Rede:
ID0309301900

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Vogel.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 93. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1959 Inhalt: Nachruf auf die Opfer der Staudammkatastrophe bei Fréjus . . . . . . . 5119 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Diel und Wittmer-Eigenbrodt . . . 5119 A Begrüßung der Senatoren Johnston und Case des amerikanischen Senats . . . 5132 A Wahl des Abg. Niederalt in den Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung 5119 B Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das .Rechnungsjahr 1960 (Haushaltsgesetz 1960) (Drucksache 1400) — Erste Beratung — Etzel, Bundesminister . . 5119D, 5172 A Ritzel (SPD) 5137 D, 5172 D Dr. Vogel (CDU/CSU) 5151 C Lenz (Trossingen) (FDP) . . . . 5161 D Niederalt (CDU/CSU) 5167 C Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Rechnungsjahres an das Kalenderjahr (Drucksache 1435) ; Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 1448) — Zweite und dritte Beratung — Ritzel (SPD) 5133 D Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (CDU/CSU) (Drucksache 515); Berichte des Haushaltsund des Finanzausschusses (Drucksachen 1346, 1270, zu 1270) — Zweite und dritte Beratung — Frau Beyer (Frankfurt) (SPD) . . 5134 C, 5136 A Wieninger (CDU/CSU) 5135 C Dollinger (CDU/CSU) . . . . . 5136 B Zur Tagesordnung Rösing (CDU/CSU) . . . . . . . 5136 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und Italiens zu den zwischen den Regierungen Belgiens, Frankreichs, Luxemburgs, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland geschlossenen und am 17. April 1950 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommen über Grenzarbeitnehmer und über Gastarbeitnehmer (Drucksache 1188); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 1447) — Zweite und dritte Beratung — 5136 D Sammelübersicht 15 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 1427) 5137 A II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und des Umsatzsteuergesetzes (SPD) (Drucksache 1403) — Erste Beratung — . . . . . . . . 5137 B Antrag der Abg. Wilhelm, Bach, Ritzel, Schmitt (Vockenhausen) u. Gen. betr. Abgeltungsbetrag und Härteausgleichszahlung für Arbeiter, Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes im Saar land (Drucksache 1453) 5137 B Antrag des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes betr. Zustimmung zur Veräußerung einer Beteiligung an der Deutsche Wochenschau GmbH, Hamburg (Drucksache 1039); Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 1474) Lohmar (SPD) . . 5176 D, 5179 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . . 5178 C Dr. Lindrath, Bundesminister . . . 5179 C Entwurf einer Zehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 (Vorprodukte zur Herstellung von Hormonen usw.); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1454, 1475) 5180 C Entwurf einer Elften Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 (Zolltarifvereinbarungen mit der Schweiz usw.) ; Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1455, 1476) . . . 5180 C Entwurf einer Zwölften Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 (Gefriergemüse usw.); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1462, 1478) Wehr (SPD) 5180 D Nächste Sitzung 5181 C Anlagen 5183 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5119 93. Sitzung Bonn, den 10. Dezember 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 12. 12. Blachstein 11. 12. Brüns 12. 12. Dr. Dahlgrün 11. 12. Dr. Deist 10. 12. Dr. Dittrich 12. 12. Dopatka 11. 12. Engelbrecht-Greve 11. 12. Even (Köln) 11. 12. Gaßmann 11. 12. Gedat 12. 12. Geiger (München) 11. 12. Gewandt 12. 12. Dr. Gradl 12. 12. Dr. Greve 12. 12. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 12. 12. Hellenbrock 10. 12. Hilbert 15. 12. Jacobi 10. 12. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Kemmer 11. 12. Frau Klemmert 11. 12. Könen (Düsseldorf) 10. 12. Dr. Kopf 11. 12. Dr. Kreyssig 10. 12. Kriedemann 12. 12. Dr. Löhr 10. 12. Lulay 31. 12. Maier (Freiburg) 15. 12. Margulies 11. 12. Prennel 12. 12. Rademacher 11. 12. Rasner 11. 12. Dr. Ratzel 11. 12. Richarts 11. 12. Scheel 11. 12. Dr. Schild 11. 12. Schoettle 12. 12. Dr. Starke 12. 12. Stenger 11. 12. Frau Strobel 10. 12. Theis 12. 12. Dr. Willeke 12. 12. Wittmer-Eigenbrodt 11. 12. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Memmel betreffend Bundesmittel für die bayerischen Winzergenossenschaften (Fragestunde der 89. Sitzung vom 11. 11. 1959, Drucksache 1347) : Ich frage die Bundesregierung, welche Mittel - aufgegliedert nach verlorenen Zuschüssen und zinsverbilligten Darlehen - bisher den bayerischen Winzergenossenschaften vom Bund zugeflossen sind. In Ergänzung der in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 11. November 1959 mündlich erteilten Antwort darf ich mitteilen, daß nach Angaben des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bayerische Winzergenossenschaften seit dem Jahre 1954 bis zum Abschluß der Zinsverbilligungsaktion „Anschaffung von Gemeinschaftseinrichtungen und -maschinen" am 30. Juni 1959 Darlehen von insgesamt 956 500 DM in Anspruch genommen haben, die mit Bundesmitteln zinsverbilligt wurden. Schwarz Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat zu Punkt 2 der Tagesordnung der 93. Sitzung des Deutschen Bundestages den Änderungsanträgen zur 2. Beratung des Entwurfs des 10. Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Umdrucke 447 und 449) zugestimmt, weil sich diese mit einem Änderungsantrag decken, den die Fraktion ,der FDP als Umdruck 450 eingebracht hat, der aber nicht mit zur Abstimmung gestellt werden konnte, weil er infolge eines eigenen technischen Versehens dem Hohen Hause zu spät vorgelegt wurde. Mauk Dr. Bucher Anlage 4 Umdruck 447 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen 515, 1270, zu 1270). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 wird die neugefaßte Ziffer 4a des § 4 wie folgt ergänzt: i. Hinter dem Wort „Früchte" wird das Wort „ , frisch, " eingefügt. 2. Hinter den Worten „Gemüse und Küchenkräuter" wird das Wort „ , frisch," eingefügt. 3. Hinter den Worten „Kaffee-Ersatzmittel und Kaffee-Ersatzmittelextrakte" wird das Wort „Kindernährmittel" neu eingefügt. Bonn, den 8. Dezember 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 5 Umdruck 449 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur zweiten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen 515, 1270, zu 1270). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 wird die neugefaßte Ziffer 4a des § 4 wie folgt ergänzt: 1. Hinter dem Wort „Früchte" wird das Wort „ , frisch," eingefügt. 2. Hinter den Worten „Gemüse und Küchenkräuter" wird das Wort „ , frisch," eingefügt. Bonn, den 9. Dezember 1959 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Heinrich Georg Ritzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Während der Ausführungen, mit denen der Herr Bundesfinanzminister heute vormittag den Entwurf des Haushaltsplans 1960 begründete, kam mir wiederholt ein Stoßseufzer des Marschalks in Goethes „Faust" in Erinnerung: „Welch Unheil muß auch ich erfahren, wir wollen alle Tage sparen, und brauchen alle Tage mehr."

    (Heiterkeit und Zurufe.)

    5138 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Ritzel
    So ungefähr klang das durch zahlreiche Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers hindurch. Ich glaube sagen zu dürfen, daß alle Fraktionen des Hohen Hauses für einen solchen Stoßseufzer des Finanzministers volles Verständnis aufbringen.
    Der Etat, der uns hier im Entwurf vorgelegt wird, ist in diesem Jahre wiederum — obwohl er nur für ein dreiviertel Jahr bemessen ist, oder gerade um dessentwillen — als ein Überrollungsetat zu betrachten und zu bezeichnen. Eine Fülle von Positionen wird unverändert aus dem Jahre 1959 übernommen.
    Ich möchte diese Tatsache aber zum Anlaß nehmen, um einmal in aller Öffentlichkeit eine Warnung auszusprechen. Dieses an sich recht bequeme System der Überrollung enthält auch die Gefahr einer Versteinerung von Titeln, der Bewilligung von Mitteln, die bei einer neuen kritischen Nachprüfung, für die im Haushaltsausschuß keine zeitliche Möglichkeit besteht, wahrscheinlich in nicht seltenen Fällen herabgesetzt werden könnten.
    Ich will mich gleich mit einem weiteren Ausgleichsproblem — auch die Überrollung ist im gewissen Sinne ein Ausgleichsvorgang - auseinandersetzen, das in dem Haushaltsgesetzentwurf wie in vergangenen Jahren wiederum auftaucht, mit der Kürzung der Gesamttitel, soweit sie nicht auf gesetzlichen Verpflichtungen und vertraglichen Abmachungen beruht. Es soll wieder eine Kürzung von 6 a/0 durchgeführt werden. Ich darf schon hier erklären, daß meine Fraktion bei der zweiten und i dritten Beratung der Kürzung mindestens auf dem Gebiete des Wohnungsbaues und des Straßenbaues widersprechen wird und daß wir darum ,bitten müssen, diese wichtigen Gebiete der Bundespolitik von der Kürzung frei zu lassen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir vermißten heute morgen in den tiefgründigen Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers klare Hinweise auf das, was uns seit Jahren auf den Nägeln brennt, nämlich praktische Hinweise auf Sparmöglichkeiten. Es ist nicht das erstemal, daß Redner meiner Fraktion von diesem Platz aus einer Einsparung von Ministerien das Wort reden. Wir wünschen endlich eine Durchforstung der Ministerien, um Überflüssiges auszuschneiden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind auch enttäuscht darüber, daß die gute Erkenntnis des Herrn Bundesfinanzministers auf dem Gebiet der Zahlung weithin übersetzter Subventionen, obwohl die Erkenntnis jetzt schon geraume Zeit gewonnen wurde, nicht zu konkreten Vorschlägen geführt hat. Aus den früheren schriftlichen Darlegungen und aus den Berechnungen ergibt sich, daß heute — ich kann die Zahl nicht genau nachprüfen — im Etat eine aus den verschiedensten Anlässen herrührende Subventionsfülle im Gesamtwert von 13 Milliarden DM steckt. Wenn wir annehmen, daß wir davon nur 10 % einsparen, würden wir zum Ausgleich 1,3 Milliarden DM, bei einer Einsparung von 20 % 2,6 Milliarden DM zur Verfügung haben. Ich hätte mir denken können, daß es die Pflicht der Regierung ist, bereits bei der Einbringung des Haushalts dem Hause mit ganz bestimmten Vorschlägen gegenüberzutreten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Soweit ich bis jetzt die Einzelpläne durchgesehen habe, vermisse ich in dem Haushaltsplanentwurf auch eine Aktivität der Regierung zu weiteren Einsparungen etwa durch die Technisierung der Verwaltung. Der Bund der Steuerzahler hat nicht zu Unrecht auf ein Gutachten des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hingewiesen, aus dem sich ergeben hat, welch erstaunliche Einsparungen durch eine Technisierung des technischen Apparates der Verwaltung gemacht werden konnten. Hier scheint es mir des Schweißes der Edlen im Finanzministerium und in der gesamten Bundesregierung wert, nun endlich einmal mit Hilfe des Bundesbeauftragten in allen in Frage kommenden Ressorts Vorschläge auszuarbeiten, wie durch eine Technisierung wirklich größere Mittel in dem Etat eingespart werden können.
    Auch außerhalb der Ministerien bestehen Sparmöglichkeiten. Es ist noch kein Ansatz zu entdekken, daß diese genutzt werden. Ich nenne den Paßkontrolldienst, die Verkehrssünderkartei, das Bundesamt für äußere Restitution, das Bundesamt für innere Restitution und die Sparmöglichkeiten, die vielleicht auch im Rahmen einer Reform des Haushaltsrechts liegen.
    Meine Damen und Herren, die Bundesfinanzpolitik, wie sie uns heute von dem Herrn Bundesfinanzminister dargelegt wurde, kann man von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beurteilen. Man kann in guten Treuen dieser oder jener Meinung sein. Man sollte aber in bezug auf die Notwendigkeit, sich an eine alte Geschichte aus der Bibel zu erinnern, nicht verschiedener Meinung sein. Es ist jene Geschichte von dem Beispiel Josephs von Ägypten, die Geschichte von den sieben mageren und den sieben fetten Jahren. Steuerpolitisch gesehen sind wir augenblicklich in dem Zyklus der sieben fetten Jahre, und ich könnte mir gut denken, daß sich die Bundesfinanzpolitik an diesem geschichtlichen Beispiel orientieren könnte.
    Ich bin auch durchaus bereit, anzuerkennen, daß die Politik des verflossenen Herrn Bundesfinanzministers, die zu dem „Juliusturm" geführt hat, in weiten Teilen nicht ganz so unglücklich war, wie sie heute in der öffentlichen Meinung vielfach dargestellt wind.

    (Abg. Niederalt: Haben Sie das damals auch gesagt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Jawohl, Herr Kollege Niederalt! Wenn Sie sich einmal liebenswürdigerweise der Mühe unterziehen wollten, nachzulesen, was damals gesagt worden ist, dann hätten Sie es in der Beurteilung leichter. Zur Gedächtnisstärkung darf ich Sie an einen Antrag aus der Etatberatung 1959 erinnern, der von Ihnen abgelehnt worden ist. Der Antrag ging dahin, der Bundestag möge beschließen, die Bundesregierung zu ersuchen, zur Regelung der Überschußverwen-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5139
    Ritzel
    dung bzw. der Defizitdeckung das in Belgien praktizierte System eines sogenannten Ausgleichsfonds, wonach die Haushaltsdefizite aus Jahren ungünstiger Wirtschaftskonjunktur mit einem Teil der im Konjunkturanstieg sich erhöhenden Fiskalerträgnisse verrechnet werden, zu prüfen und dem Bundestag bis zum 31. Oktober 1959 hierüber einen Bericht vorzulegen.

    (Abg. Niederalt: Herr Kollege Ritzel, haben Sie einen guten Schlüssel zum Juliusturm?)

    — Herr Kollege Niederalt, erstens bin ich kein Schlüsselbewahrer, und zweitens lege ich keinen Wert auf einen Schlüssel zu einer Einrichtung, in der nichts mehr ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat dem Etatentwurf eine optimistische Steuererwartung zugrunde gelegt. Ich teile diesen Optimismus. Ich bin der Auffassung, daß die Ansätze nicht ungerechtfertigt sind. Es kann natürlich passieren, daß ,sie nicht ganz erreicht werden, es kann passieren — wie im Rechnungsjahr 1959 —, daß die Tatsachen die Erwartungen hinter sich la ss en. Das ist durchaus möglich. Niemand ist \\auf diesem Gebiet ein Prophet. Man kann nur tun, was zu verantworten ist. Aber der Herr Bundesfinanzminister betont immer wieder, wenn nicht neue Tatsachen einträten, die zu bestimmten Maßnahmen zwängen, dürften keine neuen Steuern vorgesehen werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat das, wie ich einer Zeitungsnotiz entnommen habe, vor einigen Monaten auch auf einer CDU-Veranstaltung in Frankfurt sehr deutlich gesagt. Ich habe mich darüber gefreut. Nur eines ist nicht ganz in Ordnung: In den Darlegungen des Herrn Bundesfinanzministers kam wiederholt die Einschränkung „in den nächsten drei Jahren" vor. Nun, ein Jahr ungefähr liegt in der Vergangenheit. Wenn das zweite und das folgende Jahr abgelaufen sind, dann ist ein Zeitpunkt erreicht, der nach den nächsten Bundestagswahlen liegt. Herr Bundesfinanzminister, es ist keine reine Freude, immer wieder eine Ankündigung zu hören, die praktisch bedeutet: „nach uns die Sintflut" oder „wenn wir erst einmal die Ernte in der Scheuer haben, so findet sich das andere schon von selbst". Außerdem stimmt die Ankündigung nicht ganz.
    Herr Finanzminister, Sie haben heute morgen in Ihrer Rede den Versuch gemacht, die bestehenden Pläne z. B. auf dem Gebiet der Mineralöl- und der Heizölsteuer usw. in ihrer Bedeutung etwas abzuschwächen. Ich habe dafür Verständnis. Andererseits hört man draußen nur das Negative, d. h. man sieht vor allem nur die effektiv in Erscheinung tretende Steuererhöhung.
    In diesem Zusammenhang brennt mir immer noch ein anderes Wort im Gedächtnis. Sie haben einmal geäußert, Herr Bundesfinanzminister, eine Erhöhung der Kriegsopferrente sei letzten Endes nur bei Erschließung neuer Steuerquellen möglich. Das ist jetzt dadurch einigermaßen verkleistert worden, daß man den Termin für die Erhöhung der Kriegsopferrenten bis zum 1. Juni 1960 hinausgeschoben hat. Aber das Wort steht noch immer, wie der Herr Bundessozialminister zu sagen pflegt, im Raume, und weil es im Raume steht, müssen wir höllisch aufpassen, daß nicht die Kriegsopferversorgung nach draußen hin als Anlaß zu einer Steuererhöhung angegeben wird. Es gibt im Rahmen des Etats ganz andere Dinge, die man zur Grundlage für eine etwaige Steuererhöhung machen kann.
    Aus dem Etat ergeben sich auch eine Reihe von anderen Überlegungen. Da haben wir z. B. — das hat auch den Bundesrat gereizt — den Vermerk über die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen. Wir bedauern schon seit Jahren, daß hier keine eigentliche Kontrolle des Parlaments gegeben ist, und wir wünschen eine solche Kontrolle.
    Im Bundesrat wurde errechnet, daß im Jahre 1960 die Summe der Bürgschaftsverpflichtungen etc. bis zum Betrag von 35 Milliarden anwachsen könnte. Das ist eine Feststellung, die sehr bedenklich stimmt. Ich möchte dazu aus grundsätzlichen Erwägungen folgendes feststellen. Die jährlichen Ermächtigungen durch das Haushaltsgesetz geben der Regierung und dem Parlament Anlaß zur Überprüfung der eingegangenen Verpflichtungen. Angesichts der Größenordnungen dieser Ermächtigungen und der mit ihnen verbundenen Risiken ist eine jährliche Überprüfung finanzpolitisch notwendig. Umfang und Dringlichkeit der Ermächtigungen müssen mit den Bedürfnissen und den finanziellen Möglichkeiten des Bundeshaushalts abgestimmt werden. Dies ist nur bei den jährlichen Haushaltsberatungen möglich. Wir begrüßen daher die Zusammenfassung der Ermächtigungen im Haushaltsgesetz. Wir alle sollten in jedem Fall an dieser Regelung festhalten.
    Ich betone dies besonders, weil Anlaß zu der Befürchtung besteht, daß es nicht dabei bleiben soll. Offenbar werden im Schoße der Bundesregierung schon wieder Erwägungen angestellt, diese Regelung zu ändern und durch ein Sondergesetz zu ersetzen oder zu vervollständigen. Wir sollten dabei nicht mitmachen, sondern dieses Problem einmal mit aller gebotenen Gründlichkeit im Haushaltsausschuß erörtern.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat sich im Verlaufe seiner Darlegungen wiederholt auch mit der sehr massiven Warnung des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank — wie es in der Zeitung hieß: „der Hüterin unserer Währung" — befaßt. Zu den Hütern unserer Währung zähle ich vor allem und in erster Linie auch das Parlament, das in dieser Hinsicht eine Verpflichtung hat und sie auch nicht außer acht lassen darf und sie meiner Überzeugung nach auch nicht außer acht lassen wird. - Der Zentralbankrat hat erklärt, daß er mit Sorge die beim Bund, bei den Ländern und den Gemeinden festzustellende Tendenz einer fortgesetzten, zum Teil beträchtlichen Steigerung der Ausgaben beobachte. Er bezeichnet diese Tendenz als um so bedenklicher, als offenbar nicht daran gedacht sei, auch für eine entsprechende Zunahme der ordentlichen Einnahmen durch Steuererhöhungen zu sorgen. Nun, die bessere Erkenntnis auf diesem Gebiete, ob also eine Notwendigkeit für Steuererhöhungen gegeben ist, liegt in erster Linie bei der Bundesregierung.
    5140 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1,0. Dezember 1959
    Ritzel
    Der Zentralbankrat sagt, er halte es deshalb finanzpolitisch nicht für vertretbar, Ausgaben aus dem ordentlichen in den außerordentlichen Haushalt zu verlagern und dafür Deckung durch Kreditaufnahme, vorzusehen, die Einstellung von Ausgaben in den außerordentlichen Haushalt grundsätzlich solchen Ausgaben vorzubehalten, die zeitlich verschoben oder sachlich gekürzt werden könnten, wenn sich die Aufbringung der erforderlichen Deckungsmittel am Kapitalmarkt als unmöglich erweisen sollte. — Dazu möchte ich folgendes sagen. Im Grunde ist die Forderung berechtigt, man soll in den außerordentlichen Haushalt, dessen Dekkung durch Kapitalaufnahmen erfolgen soll, nur diejenigen Aufgaben hineinnehmen, die gegebenenfalls ohne großen Schaden und ohne Vertrags- und Rechtsbrüche auch unterlassen werden können.
    Aber wir stimmen dem Herrn Bundesfinanzminister auch darin zu, daß in den außerordentlichen Haushalt — das entspricht einer alten Forderung meiner Fraktion — vor allem auch die vermögenswirksamen Ausgaben hineingehören. Wir haben eine ungute Erinnerung an vergangene Tage. Damals wurden unter der Leitung des früheren Herrn Finanzministers im laufenden Haushalt, also zu Lasten von Steuereinnahmen, fortgesetzt riesige vermögenswirksame Beträge gebucht, Beträge, auf die ich nachher noch des näheren zu sprechen kommen werde, die einfach nicht anders als als vermögenswirksame Ausgaben betrachtet und behandelt werden durften und nicht in den außerordentlichen Haushalt hineingehörten.
    Zu der Warnung des Zentralbankrates noch ein Wort! Ich fürchte, daß die Herren vom Zentralbankrat übersehen haben, welche Bedeutung die bisherigen Bundesleistungen, an denen das ganze Haus mit beteiligt war und die es mit getragen hat, auf dem Gebiete der Förderung der Kleinbetriebe und der Mittelbetriebe gehabt haben. Für den Fall, daß dieser Hahn, abgesehen von Subventionen, irgendwie verstopft werden sollte, möchte ich angesichts des Überwiegens und der stündlich steigenden Macht der Großwirtschaft, der Großindustrie, hier beizeiten eine Warnung ausgesprochen haben.
    Gar nicht zufrieden sind wir mit der etwas laxen Haltung des Herrn Bundesfinanzministers auf dem Gebiet der Kommunalfinanzen.

    (Beifall bei der SPD und rechts.)

    Im Juli dieses Jahres hat der Herr Bundeskanzler, der lange Zeit Oberbürgermeister, und, wenn ich recht unterrichtet bin, auch einmal Stadtkämmerer gewesen ist, den Herrn Bundesfinanzminister aufgefordert, bis zum Oktober eine Denkschrift vorzulegen. Diese Denkschrift soll die finanzielle Ordnung der Gemeinden und Gemeindeverbände sichern; das Kabinett soll darüber beraten. Ist diese Denkschrift schon ausgearbeitet, Herr Bundesfinanzminister? Wann kommt sie? Der Oktober ist lange vorbei; die Gemeinden warten. Wir haben zwar heute morgen gehört, daß Überlegungen angestellt werden, aber eine Regelung der zum großen Teil sehr drängenden kommunalen Finanzprobleme wird dadurch nicht erzielt.
    Herr Bundesfinanzminister, Sie beanspruchen mit Recht Verständnis für die Finanzpolitik des Bundes und gerechte Beurteilung. Ich vermisse die gleiche Haltung bei der Bundesregierung mit ihren verschiedenen Gliedern auch in bezug auf die deutschen Kommunen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, von dem Sie in Ihrer Rede wiederholt zu Recht gesprochen haben und bei Ihren Überlegungen ausgegangen sind, trifft die Gemeinden und Gemeindeverbände nicht weniger als den Bund, nur ist es dort — ich komme darauf zurück — viel schwerer zu ertragen. Wir wünschen, daß dem wirtschaftlichen Notstand, der in zahlreichen Gemeinden bereits bis an die Grenze der Kreditwürdigkeit geführt hat, nun endlich einmal Rechnung getragen wird.
    Wir haben schon oft die generelle Forderung auf gerechte Beteiligung der Gemeinden am Volkseinkommen im Rahmen einer Gesamtrechnung des Finanzbedarfs angemeldet. Der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, einen Ausgleich zwischen den sogenannten reichen und den tatsächlich armen Gemeinden herbeizuführen, ist keine Lösung. Diese Rechnung würde im Augenblick einer ersten Krise, im Augenblick eines sich abzeichnenden Rückgangs des Realsteueraufkommens bereits ein großes Loch aufweisen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Nun einige Wort zum Problem der Bundesschuld und des Bundesvermögens. Das Bundesvermögen ist größer geworden. Am 1. April dieses Jahres belief es sich auf 39,6 Milliarden DM. Es kommen noch Sondervermögen im Werte von 27,9 Milliarden DM hinzu.
    Die fundierte Schuld betrug am 31. März dieses Jahres 18,3 Milliarden, die schwebende Schuld 4,9 Milliarden, zusammen 23,2 Milliarden DM.
    Im Blick auf Anleihewünsche des Bundes, die wir verstehen und unterstützen, können wir sagen: der Bund ist ein ausgezeichneter Schuldner; er verdient Vertrauen, und er steht viel besser da als die deutschen Gemeinden.
    Ich habe hier schon aus anderem Anlaß auf eine Feststellung hingewiesen, die vor einiger Zeit getroffen worden ist. Bei der Verteilung des Steueraufkommens bezieht der Bund 53,6 %; nach dem Stand des Rechnungsjahres 1958 bezogen die Länder 27,8 % und die Gemeinden 14,1 %, der Rest entfiel auf den Lastenausgleich. Bei der Neuverteilung der Lasten, bei der Neuverschuldung ist es umgekehrt. Die Neuverschuldung des Bundes betrug am 31. März 1958 12 % aller Schulden der öffentlichen Hand, die der Länder 33 % und die der Gemeinden 55 %. Das kommt daher, daß trotz aller schönen Reden, gleich oh sie der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesfinanzminister oder wer sonst hält, die Gemeinden, gemessen am Stand der Bundesfinanzen, als ein lästiges Anhängsel, faktisch sogar als ein Fremdkörper, betrachtet werden.

    (Beifall bei der SPD. — Oho!-Rufe von der Mitte.)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5141
    Ritzel
    Zu dem Problem der Anleihen noch eine Bemerkung! Wir haben in den Jahren von 1949/50 bis 1958 keine eigentliche klare Anleihekonzeption des Bundes gekannt. Als Beispiel für diese Planlosigkeit erwähne ich nur die Mittel für den Wohnungsbau und für die ländliche Siedlung. In den letzten Jahren war so ein Bäumchen-wechsle-dich-Spiel im Gange, hat die Veranschlagung mehrmals gewechselt. Ein bis zwei Jahre waren die Mittel im ordentlichen Haushalt, dann im außerordentlichen Haushalt, dann wieder im ordentlichen Haushalt veranschlagt. Eine einheitliche Linie kann man auch dann nicht sehen, wenn man davon ausgeht, daß die Veranschlagung unter dem Gesichtspunkt erfolgt ist, außerordentliche Ausgaben nur dann zu leisten, wenn entsprechende Anleihen aufgenommen werden können.
    Ich weise nur darauf hin, daß 80 v. H. der in diesen Jahren veranschlagten außerordentlichen Ausgaben auf gesetzlichen oder anderen rechtlichen Verpflichtungen beruhten. Sie hätten also nicht in den außerordentlichen Haushalt gehört. Auch bei den restlichen außerordentlichen Ansätzen gab der Finanzminister schon vor Wirksamwerden des Haushaltsplans verbindliche Bedienungszusagen. Seit 1950 sind rund 17,6 Milliarden DM außerordentliche Ausgaben geleistet worden, von denen nur 3,2 Milliarden DM echt durch Anleihen oder anleiheähnliche Einnahmen gedeckt waren. Die übrigen 13,9 Milliarden DM wurden aus Überschüssen des außerordentlichen Haushalts geleistet — weitere 0,5 Milliarden DM waren durchlaufende Posten —; entweder wurden sie aus Steuermehreinnahmen oder aus Minderausgaben des ordentlichen Haushalts finanziert.
    Diese Finanzierungsform muß einmal überwunden werden. Der außerordentliche Haushalt muß künftig wieder das werden, was er sein soll. Ich habe darüber vorhin genügend gesagt.
    Nun erhebt sich die Frage: Ist die Bundesregierung bereit, in bezug auf das, was heute morgen der Herr Bundesfinanzminister hinsichtlich der Verwendung der etwaigen Erträgnisse aus dem außerordentlichen Haushalt gesagt hat, dem Haushaltsausschuß ein Mitentscheidungsrecht darüber einzuräumen, welche Ausgaben, die für den außerordentlichen Haushalt vorgesehen sind, aus Mehreinnahmen des ordentlichen Haushalts gedeckt werden können? Ist die Bundesregierung bereit, mit dem Haushaltsausschuß über die Verwendung der im Rahmen des außerordentlichen Haushalts erhofften Kapitalaufnahmen zu reden und seine Zustimmung zu dieser Verwendung einzuholen? Im außerordentlichen Haushalt sind vorgesehen: Darlehen an Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Darlehen zur Deckung des Nachholbedarfs freier gemeinnütziger Krankenanstalten, Darlehen für die ländliche Siedlung, Leistungen für Bundeswasserstraßen- und Schiffahrtsverwaltung, Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr und der Bundeswehrverwaltung und andere militärische Baumaßnahmen, Wohnungsbauten für Evakuierte.
    Wir möchten verhüten, daß die Rechte des Parlaments auf Mitwirkung bei der praktischen Gestaltung des Haushaltsplans umgangen werden. Man könnte Bedenken gegen die Verweisung erheblicher Bedürfnisse des sozialen Wohnungsbaus in den außerordentlichen Haushalt haben. Soweit es sich um Darlehen handelt, ist der Vorgang korrekt und richtig. In bezug auf die tatsächliche Auswirkung ist es aber dringend notwendig, daß die Bundesregierung mit dem zuständigen Parlamentsausschuß und gegebenenfalls mit dem Hohen Hause selber im engsten Kontakt bleibt.
    Zur Frage der Anleihepolitik noch ein Letztes. Wir haben den Wunsch — auch die Wünsche des Herrn Finanzministers gehen dahin —, daß, wenn irgend möglich, darauf abgestellt werden sollte, keine mittelfristigen, sondern langfristige Anleihen unterzubringen. Wir haben diesen Wunsch auch im Hinblick auf die notwendige Beruhigung der deutschen Wirtschaft.
    Meine Damen und Herren, die erste Beratung des Haushaltsplans ist der rechte Anlaß, um etwas darzulegen, was uns in der Opposition sehr erheblich mißfällt und auch kränkt. Wir haben am laufenden Band eine Mißachtung des Parlaments festzustellen.

    (Zustimmung bei der SPD und FDP.)

    Meine Damen und Herren, ich habe mir über Mittag — vorher hatte ich keine Zeit — aus einer bekannten Zeitung — ich will hier keine Propaganda für eine Zeitung machen; deswegen nenne ich den Namen nicht —, aus einer ausgezeichnet orientierten Zeitung einen Bericht mit der Überschrift „Bonn will Schulden vorzeitig zahlen" zu Gemüte geführt, der vermutlich neun Zehntel der Mitglieder des Bundestages — vielleicht sind einige Kundige doch unter uns — überrascht und unangenehm berührt. Wieder einmal zeigt es sich, daß die deutsche Presse, der ich alles Gute gönne, auf Kosten des Deutschen Bundestages Informationen zu einem Zeitpunkt besitzt, da der Deutsche Bundestag noch vollkommen im dunkeln tappt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Zum Ausgleich der amerikanischen Zahlungsbilanz bietet nach diesem Zeitungsbericht die Bundesregierung auf Grund einer Stellungnahme des Bundeskabinetts — anscheinend ist dieser Beschluß des Bundeskabinetts erst gestern erfolgt — den Amerikanern demnächst — Beauftragte sind ja unterwegs, Mister Dillon kommt — erhebliche Zahlungen in Milliardenhöhe zur vorzeitigen Rückerstattung der Bundesschuldverpflichtungen an.
    Ganz abgesehen davon, daß ich meine, der Herr Bundesfinanzminister wäre, wenn ein solcher Kabinettsbeschluß gestern erfolgt sein sollte, verpflichtet gewesen, bei der heutigen Einbringung des Etats dem Hohen Hause darüber Auskunft zu geben,

    (Beifall bei der SPD und FDP)

    muß ich leidvoll feststellen, daß sich diese Handlungsweise „würdig" einreiht in das System, das
    wir bisher auf weiten Gebieten beobachten mußten.
    Da lese ich heute mittag in einer Korrespondenz, daß der Herr Bundesinnenminister, den vor mir sitzen zu sehen ich mich sehr freue — Sie sind ja in diesem
    5142 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Ritzel
    Hohen Hause so selten zugegen, und noch öfter vermissen wir Sie in den Ausschüssen, Herr Innneminister —, eine gesetzliche Bestimmung, wonach die Kenntlichmachung von Zusätzen in Lebensmitteln am 22. Dezember 1959 in Kraft treten soll, durch eine „Rechtsverordnung" hinausschieben will, ich weiß nicht, ob ad calendas graecas oder auf welche Dauer. Jedenfalls wäre es mir eine Freude, Herr Bundesinnenminister, wenn Sie die Liebenswürdigkeit haben wollten, bei erster sich bietender Gelegenheit zu konstatieren, daß diese Behauptung nicht richtig ist

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Sie waren nicht da in der vergangenen Woche!)

    und daß Sie Respekt vor der Gesetzgebung haben.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: In der vergangenen Woche waren Sie nicht da!)

    — Sie irren, ich war da!
    Eine weitere Feststellung, die sich auf die Kontrolle der Staatsfinanzen bezieht, ergibt sich aus einer Betrachtung des Systems der über- und außerplanmäßigen Ausgaben, der gegenseitigen oder einseitigen Deckungsfähigkeit bestimmter Titel des Haushalts, der Ausgabereste, der Bindungsermächtigungen und der Geheimfonds. Es gibt ja auch noch andere merkwürdige Vorgänge bei der Bundesregierung, die fast auf ein System schließen lassen. Sie veröffentlicht beispielsweise Referentenentwürfe, läßt sie auf irgendeine Weise der Öffentlichkeit zur Kenntnis kommen, um einmal zu testen, ) wie das Ding da ankommt.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Wenn es starken Widerstand findet, dann war es ein „unverantwortlicher Referentenentwurf", und man zieht es zurück. Findet es aber so langsam einen gewissen Anklang, dann kommt die offizielle Regierungsvorlage hintennach. Diese Testversuche sind alles andere als erfreulich, sie sind vor allem nicht richtig. Auch nicht schön ist es — es ist sogar falsch —, wenn ein Minister gegen den anderen in der einen oder anderen Frage — ich erinnere an die Kriegsopferversorgung — zu Felde zieht und wenn der andere dann vor den Augen des Hohen Hauses umfällt und als blamierter Mitteleuropäer oder, wie sagten Sie doch heute morgen, Herr Bundesfinanzminister, als „kanalisierter Bürger" dasteht.

    (Heiterkeit.)

    Das alles sind keine schönen Dinge.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, wir haben ein Recht darauf, im Parlament frühzeitig, d. h. im rechten Augenblick, zu erfahren, was die Regierung denkt, was sie zu tun beabsichtigt. Das ist unser verbrieftes Recht; die Opposition wird niemals davon ablassen, es geltend zu machen.
    Wenige Zahlen zu dem schönen System der über-und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben, soweit sie 10 000 DM übersteigen! Ich weiß, daß da vieles richtig gehandhabt wird; aber wenn Sie die ganze Größenordnung auf sich wirken lassen, dann finden Sie, daß einiges nicht richtig sein kann. Ein Beispiel:
    Im Rechnungsjahr 1958 betrug das Haushaltsvolumen im ordentlichen und außerordentlichen Haushalt 38 723 Millionen DM; im ersten bis vierten Quartal des gleichen Jahres wurden 3981 Millionen DM, also mehr als 10 °/o des Gesamtvolumens, im Rahmen von über- und außerplanmäßigen Bewilligungen ohne das Parlament, nur mit Information des Haushaltsausschusses, erledigt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Im Rechnungsjahr 1957 betrug das Haushaltssoll 37,3 Milliarden DM; die über- und außerplanmäßigen Ausgaben des ganzen Rechnungsjahres betrugen rund 2,5 Milliarden DM. Ich weiß, daß für die Bürokratie — ich war lange genug Bürokrat, um es den Herren nachfühlen zu können— ein solches System mindestens sehr angenehm, wenn nicht herzlich willkommen ist. Aber es ist nicht gut und ist vor allem auch nicht richtig.
    Und nun soll dieses System ausgedehnt werden. Meine Damen und Herren, vor Ihnen liegt auch der Entwurf des Haushaltsgesetzes 1960. Dort können Sie in der Begründung zu § 10 lesen:
    Die in Absatz 1 vorgesehene Zulassung der gegenseitigen Deckungsfähigkeit für die Mehrzahl der Bewilligungen für Sachausgaben innerhalb der einzelnen Kapitel steht im Zusammenhang mit der grundsätzlich unveränderten Übernahme der Einzelansätze für Personal- und Sachausgaben aus dem Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1959 in den Entwurf des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1960. Zur Erleichterung der Bewirtschaftung der Sachausgaben erschien es bei dieser Veranschlagungspraxis geboten und vertretbar, die gegenseitige Deckungsfähigkeit ... zuzulassen,
    darunter für die Titel 200 bis 209 in allen Einzelplänen.
    Herr Kollege Niederalt hat sich das Verdienst erworben, schon recht früh aus anderem Anlaß auf die Unmöglichkeit eines solchen Verfahrens hingewiesen zu haben. Dafür gebührt ihm Dank. Wenn Sie sich aber einmal ansehen, wie die Titel 200 bis 209, die sich nun gegenseitig decken sollen — also ohne Parlament —, in den verschiedenen Einzelplänen lauten, dann finden Sie folgendes: Der Tit. 200 betrifft Geschäftsbedürfnisse, Tit. 201 Unterhaltung, Ersatz und Ergänzung der Geräte und Ausstattungsgegenstände in den Diensträumen, Tit. 202 Bücherei, Tit. 203 Post- und Fernmeldegebühren, Tit. 204 Unterhaltung der Gebäude, Tit. 205 kleinere Neu-, Um- und Erweiterungsbauten, Tit. 206 Bewirtschaftung von Dienstgrundstücken und Diensträumen, Tit. 207 Unterhaltung, Ersatz und Ergänzung der Geräte und Ausstattungsgegenstände in Amts-, Dienst- und Werkdienstwohnungen und Tit. 208 Betrieb von Dienstfahrzeugen.
    Wir balgen uns im Haushaltsausschuß um jede Bewilligung eines Autos für irgendeine Dienststelle, und hier werden die Mittel aus neun oder zehn Titeln für gegenseitig übertragbar erklärt — ohne das Parlament! Pfeift denn die Verwaltung völlig auf die Beschlüsse des Hauses, das nach Gesetz und Recht den Haushaltsplan festzustellen hat? Herr
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den FO. Dezember 1959 5143
    Ritzel
    Bundesfinanzminister, ich muß Ihnen sagen, ich bin enttäuscht. Ich hätte nicht erwartet, daß gerade von Ihnen und Ihren heutigen Mitarbeitern dem Hause ein solcher Vorschlag zugeht.
    Ein Wort zu der Verschleierung der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit durch Ausgabenreste! Am Ende des Rechnungsjahres 1956 hatten wir Haushaltsreste im Betrage von über 5 Milliarden DM, 1957 von 7275 Millionen DM. Das waren 21 % der Ist-Ausgaben des Rechnungsjahres. Jetzt haben wir Haushaltsreste — der Herr Bundesfinanzminister hat die Zahlen heute morgen zitiert — von insgesamt 10,1 Milliarden DM; davon entfallen 7,1 Milliarden DM auf den Einzelplan 14, Bundesminister für Verteidigung, und 3 Milliarden DM auf die übrigen, zivilen Haushalte.
    Die Regierung versucht nun ein neues System. Sie hat das im Haushaltsgesetz und in einzelnen Ansätzen zum Ausdruck gebracht. Sie will eine Neudeckung der verbliebenen Ausgabenreste. Diesmal soll also nicht der § 75 der Reichshaushaltsordnung außer Kurs gesetzt werden — wie das seit Jahren üblich war —, der vorschreibt, daß die aus dem vorvorhergegangenen Jahre verbliebenen ungedeckten Beträge in dem neuen Haushalt Deckung finden müssen, sondern man will erreichen, daß durch eine teilweise Nachdeckung — so beim Einzelplan 14 — die Reste nach und nach „getötet" werden. Ich befürchte, daß das ein sehr langwieriger Prozeß ist, Herr Bundesfinanzminister. Wenn ich an die heutigen Reste denke und nicht 4 % — wie die Reichshaushaltsordnung sagt —, sondern entgegenkommender- und großzügigerweise 5 % rechne, so komme ich zu dem Schluß, daß die Haushaltsreste nur 2,1 Milliarden DM betragen dürften. Rund 2 Milliarden DM also — das wäre das zulässige Maß. Wann, glauben Sie, Herr Bundesfinanzminister, werden Sie bei dieser Endstation einer geordneten Haushaltsführung angekommen sein?
    Und noch ein kritisches Wort zu den Geheimfonds. Es gibt Dinge, die auch dem Gesetz der wachsenden Staatsausgaben unterliegen. Im Kap. 04 01 — Bundeskanzler und Bundeskanzleramt — haben wir in Tit. 300 — Zur Verfügung des Bundeskanzlers zu allgemeinen Zwecken — in diesem. Jahr 250 000 DM, bei Kap. 04 03 — Presse- und Informationsamt der Bundesregierung — in Tit. 300 — Zur Verfügung des Bundeskanzlers für Förderung des Informationswesens — 13 Millionen DM, beim Kap. 04 04 — Bundesnachrichtendienst — 4.3,4 Millionen DM, beim Kap. 05 02 — das ist das Kapitel ,,Allgemeine Bewilligungen" im Einzelplan des Auswärtigen Amtes — bei Tit. 301 4 Millionen DM und bei Kap. 06 09 — Bundesamt für Verfassungsschutz — in Tit. 300 4 288 000 DM; ohne Einzelnachweise, ohne wirkliche Kontrolle. Die Parlamentskontrolle ist nach wie vor weithin ausgeschaltet. Als seinerzeit ein führender Mann aus dem Bundesfinanzministerium in das Bundeskanzleramt versetzt wurde — es ist gar nicht lange her -, da dachte ich: „Er nimmt hoffentlich seinen Kommentar mit und sorgt dafür, daß dem Herrn Bundeskanzler die Kommentierung der Bestimmungen über Geheimfonds vor Augen gehalten wird." Aber offensichtlich kam er nicht dazu, oder ein solches Bemühen blieb bis zu dieser Stunde völlig wirkungslos.

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Eine geänderte Neuauflage dürfte bald kommen!)

    — Nein, die Neuauflage ist erst vor einem Jahr erfolgt.

    (Abg. Wittrock: Na, dann gibt es jetzt wieder eine neue!)

    Es sind Geheimfonds im Betrag von 64,9 Millionen DM. Sie sind zu einem erheblichen Teil mit unserem Wissen, insbesondere in bezug auf die größte Summe, zustande gekommen. Sie werden beim Bundesnachrichtendienst auch von einem kleinen Parlamentsausschuß kontrolliert. Aber, meine Damen und Herren, die 13 Millionen DM beim Presse- und Informationsamt — um nur diesen Posten herauszugreifen — werden nach wie vor jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen. Damit finden wir uns nicht ab, und wir werden bei jeder Gelegenheit wieder auf diesen unmöglichen Zustand hinweisen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Ich sprach davon, daß auch diese Ausgaben dem Gesetz des steigenden Staatsbedarfs unterliegen, einem Gesetz, das kein Gesetz ist, das etwa ein Parlament beschlossen hat. Es ist jenes berühmte nationalökonomische Gesetz, das ein berühmter Mann

    (Abg. Dr. Dresbach: Adolf Wagner!)

    — Sie haben recht, Herr Kollege Dresbach: Adolf Wagner — in der 3. Auflage seines Buches, ich glaube, 1883, zum Ausdruck brachte, indem er sagte: „Das Gesetz der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen, insbesondere der Staatstätigkeiten, wird für die Finanzwirtschaft zum Gesetz der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs."
    Meine Damen und Herren! „Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen." Wenn ich lese — sei es vom Bund der Steuerzahler, sei es von irgendeinem Leitartikler, einem noch so klugen Mann —, was da alles in bezug auf das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben gesagt und auch dem Bundestag an die Rockschöße gehängt wird, dann möchte ich doch manchen der Kritiker einmal — ohne die Bundesregierung verteidigen zu wollen — daran erinnern, worauf es eigentlich beruht, daß dieses Gesetz heute Wirklichkeit ist. Man könnte darüber ein bekanntes, treffendes Wort setzen, ein schlechtes Wort, weil es einer schlechten Sache gewidmet gewesen ist — manche von Ihnen kennen es besser als ich —, nämlich das Wort: Das danken wir dem Führer! Unsere bundesdeutsche Öffentlichkeit hat weitgehend vergessen, was ein verlorener Weltkrieg für die öffentlichen Finanzen zwangsläufig im Gefolge haben muß.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Dresbach: Sehr gut!)

    5144 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Ritzel
    Die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer hat vor kurzem die Ursachen für das Anwachsen der Ausgaben der öffentlichen Verwaltung untersucht. Sie ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei den Gemeinden sind es vor allem die Entwicklung des Schulwesens, die Entwicklung der Krankenhäuser, der Wohlfahrtspflege, der Versorgungs- und Verkehrsbetriebe. Bei den Gemeinden, Kreisen, Ländern und im Bund sind es die Einführung bzw. der Ausbau der Sozialversicherung, der Kriegsopfer- und Flüchtlingsfürsorge, der Wohnungsbewirtschaftung, der 13l er-Gesetzgebung, des Lastenausgleichs und der Wiedergutmachung. Bei den Ländern und im Bund sind es die föderalistische Staatsstruktur, die Verwaltungsgerichte, der Bevölkerungszuwachs, die Entwicklung der technischen Wissenschaften, die Entwicklung des Verkehrs —siehe Straßenwesen — und die staatliche Interventionspolitik im Bereich der Wirtschaft. Im Bund allein ist die Ursache zunächst das Anwachsen des auswärtigen Dienstes. Ach, wie klein haben wir doch angefangen mit dem Einzelplan 05, und wie wächst er! Wenn es eine schöne Sache wäre, würde man sich wirklich darüber freuen. Im Bund allein ist die Ursache weiter die internationale Zusammenarbeit mit den unvermeidlich dadurch entstehenden Kosten durch internationale Organisationen, durch die enge Verflechtung der Staaten untereinander.
    Bei dieser Gelegenheit ein Wort an die Bundesregierung. Ich danke dafür, daß der Herr Bundesfinanzminister und sein Herr Staatssekretär für die wiederholten Anregungen des Haushaltsausschusses ein echtes Interesse gezeigt haben und auch entsprechende Taten haben folgen lassen, um die unerhört hohen, weithin übersetzten Gehälter bei den sogenannten Europäern zu bekämpfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was hier vor sich geht, ist ein Skandal, meine Damen und Herren! Ich weiß, man hört etwas Derartiges nicht gern. Aber einmal muß es auch von einem solchen Platz aus gesagt werden. Und dann gehört schließlich in die gleiche Kategorie - mindestens zu einem erheblichen Teil — der Kostenaufwand für den neuen Aufbau und den weiteren Ausbau der Verteidigung mit dem gesamten damit zusammenhängenden Riesenapparat.
    Wo bleibt die Gegenwirkung der Bundesregierung? Wo bleibt das Streben nach wirklich energischem Behördenabbau, nach Verringerung der Zahl der Ministerien, nach Verlangsamung der Gesetzgebungsmaschine? Wo bleibt der Verzicht auf eine allzu perfektionistische Gesetzgebung? Wir sollten den Dingen doch so ins Auge sehen, wie sie sind.
    Ich habe mir einmal aus dem Etat herausgezogen, wie hoch prozentual und summenmäßig die Ausgaben sind, die so gut wie restlos auf den verlorenen zweiten Weltkrieg zurückzuführen sind. Es sind 35O/0 der gesamten Endsumme des Bundeshaushalts! Wenn es gewünscht wird, kann ich es im einzelnen belegen.
    Was hat man dagegen getan, was haben auch wir dagegen getan? Man hat da oder dort, auch bei uns,
    versucht, Institutionen einzusetzen, um eine wirkliche Ersparnis zu erreichen. Wir haben schon im alten Reich und im alten Preußen — nicht wahr, Herr Kollege Dresbach? — einen Sparkommissar gehabt.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sämisch!)

    — Sämisch! Es war nicht alles ungut oder gar schlecht, was er zustande gebracht hat. Vieles ist ihm nicht honoriert worden. Wir hier haben mit dem System der Einstellungssperren und mit der Verhinderung der Wiederbesetzung eines bestimmten Prozentsatzes frei werdender Stellen gearbeitet. Das alles war nur und ist auch heute nur ein Herumkurieren an Symptomen, aber keine Klärung und keine Überwindung der Ursachen, durch die erst eine Beseitigung der Folgen herbeigeführt werden kann.
    Wenn man korrekt sein will, muß man feststellen, daß dieses Gesetz der wachsenden Staatsausgaben nicht nur bei uns, nicht nur in der Bundesrepublik und nicht nur in der öffentlichen Wirtschaft festzustellen ist. Meine Damen und Herren, betrachten Sie sich die Haushalte anderer Länder! Da sehen Sie genau das gleiche. Betrachten Sie einmal die Vorgänge in der privaten Wirtschaft, bei den Banken oder den großen Versicherungsgesellschaften oder auch der Sozialversicherung mit ihren Aufwendungen. Man soll die Dinge korrekt und geradlinig sehen. Niemand hat in dem jetzigen Zustand das Recht, über den anderen zu schmähen; aber jeder hat die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Kirche im Dorf bleibt.
    Ich kündige Ihnen einen Antrag an. von dem ich hoffe, daß er auf diesem Gebiet eine segensreiche Wirkung zuwege bringen wird. Wir werden nämlich eine methodische Untersuchung auf wissenschaftlicher Grundlage über die Ursachen des Behördenwachstums beantragen, um nicht nur den Verwaltungsleuten die Urteilsbildung zu ermöglichen. Wir wollen damit erreichen, daß staatspolitische Notwendigkeiten von vermeidbaren Aufblähungen unterschieden werden.
    Nun darf ich mich mit einigen Einzelheiten der Einzelhaushalte befassen. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns gesagt, daß die Anforderungen der einzelnen Ministerien zunächst zu einer Endsumme von, wenn ich mich recht erinnere, 45,5 Milliarden DM geführt hätten. Es ist ihm und seinen Räten in heißem Bemühen gelungen, diese Forderungen auf die heute bekannte Größenordnung herunterzudrükken. Ich habe die Hoffnung, daß wir im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages nur mit dem Entwurf des Haushaltsplanes zu tun haben, den der Herr Bundesfinanzminister vorgelegt hat, und daß wir ebensosehr von Nachschiebelisten verschont bleiben wie von einem gern und oft geübten System, daß der eine oder andere Ministerialvertreter sich an den einen oder anderen Abgeordneten wendet, um den einen oder anderen Antrag bei der Beratung des einen oder anderen Einzelplans im Haushaltsausschuß zu erreichen. Herr Bundesfinanzminister, ich bin kein Freund von Verboten. Vielleicht könnten Sie aber einmal dafür sorgen, daß den einzelnen Ressorts die Verpflichtung auferlegt
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5145
    Ritzel
    wird, nicht mit derartigen Mitteln und Möglichkeiten Manipulationen auszulösen.
    Der Etat des Herrn Bundeskanzlers und seines Amtes steigt in diesem .Jahre um 14,2 Millionen DM, der des Auswärtigen Amtes um 67,4 Millionen, der des Bundesministers für Verteidigung um 1,105 Milliarden DM. Ich versichere Ihnen, daß wir nicht lokker lassen werden, um in allen den Fällen, wo in Einzelhaushalten derartige Steigerungen zu verzeichnen sind, eine kritische Prüfung durchzusetzen. Wir finden einen Etat, dessen Sinken bedauerlich ist: das ist der Etat des Herrn Bundeswohnungsbauministers.
    Wir haben heute morgen die Freude gehabt, zwei Vertreter des amerikanischen Parlaments bei uns begrüßen zu können. Es wurde ein Zwischenruf gemacht, den ich gerade im Hinblick auf den Einzelplan 05 — Auswärtiges Amt — aufgreifen möchte. Wie steht es, darf ich die hohe Bundesregierung fragen, mit der endlichen Freigabe der deutschen Vermögen in Amerika?
    Eine andere Frage. Wir haben im Haushaltsausschuß in gutem Glauben sehr erhebliche Mittel für eine gesteigerte Informationsarbeit im Ausland gutgeheißen. Als ich in den letzten Tagen immer wieder lesen und am Rundfunk hören mußte, wie sich der Ministerpräsident Indiens, Herr Nehru, in bezug auf die deutsche Wiedervereinigung ausgelassen hat, habe ich mich gefragt, ob denn diese Mittel für die Informationsarbeit, beispielsweise in Indien, völlig zum Fenster hinausgeworfen sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Gelingt es nicht, dem dortigen Ministerpräsidenten einmal zu sagen, was das innerste Anliegen des deutschen Volkes ist? Gelingt es nicht, derartige Äußerungen, die so falsch und gefährlich für unser Anliegen sind, zu verhindern?

    (Abg. Dr. Vogel: Das ist auch Professor Meyer nicht gelungen! Leider! — Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Herr Professor Meyer ist doch nicht ein von der Bundesregierung engagierter und bezahlter Vertreter, der ständig in Indien, in Neu-Delhi einwirken soll,

    (Zuruf: War er mal!)

    um die Stellungnahme zu diesem Problem und die Bewegung auf diesem Gebiete der dortigen Regierung zur Kenntnis zu bringen. Soweit ich im Bilde bin, ist Herr Professor Meyer ein freier und von der Bundesregierung nicht bezahlter Parlamentarier, der seine Pflicht hundertprozentig tut, so wie Sie, Herr Dr. Vogel.

    (Abg. Dr. Vogel: Er war nur Botschafter! — Abg. Erler: Solange Meyer da war, hat Nehru so etwas auch nicht gesagt!,— Sehr gut! bei der SPD.)

    — Das stimmt schon, was Herr Erler soeben sagte: Als Herr Meyer noch in Neu-Delhi war, war es in der Lesart des Herrn Nehru etwas anderes, als es heute ist.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Aber wir können Herrn Meyer jetzt nicht wieder nach Neu-Delhi schicken.
    Meine Damen und Herren, nun ein Blick auf eine Anforderung, die wir begrüßen, die wir aber auch mit aller Vorsicht und mit nüchternem Sinn erörtern müssen. Es handelt sich um die Beträge der Hilfe für Entwicklungsländer. Ich begrüße den gestrigen oder vorgestrigen Beschluß des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. In diesem Etat haben wir im ordentlichen Haushalt 50 Millionen DM direkt als Ausgabe vorgesehen. Weiterhin sind Bindungsermächtigungen in Höhe von 70 Millionen DM und eine Ermächtigung zur Übernahme von Bürgschaften für Entwicklungsländer bis zur Größenordnung von zwei Milliarden DM vorgesehen.
    Das sind Aufgaben und Ausgaben, die uns wirklich veranlassen müssen, die Interessen, die wir politisch, wirtschaftlich und sozial im Zusammenhang mit solchen Bewilligungen zu wahren haben, sehr ernst zu nehmen und diese Fragen kritisch zu betrachten.
    Ich möchte mir einige Bemerkungen zum Einzelplan des verehrten Herrn Bundesinnenministers Dr. Schröder gestatten. Der Bundestag hat die Bundesregierung bei der Etatberatung 1959 ersucht, die Verhandlungen mit den Ländern über die Abgrenzung der Zuständigkeiten des Bundes und der Länder im kulturellen Bereich baldmöglichst zum Abschluß zu bringen. Ich darf fragen, Herr Bundesinnenminister: wie steht es damit?

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Sind im Gange!)

    — Großartig! Wann wird der „Gang" zu Ende sein? Wann wird ein Ergebnis vorliegen?

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Nächste Zusammenkunft: 15. Januar! — Zuruf von der SPD: Im Augenblick rückwärts!)

    — Warten wir die Dinge ab. Sie werden uns dann einmal darüber berichten.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Gerne!)

    Wir würden Sie so gern öfter einmal in den Ausschüssen sehen, Herr Bundesminister.

    (Beifall bei der SPD. —Bundesinnenminister Dr. Schröder: Sie kommen nur nicht ins Plenum, wenn ich spreche, Herr Kollege Ritzel, — in der vergangenen Woche!)

    - Ich bin immer da, jedenfalls weit häufiger, als Sie mich offenbar sehen; aber ich sehe Sie so oft nicht, wenn ich Sie gern sehen würde.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Noch eine Frage, Herr Bundesinnenminister: Wie steht es denn mit der Erhöhung der Beamtengehälter? Diese Frage möchte ich auch an den Herrn Bundesfinanzminister richten. Ich habe im Haushaltsplan darüber nichts gefunden. Wie steht es denn mit der Haltung des Bundesinnenministers als Kommunalminister? Er müßte doch eigentlich stärkstens in einer Kampffront zu dem Herrn Bundesfinanzminister stehen und das „heiße Bemühen" des Herrn Bundeskanzlers unterstützen, der den Herrn
    5146 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Ritzel
    Bundesfinanzminister gebeten hat, bis zum Oktober endlich eine Vorlage zur Regelung der kommunalen Finanzverhältnisse zu machen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Bundesinnenminister, wir können Ihnen in vielen Fragen kein Vertrauen schenken.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Das tut mir aufrichtig leid!)

    Das tut uns herzlich leid, und Sie bedauern es sicher auch.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Beiderseits, Herr Kollege!)

    — Das freut mich sehr.

    (Heiterkeit links. — Lachen in der Mitte.)

    Ich denke z. B. an Ihr Verlangen nach einer bestimmten Art von Gesetzgebung, Stichwort: Staatssicherheit

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Sie kommen uns aber entgegen!)

    oder an Ihren Druck auf die Redaktion der Zeitung „Das Parlament".

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Herr Minister, das sind Dinge, die nicht gut sind und die uns gar nicht freuen. Ich denke auch an Ihr Versagen auf dem Gebiete der Förderung von Wissenschaft und Forschung. Sie haben heute abend Gelegenheit, in der CDU-Fraktion die Vertreter der deutschen Universitäten zu hören, wenn sie um acht Uhr zusammenkommen. Lassen Sie sich dort einmal über das belehren, was im Interesse des deutschen Volkes, der deutschen Volkswirtschaft und des deutschen Ansehens für lange Zeit unbedingt notwendig ist, und vergleichen Sie das bitte mit dem Ergebnis Ihrer mehr als bescheidenen Bemühungen auf diesem Gebiet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich muß mir mit Rücksicht auf die Zeit versagen, noch eine ganze Reihe von Punkten zu erörtern, die ich auf dem Gebiet des Einzelplans 06 gern erörtert hätte. Aber eine Zahl möchte ich Ihnen nicht schenken. Ich habe hier eine zuverlässige Statistik über die öffentlichen Ausgaben einiger Länder für Schule und Hochschulen je Kopf der Bevölkerung in den Jahren 1938 und 1956. Dias Deutsche Reich brachte im Jahre 1938 12,81 Mark pro Kopf auf, die Bundesrepublik im Jahre 1956 23 Mark und 5 Pfennige. Nach der Bundesrepublik kommen Japan, Italien, Chile, Portugal und Indien. Über der Bundesrepublik stehen Finnland, Norwegen, Australien, die Niederlande, das Vereinigte Königreich Großbritannien, Dänemark, Neuseeland, Schweden, Kanada, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten. Die höchste Leistung liegt natürlich bei den Vereinigten Staaten mit 108,13 DM, die Sowjetunion folgt mit 78 DM. Bei uns: 23 Mark und 5 Pfennige!
    Sie werden Gelegenheit haben, das Memorandum der Rektorenkonferenz zu lesen, das uns gestern überreicht wurde und das Ihnen spätestens
    heute überreicht werden wird. Ich darf Sie auf Seite 7 dieses Memorandums aufmerksam machen. Die Stelle bezieht sich zwar auf ein anderes Kapitel; aber sie hängt innerlich mit dem ,erwähnten Sachverhalt zusammen: Es heißt da:
    Entwicklungsländer. Die Bundesregierung macht neuerdings Zusagen für die Entsendung von Wissenschaftlern und wissenschaftlichem Personal in die Entwicklungsländer. Die hohen Schulen
    — der Bundesrepublik —sind hierauf nicht im mindesten vorbereitet. Das bedeutet: Außer den Ausführungen über die Äquivalenzen und die Sicherstellung muß beachtet werden, daß die zum Dienst in den Entwicklungsländern heranzuziehenden deutschen Hochschulinstitute für solche Aufgaben meist selbst personell noch unterentwickelt sind. Die deutschen materiellen Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Entwicklungshilfe ,sind noch nicht vorhanden.
    Meine Damen und Herren, das ist eine beschämende und ebenso bedenkliche Feststellung, und das fällt in Ihr Ressort , Herr Bundesinnenminister.
    Ich bedaure, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht da ist. Wir werden wohl morgen eine Aussprache über die Preispolitik im Hohen Hause haben. Ich will heute nur eine Bemerkung zu dier Auffassung machen, alle in Deutschland hätten Anteil am sogenannten Wirtschaftswunderland. Ich stelle zwei. Beispiele einander gegenüber, die nicht willkürlich gewählt sind. Beim Kapital: Die Selbstfinanzierung und damit dier Vermögenszuwachs haben ungeheure Ausmaße erreicht. Man erhöhte die Dividende auf 12 bis 14 %, hätte viel mehr festsetzen können, aber man hatte Angst, und darum umfangreiche Investitionen. Bei dien Arbeitern: 25,7 % aller Arbeiterfamilien leben in Notwohnungen oder in Untermiete.
    Ein Mitglied des Hohen Hauses, Herr Professor Dr. Friedensburg, zeichnet mit verantwortlich für dien Wochenbericht dies Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Aus der Nr. 47 vom 20. November 1959 bitte ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wenige Sätze verlesen zu dürfen:
    Weder die Einkommensentwicklung und erst riecht nicht die Verausgabung der verfügbaren Einkommen durch die Verbraucher geben zu begründeten inflatorischen Besorgnissen Anlaß.
    Ich verlese das wegen der angemeldeten Lohnforderungen.
    Bei dien für das kommende Jahr erwarteten verstärkten Lohn- und Gehaltsaufbesserungen sowie den autonomen Einkommenserhöhungen durch Rentenanpassungen usw. liegen die auf die westdeutsche Wirtschaft zukommenden Probleme keineswegs nur in einer dadurch —vermeintlich zwangsläufig — induzierten Lohn-Preis-Spirale. Sie liegen mindestens ebensosehr in der Frage, ob dieses Nachziehen dier Einkommen der Nichtselbständigen überhaupt rechtzeitig und ausreichend erfolgt, um die durch die
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5147
    Ritzel
    Investitionswelle dieses Jahres erneut und verstärkt geschaffenen Angebotsmöglichkeiten, vor allem gerade des industriellen Verbrauchsgüterbereichs auch auszulasten.

    (auf ein diesen Notwendigkeiten Rechnung tragendes Preisverhalten der Unterm mangen und, soweit es sich um öffentlich „geordnete" Preise handelt, wie auf dem Agrarsektor, auch der verantwortlichen staatlichen Stellen an. Meine Damen und Herren, wenn die Preispolitik und die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung andere, bessere, vernünftigere Wege gegangen wäre, wenn sie auf dem Gebiet der Marktordnung die Preistreibereien, unter denen unser Volk leidet, verhütet hätte, wäre das Endergebnis heute auch ein anderes, als wir es augenblicklich, besonders auf dem Agrargebiet, vor uns sehen. Nach den Marktordnungsgesetzen — Sie können sich darüber orientieren, wenn Sie einmal im Einzelplan 10 nachlesen — ergeben sich Abschöpfungsbeträge, wenn die Inlandspreise als Abgabepreise über den Auslandspreisen als Übernahmepreisen liegen. In Frage kommen hier Brotgetreide, Industriegetreide, Futtergetreide und Zucker. Die Wirkung der jetzt betriebenen Politik besteht in einer Verteuerung des Marktpreises und in einer sich zum Teil unerhört auswirkenden Belastung des Verbrauchers. Wir werden bei der Beratung des Haushalts im einzelnen Gelegenheit nehmen, darauf zurückzukommen. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind nach wie vor bereit, der Landwirtschaft die erforderlichen Hilfsmaßnahmen zu gewähren. Aber wir setzen voraus, daß sich die Bundesregierung nicht allein darauf verläßt, sondern daß sie endlich eine konstruktive Politik auch im Interesse der Verbraucher treibt, aus deren Steuerleistung ja auch die Hilfe für die Landwirtschaft auf Grund des Grünen Planes finanziert wird. Das bedeutet vor allem auch die Überwindung der ständigen Steigerung der Lebensmittelpreise. Im Haushaltsentwurf — ich will diesen technischen Vorgang kurz erwähnen — sind Leertitel als Ersatz für ordentliche Ansätze unter Hinweis auf den Grünen Plan enthalten. Wir behalten uns im Einzelfall eine Überprüfung im Haushaltsausschuß vor. Die Unterlassung normaler Ansätze, beispielsweise bei der Flurbereinigung, und ihre Verweisung in den Grünen Plan wirkt nach unserer Auffassung irreführend. Beim Steuerzahler erweckt dieses Vorgehen den Eindruck besonderer Geschenke an die Landwirtschaft, beim Bauern Unsicherheit. In Wirklichkeit handelt es sich um unausweichbare öffentliche Aufgaben. Wir wenden uns aus gegebenem Anlaß auch gegen die Fortführung der Töpfchenwirtschaft im Bereich des Bundesernährungsministeriums. Ich könnte zu diesem Gebiet noch eine Reihe von Bemerkungen machen. Ich will mich auf einige Zahlen beschränken. Der Steuerzahler bedankt sich dafür, daß als Brotgetreide eingekaufter Roggen auf Kosten des Steuerzahlers billiger als Futterweizen abgegeben wird. Dieses System drückt auf die kleinen Landwirte, die Getreide zukaufen müssen. Man muß sich die Zahlen und die Entwicklung ansehen. 1959 besteht ein Getreidevorrat von 189,3 Millionen t, 1960 ein Getreidevorrat von 241,99 Millionen t. Wir haben 1959 einen subventionierten Export oder Verkauf von Brotgetreide als Futter von 21 Millionen t, 1960 von 94 Millionen t. Meine Damen und Herren, mit der Agrarpolitik und Vorratswirtschaft kann es unmöglich auf diese Art weitergehen. Nun gestatten Sie mir einige weitere Bemerkungen zu einem Einzelplan, der die Sozialpolitik umfaßt. Wir haben in der letzten Zeit in steigendem Maße eine bösartige Interpretation des Begriffsinhalts des Wortes „Wohlfahrtsstaat" erlebt. Wir wissen um das Elend in vielen Familien, bei vielen Alten. Wenn Sie darum zum Teil nicht wissen sollten, dann lade ich Sie ein, es so zu machen wie ich: Halten Sie am laufenden Band Sprechstunden für arme Leute ab; dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben. Wir haben im Bereich des Einzelplans 11 eine Fülle von Bemerkungen zu machen, die dann vor allem in der Einzelberatung begründet werden. Wir möchten generell feststellen, daß der Staat die Aufgabe hat, dem einzelnen Daseinsfürsorge zu gewähren. Wir Sozialdemokraten fordern eine staatlich finanzierte Mindestrente und eine umfassende Heilfürsorge. Die deutschen Leistungen liegen nach unseren Feststellungen erheblich unter dem Durchschnitt anderer Länder. Der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat vor kurzem gemeint, daß heute mehr als 40 % des Bruttosozialprodukts durch die öffentliche Hand verteilt werden. Das wirkt in gewissem Sinne irreführend. Wir dürfen nicht vergessen. was ich schon vorhin sagte: Wir haben Kriege geführt und Kriege verloren, und der Etat ist in entscheidender Weise von Kriegsfolgen belastet. Seine Ansätze beruhen weitgehend nicht auf einer Sozialpolitik, die in ihren Entscheidungen frei ist und freiwillig Leistungen gewährt, sondern auf einer Zwangssituation. Wir unterstreichen eine Feststellung des Sozialberichts im Bulletin vom 3. Oktober dieses Jahres: Die Sicherung des Lebensabends vieler Menschen muß durch Umschichtung des Sozialprodukts zwischen den Generationen ohne Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und ohne untragbare Minderung des Lebensstandards der Schaffenden erreicht werden. Aber wir verlangen, daß damit auch endlich ein Anfang gemacht wird. Eine Spezialfrage möchte ich dem Hohen Hause zur wohlwollenden Berücksichtigung empfehlen. Im Einzelplan 11 Kap. 11 11 Tit. 45 sind Einnahmen aus Tilgungsund Zinsbeträgen aus Darlehen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von Gebietskörperschaften veranschlagt. Der Zinssatz beträgt laut Erläuterung 2,5 bis 5 %. Wir werden im Haushaltsausschuß und in einem anderen Ausschuß vorschlagen, den wirklich armen Gemeinden, deren Steueraufkommen zur Übernahme dieser Last nicht ausreicht, eine Entlastung zukommen zu lassen. 5148 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 Ritzel Noch ein Wort zur Frage der Kriegsopferversorgung! Sie wissen, daß wir die von der Mehrheit vorgesehene Regelung, die Neuordnung der Kriegsopferversorgung erst zum 1. Juni 1960 wirksam werden zu lassen, ablehnen. Wir halten die Möglichkeit für gegeben — und werden darüber in Fortsetzung dessen, was schon gesagt worden ist, noch näher zu sprechen haben —, eine nennenswerte Erhöhung sowohl der Grundrenten als auch der Ausgleichsrenten zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt eintreten zu lassen. Wir freuen uns — im Gegensatz zu dem Herrn Bundesfinanzminister, der heute morgen sein Bedauern darüber ausgedrückt hat —, daß der Bundesrat in gewissem Umfang in diese Kerbe haut. Er hat vorgeschlagen, für die Kriegsopferversorgung nicht 900 Millionen DM, sondern 1,1 Milliarden DM zusätzlich einzusetzen, damit die geplante Neuregelung nicht zum 1. Juni, sondern bereits zum 1. April 1960 wirksam werden kann. — Sind ja schon gemacht worden, Herr Kollege Niederalt, und werden weitergemacht werden. Noch eine Bemerkung zu der dieser Tage berührten Frage der Verpflichtung der Bundesregierung in bezug auf die Abzahlung einer Bundesschuld von 1,9 Milliarden DM an die Rentenversicherungsträger. Herr Bundesarbeitsminister Blank hat seinerzeit dem Hohen Hause erklärt, wir brauchten darüber an sich nicht zu debattieren, denn 200 Millionen DM würden im nächsten Rechnungsjahr bezahlt. Wir haben im Haushalt den Ansatz von 200 Millionen DM vergeblich gesucht und schließlich festgestellt, daß die Bundesregierung erklärt, das werde durch die Zuteilung von Schuldbuchforderungen geschehen. Aber Schuldbuchforderungen haben gegenüber anderen Schulden den Nachteil, daß sie nur im Einvernehmen mit dem Schuldner veräußert werden können. Das ist alles andere als eine Lösung und gegenüber dem Parlament — ich will mich ganz gelinde ausdrücken — eine unbewußte oder gar eine bewußte Irreführung durch den Herrn Sozialminister. Wenige Bemerkungen zum Einzelplan 12, Verkehr! Gestern las ich eine Statistik, derzufolge es in der Bundesrepublik 230 000 km Gemeindestraßen gibt, — 230 000 km! Herr Bundesfinanzminister, wenn ich bei dieser Größenordnung an die bescheidenen Zuwendungen denke, die Sie im Rahmen des noch nicht zustande gekommenen Zweiten Verkehrsfinanzgesetzes für die Gemeinden vorgesehen haben, wenn ich mich weiter daran erinnere, wie verschuldet ein großer Teil der Gemeinden und Gemeindeverbände als Träger des Straßenwesens sind, dann muß ich sagen: die Lösung, die Ihnen bis jetzt auf dem Gebiete der Finanzierung der Straßenunterhaltsund -bauverpflichtungen der Gemeinden vorschwebt, ist keine Lösung. Was ist außerdem eigentlich mit dem berühmten Zweiten Verkehrsfinanzgesetz? Ich denke noch an die Kursivzahlen im Bundeshaushalt 1959. Dutzende von Millionen sollten aus den Erträgnissen des Zweiten Verkehrsfinanzgesetzes zur Finanzierung verwendet werden. Es kam ein Höcherl-Ausschuß, und weiter ist die Sache noch nicht gediehen. Es fehlt offensichtlich an der nötigen Courage, um dieses Verkehrsfinanzgesetz durchzubringen. Für das Rechnungsjahr 1959 wird eine Wirkung des Gesetzes wohl mit hundertprozentiger Sicherheit überhaupt ausbleiben. Bleibt die Hoffnung, daß die Bundesregierung die erhöhten Einnahmen aus der Mineralölsteuer als Ersatz noch im Rechnungsjahr 1959 für die Bedienung der Ansätze in Kursivzahlen verwendet, die andernfalls ohne Bedienung bleiben würden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat schon vor längerer Zeit einen neuen Antrag eingebracht, der auf der Zweckbindung der Einnahmen basiert, die aus der Straßenbenutzung fließen. Wir wollen aus dieser Zweckbindung — das ist eine der großen Sorgen des verehrten Herrn Kollegen Dr. Dresbach; ich möchte ihm das nicht als nachträgliches Geburtstagsangebinde servieren , wir wollen aus diesem Verlangen kein Dogma machen, aber wir wollen doch die Dinge einmal ins rechte Licht stellen, in das Licht der Wahrheit. Ich habe mir aus dem Etat und aus den anderen Unterlagen einmal herausgezogen, was es an Zweckbindungen gibt. Es ist viel mehr, als Sie offensichtlich bisher gewußt haben und als auch ich gewußt habe. Wenn man die Dinge auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht, kommt man zu ganz interessanten Ergebnissen. Die Kohlenabgabe zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues ist eine zweckgebundene Abgabe. Die Abgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz zugunsten des Ausgleichsfonds ist eine zweckgebundene Abgabe. Der Münzgewinn zur Förderung des Wohnungsbaues ist eine zweckgebundene Leistung. Die Rückflüsse, Tilgung und Zinsen aus alten und neuen Wohnungsbaudarlehen zur Förderung des Wohnungsbaues sind zweckgebunden. Das Aufkommen aus dem Verkehrsfinanzgesetz vom 6. April 1955 zur Förderung des Straßenbaues, des Baues von Autobahnen, der Erneuerung von Anlagen der Deutschen Bundesbahn und der nichtbundeseigenen Eisenbahnen ist zweckgebunden. Im Wohnungsbaugesetz ist zugunsten des sozialen Wohnungsbaues eine Zweckbindung vorhanden, im Landwirtschaftsgesetz zugunsten des Grünen Planes eine Zweckbindung, und auch das Notopfer Berlin ist in seiner früheren und heutigen Form zweckgebunden. (Abg. Dr. Dresbach: Nein, Herr Ritzel, das stimmt nicht!)


    (Abg. Niederalt: Deckungsvorschläge!)


    (Beifall bei der SPD.)

    - Doch, es ist so!

    (Abg. Dr. Dresbach: Nein, nein; es war immer ein allgemeines Deckungsmittel!)

    -- Das ist von dem Herrn Bundesfinanzminister a. D. Fritz Schäffer immer so behauptet worden; in Wirklichkeit ist es anders!
    Zweckbindungen sind nach der Reichshaushaltsordnung gar nicht verboten; sie wird vielfach falsch interpretiert. § 29 der Reichshaushaltsordnung sagt wörtlich:
    Alle Einnahmen des Reichs dienen als Dekkungsmittel für den gesamten Ausgabebedarf
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5149
    Ritzel
    des Reichs, soweit nicht im Haushaltsplan oder in besonderen Gesetzen etwas anderes bestimmt ist.
    Sicher, aber das hindert das Parlament und die Regierung nicht, aus den allgemeinen Erträgnissen des Haushalts zweckgebunden für ganz bestimmte Dinge ständig Mittel bereitzustellen.

    (Abg. Leicht: Aber nicht alles!)

    - Es wird ja auch nicht alles für den Straßenbau verlangt! Wir wollen, Herr Kollege Leicht, für den Straßenbau nur das haben, was durch die Straßenbenutzung hereinfließt.
    Ich habe schon aus früherem Anlaß darauf hingewiesen, daß es schon im alten Deutschen Reich bei den Wehrabgaben eine Zweckbindung gab, daß es in der Schweiz eine Zweckbindung gibt und daß es in Wien Zweckbindungen gab und gibt. Kurzum, wir befinden uns in ganz guter Gesellschaft. Bei der Etatberatung im einzelnen werden wir darauf noch zu sprechen kommen.
    Ich hatte vor, noch zum Sondervermögen und zur Dotationsauflage zu sprechen, werde mir aber die Bemerkungen aus Zeitgründen ersparen und für die Debatte im Haushaltsausschuß vorbehalten.
    Noch ein Wort zum Thema der Zweckbindung. In den USA wird ab 1. Juli 1961 bis zum 30. Juni 1964 nach dem dortigen neuen Straßenbaufinanzierungsgesetz eine Zweckbindung zugunsten des Straßenbaues für 50 %der Einnahmen aus der Bundessteuer auf neue Kraftwagen und für 62,5 %der Einnahmen aus der Bundessteuer auf Kraftfahrzeugzubehör festgelegt.
    Ich komme zum Einzelplan 14 - Verteidigungshaushalt —. Der Herr Verteidigungsminister scheint nicht anwesend zu sein. Zur Vermeidung von Mißverständnissen und Geschichtsklitterungen möchte ich hier für meine Fraktion feststellen, daß die Sozialdemokratie bereit ist, die vom Bund eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Das bedeutet aber nicht, daß sie darauf verzichten kann und verzichten wird, den Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums möglichst gewissenhaft zu prüfen und gegen diejenigen Teile Stellung zu nehmen, die nach ihrer Auffassung nicht zu verteidigen sind. Wir meinen damit die überhöhten unrealistischen Ansätze, aus denen gegebenenfalls neue Ausgabenreste erwachsen. Wir meinen auch das Versäumnis der gesamten Bundesregierung, bei der NATO rechtzeitig die Anrechnung derjenigen Bundesleistungen zu erwirken, die im Rahmen der anrechenbaren Verteidigungsleistungen ebenfalls Berücksichtigung erfordern. Das sind die Aufwendungen für die Kriegsopfer, für die Vertriebenen und die Heimkehrer, die Aufwendungen für Berlin, alles Kosten der deutschen inneren und damit letzten Endes auch der deutschen äußeren Verteidigung.
    Wir behalten uns eine Überprüfung der Einzelansätze vor. Entsprechend dem vorjährigen einstimmigen Beschluß haben wir im Haushaltsgesetz einen allgemeinen Stopp bei Neueinstellungen und Stellenhebungen. Anders im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums! Der Bundesrat hat festgestellt, daß im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums zirka 20 000 Stellenhebungen vorgesehen sind. Der Haushalt ergibt, daß im Jahre 1960 verlangt werden zu den vorhandenen 10 640 Beamtenstellen weitere 3177, zu den vorhandenen 28 295 Angestelltenstellen weitere 14 847, zu den vorhandenen 42 880 Arbeiterstellen weitere 33 246, zusammen im Einzelplan 14 — Verteidigung 51 270 neue Stellen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ein interessanter Beitrag zum Thema der wachsenden Staatsausgaben!
    In dem Zusammenhang auch noch ein Wort zu dem Problem der Reste aus den Verteidigungshaushalten. Der Bundesfinanzminister hat, wie gesagt, die Hoffnung, daß es in absehbarer Zeit möglich sein wird, die Reste zu töten, indem sie nachträglich wieder zur Deckung verwandt werden durch Einstellung entsprechender Beträge in die einzelnen Haushalte seit 1959. Das System ist nicht übel, aber es genügt nicht. Es genügt vor allem auch deshalb nicht, weil es nach wie vor eine Blankovollmacht für den Verteidigungsminister enthält, das zu tun, was ihm beliebt. Wenn das Parlament etwas auf sich hält, muß es verlangen, daß die Bundesregierung die technischen Voraussetzungen dafür schafft, daß diese ungedeckten, aber zur Ausgabe genehmigten Reste, die sich nach dem heutigen Stand im Verteidigungsbereich auf 7100 Millionen und im zivilen Bereich anderer Haushalte auf 3000 Millionen, also insgesamt auf 10,1 Milliarden DM belaufen, nun, wie es in der Sprache der Fachbürokratie heißt, getötet werden. Das Ganze muß erneut in die Mühle der parlamentarischen Beratung und Prüfung getragen werden. Dort muß das bewilligt werden, was wirklich notwendig ist, und es muß das unter den Tisch fallengelassen werden, was nicht notwendig ist. Das ist ein Problem, das sehr, sehr wichtig ist und das wir nicht leichtnehmen dürfen, das wir nicht ernst genug nehmen können.
    Wenige Sätze zu dem Einzelplan 25 — Wohnungsbau —! Herr Wohnungsbauminister, wo bleibt die Durchführung der Zusage des Bundesfinanzministers und des Bundeswohnungsbauministers auf Vereinheitlichung der Sondertöpfe und der Einzelmaßnahmen? Warum geschieht jetzt im neuen Haushalt wiederum das Gegenteil durch Aufteilung in Kapitalhergabe und Zinszuschuß? Damit erreichen Sie doch keinen Abbau der Verwaltung, keine Übersicht und keine Klärung der Begriffe. Wir bedauern, daß im sozialen Wohnungsbau gewisse Rückschritte zu verzeichnen sind. Wir wünschen eine verstärkte Fortsetzung des sozialen Wohnungsbaus, damit in absehbarer Zeit die Wohnungszwangswirtschaft beseitigt werden kann. Wir sind auch gegen eine jährliche Kürzung der Förderungsmittel.
    Schließlich noch eine Bemerkung zu dem letzten Einzelplan, zu dem ich mir vorgenommen habe, etwas zu sagen, nämlich zu dem Haushalt des Bundesministers für Vertriebene. Diese Bemerkung bezieht sich nicht auf den Haushalt, sondern auf die Person. Ich hebe nicht auf umstrittene Dinge ab. Ich hebe nicht auf diesen oder jenen Bericht in dieser oder jener Presse ab. Ich hebe darauf ab, daß wir doch mehr und mehr in uns die Erkenntnis
    5150 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Ritzel
    reifen lassen sollten, daß der Herr Bundesvertriebenenminister Oberländer mit Rücksicht auf seine frühere geistige Haltung der letzte ist, der als Vertriebenenminister in Betracht kommt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Er war doch einer der Vertreter der geistigen Vorbereitung der Umsiedlungsaktionen einer unheilvollen Zeit.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Er war doch praktisch der Anhänger der Ideologie oder des „Mythos des 20. Jahrhunderts" des unseligen Herrn Alfred Rosenberg.
    Ich will die Dinge in diesem Augenblick nicht vertiefen. Aber ich möchte an Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion der CDU, die diesen Herrn Minister stellt, und an den Herrn Bundeskanzler die Frage richten, ob Sie nicht endlich einmal diese schwere Hypothek von der deutschen Außenpolitik, diese schwere Hypothek für eine vernünftige Außenpolitik wegnehmen wollen, um dem Herrn Bundesvertriebenenminister die notwendige Ruhe zu geben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann eine Bemerkung über andere Auffassungen! Ich erinnere mich daran, daß der frühere Herr Bundesfinanzminister einmal in seiner Eigenschaft als Finanzminister mit erhobenem Zeigefinger sagte: Die Anträge der sozialdemokratischen Opposition würden 22 Milliarden kosten. Die Rechnung war wahrscheinlich richtig; wir haben sie nicht nachgeprüft. Nur mangelte dem früheren Herrn Finanzminister die Erkenntnis, daß wir bei der Beurteilung eines Haushalts wie des Bundeshaushalts von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen, daß unsere Vorschläge betreffend die Haushaltsgestaltung von einer ganz anderen Meinung getragen werden. Wir haben bei unseren Anträgen in vergangenen Tagen — das werden wir auch künftig wiederum tun — andere Alternativen entwickelt, als sie Ihrer Auffassung entsprechen. Die Sozialdemokraten halten sich an die Vorschrift des Art. 111 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach Einnahmen und Ausgaben auszugleichen sind. Die Sozialdemokraten wünschen auch keine weitere Aufblähung des Bundeshaushalts, aber sie gehen von anderen Voraussetzungen, von einer anderen Verteilung der Gewichte aus. Bei den Ausgaben liegt für uns das Schwergewicht auf dem Gebiete der kulturellen Leistungen, dem Gebiete des Wohnungsbaus, der sozialen Sicherung sowie des Verkehrs, alles zur inneren Sicherheit und zur Stärkung der Demokratie ohne sträfliche Vernachlässigung der äußeren Sicherheit!
    Nach unserer Auffassung sind zur Finanzierung der Ausgaben keine Steuererhöhungen erforderlich. Vielleicht könnte man im Hinblick auf eine Einkommens- und Vermögensverteilung und im Sinne einer breiteren Streuung von Eigentum über eine Verschärfung der Steuerbelastung bei der Einkommen- und Vermögensteuer bzw. bei der Erbschaftsteuer bei den Spitzenbeträgen reden. Wir wünschen einen Katalog ganz anderer Maßnahmen. Wir verlangen eine Durchforstung der Ausgabeposten durch Beseitigung des Überflüssigen und der sogenannten Luftpolster im Haushalt. Wir verlangen einen Abbau der Subventionen und konkrete Vorschläge der Bundesregierung auf diesem Gebiet. Wir verlangen eine Auflösung der überflüssigen Ministerien, vor allem des Bundesministeriums für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder. Wir verlangen eine Reduzierung der weithin übersetzten Aufgaben auf dem Gebiete der Propaganda, für die erhebliche Mittel im Haushalt stehen. Wir verlangen Sparmaßnahmen, insbesondere, wie vorhin schon erwähnt, die Beseitigung unnötiger Behörden. Wir sind gegen die fortgesetzt festzustellende Überbewertung einzelner Stellen mit entsprechend aufgeblähtem Verwaltungsapparat. Wir sind für eine elastischere Verwendung der Beamten und Angestellten. Wir wünschen wir wünschen das seit Jahr und Tag, und jetzt endlich geschieht es zum erstenmal —, daß vermögenswirksame Ausgaben weiterhin in den außerordentlichen Haushalt eingestellt werden. Wir wünschen also eine andere Verteilung des Kuchens.
    Im Jahre 1960 ist nach dem Haushaltsplanentwurf wiederum kein Haushalt der sozialen Gerechtigkeit gegeben. Nach wie vor herrschen große Unterschiede, die ihren Ausdruck auch in der Besteuerung der Kleinen und in der Besteuerung der Großen finden. Die Steuerreform 1957/1958 brachte nach unwidersprochenen Feststellungen den kapital- und einkommenstarken Kreisen besonders große Vorteile. Nur ein Beispiel: 3000 Personen konnten sich durch diese Steuerreform in einen Steuernachlaß von 126 Millionen DM teilen.

    (Abg. Leicht: Herr Ritzel, aber 45 % zahlen keine Steuern mehr!)

    Das weiß ich. Ich meine die, die den unteren Rängen angehören und noch Steuern zahlen und die vor allem von den indirekten Steuern — da handelt es sich ja um eine Massenbelastung — erheblich betroffen sind.
    Ich meine nicht etwa die, von denen vor kurzem einmal, Herr Kollege Leicht, im Rechnungsprüfungsausschuß die Rede war. Sie erinnern sich vielleicht noch an die Frage, die ich einem Regierungsvertreter stellte. Ich fragte ihn nach dem Gehalt leitender Angestellter bundeseigener Betriebe. Nach einigem Zögern war der Herr Regierungsvertreter bereit, zu sagen, daß es sich um Gehälter von 200 000 DM pro Jahr handele. Derselbe Regierungsvertreter erklärte, als er unser Erstaunen und unsere Verwunderung bemerkte: Was wollen Sie, meine Herren, wenn wir das nicht zahlen, werden sie von der Privatwirtschaft wegengagiert. Er nannte uns als Beispiel das Einkommen eines leitenden Mannes in einer mittleren Bank, nicht in einer Großbank; da kann sogar einer, der im Staatsdienst an der Spitze steht, vor Neid erblassen, wenn er des Neides fähig ist, Herr Kollege Dresbach. Er bezifferte das Einkommen bei einer mittleren Bank auf 600 000 DM jährlich. Das ist natürlich das personifizierte Wirtschaftswunder; das geht aber an den anderen vorbei.
    Lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Antrag sagen, den wir gestellt haben und der Sie hoffent-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5151
    Ritzel
    lieh bald beschäftigen und Ihnen Gelegenheit geben wird, Ihre so viel erwähnte soziale Gesinnung zu beweisen. Wir haben einen Antrag zur Senkung der Kaffee- und Teesteuer gestellt. Vielleicht ist es nützlich, über die Feiertage einmal zu überlegen, was folgende Zahlen uns sagen können: Die Verbrauchsteuern für Kaffee betragen je 100 kg in der Bundesrepublik 143 Dollar, in Italien 116 Dollar, in Osterreich 87 Dollar, in Frankreich 62 Dollar, in Spanien 52 Dollar, in Finnland 32 Dollar, in Portugal 31 Dollar, in England 1 Dollar und in Holland 0 Dollar. Meine Damen und Herren, da haben Sie ein nur ganz winziges Beispiel aus dem Gebiet dessen, was nach unserer Auffassung auch im Bereich des Bundeshaushalts geändert werden muß.
    Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir haben bei der Beratung früherer Haushalte im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages im großen und ganzen in einer beinahe vorbildlich zu nennenden Weise zusammengearbeitet. Wir haben ein gutes Klima gehabt, und ich hoffe, daß wir das auch in Zukunft haben werden. Aber dieses gute Klima — Herr Dr. Krone und all die Damen und Herren der CDU, die es angeht, Ihnen darf ich als nicht gerade der Jüngste, sondern als ein Mann, der mit einiger Erfahrung ausgestattet ist, das einmal ganz offen sagen — ist im Plenum nicht vorhanden, und es ist deshalb nicht vorhanden, weil Sie allzusehr geneigt sind, auf Ihrer Mehrheit zu beharren und den wohlerwogenen und wohlüberlegten, begründeten und verantwortungsbewußten Vorschlägen der sozialdemokratischen Opposition — für die anderen Herren habe ich nicht zu sprechen — kein Gehör zu schenken.

    (Abg. Dr. Krone: Die haben wir alle beraten und geprüft!)

    Sie setzen oftmals eine Walze in Bewegung, die dem Gedanken des Parlaments und des Parlamentarismus schadet.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist übertrieben, Herr Ritzel!)

    Ich glaube, eine gute Zusammenarbeit wäre auch im Interesse der Bundesregierung und für den Etat nützlicher, und sie wäre zu erreichen, wenn Sie nicht immer mit Keulen auf die Vorschläge der Sozialdemokraten dreinschlügen, sondern sich angesichts dessen, worauf es ankommt, zu einer wirklich sachlichen Zusammenarbeit auch im Plenum des Bundestages und in manchen Fachausschüssen so bereit finden wollten, wie es im Haushaltsausschuß im großen und ganzen der Fall gewesen ist, auch wenn wir dort in vielen Dingen zu keiner Einigung kamen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Aber, Herr Ritzel, auch neulich im Steuerausschuß — das war doch vorbildlich! — Heiterkeit.)

    — Herr Kollege Dresbach, ziehen Sie die Dinge nicht ins Lächerliche; dazu sind sie viel zu ernst. ich glaube, wir alle sind doch gebrannte Kinder. Sind Sie nicht gleich mir der Meinung, daß die deutsche Demokratie auch bei jeder Haushaltsberatung etwas zu beweisen hat und sich bewußt sein muß, daß sie etwas zu verlieren hat?

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich ein schwieriges Unterfangen, nach einer eindreiviertelstündigen Rede noch von seiten der CDU mit Bemerkungen zu dem wichtigsten Ereignis des Jahres, der Einbringung des Haushalts, anzukommen, vor allem wenn man weiß, daß der Redaktionsschluß der großen Zeitungen gewöhnlich um 17 Uhr ist. Aber ich will trotzdem den Versuch machen, das zu tun.

    (Zuruf des Abgeordneten Hermsdorf.)

    — Herr Hermsdorf, Sie sind ein kundiger Thebaner, Sie wissen, was ich mit meiner Bemerkung meine. — Erlauben Sie mir zunächst, eins zu tun: Wir sollten dem Bundesfinanzminister dafür danken, daß er trotz der schon herannahenden Arbeiten für den zweiten Haushalt, den wir im kommenden Jahr zu verabschieden haben werden, diesen Haushalt sehr pünktlich vorgelegt hat und daß er es trotz der zu überwindenden personellen Schwierigkeiten in seinem Hause rechtzeitig geschafft hat.
    Lassen Sie mich nun zu allgemeinen Bemerkungen kommen, die sich direkt an die Rede des Herrn Bundesfinanzministers anschließen. Ich beabsichtige nicht, hier einen stundenlangen Rundgang durch die einzelnen Haushalte zu machen, sondern will versuchen, die großen Linien darzulegen, die uns hier bei der Einbringung des Jahreshaushalts bewegen.
    Eine kleine bittere Vorbemerkung kann ich mir allerdings nicht ersparen. Herr Bundesfinanzminister, wir haben sonst alljährlich die ausgezeichneten „Allgemeinen Vorbemerkungen zum Entwurf des Haushaltsplanes" immer so rechtzeitig erhalten, daß wir daraus unseren Nutzen ziehen konnten. In diesem Jahre ist das leider nicht der Fall gewesen — ich habe sie erst heute morgen bekommen —; ich möchte bitten, sie in Zukunft wieder zu angemessener Zeit vorzulegen.
    Gleich auch eine Anmerkung zu einem sehr schmerzlichen Kapitel, das seit Jahren hier auf der Tagesordnung steht und das auch mein Vorredner angeschnitten hat: zu den über- und außerplanmäßigen Ausgaben, die im Jahre 1957 2,28 Milliarden DM — meine Zahlen weichen ein wenig von den Ihren ab, Herr Kollege Ritzel — und im Jahre 1958 immerhin noch über 2 Milliarden DM betragen haben. Ich sage das aus einem bestimmten Anlaß. Denn gestern haben wir im Haushaltsausschuß z. B. Vorlagen bekommen, die von sehr einschneidender finanzieller Natur waren. Es erfüllt uns im Haushaltsausschuß mit wachsendem Unbehagen, daß in den letzten Jahren in steigendem Maße solche Vorlagen mit außer- und überplanmäßigen Ausgaben außerhalb des Haushaltsplans eingebracht worden sind. Es ist anzuerkennen, daß sie regelmäßig dem Haushaltsausschuß vorgelegt werden, eine Pra-
    5152 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Dr. Vogel
    xis, die früher nicht immer geübt wurde. Aber ich glaube, es geht zu viel im Grunde genommen am Haushalt vorbei. Das sollte in Zukunft unbedingt eingeschränkt werden. Wenn ich z. B. allein an die leidigen Vorlagen hinsichtlich unserer Subventionen als Folge des Eiergesetzes denke — ein sehr profaner Vorgang, aber immerhin umfaßt er viele Millionen DM , so komme ich zu der Schlußfolgerung, man sollte bei der Einbringung der Gesetzentwürfe die Kosten besser vorausberechnen, sofern das möglich ist. Aber ich kann mir vorstellen, daß es auch hier so gegangen ist wie mit manchen anderen Bundeszuschüssen: es werden aus einer gutgemeinten Aktion heraus Subventionen gewährt, die einen Notstand mindern sollen, und dann wird daraus ein Eigengebilde, das von Jahr zu Jahr immer größere Formen annimmt. Ich erinnere nur an die Brotsubventionen, die wir in den ersten Jahren hatten und die abzubauen nachher einige Mühe gekostet hat.
    Ein weiteres ist hier ebenfalls schon erörtert worden: die Frage der Bindungsermächtigungen. Der Herr Bundesfinanzminister ist auf Seite 17 seiner Rede näher darauf eingegangen. Ich werde auf die Frage im Zusammenhang mit dem Konjunkturverlauf noch zu sprechen kommen.
    Ich darf hier aber eines zur Ehrenrettung meiner Freunde aus der Landwirtschaft betonen. Vorhin ist die neue Erweiterung der Subventionen um einen Betrag in der Größenordnung von fast 200 Millionen DM angeführt worden, der diesem „Berg" hinzugefügt worden ist. Dazu muß mit Nachdruck festgestellt werden, daß es sich hier um Hilfe für Berlin, um Bevorratungen, um Ausgaben für die landwirtschaftliche Siedlung handelt, die in keinem Zusammenhang mit den sonstigen landwirtschaftlichen Subventionen stehen.
    Und eines muß sich auch die deutsche Industrie ständig vor Augen halten. Bestimmte große Summen, die wir für den „Getreideberg" aufbringen, sind im Grunde genommen nichts weiter als versteckte Exportsubventionen für unsere Industrie

    (Abg. Dr. Conring: Sehr richtig!)

    und kommen der Landwirtschaft nicht zugute; im Gegenteil, sie belasten sie nur. Wenn wir einen Handelsvertrag mit einer Nation schließen, sind wir häufig — Beispiel: Schweden — genötigt, große Getreidemengen hereinzunehmen, für die wir beim besten Willen bei uns überhaupt keine Verwendung haben. Wir müssen sie dann mit Verlust exportieren oder — was wir gestern z. B. im Haushaltsausschuß beschlossen haben — sie mit einem Verlust von 80 DM pro Tonne als Viehfutter mitvermahlen lassen; immerhin noch ein billigerer Vorgang, als mit Verlust zu exportieren. Aber um es klarzustellen: das sind keine Subventionen für die Landwirtschaft, das sind echte Industriesubventionen.
    Der Bundesfinanzminister hat sich wiederholt auf die letzten Monatsberichte der Deutschen Bundesbank bezogen, und er hat auch die Kundgebung des Zentralbankrates erwähnt. Dabei sind hier Erinnerungen an den Juliusturm aufgeklungen, von dem auch mein Herr Vorredner gesprochen hat. Meine Damen und Herren, ich mache für meine Person gar
    kein Hehl daraus, daß ich in den vorangegangenen Jahren, als der Vorgänger des jetzigen Finanzministers im Amte war, diese Politik der Zurücklegung von Mehreinnahmen des Bundes für kommende Zeiten, in denen mit Sicherheit höhere Ausgaben zu erwarten waren, für richtig gehalten habe und daß ich auch heute nicht zögere, mich dazu zu bekennen.

    (Abg. Dr. Conring: Sehr gut!)

    Inzwischen bahnt sich ja so etwas — ich möchte keinen Ausdruck gebrauchen, den man nachher mißverstehen könnte — wie eine ganz andere Beurteilung der Vorgänge an, die sich damals abgespielt haben. Seien wir doch so ehrlich, klopfen wir an unsere Brust und sagen wir: Dieses Hohe Haus, ob Regierungskoalition oder Opposition, hat dafür gesorgt, daß diese Vorräte an Geld, die eigentlich für kommende Jahre bestimmt waren, verausgabt worden sind. Ich möchte an die Aufsätze erinnern, die damals, zum Teil sogar in der deutschen Fachpresse, erschienen sind und in denen dargelegt wurde, welche Inflations-Wirkungen dies haben müsse. Wir haben aber keine Inflation erlebt, sondern wir konnten uns in den letzten eineinhalb Jahren einer außerordentlich stabilen Preislage erfreuen. Ich will hier keine einzelnen Aufsätze zitieren. — Herr Kollege Hermsdorf, die Bundesbank, die doch wohl darin ein völlig unbestrittener Zeuge ist, hat zusammen mit dem von Ihrer Seite ebenfalls völlig unbestrittenen Präsidenten Dr. Fürst klargestellt, daß wir uns fast eineinhalb Jahre lang in dein erstaunlichen magischen Dreieck bewegt, daß wir nämlich eine Vollbeschäftigung bei stabilen Preisen durchgehalten haben. Das war ein außerordentlicher Glückszufall für unser Volk.
    Ich möchte aber noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen. Heute wird es beinahe bedauert, daß man keine Reserven mehr hat, schon wegen ihrer antizyklischen Bedeutung. Die Überhitzung vor allen Dingen der öffentlichen Bauvorhaben wird heute wohl kaum noch bestritten. Sie liegen in diesem Jahr um 29 % über den Bauvorhaben der öffentlichen Hand im vergangenen Jahr. Wenn man heute fordert, der Bund solle dies besser steuern, sollte man sich rückblickend der antizyklischen Bedeutung der Geldstillegungen in den vergangenen Jahren erinnern und sie auch entsprechend würdigen.
    Lassen Sie mich noch ein Zweites zur Kapitalmarktpflege sagen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß der Bundesfinanzminister sich hier derartig .entschieden für eine Kapitalmarktpflege ausgesprochen hat. Nichts werden wir in den kommenden Jahren mehr brauchen als wachsendes oder vielleicht überhaupt erst neues Vertrauen der deutschen Sparer zu Bundesanleihen und zu sonstigen öffentlichen Anleihen. Man kann nicht von einem Volke, das zwei Inflationen überstanden hat, ohne weiteres verlangen, daß es zu öffentlichen Anleihen das gleiche Vertrauen wie vor 1914 hat oder das gleiche Vertrauen, das heute die Sparer oder die Käufer derartiger Anleihen in England und in anderen Ländern der Welt haben. Ich bin dankbar dafür, daß das deutsche Volk, nicht zuletzt auch infolge der Stabilitätspolitik unserer Regierung, wieder
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5153
    Dr. Vogel
    von neuem das Vertrauen gefaßt und von 1948 bis heute wieder 41 Milliarden DM den Spartöpfen zugeführt hat. Denn ohne diese 41 Milliarden DM wäre die Aufbaupolitik in Deutschland überhaupt nicht möglich gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber der Bundesfinanzminister wird in die Tasche greifen müssen, um für die jetzt wieder neu in Erscheinung tretenden Bundesanleihen das umbedingt erforderliche Vertrauen zu schaffen. Ich werde mir nachher noch erlauben, einiges zur Kapitalmarktlage als solcher auszuführen.

    (ein Posten, den der Bundesfinanzminister nannte, bedeutsam zu sein. Er erwähnte die nicht weniger als 370 Millionen DM, die wir bislang schon an den Bürgschaften verloren haben. Angesichts der Tatsache, daß das gegenwärtige Bürgschaftsvolumen bei 10 Milliarden DM liegt, bin ich manchmal sehr besorgt über die Verluste, die wir vielleicht in der Zukunft noch in Kauf nehmen müssen. Mein Freund Dr. Leverkuehn hat ja in verschiedenen Gremien, neuerdings auch in einer Rede vor dem Überseeklub in Hamburg, zu diesem Problem Stellung genommen. Er hat, glaube ich, nicht ohne Grund als Fachmann davor gewarnt, etwa zu glauben, daß das kapitalarme deutsche Volk Leistungen auf diesem Gebiet erbringen könne, die über seine Kräfte gehen. Nach zwei Inflationen ist nicht mehr das Kapital vorhanden, das früher einmal vorhanden war. Wir hatten bereits vor 1914 bei uns nicht im entferntesten jene Kapitalreichtümer bei den großen Banken zu verzeichnen, wie sie damals die „Big Fives" in England besaßen. Wenn ich mich nicht irre, hat heute die kleinste der fünf englischen Großbanken mehr Kapital als die drei großen Banken Deutschlands zusammengenommen. Das sind Dinge, die man sich dabei ständig vor Augen halten sollte. Nun lassen Sie mich noch einiges zu dem sagen, was ich gestern in der Zeitung las über die Vorschläge, die Lord Shawcross hinsichtlich der OEEC geäußert hat. Ich habe es sehr begrüßt, daß sich die OEEC nunmehr entschlossen hat, die von der deutschen Seite ausgearbeiteten Schutzbestimmungen für deutsche Kapitalanlagen im Ausland aufzugreifen und sie zur Sache der OEEC zu machen. Ohne derartige Schutzbestimmungen für Kapitalanlagen im Auslande kann es schwerlich zur Ausweitung der Hilfe für die Entwicklungsländer kommen. Ich hoffe, daß auch die Entwicklungsländer selbst in ihrem ureigensten Interesse willig in der Sicherung des Eigentums und gleichzeitig auch in der Wahrung der rechtsstaatlichen Beziehungen zwischen den gebenden und den empfangenden Ländern mitgehen werden. Noch eine kleine Anmerkung zu der Rolle des Bundesrechnungshofes inmitten unserer Beratungen und der Beratungen des Haushaltsausschusses im besonderen. Wir wollen die Rolle des Bundesrechnungshofes in keiner Weise unterschätzen. Im Haushaltsausschuß haben wir immer darauf gehalten, das Urteil des Bundesrechnungshofes zu hören und ihn als Gutachter mit heranzuziehen. Aber mir scheint — ich habe Gelegenheit gehabt, es heute Herrn Präsidenten Dr. Hertel selbst zu sagen, der heute morgen hier anwesend war —, die Kontrollmaßnahmen, die jetzt nebeneinander, neben Oberfinanzdirektion, Bundesrechnungshof und den einzelnen beteiligten Ressorts laufen, haben sich gerade bei den Bauaufträgen in einer Weise gehäuft, daß der Kontrollen ein wenig zuviel geworden ist. Es scheint, daß wir heute beinahe eine Kostensteigerung zu befürchten haben, weil häufig genug die notwendigen Schlußabrechnungen infolge der übermäßigen Kontrollen hinausgezögert werden und mehr und längere Kredite erfordern. Das ist auch ein Punkt, der wohl beachtet werden muß. Es darf nun deswegen nicht zu einer Minderung notwendiger Kontrollen kommen, wohl aber sollte nach meinem Dafürhalten ein Abbau überflüssiger Kontrollen erfolgen. Ich möchte angesichts der vorgerückten Zeit nicht auf das Thema der Neuinvestitionen bei Verkehrswegen und bei Verkehrsmitteln eingehen. Ich darf Sie aber wohl darauf hinweisen, daß vor allen Dingen die Entwicklung des Luftverkehrs uns in Bälde vor einige Aufgaben ganz besonderer Größenordnung stellen wird. Nachdem wir nun einmal zur Errichtung einer deutschen Luftfahrtgesellschaft A gesagt haben, werden wir hier noch sehr bittere neue Zusagen machen müssen, wenn die nächsten Anforderungen an neuen Maschinen kommen. Ich bedaure das zu langsame Zusammenwachsen der vier Gesellschaften, die sich in dem neuen Luftfahrtpool zusammengeschlossen haben. Es wäre uns lieber, wenn dieser Zusammenschluß rascher und infolgedessen breiter vor sich ginge — ich nehme das gern auf. Es wäre uns lieber, wenn sich vielleicht auch die holländische Gesellschaft entschließen könnte, einem solchen Pool beizutreten. Ich darf die Voraussage wagen, daß in absehbarer Zeit wohl kaum noch Raum für kleine nationale Gesellschaften sein wird angesichts der Entwicklung in der modernen Luftfahrt und wenn man bedenkt, welche neuen Zusammenballungen vor allen Dingen in Amerika bereits entstehen. Wenn man für die Luftfahrt ein gutes Werk tun will, sollte man in allen europäischen Ländern rechtzeitig überlegen, ob man durch einen frühzeitigen Zusammenschluß unter Umständen nicht Millionen ich wage sogar zu sagen: Milliarden — an Fehlinvestitionen einsparen könnte. Noch eine kleine Randbemerkung. Die Vertreter der Rektorenkonferenz und der Studentenschaft haben uns mit ihrem Besuch beehrt. Sie waren bei der SPD zu Gaste und werden heute abend bei uns, 5154 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 Dr. Vogel bei der CDU zu Gaste sein. Da mein Vorredner das Thema angeschnitten hat, kann ich nicht umhin, auch dazu eine Bemerkung zu machen. Ich muß offen gestehen, ich hätte es lieber gesehen, wenn uns von seiten der Wissenschaft und der Forschung ein einheitlicher Vorschlag unterbreitet worden wäre. Das hatten wir im Grunde genommen von den Mitgliedern des Wissenschaftsrates erwartet. Mir will, so möchte ich einmal sagen, das getrennte Vorgehen der einzelnen Körperschaften nicht ganz gefallen. Ich weiß, wie schwierig es ist, Professoren unter einen Hut zu bringen; ich nehme an, daß mir die anwesenden Professoren diese Bemerkung gestatten werden. Aber es wäre uns lieber, wenn wir hier einen genau durchdachten Vorschlag, einen Wunschzettel aller dabei Beteiligten bekommen hätten und nicht den Vorschlag einer bestimmten Gruppe. — Über die Höhe der Forderung möchte ich mich hier überhaupt nicht äußern, denn dazu ließen sich Ausführungen von einer halben Stunde Dauer machen. Lassen Sie mich außer diesen Randbemerkungen einiges zu dem äußern, was hier vorher gesagt worden ist. Ich werde meinem Vorredner in einigen Vorwürfen, die er erhoben hat, vielleicht zustimmen, und ich freue mich immer, wenn ich ihm zustimmen kann. In einigen Punkten aber muß ich Übertreibungen zurückweisen. Nehmen wir z. B. einmal die Subventionen. Es ist sehr einfach zu sagen: Weg mit den Subventionen! Aber, meine Damen und Herren, ich habe bis jetzt noch keine derartigen Anträge gehört, wenn es hier in der Vergangenheit um die Beratung des Einzelplans 10 ging. Wenn hier Anträge gestellt wurden, betrafen sie niemals eine Verminderung des Ansatzes, sondern nur eine Umgruppierung. Man sollte sich daher hüten, der Regierung in dieser Beziehung Vorhaltungen zu machen. Ebenso vermag ich keinen Vorzug darin zu sehen, etwa die Personalien im Haushalt des kommenden Jahres zu beraten. Wir waren uns wohl darüber einig, daß ein Überrollungshaushalt außer dem zeitlichen Vorteil den Vorteil hat, daß er das Parkinsonsche Gesetz zumindest einmal für neun Monate inhibiert. Schon das scheint mir ein großer Vorzug eines solchen Verfahrens zu sein; denn mit Sicherheit wären sonst neue Stellenhebungen und neue Ausweitungen auch außer denen im Verteidigungsministerium gefordert worden. Einiges, was die kommunalen Finanzen betrifft, darf hier „nicht im Raum stehenbleiben" — um diesen jetzt so beliebten Ausdruck zu verwenden; neben „flexibel" ist es der schönste moderne Ausdruck, den ich in diesem Hause gehört habe —. Man kann nicht so mit leichter Hand vom Tisch wischen, was der Bundesfinanzminister in einer sehr durchdachten Aufzählung an neuen Einnahmen der Kommunen darlegte. Man kann einfach nicht daran vorbeigehen, daß sich die Gewerbesteuereinnahmen allein in diesem Haushaltsjahr um 400 Millionen DM erhöhen werden, und um weitere 400 Millionen das ist vorausschaubar — in den nächsten drei oder fünf Jahren. Das sind sehr, sehr einschneidende Summen. Vor allen Dingen kann man doch an einem nicht vorbeigehen: Warum will man den Bund in einer Angelegenheit beschuldigen, in der er nun weiß Gott nicht zuständig ist? (Abg. Dr. Dresbach: Herr Vogel, die kommunale Selbstverwaltung bezieht sich nicht nur auf die Ausgabenseite des Haushalts, sondern auch auf die Einnahmenseite, und das hat der Finanzminister ausgezeichnet dargestellt!)


    (Abg. Dr. Conring: Und breiter!)


    (Beifall bei der CDU/CSU.)


    (Abg. Dr. Conring: Und keine Globalforderungen!)

    — Er hat nicht nur das getan, sondern er hat nach meinem Dafürhalten die Länder überaus fair behandelt, indem er einiges auszusprechen vermied, was eigentlich dabei auszusprechen gewesen wäre.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Die SPD hat sonst, wenn ich recht unterrichtet bin, auf ihre Fahnen geschrieben, sie wolle etwas zum Ausgleich zwischen Reich und Arm beitragen. Warum nicht auch hier zwischen reichen und armen Kommunen? Ich sehe durchaus nicht ein, warum es nicht Aufgabe der Länder bleiben sollte, hier einiges zum Ausgleich zwischen dem Reichtum einiger Gemeinden und der unverkennbaren Armut der großen Mehrzahl mit beizutragen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Herr Vogel, den haben wir ja schon beim Gewerbesteuerausgleich zwischen Betriebsstättengemeinden und Wohnsitzgemeinden!)

    — Auch wenn wir das einmal abziehen, Herr Kollege Dresbach! Ich könnte Ihnen unschwer allein aus meiner engeren Heimat mehr als 14 Städte aufzählen, bei denen man nun weiß Gott nicht von einer Notlage sprechen kann. Aber es gibt dann auch soundso viel arme, und es ist, wenn wir das Subsidiaritätsprinzip richtig anwenden, zunächst einmal Sache der Mittelinstanz, der Länder, hier für einen Ausgleich zu sorgen. Man kann, glaube ich, in keinem Fall sagen, der Bundesfinanzminister oder wir hätten die Gemeinden als ein „lästiges Anhängsel" betrachtet.
    Was den Wohnungsbau anlangt, darf ich Ihnen eines in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Wir haben schon das letzte Mal bei der zweiten Lesung des Haushalts gewarnt, zuviel in den Wohnungsbauhaushalt hineinzustecken. Uns lagen entsprechende Anträge von Ihrer Seite vor, und ich war damals dankbar, daß die massivsten dieser Anträge in der dritten Lesung zurückgezogen worden sind; denn in der Zwischenzeit zeichnete sich am Horizont die Entwicklung der Baukonjunktur bereits ab. Es ist doch wohl unbestreitbar, daß wir heute alle ein Interesse haben, die Baukonjunktur nicht zu überhitzen. Sie ist ja doch bereits an einem sehr kritischen Punkt angelangt.
    Wenn wir im Jahre 1959 auf 580 000 größere und teurere Wohnungseinheiten — gemessen am Vorjahr — kommen werden, dann ist das eine außerordentliche Leistung. Einfach erstaunlich ist es, daß
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5155
    Dr. Vogel
    sie ohne noch größere Preisanhebungen und Verteuerungen zustande gekommen ist. Der Index, den ich gestern noch in der Hand hatte, war niedriger als der, den ich erwartet hatte, und die neuesten Untersuchungen, die das Statistische Bundesamt angestellt hat, bringen ein neues Licht in die Meßziffern. Ich stelle mit Erleichterung fest, daß wir bis jetzt von höheren Teuerungsschätzungen ausgegangen sind.
    Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu einer Nachricht sagen, die hier, wie ich glaube, über Gebühr aufgebauscht worden ist. Heute morgen lasen wir in der „Welt" eine Information über einen angeblichen Kabinettsbeschluß, der gestern in bezug auf neue Leistungen gegenüber den Vereinigten Staaten gefaßt worden sein soll. Ich war, als ich diese Meldung in die Hand bekam, genauso betroffen wie Kollege Ritzel und habe als Haushaltsobmann meiner Fraktion sofort den Herrn Bundeskanzler gefragt, was es damit für eine Bewandtnis habe. Der Herr Bundeskanzler hat mir sofort versichert, daß es sich dabei keineswegs uni Kabinettsbeschlüsse handelt, sondern um Überlegungen, die selbstverständlich jedes Kabinett in Europa vorher anstellen wird, wenn ihm der Besuch des amerikanischen Unterstaatssekretärs mit bestimmten Absichten angekündigt wird. Ich glaube, man sollte die Bedeutung dieses Vorgangs nicht übertreiben.
    Vor allen Dingen hat mich die, ich möchte einmal sagen, übermenschliche Rolle geradezu etwas betroffen gemacht, die ein paar armen TO.A-III-Angestellten - vielleicht waren es auch TO.A-II-Angestellte — in New-Delhi zugemutet wird: Sie sollten den indischen Herrn Ministerpräsidenten rechtzeitig davon unterrichten, was er zu der deutschen Wiedervereinigungsfrage zu sagen habe!

    (Abg. Ritzel: Der Botschafter!)

    — Lieber Kollege Ritzel, ich möchte nicht, daß hier ein Schatten auf meine ausgezeichneten persönlichen Beziehungen zu dem früheren Botschafter, dem Kollegen Professor Dr. Meyer fällt, der in Indien eine ausgezeichnete Tätigkeit entfaltet hat. Aber wenn es seinem vorzüglichen Verhältnis zu Nehru, wenn es den wiederholten Spaziergängen Arm in Arm mit dem verstorbenen Vizekanzler Blücher, der sich seines besonderen Vertrauens erfreute, wenn es den Bemühungen von Professor Erhard — und den ganz bescheidenen Bemühungen auch einer kleinen deutschen Parlamentarier-Konferenz — in Unterredungen mit Nehru nicht gelungen ist, den indischen Ministerpräsidenten davon abzuhalten, in einem Presseinterview, so möchte ich es bezeichnen, einen Lapsus linguae zu begehen, dann sollte man doch nicht von kleinen deutschen Angestellten eines Informationsdienstes draußen übermenschliche Dinge verlangen!
    Herr Kollege Ritzel, Sie haben gesagt, die SPD hätte die Absicht, einen Antrag einzubringen, wonach die Auswirkungen des Parkinsonschen Gesetzes — um es auf diesen Nenner zu bringen — wissenschaftlich analysiert werden sollen. Wir werden einem jeden derartigen Beginnen frohen Herzens zustimmen. Aber wir werden uns dabei
    auch gleichzeitig mit Skepsis wappnen. Denken Sie an die traurige Geschichte all derartiger Versuche in der Vergangenheit; sie haben dieses Gesetz, glaube ich, wenig ändern können. Solange sich dieses Hohe Haus nicht entschließt, bei seinen kommenden Gesetzen etwas mehr auf die Kostenfrage zu achten als bisher, hat es keinen Sinn, sich darüber zu beschweren, daß sich die Bürokratie ausbreitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was die Steigerung der Preise und die damit zusammenhängenden Fragen anbelangt, so werde ich dazu einiges in meinen weiteren Ausführungen sagen. Aber ich möchte der morgigen Debatte nicht vorgreifen. Ich weiß, daß im Hintergrund nicht nur die Messer geschliffen, sondern ja auch bereits die Sensen gedengelt werden. Aber es muß etwas gesagt werden, um die Dinge richtig darzustellen und die deutsche Öffentlichkeit vor Übertreibungen zu warnen, die in der letzten Zeit offenbar ein wenig überhand genommen haben. Ich wäre dankbar gewesen, wenn mein Vorredner auch festgestellt hätte, daß neben einem unbestreitbaren Anstieg der Preise gerade gegenwärtig vor Weihnachten eine ebenso unbestreitbare Tendenz zu sinkenden Preisen vermerkt werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Das sollte man entsprechend würdigen.

    Lassen Sie mich nun zu dem kommen, was ursprünglich als eigentliche Konzeption meiner Rede zur Einbringung des Haushalts gedacht war.
    Der Herr Bundesfinanzminister und sein Haushalt 1960 haben in der deutschen Fachpresse eine höchst unterschiedliche Behandlung erfahren. In einem der bekanntesten Organe ist er wenig erfreulich weggekommen. „Der Volkswirt" z. B. überschrieb seine Betrachtung zum Haushalt mit „Finanzpolitischer Seiltanz". Der Bund der Steuerzahler machte es diesmal gnädiger und empfahl den Abbau der Subventionen, ohne allerdings zu sagen, ob er auch damit einverstanden sei, daß bestimmte steuerliche Vorteile, die gerade den hinter ihm stehenden Kreisen zugute kommen, ebenfalls abgebaut werden sollten. Diese Frage aber muß man beantworten, wenn man von einem Abbau der Subventionen als einem Allheilmittel spricht.
    Das größte Fragezeichen, das im Haushalt 1960 gesetzt werden könnte, gehört nach meiner Ansicht hinter das Kapitel der Anleihen. Es ist hier wiederholt, auch bei der. Beratung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes, vorgeschlagen worden, eine Dekkung für den Finanzbedarf stärker als bisher auf dem Anleihemarkt zu suchen. Meine Damen und Herren, wenn es in den kommenden Monaten um die Verabschiedung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes geht, warne ich Sie sehr, sich der Hoffnung hinzugeben, daß für diese Zwecke Milliardenbeträge aus dem deutschen Kapitalmarkt geschöpft werden könnten. Wenn der Bund nicht in der Lage war, ihm größere Beträge zu entnehmen, als er es bisher tatsächlich vermochte — obwohl er Bedingungen eingegangen ist, die höchst lukrativ sind
    5156 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 10. Dezember 1959
    Dr. Vogel
    —, dann wird es der Offa oder einer anderen Gesellschaft noch wesentlich schwerer als dem Bund fallen, hier zum Zuge zu kommen. Halten Sie sich doch bitte das Schicksal der Bundesbahn- und der Bundespostanleihe von vor zwei Monaten vor Augen und messen Sie daran einmal die Chancen künftiger Anleihen!
    Ich stehe nicht an zu erklären, daß der Bundesfinanzminister völlig recht hat, wenn er sagt, bei einer Zeichnung von 11 Milliarden DM festverzinslicher Werte im abgelaufenen Jahr sollte es nicht unmöglich sein, außer den geplanten Bundespost- und Bundesbahnanleihen und den sonstigen Anleihen der Länder und Kommunen drei Milliarden DM Bundesanleihen unterzubringen. Aber wir leben in einem Rechtsstaat; der Bundesfinanzminister ist gar nicht in der Lage, hier etwas zu erwirken oder zu bewirken, wenn auf der anderen Seite die Bundesbank, die Großbanken und die sonstigen an solchen Zeichnungen beteiligten Konsortialbanken nicht freiwillig mitziehen. Wir haben doch in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß man nicht ohne weiteres bereit ist, für die Zeichnung von Bundesanleihen in einer solchen Größenordnung einzutreten.
    Ich möchte also ein Fragezeichen hinter diese drei Milliarden DM Bundesanleihen des Jahres 1960 setzen. Wir werden wohl nicht fehlgehen in der Erwartung, daß notfalls durch Einsparungen und vielleicht auch durch mittelfristige Finanzierungen ein Übergang gefunden werden muß, wie er auch in diesem Jahr gefunden wurde. Ich halte diesen Weg gar nicht einmal für schlecht und ungangbar.
    Wir dürfen dabei schließlich nicht die noch offenstehenden Forderungen vergessen, die der Bundesfinanzminister nicht voll aufgezählt hat; er sprach von den Forderungen der Länder. Mein Freund Niederalt wird nachher noch nähere Ausführungen dazu machen. Aber der Bundesfinanzminister weiß auch um die Forderungen, die z. B. vielleicht von den Vereinigten Staaten an uns gestellt werden. Er weiß auch von den Wiedergutmachungsforderungen uns verbündeter Nationen, die gleichfalls noch ausstehen.
    Von meinem Herrn Vorredner ist bezüglich der Versicherungsanstalten die Summe von 1,9 Milliarden zitiert worden. Auch darüber wird man sich einmal einigen müssen.
    Es ist die Größe X angesprochen worden, die für den Bund in den neu angekündigten oder in den bereits vollzogenen Tarifkündigungen liegt. Lassen Sie mich einmal ein offenes Wort zu der Begründung sagen. Die Beamten können ja keine Tarife kündigen. Aber in einem Organ, das mir mit der Post zugeschickt worden ist, lese ich die ganz schlichte und einfache Begründung: Da der Bund in diesem Jahre ein Mehraufkommen an Steuern von 1,2 Milliarden habe, sei es wohl nicht mehr als recht und billig, daß die Beamten jetzt eine Gehaltsaufbesserung von 15 % bekämen.

    (Zuruf von der SPD.)

    - Aber bitte, lesen Sie es doch in der letzten Nummer dieses Organs selber nach! Man sollte sich
    wirklich etwas mehr darum bemühen, die Argumentation zu vertiefen.
    Ich möchte auch hier ganz offen folgendes aussprechen, Herr Kollege Dr. Schäfer: Wenn die deutsche Beamtenschaft glaubt, mit der Konjunktur gehen und an jeder Lohnerhöhung partizipieren zu müssen, setzt sie sich — das wissen Sie genauso gut wie ich — der ungeheuren Gefahr aus, daß sie nachher, wie es in der Vergangenheit schon einmal passiert ist — mit der Brüningschen Notverordnung von 20 % —, auch Abschläge hinnehmen muß, von denen sie jetzt bei der Rezession verschont geblieben ist. Das ist ein sehr gefährlicher Weg, und ich wünschte, daß die deutsche Beamtenschaft ihn nicht geht.
    Allerdings werden wir unsere Augen nicht davor verschließen können, daß die Angestelltenrenten in der heutigen Entwicklung im Vergleich mit den Beamtenpensionen einen Stand erreicht haben, der einmal unserer besonderen Beachtung wert ist.
    Lassen Sie mich nun auf eine der Kernfragen dieses Haushalts eingehen. Diese Frage lautet schlicht: Kann sich das deutsche Volk einen Haushalt in der Größenordnung von über 42 Milliarden DM leisten? Diese Frage ist nur zu berechtigt. Wer in der letzten Zeit einmal Gelegenheit hatte, die Vereinigten Staaten zu besuchen und sich dort mit Finanzexperten zu unterhalten, wird sehr bald auf ein Problem stoßen, das mein Herr Vorredner vorhin angesprochen hat, als er den Einzelplan 14 streifte. — Herr Kollege Ritzel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt besonders intensiv zuhörten! — Vorhin ist der Regierung von meinem Herrn Vorredner der Vorwurf gemacht worden, sie habe es versäumt, die deutschen Kriegsfolgeleistungen bei der Anrechnung der deutschen Rüstungsbeträge voll und ganz zu vertreten und durchzusetzen. Herr Kollege Ritzel, ich möchte dazu mit allem Freimut und in aller Offenheit folgendes sagen. Daß es überhaupt gelungen ist, den deutschen Beitrag heute auf 4,7 % zu halten — gemessen an den 12 % der Vereinigten Staaten —, verdanken wir einzig und allein der Tatsache, daß die andere Seite anerkannt hat, daß wir bestimmte Kriegsfolgelasten hatten. Glauben Sie denn ernstlich, ein Volk wie die Amerikaner oder die Engländer — die 11 % ihres Haushalts dafür ausgeben — ließe es sich auf die Dauer bieten, daß das deutsche Volk bei der Verteidigung mit 4,7 % davonkommt, während die Verbündeten das Doppelte und das Dreifache zu leisten haben?

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte die Dinge hier einmal völlig klarstellen.

    (Zuruf links: Wir haben doch Lasten! — Weitere Zurufe.)

    Wir kannten die Hartnäckigkeit des Bundesfinanzministers Schäffer, und Sie werden genau wie ich anerkennen, daß er gerade die Leistungen für Berlin, die Leistungen für die Heimatvertriebenen, für den Lastenausgleichsfonds, für die zerstörten Wohnungen etc. in zähen und unermüdlichen Verhandlungen ins rechte Licht gerückt hat. Das ist sein historisches
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5157
    Dr. Vogel
    Verdienst, und das sollte auch nicht geschmälert werden.

    (Abg. Hermsdorf: Das ist aber auch ein Verdienst dieses Hauses!)

    — Das erkenne ich ebenso an, und ich zögere auch nicht, das zu sagen. Aber, Herr Kollege Barsig, wenn Sie sich einmal mit amerikanischen Experten darüber unterhalten haben, dann wissen Sie doch, in welcher Situation wir uns befinden, wenn wir denen erst mühsam aufzählen müssen, was wir für Lasten haben.

    (Abg. Hermsdorf: Sie können ja nicht einmal meinen Namen mehr behalten!)

    — Ich bitte wegen der Namensverwechslung um Entschuldigung.
    Zurück zum Thema. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich mit der ersten deutschen Parlamentsdelegation einer Einladung der Hansard-Society folgte — die englische Regierung wagte es damals, 1949/50, noch gar nicht, uns einzuladen — und nach England kam. Als wir aus .dem Parlamentsgebäude heraustraten, fanden wir ein uraltes Vehikel vor dem Parlamentsgebäude, und als wir darüber eine kleine Bemerkung machten, bekam ich vom Herrn Stephen King-Hall, der vielen von Ihnen ein Begriff ist, eine geradezu klassische Antwort. Er sagte: Meine lieben deutschen Freunde, ich glaube, wir Engländer müssen noch einen dritten Weltkrieg verlieren, damit ihr uns in einem Mercedes 300 nachher abholt, während wir als Siegernation mit dem Fahrrad fahren werden! Das war in der Zeit, in der wir unseren Verwandten in England noch ein Speckpaket mitbrachten — 1950 —, während die siegreiche Nation noch ihre Lebensmittelkarten hatte.
    Ich möchte hier einmal vor dem Hohen Hause eine Warnung aussprechen. Sehr viele im deutschen Volk glauben, das deutsche Volk habe nach zwei Katastrophen einen historischen Anspruch darauf, auf einer Insel der Seligen einer glücklichen Zukunft entgegenzuleben und andere den größten Teil seiner eigenen Sicherheit gewährleisten und dafür zahlen zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Wir haben heute bei uns bereits vielfach einen Grad an Opferunwilligkeit gegenüber dem Staat erreicht, der uns allen, ob wir nun in der Regierungskoalition oder in der Opposition sitzen, ernstlich zu denken geben sollte. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob wir bereits alles getan haben, um noch die Reste des guten Willens zu mobilisieren, die heute noch im deutschen Volk vorhanden sind.
    Während der Parlamentarierkonferenz in Washington ist ein Gedanke aufgekommen, der sich in der letzten Zeit infolge der steigenden Bedeutung der konventionellen Waffen wieder darbietet. Gerade bei den kommenden Haushaltsberatungen über den Einzelplan 14 — Verteidigung — sollten wir uns ernsthaft überlegen, ob wir nicht in stärkerem Maße als bisher auf freiwilliger Basis allen denjenigen eine Möglichkeit geben sollten, sich in Kursen für die Territorialarmee zur Verfügung zu stellen, die
    dazu heute noch freiwillig bereit sind. Wir könnten damit versuchen, einen Beitrag über die 12 Divisionen hinaus zu leisten, die aufzustellen wir uns in den Pariser Verträgen verpflichtet haben. Ich weiß, daß man über den militärischen Effekt einer solchen Aufstellung sich vielleicht noch unterhalten muß, Kollege Kreitmeyer, aber darauf kommt es hier nicht an. Vielmehr kommt es darauf an, dem im deutschen Volk noch vorhandenen good will eine Möglichkeit zur Entfaltung zu geben.

    (Abg. Kreitmeyer: Völlig meine Meinung!)

    — Ich freue mich, daß wir da übereinstimmen.
    Ein zweiter Punkt verdient, heute oder später noch einmal vertieft zu werden. Wir können unsere Augen nicht vor dem weltweiten Diffamierungsfeldzug gegen die Bundesrepublik schlechthin verschließen. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß heute von seiten des Ostblocks — wobei man den Leuten in Pankow, aber auch den Polen und den Tschechen ganz besondere Aufgaben zugewiesen hat — versucht wird, in der Welt den Eindruck zu erwecken, die Bundesrepublik sei nichts weiter als die Erbin des Naziregimes von 1933 bis 1945 und die Bundeswehr nichts weiter als ein Haufen revanchelüsterner Soldaten, die bereit seien, über friedliebende Nachbarn herzufallen. Wir dürfen uns über die ungeheure Gefährlichkeit einer solchen Unterstellung, die draußen dem Ausland eingehämmert wird, nicht hinwegtäuschen! Es gibt leider draußen Leute genug, die auf Grund der bitteren Erfahrungen, die sie mit uns Deutschen in zwei Weltkriegen gemacht haben, solchen Einflüsterungen heute ein offenes Ohr leihen. Wer sich einmal offenen Auges die Fernsehprogramme in den Vereinigten Staaten ansieht, wer sich dort die Masse der neuen Hetzfilme ansieht und sich bestimmte Radiosendungen anhört, die in steigendem Maße gesendet werden, der wird einfach nicht daran vorbei können, festzustellen, daß es sich hier um einen groß angelegten Feldzug zur Diffamierung der Bundesrepublik handelt. Das Hohe Haus wird sich zu überlegen haben, was es dagegen zu unternehmen bereit ist.

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Vor allem auch in Deutschland; wenn gewisse Nachtigallen wieder trapsen! — Abg. Bausch zum Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Sie sollten sich schämen, kommunistische Propagandalügen nachzuschwätzen!)

    — Auch in Deutschland, Herr Schmitt. Wir sind durchaus bereit, das auch hier zu tun.