Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt heute dem Deutschen Bundestag den Entwurf des Haushaltsgesetzes für das Finanzjahr 1960 fristgerecht vor, nach dem 1. Durchgang im Bundesrat.
Der Entwurf eines neuen Haushaltsplans muß nach der Haushaltsordnung spätestens am 5. Januar eingebracht werden. Wir tun dies also in diesem Jahre — wie im Vorjahr — schon 5 Wochen vorher. Die Bundesregierung hofft, daß es den gesetzgebenden Körperschaften, vor allem dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, möglich sein wird, die zweite und dritte Beratung des Haushaltsgesetzes noch vor Beginn des neuen Finanzjahres
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Bundesfinanzminister Etzel
stattfinden zu lassen. Die Beratungszeit für den neuen Bundeshaushaltsplan wird auch deswegen verkürzt werden können, weil er für alle persönlichen und sächlichen Verwaltungsausgaben unverändert die Vorjahresansätze enthält. Die Bundesregierung folgt dabei einer einmütigen Entschließung des Deutschen Bundestages. Lediglich der Einzelplan der Verteidigung enthält Stellenvermehrungen und Stellenhebungen. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, die in Einzelfällen aus der unveränderten Fortgeltung des Stellenplans entstehen könnten, enthält das Haushaltsgesetz eine Ermächtigung für den Bundesminister der Finanzen, mit Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bundestages unter der engen Voraussetzung eines unabweisbaren Bedarfs wie bei Haushaltsüberschreitungen für dieses Jahr Mehr-Stellen zu bewilligen. Diese Zwischenlösung muß dann beim nächstjährigen Haushalt von den gesetzgebenden Körperschaften endgültig bestätigt werden.
Das Finanzjahr 1960 wird nur drei Vierteljahre umfassen. Am 1. Januar 1961 gehen der Bund und wahrscheinlich auch die Länder und Gemeinden zum Kalenderjahr als Finanzjahr über. Wenn ich auch diesen ersten Reformschritt zur Anpassung des Haushaltsrechts an eine gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise nicht überschätze, so wollen Sie doch darin erneut einen Ausdruck meines Bemühens sehen, den Ablauf der öffentlichen Finanzwirtschaft nicht bloß in seinen vielfältigen Einzelmaßnahmen, sondern auch in seinem zeitlichen Rhythmus weitestmöglich in den gesamtwirtschaftlichen Ablauf einzuordnen.
Dieser Übergang zum Kalenderjahr als Finanzjahr bringt es mit sich, daß die Bundesregierung schon jetzt mit der Aufstellung des Haushaltsplans für 1961 beginnt. Die Bundesregierung wird diesen weiteren Haushaltsplan, wie ich hoffe, bereits Ende Mai verabschieden und Ende Juni den gesetzgebenden Körperschaften zuleiten. Die parlamentarische Behandlung dieses Haushaltsplans für 1961 beginnt dann unmittelbar vor oder nach den Parlamentsferien. Ich brauche nicht hervorzuheben, welches außerordentliche Maß an Arbeit für die parlamentarischen Körperschaften, insbesondere den Haushaltsausschuß, und für die Ministerien, insbesondere das Finanzministerium, damit verbunden ist. Angesichts dieser Entwicklung ist der Haushaltsplan für 1960 praktisch mehr ein Übergangshaushalt. Materiell allerdings enthält er einige finanzpolitische Probleme und Entscheidungen von großer Tragweite für die Zukunft.
Es ist ein guter Verfassungsbrauch, daß der Finanzminister in seiner Haushaltsrede zunächst über den Stand der Bundesfinanzen berichtet. In meiner Vorjahresrede habe ich vier tragende Grundgedanken hervorgehoben, die die Finanzpolitik der Bundesregierung bestimmen sollten. Diese Generallinie wurde beim bisherigen Vollzug des Haushalts 1959 und bei der vorbereitenden Planung des Haushalts 1960 eingehalten. Diese Leitgedanken sind:
Die Ausgaben sollen so niedrig wie möglich gehalten werden; Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit
sollen die Planung und den Vollzug jedes Haushalts bestimmen.
Nachdem die großen Steuersenkungen der Jahre 1956 und 1958 bis auf weiteres im wesentlichen abgeschlossen sind, sollten die Steuern tunlichst nicht wieder erhöht werden. Neue Ausgaben sollten ihre Grenzen finden, soweit sie nicht aus höheren Steuereinnahmen infolge des Wachstums des Sozialprodukts oder durch Wenigerausgaben für fortfallende Zwecke gedeckt werden können. Steuerliche Maßnahmen zur Anpassung der Finanzpolitik an außerordentliche Konjunkturerfordernisse bleiben erforderlichenfalls vorbehalten.
Die Haushaltswirtschaft des Bundes, die insbesondere bei den Verteidigungsausgaben der letzten Jahre unter Ausnahmebedingungen gestanden hat, soll schrittweise wieder in die bewährten Maßstäbe und Formen übergeleitet werden. Dazu gehört insbesondere der Abbau eines unsichtbaren Haushalts aus übermäßigen Ausgaberesten und Bindungsermächtigungen früherer Jahre, der durch die völlige Auskehrung des Juliusturms erforderlich wird.
Der Kapitalmarkt sollte für außerordentliche Finanzbedürfnisse des Bundes so spät und so wenig wie möglich beansprucht werden. Die großartige Steigerung der Kapitalbildung sollte sich zunächst in einem ausgewogenen Kapitalmarkt bei niedrigen und gleichbleibenden Zinssätzen konsolidieren. Die Früchte dieses deutschen Sparwunders sollten zuerst . den privaten Investitionen der produktiven Wirtschaft und dem Wohnungsbau zugute kommen.
Diese Leitgedanken meiner Finanzpolitik wurden beim Vollzug des Haushaltsplans 1959 und bei dem Entwurf für 1960 mit Einschränkungen, auf die ich zu sprechen komme, beachtet. In einigen Teilgebieten konnten sie nicht uneingeschränkt verwirklicht werden.
Das Rechnungsjahr 1958 konnte am 31. März 1959, also zu Beginn des laufenden neuen Haushaltsjahres, mit Hilfe der Entnahme von 1,8 Milliarden DM aus dem Rückstellungskonto — sprich: Juliusturm — in Einnahme und Ausgabe ausgeglichen werden. Bezieht man in den Jahresabschluß auch die Haushaltsreste ein, so ergibt sich allerdings ein SollFehlbetrag von 10,1 Milliarden DM. Er beruht allein auf den hohen Ausgaberesten in gleicher Höhe, von denen 7,1 Milliarden DM auf den Verteidigungshaushalt entfielen. Inzwischen hat die Abwicklung der Haushaltsreste erfreuliche Fortschritte gemacht. Für das Ende des Finanzjahres 1959 erwarten wir insgesamt eine Verminderung der übernommenen Ausgabereste von rund 10,1 Milliarden DM auf etwa 8 Milliarden DM, also eine Senkung um rund 2 Milliarden DM. Der Verteidigungshaushalt vermindert seine Reste darin von rund 7,1 Milliarden DM auf 5,6 Milliarden DM, also er allein um 1,5 Milliarden DM. Zu der fortschreitenden Abwicklung des Nebenhaushalts der Restewirtschaft hat die planmäßige Neudeckung der überhohen Ausgabereste des Verteidigungshaushalts im Haushaltsplan für 1959 demnach entscheidend beigetragen. Erfreulich ist auch die weitere Minderung der Ausgabereste bei den zivilen Ausgaben von
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rund 3 Milliarden DM auf voraussichtlich 2,5 Milliarden DM, also um 1/2 Milliarde DM. Die zivilen Ausgabereste haben damit die normale Größenordnung fast wieder erreicht.
Am 1. Oktober 1959 haben wir den üblichen Halbjahresabschluß gezogen, um auf seiner Grundlage den voraussichtlichen Ablauf des gesamten Finanzjahres 1959 bis zum 31. März 1960 sicherer beurteilen zu können. Die Ausgaben des Bundes waren im ersten Halbjahr um 826 Millionen DM größer als die Einnahmen. Das war so vorgesehen. Die Mehrausgaben im ersten Halbjahr beruhen auf einigen außerordentlichen Zahlungen, insbesondere den Aufwendungen anläßlich der Saarrückgliederung mit rund 880 Millionen DM und der vorzeitigen Tilgung von Nachkriegskrediten an die Vereinigten Staaten mit 627 Millionen DM und Großbritannien mit 265 Millionen DM. Dazu treten gewisse höhere Zahlungen für den Wohnungsbau und den Straßenbau, die in diesem Jahre frühzeitiger als sonst begonnen und abgerechnet werden konnten.
Eine annähernd zuverlässige Vorhersage über die Gesamtausgaben bis zum Jahresende ist unter dem veränderten Rhythmus dieses Jahres kaum möglich. Ein besonderes Problem sind die Verteidigungsausgaben. Im ersten Halbjahr blieben sie um rund 900 Millionen DM unter dem Halbjahres-Soll. Ihr Ansteigen in der zweiten Jahreshälfte ist mit Sicherheit zu erwarten. Nach den Angaben des Verteidigungsministers werden seine Haushaltsbewilligungen in diesem Jahr ausgeschöpft, was einer Ist-Ausgabe von rund 8,5 Milliarden DM entsprechen würde.
Eine große Überraschung haben uns im bisherigen Ablauf des Finanzjahres 1959 die Steuereingänge bereitet. Noch im Frühjahr dieses Jahres wurden meine Haushaltsansätze für 1959 und die zugrunde liegende Annahme über das Wachstum des Bruttosozialprodukts als sehr, ja als zu optimistisch bezeichnet. Wie in jedem Jahr, so haben wir auch in diesem Jahr die Steuerschätzungen nicht allein erarbeitet, sondern in Zusammenarbeit mit völlig unabhängigen Stellen außerhalb des Bundesfinanzministeriums. Dazu gehören das Bundeswirtschaftsministerium, das Statistische Bundesamt, die Deutsche Bundesbank und einige wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute. Alle diese Stellen waren unter dem Eindruck des verminderten Wirtschaftswachstums Ende 1958 der Meinung, daß für 1959 die Annahme eines Wachstums des Bruttosozialprodukts um 5,5 v. H. äußerst optimistisch sei. Der Meinungsaustausch mit den Wirtschaftsforschungsinstituten ging lediglich darum, ob ein Wirtschaftszuwachs von 5 v. H. oder 5,5 v. H. zu erwarten sei, wobei ich mich für die höhere Zahl entschieden habe.
Inzwischen hat die Konjunktur ,sich bei uns in einem unerwarteten Maße zur Vollbeschäftigung, ja zur Überbeschäftigung entwickelt. Wir dürfen annehmen, daß das Bruttosozialprodukt gegenüber dem Vorjahr nicht bloß um 5,5 v. H., sondern um etwa 6,5 v. H. ansteigen wird. Wir haben die begründete Hoffnung, daß auch das Jahr 1960 eine
weitere Steigerung um 6 v. H. bringen wird. Diese Entwicklung hat natürlich zu höheren Steuereinnahmen in den Kassen des Bundes, der Länder und Gemeinden geführt. Für den Bundeshaushalt rechnen wir mit einer Mehreinnahme von etwa 1,2 Milliarden DM bis zum Ende des Finanzjahres 1959. In den Haushalten der Länder sind die Steuermehreinnahmen wegen ihres größeren Anteils am Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer sogar noch erheblich höher als beim Bund.
Bei den Gemeinden führt die steigende Konjunktur zu noch größeren Unterschieden der örtlichen Steuerkraft, weil die Hochkonjunktur vor allem das Aufkommen der Gewerbesteuer erheblich erhöht und damit in erster Linie die Industriegemeinden erfaßt.
Wenn die Steuern höher als vorgeschätzt in die Kasse kommen, wird der Finanzminister leicht beschuldigt, sie aus Zweckpessimismus niedrig geschätzt zu haben. Ich hoffe Sie überzeugt zu haben, daß davon keine Rede sein kann. Es ist meine Absicht, die Steuereinahmen bewußt eher höher als niedriger zu schätzen, damit dieser immer wiederkehrende Vorwurf des Zweckpessimismus endlich verstummt. Ich darf Sie auch daran erinnern, daß im Jahre 1958, also in meinem ersten Haushaltsjahr, die tatsächlichen Steuereinnahmen um 750 Millionen DM niedriger waren, als ich sie vorher geschätzt hatte. Ich habe also dort nicht in Zweckpessimismus, sondern offenbar in Zweckoptimismus gemacht. Bei den Steuerschätzungen für 1960 ging ich daher wieder bewußt an die obere Grenze des Vertretbaren, nicht um dadurch den Haushaltsplan rechnerisch auszugleichen, sondern weil ich mich durch die voraussichtliche Entwicklung des Bruttosozialprodukts dazu berechtigt fühle.
Was macht nun der Finanzminister im Jahre 1959 mit den erwarteten Steuermehreinnahmen von etwa 1,2 Milliarden DM? Er hat theoretisch verschiedene Möglichkeiten. Verwendet er sie zu Mehrausgaben über die Haushaltsbewilligungen hinaus? Das ist ein Wunsch vieler, der an mich herangetragen wurde. Oder benutzt er sie zur Überschußbildung in einem neuen Juliusturm, um damit die Maßnahmen der Bundesbank zur Dämpfung der überhitzten Konjunktur und zur Sicherung der Preise und des Geldwertes zu unterstützen? Auch das ist ein Wunsch, der an mich herangetragen wird. Oder verwendet er sie zur zusätzlichen Tilgung von Schulden des Bundes, was bei Auslandsschulden konjunkturpolitisch eine ähnliche wohltuende Wirkung auf die Preise und den Geldwert enthalten könnte? Nichts von diesen drei Möglichkeiten ist hier bei uns gegeben. Hätten wir diese Steuermehreinnahmen nämlich nicht, so würde ein großer Teil der Vorhaben des außerordentlichen Haushaltsplans 1959 nicht verwirklicht werden können, weil der Kapitalmarkt den erwarteten Gesamtbetrag von rund 3 Milliarden DM, den wir ja zur Deckung des Gesamthaushalts eingesetzt hatten, nicht erbringt, also dieses Weniger durch das Mehr an Steuereinnahmen ausgeglichen werden muß. In
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einer Hochkonjunktur ist es natürlich und durchaus erwünscht, daß ein Steuermehraufkommen gegenüber dem Voranschlag zur Deckung des ursprünglich geplanten außerordentlichen Finanzbedarfs herangezogen wind. In einer solchen Konjunkturlage werden die Möglichkeiten des Kapitalmarktes regelmäßig stärker für Zwecke der privaten Wirtschaft beansprucht. Öffentliche Investitionen, die in einer solchen Lage eigentlich verringert werden sollten, müssen, wenn sie trotzdem beibehalten werden —in dieser Lage sind wir ja —, verstärkt aus dem gestiegenen Steueraufkommen finanziert werden. Zwischen der Finanzierung aus Steuermitteln und Kreditmarktmitteln besteht hier nach Art kommunizierender Röhren ein natürlicher Ausgleich, d. h. bei hoher Konjunktur haben wir hohe Steuereinnahmen, aber geringere Möglichkeiten am Kapitalmarkt, bei schwächerer Konjunktur haben wir geringere Steuereinnahmen, aber größere Möglichkeiten am Kapitalmarkt.
Zur Finanzierung des außerordentlichen Bedarfs konnten bisher langfristig am Kapitalmarkt nur rund 300 Millionen DM aufgenommen werden. Daneben haben wir bisher rund 180 Millionen DM mittelfristige Kassenobligationen zur Finanzierung des außerordentlichen Haushalts begeben. Das sind zusammen also rund 1/2 Milliarde DM. Wir hoffen, bis zum Ende dieses Rechnungsjahres, also bis zum 31. März 1960, noch Bundesanleihen in möglichst großen Beträgen marktgerecht unterzubringen. Den Restbetrag werden wir zunächst mittelfristig durch Kassenobligationen aufbringen. Alle diese Maßnahmen der außerordentlichen Geldbeschaffung treffen wir in engem Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank und unserem Anleihe-Konsortium.
Der Betriebsmittelkredit des Bundes bei der Deutschen Bundesbank und die im Bundesbankgesetz gleichgestellten Schatzwechsel bis zum Gesamtbetrage von 3 Milliarden DM werden unter keinen Umständen zur Finanzierung außerordentlicher Vorhaben, auch nicht zur Vorfinanzierung, verwendet. Der Betriebsmittelkredit dient ausschließlich dem Ausgleich unterschiedlicher Kassenbeanspruchungen aus dem unterschiedlichen Fluß von Einnahmen und Ausgaben im Ablauf des Jahres. Diesen Betriebsmittelkredit bei der Bundesbank haben wir vorübergehend bis zu 1,2 Milliarden DM beanspruchen müssen. Wir müssen diese Geldquelle für die Bundeskasse auch aus konjunkturpolitischen Gründen so klein wie möglich halten, weil jeder Kredit der Bundesbank an den Bund eine Kreditschöpfung darstellt. Der Umlauf an Schatzwechseln stellte sich im Höchstbetrag auf 750 Millionen DM. Inzwischen wurde er auf rund 250 Millionen DM zurückgeführt.
Abschließend muß ich also feststellen, daß die Steuermehreinnahmen des Jahres 1959 in keiner Form für irgendwelche Mehrausgaben verfügbar sind. Vielmehr sind sie in voller Höhe erforderlich, um die Deckungslücke im außerordentlichen Haushalt auszugleichen. Ohne diese Steuermehreinnahmen würde der außerordentliche Haushaltsplan mit seinem Gesamtbedarf von 3 Milliarden DM fast zur Hälfte nicht verwirklicht werden können; denn aus dem Kreditmarkt werden wir in der gegebenen Konjunktursituation bis zum Ende
des laufenden Finanzjahres voraussichtlich höchstens 1,8 Milliarden DM entnehmen können.
Damit, meine Damen und Herren, darf ich meinen Rechenschaftsbericht über den Stand der Bundesfinanzen in diesem Jahr abschließen. Ich wende mich nunmehr den großen finanzpolitischen Problemen der kommenden Jahre zu, womit ich eine knappe Vorschau auf einige wesentliche Umstände im Haushaltsplan für 1960 verbinde.
Im Vorjahr habe ich an dieser Stelle gesagt, daß ich an der schrecklichen Treppe ständig steigender Staatsausgaben nicht weiterbauen möchte. Gesetzliche Verpflichtungen und harte politische Tatsachen haben es mir verwehrt, dieses Ziel meiner Finanzpolitik zu erreichen, hinter dem das Bestreben steht, die Steuern niedrig zu halten.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal das Wachstum der Bundesausgaben in den letzten Jahren an Hand der Haushaltspläne: Im Jahre 1956 35,0 Milliarden DM, im Jahre 1957 37,4 Milliarden DM, im Jahre 1958 38,7 Milliarden DM, im Jahre 1959 39,8 Milliarden DM und nunmehr für 1960 41,9 Milliarden DM, also fast 42 Milliarden DM. Lag der laufende Haushaltsplan 1959 schon um rund 1,1 Milliarden DM über seinem Vorgänger, so wird der für 1960 seinen Vorgänger sogar um rund 2,1 Milliarden DM übersteigen. Der laufende Haushalt 1959 übertrifft also seinen Vorgänger um 2,8 v. H., der neue für 1960 den von 1959 sogar um 5,3 v. H. Das Bruttosozialprodukt stieg in diesen beiden Jahren vergleichsweise 1958 auf 1959, wo also der Haushalt um 2,8 v. H. gestiegen ist, um 6,5 v. H., also um wesentlich mehr, und wird voraussichtlich von 1959 auf 1960 um 6 v. H. steigen, also um eine Kleinigkeit mehr, als der Haushalt steigt.
Ähnlich erschreckend ist das Wachstum des öffentlichen Gesamthaushalts von Bund, Ländern, Gemeinden, Gemeindeverbänden und Lastenausgleichfonds in den letzten Jahren. Hier sind die Zahlen ihres bereinigten Finanzbedarfs: 1956 59,4 Milliarden DM, 1957 66,0 Milliarden DM, 1958 71,0 Milliarden DM, 1959 voraussichtlich 77,0 Milliarden DM und für 1960 müssen über 80,0 Milliarden DM erwartet werden. Das bedeutet, daß die Ausgaben der öffentlichen Haushalte von 1956 bis heute eine Steigerung um 20 Milliarden DM erfahren haben. Das ist eine erschreckende Zahl. Wir sollten sie uns immer vor Augen halten, wenn es um neue Ausgaben und ihre Finanzierung geht.
Dazu treten die aus Zwangsbeiträgen gedeckten Eigenausgaben der Sozialversicherung. Sie betrugen im Jahr 1958 rund 20 Milliarden DM und werden in 1960 voraussichtlich 21 Milliarden DM erreichen. Dieser öffentliche Gesamthaushalt einschließlich Sozialversicherung erfordert also im nächsten Jahr etwa 101 Milliarden DM.
Das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin, aus dem alle öffentlichen Finanzbedürfnisse in tausendfältigen Formen nach dem Zwangsspruch der Gesetze umverteilt werden müssen, betrug im Jahre 1958 232 Milliarden DM, im Jahre 1959 247 Milliarden DM und für 1960 erwarten wir etwa 261 Milliarden DM. Rechnerisch erfaßt der öffentliche Gesamtfinanzbe-
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darf danach in den, letzten Jahren durchschnittlich rund 40 v. H. des Bruttosozialprodukts.
Ich pflege das immer so klarzumachen: wenn jeman 100 DM verdient, wird seine Freiheit, über die Verwendung seines Einkommens zu entscheiden, durch die öffentliche Hand und durch die Soziallasten um 40 DM eingeschränkt. — Mit diesem Anteil des öffentlichen Gesamthaushalts am Bruttosozialprodukt stehen wir an der Spitze aller nichtkommunistischen europäischen Länder. Wir haben dementsprechend auch die höchste Ausgabenlast an Steuern und Sozialbeiträgen unter diesen Ländern, wie ich in anderem Zusammenhang noch erläutern werde.
Zu unserer finanzpolitischen Gewissenserforschung gehört es auch, die Entwicklung der Steuereinnahmen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt einmal kritisch zu betrachten. In früheren Jahren stiegen die Steuern stärker als das Bruttosozialprodukt. In den Jahren 1955 bis 1957 gelang es, diese Entwicklung umzukehren; die Steuereinnahmen stiegen weniger als das Bruttosozialprodukt. Seit 1958 beanspruchen die Steuern ziemlich unverändert etwa 23,5 v. H. des Bruttosozialprodukts. Diese Anpassung wurde durch mehrfache Steuersenkungen erreicht. — Wenn ich eben von 40 v. H. sprach, so handelte es sich dort um die Gesamtlasten, während es hier nur die Steuereinnahmen sind; daraus erklärt sich die Differenz.
Im Jahre 1960 werden die Steuereinnahmen aller Steuergläubiger voraussichtlich um 6,5 v. H. über dem Vorjahr liegen, während das Bruttosozialprodukt voraussichtlich „nur" um etwa 6 v. H. wachsen wird. Hoffentlich gelingt es uns in späteren Jahren, das Wachstum des Bruttosozialprodukts wieder mehr dem privaten Verbrauch und der Ersparnisbildung und weniger den öffentlichen Kassen zuzuführen.
Wo liegen nun die Gründe für das sprunghafte Anwachsen des Bundesfinanzbedarfs im kommenden Jahr um mehr als 2 Milliarden DM?
Die Bundesressorts legten ursprünglich Anforderungen vor, die mit 45,5 Milliarden DM um fast 6 Milliarden DM über dem Haushaltsvolumen des Vorjahres lagen. Ich konnte meine Ministerkollegen davon überzeugen, daß solche Anforderungen nicht verwirklicht werden können, und kürzte sie mit meinem vielberufenen Rotstift insgesamt um 3,2 Milliarden DM einschließlich der 6%igen Kürzung, Ein Gesamtausgabebedarf von 42,3 Milliarden DM — vor Abzug der 400 Millionen DM, um die sich die Ausgaben durch Rückeinnahmen aus dem Garantiekonto für Rüstungseinfuhren vermindern — mußte aber auch bei strengen Sparsamkeitsmaßstäben anerkannt werden, weil er ganz überwiegend auf alten oder neuen Gesetzen beruht. Dem Bundesfinanzminister sind hier weitgehend die Hände gebunden.
Der größte Posten von diesem unabweisbaren Mehrbedarf entfällt auf die Steigerung der Sozialausgaben. Die Gesamtausgaben des Bundes für die soziale Sicherung, die in den Jahren 1958 bis 1959 mit rund 15,7 Milliarden DM gleich hoch waren, stiegen nunmehr in einem Jahr um 2 Milliarden DM auf 17,7 Milliarden DM. Zu diesen sozialen Gesamtaufwendungen rechnen die Bundesausgaben für die Sozialversicherung, für die Kriegsopferversorgung, für den Lastenausgleich, für die Versorgung nach dem 131er-Gesetz sowie sonstige soziale Sicherungsmaßnahmen — wie Arbeitsschutz, Arbeitslosenhilfe, Fürsorge für Vertriebene, für Gesundheit, Sport und Jugendpflege — und auch die für die Förderung des Wohnungsbaues. Diese Sozialausgaben beanspruchen im laufenden Jahr knapp 40 v. H. der Gesamtausgaben, in 1960 werden es über 40 v. H. werden. Vergleichsweise beanspruchen die Verteidigungsausgaben im laufenden Jahr rund 21 v. H., im kommenden Jahr rund 23 v. H. der Bundesausgaben.
Es besteht in diesem Hause immer der Streit, was zu Sozialausgaben im weiteren und im engeren Sinne zählt. Für Sozialleistungen im engeren Sinne — das sind die Zuschüsse zur Sozialversicherung, die Kriegsopferversorgung, die Arbeitslosenhilfe, die Kriegsfolgenhilfe, der Zuschuß zum Lastenausgleichsfonds, Umsiedlung und Auswanderung und betriebliche Altersfürsorge — werden wir im Jahre 1960 rund 11,9 Milliarden DM ausgeben, das sind 1,9 Milliarden DM mehr als im laufenden Finanzjahr. Diese Bundesausgaben sind von 4,7 Milliarden DM im Jahre 1950 bis heute um mehr als das Zweieinhalbfache erhöht worden. Nehmen Sie lieber das Jahr 1954 als Vergleichsjahr, so ergibt sich, daß sie um mehr als die Hälfte gestiegen sind.
Unter den sozialen Mehrleistungen des Rechnungsjahres 1960 sind folgende Großbeträge besonders hervorzuheben: Für die Verbesserung der Kriegsopferversorgung sind 900 Millionen DM mehr veranschlagt. Dieser Betrag soll die Mehrkosten decken, die die Reform des Bundesversorgungsgesetzes in der letzten Fassung des Initiativantrages der Koalitionsparteien bei einem Inkrafttreten am 1. Juni 1960 im Finanzjahr 1960 erfordert.
Diese Verbesserung der Kriegsopferversorgung um durchschnittlich ein Drittel der bisherigen Rentenhöhe wird eine ganz außergewöhnliche Sozialhilfe dieser Bundesregierung für die Kriegsopfer sein. Für unsere Finanzpolitik ist sie eines der schwierigsten Probleme. Die gewaltige Erhöhung der Leistungen im kommenden Jahr kann finanziell nur dadurch ermöglicht werden, daß sie, abweichend von dem ursprünglichen niedrigeren Regierungsvorschlag, erst am 1. Juni 1960 wirksam wird, um so einen Rückstellungsbetrag von rund 460 Millionen DM aus 1959 einmalig zur Deckung des Mehrbedarfs in 1960 heranzuziehen. Das ist kein Trick des Finanzministers, der beim genauen Hinsehen noch zusätzliches Geld in seinem großen Sack gefunden hätte, sondern das Ergebnis einer klaren und nüchternen Rechnung. Nur das Hinausschieben des Inkrafttretens ermöglichte uns für 1960 die Steigerung der Leistungen gegenüber der Regierungsvorlage.
Diese Maßnahme bleibt im Hinblick auf die folgenden Jahre finanzpolitisch ein Wagnis. Ohne eine Erhöhung der Steuern oder eine Kürzung von Ausgaben sehe ich keinen Weg, etwaige Mehrleistun-
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gen zu decken. Ich bitte daher das Hohe Haus, bei der weiteren Beratung der Novelle zum Bundesversorgungsgesetz diese Finanzgrenze nicht zu überschreiten. Nach den Regierungsplänen sollen die Kriegsopfer ab 1960 jährlich 4,2 Milliarden DM erhalten. Das sind mehr als 10 % dieses neuen „Rekordhaushalts". Die Kriegsopferversorgung kostet fast die Hälfte des gesamten Wehrhaushalts, sie erfordert fast das Doppelte dessen, was der Bund jährlich für die gesamte Landwirtschaft oder die gesamten Fern- und Wasserstraßen leistet.
Das zweite Rentenanpassungsgesetz sowie die automatisch auf Grund der Lohnentwicklung angestiegenen allgemeinen Bemessungsgrundlagen haben zu einer weiteren Erhöhung der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung der Arbeiter, der Angestellten und der Knappschaft um insgesamt 307 Millionen DM geführt. Auf die finanzpolitische Problematik alljährlicher Rentenanpassungen im Ausmaß der durchschnittlichen Lohnentwicklung der Vorjahre will ich hier nicht näher eingehen.
Mit der Deutschen Bundesbank bin ich der Meinung, daß sie im Hinblick auf den Geldwert sehr ernst gesehen werden muß.
Das Jahr 1960 bringt uns auch höhere Aufwendungen für das Fremd- und Auslandsrentengesetz um rund 195 Millionen DM. Die neuen Rechtsverordnungen über die Anrechnung von Versicherungszeiten in der Rentenversicherung kosten zusätzlich 79 Millionen DM.
Schwer wiegen vor allem die hohen Bundeszuschüsse an die Knappschaftsversicherung. Dort hat die Kohlenkrise zu einem merklichen Beitragsausfall und zugleich zu einem erheblichen Rentenzuzug geführt, was die Knappschaft mit rund 220 Millionen DM mehr belastet. Obwohl die Beiträge zur Knappschaft schon 23,5 v. H., also fast ein Viertel der Lohnsumme betragen, kann die Rentenversicherung der Bergarbeiter nur durch einen Bundeszuschuß gesichert werden, der im laufenden Jahr 46 v. H. der Gesamtausgaben der Knappschaft erreicht und im Jahre 1960 sogar 61,4 v. H. übersteigen wird.
Die Gesamtaufwendungen für soziale Zwecke aus den Mitteln der Versicherungsträger, der öffentlichen Körperschaften und des Lastenausgleichsfonds werden von 34 Milliarden DM im laufenden Jahr auf etwa 37 Milliarden DM im neuen Jahr, also um rund 3 Milliarden DM, ansteigen. Das ist mehr als ein Drittel aller Steuern und Sozialbeiträge. Von dem erwarteten Bruttosozialprodukt des kommenden Jahres in Höhe von rund 260 Milliarden DM entfallen mehr als 14 v. H. auf Sozialleistungen. Mit diesem Anteil der Sozialleistungen am Bruttosozialprodukt liegt die Bundesrepublik an der Spitze aller vergleichbaren Staaten der westlichen Welt.
Der Anteilsatz beträgt — wegen sachlicher Vergleichsschwierigkeiten abgerundet — in Frankreich rd. 13 v. H., in Italien und den Niederlanden rd. 12 v. H., in Großbritannien und Schweden rd. 11 v. H. und in den Vereinigten Staaten rd. 6 v. H. gegenüber reichlich 14 v. H. bei uns.
Daß die Bundesrepublik unter allen vergleichbaren europäischen Staaten den höchsten Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt hat, ist der unmittelbare Ausdruck der Folgen des verlorenen Krieges. Kein Land muß Jahr für Jahr solche Leistungen für die Beseitigung der Kriegsschäden, für die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Flüchtlinge und viele andere Kriegsfolgelasten aufbringen.
Die Verteidigungsausgaben werden bei uns im kommenden Jahr um 1 Milliarde DM höher sein als im laufenden Jahr. Für eigene Streitkräfte sieht der Haushaltsplan 10 Milliarden DM vor. Davon sind 8 Milliarden DM für neue Bewilligungen, der Rest — wie im Vorjahr — zur Deckung von Ausgaberesten aus Vorjahren vorgesehen. Wenn unsere nationale Sicherheit aus eigener Bemühung demnächst einigermaßen gewährleistet sein soll, werden wir bei den unerhörten Kosten einer allein wirksamen modernen Verteidigung in den künftigen Jahren weiter steigende Lasten zu tragen haben.
Das Schicksal der Bundesfinanzen wird sich in den kommenden Jahren wahrscheinlich an den beiden großen Komponenten der Sozialleistungen und Verteidigungsausgaben entscheiden, die heute schon rund zwei Drittel aller Bundesausgaben beanspruchen. Wir müssen uns nunmehr darüber klarwerden, daß Spitzenleistungen für die soziale Sicherheit und Normalleistungen für die nationale Sicherheit unausweichlich zu höheren Steuern führen werden, wenn nicht das Rangverhältnis dieser beiden großen Bedarfskreise aufeinander abgestimmt wird.
Andere Staaten haben diesen Zeitpunkt schon früher erreicht, uns wird der unerbittliche Anpassungsprozeß verspätet um so schmerzlicher treffen.
Beim Verteidigungshaushalt ist im übrigen der Finanzminister mit dem Verteidigungsminister gemeinsam um eine bessere formelle Ordnung bemüht. Die Verteidigungsausgaben wurden in den letzten Jahren weiträumiger veranschlagt und bewirtschaftet, als es dem allgemeinen Haushaltsrecht entspricht. Das war und ist notwendig, um dem Tempo unserer Rüstung keine unnötigen Bremsen des formellen Haushaltsrechts anzulegen. Diese Ausnahmemaßstäbe sollen allmählich wieder auf Regelmaßstäbe zurückgeführt werden.
Das schwierigste und wichtigste Teilproblem, der Abbau der überhöhten Reste aus dem Verteidigungshaushalt, kommt, wie mir scheint, befriedigend vorwärts. Am 1. April 1959 entfielen von den gesamten Ausgaberesten mit 10,1 Milliarden DM noch 7,1 Milliarden DM auf den Verteidigungshaushalt. Für den 1. April 1960 erwarten wir Reste von insgesamt vielleicht noch 8 Milliarden DM, von denen nur noch 5,6 Milliarden DM auf den Verteidigungshaushalt entfallen. Bemerkenswert ist hierbei auch, daß die Ausgabereste der zivilen Ressorts von 3,0 Milliarden DM auf 2,5 Milliarden DM zurückgegangen sind. Bei rund 30 Milliarden DM
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ziviler Ausgaben im Bundeshaushalt betragen die Reste, die vorher sehr viel höher waren, also nur noch 7,5 v. H. Ich habe in meiner vor- und vorvorjährigen Haushaltsrede ausgeführt, daß 5 % das Normale sind. Wir bewegen uns also auf eine normale Entwicklung der Ausgabereste zu.
Den Überblick über die sonstigen wichtigen Ausgabenbereiche des Bundeshaushalts fasse ich ganz kurz. Für Straßenbauten bei Autobahnen und Bundesstraßen sollen 725 Millionen DM mehr als heute ausgegeben werden. Damit haben sich die Straßenbauleistungen des Bundes in einem Jahr von 1,1 Milliarden DM auf 1,8 Milliarden DM erhöht; gegenüber 1956 haben sie sich fast verdreifacht.
Die Bundesregierung hofft, daß der Bundestag das ihm vorliegende Straßenbaufinanzierungsgesetz bald verabschiedet. Sollte er den vorgeschlagenen Erhöhungen der Mineralölsteuer für Benzin um einen Pfennig und für Dieselöl um vier Pfennige nicht zustimmen, so müßte der Straßenbauplan für 1960 gekürzt werden. Ich bin davon überzeugt, daß diese geringe Steuermehrbelastung um einen Pfennig bei Benzin bei der gegenwärtigen Lage des Mineralölmarktes und der Ertragskraft der großen Mineralölgesellschaften zu keiner Erhöhung der Tankstellenpreise zu führen braucht. Dasselbe möchte ich sogar für den größeren Teil der steuerlichen Mehrbelastung bei Dieselöl annehmen.
Ich verzichte diesmal darauf, meine Damen und Herren, Ihnen den in früheren Jahren üblichen Überblick über die wesentlichen Veränderungen der Einzelpläne zu geben, obwohl das z. B. bei den höheren Ausgaben für die Landwirtschaft, vor allem die Vorratshaltung bei Getreide, für die Ländliche Siedlung, die erhöhten Eiersubventionen und dergleichen, reizvoll wäre. Ich erläutere im einzelnen auch nicht die bedeutende Ausgabensteigerung für den Wohnungsbau, die mehr oder weniger aus großen Bindungsermächtigungen aus dem Vorjahr herrührt. In diesem Einzelplan werden Sie auch erhöhte Mittel für die Räumung der Wohnlager finden, die der Bund den Ländern gewährt, damit diese sozialen und städtebaulichen Schandflecke innerhalb von drei Jahren beseitigt werden.
Mit einem Wort muß ich auf die Förderung der Wissenschaft aus Bundesmitteln eingehen. Für die Förderung dringender Bedürfnisse der Wissenschaft auf Empfehlung des Wissenschaftsrates sind Ausgaben von 120 Millionen DM und Bindungsermächtigungen von 50 Millionen DM vorgesehen. Das bedeutet eine Erhöhung des Verfügungsbetrages gegenüber dem Vorjahr um rund 60 Millionen DM. Diese Bundeszuschüsse zur Wissenschaftsförderung dienen vor allem der Finanzierung von Bauten sowie der Beschaffung von Großgeräten und wissenschaftlichen Einrichtungsgegenständen. Die Mehrkosten aus der Vermehrung der Dozentenstellen und des sonstigen wissenschaftlichen Personals trauen die Länder allein. Die Zusammenarbeit von Fund und Ländern mit dem Wissenschaftsrat ist auch in Finanzfragen erfreulich eng. Natürlich können nicht alle weitgespannten Wünsche der Professoren verwirklicht werden. Unser ernstes Bemühen, den anerkannten Bedarf mit steigenden Beträgen zu befriedigen, wird allseits gewürdigt.
Unter den kulturellen Aufgaben des Bundes gewinnt die Kulturarbeit im Ausland steigende Bedeutung. Hier handelt es sich vor allem darum, die deutschen Leistungen in Kunst und Wissenschaft dem Auslande näherzubringen, wozu heute wieder ein ausgedehntes deutsches Schulwesen im Auslande beiträgt. Die Mittel für die deutsche Kulturarbeit im Ausland sind in den letzten Jahren fortlaufend erhöht worden. 1957 erreichten sie nur 32 Millionen DM; im Jahre 1960 sind für die gleichen Zwecke 96 Millionen DM vorgesehen, das ist in meiner Amtszeit also das Dreifache des ursprünglichen Ansatzes.
Unter den kulturellen Leistungen erwähne ich schließlich aus geschichtlichem Respekt noch den erstmaligen Ansatz von 4,5 Millionen DM für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Der Bundesminister des Innern und der Bundesfinanzminister sind bereit, gemeinsam mit dem Sitzland Berlin die gesamten Finanzlasten aus der Verwaltung des preußischen Kulturbesitzes notfalls auch allein, d. h. ohne Zuschüsse einzelner ehemals preußischer Landesteile zu tragen.
Zum Ausbau und zur Verbesserung der freien gemeinnützigen Krankenanstalten werden im Rahmen eines Vierjahresplans erstmalig 25 Millionen DM für zinslose Darlehen vorgesehen. Diese Finanzhilfe des Bundes soll in den nächsten drei Jahren fortgesetzt werden, beläuft sich also auf insgesamt 100 Millionen DM. Auf die öffentlichen Krankenanstalten braucht sie nicht ausgedehnt zu werden, weil diese meist von Gemeinden und Gemeindeverbänden getragen werden, die im Bedarfsfalle zur Verbesserung ihrer Einrichtungen von den Ländern erhebliche Finanzhilfe erhalten.
Wie alljährlich muß ich mit einem kritischen Wort auf die Subventionen im Bundeshaushalt eingehen. In Verfolg der vorjährigen Haushaltsdebatte hat die Bundesregierung eine umfassende Untersuchung über die sichtbaren und unsichtbaren Subventionen im Bundeshaushalt gemacht und veröffentlicht. Die bestürzenden Feststellungen dieser Denkschrift haben die sonst so leicht erregbaren Wellen der öffentlichen Meinung leider nur zu einem gelinden Kräuseln gebracht.
Wir sollten uns nunmehr ernsthafter daran machen, diese Fülle sichtbarer und unsichtbarer Finanzhilfen des Staates zugunsten einer unübersehbaren Zahl von Betrieben und Personengruppen planmäßig zu vermindern.
Unsere Denkschrift hat gezeigt, daß viele dieser staatlichen Finanzhilfen als Start- und Anpassungshilfe gewährt wurden, um strukturelle Umstellungen auf veränderte Erzeugungs- und Absatzbedingungen zu erleichtern oder um akute Notstände zu überbrücken. Mit dieser und ähnlicher Begründung
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Bundesfinanzminister Etzel
war ein großer Teil unserer heutigen Subventionen gerechtfertigt, als sie eingeführt wurden. Der fortschreitende Aufbau unserer Wirtschaft in den Nachkriegsjahren, der inzwischen in weiten Bereichen, vor allem der gewerblichen Wirtschaft, abgeschlossen ist, hat aber einem großen Teil dieser Subventionen ihre Rechtfertigung genommen. Sie müssen jetzt fortfallen; dazu zwingt uns auch die Verschärfung der Finanzlage. Wollten wir diese inzwischen nicht mehr gerechtfertigten Subventionen auch künftig beibehalten, so würden die nichtbegünstigten Kreise sie mit Recht als anstößige Privilegien ansehen, die dem Gemeinwohl ebenso widersprechen wie dem Gleichheitsgebot der Verfassung.
Ob Subventionen sichtbar als Geldleistungen aus dem Staatshaushalt gewährt werden oder unsichtbar durch Steuerbegünstigungen vielfältiger Art, ist für ihre wirtschaftliche und politische Beurteilung gleichgültig. Es ist deshalb auch nicht gerechtfertigt, etwa nur auf den Anteil der Landwirtschaft an den sichtbaren Subventionen aus dem Bundeshaushalt hinzuweisen, daneben aber die für die gewerbliche Wirtschaft typische Form der unsichtbaren Subventionen durch Steuerbegünstigungen zu übersehen.
Im Bundeshaushalt 1960 sind die Subventionen leider noch nicht geringer als im Vorjahr. Im Gegenteil: Die günstige Getreideernte des vergangenen Jahres hat zu einem um 172 Millionen DM höheren Finanzbedarf geführt. Auch die Eiersubvention folgt wegen ihrer bisherigen gesetzlichen Bindung der wesentlich größeren Eiererzeugung und springt von 48 Millionen DM im Vorjahr auf rund 65 Millionen DM im neuen Jahr.
Das Bundesernährungsministerium bereitet hier eine bessere gesetzliche Regelung vor, von der ich hoffe, daß sie die Eiersubvention besser als bisher gegen Mißbräuche schützt und sie zugleich vermindert.
Es wird sehr zu prüfen sein, ob nicht schon im kommenden Jahr ein Teil der Düngemittelsubvention fortfallen kann. Für 1960 erfordert sie wiederum 230 Millionen DM. Seit ihrer Einführung vor fünf Jahren sind allein für sie rund 1,3 Milliarden DM aus Steuermitteln gezahlt worden. Der freiwerdende Betrag sollte für andere, vor allen Dingen strukturelle Zwecke des Grünen Planes zusätzlich verwendet werden.
Ich hoffe, daß der Grüne Plan für 1960, der noch nicht vorliegt, eine solche weitere Schwerpunktbildung bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur vorsehen wird.
Auch im Bereich der gewerblichen Wirtschaft werden die Subventionen, die dort überwiegend unsichtbar als Steuervergünstigungen gegeben werden, abzubauen sein.
Hier denke ich insbesondere an eine weitere Verringerung der Steuervergünstigungen in den Fällen
des Paragraphen 7 des Einkommensteuergesetzes.
Das Subventionswesen ist ein Krebsschaden der modernen Massendemokratie.
In einem großen Nachbarland hat es zur Zerrüttung der Staatsfinanzen und der Währung in den vergangenen Jahren entscheidend beigetragen. Schärfen wir in diesem Punkte frühzeitig unser Urteil und unser Gewissen, damit wir nicht ähnlichen Erscheinungen auch bei uns begegnen!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige grundsätzliche Ausführungen machen. Ich wende mich mit einigen Worten der steuerpolitischen Generallinie der Bundesregierung zu und dabei insbesondere der Einordnung unserer gesamten Finanzpolitik in die Erfordernisse der Konjunkturentwicklung.
Unsere finanzpolitischen Bemühungen waren bisher darauf gerichtet, mit einem Teilumbau einiger Hauptsteuern, insbesondere der Einkommen- und Körperschaftsteuer, beachtliche Steuersenkungen zu verbinden. Die größte Steuersenkung konnten wir bei der Lohnsteuer und veranlagten Einkommensteuer verwirklichen, die heute durchschnittlich um 15 v. H. niedriger sind als zu Beginn meiner Arbeit vor zwei Jahren. Diese Steuererleichterungen sind bevorzugt den unteren und mittleren Einkommensempfängern zugeflossen, bei denen die Steuerschuld sich sehr erheblich ermäßigt hat, z. B. bei einem Ehepaar mit einem Kind und 1000 DM Monatseinkommen um 26,6 v. H. Diese großen Steuerermäßigungen sollten zu einer verstärkten privaten Vermögensbildung und damit zu einer besseren eigenen Vorsorge für die Zukunft beitragen. Gleichzeitig bewirkten sie, daß nicht mehr Steuern erhoben wurden, als zur Deckung des dringenden Staatsbedarfs erforderlich war. Wir wissen aus Erfahrung, in welchem Maße hohe Steuereinnahmen zur Vermehrung der öffentlichen Ausgaben anreizen.
Daß wir mit diesen Bemühungen zur Förderung der privaten Vermögensbildung durch niedrige Steuern auf dem richtigen Wege sind, beweist die Statistik über die Vermögensbildung, die die Deutsche Bundesbank im Juni dieses Jahres erneut veröffentlicht hat. Danach ist der Anteil der privaten Haushalte an der Vermögensbildung von 31,3 v. H. in 1957 auf rund 36 v. H. der insgesamt größeren Vermögensbildung im Jahre 1958 angewachsen. Der Anteil der öffentlichen Haushalte an der Vermögensbildung ist im gleichen Zeitraum von rund 40 v. H. auf rund 31 v. H. zurückgegangen. Gewisse statistische Mängel lassen die private Vermögensbildung sogar niedriger erscheinen, als sie wirtschaftlich tatsächlich gewesen ist. Wir hoffen, daß diese Entwicklung sich weiter durchsetzt, wozu auch die steuerlichen Vergünstigungen für das Versicherungs- und Bausparen sowie die Wohnungsbauprämien und die allgemeinen Sparprämien bei-
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Bundesfinanzminister Etzel
tragen werden. Ich glaube, wir sind damit in der Verwirklichung unserer gesellschaftspolitischen Vorstellungen auf dem richtigen Wege; das kann ich mit diesen Zahlen beweisen.
In den vergangenen Jahren habe ich mehrfach die Hoffnung ausgesprochen, daß wir die allgemeinen Steuern in diesem und im kommenden Jahr nicht zu erhöhen brauchen, wenn nicht neue Maßnahmen und Gesetze die Bundesausgaben wesentlich vermehren. Ich habe Ihnen bereits dargelegt, wie sehr dies bei den Sozialausgaben gerade in diesem Jahr geschieht. Dennoch möchte ich an diesem Ziel meiner Steuerpolitik festhalten, was durch die höheren Steuereinnahmen in der Folge eines kräftig wachsenden Sozialprodukts und durch fortfallende Ausgaben erleichtert wird. Sollten aber, meine Damen und Herren, neue Gesetze und konjunkturpolitische Erfordernisse oder harte politische Notwendigkeiten uns zu einer weiteren wesentlichen Ausgabenerhöhung zwingen, so würde ihnen nur mit einer Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer oder auch der Verbrauchsteuern auf Genußmittel begegnet werden können. Ich wiederhole, daß der Bundesregierung ein solcher Zwang zur Steuererhöhung sehr zuwider wäre. Den Deutschen Bundestag bitte ich daher, bei seinen gesetzgeberischen Arbeiten, insbesondere den vorliegenden bedeutenden Sozialgesetzen, nicht über die Vorschläge der Regierungsvorlagen hinauszugehen. Unsere Finanzpolitik ist an dem Punkt angekommen, an dem weitere Ausgabesteigerungen nur durch Wenigerausgaben für andere Zwecke oder durch Steuererhöhungen ausgeglichen werden können. Dasselbe gilt für Steuersenkungen. Ein Ausweichen in eine höhere Verschuldung ist nicht möglich, worüber wir in diesem .Jahre bereits nachdrücklich belehrt worden sind.
Es ist kein Abweichen von dieser Generallinie, wenn die Bundesregierung gewisse Erhöhungen bei der Mineralölsteuer vorgeschlagen hat. Die geringe Erhöhung der Mineralölsteuer auf Benzin und Dieselöl ist gerechtfertigt, weil sie zweckgebunden eine nochmalige kräftige Erweiterung des Straßenbaues ermöglicht und dadurch den betroffenen Steuerzahlern unmittelbar wieder zugute kommt.
Die sogenannte Heizölsteuer wird von der Bundesregierung nicht aus fiskalischen Gründen, sondern, wie Sie wissen, aus rein wirtschafts- und sozialpolitischen Überlegungen vorgeschlagen. Diese Maßnahme ist auch im Grunde genommen keine Steuererhöhung, sondern die Beseitigung eines heute ganz unzeitgemäßen Steuerprivilegs, das im Jahre 1953 als Anreiz zur vermehrten Verwendung von Heizöl gewährt worden ist, als wegen der großen Kohlenknappheit die Einfuhr von Heizöl gefördert werden sollte. — Es ist so, Herr Wehner! — Die Beseitigung dieses Steuerprivilegs gehört daher zum Abbau wirtschaftlich unerwünschter Subventionen.
In unserer steuerpolitischen Generallinie liegt in diesem Jahr vor allem die Reform der Umsatzsteuer. Die vorbereitenden Arbeiten sind inzwischen so weit fortgeschritten, daß sich gewisse Lösungen abzeichnen.
Alle Überlegungen müssen davon ausgehen, daß die Steigerung der Bundesausgaben keine Verminderung des Umsatzsteueraufkommens zuläßt; dieses Aufkommen muß auch künftig dem wachsenden Sozialprodukt folgen. Eine Änderung des Umsatzsteuersystems, etwa der Übergang zu einer Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug, darf daher kein Risiko für den Haushalt enthalten. Nach den angestellten Untersuchungen ist außerdem zu erwarten, daß ein solcher Systemwechsel zu erheblichen Änderungen der Preiskalkulation in der Produktion, im Großhandel und im Einzelhandel führen würde. Hieraus könnte sich je nach der Konjunkturlage eine Verzerrung des Preisgefüges und damit die Gefahr von Preissteigerungen in einzelnen Sparten ergeben. Schließlich ist z. B. eine Mehrwertsteuer, wie die Untersuchungen technischer Sachverständiger ergeben haben, für Wirtschaft und Verwaltung schwerer zu handhaben als die jetzige Umsatzsteuer. Besonders im Übergang würden Verwaltungsschwierigkeiten auftreten. Alle diese Gründe sprechen dafür, daß eine schnelle Umstellung — ich betone: eine schnelle Umstellung — auf ein anderes Steuersystem nicht möglich ist, also die Einführung eines anderen Systems noch in dieser Legislaturperiode undurchführbar wäre.
Unter diesen Umständen ist es erklärlich, daß weite Kreise der Öffentlichkeit und auch des Parlaments uns empfohlen haben, auf eine Systemänderung zunächst zu verzichten und statt dessen im Rahmen der geltenden Allphasen-Bruttoumsatzsteuer vordringlich gewisse Teilreformen vorzunehmen, die dieses System wettbewerbsneutraler machen sollen. Ich habe für diese Überlegung Verständnis und meine, daß jetzt zweierlei geschehen sollte.
Erstens. Die Bundesregierung wird in einigen Monaten einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des heutigen Umsatzsteuerrechts vorlegen, um gewisse ungünstige Einflüsse der Allphasenbesteuerung auf die Wettbewerbsneutralität und zugunsten der Wirtschaftskonzentration zu verringern. In diese Planung werden die bereits vorliegenden Initiativanträge zur Befreiung der Großhandelslieferungen bestimmter Lebensmittel, zu einer gewissen Einschränkung der Organschaft, zur Wiedereinführung der Hersteller-Zusatzsteuer einbezogen werden. Ein vorbereiteter Initiativantrag will den Phasenausgleich in der Textilwirtschaft bei den Spinn-Webern wiederherstellen. Darüber hinaus sind andere Maßnahmen vorgesehen, die die konzentrationsfördernden Wirkungen des geltenden Systems einengen sollen. Die geplanten Maßnahmen werden so aufeinander abgestimmt sein, daß Ausfälle für den Bundeshaushalt vermieden werden. Soweit sich aus dem Initiativgesetz über die Befreiung bestimmter Lebensmittel bei der Lieferung im Großhandel ein Steuerausfall ergibt, wird dieser in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes voll gedeckt werden.
Zweitens beabsichtigt das Bundesfinanzministerium der Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des nächsten Jahres einen Studienentwurf für ein neues Umsatzsteuersystem vorzulegen, damit es allen in-
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Bundesfinanzminister Etzel
teressierten Kreisen möglich ist, in aller Ruhe und Sorgfalt die Voraussetzungen und die Folgen einer Systemänderung bei der Umsatzsteuer an einem Gesetzentwurf durchzudenken. Mit diesem Studienentwurf müßte — unter Berücksichtigung der vorliegenden Anregungen und Vorarbeiten — eine Lösung versucht werden, die einerseits möglichst wirtschaftsgerecht, wettbewerbsneutral und nicht konzentrationsfördernd, andererseits aber für Wirtschaft und Verwaltung leicht anwendbar ist und die bei ihrer Einführung wirtschaftliche Störungen tunlichst vermeidet.
Dabei müßte möglichst auch auf die Harmonisierungsbestrebungen im Rahmen der EWG Rücksicht genommen werden. Mit der für das nächste Jahr geplanten gesetzgeberischen Überarbeitung der Umsatzsteuer im Rahmen des geltenden Systems werden die eigentlichen Steuerreformmaßnahmen für diese Legislaturperiode im wesentlichen abgeschlossen sein.
Nach 1961 werden die neue Bundesregierung und der Bundestag zu prüfen haben, ob noch weitere Steuerarten, die in ihrer Rechtfertigung und ihrer Ausgestaltung auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der 20er Jahre oder auf noch viel früher zurückgehen, einer inzwischen wesentlich veränderten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angepaßt werden sollten. Dabei werden wahrscheinlich echte Reformen bei der Vermögensteuer, bei der Erbschaftsteuer und vor allem bei den Realsteuern erörtert werden müssen. Unverzüglich muß dann auch ein neues Bewertungsgesetz eingebracht werden.
Bei der künftigen Generallinie unserer Steuerpolitik werden wir auch die Steuerrechtsentwicklung in unseren Nachbarstaaten beachten müssen. Eine Harmonisierung der Steuersysteme ist, wie Sie wissen, in dem EWG-Vertrag angestrebt. Bemerkenswert ist, daß kein europäischer Staat im Laufe der letzten drei Jahre sein Gesamtsteuersystem strukturell wesentlich geändert hat. In einzelnen Staaten, die bisher entweder die direkten Steuern oder die indirekten Steuern einseitig stark betont haben, machen sich leichte Tendenzen in der Richtung eines ausgeglicheneren Verhältnisses zwischen diesen beiden Steuergruppen bemerkbar. Sie kommen damit den deutschen Verhältnissen näher, wo die direkten und die indirekten Steuern etwa je zur Hälfte zum Gesamtsteueraufkommen beitragen.
Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich einige Bemerkungen zu dem Verhältnis der Finanzpolitik und der Konjunktur machen.
Einige andere europäische Länder haben ihre Steuerpolitik in den letzten Jahren stärker auf konjunkturpolitische Überlegungen abgestellt. Auch unsere bisherigen Steuerreformen haben diese Zusammenhänge keineswegs verkannt, unsere Steuersenkungen und Einzelmaßnahmen waren immer von wirtschaftspolitischen Überlegungen bestimmt, wobei natürlich auch sozialpolitische Erwägungen nicht vernachlässigt werden durften. Auch wir dürfen in unserer Finanzpolitik, sowohl bei den Steuern wie
auch bei den Staatsausgaben und ihrer Finanzierung aus Krediten, die Rückwirkungen auf den Konjunkturablauf nicht vernachlässigen.
Bei unserer gegenwärtigen Hochkonjunktur könnte es theoretisch geboten erscheinen, die öffentlichen Investitionen zu vermindern und gleichzeitig die Steuern hochzuziehen, um so einen Haushaltsüberschuß mit entsprechenden Kassenbeständen bei der Notenbank entstehen zu lassen und diese als Kaufkraft vorübergehend stillzulegen. Wir kennen diese Zusammenhänge, meine Damen und Herren. Wir kennen sie leidvoll aus den früheren Jahren. Dieses Problem muß immer vor dem Hintergrund der jeweiligen Konjunkturlage gesehen werden. Darin liegen selbstverständlich die Schwierigkeiten, zumal sich jetzt die Konjunkturlage in rasanten Kurven verändert. Eine solche Überschußbildung im Bundeshaushalt wird uns nun auch heute wieder empfohlen, diesmal sogar in einer bewußteren Form als früher. Mögen derartige Überlegungen zur Zeit vielleicht konjunkturpolitisch gerechtfertigt sein, politisch wären sie, so glaube ich, sehr schwer durchzuführen. Ich bekenne mich mit der Notenbank grundsätzlich zu einer antizyklischen Politik, die aber auch in anderen Formen als der Überschußbildung mit hohen Kassenbeständen durch Steuererhöhung gefördert werden kann.
Mit der Entschließung des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank über eine bessere Anpassung der öffentlichen Ausgabengebarung an die Erfordernisse der Konjunkturlage stimme ich im Grundsatz überein. Wenn die Bundesbank fordert, die öffentlichen Ausgaben abzubremsen, so wiederholt sie damit nur eine Mahnung, die ich in den letzten Jahren bei vielen Gelegenheiten ausgesprochen und bei der Aufstellung des Haushaltsplans im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch beachtet habe.
Es würde aber nicht viel zu einer ausgeglicheneren Konjunkturentwicklung und damit zur Sicherheit der Währung beitragen, wenn nur der Bund mit gedrosselten Ausgaben sich antizyklisch richtig verhält.
Der größere Teil der öffentlichen Investitionen entfällt doch auf die Länder sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände. Diese Vielzahl öffentlicher Haushalte zu einer Verminderung ihrer Investitionen zu veranlassen, ist nach unseren bisherigen Erfahrungen — wir haben es versucht — nur sehr schwer zu erreichen.
Trotzdem haben wir uns bei der Aufstellung des Haushaltsplans für 1960 nachhaltig um eine Verminderung vor allem des außerordentlichen Bundesbedarfs bemüht und ihn gegenüber sehr viel weitergehenden Anforderungen auf rund 3 Milliarden DM begrenzt. Im Ablauf des Jahres 1960 wird zu prüfen sein, ob eine weitere Verminderung dieses außerordentlichen Bedarfs, sei es aus konjunkturpolitischen Gründen, sei es infolge einer geringeren Ergiebigkeit des Kreditmarktes, ins Auge gefaßt werden muß.
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Bundesfinanzminister Etzel
Bei einer Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Bundeshaushalt, Geldversorgung und Konjunkturablauf zeigt sich im übrigen, daß der Bundeshaushalt des Jahres 1959 infolge der hohen auslandswirksamen Zahlungen die Inlandsnachfrage in beträchtlichem Maße kontraktiv beeinflußt hat. Die kontraktive Beeinflussung machte mehr als anderthalb Milliarden aus. Ich glaube, das ist ein großer Beitrag des Bundeshaushaltes und unserer Bundesfinanzpolitik zu dem Problem der Konjunktur.
Auch der Haushalt 1960 wirkt — wiederum bei Herauslösung der auslandswirksamen Zahlungen — im Inland neutral, vielleicht sogar durch besondere Zahlungen, die sich im Rahmen des Rüstungssektors ergeben, wiederum kontraktiv.
Im übrigen meine ich, daß eine eindeutige Vorhersage der voraussichtlichen Konjunkturentwicklung über das ganze Jahr 1960 heute noch nicht möglich ist. Ich habe jedenfalls nicht den Mut, eine eindeutige Vorhersage zu machen.
Der außerordentliche Haushalt des Bundes für 1960 beträgt rund 3 Milliarden DM. Dieser Betrag ist finanzwirtschaftlich überhöht. Der Anteil der außerordentlichen Ausgaben an den Gesamtausgaben beträgt nur 7 %, meine Damen und Herren, nur 7 %! Dieser Satz ist niedriger als in den meisten anderen europäischen Ländern. In Frankreich beträgt er wie bei uns auch 7 %, in Belgien 12 %, in Großbritannien 15 %, in den Niederlanden 16 % des gesamten Haushalts. Ich gebe zu, daß sich die Verhältnisse anderer Länder wegen ihrer verschiedenartigen Aufgaben- und Verwaltungsordnung nicht ohne weiteres mit den unseren vergleichen lassen; das gilt auch umgekehrt.
Der außerordentliche Haushaltsplan für 1960 ordnet nur bestimmte vermögenswirksame Ausgaben der Finanzierung durch Kreditaufnahme zu. — Ich habe den Aufsatz, lassen Sie mich diese Zwischenbemerkung machen, eines Professors gelesen, der dadurch bekannt ist, daß er immer anderer Meinung ist. Er ist der Auffassung, daß in den außerordentlichen Haushalt nur außerordentliche Ausgaben gehören. Ich bin aber der Meinung, da gehören vermögenswirksame Ausgaben hinein. Das scheint er mir in seinem Aufsatz wesentlich verkannt zu haben. —
Dazu rechnen vor allem die großen Darlehnshergaben zur Förderung des Wohnungsbaues und anderer Zwecke bei den Ländern, Gemeinden und anderen Stellen. Zu diesen vermögenswirksamen Ausgaben rechnen wir bisher nicht den Bau von Autobahnen und Bundesstraßen und auch nicht die technische Ausrüstung der Bundeswehr einschließlich der Kasernenbauten. Lediglich der Wohnungsbau für Soldaten ist dem außerordentlichen Haushaltsplan zugewiesen.
Eine kritische Durchsicht der Bundesausgaben zeigt, daß der Anteil der vermögenswirksamen Ausgaben daran ziemlich niedrig ist, insbesondere weil
die Ausgaben für die Rüstung und den Straßenbau nicht zu den vermögenswirksamen gerechnet werden. Selbst wenn man den Straßenbau, ähnlich dem Wasserstraßenbau, für vermögenswirksam halten wollte, wäre er unter den gegenwärtigen Konjunkverhältnissen zur Kreditfinanzierung auch nicht geeignet. Der Bundeshaushalt ist im Unterschied zu dem der Länder und Gemeinden infolge des großen Anteils der Sozial- und Verteidigungsausgaben und der weit gestreuten Bundesleistungen für andere Aufgabenträger weithin ein Umverteilungshaushalt. Unter den echten vermögenswirksamen Bundesausgaben haben wir nur einen Betrag von 3 Milliarden DM der außerordentlichen Finanzierung aus Krediten vorbehalten.
Ein Kreditbedarf des Bundes von 3 Milliarden DM ist, gemessen an der Kapitalbildung, meines Erachtens nicht überhöht.
Wir erwarten für 1959 eine Netto-Kapitalbildung von 28 bis 30 Milliarden DM, von denen rund 11 Milliarden DM auf die Neubegebung von Wertpapieren aller Art entfallen. Es scheint mir kein unbilliges Verlangen zu sein, daß ein angemessener Teil der Wertpapierbegebungen am Kapitalmarkt den Bundesanleihen vorbehalten bleibt. Bisher haben wir den Kapitalmarkt kaum beansprucht, um den Finanzbedürfnissen der Wirtschaft und des Wohnungsbaues den Vortritt zu lassen. Nunmehr aber muß der Bund seinen gleichberechtigten Anspruch an den Kapitalmarkt anmelden. Die erste Bundesanleihe von 300 Millionen DM ist ein voller Erfolg geworden, nicht zuletzt, weil wir sie mit einer Effektivverzinsung von rund 6,12 v. H. marktgerecht ausgestattet haben. Wir trugen dadurch zu einer Beruhigung des Zinsgefüges und damit zu einer Beruhigung des Kapitalmarktes bei. Unsere Kreditpolitik im Jahre 1960 will nach den gleichen Grundsätzen weiter verfahren. Dabei werden wir so viel wie möglich von dem außerordentlichen Bedarf der 3 Milliarden DM in langfristigen Bundesanleihen unterzubringen versuchen und nur den unvermeidlichen Rest in der Form mittelfristiger Kassenobligationen. Die Unübersichtlichkeit der Marktentwicklung gestattet es dem Finanzminister nicht, die volle Bedienung des außerordentlichen Haushaltsplans unbedingt zuzusagen. Ich werde mich jedoch darum bemühen, daß ein möglichst großer Teil des außerordentlichen Bedarfs auch wirksam finanziert wird und hoffe, daß dies auch gelingt.
Unsere Kapitalmarktwünsche verpflichten uns auch zu einer entsprechenden Kapitalmarktpflege. Wir werden deshalb auch an den bisherigen vielfältigen Formen der Sparförderung zur Eigentumsbildung festhalten. Der Bund will ein guter, möglichst der beste Schuldner sein.
Dazu gehört auch eine gute Kurspflege unserer neuen Anleihen. An uns sollen unsere Gläubiger nichts verlieren.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu einem Fragenbereich unserer Finanzpolitik, der sehr bedeutsam ist, zu den Problemen der Finanzverfas-
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Bundesfinanzminister Etzel
sung, d. h. des Verhältnisses von Bund, Ländern und Gemeinden.
In jedem Jahr muß ich hier über neue Ansprüche der Länder an die Bundesfinanzen berichten. Im vorhergehenden Jahr forderten die Länder, daß der Bund bestimmte bisherige Länderlasten auf seinen Haushalt übernehmen sollte. Beim ersten Durchgang des Haushaltsplanentwurfs für 1960 hat das Plenum des Bundesrates, überwiegend gegen den wohlbegründeten Widerspruch seines Finanzausschusses, eine weitere Erhöhung der Bundesausgaben um rund 360 Millionen DM gefordert.
Diese Mehrforderungen betreffen ganz überwiegend ausgesprochene Interessentenwünsche der Länder, zu deren Sprecher sich die Fachausschüsse des Bundesrats gemacht haben. Ich meine, daß der Bundesrat sich auch in Finanzfragen in erster Linie als die zweite Kammer des Bundesparlaments und als Hüter der Bundesfinanzen, weniger aber als Sprecher für Wünsche der Länder an den Bundeshaushalt betrachten sollte.
Die erheblichen Finanzwünsche der Länder an den Bund konzentrieren sich über die erwähnten 360 Millionen DM hinaus in diesem Jahr auf die Durchführung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 1959. Das Bundesverfassungsgericht hat darin das Gesetz über die Tilgung der Ausgleichsforderungen für nichtig erklärt, weil der Bund nach Artikel 120 des Grundgesetzes diese Tilgungsleistungen als Kriegsfolgelasten zu tragen habe. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts legt dem Bund allein unter diesem Gesichtspunkt im 15. Nachkriegsjahr eine Gesamtlast von rund 15 Milliarden DM als Kriegsfolgen auf;
ihre finanzpolitische Tragweite, von den Entscheidungsgründen kaum angedeutet, ist sehr erheblich. Die Bundesregierung wird die Entscheidungen des Verfassungsgerichts selbstverständlich beachten.
- Ich hoffe, daß Sie das auch wollen.
— Einverstanden.
Mit den Länderfinanzministern erörtern wir Zur Zeit Mittel und Wege, wie ein Teil des jährlichen Schuldendienstes den Ländern erstattet werden kann. Da auch der Zuschuß der Länder zum Lastenausgleichsfonds als Kriegsfolgelast im Sinne des Artikels 120 des Grundgesetzes angesehen werden könnte, haben wir diese Jahreslast von vorläufig rund 860 Millionen DM in den Verhandlungskreis einbezogen. Das Bundesverfassungsgericht erklärt eindeutig, daß die Einnahmen den zusätzlichen Ausgaben des Bundes im Rahmen der Revisionsklausel des Artikels 106 Abs. 3 des Grundgesetzes zu folgen haben. Unzweifelhaft führt der Verfassungsgerichtsspruch zu einer so wesentlichen Lastenverschiebung zwischen Bund und Ländern, daß dem Bund ein angemessener Ausgleich auf der Einnahmeseite oder auf der Ausgabeseite seines Haushalts gewährt werden muß.
Die Länder betrachten den Verfassungsgerichtsspruch als eine Grundlage für eine materielle Verbesserung der Länderfinanzen und versagen ihm bis jetzt die Beachtung auf der Deckungsseite.
Sie wollen nur den süßen, nicht aber auch den bitteren Tropfen der Verfassungstreue genießen. Der Bund ist in dieser schwierigen Lage zu einem verständigen Ausgleich mit den Ländern bereit. Zu einem verständigen Ausgleich!
Wie diese Verhandlungen schließlich ausgehen werden, ist nicht vorherzusagen. Der Bund ist nicht verpflichtet, den Ländern anläßlich der Durchführung dieses Verfassungsgerichtsspruchs eine wesentliche materielle Verbesserung ihrer Finanzen zukommen zu lassen. Im Gegenteil: Während der Bund sich einem ständig weiter wachsenden Mehrbedarf für Sozialausgaben, Verteidigung, Straßenbau und anderes gegenübersieht, wachsen die Ausgaben der Länder in den nächsten Jahren in geringerem Maße. Gleichzeitig steigen aber die Steuereinnahmen der Länder in den nächsten Jahren voraussichtlich durchweg um 2 bis 2,5 v. H. mehr als die des Bundes; sie werden einschließlich des Saarlandes im Jahre 1960 um mehr als 10 v. H. höher sein als 1959. Das erklärt sich aus dem höheren Länderanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Mit anderen Worten: Wir stehen einer ausgesprochenen Disproportionalität, einer Schere in der Entwicklung des unabweisbaren Finanzbedarfs und der Deckungsmittel zwischen Bund und Ländern gegenüber.
In diesem Zusammenhang muß auch einmal hervorgehoben werden, daß der Bund jährlich mehr als 2 Milliarden DM für Aufgaben ausgibt, die nach der Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes eigentlich Länderaufgaben sind.
Hierzu rechnen insbesondere die großen Bundesleistungen für die Förderung der Landwirtschaft, der Wasserwirtschaft, des Wohnungsbaues, der Wissenschaft und sonstiger kultureller Aufgaben. Vom Standpunkt des Finanzministers aus — wahrscheinlich aber nur von seinem — könnte ernstlich erwogen werden, diese Ausgaben im Bundeshaushalt wenigstens teilweise fortfallen zu lassen, weil die Länder sie nunmehr unverändert aus den eigenen Mitteln selbst leisten können. Ich bin aber nicht sicher, ob eine solche Kürzung der Bundesleistungen für Länderaufgaben die Zustimmung dieses Hohen Hauses und auch der Länder selbst finden würde.
Da das Ausmaß der finanziellen Lasten aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch nicht feststeht, konnte ein Ausgabeansatz dafür noch nicht in den Entwurf des Haushaltsplans aufgenommen werden. Erst nach Abschluß der schwebenden Verhandlungen mit den Ländern kann der dann
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Bundesfinanzminister Etzel
feststehende Betrag in den Haushaltsplan eingestellt werden. Dabei wird aber auch über die Deckung dieses Betrages zu entscheiden sein.
Der andere große Partner des öffentlichen Gesamthaushalts, die Gemeinden und Gemeindeverbände, haben ihre eigenen Finanznöte. Ihre Spitzenverbände ersuchen den Bundesgesetzgeber, den Gemeinden erhebliche zusätzliche Mittel für unabweisbare zusätzliche Investitionen zuzuführen. Über das wirkliche Ausmaß eines unabweisbaren zusätzlichen Investitionsbedarfs der Gemeinden kann man streiten. Daß die Investitionen der Gemeinden, vor allem im Schulwesen, im Straßenbau, bei den großen Gemeindeanstalten für Entwässerung, Müllbeseitigung und anderes mehr, in den nächsten Jahren wachsen werden, ist unstreitig. Das gilt insbesondere von den mittleren und kleineren Städten und von den Landgemeinden, bei denen der „kanalisierte Einwohner"
— das ist nicht original — steigende Ansprüche an die zivilisatorischen Einrichtungen stellt, während gleichzeitig die Steuerkraft dieser Gemeinden hinter der der großen Städte erheblich zurückbleibt. Wenn man diesen Investitionsbedarf der Gemeinden und Gemeindeverbände überhaupt in einem Betrag zusammenfassen darf, so kann er im Durchschnitt der nächsten zehn Jahre etwa — ich muß sagen: etwa — mit 400 Millionen DM jährlich angenommen werden.
Um die entsprechenden zusätzlichen Deckungsmittel zu bekommen, fordern die kommunalen Spitzenverbände eine allgemeine Erhöhung der Meßbeträge bei der Grundsteuer um 40 vom Hundert. Dieser Satz erscheint sicherlich überhöht. Die Bundesregierung muß sich zunächst einmal fragen, ob nicht andere Umstände zu einer höheren Finanzmasse der Gemeinden führen werden, aus der der zusätzliche Investitionsbedarf nach einer entsprechenden Anpassung des Gemeindefinanzausgleichs in den Ländern gedeckt werden kann. Die Eigenverantwortung der Selbstverwaltungskörper macht es ihnen meines Erachtens zur Pflicht, höhere örtliche Gemeinschaftsleistungen in erster Linie aus zusätzlichen örtlichen Deckungsmitteln zu finanzieren.
Das würde bedeuten, daß die Gemeinden selbst höhere Hebesätze bei .der Grundsteuer zu beschließen hätten, wenn deren Aufkommen mit der Entwicklung des Bedarfs und auch mit der Belastung bei der Gewerbesteuer in der betreffenden Gemeinde nicht mehr Schritt hält. Es ist ein etwas einfacher und, wie mir scheint, allzu summarischer Weg, die Verantwortung für die Vermehrung der örtlichen Deckungsmittel dem Bundesgesetzgeber zuzumuten.
Das Bundesfinanzministerium wird im nächsten Monat eine Denkschrift über den Stand und die Entwicklung der Gemeindefinanzen veröffentlichen. Darin wird es Feststellungen und Vorschläge zu diesem Fragenkreis machen. Schon jetzt kann ich aber hierzu einige Feststellungen treffen.
Die Gemeindefinanzen werden sich auch ohne eine bundesgesetzliche Erhöhung der Grundsteuermeßbeträge schon vom Jahre 1960 an wesentlich und gleichbleibend verbessern. Zunächst werden die Grundsteuereinnahmen infolge des Auslaufens der Steuervergünstigungen bei Neubauten von Jahr zu Jahr ansteigen.
Das Wachstum ist in den ersten Jahren verhältnismäßig gering, aber das Aufkommen erreicht nach zehn Jahren jährlich rund 340 Millionen DM mehr als heute; schon nach vier Jahren werden es jährlich rund 120 Millionen DM sein.
Eine weitere wesentliche Verbesserung soll den Gemeindefinanzen aus der Durchführung des Straßenbau-Finanzierungsgesetzes des Bundes zufließen. Danach sollen die Länder durch den Bund jährlich um rund 100 Millionen DM entlastet werden und weitere 150 Millionen DM durch Mehrerträge der Kraftfahrzeugsteuer erhalten. Die Bundesregierung hat schon in der Begründung dieses Gesetzes hervorgehoben, daß diese Finanzverbesserungen der Länder nach ihrer Meinung in größtmöglichem Umfang an die Gemeinden und Gemeindeverbände weitergegeben werden sollten.
Einen Zwang in dieser Richtung kann die Bundesregierung allerdings nicht ausüben.
Schließlich werden die Gemeinden durch den Wegfall der Grundsteuervergünstigungen für den älteren Neuhausbesitz und der Steuerbefreiung für Trümmergrundstücke nach Maßgabe eines vorbereiteten Bundesgesetzes jährlich 50 Millionen DM erhalten. Sollte das Bundesbaugesetz die vorgeschlagene zusätzliche Grundsteuerbelastung für Bauland bringen, so würden auch daraus den Gemeinden in unterschiedlicher Streuung jährlich etwa 50 Millionen DM mehr zufließen.
Rechnet man diese im Durchschnitt der nächsten Jahre sich ergebenden Beträge zusammen, so ergibt sich, daß schon nach wenigen Jahren eine Besserstellung der Gemeinden um etwa 400 Millionen DM jährlich eintreten dürfte. Dabei will ich von den erheblichen Verbesserungen, die das ständige Wachsen des Gewerbesteueraufkommens im Gleichschritt mit der Zunahme des Bruttosozialprodukts bringt, gar nicht sprechen. Für 1960 allein wird ein Gewerbesteueraufkommen von 6,1 Milliarden DM erwartet, also ein Aufkommen, das um 400 Millionen DM über dem des Vorjahres liegt. Alles in allem drängt sich der Eindruck auf, daß ein wirklich unabweisbarer Bedarf an zusätzlichen Deckungsmitteln für größere Investitionen in den Gemeinden wohl auch ohne eine bundesgesetzliche Erhöhung der Meßzahlen bei der Grundsteuer gedeckt werden könnte.
Der Schwerpunkt des Problems scheint mir gar nicht einmal in erster Linie in der Gesamtgrößenordnung der gemeindlichen Finanzmasse neben der von Bund und Ländern zu liegen, sondern in der angemessenen Verteilung zwischen den Gemeinden und Gemeindeverbänden, d. h. in einem wesentlich intensiveren gemeindlichen Finanzausgleich.
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Auf die Dauer ist es nicht zu vertreten, daß gleichartige öffentliche Bedürfnisse, vor allem auf dem Gebiet des Schul-, Straßenbau- und Gesundheitswesens, nur wegen unterschiedlicher Steuerkraft in den einzelnen Gemeinden ungleich erfüllt werden.
Der Gedanke des Ausgleichs zwischen reich und arm dringt auch in der Welt der Gebietskörperschaften breit vor. Hier liegen große und schwierige Aufgaben für die Landesgesetzgebung. Im Unterschied zu der Weimarer Reichsverfassung verwehrt das Grundgesetz dem Bund den Einfluß darauf. Im übrigen würde eine allgemeine Erhöhung der Grundsteuermeßbeträge durch Bundesgesetz auch besondere politische Probleme aufwerfen, vor allem, wenn die erhöhte Grundsteuer offen auf die Mieter abgewälzt werden sollte. Eine allgemeine Erhöhung der Grundsteuer um nur 20 v. H. würde eine Mieterhöhung um etwa 2 bis 3 v. H. bedeuten.
Die Bundesregierung wird den gesamten Fragenkreis der Gemeindefinanzen nach der Veröffentlichung der erwähnten Denkschrift mit den Landesregierungen und den kommunalen Spitzenverbänden erörtern.