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ID0312200200

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    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano, Bundesminister 7037 A Majonica (CDU/CSU) 7046 B Wehner (SPD) . . . . 7052 B, 7102 D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7061 C Dr. Mende (FDP) 7062 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 7068 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 7076 A Strauß, Bundesminister 7085 D Erler (SPD) 7091 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7097 C Dr. Bucher (FDP) 7102 C Nächste Sitzung 7103 D Anlage 7105 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7037 122. Sitzung Bonn, den 30. Juni 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 10.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Juni 1960 7105 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 2. 7. Dr. Becker (Hersfeld) 2. 7. Benda 2. 7. Bergmann* 2. 7. Berkhan* 2. 7. Birkelbach* 2. 7. Dr. Birrenbach* 2. 7. Dr. Böhm 2. 7. Frau Brauksiepe 2. 7. Brüns 2. 7. Dr. Burgbacher* 2. 7. Corterier 2. 7. Dr. Dahlgrün 2. 7. Dr. Deist* 2. 7. Deringer* 2. 7. Dopatka 2. 7. Dröscher 2. 7. Eilers (Oldenburg) 2. 7. Eisenmann 2. 7. Engelbrecht-Greve* 2. 7. Frau Engländer 2. 7. Even (Köln) 2. 7. Dr. Friedensburg* 2. 7. Dr. Furler* 2. 7. Geiger (München)* 2. 7. Dr. Greve 2. 7. Hahn* 2. 7. Frau Herklotz 30. 6. Holla 2. 7. Illerhaus* 2. 7. Jahn (Frankfurt) 2. 7. Kalbitzer* 2. 7. Frau Klemmert 2. 7. Koenen (Lippstadt) 2. 7. Dr. Kopf* 2. 7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Kreyssig* 2. 7. Kühlthau 2. 7. Lenz (Brühl)* 2. 7. Dr. Lindenberg* 2. 7. Lücker (München) * 2. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 2. 7. Maier (Freiburg) 2. 7. Margulies* 2. 7. Metzger* 2. 7. Müller-Hermann* 2. 7. Neuburger 2. 7. Odenthal* 2. 7. Dr. Philipp* 2. 7. Dr. Preusker 2. 7. Frau Dr. Probst* 2. 7. Rademacher 2. 7. Rasch 2. 7. Richarts* 2. 7. Sander 2. 7. Scheel* 2. 7. Dr. Schild* 2. 7. Dr. Schmidt (Gellersen)* 2. 7. Schmidt (Hamburg)* 2. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 20. 7. Schultz 2. 7. Schüttler 2. 7. Stahl 2. 7. Dr. Starke* 2. 7. Storch* 2. 7. Sträter* 2. 7. Frau Strobel* 2. 7. Walter 2. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 2. 7. Weinkamm* 2. 7. Frau Wessel 2. 7. Dr. Zimmermann 8. 7. * für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte außenpolitische Debatte im Bundestag am 5. November vorigen Jahres folgte einer Regierungserklärung, in der ich einen Überblick über Vorbereitung und Verlauf der Genfer Außenministerkonferenz gab. Ich habe damals besonders auf den westlichen Friedensplan hingewiesen, den der amerikanische Außenminister Herter am 14. Mai vorigen Jahres in Genf vorgelegt hatte. Dieser Plan war das Ergebnis einer sorgfältigen und erfolgreichen Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den drei westlichen Alliierten; er hatte auch die Billigung aller Mitglieder der Atlantischen Gemeinschaft gefunden.
    Auch heute möchte ich an diesen Vorschlag erinnern. Sein Inhalt ist eine überzeugende Widerlegung der so oft vertretenen These, es sei die Sowjetunion gewesen, die in den vergangenen Jahren immer wieder die Initiative an sich gerissen habe. Der damals vorgelegte Stufenplan sah die Lösung des Berlin-Problems und des Deutschland-Problems in Etappen vor und verband diese politische Lösung mit konkreten Vorschlägen über das Sicherheitsproblem. Darüber hinaus enthielt er wesentliche Elemente, die einem Abkommen über die allgemeine und kontrollierte Abrüstung als Grundlage dienen sollten.
    Sie wissen, daß die Regierung der Sowjetunion diesen Vorschlag am ersten Tage vom Tisch geschoben hat. Der sowjetrussische Außenminister beschränkte sich auf die Erklärung, es heiße unnötige Zeit verschwenden, wenn man auf der Konferenz überhaupt über die Wiedervereinigung sprechen wolle. Wieder einmal wurde klar, um was es sich bei der häufig berufenen Initiative der Sowjetunion in Wahrheit handelte: um nichts anderes als die
    monotone Wiederholung des bekannten Standpunkts der Sowjetunion, die bis zur Stunde niemals bereit war, über eine Veränderung der durch Krieg und Gewalt geschaffenen Machtposition auch nur zu diskutieren.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Im Namen der Bundesregierung habe ich damals die tiefe Enttäuschung des deutschen Volkes über diesen Verlauf der Genfer Konferenz zum Ausdruck gebracht. Ich habe festgestellt, daß ernsthafte Bemühungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs an der fehlenden Verhandlungsbereitschaft des sowjetrussischen Gesprächspartners gescheitert waren. Damals war sich der Bundestag auch wohl mit der Bundesregierung darüber einig, daß die bevorstehende Gipfelkonferenz durch die Genfer Verhandlungen nicht erleichtert werden würde. Und gerade darum hat die Bundesregierung nachdrücklich betont, daß eine gute und sorgfältige Vorbereitung dieser Gipfelkonferenz unerläßlich sei.
    Wir haben die folgenden Monate für diese Vorbereitung benutzt. Über die Einzelheiten habe ich wiederholt im Auswärtigen Ausschuß berichtet, so daß ich mich heute wohl darauf beschränken kann, die wesentlichen Gesichtspunkte hervorzuheben.
    Mit ihren Verbündeten war die Bundesregierung der Auffassung, daß die Frage der allgemeinen und kontrollierten Abrüstung das entscheidende Thema auf der Gipfelkonferenz bilden müsse; Äußerungen von sowjetrussischer Seite ließen vermuten, daß man dort diesen Standpunkt teile. Die fünf westlichen Regierungen, die der neugebildeten Abrüstungskommission der Vereinten Nationen angehören, haben dieses Problem mit ihren Verbündeten, also auch mit der Bundesregierung, sorgfältig geprüft. Ergebnis dieser Vorarbeiten war der westliche Abrüstungsvorschlag, der später in Genf vorgelegt wurde.
    Eine besondere Arbeitsgruppe, der auch die Bundesregierung angehörte, beschäftigte sich mit der Deutschlandfrage und mit der Frage Berlins; ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, daß die Bundesregierung über den Verlauf dieser Verhandlungen den Senat der Stadt Berlin laufend unterrichtete und ihn zu Rate zog.
    Weitere Einzelfragen über die Ost-West-Beziehungen wurden in einer anderen Arbeitsgruppe behandelt.
    Diese Vorarbeiten vollzogen sich in einem Geiste aufgeschlossener Freundschaft, gegenseitigen Verständnisses und gemeinsamer Verantwortung. Mit



    Bundesminister Dr. von Brentano
    dieser Feststellung beantworte ich auch Meldungen und Gerüchte, die damals, ebenso wie vorher und nachher, mit größter Hartnäckigkeit verbreitet wurden und die von tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Westmächten untereinander oder zwischen einzelnen von ihnen und der Bundesregierung zu berichten wußten. Bei einigen dieser Gerüchtemacher liegen die Motive klar auf der Hand: Sie fürchten die Solidarität der freien Welt, weil sie wohl wissen, daß die einzige echte Chance für die Verwirklichung der machtpolitischen Ziele der Sowjetunion in der Uneinigkeit der freien Welt liegen würde. Bei anderen ist es schwieriger, die Gründe für ihr Verhalten zu finden. Zuweilen hat man den Eindruck, daß eine geradezu selbstmörderische Lust am Untergang ihre Phantasie beflügelt.
    Zusammenfassend kann ich nur sagen, daß diese Meldungen nichts anderes waren als zweckbedingte oder törichte, darum aber nicht minder gefährliche Spekulationen.
    Natürlich wissen wir alle, daß von dem Wunsch nach Abrüstung bis zu ihrer Verwirklichung ein weiter Weg führt. Gerade auf diesem Gebiet sind die politischen Reaktionen weitgehend von den Gefühlen der Angst und des Mißtrauens bestimmt. Die waffentechnische Entwicklung hat die Schwierigkeiten nicht verringert, sondern ins Ungemessene gesteigert. Die Vernichtungskraft der modernen Waffen, ihre Reichweite und ihre Treffsicherheit haben sich in einer Weise entwickelt, daß das Wort vom „Druckknopfkrieg" nicht mehr ein leeres Schlagwort ist. Es kann von heute auf morgen zur bitteren Realität werden. Auch eine vollendete technische Perfektion vermag die Möglichkeit menschlichen Versagens nicht zu beseitigen. Die Gefahr der Auslösung eines Weltkrieges durch Zufall oder durch unvorhersehbare Kurzschlußreaktion ist ebenso groß wie die andere Gefahr, daß eine solche Katastrophe durch eine Fehleinschätzung der wahren Lage entsteht. Das Wissen um diese Gefahren gehört zu den schweren Belastungen, unter denen wir so lange zu leben gezwungen sind, wie die kontrollierte Abrüstung nicht verwirklicht wird.
    Aber es kommt noch ein anderes hinzu: Die freien Demokratien der westlichen Welt sind sich der schweren Verantwortung, die sie tragen, durchaus bewußt. Ihr Ziel ist es, den Frieden zu erhalten. Sie denken in moralischen Kategorien und werden durch die öffentliche Meinung ihrer Völker immer wieder an diese Verpflichtungen erinnert.
    Die andere Seite macht aus ihren machtpolitischen Zielen kein Hehl. Sie lebt in der dogmatisch bestimmten Vorstellung, daß es ihre Aufgabe sei, die freiheitlich demokratische Ordnung in der Welt zu zerstören und die Ideen der kommunistischen Weltrevolution zu verwirklichen. So ist für die einen die Aufrüstung Teil einer bewußten Aktion, um machtpolitische Ziele und ideologische Vorstellungen zu verwirklichen; für die anderen die Reaktion, um dieser Drohung zu begegnen.
    Aber noch ein anderer tiefer Gegensatz besteht: die Bundesregierung ist mit ihren Verbündeten der
    Überzeugung, daß die Abrüstung die psychologischen Voraussetzungen für eine politische Entspannung schaffen wird, um dann auch die offenen politischen Fragen zu lösen. Zu diesen Fragen gehören das Deutschlandproblem und die Berlinfrage, die nach unserer Überzeugung Ausdruck und Folge, aber nicht Ursache der Spannung sind. Wir haben wenig Anlaß anzunehmen, daß die Sowjetunion in dieser Zielsetzung mit uns übereinstimmt. Die Sowjetunion hat bisher nicht zu erkennen gegeben, daß sie etwas anderes anstrebt als die Zementierung des Status quo, sei es mit, sei es ohne Abrüstung. Das bedeutet, daß der bestehende Spannungszustand nicht beseitigt, sondern gefestigt würde.
    Auch über die mittelbaren Folgen einer Abrüstung bestehen keine übereinstimmenden Vorstellungen. Wir wünschen die Abrüstung einmal, um die Welt von dem Angstgefühl zu befreien und damit einem elementaren Bedürfnis der Menschheit Rechnung zu tragen. Wir glauben aber auch, daß die ungeheuren Aufwendungen, die bis zur Stunde der Vervollkommnung der Rüstung dienen, den Lebensstandard der betroffenen Völker beeinträchtigen und daß diese Aufwendungen besser und sinnvoller zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes verwendet werden könnten. Dabei denken wir auch an die Verhältnisse in jenen Teilen der Welt, in denen der wirtschaftliche Rückstand Not und Sorge über Millionen von Menschen verbreitet. Für uns ist es nicht nur ein politisches, sondern vielmehr ein soziales und moralisches Anliegen, den großen und kleinen Nationen der Welt in ihrer Entwicklung zu helfen und damit Hunderten von Millionen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Die Verminderung der Rüstungslasten würde die Verwirklichung dieses Zieles wesentlich erleichtern. Aber wir stellen mit Bedauern und mit Sorge fest, daß der Begriff der Entwicklungshilfe in der Sowjetunion anders verstanden wird. Auch diese Aktivität ist für sie offenbar nichts anderes als eine Funktion der Außenpolitik; diese Entwicklungshilfe soll den Völkern, denen sie gewährt wird, nicht helfen, sondern sie ist darauf berechnet, sie in den sowjetrussischen Einflußbereich herüberzuziehen. Sie soll nicht dazu dienen, die neugewonnene Freiheit zu festigen, sondern dazu, diese Freiheit systematisch auszuhöhlen und zu zerstören.
    Die jüngsten Nachrichten über den Verlauf der Genfer Abrüstungsverhandlungen haben die skeptische Beurteilung der sowjetrussischen. Absichten leider bestätigt. Sie wissen, daß der sowjetrussische Delegierte vor wenigen Tagen in Genf nach Abgabe einer in Form und Inhalt unqualifizierbaren Erklärung den Verhandlungssaal verlassen hat; wie nicht anders zu erwarten, haben die vier anderen Staaten des Ostblocks weisungsgemäß das gleiche getan.
    In Genf hat sich also das gleiche makabre Schauspiel vollzogen, dessen Zeugen wir alle wenige Wochen vorher in Paris waren. Ich sprach schon von den Vorarbeiten für die Pariser Konferenz. Die Vorschläge der drei westlichen Regierungen, die in Paris mit dem sowjetrussischen Ministerpräsidenten



    Bundesminister Dr. von Brentano
    zusammenkommen sollten, haben wir in der Ministerratssitzung der Atlantischen Gemeinschaft Anfang Mai dieses Jahres in Istanbul zur Aussprache gestellt. Aus der Entschließung dieses Ministerrats möchte ich folgende Teile hier zitieren:
    Der Rat begrüßt die Aussicht auf Verhandlungen mit der Sowjetunion und hofft, daß diese Verhandlungen zu einer Verbesserung der internationalen Beziehungen führen werden. Die Einigkeit des Bündnisses ist unerläßlich, um Fortschritte auf diesem Wege zu erzielen. Das gemeinsame Ziel aller Mitglieder des Bündnisses ist eine stufenweise, unter wirksamer internationaler Kontrolle zu erreichende allgemeine und umfassende Abrüstung. Sie unterstützen die in diesem Sinne gemachten Vorschläge der westlichen Vertreter in Genf. Nach ihrer Auffassung stellen diese Vorschläge das beste Mittel zur Durchführung der Entschließung der Vereinten Nationen vom 20. November 1959 dar. Sie stellen mit Bedauern fest, daß die sowjetische Seite bisher nicht bereit war, konkrete und praktische Abrüstungsmaßnahmen zu erörtern.
    Da das nordatlantische Bündnis eine echte internationale Entspannung wünscht, kann es sich nicht mit der Formel einer „friedlichen Koexistenz" zufrieden geben, unter deren Deckmantel weiterhin Angriffe gegen einzelne Mitglieder des Bündnisses gerichtet werden. Die Entspannung ist wie der Friede unteilbar. Daher müssen die Bemühungen der sowjetischen Propaganda, die Bundesrepublik Deutschland und die Regierungen gewisser anderer NATO-Staaten zu diskreditieren, als gegen das Bündnis als Ganzes gerichtet angesehen werden. Sie sind unvereinbar mit jeder wahren Verbesserung der internationalen Beziehungen.
    Der Rat bekräftigt erneut, — so heißt es zum Schluß —
    daß die Lösung des Deutschlandproblems nur durch die Wiedervereinigung auf der Grundlage der Selbstbestimmung gefunden werden kann. Er bezieht sich auf seine Erklärung vom 16. Dezember 1958 und bringt erneut seine Entschlossenheit zum Ausdruck, die Freiheit der Bevölkerung Westberlins zu schützen.
    Meine Damen und Herren, diese programmatische Erklärung der Mitgliedstaaten der NATO hat vielleicht nicht überall die nötige Beachtung gefunden. Sie bestätigt die völlige Übereinstimmung der verbündeten Regierungen in allen wesentlichen Fragen. Die Bundesregierung hält dabei die Feststellung des Ministerrats für besonders bedeutungsvoll, daß die Entspannung ebenso wie der Friede unteilbar sein müsse. Diese Feststellung ist Ausdruck einer echten Solidarität der atlantischen Welt und freimütiges Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung. Überall in der Welt sollte man diese klare und unmißverständliche Äußerung verstehen, die auch geeignet sein sollte, allen Spekulationen ein Ende zu bereiten, die sich mit der möglichen Aufsplitterung der Gemeinschaft der Völker in der Atlantischen Gemeinschaft beschäftigen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die westlichen Verhandlungspartner waren bereit, auf der Grundlage der vorangegangenen Beratungen die Verhandlungen mit dem sowjetrussischen Ministerpräsidenten aufzunehmen. Am 16. Mai sollte die Konferenz beginnen. Wir wissen es alle: sie scheiterte an der Haltung des sowjetrussischen Ministerpräsidenten, der bekanntlich den Überflug einer amerikanischen Aufklärungsmaschine zum Vorwand nahm, die Verhandlungen zu sabotieren. Ich sage bewußt, daß es ein Vorwand war, denn nach den eigenen Erklärungen des sowjetrussischen Regierungsschefs waren ihm diese Erkundungsflüge schon bekannt, als er sich im vergangenen Jahr mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten in Camp David traf.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Die Landung der amerikanischen Maschine lag obendrein schon vierzehn Tage zurück, bevor Ministerpräsident Chruschtschow nach Paris reiste.
    Ich habe nun nicht die Absicht, Spekulationen darüber anzustellen, welche Gründe ihn veranlaßt haben können, die Konferenz am ersten Tage zum Scheitern zu bringen. Sein Verhalten rechtfertigt den Schluß, daß er mit der festen Absicht nach Paris kam, so zu verfahren, wie er es tat. Es ist auch nicht an uns, die Frage zu stellen, ob sich die Regierung der Sowjetunion der schweren Verantwortung bewußt ist, die sie mit diesem Verhalten vor der ganzen Welt und damit auch gegenüber dem eigenen Volk auf sich nahm. Aber die Bundesregierung hat das j Recht und die Pflicht, ihre tiefe Enttäuschung über diesen Ablauf zum Ausdruck zu bringen und festzustellen, daß die Verantwortung für das Scheitern der Konferenz allein bei der Sowjetunion liegt.
    Ich möchte es aber auch nicht unterlassen, den drei westlichen Staats- und Regierungschefs im Namen der Bundesregierung ausdrücklich und aufrichtig für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Vorbereitung dieser Konferenz zu danken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Danken möchte ich diesen Staatsmännern aber auch für die ernsten Bemühungen, die sie unternommen haben, trotz der maßlosen und beleidigenden Angriffe des sowjetischen Ministerpräsidenten, die sachlichen Verhandlungen in Paris doch noch aufzunehmen. Ganz besonderen Dank sind wir dem Präsidenten der Vereinigten Staaten schuldig.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die behutsame und maßvolle Erklärung, mit der er am Vormittag des 16. Mai die hemmungslosen Angriffe des sowjetischen Regierungschefs beantwortete, war ein überzeugender Beweis für das tiefe Verantwortungsbewußtsein, das ihn bei diesem Versuch leitete, die Voraussetzungen für eine sachliche Aussprache doch noch zu schaffen.
    Der tiefe Gegensatz in Ziel und Methode zwischen der Sowjetunion auf der einen und den westlichen Regierungen auf der anderen Seite ist durch diese



    Bundesminister Dr. von Brentano
    Entwicklung in Paris und Genf leider erneut sichtbar
    geworden. Er kann auch durch die Zauberformel von
    der friedlichen Koexistenz nicht überbrückt werden,

    (Sehr richtig!)

    — zumindest solange nicht, als diejenigen, die dieses Wort gebrauchen, ihm einen völlig verschiedenen Sinngehalt unterlegen. Die sowjetische Interpretation des Koexistenzbegriffs ist uns allen leider wohl bekannt. Sie läßt keinen Zweifel daran, daß die Sowjetunion fest entschlossen ist, auch unter dem Deckmantel der sogenannten Koexistenz ihre weltrevolutionären Ziele mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verfolgen. Über diese Mittel wissen wir Bescheid. Ihrer Anwendung sind weite Teile des europäischen Kontinents und große Bereiche in anderen Teilen der Welt zum Opfer gefallen. Noch vor wenigen Tagen hat Herr Chruschtschow in Bukarest erklärt: „Wie Marx gesagt hat, wird der Totengräber des Kapitalismus die Arbeiterklasse sein, und ich als Mitglied der Kommunistischen Partei und der mächtigen Arbeiterklasse zähle mich stolz zu den Totengräbern des Kapitalismus."
    Wir alle wissen, daß das Wort „Kapitalismus" im kommunistischen Herrschaftsbereich zum Sammelbegriff für alle staatlichen Ordnungsformen geworden ist, die nicht den dogmatischen Begriffen des leninistischen Marxismus entsprechen. Bis zur Stunde sind wir auch Zeuge, wie die Funktionen des Totengräbers ausgeübt werden. Ich erinnere an den 17. Juni in Berlin und an den Freiheitskampf des ungarischen Volkes, um Beispiele zu nennen, die uns besonders angehen.
    Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will aber im Bundestag nicht nur berichten über das, was geschehen ist, sie will auch darüber sprechen, was in Zukunft geschehen soll. Sie legt entscheidenden Wert darauf, dem deutschen Volke und der Welt zu sagen, wie sie die entstandene Lage beurteilt und wie sie ihre Außenpolitik fortzusetzen gedenkt. Das scheint mir besonders notwendig zu sein, weil wir gerade in den vergangenen Wochen manche Stimme gehört haben, die von einer gemeinsamen Bestandsaufnahme der Außenpolitik sprach, und manche Erklärung gelesen haben, die zu einer gemeinsamen Außenpolitik zwischen Regierungsmehrheit und Opposition aufrief.
    Die Bundesregierung glaubt nicht, daß sie es nötig hat, sich an einer solchen Bestandsaufnahme zu beteiligen. Sie ist heute mehr denn je davon überzeugt, daß ihre außenpolitischen Vorstellungen und Entscheidungen richtig waren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Einer Bestandsaufnahme bedarf es um so weniger, als die außenpolitische Linie der Bundesregierung seit der Errichtung der Bundesrepublik gradlinig und konsequent war und alles, was geschehen ist, sich hier im Bundestag vor aller Augen abgespielt hat. In zahllosen Debatten hat die Bundesregierung ihre außenpolitischen Vorstellungen klargelegt, und sie hat immer wieder die Zustimmung des deutschen Volkes gefunden, sei es durch die eindeutigen Mehrheitsentscheidungen im Bundestag, sei es durch die Wahlen.
    Es ist richtig, daß auch die Sprecher der Bundesregierung und der Regierungsmehrheit häufig darauf hingewiesen haben, welche Gefahren die innerdeutschen Auseinandersetzungen über Ziele und Wege der Außenpolitik in sich bergen. Ich möchte diese Gefahren auch heute nicht verschweigen. Die Stellung der Bundesregierung als Sprecherin für das ganze deutsche Volk wäre ungleich stärker, wenn über die Einmütigkeit der Haltung des deutschen Volkes in diesen Lebensfragen kein Zweifel aufkommen könnte,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    kein Zweifel bei unseren westlichen Verbündeten daran, daß die Verschiebung parteipolitischer Mehrheiten keinen Einfluß ausüben würde auf die gradlinige und unbeirrbare Fortsetzung der bisherigen Politik — denn jeder solche Zweifel beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit deutscher Erklärungen und Entscheidungen —; kein Zweifel aber auch im östlichen Machtbereich daran, daß das deutsche Volk ohne Rücksicht auf parteipolitische Gegensätzlichkeiten entschlossen ist, die Auseinandersetzung mit den Machtansprüchen des totalitären bolschewistischen Systems durchzustehen, für die Freiheit des deutschen Volkes und seiner Verbündeten jedes Opfer zu bringen und kompromißlos auf der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für das ganze deutsche Volk zu bestehen;

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    denn jeder Zweifel dieser Art müßte die Bereitschaft der Sowjetunion, die Entspannung durch echte Konzessionen zu verwirklichen, beeinträchtigen und könnte sie zu der gefährlichen Spekulation veranlassen, den Nervenkrieg gewinnen und das deutsche Volk aus seiner Verbindung mit der freien Welt herausbrechen zu können.
    Ich glaube, daß die Ehrlichkeit eine Feststellung von uns verlangt, die ich hier unmißverständlich treffen möchte: es geht nicht um die gemeinsame, es geht um die richtige Außenpolitik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Kollege Mende hat sich in der gestrigen Ausgabe der „Frankfurter Rundschau" auch mit dieser Frage beschäftigt. Aber ich möchte jetzt schon sagen: ich muß ihm widersprechen. Er sagte sinngemäß, man könne in der Politik nicht etwa wie in den exakten Wissenschaften genau feststellen, was recht sei oder nicht. Soweit stimme ich ihm natürlich zu. Die Entscheidung darüber wird immer auf einer subjektiven Wertung objektiver Gegebenheiten beruhen. Wenn er aber fortfährt, man müsse immer auf das Urteil der Geschichte warten und dieser Richterspruch könne lange Zeit auf sich warten lassen, muß ich ihm sagen, daß ich dieser sonderbaren Logik nicht zu folgen vermag.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin ganz im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Mende, der Überzeugung, daß ein Volk und eine



    Bundesminister Dr. von Brentano
    Regierung nicht vor dem Richterspruch der Geschichte bestehen werden, wenn sie untätig oder unentschlossen die Dinge an sich herankommen lassen

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    oder wenn sie aus der Scheu vor der Verantwortung einer voraussehbaren Katastrophe nicht rechtzeitig und entschlossen begegnen wollen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Allerdings zeigt dieses Interview auch, daß die Auffassungen darüber, was richtig war und richtig ist, noch weit auseinandergehen. Ich spreche bewußt auch von der Vergangenheit, meine Damen und Herren, denn ich glaube, wir würden uns und die Welt täuschen, wenn wir versuchen wollten, das, was in den letzten Jahren geschehen ist, aus der Diskussion auszuklammern. Es handelt sich nämlich dabei um einen Bestandteil, ja um die Grundlage der Außenpolitik, an der die Bundesregierung festzuhalten entschlossen ist.
    Alle diejenigen, die die politische Entwicklung der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren verfolgt haben, wissen, daß nahezu Alle wichtigen Entscheidungen auf dem Gebiet der Außenpolitik gegen die Stimmen der Opposition gefallen sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich will nicht mehr als nötig auf diese Vergangenheit eingehen, aber ich muß daran erinnern, daß der Abschluß des Petersberger Abkommens, der Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat, die Gründung der Montanunion, der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die Errichtung der Westeuropäischen Union, der Eintritt der Bundesrepublik in die Atlantische Gemeinschaft, daß alle diese Entscheidungen gegen die Stimmen der Opposition oder doch gegen die Stimmen der großen Mehrheit der gegenwärtigen Opposition beschlossen wurden. Ich muß daran erinnern, daß auch alle gesetzlichen Maßnahmen oder ein erheb- licher Teil der Maßnahmen, die zur Durchführung der übernommenen Verpflichtungen im Bundestag beschlossen wurden, von der Opposition abgelehnt wurden. Ich denke an die Schaffung der Bundeswehr, an die Diskussionen über die notwendige Bewaffnung der Bundeswehr als eines Teils der atlantischen Verteidigungsorganisation. Ich erinnere auch daran, meine Damen und Herren, daß die Bundesrepublik wohl als einziges Land noch immer keine Notstandsgesetzgebung kennt; dabei ergibt sich die Notwendigkeit einer solchen Gesetzgebung eindeutig aus der bedrohlichen Lage, in der sich die Bundesrepublik als Teil und leider auch als Randgebiet der freien Welt angesichts der weltpolitischen Spannung befindet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sprach davon, daß die Bundesregierung wiederholt die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik betont hat. Aber ich muß daran erinnern, daß der letzte Appell, den der Herr Bundeskanzler um die Jahreswende an die Opposition richtete, von der sozialdemokratischen Opposition
    damit beantwortet wurde, diese Aufforderung sei
    wohl aus dem Wunsche geboren, für eine schei-
    ternde Außenpolitik Mitverantwortliche zu finden!

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Mir liegt in dieser ernsthaften Aussprache jegliche Ironie fern, wenn ich die Frage stelle, ob die Forderung nach einer Bestandsaufnahme vielleicht auf der Erkenntnis der Opposition beruht, daß ihre eigenen außenpolitischen Vorstellungen sich als falsch erwiesen haben. Ich glaube in der Tat, daß die Opposition gut daran täte, ihr Verhalten in der Vergangenheit zu überprüfen, denn es genügt nicht, festzustellen, meine Damen und Herren, daß wir in diesem oder jenem Bereich in den Zielen übereinstimmen, wenn wir nicht auch zu einer Übereinstimmung über die Methoden kommen, wie wir das Ziel erreichen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was ich meine, möchte ich an einem Beispiel klarmachen: Es wäre wohl ein sehr mageres Ergebnis eines Ärztekonsiliums am Krankenbett eines Patienten, wenn man am nächsten Tage lesen müßte, man sei übereingekommen, das Leben des Kranken zu retten. Voraussetzung eines ernsthaften Gesprächs ist vielmehr die sorgfälige und übereinstimmende Diagnose; im politischen Bereich also eine Analyse der Gründe der Spannung. Aber auch die übereinstimmende Diagnose ist wertlos, wenn sie nicht dazu führt, daß man sich auch über die Therapie verständigt, — nicht über die gemeinsame, sondern über die richtige Therapie.

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Im politischen Bereich bedeutet das nicht mehr und nicht weniger als die Bereitschaft, gemeinsam die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und gemeinsam die erforderlichen Entscheidungen zu treffen und zu verantworten.
    Damit komme ich, wie ich vorher schon angedeutet habe, auf den Teil meines Berichts, der sich mit den außenpolitischen Vorstellungen und Zielen der Bundesregierung für die nächste Zukunft beschäftigt. Erst wenn wir wissen, daß wir darin übereinstimmen, können wir überhaupt von einer gemeinsamen Außenpolitik sprechen. Bis dahin ist der Ruf nach gemeinsamer Außenpolitik entweder ein leeres Lippenbekenntnis oder eine unverbindliche Absichtserklärung, die nicht zur Klärung der Gegensätze, sondern zur Verwirrung der öffentlichen Meinung beitragen müßte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die politische Entwicklung, wie sie sich nach dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz und jetzt der Genfer Abrüstungsverhandlungen darstellt, gibt der Bundesregierung — ich wiederhole es — keine Veranlassung, Wege und Ziele der bisherigen Außenpolitik zu überprüfen oder gar zu ändern. Ich sage das nicht, meine Damen und Herren, weil die Bundesregierung etwa recht behalten wollte, sondern weil sie der Überzeugung ist, daß die Entwicklung ihr recht gegeben hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Bundesminister Dr. von Brentano
    Ich möchte in diesem Zusammenhang doch eine Äußerung des Herrn Kollegen Erler richtigstellen, der vor einigen Tagen im Pressedienst der Sozialdemokratischen Partei wörtlich erklärte: „Was für eine seltsame Politik, die das Scheitern einer Konferenz, an deren Vorbereitung sie beteiligt war und nicht die Opposition, als Erfolg und Bestätigung empfindet." Ich kann dem Herrn Kollegen Erler nur antworten: Was für eine seltsame Unlogik, die aus dieser Formulierung spricht, und was für eine bedenkliche Entstellung dessen, was wirklich gesagt worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben die Erklärung gehört, die der Herr Bundeskanzler am 24. Mai 1960 hier vor dem Deutschen Bundestag abgegeben hat. Ich zitiere daraus nur zwei Sätze:
    Die Hoffnungen, daß die Pariser Konferenz auf dem Gebiete der allgemeinen kontrollierten Abrüstung erste Anfänge, die zu entscheidenden Fortschritten führen würden, machen und damit eine Minderung der internationalen Spannungen herbeiführen würde, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, wir müssen feststellen, daß die Spannungen in der Welt sich in einer beunruhigenden Weise verschärft haben.
    Kann denn wirklich irgend jemand aus dieser Erklärung, die die tiefe Enttäuschung und die ernste Unruhe der Bundesregierung über das Scheitern der Konferenz zum Ausdruck bringt, herauslesen, daß die Bundesregierung diesen Ablauf der Dinge als einen Erfolg für sich verbuchen wolle? Mir scheint, daß dazu ein großes Maß von bösem Willen oder doch zum mindesten von unüberwindlicher Voreingenommenheit gehört. Es spricht daraus aber auch wirklich keine Bereitschaft, auf dem Wege der Bestandsaufnahme über eigene Fehler und Irrtümer zu einer Gemeinsamkeit in der Außenpolitik zu kommen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung empfindet das Scheitern der beiden Konferenzen als einen bewußten Schlag gegen den Verständigungswillen, den sie selbst und den mit ihr die verbündeten Regierungen gezeigt haben. Aus dieser Erkenntnis heißt es nun die Konsequenzen zu ziehen.
    Auch das Scheitern der beiden Konferenzen ändert nichts an der Überzeugung der Bundesregierung, daß wir uns bemühen müssen, die Verhandlungen über eine allgemeine kontrollierte Abrüstung wiederaufzunehmen. Es gibt heute noch keine Antwort auf die Frage, wann und wie das geschehen soll. Der neue westliche Abrüstungsvorschlag ist inzwischen bekannt. Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit ihren Verbündeten nachdrücklich um die Verwirklichung der darin enthaltenen Grundsätze bemühen. Die Bundesregierung ist aber nicht bereit, aus dem Scheitern der bisherigen Verhandlungen falsche und gefährliche Konsequenzen zu ziehen. Sie ist nach wie vor davon überzeugt, daß Abrüstungsvereinbarungen nicht dazu führen dürfen, das militärische Gleichgewicht zwischen Ost und West zum Nachteil der Bundesrepublik und ihrer westlichen Verbündeten zu verändern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Fortbestand dieses Gleichgewichtes ist darum nach der Überzeugung der Bundesregierung eine unverzichtbare Bedingung. Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis liegt auf der Hand: Die Bundesregierung hält alle Vorstellungen und Pläne über ein sogenanntes Disengagement in einem geographisch beschränkten europäischen Raum für abwegig und für gefährlich. Ausgerechnet an der Stelle,
    wo sich die totalitäre Welt des Kommunismus und die freiheitliche Welt der Demokratie berühren, würde ein Vakuum entstehen. Sicherheit und Freiheit der 54 Millionen Menschen in der Bundesrepublik und in Berlin wären damit unmittelbar bedroht. Eine solche Lösung ist auch nicht vereinbar mit den berechtigten Interessen unserer Verbündeten; nur wenn wir auch an ihre Sicherheit und an die Erhaltung ihrer Freiheit denken, können wir erwarten, daß sie das gleiche Verständnis und die gleiche Bereitschaft für uns aufbringen.
    Die Entwicklung der letzten Monate sollte aber auch andere illusionäre Vorstellungen zerstört haben, die dem Wunschdenken entsprangen: Die Sowjetunion hat durch ihr Verhalten eindeutig gezeigt, daß sie zum mindesten im Augenblick gar nicht daran denkt, den unterdrückten Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone die Freiheit wiederzugeben. Niemals war ein Wort von ihr darüber zu hören oder eine Geste von ihr dahin zu deuten, daß sie bereit sein könnte, den deutschen Menschen in der Zone das uneingeschränkte Recht auf freie Selbstbestimmung einzuräumen, auch nicht gegen die Zusage, das wiedervereinigte Deutschland aus seinen Bindungen mit der freien Welt des Westens zu lösen.
    Diese Forderung nach Selbstbestimmung aufzugeben oder auch nur einzuschränken, ist die Bundesregierung nicht bereit. Das Recht auf Selbstbestimmung verträgt keine Beschränkung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Ausübung dieses Rechts kann und darf nur in der Weise interpretiert werden, daß das deutsche Volk seine innere, seine soziale und wirtschaftliche Ordnung frei und ohne äußeren Zwang bestimmen wird, ebenso aber auch, daß das deutsche Volk über seinen politischen Standort in der Welt frei entscheiden wird. Die Bundesregierung verlangt für das deutsche Volk nicht mehr, aber auch nicht weniger an Rechten, als allen anderen Völkern in der Welt heute eingeräumt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie verlangt darum auch für das wiedervereinigte Deutschland das gleiche Maß an Sicherheit, das andere für sich beanspruchen. Darin und nur darin liegt eine Einschränkung, wenn ich sage, daß Deutschland bereit sein wird, sich auch nach der Wiedervereinigung jeder Abrüstungsvereinbarung anzuschließen, die den berechtigten Sicherheitsvorstellungen des deutschen Volkes ebenso entspricht wie denen der anderen Vertragspartner. Aber in



    Bundesminister Dr. von Brentano
    dieser Beschränkung liegt auch die Bereitschaft, sich in jede neue vereinbarte friedliche Ordnung in der Welt einzufügen und damit an der eigenen Freiheit und Sicherheit ebenso mitzuwirken wie an der Sicherheit der anderen.
    Die politischen Ziele des deutschen Volkes müssen in diesen Grenzen liegen, aber sie dürfen nicht dahinter zurückbleiben. Niemand sollte von dem deutschen Volk erwarten oder gar verlangen, daß es eine politische Hypothek auf sich nimmt, deren Einlösung nur um den Preis der Freiheit möglich wäre.
    Was ich von Deutschland sage, gilt nach der Überzeugung der Bundesregierung auch für Berlin. Ein Teil der Stadt Berlin ist ein Teil des freien Deutschland. Diese Freiheit darf nicht untergehen, sie darf aber auch nicht eingeschränkt werden. Man kann sich nur ganz oder gar nicht zum Freiheitsbegriff bekennen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, daß sie diese Ziele nur zu erreichen vermag in einer engen, unauflöslichen Zusammenarbeit und Verbundenheit mit der freien Welt. Über die Entschlossen- heit diese Zusammenarbeit noch gestalten,
    darf weder bei unseren Verbündeten noch bei unseren Gegnern ein Zweifel entstehen. Diese Zusammenarbeit muß sich wie seither in verschiedenen Bereichen vollziehen.
    Ich nenne hier zunächst die europäische Zusammenarbeit. Das, was sich in den vergangenen Jahren auf dem europäischen Kontinent vollzogen hat, ist vielleicht die eindrucksvollste Entwicklung, die wir überhaupt in irgendeinem Teil der freien Welt nach der letzten Katastrophe feststellen können. Es ist nicht nötig, die einzelnen Phasen dieser Entwicklung in Erinnerung zu rufen. Trotzdem schiene es mir nützlich, wenn der eine oder andere, der unsere Außenpolitik in den vergangenen Jahren mit kritischer Ablehnung zu verfolgen pflegte, einmal nachlesen wollte, was im Bundestag z. B. alles gesagt wurde, als die Bundesregierung im Jahre 1950 den Beitritt zum Europarat beschlossen hatte. Man hat uns engegengehalten, daß wir noch unter dem Besatzungsstatut stünden. Das Besatzungsrecht existiert nicht mehr. Man hat uns vorgeworfen, daß wir auf das Recht der Gleichberechtigung verzichteten; kurze Zeit darauf war die Gleichberechtigung verwirklicht. Man hat uns entgegengehalten, daß das Saargebiet dem Europarat angehöre; das Saargebiet ist inzwischen in die Bundesrepublik aufgenommen worden.

    (Lachen bei der SPD. — Gegenruf von der CDU/CSU: Bestreiten Sie das?)

    — Ja, es ist so! — Eine ähnliche Diskussion haben wir bei der Gründung der Montanunion erlebt. Es war der erste und entscheidende Schritt auf dem Wege zur europäischen Integration; es war aber auch der erste und entscheidende Schritt auf dem Wege zu einer Verständigung und Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Man hat uns gewarnt, weil die deutsche eisen- und stahlschaffende Industrie in ihrer Entwicklung gehemmt würde; wir alle waren Zeugen der Entwicklung der
    deutschen Wirtschaft, und ich glaube, es genügt der Hinweis, daß die deutsche Stahlproduktion sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt hat.
    Die Bundesregierung hat später den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geschlossen. Das Scheitern dieses Vertrages war ein ernster Rückschlag. Aber manchem unserer Kritiker ist vielleicht erst zu spät klargeworden, was die Verwirklichung dieses wahrhaft europäischen Planes bedeutet hätte.
    Die Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft war die konsequente Fortsetzung dieser Europapolitik. Die sozialdemokratische Opposition hat dieser Entscheidung zugestimmt, und sie hat damit wohl zum ersten Male die Richtigkeit der Europapolitik der Bundesregierung bestätigt,
    Vor wenigen Tagen hat die Kommission den dritten Gesamtbericht dem Europäischen Parlament zugeleitet. Ich kann nur bitten, daß jeder diesen Bericht lesen möge. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich in ihrer Realität bewährt. Der Binnenhandel und der Außenhandel sind ständig an- gestiegen. Dieses Klein-Europa, wie es unsere Kritiker manchmal wegwerfend und verächtlich nannten, umfaßt 170 Millionen Menschen und besitzt ein Gewicht, das weit über dem der beteiligten Länder liegt. Die Gemeinschaft kann und muß sich der Lösung der weltumspannenden Probleme des wirtschaftlichen Gleichgewichts, der Ausweitung des Handels und der Entwicklung der neuen Länder in engem Zusammenwirken mit den Vereinigten Staaten, mit Großbritannien und den anderen Industrieländern der freien Welt annehmen.
    Inzwischen haben wir die beschleunigte Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beschlossen. Natürlich wurde auch diese Entscheidung heftig kritisiert. Aber wir können feststellen, daß sie die Verhandlungen mit der sogenannten EFTA-Gruppe nicht erschwert, sondern überhaupt erst in Gang gebracht hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich zweifle nicht daran, daß es den gemeinsamen Bemühungen der Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einerseits und der Länder der EFTA, der Vereinigten Staaten und Kanadas andererseits gelingen wird, auch die Zusammenarbeit zu verwirklichen, die wir wünschen.
    Diese Erinnerung an die zurückliegende Entwicklung ist aber nicht ausreichend. Denn wir werden uns mit der Frage zu beschäftigen haben, wie wir die Organisationen der bestehenden europäischen Gemeinschaften noch enger zusammenführen und welche Wege etwa offenstehen, um die drei unabhängigen Exekutivorgane zu einem einzigen Organ zu verschmelzen. Alles, was wir auf diesem Wege tun, ist ein Schritt zum politischen Ziel der Einigung Europas. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß sie damit auf dem richtigen Wege ist. Wenn wir Europa stärken, stärken wir die freie Welt. Die Entwicklung der Vergangenheit zeigt uns, daß wir



    Bundesminister Dr. von Brentano
    diese Stärke bitter nötig haben, — nicht um sie zu mißbrauchen, sondern um sie richtig zu gebrauchen als wirksamen Schutz gegen die Bedrohung der Freiheit.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber die Bundesregierung weiß auch sehr wohl, daß diese europäische Politik — so wichtig sie auch ist — in der heutigen weltpolitischen Lage nicht ausreicht. Sie weiß wohl, und ich meine, wir alle wissen es ebenso, daß die Erhaltung unserer Freiheit von der Stärkung der Atlantischen Gemeinschaft abhängt. In den vergangenen Jahren hat diese große und machtvolle Organisation ihre Aufgabe erfüllt, die in der Sicherung der Freiheit und Unabhängigkeit ihrer Mitglieder besteht. Aber wenn wir mit Sorge feststellen, daß die weltpolitische Spannung zugenommen hat, wenn wir uns Rechenschaft geben, daß die Bedrohung unserer Freiheit unvermindert anhält, dann müssen wir bereit sein, daraus auch gewisse Konsequenzen zu ziehen. Die Bundesregierung hält es für eine ihrer wichtigsten Aufgaben, mit dazu beizutragen, daß die Atlantische Gemeinschaft noch enger zusammenwächst. Sie ist vor zehn Jahren entstanden als eine Verteidigungsgemeinschaft gegen die unmittelbare militärische Bedrohung. Die Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus beschränkt sich aber heute nicht mehr auf den militärischen Bereich. In der gegenwärtigen politischen und in der geistigen Auseinandersetzung müssen wir auch die Atlantische Gemeinschaft ausbauen. In allen Bereichen der Welt verspüren wir doch die unablässige Offensive des Kommunismus. Sie wird geführt mit allen Mitteln der ideologischen Beeinflussung ebenso wie mit wirtschaftlichen Maßnahmen. Dem müssen wir begegnen, und zwar gemeinsam begegnen. Wir können mit Befriedigung feststellen, daß die ständigen politischen Konsultationen im Rahmen der NATO sich bewährt und entwickelt haben. Unser Ziel muß es aber sein, auch in diesem Bereich zu einer gemeinsamen politischen Meinungsbildung und damit zu gemeinsamen politischen Entscheidungen und Maßnahmen zu kommen.
    Dieses klare und uneingeschränkte Bekenntnis zur Atlantischen Gemeinschaft schließt auch eine klare Verpflichtung in sich: Die Bedrohung, in der wir stehen, verlangt von uns eine Verstärkung der Verteidigungsanstrengungen; jedes Nachlassen würde bedeuten, das Gleichgewicht zugunsten des potentiellen Angreifers zu verschieben. Diese Notwendigkeit kann nicht überzeugender unterstrichen werden als durch die Erklärung des sowjetischen Ministerpräsidenten, die er am vergangenen Dienstag vor Absolventen der sowjetischen Militärakademie abgegeben hat; er führte aus, die Sowjetunion habe die heilige Pflicht, ihre Streitkräfte zu stärken und ihnen die modernsten Waffen aller Zeiten zu geben, von Kurzstreckenraketen bis zu den interkontinentalen ballistischen Geschossen. Darum, meine Damen und Herren, wird die Bundesregierung auch die Verpflichtungen, die sie freiwillig und im Gefühl der Verantwortung vor dem deutschen Volk und der
    Mitverantwortung für die anderen verbündeten Völker übernommen hat, erfüllen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dazu gehört, daß wir nicht nachlassen, auch die Verteidigungskraft der Bundeswehr zu erhöhen. Denn die Bundeswehr ist ein Teilstück der gemeinsamen Verteidigung, und es darf in diesem System der gemeinsamen Abwehr keine schwache Stelle geben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie bei der DP.)

    Meine Damen und Herren, ich sagte schon, daß die Ereignisse der vergangenen Monate nach Überzeugung der Bundesregierung die Richtigkeit dieser Politik — ich möchte beinahe sagen: leider — bestätigt haben. In ihrer Note vom 27. November 1958 hat die Sowjetunion die Absicht erkennen lassen, ihre Hand auf die Stadt Berlin zu legen und 21/4 Millionen Menschen dieser Stadt ihrer Freiheit zu berauben. Nur der entschlossenen Abwehr der westlichen Alliierten, die den Schutz dieser Stadt übernommen haben, und der einmütigen Haltung der Mitgliedstaaten der Atlantischen Gemeinschaft, die sich zu ihrem Garantieversprechen bekannten, ist es gelungen, der Verwirklichung dieser lebensgefährlichen Bedrohung zu begegnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Über den Protest der Bundesregierung allein wäre die Sowjetunion wohl mit einem mitleidigen Lächeln hinweggegangen. Gerade in dieser für das ganze deutsche Volk so wichtigen Frage hat sich die Bündnispolitik bewährt, und wir haben allen Anlaß, unseren Verbündeten auch hier dafür zu danken, daß sie klar und kompromißlos für die Freiheit der Stadt Berlin eingetreten sind. Wir sind fest davon überzeugt, daß wir auch in Zukunft keine Enttäuschung erleben werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der FDP.)

    Eine Äußerung eines maßgeblichen Sprechers des Berliner Senats und führenden Mitglieds der Sozialdemokratischen Partei zeigt aber, wie weit wir auch in dieser Frage noch von einer gemeinsamen Außenpolitik erntfernt sind. Er hat vor kurzem erklärt, die Tatsache, daß die Bundesregierung mit dem Senat von Berlin übereinstimme, bedeute noch lange nicht, daß der Senat in allen Dingen mit der Bundesregierung übereinstimme.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Hinter diesem Satz verbirgt sich auch wieder einmal eine sonderbare, ja eigentlich erschreckende Unlogik. Der sichtbare und für die Freiheit der Stadt Berlin entscheidende Erfolg der deutschen Außenpolitik wird damit anerkannt, weil man ihn ja nicht leugnen kann, ohne sich selbst aufzugeben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Aber der Weg, auf dem der Erfolg erzielt wurde, wird unüberhörbar kritisiert. Man ist versucht, in diesem Zusammenhang geradezu von einer Bewußtseinsspaltung zu sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Hört! Hört! bei der FDP.)




    Bundesminister Dr. von Brentano
    Was für Berlin gilt, meine Damen und Herren, gilt aber auch für Deutschland. Wir haben immer wieder von unseren Kritikern hören müssen, daß die Politik der Bundesregierung die Wiedervereinigung erschwere oder gar verhindere. Es muß klar gesagt werden, daß es keine gemeinsame Außenpolitik gibt, so lange dieser Vorwurf erhoben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, daß nur die konsequente Fortsetzung ihrer bisherigen Außenpolitik die Voraussetzungen für die Lösung dieses berechtigten nationalen Anliegens des deutschen Volkes überhaupt schaffen kann.

    (Sehr gut!)

    Nur mit der Unterstützung der freien Welt kann und wird es uns gelingen, das Recht auf Selbstbestimmung in der sowjetisch besetzten Zone zu verwirklichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Über diese Frage haben wir schon manche Diskussion geführt. Aber ich habe leider nicht den Eindruck, daß wir uns dadurch nähergekommen sind. Meine Damen und Herren, die Teilung Deutschlands beruht nicht auf einer freien Willensentscheidung des deutschen Volkes oder auch nur eines Teiles des deutschen Volkes. Sie ist Folge einer unversöhnlichen Machtpolitik der Sowjetunion, die den von ihr besetzten Teil Deutschlands zu einer abhängigen Kolonie degradiert hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Begriffe von Recht, Freiheit und Menschenwürde sind in diesem Bereiche unbekannt. Es ist nicht so sehr die künstliche Trennungslinie, die uns belastet und empört, sondern das Bewußtsein, daß die Menschen jenseits dieser Trennungslinie in reglementierter Unfreiheit leben müssen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Würde ihnen die Freiheit zurückgegeben, dann würde am nächsten Tage niemand mehr von dieser Trennungslinie sprechen.
    Darum gibt es aber auch keinen Kompromiß in dieser Frage. Hier begegnen sich zwei Vorstellungswelten, die sich gegenseitig ausschließen, und das ist auch der Grund, warum die Bundesregierung auch den sogenannten Deutschlandplan der Sozialdemokratischen Partei abgelehnt hat, — nicht weil er unbrauchbar ist, sondern weil er in seinen Folgen lebensgefährlich ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der DP.)

    Es liegt mir fern, die Diskussion über diesen Plan neu zu eröffnen. Aber wenn die sozialdemokratische Opposition von einer Bestandsaufnahme mit dem Ziele einer gemeinsamen Außenpolitik spricht, dann sollte sie doch auch klar und unmißverständlich sagen, ob dieser Deutschlandplan noch immer zu ihrem politischen Rüstzeug gehört.

    (Abg. Dr. Jaeger: Sehr richtig!)

    Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß wir alles tun müssen, um die Verbindung mit der freien Welt so eng zu gestalten, daß sie in Wahrheit unauflöslich ist. Zu dieser Außenpolitik gibt es keine Alternative, es sei denn, wir wären bereit, die eigene Freiheit als Preis für die Wiedervereinigung einzusetzen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand im Deutschen Bundestag daran denkt. Aber wenn ich recht habe, dann sollten wir uns auch nicht scheuen, es auszusprechen und unsere Handlungen und Entscheidungen nach diesem Bekenntnis zu bestimmen. Es liegt mir daran, das in diesem Zusammenhang einmal auszusprechen.
    Wir sollten uns aber auch hüten, wenn wir von der Bundesrepublik sprechen, immer wieder das bedenkliche Wort vom Provisorium zu gebrauchen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir alle sind uns der Verantwortung bewußt, die wir für das ganze deutsche Volk tragen. Die Präambel des Grundgesetzes verpflichtet uns, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Die Bundesrepublik ist deshalb mehr als ein Provisorium. Sie soll nicht über kurz oder lang aufgelöst oder zu Grabe getragen werden. Die Grundzüge unseres Verfassungsrechts sind gültig in sich selbst und müssen Gültigkeit auch für ein wiedervereinigtes Deutschland besitzen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Verfassungsgesetzgeber hat sie nicht erfunden; er hat sich zu ihnen bekannt und sie darum kodifiziert. Das Ziel der deutschen Politik kann und darf also nur darin bestehen, daß diese Grundsätze in freier Selbstbestimmung anerkannt und bestätigt werden. Darum haben wir ja auch in der Präambel ausgesprochen, daß wir auch für jene Deutschen gehandelt haben, denen mitzuwirken versagt war.
    In der Bundesrepublik erhalten und verteidigen wir nicht eine zufällige staatliche Ordnungsform, sondern den endgültigen Ausdruck des staatlichen Ordnungsdenkens des deutschen Volkes. Erhaltung und Sicherung der Bundesrepublik ist also auch eine echte nationale Verpflichtung im besten Sinne des Wortes, der wir uns durch den Hinweis auf das angebliche Provisorium nicht entziehen können und nicht entziehen dürfen, wenn wir nicht mit unserer sittlichen Verpflichtung gegenüber dem unwandelbaren Inhalt eines freiheitlichen und demokratischen Ordnungssystems in Widerspruch geraten wollen.
    Dieses klare Bekenntnis verbietet uns aber auch sogenannte Verhandlungen mit den bolschewistischen Funktionären, die vorgeben, das deutsche Volk in der sowjetisch besetzten Zone zu vertreten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Bereitschaft zu Verhandlungen schließt in sich die Bereitschaft zum Kompromiß. Sicherlich gibt es Bereiche, in denen Kompromisse möglich sind. Sicherlich hat das deutsche Volk nach seiner Wiedervereinigung das Recht, ja sogar die Aufgabe, seine verfassungsmäßige Ordnung frei zu bestimmen, und es gibt Bereiche und Grundsätze, über die Verhandlungen durchaus möglich sind. Wir sollten das ruhig aussprechen. Eine solche Klärung



    Bundesminister Dr. von Brentano
    würde vielleicht bei den kommunistischen Funktionären Illusionen zerstören, wenn wir gleichzeitig
    sagen, daß es eben Bereiche und Grundsätze gibt,
    über die es Verhandlungen nicht geben wird und
    geben kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin fest überzeugt, daß wir, wenn wir daran keinen Zweifel offenlassen, gleichzeitig das Vertrauen und die Zuversicht derer stärken, die sich auch in der Unterdrückung zur Freiheit bekennen und sie herbeisehnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich habe versucht, die Grundsätze .der Außenpolitik der Bundesregierung noch einmal klarzulegen. Die Bundesregierung kann nur hoffen und wünschen, daß das deutsche Volk und der Bundestag bereit sind, ihr auf diesem Wege zu folgen und ihre Anstrengungen zu unterstützen, Anstrengungen, die dem Wohle des ganzen deutschen Volkes dienen müssen.
    Die Verwirklichung unserer Ziele — wir wissen das — kann nur auf dem Wege ernsthafter und mühevoller Verhandlungen erfolgen. Dazu wird die Bundesregierung auch in Zukunft ihren Beitrag leisten. Diese Verhandlungen, von deren Ergebnis der Friede in der Welt abhängen wird, dürfen aber nicht durch einseitige Gewaltmaßnahmen gestört werden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat vor wenigen Wochen in New York eine Resolution verabschiedet, in der es heißt:
    Der Sicherheitsrat empfiehlt den beteiligten Regierungen, Lösungen für die bestehenden internationalen Spannungen durch Verhandlungen oder andere friedliche Mittel, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen sind, zu suchen; er appelliert an alle Regierungen, von der Anwendung oder Drohung mit Gewalt in ihren internationalen Beziehungen Abstand zu nehmen, die Souveränität, die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit jedes anderen zu achten und von jeder Handlung Abstand zu nehmen, die die Spannungen erhöhen könnte.
    Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung unterstützt diesen Appell, der sich an alle Regierungen in der Welt richtet, und sie erklärt, daß sie ihr Verhalten auch in Zukunft nach diesen Grundsätzen bestimmen wird.

    (Langanhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, Sie haben die Erklärung der Bundesregierung gehört.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Majonica.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ernst Majonica


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion begrüße ich es, daß uns die Abgabe der Regierungserklärung durch den Herrn Bundesaußenminister die Gelegenheit zu einer ausführlichen Debatte über die gegenwärtige außenpolitische Situation gibt. Wir begrüßen es, daß als Grundlage dieser Debatte die Regierungserklärung dienen kann, die mit großer Klarheit und Eindringlichkeit .den deutschen Standpunkt dargelegt hat.
    Schon in der Erklärung vom 24. Mai dieses Jahres hat die CDU/CSU-Fraktion in Übereinstimmung mit der SPD-Fraktion erklärt, daß sie eine außenpolitische Debatte für notwendig hält. Es erscheint notwendig, vor der breiten Öffentlichkeit eine Analyse der Lage zu geben, zu sagen, was ist und was in kontinuierlicher Fortsetzung der bisherigen Politik geschehen muß. Wir Deutschen haben ein lebenswichtiges Interesse daran, daß weder drinnen noch draußen irgendeine Unklarheit über unsere Haltung entsteht. Eine solche Haltung der Unklarheit würde nur Verwirrung bei unseren Freunden schaffen und eine gefährliche Ermutigung der Sowjetunion zur Folge haben.
    Der Ablauf dieser Debatte wird zeigen, daß wir eine saubere, faire und klärende Aussprache wollen. Nur sie entspricht der Verantwortung, die wir in dieser Situation vor unserem deutschen Volk tragen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    einer Verantwortung, die sich auch auf Berlin und die Menschen in Mitteldeutschland erstreckt. Gerade ihnen wissen wir uns in unserem politischen Handeln besonders verbunden.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wegen dieser Verantwortung, die wir alle, Regierungsparteien und Opposition, tragen, bedauere ich es sehr, daß dieser Debatte, noch ehe sie begann, der Charakter eines innenpolitischen Gezänks gegeben werden sollte. Der Herr Kollege Wehner sprach von vorbereiteten Provokationen, davon, daß die Vorbereitungen der CDU so angelegt seien, daß ein Skandal erreicht werde. Die CDU habe die Vorbereitungen unter das Motto eines innenpolitischen Scheibenschießens gestellt.
    Auch der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin schloß sich in seiner jüngsten Mülheimer Rede der Kampagne zur negativen Präjudizierung dieser Debatte an. Ich bedaure das. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn wir von der CDU/CSU-Fraktion wirklich so verfahren wollten, vor dem wachen und nüchternen Sinn unseres Volkes nicht bestehen würden. Wir würden auch der Verantwortung vor der Geschichte nicht gerecht, die wir alle gemeinsam miteinander tragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber eine klärende Diskussion darf nicht mit Gezänk und Scheibenschießen verwechselt werden.
    In seiner Erklärung vom 24. Mai dieses Jahres hat der Herr Kollege Ollenhauer davon gesprochen, daß die Bundesregierung der Notwendigkeit einer Überprüfung ihrer Außenpolitik nicht entgehen werde. Damit ist durch ihn der Anspruch auf eine Neuorientierung unserer Außenpolitik gegeben, zumal der Herr Kollege Ollenhauer in der gleichen Erklärung



    Majonica
    davon gesprochen hat, daß es die Resultate unserer Politik nicht rechtfertigten, sich der bisherigen Außenpolitik anzuschließen. So kann der Ruf nach einer gemeinsamen Außenpolitik von seiten der SPD nur als der Ruf nach einer neuen, veränderten Außenpolitik verstanden werden, die dann gemeinsam getragen wird.
    Ich möchte schon hier erklären, daß auch wir für eine gemeinsame Außenpolitik sind und daß wir viel früher als die sozialdemokratische Fraktion den Ruf nach dieser gemeinsamen Außenpolitik erhoben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber ich meine, daß wir in dieser Aussprache redlich zu klären haben, welchen Inhalt wir dieser gemeinsamen Außenpolitik geben wollen. Deshalb bin ich der Meinung, daß die Aufforderung des Kollegen Ollenhauer, so wie ich sie eben zitiert habe, eine Antwort erfordert, da diese Aufforderung sowohl im Westen wie auch im Osten registriert wurde. Würde diese Antwort nicht in aller Öffentlichkeit und in aller Offenheit gegeben, würden gerade wir als Deutscher Bundestag ein zusätzliches Element der Unsicherheit in die gegenwärtige Situation hineintragen. Das aber kann einfach nicht im deutschen Interesse liegen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz hat meines Erachtens gar keine gänzlich neue politische und außenpolitische Situation erbracht. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß sie nichts weiter war als eine neue Verdeutlichung der bisher schon klar zutage liegenden sowjetischen Politik.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich bin der Meinung, daß auch die sogenannte Entspannungsoffensive Moskaus vor der Gipfelkonferenz in Wirklichkeit nichts weiter gewesen ist als nur eine Variante der aktiven Führung des Kalten Krieges durch Moskau.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Hand in Hand nämlich mit dieser sogenannten Entspannungsoffensive ging doch seit etwa zwei Jahren eine ununterbrochene, maßlose, wahnsinnig übertriebene Hetzkampagne gegen die Bundesrepublik durch die Sowjetunion und ihre Satelliten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ganz deutlich hat doch Herr Chruschtschow in der psychologischen Vorbereitung auf die Gipfelkonferenz versucht, die alte Anti-Hitler-Koalition auch gegen das neue, demokratische Deutschland wieder aufzurichten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ganz deutlich wurde das doch dadurch, daß die Drohungen gegen Berlin auch in dieser Phase der sogenannten Entspannung nicht zurückgenommen wurden, sondern immer und immer wieder erneuert wurden, daß in dieser Phase immer wieder die Drohung mit dem sogenannten Separatfrieden mit der Zone ausgesprochen wurde. So konnte dieses zwiespältige Verhalten der Sowjetunion, Entspannungslächeln hier, maßlose Hetze gegen die Bundesrepublik dort, nur als der Versuch gesehen werden, die Bundesrepublik auf diplomatischem und propagandistischem Wege zu isolieren, um dann dieser isolierten Bundesrepublik die sowjetischen Forderungen auf Kosten Deutschlands und der Freiheit Berlins aufdrücken zu können.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Dieser Versuch ist völlig mißlungen. Das Bündnis mit dem Westen hat sich in dieser Situation bewährt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Spaltungsversuch, den Herr Chruschtschow unternommen hat, ist eben an diesem Bündnis gescheitert, und jeder Versuch, diese Spaltungsabsicht auch in Zukunft zu wiederholen, wird scheitern, wenn wir bereit sind, unsere bisherige Politik konsequent fortzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gerade wenn man befürchtet, daß wir in naher Zukunft wieder mit einer neuen Berlin-Krise zu rechnen haben, dann muß man klar und deutlich erkennen, daß auch in Zukunft die Freiheit Berlins, die Tatsache, daß Berlin als freies Gemeinwesen existieren kann, nur dann fortbestehen wird, wenn wir unverrückbar und fest an unserer bisherigen Bündnispolitik festhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es liegt auf der Hand, daß bei der Natur der sowjetischen Politik die Frage Berlins, die Frage der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zum Westen nur Teilprobleme sind. Wäre der Sowjetunion die Isolierung der Bundesrepublik gelungen, so hätte das an sich an der Grundlinie sowjetischer Politik nichts geändert. Die Bedrohung Berlins ist nur ein Teilaspekt der Bedrohung der ganzen Welt durch die sowjetische Expansion. Zu deutlich wird uns auch immer und immer wieder vom Osten versichert, ,daß es eine ideologische Koexistenz nicht gebe, daß die Epoche der Koexistenz nur einen Übergang darstelle einen Übergang zum Kommunismus überall auf der Welt. Für die Sowjetunion sind Entspannung und kommunistische Weltherrschaft identisch.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    So wurden im Falle der Bundesrepublik nur jene Methoden innenpolitischer Machtergreifung kommunistischer Minderheiten erprobt, nie alle innenpolitischen Gruppen auf einmal anzugreifen, sondern eine Gruppe zu isolieren, die anderen Gruppen aber zu wohlwollender Neutralität zu bringen. Im Grunde aber bedeutet der Angriff gegen eine Gruppe den Angriff auf alle.
    Schon vor der Gipfelkonferenz mußte Herr Chruschtschow erkennen, daß diese Politik gescheitert war. Die Reden des amerikanischen Außenministers Herter, die Reden des amerikanischen Unterstaatssekretärs Dillon und vor allen Dingen das Kommuniqué des NATO-Rates, das der Herr Bundesaußenminister soeben zitiert hat, machten ihm deutlich, daß diese Politik keinen Erfolg haben



    Majonica
    konnte. Schon aus dieser Verärgerung sind die Reden in Baku und vor dem Obersten Sowjet zu erklären. In Paris hatte er wohl nur noch eine geringe Hoffnung, die USA zu isolieren oder doch die Bande zu ihren Bündnispartnern England und Frankreich zu lockern. Als er feststellte, daß auch dies vergeblich war, ließ er, und er allein, die Gipfelkonferenz scheitern — scheitern angesichts eines Gesprächspartners wie des Präsidenten Eisenhower, der unermüdlich tätig war, um zu einem gerechten Ausgleich mit der Sowjetunion zu kommen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hat uns vorgeworfen, wir empfänden über das Scheitern der Gipfelkonferenz Befriedigung. Wir fühlen uns bestätigt in unserer illusionslosen Diagnose über die Natur sowjetischer Politik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ebensowenig, wie der Arzt, der eine richtige Diagnose gestellt hat, Befriedigung über die Krankheit selbst empfindet, empfinden wir Befriedigung über die Enttäuschung von Millionen friedliebender Menschen in der ganzen Welt. Nur eine richtige Diagnose ermöglicht aber die Heilung der Krankheit selbst.
    Wir haben von vornherein die Ergebnisse der Gipfelkonferenz nur mit einem sehr gedämpften Optimismus erwartet. Dieser Optimismus bezog sich vor allem auf das Gebiet der allgemeinen kontrollierten Abrüstung. Dieser Optimismus ist natürlich jetzt nach den letzten unglaublichen Ereignissen in Genf noch mehr gesunken. Wir bedauern diese Ereignisse auch deshalb, weil hier eine erneute Kontaktverengung zwischen Ost und West eingetreten ist. Wir wissen nicht, ob die Sowjetunion ihren Schritt von Genf revidieren wird. Vielleicht ist sie doch an einer wenigstens zeitweiligen Verringerung der Rüstungslasten interessiert, angesichts der großen Aufgaben, die sie sich in ihrem Siebenjahresplan gestellt hat, angesichts der Verpflichtungen hinsichtlich Rotchinas und der Entwicklungsländer.
    Noch in der letzten Note an die Sowjetunion hat die Bundesregierung ihren Standpunkt wiederholt, daß sie sich jedem Abkommen, das auf dem Gebiete der allgemeinen kontrollierten Abrüstung erreicht wird, anschließen wird. Wir begrüßen dies. Abrüstungsvorschläge aber können nur gemeinsame Vorschläge des Westens sein. Das Problem der Sicherheit ist unteilbar. Nach wie vor stehen wir auf dem Standpunkt, daß nur der Weg über allgemeine kontrollierte Abrüstung auch an die Lösung der politischen Fragen heranführen wird.
    Neben der Erkenntnis der Natur sowjetischer Politik ließ uns auch die Erfahrung mit den Gipfelkonferenzen der vergangenen vierzig Jahre skeptisch sein. Man wird keine als einen reinen Erfolg bezeichnen können. Die Lehre, die wir daraus wohl zu ziehen hätten, wäre die, daß eine Gipfelkonferenz erst dann sinnvoll erscheint, wenn sie auf normalem diplomatischem Wege so vorbereitet ist, daß ein Erfolg wahrscheinlich erscheint, — ein Grundsatz, den der verstorbene amerikanische Außenminister Dulles immer und immer wieder vertreten hat.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Man hat die Rede, die Herr Chruschtschow nach der Rückkehr von Paris in Ostberlin gehalten hat, so interpretieren wollen, als habe hier ein anderer, ein gemäßigterer Chruschtschow gesprochen. Nun, dieser Eindruck wurde sofort durch die harte Rede vor den Bestarbeitern in Moskau korrigiert. Wenn seine Frist von sechs bis acht Monaten, die er sich selbst gestellt hat und die er deshalb auch jederzeit widerrufen kann, eine Spekulation auf den amerikanischen Wahlkampf sein sollte, so sind wir dessen sicher, daß das eine Fehlspekulation gewesen ist. Wir zweifeln nicht, daß die Amerikaner auch in der Zeit des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes ihre Verpflichtungen voll erfüllen werden.
    Wie die Ereignisse jetzt zeigen, waren diese sechs bis acht Monate nicht als eine generelle Pause gemeint. Schon die Rede Malinowskis mit ihrer Raketendrohung war der Versuch, die Bündnispartner der Vereinigten Staaten einzuschüchtern, das Bündnis selbst zu erschüttern. Aber Herr Malinowski irrt. Wir sind davon überzeugt, daß jede Aktion gegen einen Bündnispartner die Reaktion aller Bündnispartner auslösen wird.
    Es kamen dann die empörenden Vorgänge in Genf. Wieder hat die Sowjetunion die Friedensliebe der ganzen Welt brüskiert. Sie zeigte sich nicht einmal daran interessiert, die Abrüstungsvorschläge des Westens zur Kenntnis zu nehmen, sondern brach mit rauher Hand die Verhandlungen ab. Das Verhalten der Sowjets und ihrer willigen Satelliten darf als ein neuer Tiefpunkt internationalen Verhaltens gewertet werden.
    Dazu kam die Verlagerung der direkten Aktion in den Fernen Osten. Mit tiefer Bekümmernis haben alle Freunde des großen japanischen Volkes die letzten Vorgänge in Tokio verfolgt. Moskau und Peking haben viel Mühe und Geld investiert, um Japan aus dem Kreis der freien Nationen auszuschalten. Sollte es ihnen gelingen, so würde eine völlig neue Situation im Fernen Osten entstehen, eine Situation, die auch unmittelbar Auswirkungen auf uns haben würde. Hier zeigt es sich, wohin ein Land kommen kann, dessen Presse nicht willens ist, die Demokratie entschlossen zu verteidigen, wo ein Staat hintreiben kann, der nicht über Machtmittel verfügt, seine Autorität zu wahren, wohin es führt, wenn eine oft gutgläubige „Ohne-mich"-Propaganda hemmungslos von kommunistischen Drahtziehern ausgenutzt wird.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Trotzdem bin ich nicht pessimistisch. Die guten Kräfte des japanischen Volkes werden sich durchs e tz en.
    An der indisch-chinesischen Grenze sind starke rotchinesische Truppen konzentriert. Wir wissen nicht, ob sie zur Niederschlagung des Freiheitswillens der Tibeter aufmarschiert sind oder ob sie einen Druck auf Indien ausüben sollen. Wir wollen
    . hoffen, daß die imposanten Aufbauerfolge des gro-



    Majonica
    ßen indischen Volkes, dem wir uns verbunden fühlen, nicht durch Aktionen rotchinesischer Truppen gefährdet werden. Indien braucht für seinen Aufbau den Frieden. Aber auch hier, meine Damen und Herren, wird deutlich, wer die Politik der Stärke praktiziert, wer Unruhe und Unsicherheit will; und ich meine, es dürfte auch kein Zufall sein, daß gerade jetzt die Sowjetunion angekündigt hat, neue Raketenversuche im Pazifik vornehmen zu wollen.
    Unsere Antwort auf alle diese Vorgänge, die immer und immer wieder zu neuer Verdeutlichung der sowjetischen Politik geführt haben, kann nur sein, noch mehr für die Sicherheit, noch mehr für die Festigkeit in Europa zu tun und damit einen noch größeren Beitrag für den Frieden in Europa und den Frieden in der ganzen Welt zu leisten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ein Nachlassen angesichts der Tatbestände, die ich geschildert habe, wäre meines Erachtens verantwortungslos. Das gilt vor allen Dingen für unsere Verteidigungsanstrengungen. In Gemeinschaft mit den Bündnispartnern erfüllt schon heute die Bundeswehr die Aufgabe, Frieden und Freiheit zu sichern. Wir danken allen Soldaten der Bundeswehr, daß sie durch ihren Dienst helfen, den Frieden zu erhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Sicherung 'der Freiheit in der Bundesrepublik ist die notwendige Voraussetzung für die Wiedervereinigung. Ohne eine in Freiheit gesicherte Bundesrepublik ist das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes nicht denkbar,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    ist die Freiheitshoffnung der 17 Millionen Menschen in Mitteldeutschland eine bare Illusion.
    Zur Sicherung der Stellung der Bundesrepublik gehört es auch, daß wir unser Wollen im Ausland noch deutlicher, noch klarer darstellen als bisher. Wir werden die Freiheit Berlins nur dann erfolgreich aufrechterhalten können, wenn wir die Öffentlichkeit der ganzen Welt davon überzeugen und es ihr deutlich machen können, was die Freiheit Berlins für alle, für jeden in allen Ländern der Welt, bedeutet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zur Festigung des Friedens gehört auch die Verstärkung unserer Europapolitik. Ich möchte dem Herrn Bundesaußenminister besonders dafür danken, daß er in seiner Regierungserklärung auf diese Europapolitik einen so starken Akzent gesetzt, ein so großes Schwergewicht gelegt hat. Die Stunde für einen Neubeginn in der Europapolitik erscheint günstig. Die Ereignisse von Paris haben die Europäer näher zusammenrücken lassen. Wir begrüßen es, daß England seine Beziehungen zur Gemeinschaft der Sechs überprüft. Vor allem aber haben wir in der letzten Rede de Gaulles, in der letzten Rede von Couve de Murville eine neue Initiative, indem beide übereinstimmend erklärt haben, daß auch sie für die europäische Einigung mit dem Endziel einer
    Konföderation seien. Ich möchte mit großem Nachdruck und mit großem Ernst an die Bundesregierung den Appell richten, diese Initiative der französischen Staatsmänner aufzugreifen. Es sollte noch vor Ablauf dieses Jahres eine Konferenz der sechs Regierungschefs zusammentreten, um über die drei folgenden Punkte zu beraten: 1. Fusion der drei bestehenden Gemeinschaften, 2. Europäische Wahlen, 3. Vorbereitung einer europäischen politischen Gemeinschaft. Ich meine, das wäre ein Positivum, das wäre ein Vorstoß in unserer Europapolitik. Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich gerade die deutsche Bundesregierung zum Träger dieser neuen Initiative in der Europapolitik machte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind uns alle darüber klar, daß dieses Europa der Sechs keine Kampforganisation gegen die anderen europäischen Staaten darstellt. Vielmehr wollen wir vor allen Dingen zu Großbritannien ein gutes, enges Vertrauensverhältnis herstellen.
    Meine Damen und Herren! Sicherlich würde in der Situation, die ich geschildert habe, eine gemeinsame Außenpolitik aller Parteien dieses Hauses ein weiteres Element der Sicherheit sein. Die Position jedes deutschen Vertreters wäre stärker, wenn er bei seinen Verhandlungen alle Kräfte unseres Volkes hinter sich wüßte. Spekulationen des Ostens, innenpolitische Wandlungen würden außenpolititische Konsequenzen haben, neue Regierungen könnten weicher sein als die alten, wäre der Boden entzogen.
    Wie aber soll eine gemeinsame Außenpolitik aussehen? Von dem Herrn Kollegen Ollenhauer wissen wir, daß diese Außenpolitik anders sein soll als die bisherige.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie denn?)

    Der Herr Kollege Erler hat noch auf dem Parteitag der baden-württembergischen Sozialdemokraten am vergangenen Sonntag erklärt, daß er ohne Vorbehalte zu seiner früheren Versicherung stehe, daß das atlantische Bündnis die Wiedervereinigung erschwere.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, hinter diesem Satz steckt doch die ganze Illusion der vergangenen zehn Jahre!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hinter diesem Satz steht doch eine gescheiterte außenpolitische Konzeption. Die SPD hat in der Vergangenheit immer gehofft, daß man zu politischen Lösungen kommen könne, daß man die Wiedervereinigung erreiche, wenn man dem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion entgegenkomme. Ihre Politik war doch nur verständlich, wenn man davon ausging, .daß das Problem für die Sowjets darin bestehe, ihre eigene Sicherheit zu erreichen. Daher lehnten Sie die Wiederbewaffnung ab, daher stimmten Sie gegen das Bündnis mit dem Westen, daher wandten Sie sich erbittert gegen die atomare Ausrüstung der Bundeswehr. Sie haben in der Vergangenheit einfach nicht erkannt, daß die Bundes-



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    wehr und das westliche Verteidigungsbündnis nicht die Sicherheit der Sowjetunion — auch nicht aus der Sicht der Sowjets heraus — bedrohten, sondern dem sowjetischen Expansionsbedürfnis entgegengesetzt waren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daher doch der Kampf der Sowjets gegen das Zustandekommen dieser Bündnisse, aber nicht die Bereitschaft, einen Preis zu zahlen, wenn diese Bündnisse zustandegekommen waren. Das Ergebnis des Verzichts auf diese Bündnisse und damit auf unseren Schutz wäre daher nicht die Wiedervereinigung gewesen, sondern nichts als das weitere Vordringen der Sowjets in Europa.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich weiß, meine Damen und Herren, die SPD hat sich bemüht, andere Sicherheitssysteme zu finden. Ich möchte heute nicht über diese Systeme streiten. Ich möchte heute überhaupt nicht streiten.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Aber bei der Natur sowjetischer Politik waren doch entweder diese Systeme genauso wirksam wie die NATO — dann waren sie für die Sowjets unannehmbar, denn die Sowjets lehnten ja nur deshalb die NATO ab, weil sie sich dadurch eben in ihrem Expansionsdrang beengt fühlten; sie hätten deshalb dann aber auch logischerweise nicht irgendwelche Verteidigungssysteme akzeptieren können, die einen vollwertigen Ersatz für die NATO gebracht hätten; dann waren diese Systeme für die Sowjets von ihrem Standpunkt aus nicht annehmbar —, oder aber diese ,Systeme hätten eben eine Minderung unserer Sicherheit oder einen Verlust unserer Sicherheit gebracht; dann waren diese Systeme wiederum für uns unannehmbar.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich 'glaube, 'daß sich das aus der Logik der Dinge ergibt. In dem zweiten Fall hätte dieses System einen Verlust des echten Schutzes für uns bedeutet, eines Schutzes, der eben nur möglich ist, wenn wir unseren Beitrag leisten.
    Ich muß deshalb ganz deutlich und klar sagen: Wenn der Ausspruch des Kollegen Erler die offizielle außenpolitische Erklärung der SPD ist, dann müssen wir zu unserem großen Bedauern erklären, daß wir mit diesem Ausspruch und der Politik, die dahintersteht, nicht übereinstimmen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich meine, daß hier nicht irgendein Randproblem angesprochen worden ist, daß hier nicht irgendeine Frage angesprochen worden ist, die man bei einer außenpolitischen Überlegung ausklammern kann, sondern daß hier das Kardinalproblem, der Grundsatz der gesamten außenpolitischen Überlegungen angesprochen worden ist.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denn von diesem Grundsatz aus, von dieser Grundüberlegung aus, ob die sowjetische Politik von
    einem Sicherheitsbedürfnis oder von einem Bedürfnis zur Expansion getragen wird, vollziehen sich alle anderen außenpolitischen Konsequenzen auf außenpolitischem Gebiete. Ich meine aber doch, und deshalb verstehe ich diesen Ausspruch heute nicht mehr, daß eine Politik, die sich wirklich auf den Glauben stützt, man könne durch ein echtes Sicherheitssystem die Sowjetunion zu politischem Entgegenkommen bringen, nach Paris und Genf doch als endgültig gescheitert angesehen werden muß.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Ich verstehe auch nicht, warum man auf der einen Seite dem Pariser Ereignis eine so ungeheure Bedeutung beimißt, eine Wendemarke in der inter- nationalen Palitik darin sieht, und auf der anderen Seite eine Politik empfiehlt, die doch durch die Sowjets selbst dementiert worden ist. Wer in Deutschland eine gemeinsame Außenpolitik fordert, muß sich im klaren darüber sein, daß es nur eine gemeinsame deutsche Außenpolitik mit dem Westen geben kann.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Hätten wir diese Gemeinsamkeit mit dem Westen gegen starken inneren Widerstand in der Vergangenheit nicht hergestellt, die Freiheit Berlins, ja die Freiheit der ganzen Bundesrepublik wäre heute schon verspielt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die kommunistische Politik stellt eine Herausforderung auf geistigem, politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet dar. Dieser Herausforderung können wir nur in der engen Gemeinschaft mit dem Westen begegnen. Die Herausforderung — das wird leider oft übersehen — besteht aber auch auf militärischem Gebiet. Es würde für Moskau eine zu große Versuchung darstellen, wenn es militärisch überlegen, der Westen aber militärisch unterlegen wäre. Dann bestände doch die große Versuchung, die Rote Armee als Instrument der Weltrevolution einzusetzen, zumal die Geschichte lehrt, daß die Ausbreitung des Kommunismus in Europa durch diese Rote Armee erfolgt ist.
    Alle europäischen Nationen sind zu klein, um die Frage ihrer Sicherheit aus eigener Kraft lösen zu können. So hat die Bundesrepublik ein vitales Interesse an der Geschlossenheit, Einheit und Stärke der westlichen Welt. Sie muß alle, aber auch alle Anstrengungen unternehmen, um das westliche Bündnis so effektiv, so leistungsfähig wie nur irgend möglich zu gestalten.
    Das, meine Damen und Herren, ergibt zwingende Konsequenzen für die deutsche Politik, Konsequenzen, die nicht wir erfunden haben, sondern die sich einfach zwangsläufig aus der Situation heraus für uns ergeben. Eine der wesentlichsten Konsequenzen ist die, daß die NATO im Augenblick die einzige Sicherung unserer Existenz und der Freiheit Berlins darstellt. Und so genügt es nicht, die NATO nur als einen einmal abgeschlossenen Vertrag zu akzeptieren, sie hinzunehmen, weil man sich an völkerrechtlich abgeschlossene Verträge hält, geschweige denn, sie als eine Erschwerung der Wiedervereini-



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    gung aufzufassen. Man muß sie im Gegensatz dazu als eine unverzichtbare Notwendigkeit wollen!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aus diesem Willen zur NATO ergibt sich, daß wir aufgefordert sind — so, wie es in der Regierungserklärung zum Ausdruck kam —, sie weiter auszugestalten. Die NATO wurde 1949 gegründet. Seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse gewandelt. Wir haben neue Gegebenheiten sowjetischer Aggression auf vielerlei Gebieten erlebt, an die man 1949 noch nicht gedacht hat. So muß die NATO als ein Friedensbündnis diesen neuen Gegebenheiten angepaßt werden. Ein Bündnis kann auch dadurch austrocknen, unwirksam werden, daß seine Mitglieder es nicht voll wollen. Der Westen trägt ein hohes Risiko für die Freiheit Berlins und die Sicherheit der Bundesrepublik. Nur dadurch, daß wir dieses Risiko mittragen, können Wir es moralisch vom Westen verlangen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Das bedeutet für unsere Stellung zum Verteidigungsbündnis, für unsere Stellung zur NATO, daß wir für die Ausrüstung der Bundeswehr mit jenen Waffen sein müssen, die notwendig sind, um die Aufgaben der Bundeswehr im Rahmen der NATO erfüllen zu können, d. h. mit den modernen Waffen, wie es der Bundesverteidigungsminister vor einigen Tagen umrissen hat. Das bedeutet die allgemeine Wehrpflicht. Nur sie erlaubt es der Bundeswehr, ihre Aufgaben mit konventionellen Waffen zu erfüllen, einen wirkungsvollen Verteidigungsbeitrag konventioneller Art zu leisten. Nur sie schafft jene zahlenmäßigen Bestände, die notwendig sind, um unsere internationalen Verpflichtungen erfüllen zu können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das bedeutet die Übernahme finanzieller Opfer, wie sie sich im Verteidigungshaushalt niederschlagen. Man kann nicht Verteidigung wollen, gleichzeitig aber die Demontage der finanziellen Grundlagen dieser Verteidigung betreiben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Vor allem aber bedeutet es die endgültige Absage an alle Pläne, die im Endergebnis die NATO einseitig zugunsten des Ostens schwächen. Darunter verstehe ich alle Pläne des Disengagement, die nicht gekoppelt sind mit einer deutlichen, sichtbaren Veränderung der sowjetischen Politik dem Raum gegenüber, der unter das Disengagement fallen soll, d. h. einer grundlegenden Wandlung der sowjetischen Politik Mitteleuropa gegenüber, d. h. im Endergebnis einer grundlegenden Wandlung der sowjetischen Politik überhaupt.
    Der Deutschlandplan der Sozialdemokraten ging noch weiter als andere Pläne des Disengagement. Bisher wissen wir nicht genau — wir wollen hoffen, daß wir das in der heutigen Debatte erleben —, welche Elemente dieses Plans noch gelten oder nicht. Aber wir wollen heute schon sagen, daß die
    Verwirklichung der wesentlichen Elemente dieses Plans den eindeutigen Verlust unserer Sicherheit und Freiheit bedeutet,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    damit auch den Verlust jeder Chance, zu einer Wiedervereinigung in Freiheit zu gelangen.
    Vielleicht wäre dieser Plan nicht geboren, wenn man überall die Erkenntnis gehabt hätte, daß man sich hinsichtlich der sowjetischen Politik nicht an bloße Taktik des Augenblicks halten soll, sondern an die Logik kommunistischer Politik und Lehre, wie sie aus 43 Jahren sowjetischer Politik spricht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Ich meine, wir sollten vor allen Dingen diese Forderung für die Zukunft im Auge behalten und nicht bei jedem Schwanken, bei jedem Niesen im Kreml irgendeine Wendung der sowjetischen Politik erwarten, sondern mehr die großen Grundlinien erkennen, die jedem offenstehen, der bereit ist, ein Handbuch über sowjetische Geschichte in die Hand zu nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    So ist unsere Politik aus der Sorge heraus entstanden, unsere eigene Sicherheit nicht einem Wunschdenken zuliebe zu opfern. Wir müssen diesen Weg aus dem Zwang der Verhältnisse heraus gehen, in die wir nun einmal hineingestellt sind. Man kann diesen Weg deutscher Außenpolitik, diesen Weg, den wir auch in Zukunft gehen wollen, in seiner Grundlinie und in seiner Methode nicht besser umreißen, als es der amerikanische Außenminister Herter etwa so formuliert hat: Aggressive Kräfte dürfen nicht ermutigt werden durch Anzeichen der Schwäche auf unserer Seite; friedliche Kräfte sollen ermutigt werden durch unsere Bereitschaft, in einer nüchternen und vernünftigen Art und Weise die anstehenden internationalen Probleme voranzutreiben.
    Wir begrüßen jeden, der diesen Weg mit uns gehen will. Aber Gemeinsamkeit kann kein Ersatz sein für nüchterne Erkenntnis und konsequentes Handeln. Nur in der Bereitschaft zu diesem konsequenten Handeln manifestiert sich die Gemeinsamkeit, soll sie kein vernebelndes Schlagwort sein.
    Lassen Sie mich an einem Zitat aus der „Sozialistischen Arbeiterzeitung" in Osterreich — ein sicherlich sehr unverdächtiges Organ — deutlich machen, wie dieser Weg außerhalb Deutschlands beurteilt wird. Die Zeitung hat noch Anfang Juni folgendes geschrieben:
    Man sieht, daß er recht gehabt hat mit der Entscheidung für die westliche Allianz, bei der Treue zu ihr in guten und schlechten Zeiten, bei seinen dauernden Warnungen an Deutschland und den Westen gegenüber übermäßigem Vertrauen zu den Absichten der Russen, auch in seinem Kampf ohne Angst vor persönlicher Unpopularität, um amerikanische, britische und französische Festigkeit und Unterstützung in der Berlinfrage. Möglicherweise wird der jetzige Augenblick einmal in der Rückschau



    Majonika
    den Höhepunkt des Erfolges in dem erstaun-
    lichen Lebenslauf des alten Kanzlers darstellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich meine, daß dieses Zitat aus der „Sozialistischen Arbeiterzeitung" in Österreich für sich selbst spricht, und möchte nur eine einzige Anmerkung machen. Ich glaube nicht, daß die richtige Vorausschau sowjetischer Politik auf der Gipfelkonferenz der Höhepunkt in der politischen Laufbahn unseres Bundeskanzlers gewesen ist, sondern daß der Höhepunkt eben in dem Aufbau Europas, in dem Ausgleich des deutsch-französischen Verhältnisses, in der deutsch-französischen Gemeinschaft gelegen hat.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich möchte dem Herrn Bundeskanzler, dem ich für sein Eintreten für Europa, für die Freiheit Berlins und der Bundesrepublik danke, zum Schluß doch noch einen anderen Höhepunkt wünschen, wenn er einmal Rückschau über seine gesamte politische Leistung hält, nämlich den Höhepunkt, daß er es erreicht hat, dem deutschen Volk auch das Recht auf Selbstbestimmung zu geben.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)