Rede von
Dr.
Ernst
Benda
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend den interfraktionellen Vereinbarungen muß ich es mir versagen, zu dem, was im Verlauf dieser Debatte gesagt worden ist, im einzelnen Stellung zu nehmen. Ich möchte daher, genau wie meine Kollegen von den anderen Fraktionen, eine vorher formulierte Erklärung abgeben. Ich bitte Sie aber, damit einverstanden zu sein, daß ich zunächst in meiner Eigenschaft als Berichterstatter zu zwei Punkten dieser Materie ganz kurz etwas bemerke.
Das eine ist der Punkt, den der Herr Bundesminister der Justiz soeben bereits erwähnt hat. Ich habe zu berichten, daß dem Ausschuß in der Tat, wie Herr Abgeordneter Dr. Dehler hier gesagt hat, gewichtige Äußerungen angesehener Juden vorgelegen haben, in denen Bedenken gegen das Gesetz zum Ausdruck kamen. Das ist im Ausschuß von verschiedenen Seiten zur Sprache gekommen.
Auf der anderen Seite hat dem Ausschuß ein Schreiben des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 8. Mai 1959 vorgelegen, aus dem der Herr Bundesminister der Justiz eben einen Absatz zitiert
5086 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 92. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1959
Benda
hat, mit einer anhängenden Presseverlautbarung, die mir hier genauso vorliegt, wie sie dem Ausschuß vorgelegen hat. Der Ausschuß hat selbstverständlich pflichtgemäß neben anderen Eingaben, die ihm vorgelegen haben, auch diese Eingabe zum Gegenstand seiner Überlegungen gemacht. Die Presseverlautbarung des Zentralrats der Juden in Deutschland, die diesem Schreiben angehängt war, enthielt in der Tat Bedenken gegen den Entwurf der Bundesregierung, aber nicht etwa in der Richtung, wie sie meine Herren Vorredner hier von ihren verschiedenen Standpunkten aus vorgetragen haben. Vielmehr beruhten diese Bedenken auf den Gesichtspunkten, die der Herr Bundesminister der Justiz eben vorgetragen hat. Sie gingen von einer irrtümlichen Auslegung des Entwurfs durch den Zentralrat der Juden aus, der annahm, daß es, wenn der Entwurf Gesetz werde, weiterhin erforderlich sein werde, bei derartigen Straftaten einen Strafantrag zu stellen. Dies trifft nicht zu. Darüber hat bei aller sonstigen Verschiedenheit der Auffassungen im Ausschuß Einmütigkeit bestanden.
Von einem Kollegen ist bezweifelt worden, daß es sich um eine Stellungnahme des Zentralrats der Juden in Deutschland, also des gesamten Gremiums, handele. In dem Schreiben heißt es jedenfalls, daß eine Stellungnahme des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland zu diesem Gesetzentwurf überreicht werde. Wie diese Stellungnahme zustande gekommen ist, entzieht sich meiner Beurteilung.
Zweitens. Der Herr Kollege Schneider hat auf die von ihm gesehene Möglichkeit eines Mißbrauchs des Begriffs der religiösen Gruppe hingewiesen. Ich darf mir erlauben, aus dem von mir vorgelegten Ausschußbericht, zu Drucksache 1143, einen kurzen Absatz zu zitieren, aus dem sich die einmütige Auffassung des Ausschusses zu dieser Frage ergibt. Es heißt in meinem Bericht wie folgt:
Hinsichtlich der religiösen Gruppen bestand im Ausschuß einmütige Übereinstimmung darüber, daß unter einer solchen religiösen Gruppe — auch subjektiv vom Täter her gesehen — nur eine solche Gruppe verstanden werden kann, deren Angehörige ausschließlich und unmittelbar durch ihre Religion verbunden sind, also nicht etwa durch eine berufliche oder sonstige weltliche Tätigkeit auf der Grundlage ihrer Religion.
Alle Mitglieder des Ausschusses haben, wie ich glaube, mit Recht, auf diese Feststellung der Übereinstimmung Wert gelegt. Welchen praktischen Wert eine solche Feststellung in den Motiven der Gesetzgebung hat, ist eine andere Frage, die ich hier nicht zu untersuchen habe. Ich wollte es aber nicht unterlassen, auf diese einmütige Auffassung des Ausschusses hier hinzuweisen. Diese Bemerkungen habe ich als Berichterstatter gemacht.
Nun möchte ich im Namen meiner politischen Freunde folgendes erklären. Zunächst sollten wir — das erscheint mir und meinen Freunden wichtig —bei allen Meinungsverschiedenheiten über Fragen der kriminalpolitischen Zweckmäßigkeit, die in den eben abgegebenen Erklärungen hervorgetreten sind, nicht die Übereinstimmung in der grundsätzlichen Frage der Zielsetzung übersehen. Es besteht — das ist aus den Erklärungen meiner Herren Vorredner in begrüßenswerter Weise hervorgegangen — Einigkeit darüber, daß es heute und in Zukunft den Unbelehrbaren oder Unverbesserlichen in Deutschland nicht gestattet werden kann und soll, den öffentlichen Frieden durch böswillige Hetze gegen bestimmte Volksteile zu gefährden. Es besteht, wie ich glaube, in diesem ganzen Hause Einigkeit darüber, daß niemand in unserem Volke seines Glaubens oder seiner Abstammung wegen zum Gegenstand des Hasses oder der Verleumdung gemacht werden darf. Dies gilt nicht nur, aber sicherlich ganz besonders für die jüdischen Menschen, die in einer traurigen Zeit so sehr dem Hasse ausgesetzt gewesen sind, daß sie heute wohl Anspruch auf ein besonderes Maß von Achtung, ich möchte sagen, von Liebe ihrer Mitmenschen haben.
Über diese Grundsätze sind wir einig. Wir von der Fraktion der CDU/CSU — auch das darf ich hinzufügen — denken nicht etwa daran, irgend jemandem, der über die zur Entscheidung stehende konkrete Frage anderer Auffassung ist als wir, zu unterstellen, daß er sich in diesen selbstverständlichen Grundsätzen von uns irgendwie unterscheide.
Meinungsverschiedenheiten bestehen vielmehr über die Frage, was der Gesetzegber tun kann und tun soll. Wir wissen — ich darf das von dem Herrn Bundesminister bereits zitierte Wort noch einmal aufgreifen —, daß der Gesetzgeber die Nächstenliebe nicht erzwingen kann; aber er kann und soll es schwieriger machen, Haß zu schüren. Um diese Frage geht es uns. Der Gesetzgeber kann und muß nach unserer Überzeugung derjenigen Störung des öffentlichen Friedens wehren, die mit der bösen Hetze, der haßvollen Beschimpfung oder der niederträchtigen Verleumdung häufig verbunden ist. Der Entwurf der Bundesregierung erfaßt mit Recht nur diese schwersten Fälle. Wo lediglich der einzelne Staatsbürger beleidigt worden ist, mag er selbst sein Recht nach den §§ 185 ff. des Strafgesetzbuches suchen. Der Staat hat nur dort einzugreifen, wo der öffentliche Friede gefährdet ist.
Dies heißt nach unserer Auffassung nicht — um ein Wort des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt aus früheren Beratungen aufzunehmen —, daß man „der Intoleranz intolerant mit dem Strafgesetzbuch wehren" wolle. Zwar ist Strafrecht seinem Wesen nach intolerant und muß es auch sein. Maßgebend ist, wogegen sich das Gesetz wendet.
Dieses Gesetz wendet sich nicht gegen die bei einzelnen noch vorhandene traurige Geisteshaltung, gegen die weniger durch Befehle des Gesetzgebers als durch die ständigen Bemühungen jedes einzelnen redlichen Staatsbürgers, insbesondere in der Erziehung im weitesten Sinne, anzugehen ist. Tätertyp im Sinne dieses Gesetzes ist nicht der einzelne Uneinsichtige, für den man manchmal beinahe nur Bedauern empfinden muß. Tätertyp im Sinne dieses Entwurfes ist ein Mensch wie Julius Streicher, dessen Haßfeldzüge den ungeheuren Mord der Nazizeit erst ermöglicht haben. Gegenüber diesen Men-
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schen geht es nicht um die Frage der Toleranz, sondern um die Selbsterhaltung des demokratischen Staatswesens schlechthin.
Wir folgen dabei Äußerungen wie denen des sozialdemokratischen Berliner Sozialsenators Joachim Lipschitz in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland vom 22. Mai dieses Jahres, in der es heißt:
Wir haben zu appellieren an den Deutschen Bundestag als das höchste Parlament, als die frei gewählte Volksvertretung dieses deutschen Volkes und sie zu bitten, weil das Entsetzen uns Furcht einflößt vor der Zukunft: Schafft endlich harte Gesetze zur Strafe für jene, die offensichtlich nichts lernen wollen, die sich auch noch der Schande rühmen und uns damit neue Schande antun. Zwingt uns nicht, durch falschverstandene Toleranz Unmenschen . . . in unserer Mitte zu dulden. Demokratie ist doch nicht Bekenntnis zur Wehrlosigkeit, und Demokratie offenbart sich doch nicht mit der Duldung gegenüber ihren Feinden. Demokratie muß auch Stärke und Härte sein, wenn sie zum Glaubensinhalt für die Jugend werden soll.
Diese Überlegungen sind nicht neu. Schon im Februar 1950 hat die SPD-Fraktion dieses Hauses in dem Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie ganz ähnliche Vorschläge gemacht. Seitdem gab es mehrere Entwürfe, insbesondere aus Kreisen unserer Fraktion. Unmittelbarer Anlaß allerdings nur Anlaß und nicht Grund — des vorliegenden Gesetzes war der Vorstoß des Herrn Regierenden Bürgermeisters von Hamburg Brauer bei der Bundesregierung, wegen aktueller Vorfälle entsprechende Maßnahmen zu erwägen. Der aktuelle Anlaß hat gleichzeitig die Eilbedürftigkeit gezeigt und die alten Überlegungen neu aufleben lassen.
Die vorgetragenen Bedenken halten wir nicht für überzeugend. Gewiß ist es richtig, daß der Schutz der Juden gegen gewisse Erscheinungsformen eines niederträchtigen Antisemitismus besonders vordringlich ist; aber es handelt sich doch nicht um ein Ausnahme- oder Sondergesetz zugunsten der Juden. Andere Gruppen, insbesondere nationale oder ähnliche Minderheiten sowie religiöse Gruppen, werden in gleicher Weise geschützt. Daß auch solche Gruppen Angriffen ausgesetzt werden, die sie als besonders schutzwürdig erscheinen lassen, ist mindestens in der Zukunft möglich. Soweit Formulierungen der Regierungsvorlage eine mißbräuchliche Anwendung oder unangemessene Ausweitung der Bestimmungen hätten ermöglichen können, sollten die im Ausschuß gerade auch auf Anregung der sozialdemokratischen Kollegen hin vorgenommenen Änderungen solche Bedenken beseitigen. Wir sind insgesamt überzeugt, daß die an strenge und klare Voraussetzungen des äußeren und inneren Tatbestandes gebundene Vorschrift nicht mehr mißbraucht werden kann als eine jede andere Gesetzesvorschrift.
Meine Damen und Herren, wir bedauern es, daß über den Entwurf keine Einmütigkeit erzielt werden konnte, die gerade um dieser Sache willen
sicherlich wünschenswert gewesen wäre. Ich meine dennoch, daß wir die unterschiedlichen Auffassungen über die Methode dann hinnehmen können, wenn — ich bin davon überzeugt — in der Zielsetzung Übereinstimmung besteht.
Wir von der Fraktion der CDU/CSU sind darüber hinaus überzeugt, daß der Entwurf nicht nur diese Zielsetzung nach außen hin klar dokumentiert, sondern auch dem Richter die Möglichkeit gibt, den öffentlichen Frieden da, wo er gefährdet ist, zu wahren. Daher begrüßen wir den Entwurf in der vorliegenden Form und stimmen ihm zu.