Rede:
ID0308701700

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3087

  • date_rangeDatum: 5. November 1959

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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte große außenpolitische Debatte dieses Hauses fand im März 1958 statt. Sie entwickelte sich aus einer außenpolitischen Aussprache zu einer Atomrüstungsdebatte. Wir haben über Berlin zum letzten Male am 1. Oktober 1958 gesprochen. Aus dieser Sitzung entstammt die denkwürdige, damals einstimmig angenommene Berlin-Entschließung, nach deren Erfüllung wir heute in unserer Großen Anfrage die Bundesregierung befragt haben.
    In der gleichen Zeit, da der Deutsche Bundestag schwieg, hat sich das amerikanische Repräsentantenhaus zur Wiedervereinigung, zur Berlin-Frage und zur Oder-Neiße-Linie insgesamt 23mal geäußert. Der amerikanische Senat hat sich zu eben den drei genannten Problemen, die uns zuallererst angehen, 35mal geäußert.

    (Hört! Hört! bei der FDP und SPD.)

    Das britische Unterhaus hat sich seit dem gleichen Zeitpunkt, seit dem März vorigen Jahres, 34mal in Anträgen, Anfragen und Debatten zur Wiedervereinigung, zu Berlin und zur Oder-Neiße-Linie geäußert. Die französische Nationalversammlung hat sich seit dem November vorigen Jahres, also in Jahresfrist, 7mal in Aussprachen im Plenum zu den uns betreffenden Fragen erklärt. Der Deutsche Bundestag schwieg!
    Es ist nicht wahr, sehr verehrter Herr Kollege Furler, daß wir schwiegen, weil wir allesamt glaubten, nichts sagen zu können. Es stimmt auch nicht, daß so weitgehende Vereinbarungen erfolgt sind, sondern wir haben damals mit Rücksicht ,auf gewisse Fristen und bevorstehende Konferenzen unsere Versuche, eine außenpolitische Debatte herbeizuführen, immer wieder aufgeben müssen, wenn die große Fraktion dieses Hauses mit ihrer absoluten Mehrheit nicht bereit war, eine solche Debatte stattfinden zu lassen.
    Wir sehen die Gefahr eines solchen Schweigens des Deutschen Bundestages darin, daß es in der Weltöffentlichkeit mißdeutet werden könnte. „Qui tacet, consentire videtur" heißt ein ,alter römischer Rechtsgrundsatz. Wer schweigt, scheint zuzustimmen. Draußen in der Welt kann die Mißdeutung entstanden sein, daß wir uns mit der bitteren Entwicklung in der Deutschlandfrage abzufinden gedenken und daher schweigen.
    Es ist doch nicht so, daß die Probleme in der Zwischenzeit in den entsprechenden Ausschüssen oder in interfraktionellen Gesprächen abschließend behandelt wurden. Ich räume ein, daß sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der verehrte Kollege Professor Furler, alle erdenkliche Mühe um die Information des Ausschusses gegeben hat. Inwieweit die Bundesregierung seinen Bemühungen um Auskunftserteilung gefolgt ist, weiß er selbst besser zu beurteilen. Es ist seitens des Herrn Bundeskanzlers versucht worden, in interfraktionellen Gesprächen mit den Fraktionsvorsitzenden und den Sachbearbeitern der auswärtigen Politik eine Art Gemeinsamkeit herzustellen. Es fanden vier solcher interfraktioneller Besprechun-



    Dr. Mende
    gen im Bundeskanzleramt unter Vorsitz des Regierungschefs statt: im November vorigen Jahres, im Dezember, im Januar und die letzte im Februar dieses Jahres. Ich erinnere die Teilnehmer dieser Gespräche daran, daß seit dem Februar dieses Jahres noch zwei Themen anstehen, die wir eigentlich im nächsten Gespräch behandeln wollten. Das eine Thema war das auf uns zukommende Grenzproblem — so sagte der Herr Bundeskanzler —, das andere Thema das, was man damals mit dem Wort Disengagement bezeichnete und was man heute zweckmäßiger die Teilabrüstung in Europa nennen sollte.
    Die Gemeinsamkeit ist also vielleicht nicht, wie der Herr Bundesaußenminister von Brentano erklärte, nur an dem Deutschland-Plan der SPD gescheitert, sondern es liegt nach meinem Gefühl auch ein großes Maß zumindest an Verantwortung, wenn nicht gar an Schuld für die mangelnde Gemeinsamkeit auf der Seite der Regierung und der Regierungsparteien. Selbst wenn der Deutschland-Plan der Sozialdemokraten die Regierung schockiert haben sollte auch wir sind mit ihm nicht einverstanden, auch wir haben unsere Bedenken —, so ist das noch lange kein Grund, nicht Gespräche fortzusetzen, um den Versuch zu machen, die Sozialdemokraten eines Besseren zu belehren und sie zu überzeugen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich verzichte darauf, mit einer Analyse der außenpolitischen Situation zur Zeit der Großen Anfrage zu beginnen, die wir im Dezember 1957 eingereicht haben und die dann Ausgangspunkt der außenpolitischen Debatte des März 1958 geworden ist, — der ja die vom Januar 1958 vorangegangen war. Ich darf mich darauf beschränken, noch einmal auf die drei Phasen hinzuweisen, die wir im Ablauf der letzten zehn Jahre in der Außenpolitik zu verzeichnen haben.
    Die erste Phase: das Containment, der Versuch der westlichen Welt, dem stetigen Vordringen des Stalinismus, des Bolschewismus Einhalt zu gebieten. Polen, Ungarn, Rumänien, die Tschechoslowakei, Bulgarien, ja Mitteldeutschland waren die Opfer des sowjetischen Expansionismus geworden, und man griff nach Berlin, getreu einem Leninschen Wort: Wer Berlin hat, hat Deutschland, und wer Deutschland hat, hat Europa.
    Hier schloß sich die westliche Welt im atlantischen Bündnissystem zusammen, zunächst noch ohne uns; später wurden wir Teilnehmer. Die westliche Welt und die NATO haben die Funktion der Eindämmung in der Tat erfüllt. Es begann eine neue Phase der Politik.
    Als wir 1949 und 1950 hier mit bescheidenen Mitteln anfingen, wieder aus der Isolierung herauszukommen, in die uns der Hitlersche Krieg gebracht hatte, haben wir alse Freie Demokraten in der Regierung viele Schritte der Bundesregierung mitgetragen. Wir tragen daher auch mit die Verantwortung für den Beitritt zum Europarat, für den Beitritt zur Montanunion, für die Aufstellung einer ersten Verteidigungstruppe, für den Beitritt zur Westeuropäischen Union und für den Beitritt zum
    atlantischen Paktsystem. Wir befinden uns hier in einer anders gearteten Lage als die Sozialdemokraten, die alle diese Entwicklungen der deutschen Nachkriegspolitik negativ gesehen haben. Wir haben damals in der Regierungsverantwortung geglaubt, daß wir mit der Einbeziehung unseres Raumes und mit der Einbeziehung unserer Menschen in die atlantische Verteidigungsgemeinschaft auch der Wiedervereinigung dienen könnten. Denn nach dem Containment hatte sich die amerikanische Politik auf das Roll-back eingestellt, d. h. auf das Zurückdrängen der Sowjets aus ihren nach 1945 eroberten Positionen, insbesondere in Mitteldeutschland, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Polen.
    Strategen von Rang haben uns damals klargemacht — es war gar kein falsches Konzept —, daß unter dem atomaren Druck der Vereinigten Staaten, die damals noch als einzige die Wasserstoffbombe besaßen, und unter der Klammer der NATO von Skandinavien über Deutschland bis hinunter nach Italien, Griechenland und der Türkei die Chance bestand, die Russen zurückzudrängen. Denn niemand sitzt gern am äußersten Bereich einer Einschließungsklammer. Es bestand die realistische Aussicht, unter dieser Überlegenheit des Westens die Sowjetarmee auf die innere Linie zurückgehen zu sehen, — mit den sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen. Diese Rechnung des Roll-back ging nicht auf. Denn im Jahre 1955 gelang es den Sowjets, selber in den Besitz der Wasserstoffbombe zu kommen.
    Es beginnt die dritte Phase, die Phase der Verhandlungen mit dem Ziel, durch Leistung und Gegenleistung nach dem alten Grundsatz des „do ut des" politische Konflikte zu bereinigen. Wir haben in dieser Zeit, da wir infolge der veränderten Technik auch die Sicherheitsprobleme anders sehen mußten und sich aus den Sicherheitsproblemen auch veränderte politische Betrachtungen ergaben, nicht aufgehört, Vorschläge zu einer Weiterentwicklung der Vertragssysteme zu machen. Ich nenne nur meinen früheren Kollegen, den späteren Botschafter, Karl Georg Pfleiderer. Ich glaube, Kollege Kiesinger, der heutige Ministerpräsident Baden-Württembergs, war es, der unsere Meinung hier bestätigte: NATO ist nicht Selbstzweck, NATO ist auch für uns von der CDU Mittel zum Zweck, ein System zum Schutze unserer Freiheit, und wir sind durchaus bereit, dieses System zu verlassen, wenn es ein besseres an Stelle der NATO gibt; NATO ist für uns, so sagte Kiesinger, kein Dogma.
    Der Bundeskanzler hat, vermutlich in der Überzeugung, daß eine neue Phase begonnen habe, in Moskau mit der Sowjetunion die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart. Und auch das ist vergessen: dieser Bundestag ist der Entscheidung des Regierungschefs einstimmig gefolgt, von den Sozialdemokraten über die eigene Partei des Kanzlers bis zur FDP haben wir in der denkwürdigen Septemberdebatte 1955 dem Regierungschef das Vertrauen ausgesprochen. Wir glaubten, daß die Bundesregierung von diesem Instrument diplomatischer Beziehungen auch Gebrauch machen würde, um eben in der Phase der Verhandlungen das Bestmög-



    Dr. Mende
    liche für die deutsche Sache herauszuholen. Leider ist diese Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen. Man hat den Botschafter Sorin hier in Bonn ebensowenig zum Gesprächspartner werden lassen, wie es der Botschafter Haas in Moskau geworden ist, ja, man hat den sowjetischen Botschafter wie einen Aussätzigen behandelt. Es war in Bonn geradezu patriotisch, ihn möglichst zu meiden, ihn möglichst nicht an seiner Seite zu sehen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Deswegen war es verständlich, daß dieser Botschafter einmal der verehrten Alterspräsidentin Frau Dr. Lüders und mir im Juni 1956 auf einem Empfang in der englischen Botschaft folgendes sagte. Frau Dr. Lüders hatte daran erinnert, daß sie die Anfänge der sowjetischen Politik nach dem ersten Weltkrieg unmittelbar erlebt und als Abgeordnete der Nationalversammlung von Weimar und des Weimarer Reichstags manchen der damaligen Volkskommissare noch persönlich gesprochen habe. Da sagte der damalige Botschafter: „Wir sind bereit, mit Ihnen zu sprechen" wir hatten das Thema Wiedervereinigung angeschnitten —, „wir sind bereit, mit Ihnen auch über das Thema Wiedervereinigung zu sprechen, aber wir sind nicht bereit, mit Ihnen zu boxen; die Bundesregierung will mit uns boxen; boxen kann man mit uns, der Sowjetunion, nicht; wohl aber sind wir über alles zu Verhandlungen mit Ihnen bereit."

    (Abg. Rasner: Das haben Sie alles geglaubt?)

    Dieser Botschafter ist heute stellvertretender Außenminister. Es fragt sich, was wir seit 1955 versäumt haben, um in ein Gespräch mit der Sowjetunion zu kommen.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Inzwischen ist ja auch der Herr Bundeskanzler eines anderen belehrt worden. Denn wie schreibt der Herr Bundeskanzler im Jahre 1959? Ich zitiere wörtlich aus dem Brief vom 29. August 1959 an den sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow:
    Die guten und freundnachbarlichen Beziehungen dienten dem Fortschritt unserer beiden Völker; das ist wahr! Auch damals bestanden ideologische Unterschiede wie jetzt auch. Sie sollen kein Hindernis insbesondere für unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit sein. Ich will mich allen diesen Fragen noch mehr als bisher widmen!
    Dürfen wir, Herr Bundeskanzler, aus Ihrer Feststellung, daß Sie sich der Pflege des deutschsowjetischen Verhältnisses in Zukunft mehr widmen wollen als bisher, schließen, daß Sie das in der Vergangenheit leider nicht getan haben? Und dürfen wir daraus schließen, daß ideologische Gegensätze kein Hindernis zu gutnachbarlichen diplomatischen, wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen sind und daß Sie selbst das Fuldaer Manifest mit der Kreuzzugsideologie als im heutigen Atomzeitalter unmöglich fallengelassen haben?
    Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Hause sehr oft von der allgemeinen kontrollierten Abrüstung gesprochen. Nun hat die allgemeinste und totalste Abrüstung bisher Herr Chruschtschow vorgeschlagen. Er geht so weit, zu glauben, in vier Jahren eine allgemeine kontrollierte Abrüstung herbeiführen zu können. Wir glauben, daß dieser Vorschlag des sowjetischen Ministerpräsidenten, den er auch vor den Vereinten Nationen vorgetragen hat, etwas Irreales in bezug auf den Zeitraum hat. Die allgemeine kontrollierte Abrüstung wird von heute auf morgen deswegen nicht kommen können, weil zuviel Mißtrauen in dieser Welt besteht.

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Nein, wer die allgemeine kontrollierte Abrüstung will, muß bereit sein, auf dem Wege von regionalen, von Teilabrüstungen den Anfang zu machen.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Wir freuen uns, daß sich der Bundeskanzler in der
    Frage der Abrüstung zu der Erkenntnis durch-
    gerungen hat, daß man irgendwo beginnen muß.
    Wir haben vor einem Jahr die Einstellung der sowjetischen Kernwaffenversuche erlebt. Es hieß damals in der ganzen westlichen Welt: Man kann ja doch nicht kontrollieren, oh unter Tage oder über Tage oder unter Wasser heimlich weitergemacht wird. Schließlich kamen aber die Wissenschaftler zu der Erkenntnis: Man kann es kontrollieren, und nichts auf dieser Erde läßt sich mehr verbergen. So haben sich die Amerikaner und die Engländer dem Kernwaffenversuchsstopp angeschlossen. Es wird viel zu wenig beachtet, daß im letzten Jahr keine einzige Kernwaffenexplosion mehr stattgefunden hat, daß sich alle Beteiligten streng an die Abmachung gehalten haben und daß sich der radioaktive Gehalt der Luft um 90 % auf ein Zehntel des damaligen Wertes verringert hat. Also, offensichtlich gibt es Vereinbarungen, die Ausgangspunkt für eine neue Lage sein können. Wir hoffen, daß in der Frage der Teilabrüstung früher von uns vorgebrachte Gedankengänge heute aufgenommen werden können.
    Um es hier vorweg zu sagen: wenn wir von Teilabrüstung sprechen, so ist dies für uns kein isoliertes Problem, sondern wir sehen eine Teilabrüstung beiderseits des Eisernen Vorhangs natürlich nur als den Beginn einer Gesamtabrüstung an. Für uns ist die Teilabrüstung nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, nämlich das Mittel, das notwendig ist, um in den Räumen beiderseits des Eisernen Vorhangs die Chance der Wiedervereinigung wahrnehmen zu können.
    Ich darf in bezug auf die Erklärung der Bundesregierung mit Genugtuung feststellen, daß die Bundesregierung sich auch heute positiv zu der Berliner Entschließung vom 1. Oktober vorigen Jahres bekennt. Aber es fehlt die konkrete Antwort auf die Frage, welche Bemühungen die Bundesregierung in Ausführung dieses Auftrages des Deutschen Bundestages unternommen hat, um auf dem Wege der Berliner Entschließung auch zu Ergebnissen zu kommen.
    Nun wird man mir gleich zurufen: Genfer Konferenz! Die Genfer Konferenzen, sowohl die vom



    Dr. Mende
    Mai als auch die vom Juli, sind für uns voll bitterer Enttäuschungen. Denn weder die sowjetische Seite ist an den Kern des Problems, nämlich die Erörterung der Sicherheitsfrage, herangegangen, noch haben die Westmächte ihr Paket, das der Außenminister Herter auf den Tisch gelegt hat, aufgeschnürt. Auch sie sind nicht an den Kern der Deutschlandfrage, nämlich die Erörterung der Sicherheitsfrage und der Teilabrüstung, herangegangen. In der zweiten Phase blieb man nur noch an Berlin hängen und ging zu der etwas grotesken Methode der „Arbeitsessen" über.
    Unsere Eindrücke von dem Verhalten der Vier Mächte in Genf lassen sich wie folgt zusammenfassen. Wir haben das Gefühl, daß in Genf alle Vier Mächte ernstlich an die Wiedervereinigungsfrage nicht herangegangen sind. Dabei gibt es natürlich graduelle Unterschiede. Aber ernstlich haben alle Vier in Genf die Lösung dieser Frage offensichtlich nicht gewollt.
    Lassen Sie mich nun zu einer Beurteilung des sowjetischen Standpunktes kommen. Sie wissen, daß wir Freien Demokraten der Auffassung sind, daß Freiheit und Kollektivismus bzw. Kommunismus sich wie Feuer und Wasser zueinander verhalten. Es gibt keinen Kompromiß zwischen diesen Elementen. Es gibt auch im ideologischen Bereich keinen Kompromiß zwischen der Idee der Freiheit und der Idee des Bolschewismus. Aber sosehr das im ideologischen Bereich so ist und so bleiben wird, Außenpolitik treibt man nicht allein aus ideologischen Kreuzzugsgedanken, sondern unter Einbeziehung aller Machtfaktoren und aller Realitäten. Leider geht nun einmal unser Blick nicht daran vorbei, daß die Sowjetunion das halbe Deutschland als Faustpfand in der Hand hat, daß sie zur mächtigsten Militärmacht dieser Erde geworden ist und daß sie eine Machtposition hat, die wir am wenigsten erschüttern können, die wir heute nicht einmal gefährden können.
    Wir sind tief davon betroffen, daß der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow seine eigenen Erklärungen durch seine Reden in Leipzig und in Stettin abgewertet hat. Denn während die Sowjetregierung in dem Aide-memoire von März 1958 noch erklärt hat, sie sei weit davon entfernt, zwei Friedensverträge abzuschließen, sie wolle vielmehr einen Friedensvertrag — ich zitiere wörtlich — „mit ganz Deutschland", hat später der sowjetische Ministerpräsident nur noch von zwei Friedensverträgen mit den beiden deutschen Teilstaaten oder mit einer Konföderation gesprochen.
    Wie steht es nun mit dem Verhalten unserer amerikanischen Freunde und Partner? Der Bundesaußenminister hat hier schon das deutsch-amerikanische Gespräch zitiert, das vom 1. bis zum 4. Oktober dieses Jahres in Bad Godesberg stattgefunden hat. Es sind ja Zeugen dieses Gesprächs hier. Das Gespräch fand zum Teil unter dem vollen Licht der Öffentlichkeit statt; ich begehe also keinen Vertrauensbruch, wenn ich einige wichtige Einzelheiten aus diesem Gespräch mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen bekanntgebe. Der Teilnehmerkreis seitens der Amerikaner war allerdings —
    und da stimmen wir dem Bundesaußenminister zu — repräsentativ zumindest für einen großen Teil der amerikanischen Öffentlichkeit. Sicher, man kann sagen, es fehlten Senator Humphrey, Senator Mansfield, Harold Stassen, George Kennan; aber Acheson war anwesend, der frühere Außenminister Trumans, mit dem wir noch 1952 hier an Stelle der automatischen Bindungsklausel im Deutschlandvertrag die Revisionsklausel durchgesetzt hatten, dann McCloy, der frühere Hochkommissar, Professor Conant, der frühere Botschafter, Männer wie Professor Kissinger, jener bekannte Militärtheoretiker, General Gavin, ein bekannter Militär, Shepard Stone, der Direktor der Ford Foundation, Senatoren und Abgeordnete der Republikaner wie der Demokraten. Es war ein sehr ernst zu nehmender Kreis der amerikanischen Politik, amerikanischen Wirtschaft und amerikanischen Publizistik. Der Teilnehmerkreis auf deutscher Seite ist bekannt.
    In der einen Kommission, wo es um die Frage „Ost-West-Verhältnis — Wiedervereinigung" ging, haben wir den Versuch gemacht, die amerikanischen Diskussionsteilnehmer für den Gedanken einer Teilabrüstung beiderseits des Eisernen Vorhangs zu gewinnen. Sie kennen jene bekannten Auffassungen, wie sie zuerst von unserem Kollegen Pfleiderer — militärisch verdünnte Zone —, später vom britischen Premierminister Eden auf der Genfer Konferenz 1955 vertreten wurden, wie sie später in vielen Plänen und Gedanken erscheinen, angefangen vom britischen Labour-Oppositionsführer Gaitskell bis zum polnischen Außenminister Rapacki, über eine atomwaffenfreie Zone, Pläne, die angereichert wurden durch die Gedanken des amerikanischen Präsidenten Eisenhower auf der Genfer Konferenz 1955 über eine aus der Luft kontrollierte Zone, Pläne, wie sie angereichert wurden durch die jüngste Außerung des Bundesverteidigungsministers nach seiner Reise in Kanada über eine mögliche Teilabrüstung in Europa als ersten Schritt zu einer größeren Abrüstung. Die amerikanischen Teilnehmer sagten uns: Nein, wir sind nicht bereit, von unserer vordersten Linie hier an Elbe und Werra etwas preiszugeben.
    Auf unsere Fragen, ob der militärische Nachteil, den die Amerikaner durch das Zurücknehmen der westlichen vorderen Linie etwa um 400 km nach Westen erlitten und wofür die Sowjets über 800 km über die heutige polnisch-sowjetische Grenze am Bug hinaus zurückgingen, nicht durch den politischen Vorteil ausgewogen und aufgewogen werde, daß die Rote Armee aus Mitteldeutschland, aus Polen, aus Ungarn, aus der Tschechoslowakei — wo sie ohnehin nicht mehr sein soll —, aus Bulgarien, aus Rumänien verschwinde, hörten wir wieder die klare Antwort Achesons, McCloys und anderer: Nein.
    Der Kollege Dr. Birrenbach von der CDU machte dann folgenden Vorschlag: — —

    (Abg. Dr. Birrenbach: Stellte folgende Frage! Es war kein Vorschlag!)

    — stellte die Frage, wie man zu folgender mittleren Lösung stehe: Die westlichen Verbände gehen nur über den Rhein zurück, sie bleiben also auf deutschem Territorium stehen, in der Eifel, im



    Dr. Mende
    Hunsrück, wo sie ohnehin die Mehrzahl ihrer Stützpunkte haben, und die Sowjets gehen über die Weichsel zurück, d. h. sie bleiben auf polnischem Territorium, also jenes begrenzte Disengagement, jene begrenzte Teilabrüstung zwischen Rhein und Weichsel, natürlich mit der Maßgabe, daß in der Mitte starke deutsche Verbände ein Mindestmaß an Sicherheit für das deutsche Volk bieten müßten, und natürlich mit der Maßgabe, daß ein neues Sicherheitssystem in Europa dem deutschen Volk mindestens die gleiche Sicherheit geben würde, wie wir sie jetzt im Atlantikpakt haben.

    (Abg. Dr. Birrenbach: Bei gleichzeitiger Regelung der politischen Probleme!)

    — Ich danke Ihnen für den Zwischenruf, Kollege Birrenbach. Dies alles bei selbstverständlichem Junktim zwischen dieser militärpolitischen Entspannung und der Wiedervereinigung, d. h. bei einem unabdingbaren Junktim, daß wir das nur als Voraussetzung für die Frage der politischen Einheit wünschten. Die bittere Antwort der Amerikaner war:
    „Auch in Nein sagen; wir leider
    sind auch nicht bereit, die Teilabrüstung in diesem begrenzten Rahmen zu vollziehen." General Gavin hat uns dann erklärt: „Erstens wäre die Umstruktuierung unserer Infrastruktur schwerfällig und sehr teuer; sie würde Milliarden Dollar kosten. Zweitens würden die anderen Länder nicht gerade begeistert sein, wenn sie die Hauptlast der vorderen Linie zu tragen hätten; hier ist insbesondere an Frankreich zu denken. Drittens bezweifeln wir Amerikaner, ob im Falle eines Nichtfunktionierens des neuen Sicherheitssystems der amerikanische Kongreß bereit wäre — wenn die andere Seite zurückkäme —, für euch den atomaren Krieg zu wagen; es könnte dann zu der Gefahr kommen, daß die amerikanische Öffentlichkeit sagt: Ihr habt es so gewollt; es geschieht euch ganz recht, wenn es euch jetzt so passiert." Ich habe das jetzt einmal etwas überspitzt gesagt.
    Kollegen aller Fraktionen und Teilnehmer aus der Publizistik haben versucht, hier weiter zu fragen. Die Antwort war von beiden Seiten negativ, sowohl von Republikanern wie von Demokraten. Daraufhin habe ich erklärt — und ich stehe dazu, ich wiederhole es —: Wenn das so ist, daß die Russen nicht bereit sind, daß aber auch die Amerikaner nicht bereit sind, daß sie wechselseitig, bedingt durch ihr Sicherheitsbedürfnis, glauben, nichts preisgeben zu können, dann laßt alle Hoffnung auf die deutsche Einheit auf lange Zeit fahren; denn ist man nicht bereit, die Teilabrüstung in Europa nach der Methode: Leistung gegen Gegenleistung, Schaffung eines neuen Sicherheitssystems — natürlich mit Garantiefunktion der Vereinigten Staaten von Amerika in Gang zu bringen, dann Deutschlands Einheit ade! Wir sind die letzten, die glauben, aus eigener Kraft die Freiheit in Europa halten zu können. Nein, die Freiheit in Europa steht und fällt mit der Verantwortung, die der atlantische Bruder für Europa trägt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Es ist nicht wahr, daß die Amerikaner wenn sie aus
    Deutschland herausmüssen, auch nicht mehr in
    Europa bleiben können. Kein geringerer als der
    Feldmarschall Montgomery hat den Unsinn dieser Theorie nachgewiesen, die da sagt, daß die Amerikaner dann Hals über Kopf ganz Europa verlassen müßten. Nein, im Zeitalter der interkontinentalen Raketen spielen einige hundert Kilometer für ein globales Verteidigungssystem keine große Rolle mehr, wenn — was selbstverständlich ist — in dem geräumten Raum starke, klassisch bewaffnete konventionelle Divisionen, auch deutsche Divisionen stehen, was wir Freien Demokraten wohl am meisten bisher bejaht haben!

    (Abg. Dr. Birrenbach: Dieser schmale Raum bis zum Atlantik ist hierfür nicht ausreichend!)

    Lassen Sie mich noch einmal den Satz wiederholen, den ich beim deutschamerikanische Gespräch gesagt habe: Wenn dem so ist, meine Herren, dann sagen wir offen unserem Volk die Wahrheit: wir müssen die Hoffnung des deutschen Volkes, auf staatliche Einheit auf dem Altar der atlantischen Sicherheit einerseits und wegen der Vorstellungen Chruschtschows von seinem Einflußgebiet andererseits opfern; dann Deutschlands Einheit ade!
    Lassen Sie mich weiter bei der Analyse unserer gegenwärtigen Hoffnungen auf Wiedervereinigung auch noch den französischen Staatspräsidenten und den französischen Ministerpräsidenten zitieren. Der französische Staatspräsident de Gaulle hat wenige Tage nach einem Treffen mit dem Bundeskanzler vor über Jahresfrist sich zum erstenmal zu der Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Linie geäußert. Ein eigenartiges Zusammentreffen! Mir ist nicht bekannt„ daß der Herr Bundeskanzler damals sofort protestiert hat. Vielleicht werden wir das heute erfahren.
    In der letzten Rede des französischen Ministerpräsidenten Debré, die er in der französischen Nationalversammlung gehalten hat, lautet der betreffende Passus wörtlich:
    Die Grundbedingung für eine Einigung der Vier ist die Bekräftigung des Status quo. Darunter verstehen wir nicht nur das Berliner Statut, sondern auch das gegenwärtige Regime der deutschen Republik, von der man nicht behaupten kann, daß sie eine Revanchepolitik begünstige. Dazu gehört auch die Respektierung der Grenzen, und zwar aller Grenzen, mit Einschluß der sogenannten Oder-Neiße-Linie.
    Meine Damen und Herren! Bisher hat der Deutsche Bundestag den Rechtsstandpunkt des deutschen Volkes in der Oder-Neiße-Frage immer wieder sehr klar zum Ausdruck gebracht. Unsere Auffassung ist die, daß die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie Polen und der Sowjetunion nur zur Verwaltung unterstellt sind — ich zitiere wörtlich aus dem Potsdamer Abkommen — vorbehaltlich einer endgültigen Regelung in einem Friedensvertrag.
    Leider ist uns bisher nicht bekannt, ob der Herr Bundeskanzler gegen die Äußerung des französischen Ministerpräsidenten protestiert hat. Er hat ihm einen Brief geschrieben, auch dem Staatspräsidenten. Der Brief ist durch den Persönlichen Referenten Ministerialrat Bach überbracht worden. Viel-
    4714 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959
    Dr. Mende
    leicht ist er so geheim, daß wir nichts davon wissen dürfen. Aber eine Frage interessiert doch: Soll es bei diesem Brief sein Bewenden haben? Oder hat nicht der Bundeskanzler die Pflicht, hier vor dem ganzen Deutschen Bundestag den Rechtsstandpunkt in der Oder-Neiße-Frage erneut zu deklarieren?

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Majonica: Ist heute morgen doch geschehen!)

    — Ich habe das gelesen. Ich möchte es hier noch einmal vom Herrn Bundeskanzler hören.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD. Zurufe von der CDU/CSU.)

    Auch wir wissen um die Schwierigkeit der Durchsetzung eines Rechtsanspruchs nach einem verlorenen Krieg. Wer aber heute schon, vor den Verhandlungen bereits, ohne die geringste Gegenleistung diese Gebiete abgibt, schwächt den deutschen Rechtsstandpunkt. Das ist keine deutsch-französische Freundschaft und Solidarität, das ist der Geist Richelieus, Talleyrands und Clemenceaus.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich darf die Bilanz ziehen, sie ist bitter. Es besteht die große Gefahr, daß die Vier Mächte heute hinter das Potsdamer Abkommen zurückfallen auf Jalta. Sie haben sich im Potsdamer Abkommen verpflichtet, die staatliche Einheit Deutschlands zu gewährleisten. Das ist für uns ein Rechtsanspruch an die vier Siegermächte; das ist für die Vier eine Rechtsverpflichtung gegenüber dem deutschen Volk. Jetzt
    scheint es beinahe so, daß die Vier sich auf Grund des Status quo arrangieren, daß man für Berlin vielleicht eine Sonderlösung austüfteln wird und daß wir damit angeblich nun den Preis für einen verlorenen Krieg zahlen müssen. Auch hier darf ich den Herrn Bundeskanzler fragen. Welchen Preis meinten Sie, Herr Bundeskanzler, als Sie zuerst vor der Auslandspresse und dann auf dem Parteitag in Baden erklärten: „Wir müssen den Preis zahlen!"? Meinen Sie nur die Gebiete östlich der Oder und Neiße, oder meinen Sie die nicht, oder meinten Sie auch den Verlust der staatlichen Einheit?

    (Oh-Rufe von der CDU/CSU. — Abg. Majonica: Das ist doch alles Phantasie!)

    Was ist das für ein Preis? Wir glauben, daß auch hier eine klare Antwort erteilt werden muß. Denn das deutsche Volk wird sich niemals damit abfinden, daß man ihm die Rechte auf Einheit und Selbstbestimmung verweigert, die man im gleichen Atemzug ehemaligen Kolonialvölkern wie Nigeria und Ghana zu geben bereit ist.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Die Frage der Stellung Berlins ist von uns mit wenigen Worten wie folgt zu umreißen. Es gibt für Berlin nur eine einzige organische Funktion: das ist die Funktion einer Hauptstadt im wiedervereinigten Deutschland. Alle anderen Lösungen — Interimslösungen, Zwischenlösungen — sind ein Selbstbetrug. Die Berlin-Frage wird eines Tages unter um so schlechteren Aspekten wieder auf uns
    zukommen, wenn wir nicht daran festhalten, daß es keine Teillösung in der Berlin-Frage gibt. Berlin ist die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland. Mit der Deutschlandfrage löst sich die Berlin-Frage und mit der Deutschlandfrage löst sich auch die Frage der Teilung Europas. Wir sind nun einmal kraft unserer Lage dazu bestimmt — oder dazu verdammt; wie Sie wollen —, eine Brückenfunktion zwischen West und Ost in Europa zu vollziehen.
    Nun hat in den letzten Monaten ein Korrespondenz-Spiegel des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung einen schwerwiegenden Vorwurf gegen den Herrn Bundeskanzler mitgeteilt. Die Meldung in diesem amtlichen Papier der Bundesregierung datiert vom 21. Juli 1959. Mir ist bisher nicht bekannt, ob ein Widerspruch, ein Dementi erklärt oder gar eine Verleumdungsklage erhoben wurde. Die Meldung lautet:
    Deutsche Informationen Nr. 13

    (Abg. Majonica: Also doch nur ein Zitat!) Ein früherer Vertrauter Dr. Adenauers

    — gemeint soll sein Dr. Kind-Kiefer —
    machte uns gegenüber eine sensationelle Enthüllung. Er war vor der Bundestagswahl 1949 Zeuge eines Gesprächs zwischen Adenauer und Bidault. Es drehte sich darum, in welcher Weise von Frankreich aus Adenauer und seiner Partei Wahlhilfe geleistet werden könnte ... Adenauer schlug vor, Frankreich möge sich dafür einsetzen, daß 'West-Berlin nicht der Bundesrepublik angeschlossen werden solle, weil sonst die Gefahr eines sozialdemokratischen Übergewichts in Westdeutschland entstünde . . .

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das Stimmrecht der Berliner spielte im taktischen Kalkül Adenauers schon damals eine entscheidende Rolle.
    Diese Meldung ist so ungeheuerlich,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    daß ich den Herrn Bundeskanzler dringend bitten muß, vor dem Plenum zu erklären, was er gegen diese Art der Unterstellung, wenn es eine sein sollte, zu unternehmen gedenkt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Abg. Freiherr zu Guttenberg: Außer Ihnen hat niemand diese Meldung ernst genommen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Das ist ein Pressedienst der Bundesregierung: Korrespondenzspiegel, Schnell-Information vom 21. Juli 1959.

    (Abg. Majonica: Herr Mende, das stimmt doch gar nicht! Das ist doch ein Zitat aus einem anderen Dienst!)

    — Das ist ein offizielles Organ, das im Rahmen eines Pressespiegels die „Deutschen Informationen" zitiert. Nichts weiter habe ich gesagt.

    (Abg. Majonica: Es ist also ein Zitat!)




    Dr. Mende
    Aber das erscheint in einer amtlichen Publikation, ohne daß gleichzeitig bekannt ist, was dagegen unternommen worden ist. Wir können einfach nicht glauben, daß dieser Vorwurf stimmen soll.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Darum bitten wir ja den Bundeskanzler, uns hier die Wahrheit zu sagen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das war eine trojanische Ente! — Weitere Zurufe.)

    Ich will mich hier nicht über die Frage der EWG und der Freihandelszone äußern; das wird mein Kollege Dr. Heinz Starke, Mitglied des EWG-Parlaments, tun. Ich werde auch nicht zu der Frage der Europapolitik Stellung nehmen; dazu wird der Kollege Dr. Max Becker im einzelnen Ausführungen machen. Lassen Sie mich nur noch die Frage beantworten: Was können wir Deutschen noch vor der Gipfelkonferenz tun? Welche Initiative können wir noch zur Bewegung des kleinen Rädchens, an dem wir sitzen, entwickeln, um das Unglück zu verhindern, daß man sich in Zukunft nicht mehr mit uns, sondern über unsere Köpfe hinweg auf unsere Kosten arrangiert?
    Doch zuvor noch eine Bemerkung zu der Frage der Oder-Neiße-Linie. Auch dazu wird ja wohl noch ein Teil der Einzelsprecher Stellung nehmen. Schon vor sieben Jahren hat Karl Georg Pfleiderer erstmals die Forderung erhoben, diplomatische Beziehungen nicht nur nach dem Westen, sondern auch nach dem Osten aufzunehmen. Karl Georg Pfleiderer sagte damals:
    Herr Bundeskanzler, man hat gute oder man hat schlechte diplomatische Beziehungen. Gar keine hat man nur im Krieg, und wir sind nicht mehr im Krieg. Wir wollen die Normalisierung aller Lebensverhältnisse. Darum muß der große weiße Fleck verschwinden, der auf der östlichen Hemisphäre noch sichtbar ist.
    Das war vor sieben Jahren. Wir haben heute trotz vieler Diskussionen, trotz vieler Anträge immer noch keine diplomatischen Beziehungen mit Warschau, mit Prag, mit Budapest, mit Bukarest, mit Sofia und mit Peking, ja wir haben sogar den Draht nach Belgrad gekappt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat Tito gemacht!)

    Die Problematik der Hallstein-Doktrin wird im Auswärtigen Ausschuß noch beraten werden. Es würde zu weit führen, sie hier im einzelnen zu erörtern. Sie ist ja bereits gescheitert. Denken Sie nur einmal daran, wie gut es wäre, wenn wir selber in Prag nach den beiden verschwundenen Jagdbombern fragen könnten,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    statt daß wir wieder den großen Umweg machen müssen.
    Diplomatische Beziehungen sind wahrlich kein weltumstürzendes Ereignis, sondern die normalste Form des Gesprächs unter Völkern und Staaten, zumindest unter Staaten. Leider haben die Bemühungen bisher keinen Erfolg gehabt. Man sagt sogar, diplomatische Beziehungen zu Polen beispielsweise würden die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie bedeuten. Keineswegs! Natürlich müßte man die gleiche Vorbehaltsklausel anwenden, die wir auch bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion vorgebracht haben. Wie wir von den Besuchern, die jetzt in Warschau waren, gehört haben, erwartet die polnische Regierung sogar einen solchen deutschen Vorbehalt.

    (Abg. Dr. Schneider [Lollar] : Das Gegenteil erwartet sie!)

    — Sie wird ihn zur Kenntnis nehmen, denn es bleibt ihr gar nichts anderes übrig. Die Bedingungen stellen, Herr Kollege Schneider, Aufnahme diplomatischer Beziehungen sei identisch mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, — für so dumm halte ich die Polen nicht. Das allerdings wäre das Ende des Versuchs, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schneider [Lollar].)

    — Wir haben glaubwürdigere Zeugen, Herr Kollege Schneider, als Sie es manchmal sind.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — PfuiRufe in der Mitte und rechts.)

    — Ja, entschuldigen Sie, wir haben mit unserem Kollegen unsere Erfahrungen. Er war ja früher einmal bei uns, bevor er zu Ihnen übergelaufen ist.

    (Abg. Majonica: Herr Dr. Mende, hier sind mehrere im Saale, die sind schon mehrfach übergelaufen!)

    Was aber die Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen bedeutet, will ich Ihnen an einem Beispiel darlegen. Vielleicht haben Sie das selbst erlebt. Der Vizepräsident Nixon erscheint in Warschau. Man zeigt ihm den Friedhof von Pamirow, man zeigt ihm das Ghetto, man zeigt ihm die Warschauer Universität. Peter von Zahn, der Koslow und Chruschtschow in Amerika und Nixon in Rußland begleitet hat, sagte im Fernsehen: Das Peinliche an dieser Situation in Warschau war, daß niemand aus Bonn da war, der hier hätte sagen können: Es tut uns leid, daß das im deutschen Namen geschehen ist; es tut uns bitter leid. Wir, das deutsche Volk, haben ein Vielfaches dessen, was wir damals dem polnischen Volk zugefügt haben, später abgebüßt; aber es tut uns leid; wir in Bonn sind andere, wir sind nicht identisch mit dieser Politik Hitlers. — So Peter von Zahn im deutschen Fernsehen.
    Und in der Tat: Wer das Feld in Warschau und in Prag, in Budapest, Bukarest, Sofia und in Peking den Botschaftern und Gesandten aus Ostberlin überläßt, der sorgt dafür, daß das völlig falsche und verzerrte Bild über die Bundesrepublik in der Welt weiter verbreitet wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Denn die Ostberliner Propaganda sagt in diesem Augenblick — Sie haben es gelesen, Herr Kollege Schneider, Sie haben es sogar in Warschau erlebt —: Das sind dieselben, die das damals gemacht haben, die heute als Revanchisten, Militaristen,



    Dr. Mende
    Kapitalisten in Bonn sitzen. — Wer also nicht will, daß das Feld von unseren Gegnern beherrscht wird, der muß als Demokrat bereit sein, das Gespräch zu suchen. Mit dem Gespräch fängt das Abbauen des Mißtrauens doch überhaupt erst an.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wer aber nichts tut — keine Experimente!, nicht daran rühren! —, der muß sich fragen, ob die Lage in 11 Jahren, wenn nicht 14 Jahrgänge, sondern 25 Jahrgänge in diesem Gebiete geboren sein werden, nicht noch viel schlechter sein wird, als sie heute ohnehin schon ist, und zwar durch Zeitverlust, meine Damen und Herren, schon durch Zeitverlust!
    Nun zu der Frage: was kann man noch vor der neuen Gipfelkonferenz,vor der neuen Außenministerkonferenz tun? Welche Vorschläge können wir noch seitens des Bundestages, seitens der Bundesregierung an die Vier Mächte leiten? Wir glauben, daß folgende Thesen in einer Weiterentwicklung aus der gegenwärtigen Situation durchaus zum Gemeingut des Deutschen Bundestages werden könnten, weil sie doch in der Hauptsache auf der gemeinsamen Berliner Entschließung basieren.
    Die erste These lautet: Eine ständige Deutschlandkonferenz darf nicht an der Frage des Status der teilnehmenden Deutschen scheitern. Die Erinnerung an die Ständige Konferenz der Vier Mächte, die 1955 den österreichischen Staatsvertrag zustande gebracht hat, veranlaßte am 2. Juli vorigen Jahres den Deutschen Bundestag, die Bildung eines VierMächte-Gremiums anzuregen, das mindestens im Rahmen einer Botschafterkonferenz Vorschläge zur Lösung der deutschen Frage erarbeiten sollte. Die Anregung des Bundestages erhielt dann eine Ergänzung und aktuelle Bedeutung durch die Äußerung des amerikanischen Außenministers Herter, der am 20. Juli 1959 namens der drei Westmächte in Genf vorschlug, die Genfer Konferenz der Außenminister so, wie sie konstituiert war, weiterbestehen zu lassen, also Genf zu institutionalisieren, um das deutsche Problem als Ganzes zu beraten. Das besagt, daß auch die beiden deutschen Delegationen, die ja mit Willen der Bundesregierung in Genf vertreten waren, in konsultativer Form an der ständigen Konferenz teilnehmen könnten.
    Gegen diesen Vorschlag der Westmächte brachte der sowjetische Außenminister Gromyko am 23. Juli 1959 das Bedenken vor, daß den beiden deutschen Vertretungen lediglich Hilfsfunktionen übertragen würden, woraus er fälschlich den Schluß zog, die Deutschen hätten ein Diktat der vier Mächte auszuführen. Offenbar bezog sich Außenminister Gromyko auf eine schriftliche Verlautbarung der Bonner Delegation vom 20. Juli 1959, die besagte, daß —ich zitiere wörtlich — „die deutschen Berater kein eigentliches Organ bilden, sondern ausschließlich als Hilfskräfte der Viermächtekonferenz herangezogen werden können".
    Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die ständige Deutschlandkonferenz nicht an der Frage des Status der an ihr teilnehmenden Deutschen scheitern darf. Die Teilnahme zweier deutscher Delegationen ist durch die Teilung Deutschlands bedingt. Die Beschränkung ihrer Tätigkeit auf die konsultative Funktion ergibt sich aus den Mängeln der gegenwärtigen staatlichen Organisation des geteilten Deutschland. Ihre konsultative Funktion erlaubt ihnen jedoch eine unmittelbare Einflußnahme auf den Gang der Konferenzverhandlungen, wobei ich hoffe, daß sie seitens der Ostberliner Delegation nicht auf die Dauer so negativ, so unanständig sein wird, wie es im Mai in Genf war.
    Was fehlt, ist die Deutschland bindende Entschlußkraft, die einem Willensentscheid des ganzen Volkes und einer späteren gesamtdeutschen Regierung vorbehalten bleibt. Es ist deshalb abwegig, die konsultative Funktion der beiden deutschen Delegationen — wie es Gromyko tut — so zu verstehen, als übten sie diese Funktion im Dienst der vier Mächte oder im Dienst einzelner der vier Mächte aus. Es ist erst recht abwegig, ihre Funktion so zu deuten, als leisteten sie Mithilfe bei einem Diktat, dem das deutsche Volk zu folgen habe. Trotz dieser Beschränkung ihrer Funktion, die sich aus der besonderen Lage des zweigeteilten Deutschland ergibt, sind die beiden deutschen Delegationen mehr oder minder doch dem deutschen Volk und der Geschichte gegenüber verantwortlich, daß sie ausschließlich den Interessen ihres Landes dienen. Wir müssen prüfen, ob ein solcher Status der deutschen Teilnehmer geeignet ist, die von der Sowjetregierung gegen eine ständige Deutschlandkonferenz erhobenen Bedenken zu zerstreuen.
    Die zweite These: dais zentrale Thema einer ständigen Deutschlandkonferenz muß der Friedensvertrag mit dem wiedervereinigten Deutschland sein. Ausgehend von dem Grundsatz, daß eine endgültige Friedensregelung nur mit einer Gesamtdeutschland vertretenden Regierung getroffen werden kann, haben die Westmächte in ihrem Friedensplan vom 14. Mai 1959 den deutschen Friedensvertrag an das Ende ihrer Vorschläge gestellt. Dagegen machen die Verlautbarungen der Sowjetregierung deutlich, daß diese im Friedensvertrag den Ausgangspunkt für eine Lösung der Deutschlandfrage sieht.
    Es ist nicht wahr, daß der Friedensvertrag erst spruchreif wird, wenn aus freien Wahlen eine gesamtdeutsche Regierung hervorgegangen ist. Für die Unterzeichnung des Friedensvertrages ist allerdings eine solche Voraussetzung erforderlich, nicht aber bereits für die Vorbereitung und für das Erarbeiten seiner Grundzüge. Die Grundzüge eines Friedensvertrages mit ganz Deutschland könnten im Rahmen einer ständigen Deutschlandkonferenz von den vier Mächten unter konsultativer Teilnahme der beiden deutschen Delegationen erarbeitet werden. Wenn sich die vier Mächte entschließen, die beiden deutschen Delegationen und ihre Regierungen in geeigneter Form aufzurufen, sich über die Grundzüge des Friedensvertrages und über die Einzelheiten der Durchführung der Wiedervereinigung zu verständigen, dann ist es nach Abschluß dieser Arbeiten sogar möglich, dem deutschen Volk in beiden Teilen Deutschlands den Entwurf eines Vertragswerkes über die Friedensregelung und die mit ihr zeitlich verbundene Wiedervereinigung in einem Volksentscheid so vor-



    Dr. Mende
    zulegen, wie es an der Saar mit dem Saarstatut in ähnlicher Weise geschehen ist.
    Stimmt das deutsche Volk dem Vertragsentwurf, der ja unter deutscher Mitwirkung zustande kommt, zu, dann gewinnt er für Deutschland durch dieses Plebiszit bereits Verbindlichkeit, ehe er von den Vier Mächten und einer gesamtdeutschen Regierung unterzeichnet ist. Mit dem Tag der plebiszitären Annahme des Friedensvertrages durch das deutsche Volk kann dann die zwischen beiden Teilen vereinbarte Prozedur der Wiedervereinigung anlaufen, die natürlich unabdingbarer Bestandteil des Gesamtvertragswerks sein muß. Nachdem aus gesamtdeutschen Wahlen eine gesamtdeutsche Regierung entstanden ist, vollzieht sich der dritte Akt, nämlich die Unterzeichnung des Friedensvertrags durch eine gesamtdeutsche Regierung.
    Nun ist zu prüfen, ob die Westmächte in der Lage sind, der vordringlichen Behandlung des deutschen Friedensvertrags im Rahmen der ständigen Deutschland-Konferenz zuzustimmen, wenn der Grundsatz der Selbstbestimmung durch die plebiszitäre Entscheidung über den Friedensvertraggewahrt bleibt. Ferner ist zu prüfen, ob die Sowjetregierung bereit ist, unter der Voraussetzung einer Verständigung zwischen den beiden Teilen Deutschlands über den Friedensvertrag und über die Wiedervereinigung die Zusage zu erfüllen, daß sie dem Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Deutschland den Vorrang vor einem Friedensvertrag auf der Basis der Teilung gibt.
    Ich verweise hier auf das, was der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow am 19. Juni 1959 im Kreml vor einer Ostberliner Delegation gesagt hat. Ich verweise auf das Moskauer Kommuniqué über die Verhandlungen mit der Ostberliner Delegation vom 20. Juni 1959 und auf das Warschauer Kommuniqué anläßlich Chruschtschows Besuch in Warschau am 22. Juli 1959.
    Unsere dritte These befaßt sich mit der Lösung des Berlin-Problems. Der Versuch, zu isolierten Zwischenlösungen zu kommen, ist nach unserer Auffassung unrealistisch, weil zwischen den Teilproblemen der Deutschlandfrage und der Berlin-Frage eine Wechselwirkung besteht, die eine Gesamtlösung erforderlich macht. Nach den ersten vergeblichen Bemühungen der Genfer Konferenzpartner, in der Deutschlandfrage zu einer Gesamtlösung zu kommen, wandten sich die drei Westmächte am 26. Mai 1959 einer Interimslösung für Westberlin zu, ohne daß bis zum Ende der Konferenz annehmbare Ergebnisse zu verzeichnen waren.
    Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß auch in Zukunft der Versuch einer isolierten Berlin-Lösung scheitern muß, daß er wenig Aussicht auf einen dauernden Erfolg bietet. Obwohl nicht mit Sicherheit auszumachen ist, mit welchen Absichten insgesamt die Sowjetregierung den Berlin-Vorstoß unternahm, sprechen gewisse Verlautbarungen und Reaktionen mit größter Wahrscheinlichkeit für die Annahme, daß Berlin nur als Daumenschraube benutzt wurde, um eine Erörterung des Gesamtproblems der Abrüstung und der Deutschlandfrage gewissermaßen über Berlin zu erzwingen.
    Wir glauben, es kann mit ziemlicher Sicherheit vorausgesehen werden, daß die Sowjetregierung irgendwelche Zugeständnisse in der Berlin-Frage an die Voraussetzung knüpfen wird, daß sich das deutsche Volk, daß sich auch die Bundesrepublik gewissen Selbstbeschränkungen auf militärpolitischem und bündnispolitischem Gebiet unterwerfen wird, einerlei ob das Junktim ausdrücklich gefordert wird oder im Rahmen des Sicherheitsvertrages zum Ausdruck kommt.
    Für eine weitere Wechselwirkung zwischen dem Friedensvertrag für ein wiedervereinigtes Deutschland und einer Sicherheitsordnung in Mitteleuropa gibt es noch viele Beweise. Die gespaltene Lage der Weltpolitik hat eine ihrer Ursachen darin, daß Deutschland infolge des Hitlersehen Abenteuers als ein den Frieden in Mitteleuropa stabilisierender Faktor ausgefallen ist. Heute prallen die Gegensätze zwischen Ost und West auf unserem Boden zusammen. Die Weltmächte stehen vor der Frage, ob sie es sich bei dem gegenwärtigen Zustand mit seinen zahlreichen Gefahren leisten können, gewisse Veränderungen zu unternehmen. Die Sowjetunion steht vor der Frage, ob der gegenwärtige Zustand — drohender Verlust der Atomkontrolle durch die Großmächte, Widerstand im deutschen Volk gegen die Fortdauer der Teilung usw. — auf die Dauer für die Sowjetunion ein positives Ergebnis sein kann oder ob es nicht besser ist, ein nichtkommunistisches wiedervereinigtes Deutschland zu seinem Nachbarn zu haben als ein gegenwärtig gespaltenes mit allen sich daraus ergebenden Gefahren.
    Natürlich wird sich das wiedervereinigte Deutschland gewissen Beschränkungen unterwerfen müssen, wie wir sie ja beispielsweise in der Westeuropäischen Union bereits haben: Verzicht auf die Produktion von ABC-Waffen, vielleicht sogar Verzicht auf die Ausrüstung mit solchen Waffen, Verzicht der Teilnahme an ausschließlich westlichen oder östlichen Sicherheitspakten; wenn gleichzeitig dafür gesorgt ist — das scheint mir sehr wichtig zu sein —, daß im mitteleuropäischen Raum eine wirksame Sicherheitsordnung entsteht, etwa im Sinne der Vorschläge des britischen Premierministers Eden vom 18. Juli 1955 in Genf, also ein westöstlicher Sicherheitspakt mit Beistandspflicht, kein Neutralitätsvertrag, sondern ein neues Sicherheitssystem, das an die Stelle der jetzigen Regionalsysteme — NATO und Warschauer Pakt — tritt. Wir lassen hierbei keinen Zweifel aufkommen: Für uns ist die Teilabrüstung und ist ein Sicherheitssystem nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck zur Herbeiführung der staatlichen Einheit. Für uns ist auch die staatliche Einheit nicht Selbstzweck im überkommenen, vielleicht nationalistischen Sinne, sondern staatliche Einheit ist für uns unabdingbar mit der Herstellung der Grund- und Freiheitsrechte in ganz Deutschland verbunden.

    (Beifall bei der FDP.)

    Lassen Sie es mich noch deutlicher sagen. Für uns ist ein zweigeteiltes Deutschland, aus dem wir 52 Millionen Bundesrepublikaner das Recht schöpf en, die rights and liberties zu praktizieren, woraus 18 Millionen in Mitteldeutschland die Hoffnung schop-



    Dr. Mende
    fen, sie schafften es auch noch einmal, immer noch tausendmal lieber als ein wiedervereinigtes Deutschland als Volksdemokratie unter dem Sowjetstern, unter Hammer und Sichel.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich glaube, in dieser Frage gibt es überhaupt keinen Streit innerhalb der Fraktionen dieses Bundestages. Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn der Bundesaußenminister einige grundlegende Übereinstimmungen aller Fraktionen in der Deutschland-Frage an den Beginn oder an das Ende seiner Regierungserklärung gestellt hätte.
    Wir glauben also, daß es richtig ist, im zeitlichen Zusammenhang mit dem Friedensvertrag eine Verständigung der vier Mächte und der Völker Mitteleuropas über eine neue Sicherheitsordnung herbeizuführen, die den Frieden im mitteleuropäischen Raum stabilisiert. Der Abzug der in diesem Raum stationierten Truppen darf erst dann erfolgen, wenn Hand in Hand mit ihm der Aufbau einer starken deutschen Streitmacht geht und wenn weiter die neue Sicherheitsordnung in Etappen ihre Funktionsfähigkeit erwiesen hat. Wir denken gar nicht daran, etwas Gutes preiszugeben, bevor nicht mindestens etwas Ebenbürtiges, wenn nicht gar Besseres an die Stelle tritt.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch auf die vierte These eingehen, nämlich die, daß innerdeutsche Vereinbarungen über den Ablauf der Wiedervereinigung ja der Berliner Entschließung entsprechen und daß wir hier bei aller Ablehnung des Ostberliner Regimes doch nicht umhin können, schon jetzt mit den Leuten über Verkehrsfragen, über Wasserstraßengebühren und über andere Dinge zu sprechen. Selbstverständlich keine getrennten Verhandlungen, sondern nur Verhandlungen im Auftrag der vier Mächte und unter Hinzuziehung der vier Mächte; denn niemand von uns denkt daran, die vier Mächte aus ihrer obersten Verantwortung für Deutschland als Ganzes zu entlassen. Lassen Sie mich daher an vier Mächte eine gewisse Mahnung richten. Hier und da in den Presseorganen in Ost und West ist zu lesen, das deutsche Volk werde sich doch mit dem Zustand abfinden. Es gebe doch keine Rebellion für die Einheit, man sähe es doch, wie müde die Menschen in Deutschland bezüglich ihrer Einheit geworden seien. Ich erinnere nur an die Auflösung des Wiedervereinigungskomitees in Amerika unter Sperber, und ich denke an die resignierenden Äußerungen des hier schon zitierten George Kennan, der sagt: Es ist zu spät, wir haben zuviel Zeit verloren, viel zu viel ist zementiert, jetzt ist nichts mehr zu ändern.
    Nun, wir müssen den vier Mächten bezüglich der drohenden Gefahr, daß sie sich auf den Status quo, auf die Zweiteilung Deutschlands einigen, zurufen: Wenn ihr das tut, dann wiederholt ihr die Fehler des Versailler Vertrages! Aus dem Versailler Vertrag ist die Hitler-Diktatur, ist der zweite Weltkrieg entstanden! — Das deutsche Volk — darüber darf man sich keinen Illusionen hingeben —, insbesondere die deutsche Jugend, wird sich auf die Dauer
    nicht damit abfinden, daß es leichter ist, von Hamburg und München nach Lissabon und Mexiko zu reisen als nach Leipzig und Dresden, und daß es leichter ist, von Leipzig und Dresden nach Moskau und Peking zu .fahren als nach Hamburg und München. Wer wirklich Frieden und Enspannung in der Welt will, der muß in Europa die Zeitbombe der Zweiteilung Deutschlands entschärfen. Denn mit Deutschland ist Europa geteilt. Zwei deutsche Teilstaaten mit zwei Armeen — hie Bundeswehr, da Volksarmee —, das kann auf die Dauer nicht gutgehen!
    Wer daher den deutschen Bürgerkrieg nicht will — der eines Tages kommen wird, wenn sich das weiter zuspitzen sollte —, wer nicht will, daß wir im Verlauf irgendwelcher Konflikte — mit den Flaggen in Berlin fängt es doch schon an — zu einem Atombombenversuchsfeld beider Parteien in einem großen Krieg werden, der muß mit aller Leidenschaft alle seine Kräfte dem obersten Ziel widmen. Er darf nicht in einer Schwarzmalerei sagen: Nur an Chruschtschow liegt es. Nein, es liegt an allen vier Mächten; es liegt zu einem Teil auch an uns selbst, weil wir in den vergangenen zehn Jahren nicht genügend leidenschaftlich an die Frage herangegangen sind!

    (Beifall bei der FDP.)

    Verehrte Kollegen von der CDU/CSU, verehrter Herr Bundeskanzler, verehrter Herr Bundesaußenminister, Sie werden sich bei uns Freien Demokraten daran gewöhnen müssen, daß wir immer, auch wenn es Unruhe verursacht, den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen. So war es damals bei der Bindungsklausel, so war es bei der Saar, und so wird es bei der Wiedervereinigungsfrage sein. Denn — um mit Ernst Moritz Arndt abgewandelt zu schließen —: Der Gott, der eine parlamentarische Demokratie wachsen ließ, der wollte keine Parlamentsknechte; drum gab er uns den kühnen Mut und den Zorn der freien Rede. Davon haben wir heute Gebrauch gemacht und werden es auch in Zukunft immer tun. •

    (Beifall bei der FDP. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider (Bremerhaven).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur heute bei dieser Diskussion, sondern auch in den Diskussionen der letzten Wochen und Monate draußen wurde es spürbar, daß sich eine Wende in der Weltpolitik anzubahnen beginnt. Die erstarrten Fronten kommen in Bewegung. Noch weiß niemand, wohin das Weltschiff treiben wird. Die Großen der Welt haben sich zusammengesetzt. Nach unendlichem Bemühen ist es gelungen, jedenfalls für erste Gespräche das Feld zu bereiten. Die Bedeutung, die diese Gespräche für unser deutsches Vaterland haben, brauche ich hier nicht besonders zu unterstreichen.
    Ich möchte mich hier weniger darin ergehen, an Einzelheiten aufzuzeigen, wo und wie dieses und



    Schneider (Bremerhaven)

    jenes, teilweise auf diplomatischem Gebiet, zu tun ist. Vielmehr möchte ich hier als Abgeordneter einige, wenn ich so sagen darf, handfestere politische Betrachtungen anstellen, wie sie unsere Bevölkerung in dieser Lage der Unsicherheit heute draußen besonders nötig hat.
    Wenn es Politiker gibt, die behaupten, daß der Kalte Krieg vorüber sei, kann ich das nur bedauern. Denn es steht fest, daß der Kalte Krieg nach wie vor andauert, ja, daß der Kalte Krieg genau genommen sogar verschärft worden ist. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß durch die jüngsten Begebnisse, durch die jüngsten Treffen der verschiedensten Staatsmänner etwa schon jene auch nur leise Entspannung eingetreten sei, die uns zu der Hoffnung berechtige, daß der Welt auf jeden Fall Friede und Freiheit erhalten blieben.
    Mit meinen Freunden von der Deutschen Partei sehe ich mit großen Bedenken, daß die jahrelangen Erörterungen, die natürlich unausweichlich waren, auch dazu geführt haben, daß eine gewisse innere Unsicherheit und eine Aufweichung in unserem deutschen Volk Platz gegriffen haben. Die Vielzahl der Argumente, das Für und Wider und nicht zuletzt die lange Dauer dieser Auseinandersetzungen haben es dahin gebracht, daß unsere Menschen draußen oftmals nicht genau wissen, wer nun eigentlich recht hat und welcher Weg der richtige ist. Ich bedauere auch, daß Politiker, die sicherlich besten Willens sind, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versuchen, diese ersten Ansätze seien schon ein Beweis dafür, daß es nun mit Riesenschritten in die Entspannung hineingehe und daß wir mit unserer Wachsamkeit — wenn auch nur in etwa — nachlassen dürften.
    Wenn eine Auseinandersetzung im Gange ist, dann ist es gleichgültig, ob die kalten Krieger im Kalten Kriege oder die heißen Krieger im Heißen Kriege davonlaufen; in jedem Fall wird es den Verlust der Auseinandersetzung, den Verlust der Schlacht bedeuten, wenn diejenigen, die da als heiße oder kalte Krieger antreten müssen, die Front verlassen. Ich meine, daß kein verantwortlicher politischer, wie auch im anderen Falle kein verantwortlicher militärischer Führer es sich erlauben kann, seinen Anhängern oder seiner Truppe zu empfehlen, aus der Schlacht davonzulaufen. Es ist deshalb ein böses Wort, das vor vielen Monaten geprägt wurde, das Wort vom letzten kalten Krieger. Ich wünschte mit meinen Freunden, daß das ganze deutsche Volk aus kalten Kriegern bestünde und Klarheit bei allen darüber bestünde, daß erst jetzt die Zeit der Entscheidung kommt und daß es in dieser Zeit der Entscheidung gilt, fester denn je auf dem Sinne zu beharren.

    (Beifall bei der DP und in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Wer bei der Betrachtung der deutschen Realitäten immer nur das angebliche eigene Versagen oder das Versagen der Regierungsverantwortlichen sieht und wer nicht bereit ist, die oftmals schier unübersteigbaren Schwierigkeiten, Hindernisse und Widerwärtigkeiten anzugehen, wer nicht bereit ist, den vielfältigen Mangel an Verständnis draußen in
    der Welt, bei unsern Bündnispartnern und natürlich auch bei auch bei unsern Antipoden, zu beseitigen, wer nicht bereit ist, dem bösen Willen, um den es sich auch oft handelt, zu begegnen, und wer schließlich nicht bereit ist, zu sehen, daß sich die anderen mit ihren eigenen Problemen stark zu beschäftigen haben —, der ist bis heute, jedenfalls für unsere Begriffe, den Beweis dafür schuldig geblieben, daß er es hätte besser machen können, als wir in der Koalition es in den letzten Jahren gemacht haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Immerhin haben wir dafür gesorgt — gegen den vielfältigen Widerstand der Opposition —, daß wir jenes Vertrauen in der Welt und bei unseren Partnern wiedergewonnen haben, welches die erste Voraussetzung dafür ist, daß wir überhaupt in dieser allgemeinen großen Auseinandersetzung überleben können. Es ist kein Geheimnis, daß gerade in diesen Tagen vor der außenpolitischen Debatte wiederholt von den sogenannten verpaßten Gelegenheiten gesprochen wurde, womit selbstverständlich gemeint war, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien diese Gelegenheiten verpaßt hätten. Ich möchte demgegenüber feststellen, daß gerade unsere Kritiker eine Gelegenheit, und zwar eine wichtige Gelegenheit verpaßt haben, nämlich die, in den letzten Jahren die Außenpolitik gemeinsam mit uns zu betreiben.

    (Beifall bei. den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sie hätte ja gar nicht besser werden können!)

    Damit hätten Sie sicher unserer gemeinsamen deutschen Sache einen guten Dienst erwiesen.

    (Abg. Wienand: Wieviel Schleppenträger braucht Adenauer eigentlich?)

    Ich habe gesagt, daß die Koalitionsparteien, die CDU/CSU und die DP, die wichtigste Voraussetzung wiederhergestellt haben, nämlich das Vertrauen zum deutschen Volke in Europa und in der Welt. Wenn hier eines ganz besonderes Gewicht hat, dann ist es die Tatsache, daß eine ernsthafte, ich möchte sagen, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen denen, die sich jahrzehnte- und jahrhundertelang im Bruderzwist entzweit haben, praktisch unmöglich geworden ist. Ist das nicht schon das Ergebnis einer Politik, die gut gewesen sein muß?
    Wir haben auf diese Karte gesetzt. Wir haben darum gerungen, weil wir der Meinung waren, daß dieser unsinnige Zwist beendet werden muß. Wir haben darum gerungen, weil wir wissen, daß wir nur gemeinsam überleben können und daß der Verlust Deutschlands auch der Verlust ganz Europas für die freie Welt wäre.
    Wir haben dabei nicht die Stimmen im In- und Ausland überhört, die diesen Weg nicht richtig fanden, ja, die ihn uns zum Teil sogar übelgenommen haben. Aber eines können wir dabei mit Befriedigung feststellen, daß nämlich jedenfalls in den Völkern, mit denen wir uns verbunden fühlen, d. h. in den freien Nationen, durch diese unsere
    4720 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 5. November 1959
    Schneider (Bremerhaven)

    Politik das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit
    fest verwurzelt und unumstößlich geworden ist.

    (Beifall rechts und in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Ich will nicht verschweigen, daß die Belastungsprobe für dieses Bündnis erst kommt. Das darf um der Ernsthaftigkeit der Sache und urn der Wahrheit willen nicht verschwiegen werden. Es darf auch deswegen nicht verschwiegen werden, weil es einfach unaufrichtig wäre, wenn wir nicht zugäben, daß das deutsche Problem, das durch den Kriegsausgang geschaffen wurde, letztlich für die gesamte Welt, für die freie und auch für die unfreie Welt, ein unbequemes Problem ist. Aber man muß auch feststellen, daß von der richtigen Lösung dieser Frage die Zukunft, jedenfalls der freien Welt, entscheidend abhängt. Ich wünschte mir nichts mehr als dies, daß die Belastungsprobe, die die freie Welt mit uns gemeinsam und die wir selber im Hinblick auf unsere eigenen Probleme zu bestehen haben werden, nicht dazu führen möge, daß sich etwa auf einer Konferenz, auf welcher auch immer, jenes Dilemma einstellt, das heute im Hintergrund all solcher Verhandlungen steht. Ich will es hier ganz offen aussprechen. Das Dilemma ist, daß auf der einen Seite solche Konferenzen und Verhandlungen notwendig sind, um Wege zur Entspannung und zum Frieden zu suchen, und daß auf der anderen Seite solche Verhandlungen — darüber müssen wir uns absolut klar sein — sehr stark zu Lasten des Besiegten gehen können oder sogar gehen werden.
    Ich betone dabei aber, um nicht mißverstanden zu werden, ausdrücklich, daß das Vertrauen, das wir in unsere westlichen Verbündeten setzen, auch durch die Mißverständnisse und Querelen, die in den letzten Wochen und Monaten hier und dort aufgetaucht sind, nicht beeinträchtigt wurde und nicht beeinträchtigt werden kann. Ich möchte aber namens meiner politischen Freunde gleichzeitig eine Warnung aussprechen, damit das deutsche Volk in der schweren Zeit, der es entgegengeht, von dieser Seite nicht irgendeine Enttäuschung erfährt!
    Ich will nicht das böse Wort von Rapallo sagen; wir halten es für irreal, aber es ist in der Politik immerhin so wie im täglichen Leben: es ist ein Auf und Nieder, und davon, was wir in der nächsten Zeit gemeinsam tun können, werden auch die Stimmungen im deutschen Volke sehr stark abhängen. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, daß Moskau sehnlichst darauf wartet, daß unsere Verbündeten jener Belastungsprobe, die sie für uns bestehen müssen, nicht gewachsen sein werden. Deswegen haben wir in diesem Hause alle Veranlassung, in allen Fragen der deutschen Einheit möglichst unsere Einigkeit zu demonstrieren. Denn wer will es uns abnehmen, daß wir sie wirklich wollen, wenn wir nicht einmal unter uns einig darüber sind! Ich brauche nicht erst jene Deutschen zu warnen, die ihrerseits alles tun, um die Entspannung, die von allen Teilen unseres Volkes in West und Ost gewünscht wird, zu torpedieren, indem sie die Spalter-Flagge schaffen und aufziehen, indem sie dem primitivsten Bedürfnis der menschlichen Begegnung
    zuwider handeln und indem sie letzten Endes die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes bis heute kaltblütig verwehrt haben. Wir wenden uns mit aller Kühle, aber auch mit aller Leidenschaft dagegen.
    Es muß auch offen gesagt werden: Der Westen darf in dieser Situation keinerlei Unklarheiten riskieren. Es ist ein Ausdruck der Spannung, der über allen diesen Fragen liegt, daß es möglich ist, daß das Gerücht umgeht, Präsident Eisenhower habe sich mit Chruschtschow stillschweigend über Ostdeutschland als ein kommunistisches Land geeinigt oder man sei amerikanischerseits vielleicht auch nicht abgeneigt, die Oder-Neiße-Grenze als endgültig anzuerkennen. Nur nebenbei möchte ich einflechten, daß das, glaube ich, für uns alle nicht in Frage kommt.
    Es ist auch ein Ausdruck der Spannung, daß das Gerücht geht, amerikanischerseits würde man einem eventuellen Separatfriedensvertrag der Sowjetunion mit der sogenannten DDR nichts in den Weg legen. Ich glaube wirklich, daß diese Gerüchte Ausdruck der Spannung sind, die über diesen Fragen liegt, und daß nichts Effektives an ihnen ist.
    Trotz der vielfältigen Äußerungen der letzten Zeit glaube ich auch nicht, daß man etwa amerikanischerseits oder auf seiten unserer anderen Verbündeten erwägt, die Wiedervereinigung weiter zurückzustellen, als es bisher den Umständen nach geschehen mußte.
    Es nimmt nicht wunder, daß in einer solchen Situation auch vermerkt wird, die amerikanische Politik spiele in Umkehrung ihrer bisherigen Nachkriegspolitik unter Umständen mit dem Gedanken, die Wiedervereinigung von der Frage Berlin und von der Frage der Abrüstung zu trennen. Dieser Eindruck darf in der deutschen Öffentlichkeit nicht entstehen, weil wir alle Kräfte und kühle Nerven für die nächsten Wochen und Monate brauchen.
    Die Opposition hat kritisiert, daß einer unserer verbündeten Staatschefs Äußerungen über deutsche Grenzfragen getan habe, die in der deutschen Öffentlichkeit sehr wohl vermerkt worden seien. Ich kann nicht umhin, hierüber auch das Bedauern meiner Freunde zum Ausdruck zu bringen. Wir meinen jedenfalls, wenn wir den Krieg, den wir alle zusammen ja schon furchtbar bezahlt haben, noch einmal bezahlen sollen, dann sollten die Vorschriften darüber, welcher Preis zu zahlen ist, nicht ausgerechnet aus den Reihen der eigenen Verbündeten kommen. Immerhin ist es ein Bündnis auf Gegenseitigkeit.
    Wenn wir auch im Interesse der Gesamtlösung der internationalen Probleme zu handeln bereit sind, so wollen wir auf der anderen Seite doch nicht verschweigen, daß es uns, die wir deutsche Politik zu machen haben, natürlich in erster Linie um die deutsche Frage selbst. gehen muß.
    Einer der wichtigsten Ausgangspunkte ist hierbei nach Ansicht meiner Freunde von der DP der Umstand, daß dem deutschen Volke endlich in vollem Umfang das Selbstbestimmungsrecht gegeben wer-



    Schneider (Bremerhaven)

    den muß, wie es jede andere Nation auf der Erde für sich verlangt und wie es auch in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Freunde von der DP und ich glauben überhaupt, daß dieser Kardinalpunkt der ganzen Politik der Öffentlichkeit noch viel zuwenig bewußt geworden ist, weil ihre Sinne oftmals mit anderen, militärischen oder auch politischen, Problemen strapaziert werden. Wäre es möglich, dem deutschen Volk die Selbstbestimmung zu geben — und es ist ja nur eine Macht, die diese Selbstbestimmung verweigert —, so würden sich alle anderen Probleme sehr viel leichter regeln lassen bzw. sogar von sich aus regeln. Wer sich jedenfalls diesem Interesse eines 70-Millionen-Volkes widersetzt, der muß damit rechnen, daß er dieses Volk nicht auf seiner Seite hat. Schließlich können wir ja auch nicht ohne weiteres akzeptieren, daß die diesbezüglichen Erörterungen in der UNO nur ein Lippenbekenntnis gewesen sein sollen.
    Ich möchte gar nicht etwa in so leicht abfälligem Sinn, wie es in letzter Zeit häufiger geschehen ist, darüber sprechen, daß man ja selbst diesem und jenem Negerstaat die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung gewährt hat, damit nicht ein falscher Eindruck aufkommt und auch nicht der leiseste Verdacht, daß wir uns etwa besser als jene Menschen, die da dunkler Hautfarbe sind, fühlten. Es ist einfach das Hauptproblem, daß uns die Selbstbestimmung zusteht, und wir denken nicht daran, für ewig und immer andere über uns bestimmen zu lassen, sondern wir wollen selbst bestimmen, wie wir leben wollen.
    Es war ein harter Kampf auch mit unseren westlichen Verbündeten, den wir in den ersten Jahren nach dem Kriege zu führen hatten. Es ging damals auch um die deutsche Selbstbestimmung und um die Beseitigung des Interventionsrechts der Besatzungsmächte. Es ging um eine ideologische Verständigung, und es ging ferner um territoriale Fragen wie Saargebiet und Westgrenze. Ich kann doch wohl für die Regierungsparteien feststellen, daß die Verständigung erreicht wurde. Die Gegnerschaft und Fremdherrschaft wurde in freundschaftliches Bündnis und Zusammenarbeit umgewandelt. Das gelang nur auf der Grundlage einer gemeinsamen Rechts- und Moralauffassung. Die freiheitliche Lebensordnung und der gemeinsame Begriff der Menschenwürde als Fundament dieser Ordnung haben dabei den Weg gewiesen. Ich glaube nicht, daß das große Worte sind. Das sind schlichte Tatsachen.
    Und wie sieht es mit dem Arrangement mit unseren östlichen Nachbarn aus? Daß wir auch dort eine Grundlage suchen und finden müssen und schließlich auch finden werden, darüber sind wir uns alle im klaren. Aber das Fazit, das wir im Gegensatz zu dem, was wir mit unseren westlichen Verbündeten erreicht haben, ziehen müssen, ist ein geradezu erschütterndes, nämlich folgendes: 1955 erhielt der Herr Bundeskanzler anläßlich seines Moskaubesuchs die Zusage der Rücksendung von 10 000 Kriegsgefangenen gegen das Tauschgeschäft
    „Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Moskau". 1957 erhielten wir den Konsular- und Handelsvertrag mit der Sowjetunion. 20 000 Zivilinternierte wurden dagegengesetzt. Und schließlich 1958 wurde Berlin mit seinen zweieinhalb Millionen Einwohnern erpreßt — ich muß das Wort gebrauchen —, und Berlin wurde damit zum Fanal für die ganze Politik, wie wir sie in Zukunft noch erleben werden.
    Diese Tatsache, daß hier die Menschen zum Objekt der Politik herabgewürdigt wurden, ist keine gute Politik und ist nicht dazu geeignet, eine wirkliche Verständigung miteinander zu finden. Noch dazu ist es eine Politik, die uns keinen Schritt der Selbstbestimmung nähergebracht, sondern die die Spaltung noch weiter vertieft und uns allenfalls eine fragwürdige Freiheit in Aussicht gestellt hat.
    Wie sagte doch Herr Chruschtschow vor seinen amerikanischen Zuhörern:
    Wenn Sie sich einmal unsere politische Weltanschauung betrachten, werden Sie sehen, daß wir viele christliche Grundsätze haben wie z. B. die Nächstenliebe.
    Nach dem, was ich Ihnen sagte, muß ich ernsthaft die Frage stellen, wo hier die Nächstenliebe bleibt, die 70 Millionen Deutschen ihre völlige Selbstbestimmung wiedergibt.
    Wenn ich vorhin sagte, daß wir selbstverständlich auch mit ,dem Osten ein Arrangement finden müssen, dann sollten wir ehrlich genug sein, darauf hinzuweisen, daß der Gegensatz, den wir unter uns in dieser Frage zur Zeit auszutragen haben, darin besteht, daß die einen glauben, der Schlüssel zu dieser Politik liege in Moskau, und daß die andern glauben, ,der Schlüssel zu dieser Politik liege in Warschau. Ich möchte nur sagen, ohne dieses Thema weiter zu vertiefen: man darf nicht in Warschau gegen Moskau und in Moskau gegen Warschau arbeiten wollen, wenn man zu einer Verständigung kommen will.
    Die Kritiker der Bundesregierung, der CDU/ CSU und der DP möchte ich ,aber einmal fragen: Wann und wo ist die Sowjetunion in den Jahren nach dem Kriege auch nur ein einziges Mal für das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes eingetreten? Ich glaube, nie! Sie hat sich überall dort als Vorkämpferin für Selbstbestimmung aufgespielt, wo es ihr politisch zweckmäßig erschien und wo sie sich einen entsprechenden propagandistischen Effekt erhoffte. Nur im Falle des 70-Millionen-Volkes der Deutschen durfte das Selbstbestimmungsrecht bis zum heutigen Tage nicht angewendet werden. Wir aber widersprechen den Sowjets, wenn sie dieses Recht der Selbstbestimmung ihrer eigenen Ideologie opfern wollen. Ich wiederhole, daß wir über uns selber und über unser Leben in Freiheit bestimmen wollen. Die ZweiStaaten-Theorie oder die Zwei-Staaten-These der Sowjetunion ist wohl das makabre Beispiel dafür, wie man zu verschleiern sucht, daß man dem deutschen Volk seine Selbstbestimmung vorenthält.
    Hier liegt, glaube ich, der Angelpunkt für die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik. Die Sowjetunion soll sich keiner



    Schneider (Bremerhaven)

    Täuschung hingeben. Ich unterstreiche das, was der Kollege Mende vorhin gesagt hat. Wir Deutschen werden in der Frage dieses Selbstbestimmungsrechts und in der Frage der Wiedervereinigung keine Ruhe geben. Es mag zwar heute noch eine durch Krieg und Nachkriegszeit entstandene Lethargie in unserem Volke vorhanden sein, und der Wohlstand mag dazu beitragen, daß manche dieser wichtigen politischen Probleme überschattet sind. Ich will keineswegs nationalistische Leidenschaften aufrühren, sage aber, daß jeder, der mit uns verhandelt — ob er mit uns paktiert oder gegen uns ist — wissen muß, daß wir in dieser Frage nicht Ruhe geben werden. Er muß wissen, daß es nicht nur bei uns, nein, daß es in der ganzen Welt keine Ruhe ,geben kann, ehe diese Menschen gleichen Blutes und gleicher Zunge wieder miteinander vereinigt sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wollen nicht das Schwere der Vergangenheit aufrühren, ich erkläre das ausdrücklich. Wir wollen es nicht, weil wir der Zukunft dienen wollen. Fast alle, die hier sitzen, haben Schweres im Krieg und auch nach dem Kriege erlebt, und jeder ist mehr oder weniger vom Schicksal geschlagen oder vom Kriege gezeichnet. Wenn man es einem Volk abnehmen darf, daß es einen ehrlichen Friedenswillen hat, dann dem deutschen Volk, das durch Krieg und Nachkriegszeit gegangen und geläutert ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Sozialdemokratische Partei hat vor Monaten ihren sogenannten Deutschlandplan vorgelegt. Der Herr Kollege Ollenhauer hat ihn heute morgen unter dem Beifall seiner Freunde gefeiert. Man muß aber gerechterweise feststellen, daß in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei absolute Uneinheitlichkeit der Auffassungen über diesen Deutschlandplan besteht.

    (Zurufe von der SPD.)

    In dieser Partei gibt es maßgebliche Kräfte, die in besserer Erkenntnis den dort vorgeschlagenen Weg ablehnen. Wir denken nicht daran — nicht im entferntesten, meine Damen und Herren —, diesen Weg Ihres Gesamtdeutschen Ausschusses mitzugehen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wenn sich die Funktionäre der SED bereit erklären, an diesem Ausschuß teilzunehmen, dann ist das eine gefährliche Sache. Wir glauben nämlich nicht, daß diese Funktionäre so wunderbare Menschen sind, daß sie an ihrem eigenen Begräbnis teilnehmen wollen.
    Der Kollege Professor Carl o Schmid hat in einem Rundfunkkommentar zur Erläuterung dieses Deutschlandplanes vor einigen Monaten einmal gesagt: Wenn es einmal soweit ist — ich zitiere, wie ich es etwa noch im Sinn habe —,

    (Abg. Wehner: „im Sinn"?)

    dann müssen wir uns gerade über eines klar sein: daß nämlich die Bundesrepublik sozialistischer und die Zone liberaler werden muß. — Meine Damen
    und Herren! Meine Parteifreunde von der DP sind nicht bereit, eine auch nur angekränkelte sozialistische Bundesrepublik um den Preis in Kauf zu nehmen, daß wir eventuell jene Thesen übernehmen müssen, die uns von der SED vorgeschrieben werden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Meinen Sie, ich wolle das?)

    — Nein, Herr Kollege Schmid. Aber es ist ein gefährlicher Ausspruch, den Sie da getan haben; er kann jedenfalls zu Zweideutigkeiten Anlaß geben.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ihre Ausführungen lassen die Interpretation zu: Lieber zwei Deutschland als ein Deutschland, das sozialistischer ist als das heutige!)

    - Herr Kollege, nachdem verschiedene Thesen des
    Deutschlandplans der Sozialdemokratischen Partei so sehr mit den Anschauungen des Regimes von drüben übereinstimmen?!

    (Abg. Erler: Welche denn?)

    — Ich betone ausdrücklich,

    (Abg. Erler: Welche Thesen?)

    daß ich Sie damit nicht diffamieren will.

    (Abg. Erler: Welche Thesen?)

    — Die These beispielsweise des Gesamtdeutschen Ausschusses

    (Abg. Erler: Die ist im westlichen Friedensplan!)

    ist von ganz anderer Seite gestartet worden. Und es kann doch auch nicht übersehen werden, Herr Kollege Erler, was Chruschtschow vor einigen Monaten in Leipzig gesagt hat: Es gibt keine Wiedervereinigung, es sei denn in einem sozialistischen Deutschland.

    (Abg. Erler: Ist das vielleicht im Deutschlandplan? — Abg. Wehner: Was reden Sie für ein Zeug durcheinander! Obwohl Sie Kalter Krieger sind, sollten Sie doch kalte Vernunft haben!)

    — Herr Wehner, wenn wir uns über die kalte Vernunft unterhalten wollen, dann würde ich mich gern einmal privat mit Ihnen unterhalten. — Ich glaube jedenfalls, meine Damen und Herren, daß diese These eines Gesamtdeutschen Ausschusses, sei er besetzt wie auch immer,

    (Abg. Erler: Das ist im Friedensplan der Westmächte!)

    für uns nicht akzeptabel ist, sofern er nicht auf der Basis geschaffen wird, die hier im Bundestag einmal besprochen worden ist.

    (Abg. Erler: Darf ich eine Frage stellen?)

    — Bitte, Herr Kollege Erler.