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ID0312200600

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    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleichviel, was auf den verschiedenen Seiten unseres Hauses von dieser Debatte erwartet wird, ich glaube, diese Debatte kann eigentlich nichts anderes sein als eine hoffentlich im Positiven bemerkenswerte Etappe im Ringen um das höchsterreichbare Maß an Übereinstimmung bei der Bewältigung der deutschen Lebensfragen. Mir ist es verständlich, daß dabei noch sehr stark Gefühle und Gedanken mitschwingen, die geprägt worden sind durch die jahrelangen Auseinandersetzungen über Abschnitte des Weges, den wir alle haben gehen müssen. Wie sehr das der Fall ist, zeigt sogar die Regierungserklärung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen.
    Die Frage — wechselseitig gestellt —: Werden die auf der anderen Seite des Hauses nun endlich einsehen, daß wir recht gehabt haben?, diese Frage wird immer wieder aufkommen. Unserem Klima entsprechend — da braucht man keine Angst zu haben — wird sie auch künftig noch oft die Form einer Forderung, je nach Temperament einer sehr barsch ausgesprochenen Forderung, annehmen.
    So will ich mich angesichts dessen auch gar nicht damit aufhalten, das, was in dieser Beziehung vor der heutigen Bundestagsdebatte gesagt oder geschrieben worden ist, nochmals aufzugreifen,—nicht deswegen, ich bitte alle um Entschuldigung, weil ich es mißachten möchte; es waren sehr viele Anregungen und bemerkenswerte Gedanken auch in dieser Tordebatte. Aber ich meine, die Ereignisse nötigen uns, den Blick nach vorn zu richten.
    Allerdings muß ich auf eine Vermutung, die bei manchem auch als eine Behauptung vertreten wird, eingehen. Der Herr Bundesminister für Verteidigung, Strauß, hat den Wunsch der Sozialdemokraten nach einer gemeinsamen Außenpolitik als einen bemerkenswerten Schachzug im Ringen um die Stimmen für die Bundestagswahl im kommenden Jahr bezeichnet. Das hat er am 24. Juni getan. Aber die CDU selbst nimmt für sich in Anspruch, alles, was sie selbst tut und noch tun wird, um diese Wahl zu gewinnen, sei — und hier zitiere ich Sie — „von entscheidender Bedeutung für das nationale Schicksal.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    So am 22. Juni im „Deutschland-Union-Dienst". —
    Sie bestätigen es, es entspricht Ihren Empfindungen!

    (Heiterkeit.)

    Da haben Sie in der gleichen Demokratie und vor dem gleichen Grundgesetz die unterschiedliche Bewertung des Strebens demokratischer Parteien nach der Mehrheit. In manchen Kommentaren und darunter auch in einigen Kommentaren bedeutender Auslandszeitungen ist um diese Debatte und um die ganze öffentliche Diskussion schließlich gerade das geschrieben worden, es handle sich eigentlich um bloße Taktik auf beiden Seiten. Das meine ich, und deswegen habe ich dieses Element aus dieser Vordiskussion doch aufgegriffen.
    Ich meine, es kann nicht gut sein, die Volksvertreter, die Parteien und das Parlament selbst in den Geruch zu bringen, es werde von denen eigentlich gar nicht um die Sache selbst gerungen, sondern um etwas, das ganz parteiegoistischen Erwägungen entspringe.
    Der Herr Bundeskanzler hat — und an diese Episode werde ich manchmal erinnert, auch in diesem Zusammenhang — im vergangenen Jahr — es muß genau vor einem Jahr gewesen sein — in einem Disput mit meinem Freund Fritz Erler gesagt, er, der Herr Bundeskanzler, sei genauso gut Demokrat wie jener, Fritz Erler nämlich, denn auch er wolle ihm ja so viel wie möglich Stimmen abjagen.

    (Heiterkeit.)

    — Ich merke, Sie erinnern sich. Aber, wissen Sie, ich möchte nicht annehmen, daß damit allein zum Ausdruck gebracht werden sollte, was einen — um den Begriff des Herrn Bundeskanzlers zu verwenden — guten Demokraten ausmacht.
    Wir stimmen wohl darin überein, daß unsere Verpflichtung auf das Grundgesetz als Wesentliches dazu gehört. Jede demokratische Partei hat das Recht und ist bestrebt, die Mehrheit der Wähler zu gewinnen. Wenn aber im politischen Kampf dieses Streben als Selbstzweck verdächtigt wird, statt den Kampf, soweit das überhaupt menschenmöglich ist — da gibt es wohl gewisse Grenzen —, um die sachlichen Streitfragen selbst zu führen, so kann es nicht ausbleiben, daß die Demokratie und die zur Demokratie gehörenden Parteien und Institutionen schließlich in den Verdacht geraten, der Sache selbst gar nicht zu dienen, sondern sich ihrer nur zu bedienen. Und ich denke: eigentlich kann das



    Wehner
    keiner wollen. So möchte ich meinen, Sie mögen immerhin auf dieser Seite, auf der großen Seite unseres Hauses, argwöhnen,

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der Mitte: Speckseite!)

    — ja, sicher, meine Reverenz! — was denn die Sozialdemokratische Partei eigentlich im Sinne habe und was sie vielleicht im Schilde führe, wenn sie dazu auffordere, ernstlich zu versuchen, herauszufinden, ob die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik nicht zu gemeinsamen Bemühungen um die Lösung der gesamtdeutschen Fragen imstande und fähig sind.
    Aber was Sie auch dahinter vermuten, meine Damen und Herren, schlagen Sie bitte unsere Mahnungen nicht einfach in den Wind.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Tun wir ja auch nicht!)

    Selbst wenn wir alle zusammen bei noch so großer Bemühung nicht imstande sein könnten, die derart gefährlich unübersichtlich gewordenen Fragen der eigentlichen Außenpolitik im Zuge einer solchen Debatte zu klären, sollten wir unter dem Eindruck der Ereignisse den Vorsatz zu fassen imstande sein, unser innenpolitisches Verhältnis zueinander in die Ordnung zu bringen, die uns befähigen könnte, der gesamtdeutschen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Dabei sind wir alle, Sie auf der Seite der Regierungskoalition, wir auf der schmaleren Seite der Opposition, dem Ganzen verpflichtet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das, glaube ich, sind wir unseren Mitbürgern in der sowjetisch besetzten Zone schuldig; wir sind es Berlin schuldig, und wir sind es der demokratischen Ordnung bei uns selbst schuldig, die so sein muß, daß sie allen Belastungen gewachsen sein kann.
    Wenn ich Ihnen in diesem Zusammenhang mit der ausdrücklichen Bitte, mich nicht mißverstehen zu wollen, sage, daß uns die Spuren Koreas, der Türkei und mancher anderer Ereignisse schrecken sollten, so tue ich das nicht, weil ich damit einen Vergleich der Zustände in den genannten Ländern und bei uns herbeizwingen möchte. Wir haben in der Bundesrepublik bei aller Erbitterung der Auseinandersetzungen, die immer wieder , nachklingt und auch durchklingt, anderen Ländern manches voraus, auch hinsichtlich dessen, was in diesen Jahren erreicht worden ist. Aber doch gibt es Gründe, nicht an den Ereignissen in jenen Ländern vorbeizugehen.
    Wenn nicht alles trügt — auch das weiß man nicht —, so bedeutet das Scheitern der Gipfelkonferenz in Paris wohl mehr als nur die zeitweilige Unterbrechung der Konferenzbrücke, die seit dem Ende der Blockade Berlins zwischen West und Ost aufrechterhalten wurde. Würde man mit der Lupe untersuchen, was meine verehrten Vorredner in dieser Beziehung gesagt haben und was jetzt ich mit diesen Bemerkungen gesagt habe, käme man
    hinsichtlich der Fakten schon zu einigen Unterschieden in der Betrachtung. Aber lassen Sie mich den Gedanken noch etwas weiter entwickeln.
    Je mehr es offenbar wird, daß das Ringen um die Groß- und Weltmachtsansprüche des kommunistisch regierten China, das, wie ich annehme, in ein entscheidendes Stadium getreten ist, das Verhältnis der traditionellen Weltmächte zueinander und zur übrigen Welt beeinflußt, sogar bewegt, um so weniger brauchbar werden Vorstellungen aus den vergangenen Etappen der Auseinandersetzungen, die wir gemeinsam oder im Gegensatz zueinander gehabt haben, Vorstellungen, die vorher in manchen Fällen übereinstimmend, in anderen Fällen kontrovers als ausreichend angesehen werden konnten oder vielleicht sogar mußten.
    Wir — und da spreche ich nun von den Sozialdemokraten; Sie haben ja Ihr Bedauern schon ausgedrückt — haben mit Sorge mit ansehen müssen, wie der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow die Pariser Konferenz unmöglich gemacht hat, die er vorher selbst angestrebt hatte.
    Der Herr Bundesaußenminister hat hier in seiner Erklärung eine recht scharfe Bemerkung zu einem Artikel meines Kollegen Fritz Erler gemacht. Der Herr Minister wollte unter Hinweis auf die Erklärung des Bundeskanzlers vom 24. Mai hier im Hause ausdrücken, daß beim Bundeskanzler und bei der Regierung nicht Genugtuung oder Freude über dieses Ereignis — das Sie bedauert haben, das wir bedauern — herrscht. Ich bin sehr froh, und wir haben, was der Herr Bundeskanzler hier am 24. Mai sehr abgemessen und sehr abgewogen dazu gesagt hat, begrüßt. Nur, das, was hier bei meinem Freunde Erler gerügt wird, bezieht sich nicht auf auf diese zitierten Auffassungen, sondern auf die Behauptung eines nicht unbekannten amerikanischen Journalisten von der New York Times, Mr. Sulzberger, der behauptet hat:
    Bonns ehrwürdiger Kanzler gibt offen seine Befriedigung über den toten Punkt zu, der die gegenwärtige Situation in Berlin um sechs bis acht Monate verlängert. Er hat ihm geholfen, seine politische Macht in Bundesdeutschland zu festigen und hat die Idee der Gipfeldemokratie angeschlagen, die Adenauer mißbilligt.
    Wir wären froh, wenn diese Behauptungen und der ganze Artikel, der ja, wie Sie alle wissen — die meisten werden ihn ebenso gelesen haben, wie wir ihn gelesen haben —, noch eine ganze Reihe ähnlicher Behauptungen enthält, die mit dem, was hier am 24. Mai gesagt worden ist und worauf die Regierungserklärung heute mit Recht Bezug nimmt, nicht in Einklang gebracht werden können, nicht veröffentlicht worden wären.
    Wir Sozialdemokraten haben ebenso wie Sie vor einigen Tagen mit Sorge und mit Bitterkeit miterlebt, wie die Vertreter der Ostblockstaaten die Konferenz von Genf abgebrochen haben, obwohl sie ja hatten wissen müssen, daß man sich unmittelbar vor der Vorlage neuer amerikanischer Vorschläge befand. Offenbar legen es die Sowjetregierung und ihre Gefolgschaft darauf an, jetzt vor



    Wehner
    allem in Asien und in Afrika — aber auch Lateinamerika rückt schon in diese Reihe hinein — durch eine groß angelegte Propaganda Stimmungen aufzuwühlen und so die Vorbereitungen für die großen Auseinandersetzungen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu treffen, deren Termin ja feststeht und deren Termin wiederum mit anderen Terminen zusammenfällt, wie Sie alle wissen. Wahrscheinlich hofft die Sowjetregierung samt Gefolgschaft, in dieser so vorbereiteten Diskussion im breiten Forum der Vereinten Nationen besonders auf die vielen neuen Mitglieder Eindruck zu machen, mit denen es die Vereinten Nationen dort zu tun haben.
    Wenn der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow nach Paris davon gesprochen hat, in sechs bis acht Monaten könne eine Gipfelkonferenz stattfinden, so muß, denke ich, diese Bemerkung wohl so verstanden werden, daß wir in dieser Zeit allerlei zu erwarten haben. Das ist etwas anderes, als wenn man diese Frist als eine Art Stillhaltefrist betrachten würde.
    Angesichts dieser Auffassung und Einsichten ist es immerhin beruhigend, folgende Worte des amerikanischen Präsidenten Eisenhower, die er unlängst in Manila sagte, zu hören:
    Wir werden .aber niemals die Tür zu friedlichen Verhandlungen schließen. Wir werden weiterhin deutlich darauf hinweisen, daß Vernunft und gesunder Menschenverstand über sinnlose Feindschaft und verzerrte Mißverständnisse und Propaganda die Oberhand gewinnen. Das Wettrüsten
    — so fuhr er fort —
    muß unter Kontrolle, und die nukleare Drohung muß beseitigt werden. Dies kann nach meiner Auffassung ohne appeasement oder Kapitulation erreicht werden, indem man den Kurs geduldiger, einfallsreicher und sachlicher Verhandlungen mit den Sowjetführern weitergeht.
    So Präsident Eisenhower am 16. Juni.
    Im Vertrauen darauf, daß die Vereinigten Staaten keine Mühe scheuen werden, müssen wir, wenn etwas daran ist, daß in diesen sechs bis acht Monaten allerlei erwartet werden kann, in diesem unserem Bereich das Unsere dazu beitragen, daß in der kritischen Zeit bei uns alles in Ordnung ist und in Ordnung bleibt.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Majonica.)

    Wenn ich den Herrn Bundesminister des Auswärtigen kürzlich richtig verstanden habe, so hat er davon berichtet, daß auch die Außenminister der Westeuropäischen Union, als sie am 17. Juni zusammen waren, keine über Vermutungen und Annahmen hinausgehenden Anhaltspunkte dafür gehabt haben, was den sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow in seinem Verhalten in Paris einen Monat vorher letzten Endes bestimmt habe, es so und nicht anders zu gestalten. Angesichts dieser Feststellung finde ich es verständlich, daß man im Kreise der Außenminister der Westeuropäischen Union sehr vorsichtig war und sehr vorsichtig bleibt
    und daß man die Äußerung des sowjetischen Ministerpräsidenten bezüglich der in sechs bis acht Monaten möglichen Gipfelkonferenz nicht der eigenen Politik als eine Art von Versicherung zugrunde legen kann und will.
    Wie unberechenbar die Lage angesichts des in seinen Einzelaktionen unberechenbaren Akteurs ist, das hat sich — ich folge hier, Sie mögen mir verzeihen, der Auffassung einer hervorragenden Journalistin, der man — deswegen nehme ich meine Zuflucht zu ihren Worten — schwerlich Wahlkampftaktik oder Wahlkampfabsichten unterstellen kann
    — in Paris gezeigt, wo nach ihren Worten dieselben Leute, die noch kurz zuvor sich sorgten, die Entspannungspolitik könne zu weit gehen, drei Tage später vor der Möglichkeit eines neuen Krieges zitterten; so Gräfin Dönhoff in der „Zeit".

    (Abg. Dr. Krone: Wir haben es geraten!)

    — Ich glaube, es gibt hier einige Feinschmecker.

    (Heiterkeit.)

    Wenn — so möchte ich noch kurze Zeit ihren Gedanken folgen — der Begriff „redliche Bestandsaufnahme" — mein Begriff, wenn man so will — mißfällt, vielleicht weil ich ihn gebraucht habe oder weil die Bundesregierung, wie ich heute vernommen habe, meint, so etwas vertrage sich nicht mit ihrer Autorität, so sollte darüber kein Streit sein. Dann kann man ja das, worauf es ankommt, auch anders umschreiben. Da folge ich noch einmal den Worten der eben zitierten Journalistin, die geschrieben hat:
    Es gilt jetzt, die eingetretene Pause zu nutzen und die politischen Generalstabspläne zu überprüfen, einzelne Versionen durchzuspielen, Ideen, Vorschläge, Möglichkeiten zu untersuchen.

    (Zuruf von CDU/CSU: Das ist doch klar!)

    — Angenommen, daß das für Sie klar ist; wenn Sie entschuldigen, zitiere ich noch bis zu Ende:
    Weder Rüsten noch Reisen
    — zum Gipfel nämlich —
    sind ein Ersatz für Politik.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und um das abzuschließen — ich stimme damit ganz überein — .
    Daß äußere Festigkeit der einzig mögliche Ausgangspunkt in einer solchen Situation ist, das ist gewiß. Aber sie allein
    — in Parenthese hinzugefügt: der Ausspruch, den man manchmal hört; Wenn die Sowjets irgend etwas in Berlin ändern, dann knallt's —
    genügt nicht.
    Soweit Gräfin Dönhoff.
    Meine Damen und Herren, wir haben nicht die Absicht, die Bundesregierung jetzt in dieser oder



    Wehner
    jener Einzelfrage auf diesen oder jenen Schritt festzulegen, sie auf einen Gesamtplan für einen längeren Zeitraum festzulegen oder ihr einen solchen abzufordern. Wir schlagen vor und wir mahnen, die Bundesregierung möge sich der in Wahrheit gefährlich unübersichtlichen Lage gewachsen zeigen und alles in ihren Kräften Stehende tun, um gemeinsam mit den Parteien der Opposition zu prüfen, erstens, was versucht, was in die Wege geleitet und was weitergeführt werden muß, damit wir alle zusammen sicher sein können, daß nicht durch einseitige Maßnahmen der anderen Seite die jetzige Lage im gespaltenen Deutschland noch weiter verschlechtert werden kann — das ganze Volk muß ja das, was sich daraus ergibt, tragen können —, zweitens, was ins Auge gefaßt und in gemeinsamen Bemühungen angestrebt werden muß, damit die deutschen Fragen ungeachtet aller erhöhten Schwierigkeiten in internationale Verhandlungen gebracht werden. Das sind zwei Dinge, aber zwei zusammengehörige Dinge, deren Prüfung wir vorschlagen, und das ist gemeint, wenn bisher die Rede war von außenpolitischer Bestandsaufnahme und von Bemühungen, das höchstmögliche Maß von Gemeinsamkeit in der Bewältigung der sich ergebenden Probleme zu erreichen — also vor allem gewissenhafte Prüfung der außenpolitischen Lage und all der Gegebenheiten, die für Deutschland von Bedeutung sein oder werden können.
    Es ist kein Zweifel, die Bundesregierung weiß mehr, als die Opposition wissen kann. Aber wir wollen doch gar nicht auf diesem Umweg jetzt die Rollen von Regierung und Opposition vertauschen oder die Befugnisse von Regierung und Opposition verwechseln. Es geht nicht darum, der Regierung etwa die Politik der Sozialdemokraten, wie man es nennt, aufzwingen zu wollen, es geht ja wohl auch nicht um das Umgekehrte, sondern es geht darum, sich darüber zu verständigen, was zu tun ist, wenn dieses oder jenes eintritt, und was — vielleicht auf lange Sicht — angestrebt und getan werden muß, um die deutschen Fragen in internationale Verhandlungen zu bringen oder darin zu halten.
    Nun wird uns heute häufig vorgehalten, was alles an Voraussetzungen für eine gemeinsame Außenpolitik — ein ziemlich verpflichtender Begriff — vorweg gefordert werden muß, mit der scharfen Betonung, daran sei nichts zu ändern, ja, daran brauche auch nichts geändert zu werden, denn die Voraussetzung für gemeinsame Politik sei die Fortsetzung der bisherigen Politik. Warum sollen wir nun darüber rechten? Diese Politik haben Sie bisher durchgeführt. Man muß sich nicht daran entzünden, zu fragen, ob zu erwarten sei, ob in ,der vor uns liegenden Periode die Resultate, sagen wir, der nächsten acht Jahre andere sein können oder sein werden als die der verflossenen acht Jahre, wenn nämlich zu ,dieser Politik lediglich unsere Stimmen hinzukommen. Das ist nicht .das — wenn wir es in dieser Beziehung heute nicht zu einer übereinstimmenden Meinung 'bringen, werden wir es eines Tages zu einer solchen bringen —, was dieser Periode entspricht.
    Es ist wichtig, daß wir an unsere künftigen Aufgaben mit einer konstruktiven Geisteshaltung herangehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    — Ich bedanke mich für das Kompliment. — Gegenseitige Anschuldigungen über vergangene Aktionen sind nutzlos.

    (Aha! bei der CDU/CSU.)

    — Sie werden gleich noch mehr lachen, meine Herren, die Sie dazu geneigt sind; einen Moment! — Es hilft auch nichts, unsere Politik gegenüber der Sowjetunion als „hart" oder als „weich", je nachdem, wer sie vertritt, zu definieren, oder wenn wir den internationalen Konflikt als „schwarz" oder als „weiß" bezeichnen. Unsere Haltung sollte ruhig, entschlossen und wachsam sein, während wir gleichzeitig jede Möglichkeit prüfen, unsere Beziehung zu einem hoffnungsvollen Plan zunehmender Verständigung und wechselseitiger Zusammenarbeit zu verbessern. — Bei den Herren, die sich bei Ihnen auf diese Debatte vorbereitet haben, hat es längst geklingelt: so sagte der amerikanische Außenminister Herter.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei ,der SPD.) Ich mache mir das zu eigen.

    Nun, meine Damen und Herren, der amerikanische Außenminister Herter hat zu Beginn dieses Jahres, der Übung folgend, die alle Männer in solchen Positionen einhalten müssen, in einem aber auch sachlich interessanten Jahresvorausblick etwas gesagt, an das man sich ab und zu erinnern sollte. Er sagte, 1960 werde ein außenpolitisch ereignisreiches Jahr werden, doch für die Lösung der Probleme würden wahrscheinlich Generationen nötig sein. Ich habe ,das Wort nicht leicht genommen, weil ein Mann in solcher Position und bei solcher Gelegenheit und vor solchen Ereignissen, von denen er sagt, das Jahr wird voll von ihnen sein, das sicher nicht so hinsagt. Ich deute diese Worte wohl annähernd richtig, wenn ich aus ihnen heraushöre: Keine Seite .der Weltmächte kann der jeweils anderen Seite ihre Lösungen aufzwingen, und jede Seite muß mit der anderen Seite rechnen. Das steckt wohl in diesem Wort von den „vielleicht Generationen", die man für die Lösungen brauchen werde. Vielleicht hat der Herr Bundeskanzler daran gedacht und hat es ähnlich gemeint, als er kürzlich sagte, wenn nicht wir die Wiedervereinigung verwirklichen könnten, so werde es die kommende Generation tun.
    Jedenfalls muß man der deutschen Politik wünschen, dessen eingedenk sich so zu verhalten und so zu disponieren, daß wir, die Bundesrepublik, überall und in geeigneter Weise versuchen, unsere Fragen anzubringen, um Vertrauen zu werben und geachtet zu sein.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin Willy Brandt hat vor einigen Tagen auf Berührungspunkte der Auffassungen der demokratischen Parteien hingewiesen, über die, wie er sich ausdrückte — und auch ich bin dieser Meinung —, es eigentlich keine Auseinandersetzungen bei uns in der Bundesrepu-



    Wehner
    blik zu geben brauchte. Ich nehme an, diese Berührungspunkte könnten, wenn man sich's genau überlegt, als Aktivposten bei der außenpolitischen Bestandsaufnahme von allen Seiten eingebracht werden; Bestandsaufnahme so verstanden, wie ich es vorhin versucht habe einschränkend zu sagen. Das sind:
    Erstens: Berlin muß beim Bund bleiben. Aus einer Zweiteilung Deutschlands darf keine Dreiteilung werden.
    Zweitens: Das deutsche Volk und die Bundesrepublik haben sich gegen jede Diktatur und für die westliche Gemeinschaft entschieden, d. h. für eine enge Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarn und der freien Welt.
    Drittens: Die verantwortungsbewußten Kräfte Deutschlands haben sich gegen jede Form des Kommunismus und gegen die sowjetische Deutschlandpolitik entschieden.
    Viertens: Es muß alles getan werden, um das Leben und das Los der 17 Millionen Landsleute im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu erleichtern. Wir dürfen den Willen zur Selbstbestimmung in unserem Volk nicht erlahmen lassen und müssen uns ständig um neue Ansätze zur Lösung der deutschen Frage bemühen.
    Fünftens: Nachdem Europa schon durch die Kommunisten gespalten ist, darf nicht dazu beigetragen werden, Europa noch einmal zu spalten. Vielmehr muß, soweit wir dazu etwas tun können, alles in die Wege geleitet werden, damit es in einer breiten Gemeinschaft zusammenarbeiten kann.
    Sechstens: Bei aller Notwendigkeit, den Fragen der militärischen Sicherheit gerecht zu werden, muß die Bundesrepublik jede Anstrengung machen, um zur Sicherung des Friedens in der Welt beizutragen.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.) — Ich merke, es lockert sich auf.


    (Heiterkeit.)

    Sicherlich, meine Damen und Herren, ist das kein Programm für die Außenpolitik der nächsten Periode;

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    sicherlich nicht, natürlich nicht. Dann stimmen wir ja in diesem Punkt sogar überein. Diesen Anspruch erhebt die Aufzählung auch gar nicht. Aber es sind Feststellungen, die für die praktischen Schritte der nächsten Periode positive Bedeutung haben. Jeden- falls sollten sich die Skeptiker unter Ihnen einmal überlegen, wie es denn wäre, wenn es in diesen Punkten kontroverse Auffassungen gäbe!

    (Beifall bei der SPD. — Zustimmung des Abg. Dr. Bucher.)

    Der Herr Bundesverteidigungsminister Strauß hat vor einigen Tagen in Schleswig gesagt, eine angestrebte gemeinsame Außenpolitik von Regierung und Opposition sei eine Frage von großer politischer Bedeutung, denn sie würde nicht nur der jetzt amtierenden Regierung, sondern auch künftigen Regierungen auf lange Sicht die politische
    Freundschaft der Verbündeten garantieren. Kurz darauf hat er in Erlangen von vier Voraussetzungen für eine gemeinsame Außenpolitik gesprochen. Ich habe sie auch im Deutschland-Union-Dienst wiedergefunden. Die vier Voraussetzungen, die er nennt — ich will ihn auf die Zahl genauso wenig festlegen, wie ich mir ganz klar darüber bin, wie viele Voraussetzungen eigentlich schon genannt worden sind —, sind:
    a) Die Sozialdemokraten müßten gemeinsam mit der CDU anerkennen, daß die europäische Einheit und die atlantische Allianz Voraussetzungen für die Erhaltung der Freiheit und für die Erlangung der deutschen Wiedervereinigung sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    b) Die Sozialdemokratische Partei müsse sich von der alten These distanzieren, daß die Wiedervereinigung nur möglich sei, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus der NATO und aus den europäischen Bündnissystemen ausscheide.
    c) Die Sozialdemokraten müßten nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat bereit sein, mit den Unionsparteien die Lasten und Bürden der Landesverteidigung zu tragen, gleichgültig wer in der Regierungsverantwortung und wer in der ,Opposition steht.
    Dazu gibt es noch ein Anhängsel, das nicht numeriert ist, sondern sozusagen zwischen der dritten und der vierten Voraussetzung steht: Die Sozialdemokraten müßten alle irgendwie gearteten Disengagement-Pläne aufgeben.
    d) Die Sozialdemokraten müßten den Begriff des Selbstbestimmungsrechts für ganz Deutschland, d. h. nach freien Wahlen für die Wiedervereinigung, uneingeschränkt anerkennen.
    Das sind — mit der kleinen Unterteilung — die vier Voraussetzungen, von denen Herr Strauß gesprochen hat.
    Nun etwas auf Vorschuß. Für eine Bestandsaufnahme und für eine Diskussion, bei der man eingehend in die Sachverhalte hineinleuchten und hineingehen kann, möchte ich doch heute schon sagen:
    Zu a). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, daß das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.
    Zu b). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat nicht gefordert und beabsichtigt nicht, das Ausscheiden der Bundesrepublik aus den Vertrags-und Bündnisverpflichtungen zu betreiben. Sie ist der Auffassung, daß ein europäisches Sicherheitssystem die geeignete Form wäre, den Beitrag des wiedervereinigten Deutschlands zur Sicherheit in Europa und in der Welt leisten zu können.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Zu c). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich in Wort und Tat zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundrechte



    Wehner
    und der Grundordnung und bejaht die Landesverteidigung.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, unterschiedliche Auffassungen über Zweckmäßigkeiten auf diesem Gebiet, die im demokratischen Staat legitim sind und die demokratisch-parlamentarisch ausgetragen werden, bedeuten doch nicht, daß die parlamentarische Opposition weniger verantwortungsfreudig wäre als die Regierung.

    (Beifall bei der SDP und Abgeordneten der FDP.)

    Nun zu der Unterfrage oder Untervoraussetzung, allen Disengagement-Plänen abzuschwören. Hierzu berufe ich mich auf folgende Erklärung, die ich wörtlich wiedergeben muß:
    Wir Deutschen wollen nicht als Störenfriede auf dem Wege zur Abrüstung erscheinen. Wir halten auch die Abrüstung für ein essentielles Moment auf dem Wege zur Entspannung. Es wäre selbstverständlich unehrlich, zu sagen: Es mag kontrolliert und inspiziert werden auf der Welt, nur nicht bei uns; sondern wir müssen hier das gute Beispiel geben, und wir sind bereit, die Bundesrepublik ganz oder teilweise zu einem Bestandteil einer Kontroll- und Inspektionszone zu machen — das heißt nicht, daß die Kontroll- und Inspektionszone identisch ist mit den geographischen Grenzen der Bundesrepublik —, aber die Bundesrepublik, ganz oder teilweise, zu einem Bestandteil einer Kontrollzone zu machen nach den Vorschlägen, die zwischen den Großmächten vereinbart werden können. Einigen sich die Großmächte nicht, so wäre ein solcher deutscher Vorschlag von sich aus wohl nicht von weltentscheidender Bedeutung. Einigen sich die Großmächte jedoch, so stehen wir nicht durch irgendwelche deutschen Sonderwünsche dieser Einigung im Wege.
    Auf diese Erklärung des Herrn Bundesministers für Verteidigung vom Oktober 1959 nach seiner Rückkehr von einer Kanada-Reise berufe ich mich bei der Behandlung der Frage, was wir zu Disengagement-Plänen meinten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Vielleicht — die Sache ist ganz ernst —, vielleicht gibt es hier bei genauerem Besehen und bei genauerer Erörterung einen Berührungspunkt; vielleicht liegt er noch im weiten Feld. Aber bitte, das könnte man ja noch untersuchen.
    Zu d) berufe ich mich auf den Wortlaut des Beschlusses, den der Bundestag am 1. Oktober 1958 einstimmig, mit den Stimmen der Sozialdemokraten, in Berlin gefaßt hat. Er lautet:
    Der Deutsche Bundestag erwartet die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands von einem unmittelbaren freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen, der nach der Beseitigung der nicht in deutscher Zuständigkeit liegenden Hindernisse herbeizuführen ist.
    Der Deutsche Bundestag erklärt seine Bereitschaft, jede Verhandlung zu unterstützen, die die Wege zu einem solchen Willensentscheid des deutschen Volkes ebnet, sobald eine Vereinbarung der Vier Mächte diese Möglichkeit erschlossen hat.
    Das zu den vier Voraussetzungen oder Fragen.
    Lassen Sie mich aber noch etwas zu den Fragen sagen, die ebenfalls vorher und nachher als Grundvoraussetzung oder was auch immer in die Diskussion gebracht worden sind. Der Herr Bundesminister Strauß z. B. hat gefragt, ob denn die SPD die Verträge der Bundesrepublik nur dem Buchstaben nach oder dem Sinne nach halten wolle. Der verehrte Kollege Höcherl, der auch in diese Debatte hineingesprungen ist, hat das nette, volkstümliche und etwas deftige Beispiel für seine Frage gewählt, ob wir es denn mit den Verträgen so halten wollten — Sie werden entschuldigen, wenn ich das nicht genau so wiedergeben kann, aber ungefähr war es wohl so — wie jene Schwiegermutter, die die unerbetene Schwiegertochter zwar nicht aus dem Hause schicken, sich aber vornehmen kann, sie allmählich hinauszugraulen.

    (Heiterkeit.)

    So war es ungefähr; ich bin nicht ganz so volkstümlich wie Sie. Das war die zweite Variante.
    Dann gab es die dritte Variante, die schon in der Gegenüberstellung von Herrn Strauß mit liegt: oder ob wir als loyale Vertragspartner diese Verträge einhalten würden. Lassen Sie mich ganz offen sagen: für Sozialdemokraten kommt nur dies in Frage!
    Warum aber uns Fragen in dieser Weise stellen? Damit im Ausland Zweifel an der Vertragszuverlässigkeit der Deutschen oder wenigstens eines großen Teiles der Deutschen erweckt oder gar genährt werden? Ist das richtig, ist das klug?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.) Ist das etwas, was der Lage entspricht?

    Die reserviert kühle Haltung z. B. des Präsidenten eines befreundeten Staates zu den Europa-Verträgen, seine Sondervorstellungen und Anforderungen bezüglich der NATO, ihrer inneren Ordnung und der Streitkräfte in nationaler Zuständigkeit, oder auch seine politischen Erklärungen darüber, was z. B. hinsichtlich der deutschen Ostgrenzen längst erledigt und festgelegt sei, alles das wird hingenommen. Man vergleiche das mit der Art, mit der wir examiniert werden.

    (Sehr richtig! und Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wenn Sie schon nicht geneigt sind, als Prüfstein für die Haltung der deutschen Sozialdemokraten andere Beispiele anzunehmen, weil Sie sagen: Das hat der sich ja alles nur so zusammengesucht, das ist ein ganz fauler Trick, dann sollten Sie doch gerechterweise die Haltung der Sozialdemokraten in Berlin als einen solchen Prüfstein anerkennen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Oder soll auch die noch allmählich in die Lauge hineinkommen?



    Wehner
    Ich habe, was Berlin betrifft, aus der Feder eines Angehörigen der Christlich-Demokratischen Union gelesen, den ich als einen sachlichen innenpolitischen Gegner schätzengelernt und den ich als einen aufrechten Deutschen kennengelernt habe:
    Es gibt in Berlin keinen verantwortlichen Politiker, der jemals dazu geraten hat, die Zahl der westlichen Truppen in Berlin zu verringern oder das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken, wie es in Genf erörtert worden ist. Das geschah ohne unsere Beteiligung und gegen unsere Auffassung. Es hat auch keinen verantwortlichen Politiker in Berlin gegeben, der jemals dafür eingetreten wäre, die Rechtsgrundlagen der Anwesenheit westlicher Truppen in Berlin zu verändern oder sich auf eine Befristung dieser Rechte durch Interimsabkommen einzulassen. Wir hatten nicht die Absicht, uns stückweise der sowjetischen Herrschaft auszuliefern.
    Niemand
    — so fährt er fort —
    ist berechtigt, sich für die in Genf gemachten Vorschläge oder für spätere Schubladenpläne ähnlicher Art auf Berlin, auf den Senat von Berlin oder einzelne seiner Mitglieder zu berufen. Die Berliner sind nicht stärker als ihre Schutzmacht. Aber die erklärte Berliner Haltung hat niemals Anlaß zur Nachgiebigkeit gegeben, sondern in der Bedrängnis und im Wagnis stets die integrale Wahrung der westlichen Position gefordert. Wir wären froh,
    — so schließt er —
    wenn auch schon früher überall die gleichen Auffassungen geherrscht hätten. Niemand weiß besser als die Berliner selbst um das notwendige Maß an Härte zu ihrer eigenen Verteidigung.
    Kommt es nicht doch darauf an, die Berührungspunkte als Aktivposten zu hüten und zu pflegen, oder wäre es richtiger, nun wieder zu differenzieren
    — jetzt auf Berlin, auf den Prüfstein bezogen —, nicht nur zwischen Berliner Sozialdemokraten und den übrigen Sozialdemokraten, sondern auch zwischen Berlinern schlechthin — oder guthin — und sozialdemokratischen Berlinern?
    Der Bundesverteidigungsminister — ich muß ihn noch einmal in Anspruch nehmen — hat gesagt, der erste Schritt zu einer gemeinsamen Außenpolitik sollte seines Erachtens eine geheime Debatte im Außenpolitischen Ausschuß des Bundestages sein; später könnten dann führende Körperschaften der Parteien in gemeinsamer Sitzung über die Außenpolitik beraten. Das wäre doch des Versuches wert. Oder was spricht dagegen, diesen Versuch zu machen?
    Zu dem, was der Herr Bundesminister Strauß als denkbare Methode erkannt hat, möchte ich für den Anfang, nicht etwa weil wir eine Koalition mit Ihnen einzugehen beabsichtigen — keine Angst, nicht darum geht es am Schluß der Legislaturperiode,

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    ich meine: vor den Wahlen —, sondern weil wir beabsichtigen, hier der gemeinsamen Verpflichtung von Regierung und Opposition gerecht zu werden, mit auf den Weg geben:
    Die politische Partei, die gerade an der Macht ist, kann nicht gut von der Oppositionspartei eine Mitverantwortlichkeit an der Außenpolitik verlangen, wenn nicht die Führer der Opposition vollen Einblick in unsere politischen Maßnahmen erhalten. ... Das ausführende Organ der Regierung kann nicht eine wichtige politische Maßnahme, die die Zustimmung des Kongresses erfordert, ankündigen und erst danach den Führern der Opposition Einblick gewähren. ... Eine Politik, die den Kongreß umgeht, macht eine Zwei-Parteien-Politik unmöglich.
    Und ich hoffe erneut, daß unsere Politiker nie wieder Fehler begehen mögen wie unter Präsident Wilson und daß unsere verantwortlichen Führer beider Parteien über unsere Politik vom anfänglichen Entwurf bis zur endgültigen Regelung auf dem laufenden gehalten werden.
    Bei allem Unterschied der Befugnisse, setze ich hinzu. Diese paar Erkenntnisse aus der Praxis eines Mannes, der regieren gelernt hatte — von Byrnes —, darf man wohl mit auf den Weg geben.
    Wir bestehen nicht darauf, daß unsere jeweils zu den Konferenzen vorgelegten Vorschläge der vergangenen Jahre, mit denen wir helfen wollten, den toten Punkt zu überwinden, nachträglich von Ihnen sanktioniert werden. Auch der heute wieder apostrophierte Deutschlandplan des Jahres 1959 war, was Sie von ihm auch immer halten mögen, aus der Sorge um Berlin und als ein Versuch zur Entlastung Berlins entstanden. Dieser Deutschlandplan — das habe ich ein Jahr nach der Übergabe der Vorschläge von 1959 an die Öffentlichkeit geschrieben — hat sich während der Genfer Konferenz ungeachtet mancher Berührungspunkte, die sich hinsichtlich der Methode und hinsichtlich des Geistes boten, in dem man an die schwierig gewordene Problematik der Wiedervereinigung herangehen muß — es gibt so ein „Paket", das der Westen dort vorgetragen hat—hat sich nicht durchsetzen lassen. Damit ist er genau wie die Vorschläge, die wir zu anderen Außenministerkonferenzen gemacht haben, ein Vorschlag, der der Vergangenheit angehört. Wir kommen ja auch nicht mit den Vorschlägen von 1954 und 1955, an die sich — ich will ihn hier nicht apostrophieren oder kompromittieren — auch der Herr Bundesminister des Auswärtigen noch erinnern wird. Wir haben darüber einige Male gesprochen. Die stellen wir jetzt nicht als unsere Forderungen auf oder verlangen nachträglich, daß Sie sich ihnen anschließen. Aber, meine Damen und Herren, Deutschlandplan hin und Deutschlandplan her, — er ist ja kein Plan, der irgendwo zur Entscheidung stünde, und kann es nicht mehr sein.

    (Abg. Majonica: In allen seinen Elementen!?)

    Sie kennen doch das, meine Damen und Herren, was über das Paket der Westmächte — nun mal nicht über den Deutschlandplan — von Herrn Wil-



    Wehner
    fried Martini geschrieben worden ist. Sprechen Sie
    — und wenn Sie es wollen: lassen Sie uns gemeinsam darüber reden — im Kämmerlein über diese Tendenz in der deutschen Politik! Ich habe das lange verfolgt. Ich bin nicht boshaft in dieser Frage. Ich sehe nur, was es da an Strömungen gibt. Lesen Sie nach: 16. Juni, „Christ und Welt", diese große Sache, wo das Paket der Westmächte genauso abgeledert wird, wie Sie unseren Deutschlandplan abledern, immerhin ganz in der Nähe, jedenfalls in der vom Verfasser gewollten Nähe und in Übereinstimmung mit Kräften aus Ihren Reihen! Da tun Sie mir leid, — während sonst wir uns selber leid tun, wie Sie wissen.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Aber wem würde denn der gespenstische Versuch nützen, nachträglich der anderen Seite die Vorschläge oder die Maßnahmen von vorgestern aufnötigen zu wollen? So sind militärische Fragen häufig — allzu oft — in technischen Details in dieser Vordiskussion angeführt worden. Da habe ich kürzlich bemerkt, wie sich der Herr Bundesverteidigungsminister einiger Zerstörer entledigte, — nicht im wahrsten Sinne des Wortes, er hatte sie ja noch gar nicht. Es war vielmehr etwas, worüber früher
    — vor Jahren daran werden sich noch manche erinnern — so erbittert gestritten wurde wie über Glaubensbekenntnisse. Da mußte man so oder so handeln. Mit Eleganz — meine Reverenz! — hat der Herr Bundesverteidigungsminister jetzt gesagt: Wir müssen statt der damals geplanten Zerstörer heute andere. Einheiten haben. Sie wissen ja auch noch, wie das gewesen ist.
    Aber noch einmal: auch das, was Sie vom Deutschlandplan für so besonders angreifenswert halten, können Sie — ich will Ihnen nicht zureden — nicht nachträglich sanktionieren, nachdem ich selbst gesagt habe: er ist eine Sache der Vergangenheit.

    (Abg. Dr. Krone: Völlig, in allen Elementen!)

    - Sicher! Wenn es aber darum geht, einmal die
    Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands wirklich in Angriff zu nehmen, dann möchte ich wissen, wie wir den Beschluß des Bundestages vom 1. Oktober in die Tat umsetzen wollen und wo wir dann überall Elemente hernehmen müssen. Aber es hat wohl noch Zeit; darüber werden wir dann reden.
    Im übrigen ist die Sozialdemokratische Partei eine demokratische Partei. Auch das, was wir da vorgeschlagen haben, Herr Krone, wäre unserer inneren Verfassung nach nur durchzuführen gewesen als eine Gemeinschaftsaufgabe der demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich rege mich nicht auf, wenn Sie das bezweifeln. Sie sollen nur wissen, was unsere Auffassung in dieser Frage ist. Und so sind wir wie bei einem Konvoi — entschuldigen Sie den militärischen Vergleich, er hat ja auch etwas mit dem Handel zu tun — gezwungen, uns nach der Geschwindigkeit
    und nach dem Vermögen jener zu richten, mit denen wir in dieser Frage gemeinsam stehen oder fallen. Das wäre doch nicht möglich gewesen für einen Alleingang der Sozialdemokraten, und ich werde Ihnen wohl kein Geheimnis verraten — das wissen Sie doch längst —, daß auch manches dazu geführt hat, ein Jahr nach der Veröffentlichung dieses Plans das so darzustellen, wie ich es getan habe. Das können Sie nachlesen. Es wäre dumm, wenn ich es hier noch einmal beibrächte.

    (Zuruf von der Mitte: Das wird anerkannt!)

    Sie lesen das ja meistens nur in Auszügen. Ich weiß, vielbeschäftigte führende Leute haben es schwer, der Sache auf den Grund zu kommen, weil sie nur die Auszüge lesen.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Aber, meine Damen und Herren, dabei hat ja auch das eine Rolle gespielt, was jene Kraft auf der anderen Seite der Zonengrenze tat, die ursprünglich diesen Plan absolut verworfen und gesagt hat: Das ist ja nichts anderes als ein teuflischer Versuch, den Geltungsbereich der westdeutschen kapitalistischen Monopole auf die DDR zu erstrecken. So war das Ding bei ihnen abqualifiziert. Nach 14 Tagen haben sie dann gesagt: Vielleicht sollten wir den Sozialdemokraten einige Punkte solange in die Schuhe drücken, bis sie der Schuh drückt.

    (Heiterkeit.)

    Wir wollten das Ganze und jedes Mißverständnis nach jeder Seite hin ausschalten.
    Und nun: warum sollten wir nicht versuchen, auf der Basis der Anerkennung der moralischen und der nationalen Integrität des innenpolitischen Gegners zu Resultaten zu kommen, die uns allen morgen oder übermorgen helfen könnten? Es bleiben dann noch genug Einzelfragen zu klären. Darunter sehe ich so gewichtige wie die, was von der deutschen Politik aus getan werden kann und was getan werden muß, damit nicht das nukleare Wettrüsten alle Aussichten auf friedliche Lösungen ebenso wie auf die für den sozialen Fortschritt notwendige militärische Entspannung verschlingt. Es kommt darauf an, ob ,der Versuch ,gemacht werden soll oder nicht. Ich meine, es ist eigentlich klar, daß der Versuch gemacht werden muß, weil es eben darauf ankommt, die Bundesrepublik nicht scheitern zu lassen in ihrer eigentlichen Aufgabe: der Erfüllung ihrer gesamtdeutschen Verpflichtung.
    Da müssen wir doch nicht über „Provisorien" streiten. Hier geht es um die Erfüllung einer gesamtdeutschen Verpflichtung, über die wir wahrscheinlich nicht zu streiten haben. Müssen wir nicht — das ist meine Frage selbst dann, wenn außenpolitisch geraume Zeit eine Schlechtwetterperiode für Deutschland und die deutschen Fragen herrschen mag — um unseres inneren Verhältnisses im geteilten Deutschland willen versuchen, diese Anstrengung zu machen, die Streitfragen zu versachlichen? Wem z. B. sollte jetzt eine Diskussion über ,,Provisorium Bundesrepublik" nützen? Sollten wir unsererseits nun anfangen, darüber zu reden, ob 'die-



    Wehner
    jenigen, die 1949 dem Grundgesetz ihre Stimmen nicht gaben, indem sie sich der Stimme enthielten oder dagegen stimmten — es sind doch verhältnismäßig viele gewesen —, vertrauenswürdig sind, ob sie das 'Grundgesetz bis heute nur dem Buchstaben gemäß oder dem Sinn nach eingehalten haben? Ich meine, sie werden es wohl dem Sinn nach einhalten. Aber wo kommen wir hin, wenn wir wechselseitig in dieser Weise vorgehen? Ist denn — das ist eine Frage, die nicht weniger wichtig ist, glaube ich — .die Scheidelinie, die uns in vielen Fragen trennt, eine Scheidelinie zwischen Leuten auf der einen Seite, die für den Westen sind, und Leuten auf der anderen Seite, die gegen den Westen sind?
    Eine der beiden letzten Schriften, die Kurt Schumacher vor seinem Tode 1952 schrieb, beginnt mit dem Satz: „Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist nach 1945 von der Idee ausgegangen, ein Deutschland zu schaffen, das die Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit ausschließt." Dann heißt es weiter: „Dazu war nach ihrer Meinung notwendig, die Zusammenarbeit mit den anderen freiheitlichen Faktoren in der Welt anzustreben, unter keinen Umständen aber die Deutschen in die Position der Unterworfenen sinken zu lassen."
    Das war also die Grundvorstellung, von der aus dieser Mann, der geraume Zeit unserer Partei das Gepräge gegeben hat, aber — das werden Sie wohl nicht bestreiten—, klar und mit beiden Beinen im und zum Westen stehend, seine Ansichten entwickelt hat. Ich meine, statt immer wieder von vorn, mit dem Petersberger Abkommen und dem Folgenden
    anzufangen, während dann eben von sozialdemokratischer Seite immer wieder auf das hingewiesen wird, was schon vorher getan worden ist, auch von Sozialdemokraten mit sozialdemokratischer Beteiligung getan worden ist, sei es in Berlin, sei es an anderen Stellen, würde es nicht schaden, wenn Sie sich, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, meinetwegen in aller Stille, fragten, ob es nicht gut war, daß Sie es in dieser Periode mit einer demokratischen Opposition zu tun gehabt haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.— Abg. Dr. Krone: Das ist — Ich verlange nicht, daß Sie sich dazu äußern. Gut, alles ist selbstverständlich; es wäre manches selbstverständlich. Da wir aber schon von Selbstverständlichkeiten reden, möchte ich umgekehrt die Frage stellen, ob die sozialdemokratische Opposition bei aller Enttäuschung über so manches, was sie versucht und nicht erreicht hat, was sie sich gedacht und nicht verwirklicht gesehen hat, nicht auch froh darüber sein kann, vieles erreicht zu haben, sei es auch nur dadurch, daß Sie Zugeständnisse gemacht haben, um uns den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich will das im einzelnen nicht aufzählen; denn auf einigen Gebieten der Innenund Sozialpolitik könnte dann zwischen Ihnen ein Streit entstehen. Ich will Sie nicht gegeneinander aufhetzen, sondern ich will den Versuch machen, ob wir uns nicht in anderen Fragen ein Stück näherkommen können. Ich möchte meinen, wir sollten bei dem Abstand, den wir von den Dingen haben, zeitbedingte Überspitzungen vernünftig betrachten. In Wirklichkeit sind die Auseinandersetzungen darum geführt worden, in welcher Weise wir den Westen, auf den wir beide, die Mehrheit und die Minderheit, angewiesen sind, für die deutschen Fragen bewegen können. Wenn ich sage „angewiesen sind", meine ich, daß wir beide bei allen unseren Gegensätzen auch geistig zum Westen gehören. Es gibt viele Gründe dafür, darüber in der Welt keine Zweifel aufkommen zu lassen oder gar zu nähren. Mir hat heute ein Kollege einen Bericht aus einem Blatt gegeben, das in Bayern erscheint. Es ist der Bericht über einen Vortrag, den der Herr Kollege von Guttenberg bei einer Bonnfahrt der Jungen Union gehalten hat. Da heißt es: Die Bundesregierung legt viel mehr Wert auf ein absolutes Vertrauensverhältnis zu unseren NATO-Partnern als auf eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Mein sehr verehrter Herr Kollege, ich rege mich nicht darüber auf. Ich hätte das nicht geschrieben, weil das der NATO nicht gut tun kann (Sehr gut! bei der SPD — Abg. Freiherr zu Guttenberg: Ich habe es auch nicht geschrieben!)


    (Beifall bei der SPD.)


    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Freiherr zu Guttenberg: Das habe ich nicht gesagt!)

    und weil es ihr nicht genehm sein kann und weil es eine falsche Fragestellung ist.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Freiherrn zu Guttenberg.)

    Wenn ich Ihnen dazu helfen kann, von diesem Holzpferd herunterzukommen, indem ich Sie hier zitiert habe, — liebend gern! Was immer uns hier zum Streit anregen oder sogar zwingen mag, es gibt Dinge, die ausgestritten werden müssen. Alle sollten helfen, es verständlich zu machen: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine demokratische Alternative zur gegenwärtigen Regierung.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Und das heißt: Die Bundesrepublik ist ein zuverlässiger Vertragspartner, gleichgültig ob die jetzige Regierung oder die gegenwärtige Opposition als Regierung die Geschäfte führt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Ich freue mich, daß im Unterschied zu manchen früher geübten Gepflogenheiten jetzt bei Auslandsreisen schon mehr in dieser Richtung argumentiert wird. So darf ich — ich möchte den Herrn Bundesminister des Innern nicht in diese außenpolitische Debatte hineinziehen; ich weiß, er mag das nicht —

    (Heiterkeit)

    sagen, das hat er richtig gemacht, als er in Argentinien in der Pressekonferenz nach dem Bericht des
    dpa-Korrespondenten auf die Frage antwortete — —

    (Abg. Dr. Jaeger: Auch ein Auszug?)




    Wehner
    — Sie können, sehr verehrter Herr, das Exemplar dann sehen, und im übrigen bitte ich Sie, mir doch die gleiche Langeweile zu gönnen, die wir bisher alle haben genießen dürfen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) Auch wenn

    — so hat der Herr Bundesminister des Innern gesagt —
    die SPD die nächste Regierung bilden sollte, würde sich die Bonner Außenpolitik in den Grundfragen trotz aller derzeitigen Unterschiede in der Beurteilung der Methoden und der Einschätzung der Weltlage wahrscheinlich nicht ändern.
    Der Herr Bundesminister hat hinzugefügt — Sie brauchen ihm also deswegen keinen Vorwurf zu machen —:

    (Heiterkeit)

    Vorläufig werden meine Freunde ihr Bestes tun, um einen Wahlsieg der Opposition zu verhindern.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Das ist ja klar. Warum sollte er das auch nicht sagen, warum sollte er das auch nicht tun? Dazu gehört er ja Ihrer Partei an.

    (Anhaltende Heiterkeit.)

    Die Frage, meine Damen und Herren: Finden die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik ungeachtet ihrer Gegensätze, die weder bagatellisiert werden sollen noch bagatellisiert werden dürfen, d a s Verhältnis zueinander, das von der Verantwortung jeder einzelnen Partei gegenüber dem Volksganzen in unserem geteilten Vaterland bestimmt wird?, — diese Frage wird, was wir heute auch noch darüber streiten werden oder streiten müssen, in Wirklichkeit das bestimmende Thema der deutschen Politik werden. Angesichts seiner Bedeutung werden heute noch mancherorts mit Eifer betriebene Versuche schließlich scheitern, und — da wir hier schon manchmal von den Generationen gesprochen haben, die nach uns kommen, darf ich es in diesem Zusammenhang auch einmal tun — den Nachkommen werden diese Versuche in einer gewissen Kläglichkeit vor Augen stehen, die darauf hinauslaufen, die SPD an die Seite der Kommunisten zu drücken oder an ihrer Seite zu zeigen oder — Sie erinnern sich — den linken Flügel herauszukitzeln oder zu provozieren, damit die Sozialdemokratische Partei daran flügellahm werde. Kurz, nachdem in der Bundesrepublik die Kommunistische Partei mit Verbot belegt und damit auch der Kontrolle durch Wahlen und der Kontrolle durch die breite Öffentlichkeit leider entzogen worden ist, hält man sich nun stellvertretend an den Sozialdemokraten schadlos und übt kalten Krieg. Das sollten wir nicht zum Ernstfall werden lassen.
    Nach unserer Ansicht jedenfalls sind die Zeichen der Zeit so zu deuten: nicht Selbstzerfleischung, sondern Miteinanderwirken im Rahmen des demokratischen Ganzen, wenn auch in sachlicher innenpolitischer Gegnerschaft. Innenpolitische Gegnerschaft belebt die Demokratie. Aber ein Feindverhältnis, wie es von manchen gesucht und angestrebt wird, tötet schließlich die Demokratie,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    so harmlos das auch anfangen mag. Das geteilte Deutschland — meine Damen und Herren, ich will Sie damit nicht belehren; Sie wissen das wahrscheinlich zum größten Teil selbst — kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen. — Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

    (Langanhaltender Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Nach der Mittagspause hat das Wort als erster Redner der Herr Abgeordnete Dr. Mende.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.02 Uhr bis 15.02 Uhr.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard Jaeger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Wir nehmen die unterbrochene Sitzung wieder auf. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.