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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur heute bei dieser Diskussion, sondern auch in den Diskussionen der letzten Wochen und Monate draußen wurde es spürbar, daß sich eine Wende in der Weltpolitik anzubahnen beginnt. Die erstarrten Fronten kommen in Bewegung. Noch weiß niemand, wohin das Weltschiff treiben wird. Die Großen der Welt haben sich zusammengesetzt. Nach unendlichem Bemühen ist es gelungen, jedenfalls für erste Gespräche das Feld zu bereiten. Die Bedeutung, die diese Gespräche für unser deutsches Vaterland haben, brauche ich hier nicht besonders zu unterstreichen.
    Ich möchte mich hier weniger darin ergehen, an Einzelheiten aufzuzeigen, wo und wie dieses und



    Schneider (Bremerhaven)

    jenes, teilweise auf diplomatischem Gebiet, zu tun ist. Vielmehr möchte ich hier als Abgeordneter einige, wenn ich so sagen darf, handfestere politische Betrachtungen anstellen, wie sie unsere Bevölkerung in dieser Lage der Unsicherheit heute draußen besonders nötig hat.
    Wenn es Politiker gibt, die behaupten, daß der Kalte Krieg vorüber sei, kann ich das nur bedauern. Denn es steht fest, daß der Kalte Krieg nach wie vor andauert, ja, daß der Kalte Krieg genau genommen sogar verschärft worden ist. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß durch die jüngsten Begebnisse, durch die jüngsten Treffen der verschiedensten Staatsmänner etwa schon jene auch nur leise Entspannung eingetreten sei, die uns zu der Hoffnung berechtige, daß der Welt auf jeden Fall Friede und Freiheit erhalten blieben.
    Mit meinen Freunden von der Deutschen Partei sehe ich mit großen Bedenken, daß die jahrelangen Erörterungen, die natürlich unausweichlich waren, auch dazu geführt haben, daß eine gewisse innere Unsicherheit und eine Aufweichung in unserem deutschen Volk Platz gegriffen haben. Die Vielzahl der Argumente, das Für und Wider und nicht zuletzt die lange Dauer dieser Auseinandersetzungen haben es dahin gebracht, daß unsere Menschen draußen oftmals nicht genau wissen, wer nun eigentlich recht hat und welcher Weg der richtige ist. Ich bedauere auch, daß Politiker, die sicherlich besten Willens sind, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versuchen, diese ersten Ansätze seien schon ein Beweis dafür, daß es nun mit Riesenschritten in die Entspannung hineingehe und daß wir mit unserer Wachsamkeit — wenn auch nur in etwa — nachlassen dürften.
    Wenn eine Auseinandersetzung im Gange ist, dann ist es gleichgültig, ob die kalten Krieger im Kalten Kriege oder die heißen Krieger im Heißen Kriege davonlaufen; in jedem Fall wird es den Verlust der Auseinandersetzung, den Verlust der Schlacht bedeuten, wenn diejenigen, die da als heiße oder kalte Krieger antreten müssen, die Front verlassen. Ich meine, daß kein verantwortlicher politischer, wie auch im anderen Falle kein verantwortlicher militärischer Führer es sich erlauben kann, seinen Anhängern oder seiner Truppe zu empfehlen, aus der Schlacht davonzulaufen. Es ist deshalb ein böses Wort, das vor vielen Monaten geprägt wurde, das Wort vom letzten kalten Krieger. Ich wünschte mit meinen Freunden, daß das ganze deutsche Volk aus kalten Kriegern bestünde und Klarheit bei allen darüber bestünde, daß erst jetzt die Zeit der Entscheidung kommt und daß es in dieser Zeit der Entscheidung gilt, fester denn je auf dem Sinne zu beharren.

    (Beifall bei der DP und in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Wer bei der Betrachtung der deutschen Realitäten immer nur das angebliche eigene Versagen oder das Versagen der Regierungsverantwortlichen sieht und wer nicht bereit ist, die oftmals schier unübersteigbaren Schwierigkeiten, Hindernisse und Widerwärtigkeiten anzugehen, wer nicht bereit ist, den vielfältigen Mangel an Verständnis draußen in
    der Welt, bei unsern Bündnispartnern und natürlich auch bei auch bei unsern Antipoden, zu beseitigen, wer nicht bereit ist, dem bösen Willen, um den es sich auch oft handelt, zu begegnen, und wer schließlich nicht bereit ist, zu sehen, daß sich die anderen mit ihren eigenen Problemen stark zu beschäftigen haben —, der ist bis heute, jedenfalls für unsere Begriffe, den Beweis dafür schuldig geblieben, daß er es hätte besser machen können, als wir in der Koalition es in den letzten Jahren gemacht haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Immerhin haben wir dafür gesorgt — gegen den vielfältigen Widerstand der Opposition —, daß wir jenes Vertrauen in der Welt und bei unseren Partnern wiedergewonnen haben, welches die erste Voraussetzung dafür ist, daß wir überhaupt in dieser allgemeinen großen Auseinandersetzung überleben können. Es ist kein Geheimnis, daß gerade in diesen Tagen vor der außenpolitischen Debatte wiederholt von den sogenannten verpaßten Gelegenheiten gesprochen wurde, womit selbstverständlich gemeint war, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien diese Gelegenheiten verpaßt hätten. Ich möchte demgegenüber feststellen, daß gerade unsere Kritiker eine Gelegenheit, und zwar eine wichtige Gelegenheit verpaßt haben, nämlich die, in den letzten Jahren die Außenpolitik gemeinsam mit uns zu betreiben.

    (Beifall bei. den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sie hätte ja gar nicht besser werden können!)

    Damit hätten Sie sicher unserer gemeinsamen deutschen Sache einen guten Dienst erwiesen.

    (Abg. Wienand: Wieviel Schleppenträger braucht Adenauer eigentlich?)

    Ich habe gesagt, daß die Koalitionsparteien, die CDU/CSU und die DP, die wichtigste Voraussetzung wiederhergestellt haben, nämlich das Vertrauen zum deutschen Volke in Europa und in der Welt. Wenn hier eines ganz besonderes Gewicht hat, dann ist es die Tatsache, daß eine ernsthafte, ich möchte sagen, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen denen, die sich jahrzehnte- und jahrhundertelang im Bruderzwist entzweit haben, praktisch unmöglich geworden ist. Ist das nicht schon das Ergebnis einer Politik, die gut gewesen sein muß?
    Wir haben auf diese Karte gesetzt. Wir haben darum gerungen, weil wir der Meinung waren, daß dieser unsinnige Zwist beendet werden muß. Wir haben darum gerungen, weil wir wissen, daß wir nur gemeinsam überleben können und daß der Verlust Deutschlands auch der Verlust ganz Europas für die freie Welt wäre.
    Wir haben dabei nicht die Stimmen im In- und Ausland überhört, die diesen Weg nicht richtig fanden, ja, die ihn uns zum Teil sogar übelgenommen haben. Aber eines können wir dabei mit Befriedigung feststellen, daß nämlich jedenfalls in den Völkern, mit denen wir uns verbunden fühlen, d. h. in den freien Nationen, durch diese unsere
    4720 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 5. November 1959
    Schneider (Bremerhaven)

    Politik das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit
    fest verwurzelt und unumstößlich geworden ist.

    (Beifall rechts und in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Ich will nicht verschweigen, daß die Belastungsprobe für dieses Bündnis erst kommt. Das darf um der Ernsthaftigkeit der Sache und urn der Wahrheit willen nicht verschwiegen werden. Es darf auch deswegen nicht verschwiegen werden, weil es einfach unaufrichtig wäre, wenn wir nicht zugäben, daß das deutsche Problem, das durch den Kriegsausgang geschaffen wurde, letztlich für die gesamte Welt, für die freie und auch für die unfreie Welt, ein unbequemes Problem ist. Aber man muß auch feststellen, daß von der richtigen Lösung dieser Frage die Zukunft, jedenfalls der freien Welt, entscheidend abhängt. Ich wünschte mir nichts mehr als dies, daß die Belastungsprobe, die die freie Welt mit uns gemeinsam und die wir selber im Hinblick auf unsere eigenen Probleme zu bestehen haben werden, nicht dazu führen möge, daß sich etwa auf einer Konferenz, auf welcher auch immer, jenes Dilemma einstellt, das heute im Hintergrund all solcher Verhandlungen steht. Ich will es hier ganz offen aussprechen. Das Dilemma ist, daß auf der einen Seite solche Konferenzen und Verhandlungen notwendig sind, um Wege zur Entspannung und zum Frieden zu suchen, und daß auf der anderen Seite solche Verhandlungen — darüber müssen wir uns absolut klar sein — sehr stark zu Lasten des Besiegten gehen können oder sogar gehen werden.
    Ich betone dabei aber, um nicht mißverstanden zu werden, ausdrücklich, daß das Vertrauen, das wir in unsere westlichen Verbündeten setzen, auch durch die Mißverständnisse und Querelen, die in den letzten Wochen und Monaten hier und dort aufgetaucht sind, nicht beeinträchtigt wurde und nicht beeinträchtigt werden kann. Ich möchte aber namens meiner politischen Freunde gleichzeitig eine Warnung aussprechen, damit das deutsche Volk in der schweren Zeit, der es entgegengeht, von dieser Seite nicht irgendeine Enttäuschung erfährt!
    Ich will nicht das böse Wort von Rapallo sagen; wir halten es für irreal, aber es ist in der Politik immerhin so wie im täglichen Leben: es ist ein Auf und Nieder, und davon, was wir in der nächsten Zeit gemeinsam tun können, werden auch die Stimmungen im deutschen Volke sehr stark abhängen. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, daß Moskau sehnlichst darauf wartet, daß unsere Verbündeten jener Belastungsprobe, die sie für uns bestehen müssen, nicht gewachsen sein werden. Deswegen haben wir in diesem Hause alle Veranlassung, in allen Fragen der deutschen Einheit möglichst unsere Einigkeit zu demonstrieren. Denn wer will es uns abnehmen, daß wir sie wirklich wollen, wenn wir nicht einmal unter uns einig darüber sind! Ich brauche nicht erst jene Deutschen zu warnen, die ihrerseits alles tun, um die Entspannung, die von allen Teilen unseres Volkes in West und Ost gewünscht wird, zu torpedieren, indem sie die Spalter-Flagge schaffen und aufziehen, indem sie dem primitivsten Bedürfnis der menschlichen Begegnung
    zuwider handeln und indem sie letzten Endes die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes bis heute kaltblütig verwehrt haben. Wir wenden uns mit aller Kühle, aber auch mit aller Leidenschaft dagegen.
    Es muß auch offen gesagt werden: Der Westen darf in dieser Situation keinerlei Unklarheiten riskieren. Es ist ein Ausdruck der Spannung, der über allen diesen Fragen liegt, daß es möglich ist, daß das Gerücht umgeht, Präsident Eisenhower habe sich mit Chruschtschow stillschweigend über Ostdeutschland als ein kommunistisches Land geeinigt oder man sei amerikanischerseits vielleicht auch nicht abgeneigt, die Oder-Neiße-Grenze als endgültig anzuerkennen. Nur nebenbei möchte ich einflechten, daß das, glaube ich, für uns alle nicht in Frage kommt.
    Es ist auch ein Ausdruck der Spannung, daß das Gerücht geht, amerikanischerseits würde man einem eventuellen Separatfriedensvertrag der Sowjetunion mit der sogenannten DDR nichts in den Weg legen. Ich glaube wirklich, daß diese Gerüchte Ausdruck der Spannung sind, die über diesen Fragen liegt, und daß nichts Effektives an ihnen ist.
    Trotz der vielfältigen Äußerungen der letzten Zeit glaube ich auch nicht, daß man etwa amerikanischerseits oder auf seiten unserer anderen Verbündeten erwägt, die Wiedervereinigung weiter zurückzustellen, als es bisher den Umständen nach geschehen mußte.
    Es nimmt nicht wunder, daß in einer solchen Situation auch vermerkt wird, die amerikanische Politik spiele in Umkehrung ihrer bisherigen Nachkriegspolitik unter Umständen mit dem Gedanken, die Wiedervereinigung von der Frage Berlin und von der Frage der Abrüstung zu trennen. Dieser Eindruck darf in der deutschen Öffentlichkeit nicht entstehen, weil wir alle Kräfte und kühle Nerven für die nächsten Wochen und Monate brauchen.
    Die Opposition hat kritisiert, daß einer unserer verbündeten Staatschefs Äußerungen über deutsche Grenzfragen getan habe, die in der deutschen Öffentlichkeit sehr wohl vermerkt worden seien. Ich kann nicht umhin, hierüber auch das Bedauern meiner Freunde zum Ausdruck zu bringen. Wir meinen jedenfalls, wenn wir den Krieg, den wir alle zusammen ja schon furchtbar bezahlt haben, noch einmal bezahlen sollen, dann sollten die Vorschriften darüber, welcher Preis zu zahlen ist, nicht ausgerechnet aus den Reihen der eigenen Verbündeten kommen. Immerhin ist es ein Bündnis auf Gegenseitigkeit.
    Wenn wir auch im Interesse der Gesamtlösung der internationalen Probleme zu handeln bereit sind, so wollen wir auf der anderen Seite doch nicht verschweigen, daß es uns, die wir deutsche Politik zu machen haben, natürlich in erster Linie um die deutsche Frage selbst. gehen muß.
    Einer der wichtigsten Ausgangspunkte ist hierbei nach Ansicht meiner Freunde von der DP der Umstand, daß dem deutschen Volke endlich in vollem Umfang das Selbstbestimmungsrecht gegeben wer-



    Schneider (Bremerhaven)

    den muß, wie es jede andere Nation auf der Erde für sich verlangt und wie es auch in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Freunde von der DP und ich glauben überhaupt, daß dieser Kardinalpunkt der ganzen Politik der Öffentlichkeit noch viel zuwenig bewußt geworden ist, weil ihre Sinne oftmals mit anderen, militärischen oder auch politischen, Problemen strapaziert werden. Wäre es möglich, dem deutschen Volk die Selbstbestimmung zu geben — und es ist ja nur eine Macht, die diese Selbstbestimmung verweigert —, so würden sich alle anderen Probleme sehr viel leichter regeln lassen bzw. sogar von sich aus regeln. Wer sich jedenfalls diesem Interesse eines 70-Millionen-Volkes widersetzt, der muß damit rechnen, daß er dieses Volk nicht auf seiner Seite hat. Schließlich können wir ja auch nicht ohne weiteres akzeptieren, daß die diesbezüglichen Erörterungen in der UNO nur ein Lippenbekenntnis gewesen sein sollen.
    Ich möchte gar nicht etwa in so leicht abfälligem Sinn, wie es in letzter Zeit häufiger geschehen ist, darüber sprechen, daß man ja selbst diesem und jenem Negerstaat die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung gewährt hat, damit nicht ein falscher Eindruck aufkommt und auch nicht der leiseste Verdacht, daß wir uns etwa besser als jene Menschen, die da dunkler Hautfarbe sind, fühlten. Es ist einfach das Hauptproblem, daß uns die Selbstbestimmung zusteht, und wir denken nicht daran, für ewig und immer andere über uns bestimmen zu lassen, sondern wir wollen selbst bestimmen, wie wir leben wollen.
    Es war ein harter Kampf auch mit unseren westlichen Verbündeten, den wir in den ersten Jahren nach dem Kriege zu führen hatten. Es ging damals auch um die deutsche Selbstbestimmung und um die Beseitigung des Interventionsrechts der Besatzungsmächte. Es ging um eine ideologische Verständigung, und es ging ferner um territoriale Fragen wie Saargebiet und Westgrenze. Ich kann doch wohl für die Regierungsparteien feststellen, daß die Verständigung erreicht wurde. Die Gegnerschaft und Fremdherrschaft wurde in freundschaftliches Bündnis und Zusammenarbeit umgewandelt. Das gelang nur auf der Grundlage einer gemeinsamen Rechts- und Moralauffassung. Die freiheitliche Lebensordnung und der gemeinsame Begriff der Menschenwürde als Fundament dieser Ordnung haben dabei den Weg gewiesen. Ich glaube nicht, daß das große Worte sind. Das sind schlichte Tatsachen.
    Und wie sieht es mit dem Arrangement mit unseren östlichen Nachbarn aus? Daß wir auch dort eine Grundlage suchen und finden müssen und schließlich auch finden werden, darüber sind wir uns alle im klaren. Aber das Fazit, das wir im Gegensatz zu dem, was wir mit unseren westlichen Verbündeten erreicht haben, ziehen müssen, ist ein geradezu erschütterndes, nämlich folgendes: 1955 erhielt der Herr Bundeskanzler anläßlich seines Moskaubesuchs die Zusage der Rücksendung von 10 000 Kriegsgefangenen gegen das Tauschgeschäft
    „Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Moskau". 1957 erhielten wir den Konsular- und Handelsvertrag mit der Sowjetunion. 20 000 Zivilinternierte wurden dagegengesetzt. Und schließlich 1958 wurde Berlin mit seinen zweieinhalb Millionen Einwohnern erpreßt — ich muß das Wort gebrauchen —, und Berlin wurde damit zum Fanal für die ganze Politik, wie wir sie in Zukunft noch erleben werden.
    Diese Tatsache, daß hier die Menschen zum Objekt der Politik herabgewürdigt wurden, ist keine gute Politik und ist nicht dazu geeignet, eine wirkliche Verständigung miteinander zu finden. Noch dazu ist es eine Politik, die uns keinen Schritt der Selbstbestimmung nähergebracht, sondern die die Spaltung noch weiter vertieft und uns allenfalls eine fragwürdige Freiheit in Aussicht gestellt hat.
    Wie sagte doch Herr Chruschtschow vor seinen amerikanischen Zuhörern:
    Wenn Sie sich einmal unsere politische Weltanschauung betrachten, werden Sie sehen, daß wir viele christliche Grundsätze haben wie z. B. die Nächstenliebe.
    Nach dem, was ich Ihnen sagte, muß ich ernsthaft die Frage stellen, wo hier die Nächstenliebe bleibt, die 70 Millionen Deutschen ihre völlige Selbstbestimmung wiedergibt.
    Wenn ich vorhin sagte, daß wir selbstverständlich auch mit ,dem Osten ein Arrangement finden müssen, dann sollten wir ehrlich genug sein, darauf hinzuweisen, daß der Gegensatz, den wir unter uns in dieser Frage zur Zeit auszutragen haben, darin besteht, daß die einen glauben, der Schlüssel zu dieser Politik liege in Moskau, und daß die andern glauben, ,der Schlüssel zu dieser Politik liege in Warschau. Ich möchte nur sagen, ohne dieses Thema weiter zu vertiefen: man darf nicht in Warschau gegen Moskau und in Moskau gegen Warschau arbeiten wollen, wenn man zu einer Verständigung kommen will.
    Die Kritiker der Bundesregierung, der CDU/ CSU und der DP möchte ich ,aber einmal fragen: Wann und wo ist die Sowjetunion in den Jahren nach dem Kriege auch nur ein einziges Mal für das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes eingetreten? Ich glaube, nie! Sie hat sich überall dort als Vorkämpferin für Selbstbestimmung aufgespielt, wo es ihr politisch zweckmäßig erschien und wo sie sich einen entsprechenden propagandistischen Effekt erhoffte. Nur im Falle des 70-Millionen-Volkes der Deutschen durfte das Selbstbestimmungsrecht bis zum heutigen Tage nicht angewendet werden. Wir aber widersprechen den Sowjets, wenn sie dieses Recht der Selbstbestimmung ihrer eigenen Ideologie opfern wollen. Ich wiederhole, daß wir über uns selber und über unser Leben in Freiheit bestimmen wollen. Die ZweiStaaten-Theorie oder die Zwei-Staaten-These der Sowjetunion ist wohl das makabre Beispiel dafür, wie man zu verschleiern sucht, daß man dem deutschen Volk seine Selbstbestimmung vorenthält.
    Hier liegt, glaube ich, der Angelpunkt für die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik. Die Sowjetunion soll sich keiner



    Schneider (Bremerhaven)

    Täuschung hingeben. Ich unterstreiche das, was der Kollege Mende vorhin gesagt hat. Wir Deutschen werden in der Frage dieses Selbstbestimmungsrechts und in der Frage der Wiedervereinigung keine Ruhe geben. Es mag zwar heute noch eine durch Krieg und Nachkriegszeit entstandene Lethargie in unserem Volke vorhanden sein, und der Wohlstand mag dazu beitragen, daß manche dieser wichtigen politischen Probleme überschattet sind. Ich will keineswegs nationalistische Leidenschaften aufrühren, sage aber, daß jeder, der mit uns verhandelt — ob er mit uns paktiert oder gegen uns ist — wissen muß, daß wir in dieser Frage nicht Ruhe geben werden. Er muß wissen, daß es nicht nur bei uns, nein, daß es in der ganzen Welt keine Ruhe ,geben kann, ehe diese Menschen gleichen Blutes und gleicher Zunge wieder miteinander vereinigt sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wollen nicht das Schwere der Vergangenheit aufrühren, ich erkläre das ausdrücklich. Wir wollen es nicht, weil wir der Zukunft dienen wollen. Fast alle, die hier sitzen, haben Schweres im Krieg und auch nach dem Kriege erlebt, und jeder ist mehr oder weniger vom Schicksal geschlagen oder vom Kriege gezeichnet. Wenn man es einem Volk abnehmen darf, daß es einen ehrlichen Friedenswillen hat, dann dem deutschen Volk, das durch Krieg und Nachkriegszeit gegangen und geläutert ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Sozialdemokratische Partei hat vor Monaten ihren sogenannten Deutschlandplan vorgelegt. Der Herr Kollege Ollenhauer hat ihn heute morgen unter dem Beifall seiner Freunde gefeiert. Man muß aber gerechterweise feststellen, daß in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei absolute Uneinheitlichkeit der Auffassungen über diesen Deutschlandplan besteht.

    (Zurufe von der SPD.)

    In dieser Partei gibt es maßgebliche Kräfte, die in besserer Erkenntnis den dort vorgeschlagenen Weg ablehnen. Wir denken nicht daran — nicht im entferntesten, meine Damen und Herren —, diesen Weg Ihres Gesamtdeutschen Ausschusses mitzugehen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wenn sich die Funktionäre der SED bereit erklären, an diesem Ausschuß teilzunehmen, dann ist das eine gefährliche Sache. Wir glauben nämlich nicht, daß diese Funktionäre so wunderbare Menschen sind, daß sie an ihrem eigenen Begräbnis teilnehmen wollen.
    Der Kollege Professor Carl o Schmid hat in einem Rundfunkkommentar zur Erläuterung dieses Deutschlandplanes vor einigen Monaten einmal gesagt: Wenn es einmal soweit ist — ich zitiere, wie ich es etwa noch im Sinn habe —,

    (Abg. Wehner: „im Sinn"?)

    dann müssen wir uns gerade über eines klar sein: daß nämlich die Bundesrepublik sozialistischer und die Zone liberaler werden muß. — Meine Damen
    und Herren! Meine Parteifreunde von der DP sind nicht bereit, eine auch nur angekränkelte sozialistische Bundesrepublik um den Preis in Kauf zu nehmen, daß wir eventuell jene Thesen übernehmen müssen, die uns von der SED vorgeschrieben werden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Meinen Sie, ich wolle das?)

    — Nein, Herr Kollege Schmid. Aber es ist ein gefährlicher Ausspruch, den Sie da getan haben; er kann jedenfalls zu Zweideutigkeiten Anlaß geben.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ihre Ausführungen lassen die Interpretation zu: Lieber zwei Deutschland als ein Deutschland, das sozialistischer ist als das heutige!)

    - Herr Kollege, nachdem verschiedene Thesen des
    Deutschlandplans der Sozialdemokratischen Partei so sehr mit den Anschauungen des Regimes von drüben übereinstimmen?!

    (Abg. Erler: Welche denn?)

    — Ich betone ausdrücklich,

    (Abg. Erler: Welche Thesen?)

    daß ich Sie damit nicht diffamieren will.

    (Abg. Erler: Welche Thesen?)

    — Die These beispielsweise des Gesamtdeutschen Ausschusses

    (Abg. Erler: Die ist im westlichen Friedensplan!)

    ist von ganz anderer Seite gestartet worden. Und es kann doch auch nicht übersehen werden, Herr Kollege Erler, was Chruschtschow vor einigen Monaten in Leipzig gesagt hat: Es gibt keine Wiedervereinigung, es sei denn in einem sozialistischen Deutschland.

    (Abg. Erler: Ist das vielleicht im Deutschlandplan? — Abg. Wehner: Was reden Sie für ein Zeug durcheinander! Obwohl Sie Kalter Krieger sind, sollten Sie doch kalte Vernunft haben!)

    — Herr Wehner, wenn wir uns über die kalte Vernunft unterhalten wollen, dann würde ich mich gern einmal privat mit Ihnen unterhalten. — Ich glaube jedenfalls, meine Damen und Herren, daß diese These eines Gesamtdeutschen Ausschusses, sei er besetzt wie auch immer,

    (Abg. Erler: Das ist im Friedensplan der Westmächte!)

    für uns nicht akzeptabel ist, sofern er nicht auf der Basis geschaffen wird, die hier im Bundestag einmal besprochen worden ist.

    (Abg. Erler: Darf ich eine Frage stellen?)

    — Bitte, Herr Kollege Erler.


Rede von Fritz Erler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Gilt die Kritik, die Sie soeben gegen jede Form einer Zusammenkunft eines Gesamtdeutschen Ausschusses ausgesprochen haben, auch für die Vorschläge, die die Westmächte in ihrem westlichen Friedensplan in Genf vorgetragen haben?




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Für diese gilt sie nicht.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Er gilt nur für die Form. Ich habe mich ausdrücklich mit dem Vorschlag der Sozialdemokratischen Partei hier beschäftigt — das kann Ihnen doch nicht entgangen sein —; und diesen Weg lehnen wir ab.