Ich darf zur Sache kommen, meine Damen und Herren, und angesichts der bisher doch nur sehr unvollkommenen Informierung der Öffentlichkeit und auch dieses Hauses den sicher ebenso unvollkommenen Versuch machen, am Beginn der Begründung unserer Großen Anfrage einmal eine zeitliche Rekonstruktion der Vorgänge vorzunehmen, die unserer Anfrage zugrunde liegen.
Die von der Bundesregierung so genannten „informativen Gespräche" in Madrid scheinen nach unseren Informationen zwischen dem 11. und 14. Januar 1960 geführt worden zu sein, von etwaigen vorherigen Besprechungen hier in Bonn zu schweigen. Nach den Eindrücken, die man aus einer Rede des Verteidigungsministers im bayerischen Rundfunk gewinnen mußte, hat der Verteidigungsrat der Bundesregierung einen entsprechenden Beschluß am 27. Januar gefaßt, also 14 Tage später. Die Öffentlichkeit wurde über diese Dinge erstmalig durch die „New York Times" am 23. Februar informiert. Am selben Tage gab das Bundespresse- und Informationsamt hier in Bonn eine kurze und trokkene Dementi-Erklärung heraus. Am gleichen Tage, an dem das offizielle Dementi gegeben wurde, sind aber inoffiziell an bestimmte Journalisten hier in Bonn persönliche Erläuterungen ausgestreut worden, die am nächsten Tage, am 24. Februar, zum Teil in der deutschen Presse ihren Niederschlag fanden und die etwas ganz anderes aussagten als das Dementi vom Vortage.
An diesem 24. Februar haben wir beantragt, im Verteidigungsausschuß möge über die Vorgänge Aufklärung gegeben werden. Das erfolgte wiederum einen Tag später, am 25. Februar, und zwar in einer geheimen Sitzung, die es uns leider verbot, mit den dort gewonnenen Erkenntnissen und mit den sich dort ergebenden Fragen im einzelnen an die Öffentlichkeit zu gehen. Im übrigen muß man feststellen, daß die in jener Geheimsitzung gegebenen Erläuterungen das zwei Tage vorher gegebene Dementi weitgehend ad absurdum geführt haben.
Wir haben dann einen Tag später die Große Anfrage angekündigt, die aus technischen Gründen erst ein paar Tage später formell eingebracht werden konnte. Es ist die Anfrage, die wir heute zu behandeln haben, genau sechs Wochen nach jenem Sturm in der Weltpresse und in der deutschen Presse. Zwischendurch hat es eine große Zahl von Stellungnahmen gegeben durch Mitglieder der Bundesregierung, z. B. im amerikanischen Fernsehen durch den Bundeskanzler, im bayerischen Rundfunk durch den Verteidigungsminister, alles Erklärungen, die sich keineswegs ganz mit dem deckten, was man uns in vertraulicher Sitzung gesagt hatte, sondern die zum Teil darüber hinausgingen, die auch eine gewisse Politik erkennen ließen. Dann haben die Pressereferenten von Ministerien, von Parteien, des Bundespresse- und Informationsamtes Erläuterungen und Erklärungen über das gegeben, was angeblich die Politik der Bundesrepublik in dieser Sache sei. Ich meine, insgesamt handelt es sich hier um eine sehr schlechte Reihenfolge von Ereignissen. Man muß wohl — ich meine, auch von seiten der Regierungsbank — zugeben, daß die deutsche Öffentlichkeit über weite Strecken an der Nase herumgeführt worden ist. Insgesamt, meine Damen und Herren, kann einen bei dieser Spielart von Parlamentarismus der Jammer packen!
Ich darf an die Damen und Herren von der Rechten und auch an die Herren von der Regierungsbank appellieren: Schauen Sie doch bitte, auch wenn es Ihnen schwerfällt, in London Vorbilder zu erkennen und zu akzeptieren, einmal nach London! Einen Tag, nachdem der britische Premier sein Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower beendet hatte— einen Tag darauf! —, stand Herr Macmillan im englischen Unterhaus Rede und Antwort. Und Sie brauchen sechs Wochen!
— Herr Rösing, das ist nicht so sehr eine Frage des geschriebenen Rechts, sondern das ist eine Frage des parlamentarischen Fingerspitzengefühls, welches hier fehlt,
wie ja überhaupt in dieser spanischen Affäre die Frage des Fingerspitzengefühls die entscheidende ist.
— Herr Majonica, ich würde nicht so früh schießen.
— Behalten Sie sich Ihr bißchen Pulver lieber für etwas später.
Ich möchte Herrn Majonica fragen, ob er wirklich der Meinung ist, daß die Klarstellung und die Erörterung solcher in der übrigen Welt draußen ganz offensichtlich als schwerwiegend empfundenen außenpolitischen Fragen zuerst in das Fernsehen eines ausländischen Staates gehören, ehe diese Fragen hier an Ort und Stelle im deutschen Parlament behandelt werden.
Der Bundestag hat nicht nur das Recht, sondern der Bundestag hat die Pflicht, seinen Vorrang bei der Diskussion derartiger Probleme zu behaupten.
Es ist nicht die Schuld der Opposition, daß diese Aussprache erst heute stattfindet. Sie wissen das. Man kann heute sagen, daß die Erregung im Ausland Gott sei Dank zu einem erheblichen Teil abgeklungen ist.
- Lieber Herr Seffrin, wir wollen uns nicht täuschen: die spanische Affäre war und bleibt — lesen
Sie einmal die „Newsweek" von der letzten Woche;
5892 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode 108. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. April 1960
Schmidt
sie erscheint, wie Sie wissen, nicht in England, sondern in USA — ein wesentlicher Faktor bei der derzeitig zu beobachtenden Verschlechterung des Ansehens der Bundesrepublik in der öffentlichen Meinung anderer Länder.
Gerade deswegen, gerade weil wir nicht sicher sind, gerade weil es nicht ausgeschlossen erscheint, daß solche psychologischen Fehler — ich will mich vorsichtig ausdrücken — wiederholt werden, bleibt die Debatte über diese Affäre notwendig.
Uns scheint, daß die Bundesregierung offensichtlich die politische Bedeutung ihrer spanischen Absichten nicht rechtzeitig und nicht klar erkannt hat. Es scheint, daß auch Teile der deutschen Presse, die über das Ausmaß des trouble erstaunt waren, der dann anschließend im Ausland entstanden ist, die Bedeutung dieser Vorgänge nicht richtig eingeschätzt haben. Sie waren sehr erstaunt. Der Grund für dieses Erstaunen könnte sein — so denke ich mir —, daß in Deutschland noch einige historische Irrtümer über die Entstehung der Franco-Diktatur weit verbreitet sind, historische Irrtümer, die ich teilweise durchaus verständlich finde, weil in den Jahren des spanischen Bürgerkrieges die nazistische Propaganda natürlich nur völlig verzerrte Darstellungen über die Vorgänge in Spanien zuließ und weil seither für manchen Deutschen kein unmittelbarer Anlaß gegeben gewesen sein mag, sich inzwischen mit den heute zur Verfügung stehenden Informationsquellen über die Verhältnisse in Spanien zu beschäftigen.
— Ich gebe Ihnen recht, Herr Schneider, denn ich bin überzeugt, daß sich gerade Ihre Lektüre auf trübe Quellen gestützt hat.
Manche Deutschen — und ich nehme an, Sie gehören dazu, Herr Schneider — glauben offenbar immer noch, daß Franco im spanischen Bürgerkrieg einer kommunistischen Diktatur das Ende bereitet habe.
— Herr Schneider, ich bin leider kein Geschichtslehrer, kein studierter Historiker, aber bitte seien Sie so liebenswürdig, trotzdem einige wenige historische Belehrungen aus meinem Munde entgegenzunehmen.
In Wirklichkeit spielten die Kommunisten in Spanien erst nach Ausbruch des Bürgerkrieges eine Rolle, die dann allerdings sehr schnell an Bedeutung zugenommen hat. Der Bürgerkrieg wurde durch den General Franco gegen die verfassungsmäßige republikanische Regierung ausgelöst. Man
hatte 1936 in Spanien eine Situation — ich sage es immer nur zur Information des Kollegen Schneider - —
— Ich möchte nicht unterstellen, Herr Kollege Schneider, daß die Geschichtskenntnisse des ganzen Haures so mangelhaft fundiert sind wie Ihre persönlichen.
Im Jahre 1936 befand sich die spanische Republik wahrscheinlich in einem Zustand, der mit dem Zustand Deutschlands im Jahre 1932 vergleichbar war: sie war von einer Kette schwerster innenpolitischer Erschütterungen und Krisen durcheinandergeworfen.
Der Bürgerkrieg wurde von Franco mit einem Teil des Heeres entfesselt, vorwiegend zunächst, wie Sie wissen, mit den Moro-Regimentern, während Luftwaffe und Marine vorerst auf seiten der republikanischen Regierung verblieben. Der Bürgerkrieg wurde sehr schnell überaus blutig und auf beiden Seiten überaus grausam geführt. Der schließliche Sieg des Generals Franco wäre nicht möglich gewesen ohne die weitgehende nicht nur ideelle, sondern vor allen Dingen auch materiell-militärische Hilfe der beiden faschistischen Diktatoren Mussolini und Hitler. Ich nehme an, daß Sie das wenigstens wissen, Herr Schneider.
Wir besitzen darüber Zeugnisse aus dem Munde des Herrn Franco und des Herrn Hitler.