Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich ein schwieriges Unterfangen, nach einer eindreiviertelstündigen Rede noch von seiten der CDU mit Bemerkungen zu dem wichtigsten Ereignis des Jahres, der Einbringung des Haushalts, anzukommen, vor allem wenn man weiß, daß der Redaktionsschluß der großen Zeitungen gewöhnlich um 17 Uhr ist. Aber ich will trotzdem den Versuch machen, das zu tun.
— Herr Hermsdorf, Sie sind ein kundiger Thebaner, Sie wissen, was ich mit meiner Bemerkung meine. — Erlauben Sie mir zunächst, eins zu tun: Wir sollten dem Bundesfinanzminister dafür danken, daß er trotz der schon herannahenden Arbeiten für den zweiten Haushalt, den wir im kommenden Jahr zu verabschieden haben werden, diesen Haushalt sehr pünktlich vorgelegt hat und daß er es trotz der zu überwindenden personellen Schwierigkeiten in seinem Hause rechtzeitig geschafft hat.
Lassen Sie mich nun zu allgemeinen Bemerkungen kommen, die sich direkt an die Rede des Herrn Bundesfinanzministers anschließen. Ich beabsichtige nicht, hier einen stundenlangen Rundgang durch die einzelnen Haushalte zu machen, sondern will versuchen, die großen Linien darzulegen, die uns hier bei der Einbringung des Jahreshaushalts bewegen.
Eine kleine bittere Vorbemerkung kann ich mir allerdings nicht ersparen. Herr Bundesfinanzminister, wir haben sonst alljährlich die ausgezeichneten „Allgemeinen Vorbemerkungen zum Entwurf des Haushaltsplanes" immer so rechtzeitig erhalten, daß wir daraus unseren Nutzen ziehen konnten. In diesem Jahre ist das leider nicht der Fall gewesen — ich habe sie erst heute morgen bekommen —; ich möchte bitten, sie in Zukunft wieder zu angemessener Zeit vorzulegen.
Gleich auch eine Anmerkung zu einem sehr schmerzlichen Kapitel, das seit Jahren hier auf der Tagesordnung steht und das auch mein Vorredner angeschnitten hat: zu den über- und außerplanmäßigen Ausgaben, die im Jahre 1957 2,28 Milliarden DM — meine Zahlen weichen ein wenig von den Ihren ab, Herr Kollege Ritzel — und im Jahre 1958 immerhin noch über 2 Milliarden DM betragen haben. Ich sage das aus einem bestimmten Anlaß. Denn gestern haben wir im Haushaltsausschuß z. B. Vorlagen bekommen, die von sehr einschneidender finanzieller Natur waren. Es erfüllt uns im Haushaltsausschuß mit wachsendem Unbehagen, daß in den letzten Jahren in steigendem Maße solche Vorlagen mit außer- und überplanmäßigen Ausgaben außerhalb des Haushaltsplans eingebracht worden sind. Es ist anzuerkennen, daß sie regelmäßig dem Haushaltsausschuß vorgelegt werden, eine Pra-
5152 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
Dr. Vogel
xis, die früher nicht immer geübt wurde. Aber ich glaube, es geht zu viel im Grunde genommen am Haushalt vorbei. Das sollte in Zukunft unbedingt eingeschränkt werden. Wenn ich z. B. allein an die leidigen Vorlagen hinsichtlich unserer Subventionen als Folge des Eiergesetzes denke — ein sehr profaner Vorgang, aber immerhin umfaßt er viele Millionen DM , so komme ich zu der Schlußfolgerung, man sollte bei der Einbringung der Gesetzentwürfe die Kosten besser vorausberechnen, sofern das möglich ist. Aber ich kann mir vorstellen, daß es auch hier so gegangen ist wie mit manchen anderen Bundeszuschüssen: es werden aus einer gutgemeinten Aktion heraus Subventionen gewährt, die einen Notstand mindern sollen, und dann wird daraus ein Eigengebilde, das von Jahr zu Jahr immer größere Formen annimmt. Ich erinnere nur an die Brotsubventionen, die wir in den ersten Jahren hatten und die abzubauen nachher einige Mühe gekostet hat.
Ein weiteres ist hier ebenfalls schon erörtert worden: die Frage der Bindungsermächtigungen. Der Herr Bundesfinanzminister ist auf Seite 17 seiner Rede näher darauf eingegangen. Ich werde auf die Frage im Zusammenhang mit dem Konjunkturverlauf noch zu sprechen kommen.
Ich darf hier aber eines zur Ehrenrettung meiner Freunde aus der Landwirtschaft betonen. Vorhin ist die neue Erweiterung der Subventionen um einen Betrag in der Größenordnung von fast 200 Millionen DM angeführt worden, der diesem „Berg" hinzugefügt worden ist. Dazu muß mit Nachdruck festgestellt werden, daß es sich hier um Hilfe für Berlin, um Bevorratungen, um Ausgaben für die landwirtschaftliche Siedlung handelt, die in keinem Zusammenhang mit den sonstigen landwirtschaftlichen Subventionen stehen.
Und eines muß sich auch die deutsche Industrie ständig vor Augen halten. Bestimmte große Summen, die wir für den „Getreideberg" aufbringen, sind im Grunde genommen nichts weiter als versteckte Exportsubventionen für unsere Industrie
und kommen der Landwirtschaft nicht zugute; im Gegenteil, sie belasten sie nur. Wenn wir einen Handelsvertrag mit einer Nation schließen, sind wir häufig — Beispiel: Schweden — genötigt, große Getreidemengen hereinzunehmen, für die wir beim besten Willen bei uns überhaupt keine Verwendung haben. Wir müssen sie dann mit Verlust exportieren oder — was wir gestern z. B. im Haushaltsausschuß beschlossen haben — sie mit einem Verlust von 80 DM pro Tonne als Viehfutter mitvermahlen lassen; immerhin noch ein billigerer Vorgang, als mit Verlust zu exportieren. Aber um es klarzustellen: das sind keine Subventionen für die Landwirtschaft, das sind echte Industriesubventionen.
Der Bundesfinanzminister hat sich wiederholt auf die letzten Monatsberichte der Deutschen Bundesbank bezogen, und er hat auch die Kundgebung des Zentralbankrates erwähnt. Dabei sind hier Erinnerungen an den Juliusturm aufgeklungen, von dem auch mein Herr Vorredner gesprochen hat. Meine Damen und Herren, ich mache für meine Person gar
kein Hehl daraus, daß ich in den vorangegangenen Jahren, als der Vorgänger des jetzigen Finanzministers im Amte war, diese Politik der Zurücklegung von Mehreinnahmen des Bundes für kommende Zeiten, in denen mit Sicherheit höhere Ausgaben zu erwarten waren, für richtig gehalten habe und daß ich auch heute nicht zögere, mich dazu zu bekennen.
Inzwischen bahnt sich ja so etwas — ich möchte keinen Ausdruck gebrauchen, den man nachher mißverstehen könnte — wie eine ganz andere Beurteilung der Vorgänge an, die sich damals abgespielt haben. Seien wir doch so ehrlich, klopfen wir an unsere Brust und sagen wir: Dieses Hohe Haus, ob Regierungskoalition oder Opposition, hat dafür gesorgt, daß diese Vorräte an Geld, die eigentlich für kommende Jahre bestimmt waren, verausgabt worden sind. Ich möchte an die Aufsätze erinnern, die damals, zum Teil sogar in der deutschen Fachpresse, erschienen sind und in denen dargelegt wurde, welche Inflations-Wirkungen dies haben müsse. Wir haben aber keine Inflation erlebt, sondern wir konnten uns in den letzten eineinhalb Jahren einer außerordentlich stabilen Preislage erfreuen. Ich will hier keine einzelnen Aufsätze zitieren. — Herr Kollege Hermsdorf, die Bundesbank, die doch wohl darin ein völlig unbestrittener Zeuge ist, hat zusammen mit dem von Ihrer Seite ebenfalls völlig unbestrittenen Präsidenten Dr. Fürst klargestellt, daß wir uns fast eineinhalb Jahre lang in dein erstaunlichen magischen Dreieck bewegt, daß wir nämlich eine Vollbeschäftigung bei stabilen Preisen durchgehalten haben. Das war ein außerordentlicher Glückszufall für unser Volk.
Ich möchte aber noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen. Heute wird es beinahe bedauert, daß man keine Reserven mehr hat, schon wegen ihrer antizyklischen Bedeutung. Die Überhitzung vor allen Dingen der öffentlichen Bauvorhaben wird heute wohl kaum noch bestritten. Sie liegen in diesem Jahr um 29 % über den Bauvorhaben der öffentlichen Hand im vergangenen Jahr. Wenn man heute fordert, der Bund solle dies besser steuern, sollte man sich rückblickend der antizyklischen Bedeutung der Geldstillegungen in den vergangenen Jahren erinnern und sie auch entsprechend würdigen.
Lassen Sie mich noch ein Zweites zur Kapitalmarktpflege sagen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß der Bundesfinanzminister sich hier derartig .entschieden für eine Kapitalmarktpflege ausgesprochen hat. Nichts werden wir in den kommenden Jahren mehr brauchen als wachsendes oder vielleicht überhaupt erst neues Vertrauen der deutschen Sparer zu Bundesanleihen und zu sonstigen öffentlichen Anleihen. Man kann nicht von einem Volke, das zwei Inflationen überstanden hat, ohne weiteres verlangen, daß es zu öffentlichen Anleihen das gleiche Vertrauen wie vor 1914 hat oder das gleiche Vertrauen, das heute die Sparer oder die Käufer derartiger Anleihen in England und in anderen Ländern der Welt haben. Ich bin dankbar dafür, daß das deutsche Volk, nicht zuletzt auch infolge der Stabilitätspolitik unserer Regierung, wieder
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5153
Dr. Vogel
von neuem das Vertrauen gefaßt und von 1948 bis heute wieder 41 Milliarden DM den Spartöpfen zugeführt hat. Denn ohne diese 41 Milliarden DM wäre die Aufbaupolitik in Deutschland überhaupt nicht möglich gewesen.
Aber der Bundesfinanzminister wird in die Tasche greifen müssen, um für die jetzt wieder neu in Erscheinung tretenden Bundesanleihen das umbedingt erforderliche Vertrauen zu schaffen. Ich werde mir nachher noch erlauben, einiges zur Kapitalmarktlage als solcher auszuführen.
— Er hat nicht nur das getan, sondern er hat nach meinem Dafürhalten die Länder überaus fair behandelt, indem er einiges auszusprechen vermied, was eigentlich dabei auszusprechen gewesen wäre.
Die SPD hat sonst, wenn ich recht unterrichtet bin, auf ihre Fahnen geschrieben, sie wolle etwas zum Ausgleich zwischen Reich und Arm beitragen. Warum nicht auch hier zwischen reichen und armen Kommunen? Ich sehe durchaus nicht ein, warum es nicht Aufgabe der Länder bleiben sollte, hier einiges zum Ausgleich zwischen dem Reichtum einiger Gemeinden und der unverkennbaren Armut der großen Mehrzahl mit beizutragen.
— Auch wenn wir das einmal abziehen, Herr Kollege Dresbach! Ich könnte Ihnen unschwer allein aus meiner engeren Heimat mehr als 14 Städte aufzählen, bei denen man nun weiß Gott nicht von einer Notlage sprechen kann. Aber es gibt dann auch soundso viel arme, und es ist, wenn wir das Subsidiaritätsprinzip richtig anwenden, zunächst einmal Sache der Mittelinstanz, der Länder, hier für einen Ausgleich zu sorgen. Man kann, glaube ich, in keinem Fall sagen, der Bundesfinanzminister oder wir hätten die Gemeinden als ein „lästiges Anhängsel" betrachtet.
Was den Wohnungsbau anlangt, darf ich Ihnen eines in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Wir haben schon das letzte Mal bei der zweiten Lesung des Haushalts gewarnt, zuviel in den Wohnungsbauhaushalt hineinzustecken. Uns lagen entsprechende Anträge von Ihrer Seite vor, und ich war damals dankbar, daß die massivsten dieser Anträge in der dritten Lesung zurückgezogen worden sind; denn in der Zwischenzeit zeichnete sich am Horizont die Entwicklung der Baukonjunktur bereits ab. Es ist doch wohl unbestreitbar, daß wir heute alle ein Interesse haben, die Baukonjunktur nicht zu überhitzen. Sie ist ja doch bereits an einem sehr kritischen Punkt angelangt.
Wenn wir im Jahre 1959 auf 580 000 größere und teurere Wohnungseinheiten — gemessen am Vorjahr — kommen werden, dann ist das eine außerordentliche Leistung. Einfach erstaunlich ist es, daß
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5155
Dr. Vogel
sie ohne noch größere Preisanhebungen und Verteuerungen zustande gekommen ist. Der Index, den ich gestern noch in der Hand hatte, war niedriger als der, den ich erwartet hatte, und die neuesten Untersuchungen, die das Statistische Bundesamt angestellt hat, bringen ein neues Licht in die Meßziffern. Ich stelle mit Erleichterung fest, daß wir bis jetzt von höheren Teuerungsschätzungen ausgegangen sind.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu einer Nachricht sagen, die hier, wie ich glaube, über Gebühr aufgebauscht worden ist. Heute morgen lasen wir in der „Welt" eine Information über einen angeblichen Kabinettsbeschluß, der gestern in bezug auf neue Leistungen gegenüber den Vereinigten Staaten gefaßt worden sein soll. Ich war, als ich diese Meldung in die Hand bekam, genauso betroffen wie Kollege Ritzel und habe als Haushaltsobmann meiner Fraktion sofort den Herrn Bundeskanzler gefragt, was es damit für eine Bewandtnis habe. Der Herr Bundeskanzler hat mir sofort versichert, daß es sich dabei keineswegs uni Kabinettsbeschlüsse handelt, sondern um Überlegungen, die selbstverständlich jedes Kabinett in Europa vorher anstellen wird, wenn ihm der Besuch des amerikanischen Unterstaatssekretärs mit bestimmten Absichten angekündigt wird. Ich glaube, man sollte die Bedeutung dieses Vorgangs nicht übertreiben.
Vor allen Dingen hat mich die, ich möchte einmal sagen, übermenschliche Rolle geradezu etwas betroffen gemacht, die ein paar armen TO.A-III-Angestellten - vielleicht waren es auch TO.A-II-Angestellte — in New-Delhi zugemutet wird: Sie sollten den indischen Herrn Ministerpräsidenten rechtzeitig davon unterrichten, was er zu der deutschen Wiedervereinigungsfrage zu sagen habe!
— Lieber Kollege Ritzel, ich möchte nicht, daß hier ein Schatten auf meine ausgezeichneten persönlichen Beziehungen zu dem früheren Botschafter, dem Kollegen Professor Dr. Meyer fällt, der in Indien eine ausgezeichnete Tätigkeit entfaltet hat. Aber wenn es seinem vorzüglichen Verhältnis zu Nehru, wenn es den wiederholten Spaziergängen Arm in Arm mit dem verstorbenen Vizekanzler Blücher, der sich seines besonderen Vertrauens erfreute, wenn es den Bemühungen von Professor Erhard — und den ganz bescheidenen Bemühungen auch einer kleinen deutschen Parlamentarier-Konferenz — in Unterredungen mit Nehru nicht gelungen ist, den indischen Ministerpräsidenten davon abzuhalten, in einem Presseinterview, so möchte ich es bezeichnen, einen Lapsus linguae zu begehen, dann sollte man doch nicht von kleinen deutschen Angestellten eines Informationsdienstes draußen übermenschliche Dinge verlangen!
Herr Kollege Ritzel, Sie haben gesagt, die SPD hätte die Absicht, einen Antrag einzubringen, wonach die Auswirkungen des Parkinsonschen Gesetzes — um es auf diesen Nenner zu bringen — wissenschaftlich analysiert werden sollen. Wir werden einem jeden derartigen Beginnen frohen Herzens zustimmen. Aber wir werden uns dabei
auch gleichzeitig mit Skepsis wappnen. Denken Sie an die traurige Geschichte all derartiger Versuche in der Vergangenheit; sie haben dieses Gesetz, glaube ich, wenig ändern können. Solange sich dieses Hohe Haus nicht entschließt, bei seinen kommenden Gesetzen etwas mehr auf die Kostenfrage zu achten als bisher, hat es keinen Sinn, sich darüber zu beschweren, daß sich die Bürokratie ausbreitet.
Was die Steigerung der Preise und die damit zusammenhängenden Fragen anbelangt, so werde ich dazu einiges in meinen weiteren Ausführungen sagen. Aber ich möchte der morgigen Debatte nicht vorgreifen. Ich weiß, daß im Hintergrund nicht nur die Messer geschliffen, sondern ja auch bereits die Sensen gedengelt werden. Aber es muß etwas gesagt werden, um die Dinge richtig darzustellen und die deutsche Öffentlichkeit vor Übertreibungen zu warnen, die in der letzten Zeit offenbar ein wenig überhand genommen haben. Ich wäre dankbar gewesen, wenn mein Vorredner auch festgestellt hätte, daß neben einem unbestreitbaren Anstieg der Preise gerade gegenwärtig vor Weihnachten eine ebenso unbestreitbare Tendenz zu sinkenden Preisen vermerkt werden kann.
Das sollte man entsprechend würdigen.
Lassen Sie mich nun zu dem kommen, was ursprünglich als eigentliche Konzeption meiner Rede zur Einbringung des Haushalts gedacht war.
Der Herr Bundesfinanzminister und sein Haushalt 1960 haben in der deutschen Fachpresse eine höchst unterschiedliche Behandlung erfahren. In einem der bekanntesten Organe ist er wenig erfreulich weggekommen. „Der Volkswirt" z. B. überschrieb seine Betrachtung zum Haushalt mit „Finanzpolitischer Seiltanz". Der Bund der Steuerzahler machte es diesmal gnädiger und empfahl den Abbau der Subventionen, ohne allerdings zu sagen, ob er auch damit einverstanden sei, daß bestimmte steuerliche Vorteile, die gerade den hinter ihm stehenden Kreisen zugute kommen, ebenfalls abgebaut werden sollten. Diese Frage aber muß man beantworten, wenn man von einem Abbau der Subventionen als einem Allheilmittel spricht.
Das größte Fragezeichen, das im Haushalt 1960 gesetzt werden könnte, gehört nach meiner Ansicht hinter das Kapitel der Anleihen. Es ist hier wiederholt, auch bei der. Beratung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes, vorgeschlagen worden, eine Dekkung für den Finanzbedarf stärker als bisher auf dem Anleihemarkt zu suchen. Meine Damen und Herren, wenn es in den kommenden Monaten um die Verabschiedung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes geht, warne ich Sie sehr, sich der Hoffnung hinzugeben, daß für diese Zwecke Milliardenbeträge aus dem deutschen Kapitalmarkt geschöpft werden könnten. Wenn der Bund nicht in der Lage war, ihm größere Beträge zu entnehmen, als er es bisher tatsächlich vermochte — obwohl er Bedingungen eingegangen ist, die höchst lukrativ sind
5156 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 10. Dezember 1959
Dr. Vogel
—, dann wird es der Offa oder einer anderen Gesellschaft noch wesentlich schwerer als dem Bund fallen, hier zum Zuge zu kommen. Halten Sie sich doch bitte das Schicksal der Bundesbahn- und der Bundespostanleihe von vor zwei Monaten vor Augen und messen Sie daran einmal die Chancen künftiger Anleihen!
Ich stehe nicht an zu erklären, daß der Bundesfinanzminister völlig recht hat, wenn er sagt, bei einer Zeichnung von 11 Milliarden DM festverzinslicher Werte im abgelaufenen Jahr sollte es nicht unmöglich sein, außer den geplanten Bundespost- und Bundesbahnanleihen und den sonstigen Anleihen der Länder und Kommunen drei Milliarden DM Bundesanleihen unterzubringen. Aber wir leben in einem Rechtsstaat; der Bundesfinanzminister ist gar nicht in der Lage, hier etwas zu erwirken oder zu bewirken, wenn auf der anderen Seite die Bundesbank, die Großbanken und die sonstigen an solchen Zeichnungen beteiligten Konsortialbanken nicht freiwillig mitziehen. Wir haben doch in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß man nicht ohne weiteres bereit ist, für die Zeichnung von Bundesanleihen in einer solchen Größenordnung einzutreten.
Ich möchte also ein Fragezeichen hinter diese drei Milliarden DM Bundesanleihen des Jahres 1960 setzen. Wir werden wohl nicht fehlgehen in der Erwartung, daß notfalls durch Einsparungen und vielleicht auch durch mittelfristige Finanzierungen ein Übergang gefunden werden muß, wie er auch in diesem Jahr gefunden wurde. Ich halte diesen Weg gar nicht einmal für schlecht und ungangbar.
Wir dürfen dabei schließlich nicht die noch offenstehenden Forderungen vergessen, die der Bundesfinanzminister nicht voll aufgezählt hat; er sprach von den Forderungen der Länder. Mein Freund Niederalt wird nachher noch nähere Ausführungen dazu machen. Aber der Bundesfinanzminister weiß auch um die Forderungen, die z. B. vielleicht von den Vereinigten Staaten an uns gestellt werden. Er weiß auch von den Wiedergutmachungsforderungen uns verbündeter Nationen, die gleichfalls noch ausstehen.
Von meinem Herrn Vorredner ist bezüglich der Versicherungsanstalten die Summe von 1,9 Milliarden zitiert worden. Auch darüber wird man sich einmal einigen müssen.
Es ist die Größe X angesprochen worden, die für den Bund in den neu angekündigten oder in den bereits vollzogenen Tarifkündigungen liegt. Lassen Sie mich einmal ein offenes Wort zu der Begründung sagen. Die Beamten können ja keine Tarife kündigen. Aber in einem Organ, das mir mit der Post zugeschickt worden ist, lese ich die ganz schlichte und einfache Begründung: Da der Bund in diesem Jahre ein Mehraufkommen an Steuern von 1,2 Milliarden habe, sei es wohl nicht mehr als recht und billig, daß die Beamten jetzt eine Gehaltsaufbesserung von 15 % bekämen.
- Aber bitte, lesen Sie es doch in der letzten Nummer dieses Organs selber nach! Man sollte sich
wirklich etwas mehr darum bemühen, die Argumentation zu vertiefen.
Ich möchte auch hier ganz offen folgendes aussprechen, Herr Kollege Dr. Schäfer: Wenn die deutsche Beamtenschaft glaubt, mit der Konjunktur gehen und an jeder Lohnerhöhung partizipieren zu müssen, setzt sie sich — das wissen Sie genauso gut wie ich — der ungeheuren Gefahr aus, daß sie nachher, wie es in der Vergangenheit schon einmal passiert ist — mit der Brüningschen Notverordnung von 20 % —, auch Abschläge hinnehmen muß, von denen sie jetzt bei der Rezession verschont geblieben ist. Das ist ein sehr gefährlicher Weg, und ich wünschte, daß die deutsche Beamtenschaft ihn nicht geht.
Allerdings werden wir unsere Augen nicht davor verschließen können, daß die Angestelltenrenten in der heutigen Entwicklung im Vergleich mit den Beamtenpensionen einen Stand erreicht haben, der einmal unserer besonderen Beachtung wert ist.
Lassen Sie mich nun auf eine der Kernfragen dieses Haushalts eingehen. Diese Frage lautet schlicht: Kann sich das deutsche Volk einen Haushalt in der Größenordnung von über 42 Milliarden DM leisten? Diese Frage ist nur zu berechtigt. Wer in der letzten Zeit einmal Gelegenheit hatte, die Vereinigten Staaten zu besuchen und sich dort mit Finanzexperten zu unterhalten, wird sehr bald auf ein Problem stoßen, das mein Herr Vorredner vorhin angesprochen hat, als er den Einzelplan 14 streifte. — Herr Kollege Ritzel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt besonders intensiv zuhörten! — Vorhin ist der Regierung von meinem Herrn Vorredner der Vorwurf gemacht worden, sie habe es versäumt, die deutschen Kriegsfolgeleistungen bei der Anrechnung der deutschen Rüstungsbeträge voll und ganz zu vertreten und durchzusetzen. Herr Kollege Ritzel, ich möchte dazu mit allem Freimut und in aller Offenheit folgendes sagen. Daß es überhaupt gelungen ist, den deutschen Beitrag heute auf 4,7 % zu halten — gemessen an den 12 % der Vereinigten Staaten —, verdanken wir einzig und allein der Tatsache, daß die andere Seite anerkannt hat, daß wir bestimmte Kriegsfolgelasten hatten. Glauben Sie denn ernstlich, ein Volk wie die Amerikaner oder die Engländer — die 11 % ihres Haushalts dafür ausgeben — ließe es sich auf die Dauer bieten, daß das deutsche Volk bei der Verteidigung mit 4,7 % davonkommt, während die Verbündeten das Doppelte und das Dreifache zu leisten haben?
Ich möchte die Dinge hier einmal völlig klarstellen.
Wir kannten die Hartnäckigkeit des Bundesfinanzministers Schäffer, und Sie werden genau wie ich anerkennen, daß er gerade die Leistungen für Berlin, die Leistungen für die Heimatvertriebenen, für den Lastenausgleichsfonds, für die zerstörten Wohnungen etc. in zähen und unermüdlichen Verhandlungen ins rechte Licht gerückt hat. Das ist sein historisches
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5157
Dr. Vogel
Verdienst, und das sollte auch nicht geschmälert werden.
— Das erkenne ich ebenso an, und ich zögere auch nicht, das zu sagen. Aber, Herr Kollege Barsig, wenn Sie sich einmal mit amerikanischen Experten darüber unterhalten haben, dann wissen Sie doch, in welcher Situation wir uns befinden, wenn wir denen erst mühsam aufzählen müssen, was wir für Lasten haben.
— Ich bitte wegen der Namensverwechslung um Entschuldigung.
Zurück zum Thema. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich mit der ersten deutschen Parlamentsdelegation einer Einladung der Hansard-Society folgte — die englische Regierung wagte es damals, 1949/50, noch gar nicht, uns einzuladen — und nach England kam. Als wir aus .dem Parlamentsgebäude heraustraten, fanden wir ein uraltes Vehikel vor dem Parlamentsgebäude, und als wir darüber eine kleine Bemerkung machten, bekam ich vom Herrn Stephen King-Hall, der vielen von Ihnen ein Begriff ist, eine geradezu klassische Antwort. Er sagte: Meine lieben deutschen Freunde, ich glaube, wir Engländer müssen noch einen dritten Weltkrieg verlieren, damit ihr uns in einem Mercedes 300 nachher abholt, während wir als Siegernation mit dem Fahrrad fahren werden! Das war in der Zeit, in der wir unseren Verwandten in England noch ein Speckpaket mitbrachten — 1950 —, während die siegreiche Nation noch ihre Lebensmittelkarten hatte.
Ich möchte hier einmal vor dem Hohen Hause eine Warnung aussprechen. Sehr viele im deutschen Volk glauben, das deutsche Volk habe nach zwei Katastrophen einen historischen Anspruch darauf, auf einer Insel der Seligen einer glücklichen Zukunft entgegenzuleben und andere den größten Teil seiner eigenen Sicherheit gewährleisten und dafür zahlen zu lassen.
Wir haben heute bei uns bereits vielfach einen Grad an Opferunwilligkeit gegenüber dem Staat erreicht, der uns allen, ob wir nun in der Regierungskoalition oder in der Opposition sitzen, ernstlich zu denken geben sollte. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob wir bereits alles getan haben, um noch die Reste des guten Willens zu mobilisieren, die heute noch im deutschen Volk vorhanden sind.
Während der Parlamentarierkonferenz in Washington ist ein Gedanke aufgekommen, der sich in der letzten Zeit infolge der steigenden Bedeutung der konventionellen Waffen wieder darbietet. Gerade bei den kommenden Haushaltsberatungen über den Einzelplan 14 — Verteidigung — sollten wir uns ernsthaft überlegen, ob wir nicht in stärkerem Maße als bisher auf freiwilliger Basis allen denjenigen eine Möglichkeit geben sollten, sich in Kursen für die Territorialarmee zur Verfügung zu stellen, die
dazu heute noch freiwillig bereit sind. Wir könnten damit versuchen, einen Beitrag über die 12 Divisionen hinaus zu leisten, die aufzustellen wir uns in den Pariser Verträgen verpflichtet haben. Ich weiß, daß man über den militärischen Effekt einer solchen Aufstellung sich vielleicht noch unterhalten muß, Kollege Kreitmeyer, aber darauf kommt es hier nicht an. Vielmehr kommt es darauf an, dem im deutschen Volk noch vorhandenen good will eine Möglichkeit zur Entfaltung zu geben.
— Ich freue mich, daß wir da übereinstimmen.
Ein zweiter Punkt verdient, heute oder später noch einmal vertieft zu werden. Wir können unsere Augen nicht vor dem weltweiten Diffamierungsfeldzug gegen die Bundesrepublik schlechthin verschließen. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß heute von seiten des Ostblocks — wobei man den Leuten in Pankow, aber auch den Polen und den Tschechen ganz besondere Aufgaben zugewiesen hat — versucht wird, in der Welt den Eindruck zu erwecken, die Bundesrepublik sei nichts weiter als die Erbin des Naziregimes von 1933 bis 1945 und die Bundeswehr nichts weiter als ein Haufen revanchelüsterner Soldaten, die bereit seien, über friedliebende Nachbarn herzufallen. Wir dürfen uns über die ungeheure Gefährlichkeit einer solchen Unterstellung, die draußen dem Ausland eingehämmert wird, nicht hinwegtäuschen! Es gibt leider draußen Leute genug, die auf Grund der bitteren Erfahrungen, die sie mit uns Deutschen in zwei Weltkriegen gemacht haben, solchen Einflüsterungen heute ein offenes Ohr leihen. Wer sich einmal offenen Auges die Fernsehprogramme in den Vereinigten Staaten ansieht, wer sich dort die Masse der neuen Hetzfilme ansieht und sich bestimmte Radiosendungen anhört, die in steigendem Maße gesendet werden, der wird einfach nicht daran vorbei können, festzustellen, daß es sich hier um einen groß angelegten Feldzug zur Diffamierung der Bundesrepublik handelt. Das Hohe Haus wird sich zu überlegen haben, was es dagegen zu unternehmen bereit ist.
— Auch in Deutschland, Herr Schmitt. Wir sind durchaus bereit, das auch hier zu tun.