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ID0308804400

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    Deutscher Bundestag 88. Sitzung Bonn, den 6. November 1959 Inhalt: Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der Rentenversicherungen (Sozialbericht 1959) (Drucksache 1255) ; in Verbindung mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1959 (Zweites Rentenanpassungsgesetz —2. RAG) (Drucksache 1325) — Erste Beratung — Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (FDP) (Drucksache 1276) — Erste Beratung — Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung und des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (FDP) (Drucksache 1277) Antrag betr. finanzielle Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Trägern der Rentenversicherung (SPD) (Drucksache 1333) Blank, Bundesminister 4771 C, 4777 D Frau Friese-Korn (FDP) . . . . . 4774 B Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 4777 A Dr. Schellenberg (SPD) 4777 B, 4778 A Arndgen (CDU/CSU) . . . . . . 4777 B Horn (CDU/CSU) . . . . . . . . 4781 C Mischnick (FDP) . . . . . . . . 4784 C Frau Kalinke (DP) . . . 4777 C, 4786 D Frau Korspeter (SPD) . . . . . . 4793 A Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . 4794 B Killat (Unterbach) (SPD) 4796 C Stingl (CDU/CSU) . . . . . . 4798 A Dr. Starke (FDP) 4802 A Erklärung gemäß § 36 GO Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 4803 C Nächste Sitzung 4803 D Anlage 4805 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1959 4771 88. Sitzung Bonn, den 6. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7. 11. Berberich 6. 11. Dr. Besold 6. 11. Birkelbach 6. 11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Dr. Burgbacher 25. 11. Dr. Deist 6. 11. Dr. Dittrich 6. 11. Dr. Dollinger 6. 11. Drachsler 6. 11. Eilers (Oldenburg) 6. 11. Dr. Fritz (Ludwigshafen) 6. 11. Geiger (Aalen) 6. 11. Dr. Gleissner 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Haage 6. 11. Hahn 28. 11. Dr. Dr. Heinemann 6. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Dr. Graf Henckel 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Frau Dr. Hubert 6. 11. Illerhaus 6. 11. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Kreitmeyer 25. 11. Leber 6. 11. Dr. Leiske 6. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Muckermann 6. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Dr. Preusker 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Richarts 6. 11. Dr. Rutschke 6. 11. Scharnowski 6. 11. Dr. Schild 6. 11. Dr. Schmidt (Wuppertal) 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schneider (Hamburg) 6. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seuffert 6. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Vogel 25. 1.1. Wacher 6. 11. Wagner 6. 11. Walpert 12. 11. Wehking 6. 11. Weinkamm 7. 11. Dr. Willeke 6. 11. Wittrock 6. 11. b) Urlaubsanträge Blachstein 12. 11. Finckh 1. 12. Storch 14. 11.
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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    ich begrüße es, daß die Renten derer, die während ihrer Versicherungszeit hohe und höchste Beiträge geleistet haben und die an der Erhöhung durch das Erste Rentenanpassungsgesetz nicht teilhatten, endlich eine Anpassung erfahren sollen.
    Es ist besser, eine gewisse Ungleichmäßigkeit —ich sehe sie auch in der Schere zwischen Zugangs-und Bestandsrenten in Kauf zu nehmen, als etwa — die Erfahrungen der Rentenversicherungsträger sollten uns da eine Lehre sein — das Ganze in Frage zu stellen. Darum glaube ich, Herr Kollege Mischnick, daß es falsch ist, was Sie sagen, „wir dürften jetzt keine Rentenanpassungen vornehmen", weil wir noch keine versicherungstechnische Bilanz haben. Eine Anpassung können wir vornehmen, weil alle Unterlagen deutlich machen, daß sie heute möglich ist.
    Ich habe anfangs schon gesagt, daß ich es lieber gesehen hätte, es handele sich um einen anderen Prozentsatz. Aber das ist wirklich keine entscheidende Frage. Entscheidend ist, daß die laufenden Renten jetzt angepaßt werden. Wir sollten aber nicht vergessen, daß die Erhöhung der Durchschnittsrenten nach der Rentenreform nahezu 42 % ausmachte. Das war für die Altersrenten in der Bundesrepublik eine sehr erfreuliche Verbesserung; aber es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß in der Zukunft mit solch hohen Verbesserungen nicht mehr gerechnet werden kann. Man muß den Mut haben, das deutlich zu sagen. Ich weiß, die Rentner und auch die Versicherten sehen das ein. Es ist unsere politische Aufgabe, ihnen die Wahrheit über den Preis ihrer Rente heute, morgen und übermorgen zu sagen.
    Gegen eine grundsätzliche Weiterverfolgung des Ziels der Rentenreform, von dem Herr Horn sprach, nämlich den Lebensabend zu sichern und die Renten in ein angemessenes Verhältnis zum Lebensstandard, zur Beitragsleistung und zur Arbeitsleistung zu setzen, habe ich nicht nur keine Bedenken, sondern ich unterstreiche diesen Grundsatz; nur bin ich der Meinung, daß das, was wir zur Zeit in der Rentenformel haben, diesem Grundsatz nicht oder nur sehr unvollkommen entspricht. Die Verwirklichung dieses Gesetzes mit den in ihm vorgesehenen Rentenanpassungen ist natürlich, wie der Arbeitsminister gesagt hat, in diesem Jahre noch ohne Gefahr für die Währung; sie bringt auch keinen Konsumstoß mit sich. Das hat auch niemand behauptet. Bei der Diskussion um die dynamische Rente und ihre Gefahren wird den Kritikern immer vorgeworfen, sie könnten nicht rechnen und wüßten nicht, daß die dynamische Rente heute und morgen möglich sei. Wir müssen aber auch in die Zukunft sehen. Daß sie dann nicht mehr möglich sein wird, scheint mir für jeden klar zu sëin, der den Mut hat, ein solches Anpassungsgesetz nicht isoliert zu betrachten.
    Ich meine auch nicht, daß der Mehraufwand von 770 Millionen DM einschneidende Wirkungen haben könnte. Von solchen Wirkungen kann heute nicht die Rede sein. Die Maßnahmen würden aber nach meiner Auffassung dann einschneidend, wenn man sie als Präjudiz für zukünftige Forderungen nach noch mehr Automatie ansähe. Deshalb bin ich der Minderheit im Sozialbeirat sehr dankbar, daß sie immer wieder darauf hingewiesen hat, daß es sich hierbei um ein Präjudiz handelt.
    Heute muß es ehrlichen Sozialpolitikern darum gehen, daß die Wunden im Gesetz nicht mit irgendeinem Pflästerchen geheilt werden können, sondern zu gegebener Zeit mit einer Operation beseitigt werden müssen. Über diese Operation haben wir verschiedene Auffassungen. Das ist kein Unglück. Über den Zeitpunkt und den Inhalt einer Novelle werden wir uns eines Tages verständigen müssen. Schon jetzt möchte ich den Kollegen von der Freien Demokratischen Partei sagen, daß diese höchst bedeutsame Operation ohne die technische Bilanz nach meiner Auffassung überhaupt nicht denkbar ist. Wenn wir darin übereinstimmen, dann betrachte ich Ihren Antrag als einen guten Anstoß, daß uns die technische Bilanz vom Bundesminister für Arbeit so schnell wie möglich vorgelegt wird.
    In diesem Zusammenhang sollte ein Problem, das in dieser Woche das Haus beschäftigt hat, uns allen vor Augen stehen: das wachsende Defizit der Knappschaft, das weit besorgniserregender ist als die sogenannte und augenblicklich sehr dramatisierte Krise im Bergbau. Der Bund hat für die Dekkung des Defizits voll aufzukommen. Eine Folge dieser sogenannten Kohlen-Krise ist das 50 %ige Steigen der Bundesaufwendungen für die Knappschaft,



    Frau Kalinke
    und zwar in einem Augenblick, in dem es noch keine Katastrophe, Frau Kollegin Friese-Korn, noch nicht einmal Konjunkturschwankungen, sondern, wie der Wirtschaftsminister nach meiner Ansicht mit Recht gesagt hat, nur Strukturschwankungen gibt. Daß das schon zu einer um 50 % höheren Bundesbezuschussung der Knappschaft führt, mag zeigen, welche Auswirkungen einmal eine wirkliche konjunkturelle Krise für die Sozialversicherungsträger haben kann. Wer sich die prekäre Lage des Bundeshaushalts und alle auf uns zukommenden Belastungen deutlich macht, weiß, was ein Kassendefizit von Milliarden bedeutet.
    Meine Herren und Damen, es gibt keine Mittelzone zwischen Stabilität und Unstabilität, wie es auch keine Halbdynamik oder Halbautomatik gibt. Insofern sind die Forderungen der Sozialdemokratischen Partei nach einer vollen Automatik von ihrem Standpunkt aus verständlich. Ich stehe dagegen auf dem Standpunkt, daß wir eine volle Stabilisierung brauchen.
    Bei aller sachlichen und verantwortungsbewußten Kritik — das möchte ich heute noch einmal sagen — handelt es sich um einen Hinweis auf langfristig wirkende Gefahren, nicht um einen Hinweis auf Probleme des Tages. Der Wandel unserer Haushaltslage heute und morgen ist offenbar. Ein Durchdenken aller Finanzfragen, der Geldwertprobleme, der Kreditpolitik und der Konjunkturtendenzen kann diese Problematik nur unterstreichen. Ich hoffe, daß wir darin einig sind, daß eine staatspolitische Aufgabe darin liegt, alle Krisenentscheidungen, die währungspolitisches Gewicht haben, so ernst wie möglich zu bewerten. Man mag es bedauern, daß wir auf Grund des Gesetzes alljährlich eine Grundsatzdebatte führen müssen; ich bedaure sie nicht und finde sie nicht unangenehm, weil sie uns eben jedes Jahr an die Verantwortung mahnt, die das Parlament hat und die niemand dem Parlament und den Regierungsparteien abnehmen kann.

    (Abg. Ruf: Das war der Sinn unserer Bestimmungen!)

    Nun möchte ich zum Inhalt der Novelle der Freien Demokratischen Partei noch einige Bemerkungen machen und einige Fragen ansprechen, die bisher weder von der Opposition noch von meinen Freunden aus der CDU/CSU behandelt worden sind.
    Das Prinzip des FDP-Antrags halte ich für richtig. Es besteht darin, die allgemeine Bemessungsgrundlage durch Gesetz festzulegen und die im Gesetz verankerten Bremsen anzuziehen. Wie man bei einem modernen Wagen mit mehr Pferdestärken stärkere Bremsen braucht, braucht man sie gerade bei einer so modernen Rentengestaltung.
    Die Anwendung der Rentenautomatik — das wird heute nicht zum erstenmal von mir gesagt; ich habe schon bei der Rentendebatte darauf hingewiesen — ist deshalb als eine ungute Lösung anzusehen, weil sie auf die Dauer nur ungerechte und damit unsoziale Anpassungen ermöglicht. Deshalb sollten wir zur gegebenen Zeit — wenn die Bilanz vorliegt — über diese Dinge sehr sorgfältig sprechen und sehr sorgfältig abwägen, wann und inwieweit wir sie ändern können. Ich sage ausdrücklich: wann. Bei mir häufen sich Ordner in solcher Höhe mit lauter Anfragen und Problemen, die zu einer Novelle der Rentenreform führen müssen. Es ist ,gar kein Wunder, daß bei einem so umfassenden Gesetz, das unter solchem Zeitdruck entstanden ist, viele Einzelfragen überprüft werden müssen. Ich bin überzeugt, daß das im Ministerium und bei den Kollegen, die als rentensachverständig gelten, genauso ist.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Bringen Sie eine Novelle ein!)

    — Ich bin der Meinung, daß wir uns gemeinsam an der Novellierung zu gegebener Zeit mit dem gegebenen Ernst beteiligen" müssen. Ich bin nicht dafür, Novellen einzubringen, über die man zum Fenster hinaus spricht, weil uns allen bekannt ist, Herr Kollege Schellenberg, daß wir sie im Sozialpolitischen Ausschuß einfach gar nicht mehr als Gesetze beraten können, wenn wir die Krankenversicherungsreform noch vollenden wollen

    (Abg. Dr. Schellenberg: Die wollen wir!)

    und die Unfallversicherungsreform auch verabschieden wollen.
    Trotzdem bin ich der Freien Demokratischen Partei für den Hinweis auf das Notwendige dankbar. Es ist keine Erfindung von Ihnen. Wir alle haben ja über diese Dinge immer wieder gesprochen. Sie können nachlesen, daß das auch bei der Rentendebatte und beim ersten Anpassungsgesetz von mir deutlich gesagt wurde. Nur die Frage des Wann und der Verantwortung wird anders beurteilt, wenn man auf den Oppositionsbänken sitzt. Das sollte man gerechterweise anerkennen.
    Das Wachstum unseres Sozialhaushalts ist das ,einzige, was ich mit Gewißheit voraussagen kann. Daß die Gleichbehandlung aller Staatshilfen der sozialen Gerechtigkeit entspricht, wird niemand bestreiten.
    Der Kollege Schellenberg hat zu .Frau Friese-Korn gesagt, von Katastrophe könne noch keine Rede sein. Da stimme ich ihm zu. Aber von einer bedenklichen Entwicklung in bezug auf die Zukunft muß die Rede sein, Kollege Schellenberg, auch wenn Sie und andere es wegen der heute günstigen Entwicklung nicht gern aussprechen wollen. Das kann ich sogar verstehen.
    Daß die für die Bestandsrenten geltende Festsetzung der Bemessungsgrundlage eine entscheidende Rolle spielt, gestehe ich den Freien Demokraten zu. Ob allerdings eine Veränderung erst im § 32 bei einer Veränderung der Bruttoarbeitsverdienste um 10 % nicht dazu führen würde, daß die Schere noch viel weiter klafft, bitte ich doch sehr ernsthaft zu prüfen und zu bedenken. Ich glaube, Sie haben es sich in diesem Punkt mit der Forderung nach einer Novellierung ein wenig leicht gemacht.
    Alle Parteien und alle Mitglieder dieses Hauses, aber auch die vielen Mitarbeiter draußen in der Bundesrepublik, die dieses 'Problem als Rentenberater, noch mehr aber als Vertrauenspersonen der



    Frau Kalinke
    Rentenversicherung immer wieder behandeln müssen, werden uns recht geben. Ich sage „uns", weil ich weiß, daß in der CDU/CSU eine große Anzahl von Kollegen — ich glaube, es ist die überwiegende Mehrheit — vorhanden sind, die in Übereinstimmung mit mir die Begrenzung bei einer beitragsgerechten Rente für unmöglich halten. Ich meine, daß eine solche Grenze dem Versicherungsprinzip genauso widerspricht wie die Gestaltung der Rentenformel und ihre Begründung. Man belohnt also nicht, sondern bestraft denjenigen, der hohe Beiträge gezahlt hat, der. fleißig gewesen ist, mehr gearbeitet und mehr gezahlt hat. Diese Begrenzung wirkt demoralisierend und ist sozial ungerecht.

    (Beifall bei der DP.)

    Ich bin überzeugt, daß es keines Appells bedarf und daß die jetzt vorliegenden Ergebnisse und die uns in wenigen Wochen bekanntwerdenden Zahlen beweisen werden, daß diese Änderung finanziell tragbar ist.
    Lassen Sie mich wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Änderung nur kurz sagen, daß die Aufhebung der Begrenzungsvorschriften in der Angestelltenversicherung nach dem heute vorliegenden Material nicht einmal 100 Millionen DM ausmachen würde; dieser Preis für die Verwirklichung der sozialethischen Forderung, die Ansprüche an die geleisteten Versicherungsbeiträge anzupassen, ist sehr niedrig.
    Wichtig ist — das darf ich den Kollegen von der freien demokratischen Fraktion zu ihren Anträgen noch einmal sagen — auch folgendes. Jede Novellierung wird eine mehr oder weniger lange Anlaufzeit mit sich bringen, und zwar nicht nur eine Anlaufzeit für die Erstellung der technischen Bilanz; die Versicherungsträger selber brauchen eine Anlaufzeit für die Bearbeitung der Unterlagen und die notwendigen Überprüfungen.
    Das Unbehagen über die Regelung ist jedoch nicht nur bei einzelnen Gruppen in diesem Hause vorhanden. Es wird sich zeigen, daß Opposition und Koalition eines Tages Farbe bekennen müssen und nicht zulassen können, daß bei steigenden Beiträgen Leistungen gemindert werden.
    Dazu ein praktisches Beispiel, das ich eigentlich von den Antragstellern erwartet hätte. Die allgemeine Bemessungsgrundlage wird für die Versicherungsfälle, die 1960 eintreten, in beiden Versicherungen — in der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung — auf 5072 DM und in der Knappschaftsversicherung auf 5126 DM festgesetzt. Da die Beitragsbemessungsgrenze das Doppelte beträgt, ergibt sich für 1960 eine Beitragsbemessungsgrenze für Monatsbezüge von 850 DM. Da das den Anfangsbetrag der letzten Beitragsklasse um mehr als 50 DM übersteigt, ist eine neue Beitragsklasse mit einem Anfangsbeitrag von mehr als 825 DM und einem Monatsbeitrag von 119 DM anzufügen. Daß der bisherige Beitrag von 112 DM damit ab 1. Januar 1960 dynamisch auf 119 DM steigt, ist im Hinblick auf die Abschneidung der sich daraus ergebenden Leistungen von niemandem, auch nicht von der Regierungspartei und vom Arbeitsminister, zu verantworten, auch wenn er vorläufig zu diesem Problem geschwiegen hat.
    Die genaue Zahl der auf einen der in Art. 2 § 33 des Angestelltenversicherungsgesetzes vorgeschriebenen Höchstbeträge begrenzten Renten wird noch vor dem Jahresende bekannt sein, sobald die zum Zwecke der sich aus dem Zweiten Rentenanpassungsgesetz ergebenden Umstellungen notwendigen Lochkarten von der Post zurückgegeben sind. Man kann aber schon nach dem bisherigen Material sagen, daß der größte Teil der Versichertenrenten mit einem Umstellungsbetrag von monatlich 450 DM und der .Witwenrenten mit einem Umstellungsbetrag von 270 DM und mehr zu den begrenzten Renten gehört. Die Bestandsstatistik der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Stand April 1957, zeigt diese Zahlen, die ich hier wegen des Zeitdruckes nicht vorlesen möchte, allen interessierten Personen deutlich.
    Die auf die Zugangsrenten anzuwendende Begrenzungsvorschrift des § 32 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes hat, was den Anteil der begrenzten Renten am gesamten Zugang betrifft, ungleich größere und andere Auswirkungen als die soeben erwähnte Begrenzung der Höchstbeträge. Hier zeigt sich in der Rentenzugangsstatistik, daß von den Versichertenrenten an Männer 23,9 %— in der Statistik ist ein Druckfehler, ich nenne die richtige Zahl —, von den Frauenrenten 2,5 % und von den Witwenrenten 23,4 % der nach der neuen Rentenformel berechneten Renten betroffen sind. In den Zugangsrenten des Jahres 1958 werden Sie dieselbe Tendenz haben.
    Ich wollte mich auf diese ganz geringen und keineswegs erschöpfenden Darstellungen zu den drei anstehenden Problemen — Sozialbericht, Rentenanpassungsgesetz und Anträge der Freien Demokratischen Partei — beschränken.
    Abschließend möchte ich sagen, daß das ideale sozialpolitische Ziel eben nicht realisierbar ist ohne nüchterne Klarstellung der finanziellen Auswirkungen in Gegenwart und Zukunft, daß es nur erreicht wird bei Kenntnis der Probleme des Haushalts und der voraussichtlichen Entwicklung der Volkswirtschaft. Die Einsichten, die hier bei den Beratungen schon deutlich wurden und die, wie ich weiß, in diesem Hause wachsen werden — wachsen bei Freund und Feind der Rentenformel —, werden durch die technische Bilanz des Bundesministers für Arbeit, um deren beschleunigte Herstellung wir nur immer wieder bitten können, weiter wachsen.
    Ich bitte daher, daß bei der Rentendebatte in Zukunft aufgehört wird, diejenigen zu kritisieren, die die Folgen des Abgehens von der Kapitaldeckung, die Folgen des Nichtvorhandenseins der klaren Rechenhaftigkeit immer wieder aus großer Verantwortung deutlich gemacht haben.
    Daß wir in Zeiten der Vollbeschäftigung auf dem Wertpapiermarkt nicht mehr festverzinsliche Papiere für die Angestelltenversicherung kaufen können, wird den Herrn Wohnungsbauminister und alle, die den Familienheimbau im sozialen Woh-



    Frau Kalinke
    nungsbau fördern wollen, aber auch alle, die das Eigentum in Arbeitnehmerhand fördern wollen, sehr bedenklich stimmen müssen.
    Die Fraktion der Deutschen Partei wird der Überweisung des Rentenanpassungsgesetzes in den Sozialpolitischen Ausschuß zustimmen.

    (Beifall bei der DP, bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Lisa Korspeter


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Auftrage meiner Fraktion möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Einzelproblem lenken, das wir im Zusammenhang mit der Rentenanpassung für wichtig halten und das ich deshalb trotz der vorgeschrittenen Zeit hier heute in der ersten Lesung noch kurz anschneiden möchte. Wir haben uns in diesem Hause schon des öfteren damit beschäftigt, ohne daß wir bislang — wir bedauern das sehr — zu einer befriedigenden Lösung dieses Problems gekommen sind. Es handelt sich um die sehr leidigen Anrechnungsbestimmungen.
    Die Anrechnungsbestimmungen sahen bisher vor — in § 7 des Zweiten Rentenanpassungsgesetzes hat diese Regelung erneut ihren Niederschlag gefunden —, daß erhöhte Rentenleistungen aus der Sozialversicherung — die wir auf Grund der Entwicklung heute festlegen — auf andere Sozialleistungen angerechnet werden. Davon betroffen sind, wie Sie, meine Damen und Herren, wissen, besonders die Empfänger aus der Kriegsopferversorgung, dem Lastenausgleich und der Fürsorge.
    Bereits im vergangenen Jahre, bei der Verabschiedung des Ersten Rentenanpassungsgesetzes, haben wir in der Debatte darauf hingewiesen, daß der Staat mit einer solchen Regelung widersprüchlich handelt: mit der einen Hand gibt er, und mit der anderen Hand nimmt er, nämlich die erhöhten Leistungen aus der Rentenanpassung bei den anderen von mir erwähnten Sozialleistungen. Dieser Personenkreis spürt also praktisch nichts von der Anpassung der Renten, die wir auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung vornehmen wollen. Angesichts der Preisentwicklung insbesondere in den letzten Monaten brauche ich nichts darüber zu sagen, wie sehr gerade dieser Personenkreis einen Ausgleich für die- erhöhten Lebenshaltungskosten braucht.
    Die Anrechnungsbestimmungen, die von den Betroffenen immer wieder als so hart empfunden werden und die — ich möchte das in diesem Zusammenhang noch einmal sagen — auch der Herr Bundeskanzler vor der Wahl als so unangenehm bezeichnet hat, daß er sie geändert haben wollte,

    (Abg. Dr. Schellenberg: Sehr richtig!)

    beweisen immer wieder die Fragwürdigkeit unseres Sozialleistungssystems und beweisen auch, daß, die Teillösungen, die wir leider statt der versprochenen umfassenden Sozialreform immer wieder schaffen, in keiner Weise aufeinander abgestimmt sind. Diese
    Tatsache — und das ist mit der Grund, weshalb wir
    diese Frage schon in der ersten Lesung anschneiden
    — wird besonders deutlich, wenn wir an die Situation in der Kriegsopferversorgung denken. Mir ist nicht ganz klar, wie der Herr Bundesarbeitsminister mit dieser Frage fertig werden will, ohne die betroffenen Kriegsopfer allzu hart zu treffen und ohne von den durchführenden Behörden ein Übermaß an Berechnungs- und Verrechnungsarbeit zu verlangen.
    Trotz unseres Antrags im vergangenen Jahr, die Anrechnungsbestimmungen ganz fallenzulassen, und trotz unseres Alternativantrags, die Anrechnungsbestimmungen so lange auszusetzen, bis die Leistungen der übrigen Sozialgesetze verbessert worden seien, blieben Sie, meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, durch ihre verneinende Haltung damals bei der Regelung, die Anrechnungsbestimmungen des 1. Rentenanpassungsgesetzes am 1. Juni 1959 in Kraft treten zu lassen. Sie lehnten unseren Alternativantrag mit der Begründung ab, daß man alles das nicht nötig habe, daß man die Unterhaltsbeihilfe, daß man die Renten aus der Kriegsopferversorgung so schnell wie möglich nachziehen würde. Herr Kollege Stingl, der dazu sprach, erklärte — Sie werden sich sicher noch daran erinnern —, daß im Frühjahr dieses Jahres eine Neuordnung der Kriegsopferversorgung kommen werde

    (Abg. Ruf: Es ist nicht unsere Schuld, daß sie nicht gekommen ist!)

    und daß man dabei alles ausbügeln wolle. Wir alle haben im Fruhjahr vergeblich auf den Gesetzentwurf gewartet. Wir wissen nun, daß es der Wille der Regierungskoalition und der Wille der Bundesregierung ist, daß eine Verbesserung der Leistungen der Kriegsopferversorgung erst am 1. Juni 1900 in Kraft treten soll.

    (Abg. Ruf: Frau Korspeter, wollen Sie dafür eintreten, daß alle Anrechnungsbestimmungen auch in der Fürsorge gestrichen werden?)

    — Darf ich erst einmal weiter ausführen, was ich zu meinem Thema zu sagen habe.

    (Zurufe.)