Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt über die Bemerkung des Kollegen Merten, daß durch dieses Gesetz die militärische Seite einen zeitlichen Vorsprung gewinnt. Nicht daß ich sein Bedauern nicht ernst nehme, — ich glaube, es ist ehrlich gemeint; aber das Gesetz bringt ja gerade etwas zum Ausdruck, was der Bundesverteidigungsminister bisher als Mangel bezeichnet hat — ich glaube, auch vor diesem Hohen Hause —, nämlich eine nicht gebührende Berücksichtigung des zivilen Bevölkerungsschutzes. Es ist das Bundesverteidigungsministerium gewesen, das in voller Übereinstimmung mit dem Bundesinnenministerium die grundsätzliche Gleichberechtigung des militärischen Dienstes und des zivilen Bevölkerungsschutzes bei jeder Gelegenheit betont and gerade anläßlich dieser Novelle hervorgehoben hat.
Ich gebe auch gern zu, daß nach meiner Auffassung, wenn dem nicht verfassungsrechtliche Schwierigkeiten entgegenstünden, ein allgemeines Bundesverteidigungspflichtgesetz an Stelle getrennter Gesetze für militärischen Dienst und für den Dienst im zivilen Bevölkerungsschutz der Sachlage eigentlich besser entsprechen würde. Aber darauf kann ich hier nicht zurückkommen.
Trotzdem muß ich darum bitten, diesen Antrag abzulehnen. Herr Kollege Merten hat in diesem Zusammenhang vom Ausgleich der öffentlichen Interessen gesprochen. Ich bin froh darüber, daß er in diesem Zusammenhang nicht auch von der Notwendigkeit einer richterlichen Nachprüfung gesprochen hat. Denn hier handelt es sich um den Ausgleich zwischen den Belangen des Bundesverteidigungsministeriums auf der einen und des Bundesinnenministeriums auf der anderen Seite. Der Ausgleich der Interessen und die Aufteilung der zur Verfügung stehenden Menschen, der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, erfolgt also hier innerhalb der Bundesregierung. In der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist ohnehin vorgesehen, daß, wenn zwei Minister, der eine federführend, der andere mitberatend, zuständig sind und sich über eine bestimmte Frage nicht einigen können, eine Kabinettsentscheidung herbeizuführen ist. Insofern würde die richterliche Nachprüfung hier noch weniger sinnvoll sein als bei dem vorhergehenden Antrag.
Dieser Antrag enthält aber noch besondere, ich möchte nicht sagen, Hintergründe, aber besondere Schwierigkeiten. Wir haben uns heute vormittag, Herr Kollege Merten, über die Notwendigkeit unterhalten, den Perfektionismus möglichst zu vermeiden. Nachmittags unterhalten wir uns über Anträge, die der Wiedereinführung des Perfektionismus gerade auch auf diesem Gebiet dienen sollen; denn in diesen „weißen" Jahrgängen, an die Sie denken, befindet sich eine große Zahl von zivilen Arbeitnehmern innerhalb der Streitkräfte, sei es der deutschen Streitkräfte, sei es aber auch der Streitkräfte unserer Verbündeten auf deutschem Boden. Was für einen Sinn hätte dieser Antrag, wenn wir diese Tausende von Leuten auf Grund eines gesetzlichen Verbotes an dem Arbeitsplatz, an dem sie innerhalb der Streitkräfte, deutscher und verbündeter Streitkräfte, für die Herstellung der Einsatzfähigkeit dieser Streitkräfte unentbehrlich sind, in dem Augenblick, wo der Verteidigungsfall eintritt, nicht mehr im militärischen Range verwenden dürften. Den Sinn dieses Antrages kann man einfach nicht verstehen.
Ich darf hier unsere Absichten noch einmal kurz darlegen. Wir haben nicht die Absicht, die Angehörigen der „weißen" Jahrgänge wenn ich diesen Ausdruck als allgemeinverständlich unterstellen darf — für den militärischen Dienst in Form eines Grundwehrdienstes oder in Form von Wehrübungen Jahrgang für Jahrgang heranzuziehen. Wir sind in Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern bereit, diese Jahrgänge es handelt sich um beinahe zehn Jahrgänge — fast ohne Ausnahme für den Dienst im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes zur Verfügung zu stellen. Es gibt aber sicherlich innerhalb dieser Jahrgänge eine Reihe von Spezialisten — es mag sich nur um wenige tausend handeln —, die im Bereich des
Bundesverteidigungsminister Strauß
zivilen Bevölkerungsschutzes nach ihren Fähigkeiten, nach ihrer Vorbildung nicht voll verwendet werden können, die aber gerade auf Grund ihrer beruflichen Sonderausbildung für den Bereitschaftsfall oder für den Verteidigungsfall im Rahmen der militärischen Verteidigung sinnvoller verwendet werden können. Wenn ich eine grobe Schätzung aufmache, darf ich annehmen, daß diese neun bis zehn Jahrgänge mindestens 3 Millionen Menschen umfassen. Dazu kommen noch jene Jahrgänge, die zeitlich davor liegen, und es kommt noch ein Teil der Menschen, die nach dem 1. Juli 1937 geboren sind, hinzu. Ich möchte sagen, daß eine Reserve von mindestens 4-5 Millionen männlicher Bürger unseres Staates für den zivilen Bevölkerungsschutz zur Verfügung steht. Ich bezweifle ernsthaft, daß diese Reserve in absehbarer Zeit überhaupt ausgeschöpft werden kann. Man sollte aber doch nicht die paar tausend Spezialisten mit besonderer Ausbildung auf medizinischem Gebiet, auf dem Gebiet des Transportwesens, auf elektronischem Gebiet, die sich von diesen Jahrgängen bei ihrer Papier-Erfassung als wertvoll für die Landesverteidigung erweisen, auf Grund eines gesetzlichen Verbotes — einschließlich derer, die bereits heute innerhalb der Streitkräfte als Zivilisten Dienst tun — für den militärischen Dienst ausschließen.
Ich glaube auch nicht, Herr Kollege Merten, daß die Frage des Tauglichkeitsgrades irgend etwas mit einer allgemeinen charakterlichen oder staatsbürgerlichen Wertung zu tun hat. Es steht doch ohne jeden Zweifel für alle diejenigen, die den gesunden Menschenverstand für sich in Anspruch nehmen, fest, daß der militärische Dienst mit Grundausbildung und mit Wehrübungen ein größeres Maß an physischer Fähigkeit und an physischen Voraussetzungen verlangt als die Ausübung einer normalen Funktion in der Zivilverteidigung, die ja größtenteils sogar der bürgerlichen, beruflichen Tätigkeit der betreffenden Person entspricht. Wenn wir also vorschlagen, daß aus den „schwarzen" Jahrgängen, um die es sich hier ja handelt, diejenigen Tauglichkeitsgrade, auf die wir beim militärischen Dienst auf Grund der zahlenmäßigen Situation nicht angewiesen sind, auch für die Zivilverteidigung zur Verfügung gestellt werden können, dann hat doch das Urteil einer Musterungskommission mit der Frage, ob jemand Staatsbürger Nummer eins oder Staatsbürger Nummer zwei ist, nichts zu tun.