Unser Kollege, der Vizepräsident Max Becker, hat hier auf diesem Platz einen andern Weg mit Leidenschaft als richtig vertreten, nämlich den, über die Ablehnung des Saarstatuts zur Rückkehr der Saar zu Deutschland zu kommen, weil die Annahme des Saarstatuts die Ausklammerung der Saar aus dem deutschen Staatsverband bedeutet hätte. Es hat sich in dieser Diskussion eine heftige, eine leidenschaftliche Kontroverse entwickelt, die letzten Endes mit ursächlich dafür war, daß das bis dahin einigermaßen gute Verhältnis zwischen CDU und FDP in der Regierungskoalition von 1949 bis zum Februar 1956 sich doch so auseinanderentwickelte, daß die Koalition zerbrach.
    Wer hat nun vor der Geschichte objektiv recht behalten? Die Auffassungen sind in diesem kurzen Zeitraum bereits objektiv überprüfbar geworden. Es war objektiv richtig, daß Saarstatut abzulehnen! So ist die richtige Lösung in der Saarfrage erreicht worden und nicht, wie der Herr Bundesaußenminister und der Herr Bundeskanzler es subjektiv für richtig hielten, durch die Annahme des Saarstatuts.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Es ist auch nicht gut, eine Alternative zu setzen: gemeinsame Außenpolitik sei nicht so entscheidend; die richtige Außenpolitik sei entscheidend. Die Alternative zu „Gemeinsamkeit" ist „Einzelaktion", die Alternative zu „richtig" ist „falsch" oder „unrichtig". Auch das Beispiel mit dem Patienten, an dessen Krankenbett sich ein Konsilium von Ärzten



    Dr. Mende
    einfindet, nicht in dem Bemühen — wie der Herr Bundesaußenminister sagte —, eine gemeinsame Therapie zu finden, sondern in dem, die richtige Therapie zu finden, ist schief.
    Was ist das Wesen und was ist die geistige Grundlage des Pluralismus und des Parlamentarismus? Die geistige Grundlage des heutigen Parlamentarismus ist jener dynamisch-dialektische Vorgang von Rede und Gegenrede, von Argument und Gegenargument mit dem Ziel, aus der pluralistischen Diskussion die relativ beste und vielleicht die objektiv richtige Lösung zu finden. Auch wenn sich die Ärzte am Krankenbett im Konsilium zusammenfinden, hoffen sie, daß sie aus der Vielzahl der Erwägungen die objektiv richtige Therapie in Gang bringen. Ob es die richtige Therapie war, zeigt sich noch nicht beim Konsilium, sondern erst am Ende der Krise, nach der Genesung des Patienten.
    So ist es auch mit dem „deutschen Patienten". Deutschland befindet sich doch in der tiefen Krise seiner Dreiteilung. Ein Drittel des deutschen Raumes, die deutschen Ostgebiete, ist zur Zeit von uns getrennt. Der Rest ist zweigeteilt, und Berlin befindet sich in permanenter Bedrohung. Ich glaube, es ist daher auch in diesem Fall zu früh, bereits jetzt einen apodiktischen Anspruch und ein Monopol auf die objektiv richtige Deutschlandpolitik erheben zu können,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    sondern wir alle treffen uns in dem Bemühen, das subjektiv Richtige zu finden. Die Frage, ob es objektiv richtig war, wird in der Tat — wie in vergangenen Epochen — erst das Urteil der Geschichte entscheiden müssen. Wir alle wollen hoffen, daß es in unserem Sinne entscheidet, in dem es dann unseren Bemühungen gelungen ist, Deutschlands Einheit in freier Selbstbestimmung zu vollenden.
    Lassen Sie mich nun eine ganze Anzahl von Punkten erwähnen, in denen wir Freien Demokraten die Auffassung der Bundesregierung, wie sie in der Regierungserklärung zu hören war, unterstreichen. Die Regierungserklärung hat unsere Auffassung bestätigt, daß es in diesem Hause mehr Gemeinsames gibt, als gemeinhin in der politischen Auseinandersetzung bisher zu erkennen war. Wir Freien Demokraten teilen in folgenden Punkten die Auffassung der Bundesregierung und stimmen folgenden Feststellungen zu:
    1. Wir stimmen überein mit der Beurteilung der gegenwärtigen weltpolitischen Spannungen und der dadurch heraufbeschworenen unmittelbaren Kriegsgefahr. Noch vor zwei Jahren hat man in diesem Hause unsere gleichen ernsten Vorstellungen nicht ernst genommen.
    2. Wir stimmen dem zu, daß wir unter einer kommunistischen Bedrohung stehen — nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten freien Welt — und daß eine geistige und wirtschaftliche Offensive des Kommunismus begonnen hat.
    3. Auch wir bekennen uns zum unabdingbaren Willen der Verteidigung gegen die kommunistische Bedrohung auf geistigem, auf wirtschaftlichem und auf militärischem Gebiet.
    4. Wir unterstreichen das Urteil der Bundesregierung über die Bedeutung der Entwicklungshilfe, weil sich die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus längst vom engen militärischen Bereich auf den geistigen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich ausgedehnt hat und Afrika und Asien hier die in Zukunft entscheidenden Räume sein werden.
    5. Wir unterstreichen — wie auch der Sprecher der sozialdemokratischen Opposition — die Enttäuschung aller in diesem Hause über das Scheitern der Gipfelkonferenz und der Genfer Abrüstungskonferenz.
    6. Wir unterstützen den Willen der Bundesregierung, zu einer allgemeinen, kontrollierten Abrüstung beizutragen.
    7. Wir sind uns mit der Bundesregierung einig in der Ablehnung jeglicher militärischer Lösungen im Rahmen der Abrüstung, die die Stellung des Westens einseitig verschlechtern würden und die zu einer Störung des für den Frieden der Welt unerläßlichen Gleichgewichts führen könnten.
    8. Wir bekennen uns zur atlantischen Verteidigungsgemeinschaft, zumal wir Freien Demokraten den Beitritt der Bundesrepublik zu dieser Gemeinschaft seinerzeit mit unseren Stimmen in diesem Hause überhaupt erst ermöglicht haben. Wir unterstützen den Ausbau der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft und lehnen einseitige militärische Vorleistungen ab. Es muß ein unabdingbares Junktim zwischen möglichen neuen internationalen Sicherheitssystemen und der Wiedervereinigung Deutschlands geben.
    9. Für die Freie Demokratische Partei steht es außer Zweifel, daß das wiedervereinigte Deutschland sich politisch, wirtschaftlich und kulturell als zur Völkerfamilie der freien Welt gehörig fühlen wird, mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten.
    10. Wir sind wie die Bundesregierung der Überzeugung, daß die Bewahrung des Friedens oberstes Gebot unserer Außenpolitik und der Bemühungen der Staatsmänner dieser Welt sein muß.
    Wir Freien Demokraten bejahen eine Außenpolitik, die sich zu den Grundsätzen der nationalen Selbstbestimmung, der freiheitlichen Menschenrechte und des Rechts auf Heimat bekennt. Sie muß unserer Lage in Mitteleuropa Rechnung tragen, den entspannenden Ausgleich nach allen Seiten suchen und damit der Erhaltung des Friedens dienen. Diese Politik der Entspannung ist nur möglich unter Achtung der bestehenden Verträge und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den uns befreundeten Völkern. Wir sehen unsere Aufgabe darin, zur Milderung der Gegensätze und der weltpolitischen Spannungen auf unserem Boden beizutragen.
    Durch die Pariser Verträge konnte ein dauerhaftes Freundschaftsverhältnis zu den Westmächten angestrebt und erreicht werden. Ebenso stellt sich uns aber die Aufgabe, durch eine aktive und konstruktive Politik das Verhältnis Deutschlands zu den osteuropäischen Völkern friedlich zu regeln. Unser verstorbener Kollege Pfleiderer, der spätere Botschafter



    Dr. Mende
    in Belgrad, hat schon vor acht Jahren in einer außenpolitischen Debatte die Empfehlung an dieses Haus gegeben, diplomatische Beziehungen nicht nur nach dem Westen, sondern auch nach dem Osten aufzunehmen. Ihnen allen ist vielleicht noch der damalige klassische Ausspruch des Kollegen Pfleiderer bekannt: „Man hat gute diplomatische Beziehungen, man hat schlechte diplomatische Beziehungen — gar keine hat man nur im Krieg."
    Diplomatische Beziehungen sind die normalste Form des Verkehrs der Staaten und Völker untereinander. Wir unterstützen daher den Gedanken der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks. Wir sehen keine Gefahr, daß dadurch etwa politische oder territoriale Verhältnisse eine Anerkennung finden könnten. Genauso wie bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion — die mit der einstimmigen Billigung dieses Hauses erfolgt ist — die Vorbehalte zu Protokoll gegeben wurden, daß diese diplomatischen Beziehungen keine Anerkennung der politischen Verhältnisse in Mitteldeutschland und keine Anerkennung der Oder-Neiße-Linie darstellten, müßte selbstverständlich auch bei Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Prag, Warschau, Budapest, Bukarest, Sofia und zu Peking durch solche Vorbehalte die Gefahr ausgeschieden werden, daß etwa ein Schaden für die Position Deutschlands gestiftet wird.
    Wir bitten daher die Bundesregierung — die heutige Regierungserklärung sagt darüber nichts —,
    sich auch einmal zu überlegen, wie das Verhältnis zu den europäischen Nachbarstaaten im Osten einer allmählichen Normalisierung entgegengeführt werden kann.
    Man kann sich auf den Standpunkt stellen: Es geschieht nichts, es bleibt alles so. Wenn alles so bleibt, dann fürchten wir, daß wir das diplomatische Feld in Prag, Warschau, Budapest, Bukarest, Sofia und anderswo den sogenannten Botschaftern der sogenannten DDR überlassen, die dann weiterhin mit einem erheblichen Propagandaaufwand ein völlig falsches, ein verzerrtes Bild von dem Wollen und den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland geben.
    Wer daher nicht will, daß das Feld für die anderen frei gehalten bleibt, der sorge dafür und mache sich Gedanken, wie wir in diesem geistigen, wirtschaftlichen und kulturellen Wettbewerb uns bessere Ausgangspositionen schaffen, wie sie nun einmal durch diplomatische Beziehungen gegeben sind. Ich wiederhole: diese diplomatischen Beziehungen dürfen in keiner Weise die Position der Bundesrepublik schwächen. Sie dürfen nicht zu einer Anerkennung der Zweiteilung oder zu einer Anerkennung der territorialen Verhältnisse an der Oder-Neiße-Linie führen.
    In der Wiedervereinigungsfrage glauben wir Freien Demokraten feststellen zu müssen, daß die Ausgangsposition Deutschlands heute schlechter denn je in der Vergangenheit ist. Die Zeit scheint hier gegen uns gearbeitet zu haben. Ich will mich hier nicht in einen Streit einlassen; auch die bisherigen
    Sprecher vermieden es im allgemeinen, allzusehr rückschauend zu ,diskutieren. Es gibt die Auffassung, daß es 1952 günstigere Möglichkeiten einer Verhandlung um die deutsche Einheit gegeben hätte, damals als Stalin noch lebte und aus welchen Gründen auch immer der seinerzeitige Vorschlag zur Deutschlandfrage an die Westmächte erging.
    Es gibt andere, die erklären, 1955 sei im Rahmen der Genfer Konferenz durch die damalige Vorlage des Eden-Plans — des Plans des britischen Premierministers Eden — eine günstigere Ausgangsposition gewesen. Eden erwähnte das selber in seinen Memoiren, und der ehemalige französische Ministerpräsident, der damals ebenfalls Kronzeuge in Genf war, Edgar Faure, bestätigte das vor einigen Wochen in der französischen Zeitung „Combat". Der Herr Bundeskanzler selber hat in einer Note an die Sowjetunion — ich glaube, im Jahre 1956 — ausdrücklich auf den Eden-Plan Bezug genommen. Mit Vorschlägen zur kontrollierten Teilabrüstung im europäischen Bereich, Herr Kollege Wehner, hat sich also nicht nur ,der Verteidigungsminister, sondern haben sich auch der Bundeskanzler und damit die Bundesregierung einmal beschäftigt. So tabu waren diese Dinge einer Teilabrüstung in Europa also nicht. Das mißverständliche Wort „Disengagement" sollte man vermeiden; es sagt nichts Richtiges über das wahre Wollen aus. Aber ich gebe zu: nach den sehr harten Reaktionen der Amerikaner bei dem deutsch-amerikanischen Gespräch in Godesberg und nach dem, was wir aus dem Osten hören, scheint gegenwärtig für solche Vorschläge keine Realisierungsmöglichkeit vorhanden zu sein.
    Andere sagen, 1958 hätte beim Besuch Mikojans die Chance der Behandlung des deutschen Problems bestanden; Mikojan sei nicht nur hierhergekommen, um den Handelsvertrag zu schließen, das hätte auch sein Außenhandelsminister tun können, und er habe offensichtlich politische Verhandlungen gesucht. Andere wiederum sagen, es habe niemals die Chance gegeben, weder 1952 noch 1955, noch 1958. Keine von beiden Seiten ist in der Lage, diese Argumente mit mathematischer Exaktheit zu beweisen. Es bleiben Ermessensfragen, dem Urteil allenfalls der Historiker mach Kenntnis allen Materials überlassen.
    Aber eines ist sicher, wenn nicht mathematisch beweisbar, so doch sichtbar: die Haltung der Sowjetunion zur Deutschlandfrage hat sich von Jahr zu Jahr verhärtet. Das Auftreten der Regierung der UdSSR ist von Jahr zu Jahr schärfer gegen uns geworden. Ich erinnere nur an den Widerspruch zwischen dem Aide-mémoire von März 1958, in dem man noch ausdrücklich ablehnte, zwei Friedensverträge mit zwei deutschen Teilstaaten zu schließen und sich zu einem Friedensvertrag mit ganz Deutschland bekannte, und andererseits der Drohung Chruschtschows im Jahre 1960 mit dem sogenannten Separat-Friedensvertrag. Die Äußerungen, die der sowjetische Ministerpräsident in Paris und auch jetzt wieder zusammen mit seinem Verteidigungsminister Malinowski von sich gegeben hat, bestätigen unsere tiefe Enttäuschung wegen der harten, kompromißlosen Haltung der Sowjets in der Deutschlandfrage.



    Dr. Mende
    Es gibt sehr viele Erörterungen darüber, wo der Grund des scharfen Auftretens Chruschtschows in Paris gelegen haben könne. Aber Kremlastrologie ist seit 43 Jahren eine sehr undankbare Angelegenheit. Fest steht nur: offensichtlich scheint die Sowjetunion durch die technische Entwicklung in eine Position gekommen zu sein, in der sie glaubt, sich diese Art der Sprache und diese Erpressungsmethoden leisten zu können. Ich verweise hier auf Dinge, die uns schon in der Vergangenheit oft beschäftigt haben. Wir haben schon in der Vergangenheit öfter darauf hingewiesen, daß sich die Technik in einem rasenden Wettlauf mit der Zeit befinde, daß durch die Astronautik und durch die Raketenentwicklung völlig neue Perspektiven für die Strategie entstanden sind und daß sich aus der neuartigen Strategie auch veränderte Perspektiven in der Politik ergeben, daß sich technischer Fortschritt, strategisches Denken und Politik in einer ständigen Wechselwirkung gegenseitig beeinflussen.
    Es ist leider — Gott sei es geklagt — nicht zu leugnen, daß es der Sowjetunion gelungen ist, auf gewissen Gebieten der strategischen Forschung — Lunik I bis III und die interkontinentalen Raketen beweisen es — gewisse temporäre Überlegenheiten zu erreichen, aus denen heraus sie glaubt, ihre politischen Drohungen gegen Berlin und gegen den Westen ausüben zu können.
    Die Frage ist, wie sich noch weiter im Wettlauf zwischen Technik, Strategie und Politik möglicherweise das Verhältnis verschiebt und inwieweit sich auch der Einfluß Pekings auf Moskaus Entscheidungen, sei es im Positiven, sei es im Negativen, auf die kommenden politischen Entwicklungen auswirken wird.
    Wir alle sind tief bestürzt über den Haßausbruch, den sich der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow auf der Pariser Pressekonferenz gegen uns alle zuschulden kommen ließ. Millionen deutscher Männer und Frauen sind an den Fernsehschirmen Zeugen und Zeuginnen dieses Haßausbruchs geworden. Man kann es verstehen, wenn wenige Jahre nach dem Krieg aus den Ressentiments und den Leiden, die der Krieg über alle gebracht hat, noch solche haßerfüllten Äußerungen zu hören waren. Aber ein Staatsmann, der dank seiner Macht, die er erreicht hat, mit das Schicksal der Welt bestimmt, darf 15 Jahre danach nicht in solcher Form von Deutschland sprechen und beklagen, es wären nicht genügend deutsche Menschen bei Stalingrad, in der Ukraine und in Weißrußland gefallen. Das ist eines Staatsmannes, der dauernd von Entspannung redet, unwürdig und zeugt von einem un-staatsmännischen Völkerhaß gegen Deutschland.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und in der Mitte.)

    Wir sind, wie vor einigen Wochen alle Fraktionen zum Ausdruck gebracht haben, alle der Meinung, daß der sowjetische Ministerpräsident Verantwortung und Schuld für das Scheitern der Gipfelkonferenz zu tragen hat. Er hat bereits 1959 — und da gebe ich dem Bundesaußenminister und auch Herrn Majonica recht — doch schon bei seinem Besuch in
    Camp David gewußt, daß es Agenten auf beiden Seiten gibt. Wie anders wäre sonst seine Berner-kung zu dem Sicherheitschef der Amerikaner Allan Dulles zu verstehen: Herr Dulles, ich habe das Gefühl, daß manche unserer Agenten für uns beide arbeiten; wir sollten einmal unsere Berichte austauschen. — Spionage, Gegenspionage und Agententätigkeit gehören nun einmal leider zur modernen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts. Das allein kann nicht der Grund für das Scheitern der Gipfelkonferenz gewesen sein, daß sich die Sowjetunion über das abgeschossene amerikanische Aufklärungsflugzeug vom Typ U 2 mit Recht beklagen konnte.
    Ich will hier nicht prüfen, inwieweit auch das taktisch unkluge Verhalten der Amerikaner zu dem Scheitern mit beigetragen und Herrn Chruschtschow die Vorwände geliefert hat, dann leider so aufzutreten. In der amerikanischen Öffentlichkeit ist diese Diskussion um das taktische Verhalten gegenwärtig im Gange, und es ist nicht primär unsere Sache, hier Richter in amerikanischer Sache zu spielen. Das mögen die dafür verantwortlichen amerikanischen Politiker entscheiden.
    Wir Freien Demokraten haben in der Vergangenheit — ausgehend von der Berliner Entschließung vom 1. Oktober 1958 häufiger Vorschläge gemacht, wie wir uns die Wiedervereinigung denken. Wir haben diese Vorschläge in Leitsätzen zusammengefaßt und sie der Öffentlichkeit übergeben, nachdem sie vorher im Auswärtigen Ausschuß diskutiert worden waren. Herr Kollege Majonica war einer der Berichterstatter. Alle Fraktionen sind sich weitgehend darüber einig, daß, wenn die deutsche Wiedervereinigung überhaupt erreichbar ist, sie nur in einer untrennbaren Verbindung von neuen Sicherheitskonstruktionen mit politischen Lösungen zu finden ist. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten und ihrem Plan halten wir ein unabdingbares Junktim aufrecht und lehnen jegliche militärischen Vorleistungen ab.
    Wir möchten aber auch 'darauf hinweisen, daß es nicht der Sache der Wiedervereinigung dient, wenn man heute so tut, als stelle jegliche Zitierung der Bundesrepublik als Provisorium beinahe eine Art Landesverrat dar. Das Grundgesetz selbst hat in seiner Präambel eindeutig festgestellt, daß für eine Übergangszeit hier eine neue staatliche Ordnung geschaffen werden sollte. Der Art. 146 des Grundgesetzes ist die Bestätigung dieser für eine Übergangszeit beabsichtigten Ordnung; denn dort heißt es:
    Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
    Für uns bleiben die Präambel des Grundgesetzes
    und .das Wiedervereinigungsgebot von großer Wichtigkeit. Dort heißt es:
    Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
    Insofern ist — getreu nach Sinn und Text des
    Grundgesetzes — die Bundesrepublik ein Organis-



    Dr. Mende
    mus, „um" — ich zitiere wörtlich — „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben".
    Aber — vielleicht hat das der Herr Bundesaußenminister gemeint — gewisse im Grundgesetz niedergelegte Postulate sind allerdings keine Provisorien, sondern sie haben für eine rechtsstaatlich-demokratische Ordnung Ewigkeitswert. Das sind die Grund- und Freiheitsrechte, die im Grundgesetzkatalog niedergelegt sind, und das ist die rechtsstaatlich-demokratische Grundordnung, die wir für das wiedervereinigte Deutschland als allein möglich anerkennen können. Insofern, glaube ich, ist der Streit um Provisorium oder Definitivum durch eine solche Klarstellung leicht zu beseitigen. Wir würden auch der Revisionsklausel des Deutschlandvertrages nicht Rechnung tragen, wenn wir so täten, als wäre die Bundesrepublik für uns bereits etwas Definitives. Im Jahre 1952 war in der ursprünglichen Konstruktion des Deutschlandvertrages allerdings eine automatische Bindungsklausel, die dann, dank der Einsicht des amerikanischen Außenministers Acheson, seines Mitarbeiters Jessup und ,der Initiative der Freien Demokratischen Fraktion schließlich zu einer Revisionsklausel, zur jetzigen Fassung des Art. 10 Abs. 3 umgestaltet wurde.
    In unseren Leitsätzen für eine mögliche Wiedervereinigung sind Sicherheit und Wiedervereinigung in einem Junktim zusammengefaßt. Ich kann darauf verzichten, die Einzelheiten dieser Leitgedanken zu entwickeln. Sie sind in der Öffentlichkeit als „Deutschlandplan" bekannt. Wir haben keinen Anlaß, diese Leitsätze, die auf der Berliner Entschließung vom 1. Oktober 1958 basieren, zurückzuziehen oder zu revidieren. Wenn es überhaupt jemals eine Chance für die deutsche nationale Einheit in Freiheit gibt, kann sie nur auf der Basis der Berliner Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1958 und in der unabdingbaren Verbindung von Sicherheit, kontrollierter Abrüstung und politischen Entscheidungen im Rahmen freier Wahlen gefunden werden. Allerdings geben auch wir zu, daß nach den gescheiterten Konferenzen, der Genfer Außenministerkonferenz des vorigen Jahres, der Gipfelkonferenz und der jetzt leider auch gescheiterten Genfer Abrüstungskonferenz, die Aussichten für eine Realisierung dieses Plans in absehbarer Zukunft sich verringert haben. Wir sind objektiv genug, das — leider — einzugestehen.
    Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung noch einmal auf die Vergangenheit und die hier in diesem Hause gefällten Entscheidungen Bezug genommen und hat von der Opposition schlechthin gesprochen. Es ist nun einmal so, Herr Bundesaußenminister, daß wir gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der 35 Millionen Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik kein Zweiparteiensystem haben, sondern daß neben der Opposition der Sozialdemokratischen Partei seit dem Frühjahr 1956 auch 44 Abgeordnete der Freien Demokratischen Partei in einer Oppositionsstellung stehen. Aber die Art unserer Opposition ist auf Grund der vergangenen 11 Jahre und ihrer Entscheidungen anders, und ich wäre dankbar, wenn
    künftige Regierungserklärungen differenzierten, weil es der Objektivität entspricht und weil die Sozialdemokraten ein Interesse daran haben, mit uns nicht in einen Topf geworfen zu werden, und wir das gleiche wechselseitige Interesse daran haben, unsere andersgeartete Haltung zu dokumentieren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Hier möchte ich daran erinnern, daß wir 1949 dem Petersberger Abkommen, 1950 dem Beitritt zum Straßburger Europarat, ferner dem Beitritt zur Montan-Union, den Verhandlungen und dem Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sowie dem Beitritt zur Westeuropäischen Union und zur atlantischen Gemeinschaft, zur NATO, zugestimmt und sie daher mit unseren Stimmen mitverantwortet haben. Wir stehen zu dieser Verantwortung, und wir denken gar nicht daran, uns aus dieser Verantwortung zu lösen. Die sozialdemokratische Opposition hat alle genannten Verträge abgelehnt. Sie hat eine andere Ausgangsbasis für ihre kritische, für ihre oppositionelle Haltung. Wenn wir heute vor den gleichen Fragen stünden wie damals, würden wir gleichermaßen handeln müssen.
    Es ist zu leicht, die Funktion der NATO und die Wiederbewaffnung Deutschlands aus dem Jahre 1960 heraus zu beurteilen. Man muß, um die Funktion der NATO, die Eindämmung des Kommunismus, verstehen zu können, die damalige Bedrohung Berlins und Deutschlands durch den kommunistischen Expansionismus zur Grundlage seiner Beurteilung machen. Damals waren Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Tschechoslowakei und das halbe Deutschland bereits im Griff der Sowjets. Es bestand die Gefahr, daß durch die Berliner Blockade 1948/49 auch Berlin verlorenging, getreu dem Lenin-schen Grundsatz: Wer Berlin hat, hat Deutschland, und wer Deutschland hat, hat Europa.
    Nicht zugestimmt haben wir der Entscheidung des Deutschen Bundestages bezüglich des Beitritts zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Bedenken haben wir damals vorgetragen. Wir hatten die Sorge, es könne sich eine neue Spaltung Europas dadurch entwickeln, daß die EWG nicht mit der Freihandelszone gekoppelt sei. Inzwischen haben sich unsere Befürchtungen leider bestätigt. Neben der EWG steht die EFTA, und die Botschaft hör' ich wohl, daß man jetzt versuchen will, alle drei europäischen Institutionen zusammenzufügen, allein mir fehlt der Glaube, daß das so leicht möglich sein wird, wie es die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat. Wir wären glücklich, wenn es möglich wäre, den neu entstandenen Graben zwischen dem Europa der Sechs und dem Europa der Sieben wieder zu schließen, und wir wollen hoffen, daß einer solchen Entwicklung nicht noch mehr „Hallsteine" in den Weg gelegt werden, als es leider ohnehin schon geschehen ist.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir sehen keinen Widerspruch darin, daß wir das Anliegen der deutschen Einheit als das oberste Ziel im Rahmen unserer europäischen Bekenntnisse ansehen; denn mit Deutschland ist auch Europa ge-



    Dr. Mende
    teilt, und wer wirklich ein größeres Europa in seinen geographischen, in seinen kulturhistorischen Zusammenhängen wünscht, muß als Voraussetzung hierfür die staatliche Einheit Deutschlands herstellen, weil erst das wiedervereinigte Deutschland die ihm von der geographischen Lage und der Kultur zugewiesene Brückenfunktion zwischen West- und Osteuropa übernehmen kann.
    Der französische Staatspräsident de Gaulle und der französische Ministerpräsident Debré sind hier bereits von Herrn Kollegen Majonica zitiert worden. Herr Kollege Majonica sprach nicht mehr von der Integration, sondern von der Konföderation der europäischen Staaten und Völker. In der Tat, nach dem Bekenntnis Debrés und auch des Staatspräsidenten de Gaulle scheint es so, daß man sich das Europa der Vaterländer und nicht mehr das integrierte Europa vorstellt, in dem nur ein Teil des deutschen Vaterlandes integriert sein würde mit der Konsequenz, daß sich der andere Teil unseres Vaterlandes dann leider immer stärker nach Osten integrieren würde. Wer wirklich die Konföderation, das Europa der Vaterländer will, muß bereit sein, auch den Deutschen das Recht auf ein einiges Vaterland zuzugestehen. Das ist der Sinn unseres Wunsches nach nationaler Einheit in Freiheit in einem größeren Europa.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wir hoffen, daß die vier Siegermächte nicht aufhören werden, die deutsche Frage auch in Zukunft zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen. Die vier Siegermächte haben sich im Potsdamer Abkommen oder später in Zusatzabkommen verpflichtet, die staatliche Einheit Deutschlands zu gewährleisten. Daraus leiten wir einen Rechtsanspruch auf die staatliche Einheit unseres Volkes her, basierend auf dem Völkerrecht, auf der Atlantik-Charta, auf der Charta der Vereinten Nationen, und wir leiten daraus eine Rechtsverpflichtung der vier Siegermächte her, dem deutschen Volk seine nationale Einheit nicht vorzuenthalten.
    Man hat sich nach 1945 bereits dem Irrtum hingegeben, es gebe so etwas wie eine geschichtslose Zeit für das deutsche Volk, man könne das besiegte Deutschland in ein historisches, in ein weltpolitisches Ghetto sperren. Man täuscht sich vielleicht auch heute in Moskau oder anderswo, wenn man glaubt, daß der Zustand des dreigeteilten Deutschland, der Zustand seiner Hauptstadt Sicherheit und Stabilität versprechen. Dieser Zustand ist in höchstem Maße labil! Wer wirklich Sicherheit und Stabilität in Deutschland, in Europa, in der Welt will, muß die Zeitbombe der deutschen Zweiteilung zu entschärfen trachten.
    Wir glauben, daß die Bundesregierung gut beraten ist, wenn sie die aus der heutigen Debatte resultierenden Anfänge einer Gemeinsamkeit in den Prinzipien, wie sie auf jeden Fall aus den Ausführungen der bisherigen Sprecher herzuleiten wäre, nutzt, um im Verteidigungsausschuß und im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten wenigstens ein Minimum an Zusammenarbeit zur Abwehr der Bedrohung in Berlin und zur Zusammenarbeit in
    der Deutschlandfrage zu erreichen.
    Es hat auch nach der gescheiterten Gipfelkonferenz keine geschichtslose Pause eingesetzt, und niemand kann sagen, ob nicht die nächsten Monate oder die nächsten Jahre uns allen Veranlassung geben werden, in Berlin und insgesamt viel mehr zusammenzurücken und eine politische Notgemeinschaft aller deutschen demokratischen Parteien zu entwickeln, wenn wir nicht das Zurückrollen der Freiheit in Berlin und schließlich in Europa erleben wollen.
    In diesem Sinne ist die Freie Demokratische Partei bereit, zu ihrem Teil dazu beizutragen, daß in den wesentlichen Fragen der Deutschlandpolitik und Außenpolitik ein Höchstmaß der Geschlossenheit ohne irgendwelche Unterwerfung, ohne Rechthaberei, ohne Zwang erreichbar ist, in der Erkenntnis, daß neue Situationen auch zu neuen Konstruktionen und neuen Formen der Kooperation führen müssen, wenn Deutschland höher stehen soll als die Partei.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)