Rede von
Irma
Keilhack
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Herren und Damen! Ich werde mich bemühen, meine Ausführungen möglichst kurz zu halten. Ich möchte aber vorher noch sagen, daß der Auftritt des Herrn Erhard hier doch außerordentlich merkwürdig wirkt. Er hat den drohenden Zeigefinger gegen das Parlament bzw. gegen die Initiatoren dieses Antrages, gegen die Sozialdemokraten, gehoben und ausgedrückt, s i e seien es eigentlich, die mit einer Debatte die Preise hochspielten, sie und die bösen Gewerkschaften, die durch ihre Lohnforderungen alles das mit in Bewegung brächten, was, wie er glaubt, bisher so hübsch stabil gewesen sei. Bisher ist leider nichts stabil gewesen! Der Preismarkt ist seit vielen Monaten in voller Bewegung. Es ist geradezu Ignoranz, das hier vor dem Parlament zu leugnen.
Ich möchte einen anderen Akzent in diese Debatte hineinbringen. Ich habe das Gefühl und bin darin bestärkt durch die Ausführungen der Minister und
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Frau Keilhack
auch der Redner aus den Regierungsparteien, daß man die ganze Preisentwicklung mit einer gewissen Gleichmütigkeit, so etwas platonisch führt. Man weiß von der Teuerungswelle, aber man lebt nicht mit ihr und hat deshalb auch nicht das dringende Bedürfnis, die Gefahren deutlich werden zu lassen, die in dieser Entwicklung für die Menschen liegen, die wir in der Bundesrepublik noch immer vor einer preislichen Ausbeutung zu schützen haben. Sie sehen diese Gefahren vielleicht einfach nicht. Sie begnügen sich in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Annahme, der Konsument rechne doch nicht mit dem Groschen, und es komme ja überhaupt nicht so genau darauf an. Oder es kommt sogar als Argument von gewisser Seite, z. B. von Erzeugerverbänden, aber auch aus der Regierung, mehr oder minder versteckt, der Alkohol- und der Tabakverbrauch zeige ja, daß es im deutschen Volke gar nicht so schlecht bestellt, daß praktisch also alles nur halb so schlimm sei. Meine Herren und Damen, wir hier im Parlament sollten uns verpflichtet fühlen, die Menschen in der Bundesrepublik, die weder in der wünschenswerten noch in der notwendigen Weise am Wirtschaftswunder teilgenommen haben, vor neuen Belastungen zu schützen. Wir sollten uns bemühen — ich werde es jedenfalls jetzt versuchen —, die allgemeinen Vorstellungen über die Einkommenstruktur in der Bundesrepublik ein bißchen zurechtzurücken. Ich finde es außerordentlich gefährlich, daß eine gängige Vorstellung ist, ungefähr jeder Bürger in der Bundesrepublik habe an der Entwicklung des Wirtschaftswunders teil. Damit wird u. a. auch verhindert, daß die politisch verantwortliche Regierung nicht unter den nötigen Druck gesetzt wird, Preissteigerungen und alles, was daran-hängt, mit allen zur Verfügung stehenden politischen und wirtschaftspolitischen Mitteln zu bekämpfen. Ich begründe diese Meinung mit der großangelegten Art, wie hier die Abwehrargumente dem Hause dargelegt werden, und vermisse die ernsten Überlegungen, wie diese Dinge wirklich in den Griff zu bekommen sind,
und die Vorschläge darüber, was wirklich dazu notwendig ist. Es ist u. a. notwendig, den Sparten der Wirtschaft in der Bundesrepublik, die Preise und Spannen bestimmen, deutlich und t mit allen der Regierung zur Verfügung stehenden Mitteln zu sagen, daß man heute doch noch mit dem Groschen, ja mit dem Pfennig zu kalkulieren hat. Vielleicht glauben gar gewisse Wirtschaftskreise, daß sie sich quasi aus „höheren volkswirtschaftlichen Erwägungen" wirtschaftspolitisch korrigierend betätigen müßten! Auch sie möchten nun dafür sorgen, daß eine infolge erhöhter Renten oder Löhne vermehrte Kaufkraft, nämlich über die hohen Preise und Spannen abgeschöpft wird. Ich meine, das müßte ihnen von der Regierung sehr deutlich verdorben werden. Man darf die Illusion von einer hohen Durchschnittskaufkraft im deutschen Volk nicht weiter nähren, sondern sollte die Wirklichkeit auch in diesem Hause einmal unter die Lupe nehmen.
Ich möchte Ihnen klar sagen — ich habe diese Zahlen nicht irgendeiner Erhebung entnommen, sondern sie. sind vom Statistischen Bundesamt oder von dem Institut für Wirtschaftsforschung —, daß wir 9 Millionen Arbeitnehmerhaushaltungen mit etwa 28 Millionen Familienmitgliedern haben, von denen mehr als die Hälfte mit einem Einkommen — einem Haushaltseinkommen, keinem Einzeleinkommen! — bis 500 DM monatlich auskommen müssen. Das sind 14 Millionen Menschen, die von diesem Familieneinkommen leben! Von den 4,8 Millionen Haushaltungen der Rentner muß weitaus mehr als die Hälfte, nämlich zirka 2,5 Millionen, mit einem Familieneinkommen von monatlich insgesamt bis 300 DM leben. Das sind zusammen mehr als 17 Millionen im deutschen Volk, also ein gutes Drittel unter uns, die nicht nur mit dem Groschen, sondern die mit dem Pfennig rechnen müssen.
Ich bitte Sie, das zu sehen, wenn wir hier wirklich ernsthaft und verantwortungsbewußt zu den Folgen der Preisentwicklung Stellung nehmen wollen.
Das Einkommensbild in der Bundesrepublik sieht so aus, wie ich es Ihnen eben aufgezeigt habe, einschließlich der Mehrfacheinkünfte in einer Familie; denn die Zahlen schließen die Einkünfte einer mitarbeitenden Frau und auch mitarbeitender Familienmitglieder, also erwachsener Kinder, ein. Wenn Sie nach Rheinland-Pfalz, Hessen oder auch in gewisse badische Gebiete gehen, werden Sie mir bestätigen, daß ich die Verhältnisse zutreffend geschildert habe.
Ich glaube nicht, daß es überflüssig war, sich diese Zahlen hier zu vergegenwärtigen. Unsere Vorstellungen von den tatsächlichen Einkommensverhältnissen sind doch recht oft — das werden Sie mir zugeben — sehr vage. Nach meiner Meinung erübrigt sich darüber hinaus die Betrachtung der Durchschnittslöhne und Durchschnittsrenten. Wenn ich sie Ihnen sagte, würden Sie zugeben, daß sie die aufgezeigte Situation nicht nur erhärten, sondern noch verschärfen.
Ich darf Sie außerdem darauf hinweisen, daß sich bei diesen Einkommensbeziehern, bei diesem erwähnten Drittel des deutschen Volkes, fast drei Millionen Empfänger von Bezügen befinden, die auf Grund von Bedürftigkeitsprüfungen gegeben werden. Das sind die Menschen unter uns, die also an der äußersten unteren Einkommensgrenze liegen. Sie wissen, daß der Fürsorgesatz in den Ländern für Einzelpersonen höchstens 88 DM und für Ehepaare etwa 150 DM beträgt, wozu natürlich noch die Miete kommt.
Wenn Sie die heutigen Preisindizes betrachten, werden Sie mir zugeben, daß es sehr ernsthaften Nachdenkens bedarf, um die nötigen politischen Mittel zu finden, die den Schutz für die Lebenshaltung dieser Millionen in unserem Volke gewährleisten können. Nur eine für die sozial Schwächsten in unserem Volk gute Politik ist eine wirklich gute Politik. Um die soziale Oberschicht brauchen wir uns kaum zu sorgen. Das Statistische Bundesamt hat für Juni 1959 errechnet, daß die untere Verbrauchergruppe in der Bundesrepublik heute für die Lebenshaltung 226,08 DM monatlich aufbringen muß, die
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mittlere Verbrauchergruppe benötigt 348,20 DM. Stellen Sie das einmal in Vergleich zu den Ihnen soeben genannten Haushaltseinkommen. Sie werden einsehen, daß die Preisprobleme eine Debatte wert sind. — Ich argumentiere nicht mit den Lebenshaltungskosten der sogenannten gehobenen Verbrauchergruppe. Sie betragen 608,20 DM im Monat für eine vierköpfige Familie! Nach meiner Ansicht wird dieser Lebensstandard nur von einem kleinen Prozentsatz der Arbeitnehmer erreicht.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat leider bitter recht, wenn es am 25. September 1959 in seinem Wochenbericht feststellt — die Ausführungen erhärten das, was mein Fraktionsfreund Dr. Deist auch mit Blick auf die konjunkturelle Situation gesagt hat, die sich aus diesem Sinken der Masseneinkommen ergibt —:
Die Masseneinkommen sind erneut zurückgeblieben. Sie liegen zur Zeit mehr an der Unterals an der Obergrenze des konjunkturell Vertretbaren.
Hier ist also das Einkommen nicht nur mit Blick auf die Familiensituation, sondern auch mit Blick auf seine Funktion in der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik gesehen, und die Lage ist hier ebenso bedenklich.
Für die übliche und äußerst oberflächliche Beurteilung unserer Sozialsituation dagegen zieht man meistens das knappe Sechstel von Arbeitnehmergruppen heran, das an der Obergrenze der Lohneinkommen liegt, und zwar meistens noch deshalb, weil ein zweiter Verdiener im Haushalt ist. Nur diese Haushalte mit ihrer einigermaßen ausreichenden Kaufkraft können am Wohlstand partizipieren. Für diese von mir kritisierte Betrachtungsweise gilt das Wort aus der „Dreigroschenoper": „Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht."
Von diesem nun etwas zurechtgerückten Ausgangspunkt unserer Sozialsituation möchte ich die Preisbewegung der letzten Jahre untersuchen und feststellen, was auf diese Familien in diesen Jahren und Monaten tatsächlich zugekommen ist. Die Preisspirale ist seit 1950 nicht nur langsam und unauffällig jährlich um etwa 3 % höher geklettert, sondern auch sprunghaft und erschreckend stark nach oben gelaufen, wie z. B. bei vielen Krisensituationen, aber auch wie wir es jetzt wieder sehen. Diese Tatsache verdient eine bessere und eingehendere Untersuchung, als sie in den verschiedenen Diskussionsreden von der Regierungsbank aus, aber auch von Rednern der Regierungskoalition vorgenommen wurde.
Ich will nicht noch einmal die Situation bei Butter und Fleisch erörtern. Sie ist hier sehr nachdrücklich klargelegt worden. Die Kartoffeln sind auch heute noch ein Grundnahrungsmittel. In der vielbemängelten Kartoffelpreisisituation liegt nicht nur die Preisspitze der letzten Monate; es liegt drin — kein Mensch spricht mehr darüber —, daß sich seit 1957 ein Kartoffelpreis einpendelt, der den Normalpreis früherer Jahre um mehr als 50 % übersteigt. Man kritisiert heute nur die jetzt eingetretene
Preisspitze, ohne daß man diese langsame und versteckte Verteuerung überhaupt ernsthaft unter die Lupe nimmt.
Herr Minister Schwarz, nicht nur Sie gehen auf den Bonner Wochenmarkt, auch ich bin einmal hingegangen. Gestern noch wurden dort gelbfleischige Kartoffeln für 18 Pf pro Pfund verkauft. Salatkartoffeln kosteten 22 und 25 Pf. Ich finde das ganz unglaublich. Ich habe mir die Marktberichte angesehen und festgestellt, daß die Großhandelsabgabepreise für diese Kartoffeln etwa zwischen 10 und 14 Pf liegen. Da muß doch etwas mit dem Wettbewerb nicht in Ordnung sein! Wenn das auf dem Bonner Markt passiert, in der rheinischen Tiefebene, in der doch alles sozusagen vor der Tür wächst! Und dazu noch auf diem Markt, wo sowieso alles billiger sein soll. Ich muß sagen, Herr Minister Schwarz, Sie sollten sich ein bißchen mehr um diese Auswüchse kümmern. Ihr Verbraucherreferat ist nicht gut genug besetzt — Sie sollten einmal ein Augenmerk darauf richten —, und das gleiche trifft übrigens auch für das Verbraucherreferat im Wirtschaftsministerium zu. Leider sind in diesen beiden Ministerien die Erzeuger so ungemein stark vertreten — auch durch die Minister —, daß die Verbraucher schon einen Anspruch hätten, auch ihre Anliegen durch ein entsprechend starkes und auch fähiges Referat mehr an den Minister heranzubringen.
Doch das nur nebenbei.
Herr Minister, ich darf Ihnen noch einmal persönlich sagen, es hat mich damals schon geärgert, daß Sie dem Ernährungsausschuß die Schuld in die Schuhe schoben, daß der Kartoffelzoll zu spät aufgehoben worden sei. Die Bundesregierung wollte es im August tun, wie sie sagten. Sie meinten, wir wären aber im Ausschuß erst im Oktober dazu gekommen. Wir haben hier am 15. September anläßlich der Vereidigung des neuen Bundespräsidenten zusammengesessen, aber mich hat niemand zu einer Sitzung des Ernährungsausschusses eingeladen. Ich wäre liebend gern hiergeblieben und hätte für die Aufhebung des Kartoffelzolls plädiert.
Meine Damen und Herren, ein Besuch auf dem Markt ist manchmal sehr aufschlußreich. Es genügt nämlich nicht, sich nur Statistiken anzusehen, obgleich diese wichtig sind. Wenn man auf den Markt geht, dann sieht man, daß bei Grobgemüse, das doch in dieser Jahreszeit sozusagen den Suppentopf der Normalfamilie füllt, von 1957 bis heute eine Preiserhöhung von 250 bis 300 % zu verzeichnen ist. Sie denken vielleicht, ich übertreibe. Ich habe aber noch einmal festgestellt, daß z. B. Rotkohl, Weißkohl und Wirsingkohl vor zwei Jahren noch etwa 14 Pf pro Pfund kosteten, während Sie heute 40 Pf dafür zahlen.
Im Außenhandelsausschuß hat anläßlich der Debatte um die Aufhebung des Zolls für Bohnenkonserven einer der Sachverständigen — ich glaube, er kam von der FDP — gesagt, es gebe reichlich Kohl, es gebe da keine Krise, es bestehe das alte Preisniveau, deshalb brauche man den Bohnenzoll nicht
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aufzuheben. Das stimmt ja gar nicht. Bei Grobgemüsen, die in dieser Zeit ein so wichtiges Nahrungsmittel sind, haben wir einen erheblichen Preisaufstieg gehabt, bei Rosenkohl z. B. um mehr als 80 %. Von Möhren will ich gar nicht reden; wir wissen alle, daß sie sehr teuer sind. Sie sind dreieinhalb- bis viermal so teuer als sonst, d. h. um mehr als 350 %. Die Preise für Porree und Sellerie, von denen ich hörte, sie seien wirklich niedrig, sind auf mehr als das Zweieinhalbfache gestiegen. Spinat und Blumenkohl sind mehr als doppelt so teuer. Nun sagen Sie nur, Herr Minister Schwarz, wohin denn eine Hausfrau noch ausweichen soll! Das Fleisch ist teuer, die Kartoffeln sind teuer, das Gemüse ist teuer.
Man sollte sich einmal etwas mehr in die Lage einer solchen Familie hineinversetzen.
Meine Herren und Damen, ich wohne in einer Siedlung, in der Menschen leben, die ein unteres und mittleres Familieneinkommen haben. Ich kaufe immer selbst ein — jedenfalls wenn ich sonnabends im Hause bin — und erkundige mich nicht nur nach den Preisen, sondern spreche auch mit den Leuten. Die Frauen stöhnen nicht grundlos, wenn sie sagen: „Was sollen wir nur machen? Was wir jetzt infolge all der Preiserhöhungen, die vor allen Dingen in den letzten Monaten vorgenommen wurden, mehr ausgeben müssen, beträgt monatlich bis 15 und bis 20 Mark."
Wissen Sie, was 15 bis 20 Mark hier bedeuten,
Herr Minister? Dieser Betrag ist vielleicht die Rate für den notwendigen Staubsauger in einer jungen Familie, vielleicht das Geld, das man für die Kinderschuhe zurücklegen wollte, oder die 20 Mark sind der Betrag, den man für Weihnachten sparen wollte. Man sollte das wirklich nicht auf die leichte Schulter nehmen. All diese Preiserhöhungen treffen ganz besonders junge Familien, die nicht nur diese gestiegenen Lebenshaltungskosten bestreiten müssen und nur einen Ernährer haben, sondern die auch hohe Mieten zahlen müssen, weil sie meistens in Neubauten wohnen.