Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß die Große Anfrage Drucksache 1414 eingebracht wurde und daß sie noch am heutigen Tage, am letzten Tage vor den Parlamentsferien, zur Debatte gestellt wird. Durch die öffentliche Diskussion über das Preisgeschehen auf dem Lebensmittelmarkt ist in der letzten Zeit viel Zündstoff angehäuft worden, wurde viel Erbitterung und viel Verbitterung geschaffen. Mit einigem gutem Willen müßte es möglich sein, durch eine freimütige Aussprache einen entscheidenden Beitrag dafür zu liefern, daß der Weihnachtsfriede durch eine Entschärfung der gegensätzlichen Meinungen wenigstens auf diesem Teilgebiet unserer vielen Sorgen nicht mehr gefährdet wird. Ich habe bewußt von einer freimütigen Aussprache gesprochen. Die Interessentenverbände, die sich dieser Angelegenheit mit Leidenschaft hingegeben haben, sind nicht mehr in der Lage, einander zu überzeugen. Wenn aber in diesem Hohen Hause alle Gesichtspunkte, die auch in der Bevölkerung diskutiert werden, eine Berücksichtigung finden und sich die Parteien um einen eigenen Standpunkt bemühen, wenn Ursachen und Wirkungen dieses so heiß umstrittenen Preisgeschehens hier debattiert werden, dann wird es zu einer Beruhigung führen. Was könnte das Parlament in diesen letzten Stunden vor den Weihnachtsferien Besseres tun!
Der Herr Bundeswirtschaftminister hat unter anderem von dem Preisgeschehen auf dem weiten Gebiet der übrigen Wirtschaft gesprochen. Das ist sicher notwendig. Auch ich werde hierzu unsererseits noch einiges zu sagen haben. Vorläufig aber möchte ich das Preisgeschehen auf dem Lebensmittelmarkt in das rechte Licht rücken und die Frage aufwerfen: was ist geschehen, wo liegen die Ursachen, war die Entwicklung vermeidbar?
Die Preise auf dem Kartoffelmarkt und auf dem Buttermarkt sind davongelaufen. Wir haben in den Dürregebieten in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die zugleich Überschußgebiete in der Kartoffelerzeugung sind, eine Kartoffelernte von etwa 60 % einer Normalernte gehabt. In den Hauptabgabegebieten, z. B. in Bayern, hatten wir eine gute Ernte. Beides war vorauszusehen. In der Zeit als sich die ersten Zeichen überhöhter Preise in den Verbrauchergebieten bemerkbar machten, die von Schleswig-Holstein und Niedersachsen beliefert werden, würde eine nachhaltige Aufklärung, die dann auch später, aber zu spät erfolgte, eine entscheidende Wirkung gehabt haben.
Man wußte, daß auch in diesem Jahr über 20 Millionen t Kartoffeln geerntet werden würden. Eine Normalernte liegt bei etwa 24 Millionen t. Ein Speisekartoffelverbrauch von rund 8 Millionen t hätte daher niemals zu einer Nervosität führen dürfen. Und es hätte gerne darauf hingewiesen werden können, daß sich auch manche stärkereiche Kartoffelsorte wie z. B. die gute alte „Ackersegen" sehr wohl für die menschliche Ernährung eignet.
Dadurch, daß die Aufklärung erst einsetzte, als das Kind bereits im Brunnen lag, hatten alle diejenigen, die immer da sind, wenn es darum geht, durch eine sensationelle Stimmungsmache selbst übersichtliche Situationen zu komplizieren, leider sehr viel Zeit. Es wäre auch ein guter Weg gewesen, durch Frachtverbilligungen dafür zu sorgen, daß die Kartoffeln von den Haupterzeugergebieten in die Hauptverbraucherzentren geschleust werden.
Zur Zeit hat sich die Lage auf dem Kartoffelmarkt wieder völlig beruhigt, und es stehen mehr als ausreichende Mengen zu normalen Preisen zur Verfügung.
Die Pieisbewegung auf dem Buttermarkt wurde ganz zweifellos durch die Dürre ausgelöst. Trotzdem hätte es nicht zu den überspitzten Preisen zu kommen brauchen. Die Butterpreise gerieten trotz langer vorhergehender Dürrezeit erst verhältnismäßig spät in Bewegung. Bis in den Oktober 1959 hinein hielten sie sich bei einem Durchschnittsverbraucherpreis von 7 DM pro Kilo. Das waren normale Preise. In den letzten Oktoberwochen kam dann ein plötzlicher Anstieg, der an einigen Orten über 8 DM pro Kilo hinausging und in Hamburg sogar 8,40 bis 8,60 DM erreichte.
Man kann selbstverständlich sagen, daß ein rechtzeitiges Eindecken der Vorratsstelle am Platze gewesen wäre. Ich habe aber für dieses Versäumnis Verständnis, weil es seit hundert Jahren und wahrscheinlich noch viel länger eine derart anhaltende Dürreperiode nicht gegeben hat und sie in ihrem Umfange nicht vermutet werden konnte. Aber leider sind andere Fehler gemacht worden, für die ich weniger Verständnis habe. Dazu gehört, daß die Auslagerungen aus der Vorratsstelle gerade dann aussetzten, als die Preise am stärksten anstiegen. Es sollen nach den mir zugegangenen Informationen zu jener Zeit noch zirka 5000 t Butter auf Vorrat gelegen haben. Ich bin überzeugt, daß diese 5000 t Butter völlig ausgereicht hätten, den Buttermarkt wieder zu normalisieren. Es hat ja effektiv nicht an Butter gefehlt. Jeder hat die Menge, die er haben wollte, kaufen können. Ja, es sind gerade in den teuersten Zeiten die größten Mengen an Butter gekauft worden. Also eine Spitzenmenge von 5000 Tonnen würde meines Erachtens eine sehr beruhigende Wirkung gehabt haben. Ich kann auch nicht einsehen, weshalb mit der Wälzung der Butter, die einer zweckbestimmten Vorratshaltung dient und die jetzt durchgeführt wird, nicht einige Wochen früher hätte begonnen werden können.
Die Aussetzung des Butterzolls ist für alle diejenigen, die dafür gestimmt haben, zu einer großen Enttäuschung geworden. Die Aussetzung ist doch nur erfolgt, um den Verbrauchern die Zollspanne zugute kommen zu lassen, und nicht, um den ausländischen Exporteuren einen Vorteil zu gewähren. Die Aussetzung des Butterzolls war eine innerdeutsche Angelegenheit, die in keiner Weise die Kontrakte mit den ausländischen Lieferanten berührte. Warum mußte man diesen ausländischen Exporteuren, die schon bald wieder froh sein werden, daß wir von ihnen Butter kaufen, ein derartiges Geschenk machen?
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Angeblich sind Importe in einer Höhe bis zu 50 000 Tonnen abgeschlossen worden. Der Antrag der SPD, der den Anlaß zu der Aussetzung des Butterzolls gegeben hat, stellte nur auf eine Menge bis zu 20 000 Tonnen ab. 50 000 Tonnen Butter bedeuten unter diesen Umständen ein Geschenk von rund 50 Millionnen DM an die ausländischen Exporteure.
Man kann auch nicht sagen, daß Lieferschwierigkeiten eingetreten wären, wenn dieses Zugeständnis nicht gemacht worden wäre. Es gibt auch im internationalen Handel die Möglichkeit, Deckungskäufe gegen Kontraktbrüchige vorzunehmen.
Im übrigen bin ich der Ansicht, daß, wenn nicht die begründete Furcht der Importeure vor dem Risiko dazu führt, daß es nicht zu diesen Einfuhrmengen kommt, wir uns dann sehr bald in diesem Hohen Hause über die Folgen handelspolitischer Maßnahmen werden unterhalten müssen, die im Gegensatz zu der Empfehlung des § 1 des Landwirtschaftsgesetzes stehen
und die die Erzeugerpreise für die Milch weit unter die Gestehungskosten drücken werden, weit unter die Preise, die wir bisher jemals gehabt haben. Vielleicht werden wir das auch angesichts des sehr umfangreichen Einfuhrkataloges tun müssen, den die Bundesregierung kürzlich veröffentlicht hat und der in großzügiger Weise die Liberalisierung, die mit der EWG auf uns zukommt, schon vorwegnimmt.
Ich weigere mich zu glauben, daß der Bundesernährungsminister diese Maßnahmen für richtig hält, daß er nicht die Gefahren sieht, die die jetzt anlaufenden Einfuhren von 50 000 Tonnen Butter oder die Einfuhr von in der Menge nicht begrenztem Gefrierfleisch in sich tragen, daß er nicht die Auswirkungen der Herabsetzung des Zolls für Bohnenkonserven in ihrer vollen Tragweite übersieht.
Wir stehen schon bald vor einer Milchschwemme. Wir haben zur Zeit niedrigere Rinderpreise, niedrigere Schweinepreise als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Wir haben Erzeugerpreise für Konservenbohnen von 19 Pfennig pro Pfund mit der Konservenindustrie vereinbart gehabt. Von diesen 19 Pfennig gehen 7 Pfennig für Pflücklohn, 1 Pfennig für Transport und 3 Pfennig für Saatgut ab, so daß pro Pfund 8 Pfennig dem Erzeuger für seine Arbeit und sein Risiko verbleiben. Die Gemüsebestände in den Läden sind keineswegs geräumt. Ich habe mich sehr eingehend danach erkundigt. Dazu kommen jetzt die zollbegünstigten Einfuhren. Die Konservenfabriken werden angesichts dieser Lage nicht einmal mehr den vorjährigen Preis von 19 Pfennig pro Pfund zahlen wollen. Damit wird dann der Anbau von Bohnen sein natürliches Ende finden. Allen, die für diesen Fall auf das Ausland hoffen, sei gesagt, daß wir von dort noch niemals billig beliefert worden sind, wenn die eigene Erzeugung kein marktregulierender Faktor mehr war. Hierauf möchte ich sehr nachdrücklich hingewiesen haben.
Wenn Sie aber, Herr Minister Schwarz, diese Gefahren ebenso wie ich sehen — ich erwarte keine Antwort darauf —, wenn Sie nur infolge eines nicht ausgewogenen Kräfteverhältnisses im Kabinett Ihre bessere Einsicht einer höheren Einsicht unterordnen mußten oder unterordnen zu müssen glaubten, dann möchte ich Ihnen zurufen: Landgraf, werde hart! So geht es nicht weiter!
Meine Feststellungen wären jedoch unvollkommen, wollte ich nicht auch im Zusammenhang mit der Butterpreisbewegung sehr nachdrücklich darauf hinweisen, daß die psychologische Beeinflussung des Marktes durch so manche Auslassung in der Öffentlichkeit ein Schulbeispiel dafür ist, wie es nicht gemacht werden darf, wenn einem daran liegt, einen unruhig gewordenen Markt wieder in solide Bahnen zurückzuführen.
Die Landwirtschaft kann kein Interesse daran haben, daß sich überhöhte Preise bilden. Ihr ist mit auskömmlichen, aber stabilen Preisen viel mehr gedient. Butterverbraucher, die zur Margarine abwandern, müssen erst wieder zurückgewonnen werden; es ist besser, man verliert sie nicht erst. Die Margarineindustrie hat natürlich das ihre dazu getan, durch eine unerhörte Reklame und durch eine Preissenkung gerade zu der Zeit der höchsten Butterpreise ihr Geschäft zu machen. Die Margarineindustrie kann wohl lachen, da gerade sie einen Schutz genießt, der in der ganzen Welt einmalig ist,
und da sie darüber hinaus auch noch aus dem Grünen Plan großzügig unterstützt wird.
Die Butterpreise sind inzwischen wieder auf einen normalen Stand zurückgegangen; sie liegen bei etwa 7 DM pro Kilogramm. Es spricht vieles dafür, daß nicht nur die Knappheit überwunden ist, sondern daß wir schon bald vor einem Überangebot mit allen Folgen stehen werden.
Von der sozialdemokratischen Fraktion sind im Zusammenhang mit dem Geschehen auf dem Buttermarkt die Einfuhr- und Vorratsstellen und damit die Marktordnung einer lebhaften Kritik unterzogen worden. Ich möchte sagen, daß die Einfuhr- und Vorratsstellen als Instrument der Marktordnung unentbehrlich sind und sich grundsätzlich durchaus bewährt haben. Es liegen keine Strukturfehler vor, sondern Regiefehler, und die lassen sich beseitigen.
Innerhalb der EWG werden wir — das kann man aus dem Protokoll der Kommission über die letzte römische Tagung entnehmen — die Marktordnung auf dem Gebiet der Veredelungswirtschaft sogar noch sehr viel weiter ausbauen; das wird besonders nachhaltig von dem Sozialisten Mansholt gefordert. Wenn aber immer größere Mengen Weichweizen und andere nicht benötigte Einfuhren, die nur aus politischen Gründen und im Interesse der Exportindustrie getätigt werden, auf die Einfuhr- und Vorratsstellen zukommen und man nicht bereit ist, die erforderlichen Mittel zu geben — auch das zeichnet sich bereits ab —, dann darf man sich nicht über gelegentliche Funktionsstörungen wundern.
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Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung über den Protektionismus überhaupt einflechten. Wir Liberalen wünschen den Abbau protektionistischer Maßnahmen, soweit das nur irgend möglich ist. Wir sind aber nicht so wirklichkeitsfremd, daß wir nicht sehen, in welchem Umfange die ganze Wirtschaft — nicht nur in Deutschland, sondern auch in der gesamten westlichen Welt — protektionistisch dirigiert wird. Wo alles liebt, können wir allein nicht hassen.
Die Landwirtschaft kann entgegen überlieferter Auffassung von einem Abbau der protektionistischen Maßnahmen auf allen Gebieten im europäischen Raum nur profitieren. Die einzige Voraussetzung ist dann nur, daß überall gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Leider sind wir hiervon noch sehr weit entfernt.
Die deutsche Landwirtschaft muß zu denselben Preisen erzeugen können wie beispielsweise die holländische, die hier so oft zitiert wird, und sie kann das auch. Aber sie steht in einem unmöglichen Wettbewerb. Die holländische Landwirtschaft produziert ihre Veredelungserzeugnisse zu einem großen Teil mit zollbegünstigten ausländischen, also billigen Futtermitteln. Das könnten wir natürlich auch tun, aber das würde zu einer Veredelungsproduktion führen, für die einfach der Markt fehlt. Wir würden dann nicht nur in kürzester Frist vor dem Zusammenbruch der Veredelungswirtschaft, sondern auch der Getreide- und der Hackfruchterzeugung stehen. Aus diesem und nur aus diesem Grunde wird unsererseits, aber auch seitens der Regierung, was ich gern zugebe, alles getan, um das Getreidepreisproblem innerhalb der EWG seiner Bedeutung entsprechend zu behandeln.
Im übrigen sind die holländischen Agrarpreise auf dem deutschen Markt das Ergebnis einer Subventionspolitik, gegenüber der wir in Deutschland geradezu in den Anfängen stecken.
600 Millionen Gulden, also etwa eine halbe Milliarde D-Mark, wurden in einem einzigen Jahr für die Stützung der Milchwirtschaft in Holland ausgegeben. Das macht, auf deutsche Verhältnisse übertragen, einen Betrag von 3 Milliarden DM aus. Im Grünen Plan sind 354 Millionen DM hierfür vorgesehen.
Ich glaube, daß das Wissen um diese Dinge, das leider nicht allzusehr verbreitet ist, eine gerechte Urteilsfindung wesentlich erleichtern könnte. Ich habe wiederholt auf die Bedeutung der psychologischen Beeinflussung der Verbraucher im guten und im bösen Sinne hingewiesen. Ein mahnendes Wort aus diesem Hohen Hause dürfte sehr am Platze sein. Was in den letzten Wochen an Diskriminierung der Landwirtschaft geschehen ist, übersteigt jedes erträgliche Maß und ist ein einziges großes Unrecht.
Einem so schwer um seine Existenz ringenden Berufsstand — das sind nicht nur Worte, sondern Tatsachen —, der nachweislich keine Rentabilität hat — alle Jahre beweist das der Grüne Bericht -, für den die 40-Stunden-Woche eine Fata Morgana ist, dessen Fremdarbeitskräfte mit ihrem Stundenlohn um mehr als 1 DM unter dem der vergleichbaren gewerblichen Löhne liegen
— Herr Kollege Bading, wenn Sie genau zuhörten,
würden Sie von manchen Irrtümern befreit werden
einem Stand, dessen Familienarbeitskräfte wiederum nur einen Bruchteil dessen bekommen, was die Fremdarbeiter beziehen, einem Berufsstand, dessen völlig unzulängliche Investitionen nur mit Schulden vorgenommen werden können, die verzinst und amortisiert werden müssen durch Lohnverzicht, einem solchen Berufsstand wirft eine Gewerkschaftszeitung rücksichtsloses Gewinnstreben vor,
und eine große Tageszeitung meinte kürzlich, daß die Verbraucher mehr Ursache hätten, auf die Barrikaden zu gehen, als die Erzeuger. Ich bin der Ansicht, daß weder die Verbraucher noch die Erzeuger Ursache haben, auf die Barrikaden zu gehen. Wenn noch einmal Barrikaden in Deutschland errichtet werden sollten, dann werden das die letzten sein, die in Freiheit errichtet werden. Was sollen solche aufwühlenden und Zwietracht säenden Worte!
Nicht minder unbegreiflich und in der Wirkung noch schwerwiegender ist es, daß die Regierung es unterlassen hat, so ausreichend und rechtzeitig aufklärend zu wirken, daß es zu einer derart verzerrten Meinungsbildung gar nicht kommen konnte. Sie hat das nicht nur unterlassen, sondern noch Öl ins Feuer gegossen. So heißt es im Bulletin des Presse-und Informationsamtes vom 27. November 1959, daß die Regierung mit Sorge die Preisentwicklung der jüngsten Vergangenheit verfolge, zumal da die Geldwertstabilität nach wie vor ihr oberstes Ziel sei. Das wird von uns nicht bestritten. Aber dann heißt es weiter: die Preissteigerung auf dem Agrarsektor habe erhebliche Beunruhigung unter der Bevölkerung ausgelöst.
Hier kann es sich doch nur um Preissteigerungen handeln, die, wie ich vorhin aufgezeigt habe, nicht ganz ohne Schuld der Regierung entstanden sind — durch Unterlassen, nicht durch das, was sie getan hat. Es ist nur noch ein kleiner Schritt von dieser Formulierung bis zu der Behauptung, daß die Bauern die Währung gefährden. Jedermann weiß doch, daß die Landwirtschaft immer ein währungserhaltender Faktor und niemals ein währungszerstörender gewesen ist.
So verhält sich eine Regierung, die sich in ihrer Agrarpolitik so lange Illusionen hingegeben hat, bis es zu spät war, die Agrarpreise reibungslos dem allgemeinen Preisgeschehen anzupassen. Das duldet der Herr Bundeskanzler, dessen Rhöndorfer
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Versprechen von 1951 bis heute noch nicht eingelöst wurde und dessen Politik, was die EWG anbetrifft, ganz zweifellos — ich will nicht über Wert oder Unwert der EWG sprechen — weitere große, noch gar nicht zu übersehende Opfer von der deutschen Landwirtschaft fordern wird. Demgegenüber verlieren die Erklärungen des Verstehens und des Wohlwollens für die Landwirtschaft — besonders die rührenden, gefühlsbetonten Worte an die Adresse der Bauersfrau —, die regelmäßig und reichlich vor den Wahlen gespendet werden, doch sehr an Wert.
Nun noch ein Letztes. Es geht nicht an, das Agrarpreisgeschehen losgelöst von dem allgemeinen Preisgeschehen zu behandeln. Ich deutete das vorhin schon an. Das Budget der Hausfrau wird nicht nur durch die Lebensmittelpreise belastet, sondern in noch größerem Maße von tausend anderen Dingen, die ein Haushalt in unserer modernen Zeit nicht mehr entbehren kann. Angesichts des schwindenden Anteils der Ausgaben für Lebensmittel im Verhältnis zu all den anderen Ausgaben, die ein Haushalt hat,
sollte man nun endlich damit aufhören, die Lebensmittelpreise zu politischen Preisen zu stempeln. Dann sind ungezählte Preise für andere Produkte auch politische Preise.
Aber wer spricht von den ganz zweifellos in vielen Fällen zu hohen Preisen für diese Artikel? Die überhöhten Preise auf dem Gebiet der industriellen und gewerblichen Wirtschaft einschließlich der immer neuen Lohnbewegungen, die wirklich ein sehr ernstes Problem darstellen, werden gegenüber der Kritik an den Lebensmittelpreisen mit geradezu vornehmer Zurückhaltung bedacht.
Dort liegen die Ursachen für eine Gefährdung der Währung. Herr Präsident Blessing hat sich kürzlich in Essen hierüber eindeutig geäußert. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich ihn zitieren; er hat gesagt:
Man kann von den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften schwer ein Maßhalten verlangen bei der Lohnforderung, wenn die Produktivitätsgewinne in übertriebenem Umfang bei den Unternehmern verbleiben. Die Unternehmer haben es recht oft versäumt, dort, wo die Produktivitätszunahme es erlaubt hätte, auf diese Weise ihre Preise zu senken.
Wir können uns dem nur anschließen, und wenn Herr Professor Erhard etwas Ähnliches sagte, so können wir diese Einstellung nur begrüßen. Wir meinen nur, daß schon lange, sehr lange etwas hätte geschehen müssen und daß es inzwischen sehr spät hierzu geworden ist.
Der überhitzte Teil der deutschen Wirtschaft läuft dem unterkühlten einfach davon. Er schreibt den Zurückgebliebenen die Preise, die Löhne und die sozialen Leistungen vor. Und wo diese nicht mehr folgen können -- das trifft auch für die Landwirtschaft zu —, werden die Spannungen immer größer. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein hochpolitisches Problem, das gar nicht ernst genug genommen werden kann. Die Bremse der Diskonterhöhung trifft die überhitzte Wirtschaft sehr viel weniger als gerade den zurückgebliebenen Teil. Diese Diskonterhöhung trifft nicht zuletzt die Landwirtschaft hart, deren Ausgaben und Einnahmen immer noch in einem Mißverhältnis stehen. Dafür bezieht die Landwirtschaft dann auch noch die Prügel einer ungerechten Kritik.
Meine Damen und Herren, die FDP denkt nicht daran, sich der so billigen Stimmungsmache gegen die Landwirtschaft anzuschließen. Sie ist der Ansicht, daß ein so großer und hart arbeitender Berufsstand, wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch gesehen, nicht von der Warte taktischer, wahlpolitischer Überlegungen aus gewertet werden darf, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit gewertet werden muß, einer Gerechtigkeit, die unteilbar ist und die meine Partei auch gegenüber allen anderen Berufsschichten, denen Unrecht geschieht, jederzeit zu üben gewillt ist.
Die agrarpolitische Konzeption der FDP führt nicht zu einer Bevorzugung der Landwirtschaft. Die berechtigten Belange der Verbraucher liegen ihr nicht minder am Herzen. Sie will vor allen Dingen ausgeglichene Preise, mit denen sowohl die Erzeuger wie die Verbraucher und namentlich die Hausfrauen auf lange Sicht rechnen können.