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ID0308705400

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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Rasner, ich habe am Deutschlandplan und an der Abfassung der Erläuterungen mitgewirkt, und ich kann Ihnen sagen, daß die Erläuterungen, wie sie hier stehen, geschrieben worden sind, bevor der Plan überhaupt veröffentlicht wurde. Es kann sich also dabei nicht um eine Abschwächung, sondern nur um die Veröffentlichung der Materialien handeln, aus denen der Plan nichts anderes als eine Kurzfassung ist. Da wir gesehen haben, was vielleicht der eine oder andere mißverständlich und der eine oder andere böswillig aus der Kurzfassung zu machen sich bemüht, haben wir eben auch die Materialien, an denen ich mitgeschafft habe, veröffentlicht — wenn das zu Ihrer Beruhigung dient. Aber dann hören Sie bitte künftig mit dieser Märchenverbreitung auf!

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich möchte noch einen anderen Punkt klarstellen. Der Herr Außenminister hat zitiert — und zwar richtig zitiert —, daß in der dritten Stufe der Zusam-



    Erler
    menführung der gesamtdeutsche parlamentarische Rat sich mit der Vorbereitung von gesamtdeutschen Gesetzen zum Steuersystem, zum Finanzausgleich, zur Zollunion, zur Währungsunion und zur sozialpolitischen Anpassung zu befassen habe. „Vorbereitung" steht dort. Was für einen Sinn hat das? Der Rat kann diese gesamtdeutschen Gesetze gar nicht beschließen. Aber wenn es ein gesamtdeutsches Parlament gibt, das sehr schnell an die Arbeit gehen muß, dann muß es eine Reihe von Vorarbeiten geben, damit eine gesamtdeutsche Regierung, die noch keine Gesetzesvorlagen hat ausarbeiten können, möglichst rasch über Materialien verfügt; man muß sie in der Schublade haben, damit es dann mit der Zusammenführung schneller geht. Das greift nicht in die Hoheit der verfassunggebenden Nationalversammlung oder des ersten gesamtdeutschen Parlaments ein, solche vorbereiteten Gesetze entweder nach seinem Willen oder nach seiner Mehrheitsbildung so zu verändern, wie sie dem Gesamtparlament angemessen erscheinen. Damit ist auch dieser Punkt, glaube ich, geklärt.
    Nun zu einem anderen Thema, das in der heutigen Debatte leider etwas zu kurz gekommen ist, obwohl ich meine — und auch die Bundesregierung hat großen Wert auf diese Feststellung gelegt —, daß für die Erörterung der deutschen Frage daraus einiges Kapital zu gewinnen ist. Es handelt sich um das Problem der Abrüstung. Abrüstung steht nicht im Gegensatz zur Sicherheit; Abrüstung ist ein Teil der Sicherheitspolitik. Heute hat auch der Bundeskanzler ganz klar geschrieben und gesagt — mit „heute" meine ich nicht an diesem Tage, sondern in den jüngsten Wochen und Monaten —, daß Wettrüsten keine Sicherheit bringt. Er hat die Gefahren des Wettrüstens allgemein deutlich gemacht, und er hat auch in seinem Brief an den sowjetischen Ministerpräsidenten darauf aufmerksam gemacht. Damit ist klar, daß es darauf ankommt, Sicherheit auch für unser Volk in der vordersten Linie der weltpolitischen Frontenbildung, Sicherheit vor allem auch und gerade durch politische Mittel zu gewinnen, weil die rein militärischen nicht ausreichen, um ein angemessenes Maß an Sicherheit zu schaffen.
    Das Ziel ist also von der Regierung klargestellt worden. Es handelt sich nach ihrer Meinung um die allgemeine kontrollierte Abrüstung. Ich will hier gar nicht darüber spotten; wir wissen alle, wie schwer der Weg dahin sein wird. Ich möchte noch einige Gedanken dazu sagen.
    Es kommt nicht nur auf die Abrüstung an, sondern es kommt doch wohl darauf an, daß auch in den Beziehungen zwischen den Völkern und Staaten endlich dieselben Grundsätze der Zivilisation gelten, wie sie innerhalb der Staaten zwischen den Bürgern gelten, daß an die Stelle des Faustrechts das Recht und der Vertrag und das Gesetz und notfalls die Erzwingung durch Gericht und Polizei treten. Das wird ein weiter Weg sein. Dazu wird es eines sehr kräftigen Ausbaus der Vereinten Nationen bedürfen, den viele heute noch nicht wollen, an dem viele auch in unserem Lande nahezu verzweifeln. Ich wehre mich gegen die Abwertung der
    Vereinten Nationen. Wenn es sie nicht gäbe, gäbe es den Staat Israel z. B. längst nicht mehr. Wenn es die Vereinten Nationen nicht gäbe, hätte auch die französische Regierung nicht im Hinblick auf die zu erwartenden Debatten in den Vereinten Nationen das erlösende Wort vom Selbstbestimmungsrecht für Algerien ausgesprochen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Aber die allgemeine Abrüstung, gegen die Sie also sicher nichts haben, fällt nicht vom Himmel. Die Auseinandersetzungen beginnen dort, wo es darum geht: Wie kann man sie in die Tat umsetzen? Genauso wie die allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen in Deutschland nicht vom Himmel fallen, sondern die Auseinandersetzungen werden doch darum geführt: Wie kommen wir dazu, daß endlich einmal gewählt werden kann? Bei der Abrüstung wird man Schritte, Etappen, Teilmaßnahmen zu akzeptieren bereit sein müssen, weil das Ganze auf einmal mit Sicherheit nicht zu erlangen ist.
    Nun wird man sagen: Wir haben gut reden; sie ist ja doch hauptsächlich eine Frage der hochgerüsteten Weltmächte und nicht der Bundesrepublik Deutschland. — Auch wir können Beiträge zur Abrüstung leisten, und über die sollten wir uns unterhalten.
    Das Junktim, das ursprünglich einmal von der deutschen Politik für die Abrüstung aufgestellt worden war, ist in jener Form gefallen. Ursprünglich nahm man an, die Sowjetunion sei an einer Abrüstung so interessiert, daß man sie ihr nur gewähren dürfe, wenn sie vorher in die Wiedervereinigung Deutschlands eingewilligt habe. Das ist aufgegeben worden. Man hat gesehen, daß dieser Weg nicht zum Ziel führt. Dann bekommt man eben weder die Abrüstung noch die Wiedervereinigung.
    Später hieß es dann, daß erste Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung möglich sein sollten, daß aber dann erst die politischen Fragen gelöst werden müssen, ehe man weiterfahren könne.
    Jetzt plötzlich ist die Abrüstung zur allgemeinen Überraschung so vorrangig geworden, daß sie nach der Meinung der Bundesregierung anscheinend das einzige Thema der Gipfelkonferenz bilden soll, obwohl die Sowjetunion ihrerseits außer der Abrüstung auch die Deutschlandfrage und Berlin auf der Tagesordnung haben will. Die Sowjetunion natürlich mit ihren Vorstellungen. Aber wer hindert uns denn, unsere dagegenzusetzen? Noch im Dezember vergangenen Jahres hat man sich im NATO-Rat darauf geeinigt, daß man vermeiden müsse, nur über Berlin zu reden, sondern dieses Berlin in den größeren Zusammenhang der deutschen Frage im ganzen und der europäischen Sicherheit hineinstellen müsse. Das ist ein Stichwort, das jetzt plötzlich untergegangen und von dem Stichwort der „allgemeinen Abrüstung" verdrängt worden ist, obwohl man weiß, daß die allgemeine Abrüstung sehr viel ferner ist als ein Anfang, der auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit gemacht würde.



    Erler
    Ich möchte meinen, die Deutschlandfrage, die sicher nicht so gestellt werden darf, daß sie die Abrüstung verhindert, denn das würde uns das Mißfallen aller an der Abrüstung interessierten Völker zuziehen, darf trotzdem nicht — etwa noch durch eigene Mithilfe — von der weltpolitischen Traktandenliste, auch nicht von der Tagesordnung der nächsten Gipfelkonferenz verschwinden. Ich bedaure daher den Stellungswechsel der Bundesregierung in dieser Frage.
    Heute in der Regierungserklärung klang es wieder richtiger, daß die deutsche Frage durch Entspannung und Abrüstung gefördert, gelöst werden könne. Aber bitte, meine Herren, dann muß man sie von Anfang an im Gespräch lassen. Früher hat die Bundesregierung, die so stolz darauf ist, sie habe immer gleichmäßig und kontinuierlich dieselbe Politik verfochten, es anders gewußt. Sagt sie jetzt, die deutsche Frage sei nur durch Entspannung und Abrüstung zu lösen, so hat sie früher wörtlich gesagt, daß die Abrüstung erst folgen könne, wenn die Entspannung „eingetreten" sei. Es ist ein weiter Weg, Herr von Brentano, von jenem Irrwege — wie ich glaube — bis zu der jetzigen richtigen Erkenntnis, aus der man dann allerdings auch die richtigen Schlüsse ziehen muß.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Herr Minister L e mm er hat sich sehr klar und im gleichen Sinne geäußert. Er hat gesagt, daß die Wiedervereinigung nur das Ergebnis internationaler Entspannung sein kann. Das ist eine Formel, wie sie jahrelang von der deutschen Sozialdemokratie verfochten worden ist und wegen der wir so manches Mal hier in diesem Hause angegriffen wurden.
    Wenn man die Abrüstung als ein so wesentliches Mittel zur Förderung auch des deutschen Problems ansieht, dann kommt es auf die Förderung der praktischen Schritte an. Welche können 'das sein? Nun einmal nach Waffenarten: Nehmen wir z. B. das Gebiet der Atomwaffen. Es war schon die Rede von Versuchsexplosionen. Wir sollten eine schnelle Einigung der Großmächte — moralisch und durch unser Auftreten im NATO-Rat — unterstützen, auch und gerade weil damit das Entstehen weiterer Atommächte verhindert wird, selbst wenn es sich dabei um eine befreundete Macht handeln sollte. Drei Mächte sind schon zuviel, und jede weitere ist vom Übel.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Gerade im Hinblick auf die Bemühungen eines befreundeten Landes — es würde ja eine Kettenreaktion bei anderen ausgelöst werden — sollten wir einer möglichst schnellen Einigung der Drei zuraten.
    Um so wichtiger wird dann auch eine schnelle Abhaltung der Gipfelkonferenz, denn die Drei werden sich auch in Genf wieder festlaufen, wenn nicht einige entscheidende politische Fragen auf der Gipfelkonferenz vorab entschieden werden; erst dann wird den Experten der Weg zu einer weiteren Einigung geebnet. Sicher, ein Versuchsstopp — um mich mit den französischen Argumenten zu
    beschäftigen — behindert nicht die Produktion. Er verhindert lediglich eine weitere Vergiftung der Atmosphäre, und er würde von dem Willen zeugen, keine neuen Waffenarten zu entwickeln. Er würde aber das Wettrüsten auf einem bestimmten Gebiet beenden.
    Natürlich ist nicht nur hier, sondern bei jeder Abrüstungsmaßnahme die Kontrolle ein wichtig Ding. Bei Versuchsexplosionen ist sie zwar schwierig; aber auch hier ist sie, wie die Expertenkonferenz festgestellt hat, möglich. Eine Kontrolle der Produktion ist nur denkbar, wenn auch die friedliche Verwertung der Atomenergieeiner Kontrolle unterworfen wird. Da können wir einiges von den Methoden lernen, wie sie in Euratom und in der Westeuropäischen Union entwickelt worden sind. Die Vereinten Nationen haben sich mit der Atombehörde in Wien ein Instrumentarium hingestellt, dessen man sich bei gutem Willen aller bereits zu diesem Zwecke bedienen könnte.
    Lager sind nur ungefähr feststellbar. Es gibt keine Sicherheit dafür, daß nicht die eine oder die 'andere Macht bei der Abschaffung ein paar Atombomben wie man in Berlin zu sagen pflegt: Schmu macht — auf die Seite bringt. Das ist eine Frage des allmählichen Vertrauens, und das läßt sich nicht von vornherein so sicher gestalten. Deswegen darf man aber an diesem Punkte nicht das ganze Bemühen der Abrüstung scheitern lassen.
    Auf alle Fälle kommt es darauf an, die weitere Ausbreitung von Atomwaffen auf Armeen zu verhindern, die sie noch nicht besitzen. Mein Freund Ollenhauer hat hier vorhin zwei denkbare Initiativen der Bundesregierung ausdrücklich erwähnt. Das eine wäre ein Herantreten an die Großen, sie mögen sich verpflichten, Atomwaffen nicht weiterzugeben; dann auch nicht an uns; an keinen. Dann wäre eine solche deutsche Haltung nicht eine einseitige Leistung zu Lasten der Deutschen, sondern ein Beitrag zur Verhinderung der allgemeinen Ausbreitung der Atomwaffen in der Welt. Wer hindert uns, eine solche Initiative zu entfalten, oder aber auf den anderen Weg zu gehen: mit unseren Nachbarn eine Verständigung dahin gehend zu erreichen, daß man von den Großen keine nimmt?
    Sicher wäre, das wissen wir alle, selbst ein Verbot der Atomwaffen lückenhaft, solange kein Vertrauen besteht. Aber ein Fortschritt wäre es doch. Das Internationale Rote Kreuz bemüht sich seit langem um eine formelle Festlegung völkerrechtlicher Art. Die Juristen sind, wie Sie wissen, schon bisher überwiegend der Meinung, daß die Verwendung von Atomwaffen völkerrechtlich verboten ist. Das Internationale Rote Kreuz wünscht das noch ausdrücklich klarzustellen. Ich meine, die Bundesregierung sollte ihre Bereitschaft erklären, wenn sie von einer Regierung zu einer Regierungskonferenz über diese Probleme eingeladen wird, an einer solchen Konferenz teilzunehmen.
    Wir wissen auch, daß bei einem längeren Konflikt unter Großstaaten sogar die völlige Abschaffung der Atomwaffen keine Garantie gegen ihre Wiederkehr wäre, nachdem man weiß, wie das



    Erler
    Zeug hergestellt werden kann; daß zwar die Abschaffung der Atomwaffen und ein wirksames sonstiges Abrüstungsabkommen wesentlich sind, um heute Zündstoff aus der Welt zu bringen, allen Beteiligten im Konfliktsfalle eine längere Atempause aufzunötigen, daß aber die Vernichtung der Menschheit durch eigene Hand immer noch droht. Deshalb auch hier wieder die Aufgabe der Stärkung jener internationalen Rechtsordnung, die allein imstande wäre, dann an die Stelle der nationalen Gewalten zu treten.
    Ich möchte mich hier gegen zwei widerspruchsvolle Argumente wenden; das eine, das der amtlichen Strategie der NATO hier auf unserem Boden zugrunde liegt und sagt: „Die Atomwaffen brauchen wir halt, solange die Sowjetunion konventionell überlegen ist", und das andere Argument, die Beschränkung konventioneller Waffen sei sinnlos, solange die Atomwaffen nicht abgeschafft sind. So soll nach einer Meldung vom 5. Oktober der Verteidigungsminister auf seinem Rückflug von Kanada in New York erklärt haben, er halte die totale Abrüstung für eine Utopie; er wäre erleichtert, wenn die Abrüstung hinsichtlich der Atomwaffen komme. Dieser Weg sei realistischer als eine Gesamtabrüstung. — Ich habe nichts gegen eine Abrüstung auf dem atomaren Gebiet. Aber dann muß man auch konsequent sein und sagen: Das gilt auch dann, wenn die Sowjetunion konventionell überlegen ist. Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Wenn wir uns an dieses Problem heranwagen, dann sollten wir den großen Vorteil nicht unterschätzen, der in einer Beschränkung und Kontrolle gerade auch herkömmlicher Streitkräfte und der Rüstungsproduktion für die herkömmlichen Streitkräfte liegt, weil wir auf diese Weise viel leichter den Druck des russischen Militärpotentials auf Europa herabsetzen könnten. Also bitte nicht sagen, das sei nicht so wichtig und gegenstandslos, solange es noch Atomwaffen gibt! Die Einigung der Londoner Abrüstungskonferenz auf die Stärkezahlen, die damals die Amerikaner ursprünglich vorgeschlagen hatten, ist durch die europäischen Verbündeten erheblich erschwert worden. Doch will ich auf diese Sache nicht zurückkommen; wir haben sie hier im Bundestag schon einmal behandelt.
    Inzwischen ist der Westen einseitig unter die damals von ihm in Aussicht genommenen Stärken für ein Abkommen heruntergegangen, ohne dafür wenigstens die entsprechende kontrollierte Beschränkung der Sowjetarmee eingehandelt zu haben. So geht es einem, wenn man sich zu spät auf eine Verhandlung über ein Thema einläßt. Dann kann man zu einer Leistung gezwungen sein, ohne die Gegenleistung zu erhalten.
    Selwyn Lloyd hat am 4. Dezember im Unterhaus zu den Rapacki-Plänen gesagt, die Schwierigkeit jener Pläne liege nur in der Stärke der sowjetischen konventionellen Streitkräfte; dadurch würde eine Begrenzung der Kernwaffen auf der westlichen Seite zwangsläufig das Gleichgewicht der Kräfte und der Stärke spezifisch verändern. In dieser Bemerkung liegt ein Richtiges und ein Falsches. Richtig, daß eine einseitige Begrenzung der Abrüstung nur auf die Atomwaffen das konventionelle Verhältnis nicht verändern würde, daß man infolgedessen sich darum kümmern muß. Falsch, daß die polnischen Pläne eine Ausdehnung der Abmachungen auf die konventionellen Streitkräfte nicht vorgesehen hätten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht auf die russischen!)

    Die haben das nämlich vorgesehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht auf die russischen!)

    — Wer hindert uns denn, in Verhandlungen über dieses Thema auf einen Vorschlag einer anderen Seite unter Aufnahme der Grundidee mit einem verbesserten Gegenvorschlag zu antworten, statt von Anfang an nach Gründen zu suchen, zum Ganzen nein zu sagen?

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine Begrenzung konventioneller Streitkräfte erlöst doch von dem Zwang, in dem der Westen sich zu befinden glaubt, Atomwaffen verwenden zu müssen. Das schüfe eine bessere Relation der Stärkeverhältnisse zur Sowjetunion, nicht durch Wettrüsten, sondern durch Begrenzung der Rüstung.
    Ähnliches gilt für die Inspektionszone zur Sicherheit gegen Überraschungsangriffe. Wir leben weder am Südpol noch am Nordpol. So wichtig Zonen dort sein mögen, besonders am Nordpol für die Sicherheit der Sowjetunion und des amerikanischen Kontinents, für uns handelt es sich um mögliche Überraschungen aus dem Thüringer Wald. Wir sind an einer Zone der Inspektion gegen Überraschungsangriffe hier interessiert, wo wir leben!

    (Beifall bei der SPD.)

    Leider hat die deutsche Politik hierzu die Forderungen so hoch geschraubt, übrigens im Gegensatz zu jüngeren Erklärungen des Bundesverteidigungsministers, der sich auf die Formel von der Gleichwertigkeit, die auch die unsere ist, beschränkt und gemeint hat, man müsse immerhin berücksichtigen, wie weit die Sowjetunion zu gehen bereit sei. Hier hat die Bundesregierung durch die Forderung „Vom Ural bis zum Atlantik" praktisch das Entstehen einer solchen Zone in Europa nicht gefördert. Ich wünschte, wir könnten sie so weit bekommen. Wenn sie so weit nicht erreichbar ist, dann hielte ich es zur Sicherung gegen überraschende Besetzung schon für einen Vorteil, wenn es eine kleinere Zone zur Überwachung gegen Überraschungsangriffe gäbe; denn gegen überraschende Zerstörung schützt nicht einmal eine Zone bis zum Ural. Man kann nämlich auch aus dem Gebiet hinter dem Ural heute bis in das Herz der Bundesrepublik schießen.
    Ich wäre fast versucht, etwas in die satirischen Ausführungen einer amerikanischen Zeitung einzustimmen, die geschrieben hat: „Zwölf Nationen haben jetzt beschlossen, die Antarktis frei von Waffen und Kriegen zu halten. Ausgerechnet auf dem



    Erler
    einzigen Kontinent, auf dem wir uns allenfalls noch einen Krieg leisten können, wollen wir ihn nicht führen."

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich finde, derartige Bemühungen müssen wirklich dort ansetzen, wo der Krieg die verhängnisvollsten Folgen hätte, und das ist hier. Wenn man schon an Inspektionszonen herangeht, dann ist das nur sinnvoll in Verbindung mit vereinbarten Beschränkungen der militärischen Kräfte in dem betreffenden Gebiet. Was soll es sonst zu inspizieren geben, wenn man sich nicht auf Dinge geeinigt hat, bei denen man sagen kann, daß eine Grenze, eine Höchstzahl oder etwas Ähnliches verletzt wird?
    Damit sind wir bei dem großen Problem der Kontrolle. Früher hat der Westen gesagt: Erst die Kontrolle, und wenn die steht, kann mit der Abrüstung angefangen werden; und die Sowjetunion hat dem, zum Teil bis in die jüngsten Tage, entgegengesetzt: Erst Abrüstung, und wenn alles abgerüstet ist, können wir mit der Kontrolle anfangen. Beides war jeweils für den anderen unzumutbar,
    Der richtige Weg ist doch wohl der, daß jeder Schritt praktischer Rüstungsbegrenzung mit der dazu passenden Kontrolle versehen wird. Da gibt es nun in den jüngsten sowjetischen Erklärungen Widersprüche, sicher. Die müssen am Verhandlungstisch aufgeklärt werden; denn noch nie hat sich die Sowjetunion so klar zum Prinzip der wirksamen Kontrolle bekannt wie in den letzten Monaten. Es kommt jetzt darauf an, von diesem allgemeinen Prinzip weg zu den Details zu kommen, die aus dem Prinzip erst Wirklichkeit werden lassen. Chruschtschow sprach von wirksamer Kontrolle, ließ aber die einzelnen Maßnahmen und den Zeitpunkt der Durchführung leider etwas im Dunkeln.
    Ein weiterer Schritt — sehr umstritten in diesem Hause, aber er gehört in die heutige Debatte hinein — sind regionale Maßnahmen der Rüstungsbegrenzung und -kontrolle. Sie wären nicht nur geeignet, ein besseres Gleichgewicht der konventionellen Streitkräfte zu unseren Gunsten herzustellen und die sowjetischen Truppen aus Mitteleuropa herauszubringen, sondern sie würden auch die Gefahr von Überraschungsangriffen verringern, die Aussichten auf politische Lösungen erhöhen und könnten als Modell für die Begrenzung und Kontrolle der Rüstungen auch anderwärts, in einem größeren Zusammenhang, dienen.
    Natürlich ist es wünschenswert, daß man solche Regionalmaßnahmen als Teil eines Gesamtplanes vereinbart, auf denen sich dann weitere Schritte aufbauen. Aber auch schon als erster Schritt, selbst wenn die Einigung aufs Ganze noch nicht völlig erreichbar ist, hätten solche Regionalmaßnahmen ihren Wert, weil die praktische Bewährung das Klima für die dann folgenden Schritte verbessert.
    Vorhin ist von der Bad Godesberger Konferenz die Rede gewesen. Nun, dort hat z. B. Senator Humphrey gefehlt. Herr Minister, das ist nicht irgendein Leitartikler, das ist ein möglicher Präsidentschaftskandidat einer großen Partei, der demokratischen. Senator Humphrey ist außerdem Vorsitzender des für diese Fragen zuständigen Unterausschusses des amerikanischen Senats. Jetzt will ich einmal zitieren, was er vor wenigen Monaten erst zu diesem Thema gesagt hat, damit man uns nicht immer entgegenhält, in Amerika wolle niemand etwas von diesen Gedanken wissen. Sicher, die Herren in Godesberg gaben ungefähr die Meinung der Mehrheit in Amerika wieder, aber nicht die einzige. Eine Stimme wie die von Humphrey ist sicher von einiger Wichtigkeit.
    Er sagt, man müsse versuchen, Verhandlungen nicht nur über Berlin, sondern über ganz Deutschland und Mitteleuropa zustande zu bringen. Man sollte Möglichkeiten eines Disengagements in Zentraleuropa prüfen. Er glaube aber nicht, daß eine solche Lösung auf Deutschland beschränkt bleiben sollte. Erstes Ziel der amerikanischen Außenpolitik in diesem Teil der Welt müsse es sein, den Abzug der sowjetischen Truppen nicht nur aus Mitteldeutschland, sondern auch aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und anderen Gebieten herbeizuführen. Dazu müßten die USA bereit sein, selbst einem gewissen Rückzug ihrer Truppen und Truppenverlegungen zuzustimmen. Dies könnte ohne Gefährdung der Sicherheit der USA geschehen. Das hat der Senator gesagt, nachdem sein Ausschuß Dutzende von Zeugen gehört hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sicherheit der USA!)

    — Bitte, wenn Sie Humphrey kennen, können Sie nicht annehmen, daß er damit meint, das könne nur geschehen unter Gefährdung unserer Sicherheit; denn Humphrey ist damals, als er das sagte, nach Berlin geflogen, um den Berlinern zu versichern, daß die Macht der Vereinigten Staaten hinter der Sicherheit und Freiheit Berlins stehe. Unterstellen Sie doch diesem Mann nicht, daß er nur an die Sicherheit der USA denkt!

    (Beifall bei der SPD.)

    Er sprach drüben zum Senat. Natürlich war bei den amerikanischen Senatoren zunächst von ihrer Sicherheit die Rede. Die Sicherheit der USA ist auch „für die Katz", wenn Europa verlorengeht. Das weiß man drüben auch.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Nach dieser Stimme meine ich, wir sollten nicht so leichtfertig über dieses Thema hinweggehen.
    Die Frage lautet doch gar nicht — und so halte ich sie für sehr seltsam —: Was muß die Sowjetunion eigentlich dafür bezahlen, daß man ihr erlaubt, ihre Truppen aus Mitteleuropa abzuziehen? Sie lautet vielmehr: Was können wir tun, damit sie sie abzieht und damit erst der Weg zur politischen Freiheit geebnet werden kann?

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist nämlich, daß es uns hier wie bei dem damaligen Geisterkampf um die hohen Truppenstärken geht — zweieinhalb Millionen Mann für die drei Großen und 750 000 Mann für die beiden Kleineren. Es kann uns ähnlich gehen, daß wir von der Entwicklung überrundet werden. Die Entwicklung der Fernwaffen bedeutet nämlich eine Verringerung des Gewichts



    Erler
    der Stützpunkte der Vereinigten Staaten für ihre eigene Sicherheit. Da kann einmal eine Gefahr auftauchen, die Sie nur in Zusammenhang mit dem Disengagement sehen, von der ich aber fürchte, daß sie ohne Zusammenhang mit dem Disengagement entsteht; die Gefahr nämlich, daß eines Tages die Amerikaner glauben, vom amerikanischen Kontinent her allein für ihre und vielleicht auch für die Sicherheit anderer sorgen zu können, ohne nennenswerte amerikanische Garnisonen auf dem übrigen Erdball. Dann wäre zwar unter Umständen für die Sicherheit — so prekär diese Sicherheit wäre — gesorgt, für die Freiheit in Mitteldeutschland wäre aber nichts geschehen. Dann würden die Amerikaner gehen und die Sowjetruppen bleiben.
    Deswegen sollte man über diese Dinge beizeiten verhandeln, solange es möglich ist, ein Abkommen zu erreichen, das eine bescheidene, zeitlich gestaffelte Zurücknahme fremder Truppen vom Gebiet der Bundesrepublik vorsieht, einhergehend natürlich mit dem entsprechenden Verbleiben der eigenen Kräfte der Bundesrepublik. Es geht um den Abzug der sowjetischen Truppen, die als schwere politische Hypothek nicht nur auf der Zone, sondern auch auf anderen Gebieten Osteuropas lasten.
    Dabei taucht die Frage auf: Sind derartige regionale Maßnahmen, die nicht nur Deutschland, sondern auch eine Reihe anderer Länder einem bestimmten Regime der Begrenzung der Heeresstärken und der Bewaffnung sowie einer Kontrolle unterwerfen würden, für die Bundesrepublik diskriminierend? Hierbei hat der Herr Bundeskanzler leider eine völlige Kehrtwendung vollzogen. Am 7. Oktober 1954 hat er im Bundestag gesagt:
    Frieden, meine Damen und Herren, muß erarbeitet werden, ... Frieden muß auch verteidigt werden — nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit den Waffen der Gesinnung und den Waffen des Beispiels.
    Damals ging es um die Pariser Verträge.
    Nun, ein solches Beispiel hat die Bundesrepublik in London gegeben, als sie erklärt hat, daß sie auf den Gebrauch
    — da hat sich der Herr Bundeskanzler versprochen, aber es steht nun mal so im Protokoll —
    dieser fürchterlichen Waffen der Massenvernichtung, die allein doch schließlich auch Sowjetrußland schrecken könnten, verzichte und sich einer besonders strengen Kontrolle, daß dieser Verzicht innegehalten wird, zu unterwerfen bereit sei.
    Da war von einem guten Beispiel die Rede, das man nicht als Diskriminierung empfand, sondern auf das man stolz war, und, Herr Bundeskanzler, wenn es durchgehalten worden wäre und jetzt nicht Stück für Stück zerbrochen würde, könnten Sie sogar heute noch stolz auf dieses Beispiel sein.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Kanzler hat damals fortgefahren:
    Sagen Sie nicht: „Das hast du leicht sagen! Ihr habt ja gar nicht die Möglichkeit, weder finanzieller noch physikalischer Art!" ... die Bundesrepublik ist hier beispielhaft vorangegangen, und ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für das, was wir wollen: Frieden in Europa und in der Welt.
    Das war am 7. Oktober 1954. Am 13. Oktober 1959, fünf Jahre später, stand der Bundeskanzler schon an der Spitze einer nicht unbeträchtlichen militärischen Kraft. Da sah das ganz anders aus. Da war nicht mehr die Rede von dem Beispiel und davon, daß das keine Diskriminierung, sondern ein Anlaß zum Stolz sei. Da hat es vielmehr geheißen:
    Nach unserer Auffassung wird sich die Bundesrepublik niemals einer anderen Kontrolle im Falle einer Abrüstung unterwerfen als der, der alle in Europa unterworfen sind. Wenn wir uns einer stärkeren Kontrolle unterwerfen würden, so würde das eine politische Deklassierung der Bundesrepublik bedeuten, die wir nicht hinnehmen können. Eine mindere Bewaffnung Deutschlands, meinetwegen auch Polens und Ungarns und der Tschechoslowakei, wie der Rapackiplan vorsieht, würde das Ende der NATO bedeuten, und wir wollen an der NATO festhalten.
    Niemand redet hier einseitigen Beschränkungen für Deuschland das Wort. Aber wir meinen, wenn Deutschland mit seinen Nachbarn in ein vernünftiges Gebiet der Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle, das beiden Seiten, Ost und West, gleichwertige Leistungen auferlegt, mit dem Ziel des Abzugs auch der sowjetischen Truppen aus dem gesamten Gebiet eingebracht wird, dann ist das keine Diskriminierung der Deutschen, sondern ein Stück im Kampf um die Ausdehnung der Freiheit dorthin, wo sie heute nicht besteht, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Haltung, daß sich die Bundesrepublik nur dem anschließt, was alle anderen haben, läuft in letzter Konsequenz auf die Wasserstoffbombe für die Deutschen wie für jeden anderen hinaus. Ist das wirklich der Weisheit letzter Schluß? Sollten nicht diejenigen, die noch nicht im Besitz dieser Massenvernichtungsmittel sind, das Mögliche tun, um sich der weiteren Verbreitung dieser Mittel mit allen Kräften, deren sie fähig sind, entgegenzustemmen?
    Der englische Außenminister hat am 30. Oktober gesagt — das ist vielleicht ein Punkt, den Sie mit ihm noch etwas besprechen müssen, nachdem Sie seinerzeit am Wahlmanifest der Konservativen Anstoß genommen haben —, daß er sich zu dem Gedanken geographisch begrenzten Gebiets zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs mit Rüstungshöchstgrenzen und einem Inspektionssystem, also zu regionalen Maßnahmen bekenne. Ich halte das für einen Fortschritt, Herr Bundeskanzler. Wenn Sie nach London gehen, dann reden Sie das dem Herrn Selwyn Lloyd bitte nicht wieder aus, sondern versuchen Sie im Gegenteil, mit ihm die praktischen Schritte zu überlegen, wie man diesen Gedanken in die Tat umsetzen kann. Dann werden Sie auch in Großbritannien rasch Verständnis finden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)




    Erler
    Jedes andere Verhalten muß Mißtrauen in unsere Absichten säen und die Bekenntnisse zur Abrüstung entwerten. Da kommt es nicht auf die allgemeinen Bekenntnisse an, sondern auf die praktischen Schritte der eigenen Politik. Die Aufgabe ist heute, die Beschränkungen, die es noch gibt, auszudehnen und nicht abzubauen.
    Deshalb bin ich gar nicht glücklich über die jüngsten Beschlüsse eines Ausschusses der Westeuropäischen Union, wonach in Europa ein strategischer Kernwaffen-Pool geschaffen werden soll, weil die deutsche Bundeswehr, so hieß es in der Meldung, „künftig gewisse Waffen haben soll, die sie bisher nicht haben durfte". Nach der Presseverlautbarung, die Herr Fens abgegeben hat, war eindeutig, daß es sich auch um die Mitwirkung der Bundesrepublik an der Herstellung solcher Waffen handeln soll. Dem Bundestag war seinerzeit sogar gesagt worden, man habe auf den Gebrauch verzichtet. Jetzt wird die Herstellung politisch vorbereitet. Dem gilt es sich auch im deutschen Interesse zu widersetzen und möglichst viele Staaten als Bundesgenossen zu finden, die sich einer solchen Haltung anschließen. Das wäre der richtige Beitrag zur Abrüstung.
    Sie ist zwar zunächst Sache der Großen. Wir sollten aber nicht nur unterlassen, querzutreiben, sondern wir sollten auch eine eigene Initiative entfalten. Wir sind nicht Mitglied der Vereinten Nationen, aber was dort in der Abrüstungsresolution niedergelegt wurde, können auch wir mit unserem ganzen Gewicht, wo immer wir in der Welt diplomatisch auftreten, unterstützen. Wir sollten die Großen zu den richtigen Schritten ermuntern und vor allem nicht verzweifeln und sagen: dabei kommt doch nichts heraus.
    Hier halte ich es mit dem Kollegen Gradl, der einmal in einem anderen Zusammenhang — auch da bin ich seiner Meinung —, nämlich der Deutschlandfrage, gesagt hat, was wir auch für die Abrüstung gelten lassen wollen: „Vielleicht kommt sich manch einer gescheit vor, wenn er auf politischem oder diplomatischem Boden oder im Funk und Fernsehen oder auf dem Papier nachweisen zu können oder zu müssen glaubt, daß nichts herauskommen kann. Nichts gegen kritische Analysen" — meinte unser Kollege Gradl. Er fügte hinzu: „Aber diese Leute vergessen, daß der Wille auch ein Element der Geschichte ist."

    (Anhaltender Beifall bei der SPD. — Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Guttenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit es eine Außenpolitik der Regierung Adenauer gibt, haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich gegen diese Politik gewandt. Sie haben das auch heute wieder getan. Wenn man versuchen wollte, die Auseinandersetzung zwischen der SPD und uns auf eine Formel zu bringen, dann wäre diese, wie ich glaube, die folgende.
    Sie sagen, unsere Sicherheitspolitik verhindere den Fortschritt der Wiedervereinigung, während wir von Ihren Vorstellungen glauben, daß sie unsere Sicherheit, aber auch gleichzeitig jede Wiedervereinigungschance zerstörten. Meine Damen und Herren von der SPD, ich befürchte, Sie haben sich hier eine künstliche Alternative geschaffen, indem Sie nämlich glauben, daß man wirklich zwischen Bündnispolitik einerseits und Wiedervereinigung andererseits wählen könne. In Wahrheit gibt es diese Alternative nicht, weil die Existenz Ulbrichts und die Bedrohung unserer eigenen Sicherheit nichts anderes sind als Produkte der gleichen Ursache, nämlich der sowjetischen Offensive gegen Europa. Erst wenn diese Offensive einmal nachlassen sollte, dann wäre gleichzeitig eine Verringerung unserer Verteidigungsbemühungen möglich und eine Chance zur Wiedervereinigung erkennbar.
    Wenn man sich fragt, wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß Sie in eine solche Schein-Alternative hineingeraten sind, wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß eine solche Schein-Alternative als eine ernsthafte Möglichkeit diskutiert wird, dann gibt es, glaube ich, nur eine Antwort. Diese Antwort heißt, daß Scheinlösungen Scheinwirklichkeiten voraussetzen. Die Scheinwirklichkeit, in der das alles lebt, was wir soeben von unserem Kollegen Erler gehört haben, ist im Grunde genommen die, daß es eine deutsche Frage allein für sich selbst gebe, eine deutsche Frage, losgelöst vom Schicksal der anderen Völker Europas; eine deutsche Frage, abgetrennt von dem Konflikt, der die ganze Welt und nicht nur uns in Atem hält. Es ist daher, wie ich glaube, kein Wunder, daß allen Ihren Vorschlägen, auch dem, was wir soeben gehört haben, wenn allen Ihren Plänen und Vorstellungen das Merkmal des Irrealen eigen ist.
    Nun, ich weiß, daß auch Sie uns vorwerfen, auch wir sähen die Wirklichkeit nicht. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, ist es denn nicht wahr, daß Sie zwar immer unsere Politik verdammt haben, daß Ihre eigenen Vorstellungen aber lange genug im Nebel geblieben sind? Ist es z. B. nicht wahr, daß Sie uns zwar vorwerfen, wir betrieben eine Politik der Stärke, daß Sie sich aber entrüsten, wenn wir darauf antworten, daß Sie also logischerweise eine Politik der Schwäche verträten? Ist es nicht richtig, daß Sie gegen das militärische Bündnis gestimmt haben, daß man aber auch heute und immer noch von Ihnen hören kann, unsere Teilnahme an diesem Bündnis sei der einzige Hebel, der die Sowjetunion bewegen könne, die Wiedervereinigung zu gestatten? Müssen Sie nicht außerdem zugeben, daß Sie heute von den Westmächten erwarten, daß diese unsere eigene Sicherheit und die Sicherheit unserer Stadt Berlin garantieren, als ob dieses von Ihnen abgelehnte Bündnis eben doch bestünde?

    (Abg. Majonica: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, haben nicht Ihre Sprecher
    in der letzten Debatte, die wir hier geführt haben,
    den Besitz atomarer Waffen als eine Sünde vor



    Freiherr zu Guttenberg
    Gott bezeichnet? Haben nicht die gleichen Sprecher
    gleichzeitig von unseren Alliierten erwartet, daß
    sie eben diese Sünde zu unserem Schutze begingen?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Am 18. März dieses Jahres hat sich mit der Vorlage des Deutschlandplans der Nebel gehoben, der über den Vorstellungen der deutschen Sozialdemokratie gelegen hat. Nun weiß jeder in diesem Lande, woran er mit der deutschen Sozialdemokratie ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: „Rheinischer Merkur"!)

    Es ist nicht so, daß etwa dieses merkwürdig Irreale aller Ihrer Vorstellungen nicht auch in diesem Plane enthalten sei, aber, meine Damen und Herren, den, der bisher glaubte, unser Streit gehe nur um bessere Methoden, haben Sie schwarz auf weiß eines Schlechteren belehrt. Wir streiten heute nicht mehr um den besten Weg zur Freiheit aller Deutschen. Wir streiten leider darum, was diese Freiheit ist.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Denn was Sie heute in Ihrem Plane sagen, ist doch
    im Grunde dies: Weil die Einheit unseres Landes

    (Zurufe von der SPD)

    gegen Ulbricht nicht zu haben ist, sollten wir versuchen, sie mit ihm zu erreichen. Das ist das Kernstück Ihres Planes.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Sie werden von diesem Plan noch genug hören. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht aufhielten.
    Vielleicht wird der Weg dieses Planes zur Einheit unseres Landes führen. Aber, meine Damen und Herren, die Trümmer unserer Freiheit werden auf diesem Wege liegen. Das ist der Inhalt dieses Planes.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß, meine Damen und Herren von der SPD, Sie bestreiten das. Aber beantworten Sie mir bitte die Frage: glauben Sie wirklich, daß Sie Ulbricht dadurch los werden können, daß Sie ihm und seinen Kaderkommunisten die Hälfte der gesetzgebenden Gewalt auch in diesem Land anvertrauen?

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Vollkommener Unsinn! — Weitere erregte Zurufe von der SPD.)

    — Sie sagen „Unsinn", meine Damen und Herren.

    (Erneute Zurufe von der SPD: Unsinn!)

    Ich erinnere mich genau an das, was der Kollege Erler hier soeben zu diesem Punktgesagt hat. Er hat erklärt, davon sei in diesem Plan nicht die Rede, an dem er selbst mitgearbeitet habe, dessen Erläuterungen und Erklärungen ,er selbst mit verfaßt habe. Herr Kollege Erler hat hier gesagt, in diesem Plan sei ein parlamentarischer Rat auf paritätischer Grundlage vorgesehen, der nur der Vorbereitung gewisser Dinge dienen solle.
    Meine Damen und Herren, das widerspricht dem klaren Wortlaut dieses Planes. Ich habe diesen Druck hier, den Herr Kollege Erler uns vorhin gezeigt hat. Herr Ollenhauer, ich rate Ihnen, Seite 9 aufzuschlagen und dort mit mir zu lesen:
    In der zweiten Phase der politischen Zusammenführung wird ein Gesamtdeutscher Parlamentarischer Rat errichtet. Seine Mitglieder, die in ganz Deutschland Immunität genießen,
    — ein sehr pikanter Vorschlag! —
    werden je zur Hälfte in beiden Teilen Deutschlands gewählt.
    Und dann, meine Damen und Herren, heißt es:
    Dem Gesamtdeutschen Parlamentarischen Rat wird die gesetzgeberische Zuständigkeit insbesondere für Eisenbahn, Straßenverkehr, Binnenschiffahrt, Post- und Fernmeldewesen und zur Förderung der volkswirtschaftlichen Erzeugung übertragen.
    Nennen Sie das Vorbereitung? Ich nenne das Übertragung der gesetzgeberischen Zuständigkeit.

    (Zuruf von der SPD: Weiterlesen! — Weitere Zurufe von der SPD.)