Herr Kollege Ruf, könnten Sie nicht folgender Überlegung zustimmen: Wenn man die Lohnsteigerungen verschiedener Länder in dem Zeitraum von 1950 bis 1959 miteinander vergleicht — wie Sie es liebenswürdigerweise selber im Deutschland-Union-Dienst getan haben —, muß man ein klein wenig auf den Ausgangspunkt schauen. Und der Ausgangspunkt der Löhne war im Jahre 1950 bei uns in Deutschland sehr niedrig; daß Großbritannien und die skandinavischen Länder in 1950 bereits einen sehr hohen Ausgangspunkt erreicht hatten, werden Sie als Kenner der Verhältnisse nicht bestreiten können.
Ihr Einwand liegt also doch wohl ein klein wenig daneben, Herr Kollege Ruf.
Nachdem sich der Herr Bundeswirtschaftsminister in der Debatte über die Preise für Ernährungsgüter und über die Ernährungspolitik — und schließlich wird ja wohl der Schwerpunkt und der Sinn einer Debatte auf eine Große Anfrage durch den Inhalt dieser Großen Anfrage bestimmt — dazu hergegeben hat, ein solches Ablenkungsmanöver zu starten, möchte ich wenigstens noch einen wichtigen Gesichtspunkt vorbringen.
In allen wichtigen Darlegungen, auch im Monatsbericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers, ist zu lesen, daß die Preissteigerungen bei verhältnismäßig geringer Entwicklung der Masseneinkommen nicht etwa dazu geführt haben, daß nunmehr weniger industrielle Güter verlangt werden, weil für die Ernährungsgüter so viel mehr gezahlt werden muß, sondern dazu, daß die Sparquote zurückgeht. Sie können von einem Arbeitnehmer, der nicht erst den Bericht des Herrn Bundesbankpräsidenten lesen muß, um zu wissen, daß in vielen Zweigen riesig verdient wird, der handgreiflich vor sich sieht, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung vollzieht, nicht verlangen, daß er nun seinen Rücken hinhält und die Preissteigerungen auf dem Ernährungssektor durch Verzicht auf andere Konsumgüter ausgleicht. Die zwangsläufige Folge ist deshalb ein Sinken der Sparrate.
Im dritten Quartal 1959 ist die Sparquote nicht nur erstmalig zurückgegangen, nachdem sie vorher ständig gestiegen war; sie lag erstmalig sogar unter der Höhe des Vorjahres. Der Präsident der Bundesbank hat in seinem November-Bericht erklärt: das liege nicht an einer geringeren Sparneigung, sondern durch die steigenden Nahrungsmittelpreise sei eben die Sparmöglichkeit der breiten
Schichten der Bevölkerung heruntergedrückt worden.
Was geschieht hier? Sie reden über Eigentumsbildung bei breiten Schichten der Bevölkerung. Sie führen den Aktionären gut verdienender Gesellschaften, insbesondere den Großaktionären, über steuerfreie Gratisaktien riesige Vermögensbeträge zu, und hier betreiben Sie eine negative Eigentumspolitik mit der Folge, daß die breiten Schichten weniger ,sparen können als früher.
Insgesamt muß ich auf diese völlig ungerechtfertigte und unaufrichtige Attacke des Herrn Bundeswirtschaftsministers folgende Feststellung treffen. Wir haben nach seinen eigenen Worten erhebliche und ernsthafte Preiserhöhungen zu verzeichnen. Es besteht kein Anlaß, von einer Preislawine zu sprechen. Ich werde das nicht tun, und meine Fraktion hat das auch in der Vergangenheit nicht getan. Viel gefährlicher ist ja das ständig langsame Ansteigen des Niveaus der Lebenshaltungskosten. Die Preiserhöhungen sind einmal — das hat auch die Bundesbank bestätigt — auf die Marktpolitik auf dem Gebiet der Ernährungsgüter zurückzuführen. Sie sind zum anderen darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung darauf verzichtet, wirksame Mittel gegen die preissteigernden Tendenzen der großen oligopolistischen marktbeherrschenden Unternehmungen zu ergreifen.
— Ich habe Ihnen die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers zu diesem Punkt vorgelesen. Vielleicht setzen Sie sich ,einmal mit ihm auseinander, um festzustellen, ob seine Ausführungen im letzten Monatsbericht zutreffen oder nicht. — Und das geschieht in einer Zeit, in der von einer übertriebenen Lohnentwicklung schon gar nicht, vielmehr von einer zurückbleibenden Lohnentwicklung gesprochen werden muß. Hier tragen beide, Bundeswirtschaftsminister und Bundesernährungsminister, gleiche Verantwortung. Uns hilft .es gar nichts, daß die Minister sich gegenseitig bestätigen, wie gut und tüchtig sie eigentlich sind. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat seinem Kollegen hier das Lob erteilt, er sei ein guter Ernährungsminister. Darüber zu urteilen, ist nicht seine Sache, sondern das ist Sache des Parlaments. Darüber, wie die Herren Minister zueinander stehen, brauchen wir im übrigen keine mündlichen Erklärungen von der Regierungsbank; darüber sind wir durch die Erörterungen in der Presse ausreichend informiert.
Eine zweite Feststellung zu diesen Preiserhöhungen: wir haben nicht nur eine sehr langsame Lohnentwicklung, sondern auch eine zurückbleibende Verbrauchernachfrage. Darin ist eine relative Verschlechterung der Situation der breiten Schichten der Arbeitnehmer und der Verbraucher zu sehen. Wir haben drittens festzustellen, daß die Sparfähigkeit verringert und damit entgegen allen Deklamati-
5214 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959
Dr. Deist
onen die Eigentumsbildung in den breiten Schichten der Bevölkerung behindert wird.
— Natürlich wird sie behindert, wenn ein Teil dessen, was bisher gespart worden ist, nicht mehr für Sparen, d. h. für Vermögensanlage, verwendet werden kann, sondern zur Bezahlung der höheren Ernährungspreise dient.
Eine letzte Bemerkung! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat diese diabolischen Hinweise gemacht:
— bitte sehr — die Preise sind nicht schuld, sondern die Lohnwelle; diese bösen Arbeitnehmer, die Gewerkschaften sind diejenigen, die die Entwicklung bedrohen!
— Ich spreche das deutlich aus, was der Bundeswirtschaftsminister hier gesagt hat, damit es so in die Öffentlichkeit weitergetragen wird.
Wer so spricht wie der Bundeswirtschaftsminister, muß sich eine sehr deutliche Antwort gefallen lassen. Diese seine Rede muß wirken wie eine Verunglimpfung der Organisationen der Arbeitnehmerschaft,
die nach diesen Darlegungen als die Friedensstörer, als das Hemmnis für eine gesunde Entwicklung anzusehen sind.
Diese Rede muß dahin wirken, meine Damen und Herren — und das sollten sich der Herr Bundeswirtschaftsminister und auch Sie vielleicht gelegentlich überlegen —, daß die gesamte Stellung, auch die politische Kraft der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften vermindert und beeinträchtigt wird, das in einem Augenblick, in dem' wir wissen, in welcher schweren Auseinandersetzung wir mit dem Kommunismus jenseits der Zonengrenze stehen und weiter stehen werden. Wer anders soll denn diese Auseinandersetzung insbesondere bei den breiten Arbeitnehmerschichten führen als die Gewerkschaften? Und, meine Damen und Herren, Sie sollten sich überlegen, ob Sie mit einer derartigen Argumentation, wie sie der Bundeswirtschaftsminister gebracht hat, die zwangsläufig zu einer Diffamierung der Gewerkschaften führen muß,
nicht die Kampfkraft jener Organisationen schwächen, die die ernstesten Kämpfer gegen kommunistische Infiltration sind.
Sie müssen sich überlegen, ob Sie in einem Falle, in dem Sie die Haltung der Bundesregierung, hier in der Preispolitik, nicht mehr rechtfertigen können, mit einer solchen Rede so viel politisches Porzellan
zerschlagen lassen dürfen, wie das hier versucht wird.