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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
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    Rede von Dr. Hans Furler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich glaube nicht, daß ich Herrn Ollenhauer mißverstanden habe.

    (Lebhafter Widerspruch bei der SPD.)

    — Ich kann nicht zulassen, daß nun plötzlich eine heftige Kritik kommt — die Kritik, daß wir im Parlament nicht mitarbeiteten —, da wir in den Ausschüssen — keine Frage, Herr Ollenhauer — sehr intensive Arbeit geleistet haben und da wir doch zusammen der Meinung waren, daß es in dieser delikaten Situation zweckmäßig wäre, etwas Zurückhaltung gerade in der parlamentarischen Aussprache zu üben.
    Nun zurück zur Genfer Konferenz! Die Genfer Konferenz hat zweifellos die Berlinfrage nicht einer Lösung zugeführt. Sie hat zwar den ultimativen Druck etwas gemildert, aber immerhin, es kam keine Lösung zustande. Die Genfer Konferenz hat auch nicht irgendwelche Grundlagen oder Ansatzpunkte für die Bereinigung der deutschen Frage, für unsere Wiedervereinigung in Freiheit geschaffen. Der Westen hat diesen Friedensplan vorgelegt, ein Plan, der in sich geschlossen war, der sehr wohl abgewogen die einzelnen Vorschläge miteinander verband, Er ist nicht einmal einer ernsthaften Diskussion zugeführt worden.
    Aber trotzdem möchte ich sagen, daß Genf nicht umsonst war. Genf hat die Einigkeit des Westens nicht nur durch Deklamationen, sondern in harten Auseinandersetzungen, wie sie in einer solchen Konferenz stattfinden, gezeigt. Es hat auch aller Welt bewiesen, daß die zweieinhalb Millionen Deutscher in Berlin nicht in Gefahr kommen werden. Es hat — das ist vielleicht eine traurige Feststellung — die Grundlagen der sowjetischen Deutschlandpolitik sehr deutlich gemacht. Es hat — und das ist etwas Positives — schließlich in der Abrüstungsfrage zu einem Ansatzpunkt für weitere Entwicklungen geführt, und Genf hat auch den unmittelbaren Anlaß für die Politik der großen Gespräche gegeben, von denen wir uns gewisse politische Möglichkeiten in diesen großen Ost-West-Auseinandersetzungen erhoffen.
    Wir danken dem Präsidenten der Vereinigten Staaten für seinen persönlichen Einsatz, für seine klare und entschiedene Haltung, für seinen Besuch in Bonn und auch für das Gespräch von Camp
    David, das endgültig die unmittelbare zeitliche Befristung des Berlinproblems beseitigt hat.
    Wir stehen mitten in den Verhandlungen. Noch sind keine Entscheidungen sichtbar, daran müssen wir uns gerade bei unseren Beratungen hier erinnern, denn es ist für die taktische Behandlung der Situation wichtig. Wir sind in einer äußerst schwierigen Verhandlungsposition; das haben Sie, Herr Ollenhauer, in Ihren Ausführungen selber anerkannt. Wir haben die Berlinfrage, wir haben die deutsche Frage, und wir haben gewisse Limits, über die niemand von uns hinausgehen darf und will: die Freiheit Berlins, die Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik und schließlich die Forderung nach Freiheit und Einheit der durch Sowjetrußland und Pankow in einer Gewaltherrschaft stehenden 17 Millionen Deutschen.
    Nun wird über Zeitpunkt und Tagesordnung der kommenden Gipfelkonferenz diskutiert. Hinter beidem stecken natürlich größere Probleme. Ich will über den Zeitpunkt nicht lange sprechen. Offenbar sind heute alle zufrieden, daß sie nicht überstürzt im Dezember in eine Gipfelkonferenz hinein müssen. Aber auch hier ist der Gedanke, daß eine technisch gute Vorbereitung und eine gewisse Bewährung erfolgen müsse, doch nicht von der Hand zu weisen. Denken Sie an die Flaggenprovokation! Denken Sie an diese Vorgänge, die mit dieser Bewährung der großen Gespräche doch in einem ganz prekären Zusammenhang stehen!
    Aber, Herr Ollenhauer, auch wenn wir die Zeit nicht für wichtig halten, so verstehe ich doch nicht, wie Sie sagen können, hier seien der Bundeskanzler und de Gaulle für eine Verschiebung. Es heißt aber, die SPD werde — so habe ich es gelesen — mit ihren internationalen Verbindungen auf einen möglichst frühen Termin hinarbeiten. Ich glaube, es ist nicht Aufgabe der Opposition, in dieser Form in die Verhandlungen einzugreifen.
    Nun zur Tagesordnung! Wir wissen heute, daß die Abrüstung ein zentrales, wahrscheinlich das zentrale Thema der Gipfelkonferenz sein wird. Auch Eisenhower hat erklärt, daß ein Fortschritt in der Abrüstung das Beste sei. In seiner Rede vom 31. Oktober in Moskau hat Chruschtschow ebenfalls die Abrüstung in den Vordergrund gestellt. Der deutsche Bundeskanzler hat im wesentlichen nichts anderes getan, als von sich aus betont, wie wesentlich und entscheidend er den Punkt „Abrüstung" bei
    I diesem Gipfelgespräch hält.
    Was werden da nun gleich für Argumente angeknüpft! Ich gebe zu, Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben diese Argumente heute nicht aufgegriffen. Ich muß diese Argumente aber doch anführen, weil sie in der Presse und in der öffentlichen Meinung — nicht ohne Zutun der SPD-Korrespondenz und der Opposition — so hochgespielt werden.
    Zunächst der Vorwurf, der Bundeskanzler, der die Abrüstung zum zentralen Thema machen will, wolle damit gewissermaßen die Wiedervereinigung abschreiben. Das ist eine schlechte Argumentation. Man darf einem verantwortlichen Staatsmann nicht unterstellen, daß er so arbeiten wolle.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Dr. Furler
    Wir alle, der Bundeskanzler und die Bundesregierung haben immer wieder für die Wiedervereinigung gekämpft. Wir werden dieses Ziel nie aufgeben, und die Aktivität dafür wird nie erlahmen. Aber überlassen Sie es bitte einmal einer verantwortlichen Regierung, Überlegungen darüber anzustellen, wie sie bei einer so schwierigen Verhandlungsposition am besten ans Ziel gelangt.
    Niemand hat bisher behauptet, daß wir unbedingt auf der ersten Gipfelkonferenz die Berliner Frage einer Lösung zuführen müßten. Es hat mich sehr interessiert, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin gesagt hat, es wäre vielleicht falsch, wenn wir uns hier selber eine Frist setzten, die uns doch nicht fördere. Wir wissen doch, wie schwer die Berliner Frage zu lösen ist. Natürlich wäre es gut, wenn es eine interimistische Lösung gäbe, die auf längere Zeit, bis zur Wiedervereinigung, die Lage einmal beruhigte.
    Wir wissen aber auch um die harte Haltung der Sowjetregierung. Wir wissen, daß der Westen mit seinem Berlin-Angebot in Genf am Ende dessen angelangt ist, was er zu einer interimistischen Lösung beitragen kann. Denn es geht immer um den Grundpunkt: um die Sicherung der Freiheit der Berliner und um die Anerkennung der von Sowjetrußland selber mitvereinbarten Rechtslage. Wenn man diese Rechtslage einseitig — ich sage: mit einer Art Gewalt — beseitigen kann und dann die Anderen eine neue, verschlechterte Situation akzeptieren müssen, dann ist das das Ende der Vertrauensgrundlage, auf der unsere Welt steht und auf der sie stehen muß, wenn wir in die großen Abrüstungsverhandlungen hineingehen.
    Hier liegt also ein bedauerlicher Fehlschluß vor. Ich glaube, diese Argumentation zurückgewiesen zu haben.
    Nun aber sind die Argumente oft etwas destruktiver Art. Was hören wir? Früher, als die Abrüstung noch nicht so nahe als unmittelbares Verhandlungsthema stand, hieß es, wenn die Bundesregierung erklärte: Die Abrüstungsfrage ,ist ein wesentliches Element, und wir glauben, daß wir in der Frage der Wiedervereinigung erst weiterkommen, wenn hier einmal einige grundlegende Dinge konkret durchgeführt sind, und wenn wir das Wiedervereinigungsproblem gleichzeitig anschnitten, wir hemmten die Abrüstung. Heute, wo die Abrüstungsfrage in den Vordergrund kommt, wird gesagt, wir schrieben die Wiedervereinigung ab.
    Ich frage: was soll man hier tun? Es bleibt nichts anderes übrig, als beide Ziele realistisch und aufeinander abgestimmt so zu verfolgen, daß wir taktisch eine reale Möglichkeit erreichen, irgendwo mit unseren Anliegen und mit dein Anliegen der ganzen Welt, auf deren wesentliche Unterstützung wir so dringend angewiesen sind, durchzukommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Opposition sagte früher: Wir müssen verhandeln, wir müssen irgendwie den Preis ermitteln. Inzwischen haben wir verhandelt. Ich glaube, die Ergebnisse sind nicht ermutigend. Was uns aber beunruhigt, war und ist doch folgendes. Sie hatten,
    meine Herren — Herr Erler, Herr Carlo Schmid, Herr Ollenhauer —, die Möglichkeit, vor Genf noch mit den maßgeblichen Leuten, auch mit Chruschtschow, unmittelbar in Verbindung zu treten. Ich erinnere mich, mit welch deprimierenden Ergebnissen Sie zurückkamen. Und was ich nun im Grundsätzlichen nicht verstehe, war, das unmittelbar darauf und vor den Verhandlungen in Genf eben dieser Deutschlandplan kam.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Gerade deswegen, Herr Furled)

    Da stehen wir nun an einem entscheidenden Punkt, an einem Prüfpunkt. Wir sind der Meinung, daß man in einem solchen Augenblick auf gewisse Grundforderungen des Gegners, die zu keinem guten Ende führen können, nicht — und sei es auch nur durch Vorschläge — eingehen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Schmid, Sie wissen, das härteste Argument der Russen heißt: „Das ist Sache der Deutschen." Aber das ist doch kein von Ihnen ernstzunehmendes Argument. Kein Russe, auch Chruschtschow nicht, will uns dadurch einen nationalen Weg zur Wiedervereinigung und Freiheit ermöglichen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)

    Das ist doch nur die Abwälzung der Verantwortung, die sie tragen, auf uns.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Wie wollen Sie ihn daran hindern, sich so zu verhalten? Dadurch allein, daß man nicht reagiert, hindert man ihn nicht!)

    — Nein. Aber ich kann sie

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie müssen sich etwas einfallen lassen!)

    auch nicht dadurch hindern und von ihrem Wieg abbringen, daß ich sage: „Ich folge irgendwie diesen Anregungen."

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das ist das Allerschlimmste! Denn wir wissen, daß der „nationale Weg", der Weg der „Sache der Deutschen" entweder zur völligen Abschreibung der Wiedervereinigung in Freiheit oder zu ihrer endgültigen Blockierung führt. Sie kommen hier nicht weiter.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Woher wissen Sie denn das?)

    Infolgedessen können wir nie von der Gesamtverantwortung der Vier heruntergehen. — Sie fragen: „Woher wissen Sie das?" Herr Kollege Schmid, das können wir durchdenken, das sehen wir doch an den Argumenten. Wenn Herr Chruschtschow vor den Gewerkschaftsführern der Vereinigten Staaten — wir kennen alle das Protokoll — auf die Frage: „Warum geben Sie den Deutschen nicht freie Wahlen und die Wiedervereinigung in Freiheit?" sagt: „Das ist Sache der beiden Deutschland!" und damit die Angelegenheit abtut, dann ist doch bewiesen, daß er nicht will. Denn wir beide, und wir



    Dr. Furler
    alle hier im Hause, wissen doch ganz genau, daß die russische Politik einen anderen Weg gehen könnte,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie tut es aber nicht!)

    daß sie doch das Selbstbestimmungsrecht akzeptieren könnte. Ja, glauben Sie, Sie kommen dann dadurch weiter, daß Sie diesen sowjetrussischen Weg akzeptieren?

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Weil ich darin eine Chance sehe! — Oh-Rufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich stelle fest, Herr Kollege Schmid, daß Sie darin eine Chance sehen. Ich möchte nur sagen: nach alledem, was wir geprüft haben, liegt darin nicht die geringste Chance; im Gegenteil, das ist das Ende unserer Wiedervereinigungspolitik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    So können wir auch vor einer großen Gipfelkonferenz nicht taktieren, weil wir nicht sagen können: „Wir wollen hier in eine Situation hineingehen,. in der sich eine Chance bietet." Die Situation ist völlig chancenlos. Die sowjetische Regierung und Pankow wissen doch genau, warum sie diese Argumente bringen, warum sie uns diesen Weg vorschlagen: weil sie wissen, daß er niemals zu einem wirklichen nationalen Weg auf die Wiedervereinigung hinführen kann. Und Sie haben noch kein positives Echo auf die ganzen Vorschläge bekommen! Man hat gesagt: Schön, sehr gut! Das genügt aber noch nicht. Aber man hat Ihnen nie gesagt, daß wir hier irgendwie weiterkommen könnten.
    Ich will auf die Argumente nicht weiter eingehen, ich habe wenig Zeit, ich habe noch andere Dinge zu behandeln. Wir werden uns heute nachmittag noch in extenso über diese Grundfrage unserer politischen Haltung zur Frage der Wiedervereinigung auseinandersetzen.
    Ganz kurz noch. Wir sind der Meinung — und Sie offenbar mit —, daß die Abrüstungsfrage entscheidend ist. Aber auch da kommen wir sofort deshalb in Auseinandersetzungen und Widersprüche hinein, weil wir wieder nicht real handeln. Statt zu sagen: Gut, tut einmal Schritte in dieser großen und kontrollierten Abrüstung, in diesem Weltanliegen!, projizieren wir gleich wieder weit voraus und fangen schon da an, wo Chruschtschow fürsorglich sagt: Wenn der große Plan nicht zustande kommt, dann mache ich meine alten Vorschläge über Disengagement, Sonderzonen und all das. Das sind aber Vorschläge, zu denen die Russen gleichzeitig wieder sagen — sie haben es in der Konferenz deutlich erklärt —: aber niemals mit der politischen Bedingung einer Wiedervereinigung verknüpft.
    Ich möchte nicht lange zitieren; aber ich möchte sagen, was der Präsident des Bundesrates, Herr K a i s e n, hier bei der Vereidigung des Bundespräsidenten erklärt hat. Herrn Kaisen werfen Sie doch sicher nicht vor, daß er die Wiedervereinigung nicht wolle. Er hat gesagt:
    Wir können für die Lösung des Problems
    — die Überwindung der Spaltung in Freiheit
    heute noch keine Zustimmung von Rußland erhoffen; wir können nur von unserer Verbinbindung mit der freien Welt erhoffen, daß wir nicht obendrein von Rußland gleichgeschaltet werden.
    Das ist doch das Problem, ,um das wir bei diesen Konferenzen und diesen Auseinandersetzungen ringen.
    Ich will die ganze Frage der Ostpolitik der Debatte am heutigen Nachmittag überlassen, muß aber jetzt folgendes sagen. Wir müssen bei unseren öffentlichen Auseinandersetzungen stärker berücksichtigen, was in einer freien Aussprache und in Entschlüssen wie dem der Bildung einer Arbeitsgruppe in der zuständigen parlamentarischen Instanz, dem Auswärtigen Ausschuß, gemeinsam erarbeitet worden ist.
    Nun aber zu einigen anderen in diesen großen Zusammenhang gehörenden Fragen; denn unsere Außenpolitik bildet eine Einheit, und die Europapolitik ist ein wichtiger Teil davon. Sie wissen, daß wir konsequent den Weg gegangen sind, Europa einer neuen Form zuzuführen. Die Skeptiker glaubten, wir kämen nicht weiter. Als 1954 die EVG scheiterte, waren alle, waren auch Sie der Meinung, wir seien mit unseren Bemühungen um Europa am Ende. Das Gegenteil war der Fall. Sehr rasch traten neue Gedanken, von uns unterstützt, in den Vordergrund. Der Gemeinsame Markt und Euratom, zunächst sehr skeptisch behandelt, wurden durchgesetzt. Die große Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war am 1. Januar 1958 allen Skeptikern zum Trotz eine politische, eine unwiderrufliche Realität, und seit dem 1. Januar dieses Jahres ist das große Werk mit ersten Zollsenkungen effektiv geworden. In kurzer Zeit ist also ein entscheidender Fortschritt in der wirtschaftlichen, aber auch in der politischen Entwicklung erzielt worden. Wer sich über die Immobilität unserer Außenpolitik beklagt, muß diese Fortschritte in unserer, in der europäischen Außenpolitik erkennen und hierdurch eines Besseren belehrt werden. Ich glaube, wir haben es hier an Mut und Entschlossenheit und auch an Zähigkeit in der Verfolgung unserer Ziele nicht fehlen lassen.
    Man muß die deutsche Außenpolitik immer unter dem Gesichtspunkt der großen deutschen Spaltung, aber auch immer in den Zusammenhängen mit der übrigen Welt betrachten. Ich halte es für notwendig, daß wir den europäischen Weg, den wir in den Verträgen, noch nicht beim Montanvertrag, aber beim Gemeinsamen Markt und bei Euratom, im ganzen Hause gemeinsam gegangen sind, fortsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die große Europäische Wirtschaftsgemeinschaft muß weiterentwickelt werden. In ihr liegt in der Tat die größte europäische Chance. Wir werden hier sehr schwierige Probleme, wie Energiewirtschaftsfragen, gemeinsam und von einer einheitlichen Stelle aus in Angriff nehmen müssen. Eine gemeinsame Außenhandelspolitik ist in der Entstehung.
    4708 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5.. November 1959
    Dr. Furler
    Eine koordinierte Wirtschafts- und Konjunkturpolitik ist im Werden. Ich stelle fest, daß die Tatsachen oft den juristischen Entwicklungen vorauseilen. Die Industrie und die Wirtschaft, alle haben sich auf diesen Großraum der 160 Millionen schon intensiv eingestellt, und ich glaube, wir sind de facto schon weiter, als es der Fall zu sein scheint, wenn wir nur den Vertragstext betrachten. Wir müssen auch die stärkste motorische Kraft, das Europäische Parlament, aktivieren. Es muß größere Zuständigkeiten erhalten, und es muß eine erhöhte Kraft auch dadurch bekommen, daß wir unmittelbare Wahlen zu diesem Parlament durchsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir glauben, daß wir damit den Willen der europäischen Völker, zu einer größeren Einheit zu kommen, noch stärker auswerten können.
    Leider ist es den Sechs nicht gelungen, diesen Weg zusammen mit Großbritannien zu gehen. Dadurch sind gewisse Schwierigkeiten entstanden, die aber nichts mif unserer grundsätzlichen Politik zu tun haben. Wir waren immer der Meinung, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft über sich hinauswirken müsse, daß die große, hier entstehende Kraft auch zur Stärkung des gesamten Europas eingesetzt werden müsse. Und das wird geschehen.
    Die Verhandlungen in der OEEC waren nicht von Erfolg. Inzwischen ist die kleine Freihandelszone im Werden, sie ist noch im Verhandlungsstadium. Ihr erklärter Zweck soll sein, mit der Gemeinschaft der Sechs in ein reales und vernünftiges Verhältnis zu kommen. Wir haben uns gefreut, daß das Programm der Europäischen. Kommission der EWG einen Werg nach vorn weist. Wir haben immer gewollt, daß die Gemeinschaft der Sechs nicht autark werde, daß sie sich nicht abschließe. Und was haben unsere Kritiker gesagt? — Das werdet ihr nie erreichen! Was ist heute das Programm der Kommission? Eine liberale Außenhandelspolitik, eine freiheitliche, aufgeschlossene Haltung allen Ländern Europas gegenüber.
    Ich glaube, daß diese Entwicklung auch geeignet ist, die Schwierigkeiten zu überwinden, die in wirtschaftlicher Beziehung in England und den anderen europäischen Staaten befürchtet werden. Ich habe mich über den Satz in der Regierungserklärung gefreut, durch die Aktivität der Europäischen Kommission sei die Tür zu Verhandlungen aufgegangen. Ich bin der Meinung, man solle durch diese offene Tür auch gehen. Wir wollen, daß Verhandlungen geführt werden; denn wir glauben, daß die multilaterale Assoziation zwischen der großen Gemeinschaft der Sechs und den anderen Staaten allen zum Vorteil sein und die endgültige Überwindung dieser Schwierigkeiten bringen wird.
    Ich darf in diesem Zusammenhang zwei Bemerkungen zu Fragen machen, die von Herrn Ollenhauer so etwas eigentümlich in den Vordergrund gestellt worden sind. Sie betreffen unsere Beziehungen zu Frankreich und zu England. Ich möchte zunächst betonen, daß der neue wirtschaftspolitische Kurs, die neue monetäre, Haushalts- und Devisen-
    lage Frankreichs einen ungeheuren Fortschritt auch im europäischen Bereich bedeutet. Was hat man uns wegen der Sonderklauseln für Frankreich gerügt, die darauf Rücksicht nahmen, daß dort schwierige monetäre und Devisenverhältnisse herrschten. Man hat gesagt: Durch diese Lücke wird eure ganze Gemeinschaft zugrunde gehen. Was hat sich ereignet? Diese Sonderlage ist nicht mehr da. Die Klauseln sind praktisch überholt. Was beim Abschluß der Verträge selbst Optimisten kaum geglaubt haben, ist eingetreten. Wie hat man uns immer kritisiert und argumentiert: Wartet doch mit den Verträgen, bis diese Dinge de facto geregelt sind! — Ja, hätten wir gewartet, wir wären wohl nie zum Zuge gekommen. Aber die Optimisten haben recht behalten. Die französische Wirtschaft ist einen ganz anderen Weg gegangen, als viele damals erwartet haben.
    Diese europäischen Lösungen sind für unsere Außenpolitik natürlich auch deshalb wichtig, weil sie mit dazu beigetragen haben, das deutsch-französische Verhältnis in seinen Grundlagen umzugestalten, weil aus diesen Gemeinschaften auch die deutsch-französische Freundschaft hervorgegangen ist. Ich bin überzeugt: ohne diese grundlegende Übereinstimmung zwischen dem französischen und dem deutschen Volke werden wir auch den großen Kampf um die Freiheit der Deutschen in der Welt nicht durchführen können. Ich bin der Meinung, daß auch die Fragen, die in der Diskussion sind, unsere Freundschaft nicht beeinträchtigen, sondern daß wir zu einer gemeinsamen Linie kommen werden. Dazu wollen wir beitragen. Unser Standpunkt ist klar, und ich bin überzeugt, die andere Auffassung ist nicht so, daß wir in unserer Politik nicht über diese Schwierigkeiten hinwegkommen könnten.
    Und nun zu England! Sie haben gesagt, das deutschenglische Verhältnis sei durch gewisse Aktionen in Schwierigkeiten gekommen. Wir wollen nicht bestreiten, daß es Mißverständnisse gegeben hat. Wir wollen auch nicht bestreiten, daß gewisse Interessengegensätze gerade im Hinblick auf die europäische Entwicklung entstanden sind. Aber wir sind entschlossen, auch das zu überwinden. Ich bin davon überzeugt, daß es im Großen keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Großbritannien und uns gibt, die nicht überwunden werden könnten, die also für dauernd eine Gegnerschaft bedingten. Ich habe schon gesagt, wir wollten alles tun, um die wirtschaftlichen Konsequenzen zu ziehen. Wir wollen aber auch, daß die unmittelbare Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern intensiver wird. Ich bin überzeugt, daß der Besuch des Bundeskanzlers das von uns allen gewünschte Ergebnis mit fördern wird.
    Aber auch hier sollten wir uns in der Politik nach Möglichkeiten umsehen, zusammenzukommen, und nicht gleich mit irgendwelchen Unterstellungen oder Mißdeutungen arbeiten. Dabei ist die schlimmste Unterstellung, wir könnten die Absicht haben, uns mit einem kontinentaleuropäischen Block gewissermaßen über die Weltnotwendigkeiten hinwegzusetzen und diesen Block auch gegen die Vereinigten Staaten von Amerika durchzusetzen. Herr Ollenhauer, davon ist doch gar keine Rede. Lesen Sie jede Erklä-



    Dr. Furler
    rung der Bundesregierung, lesen Sie alles, was dazu gesagt ist! Das Zusammenwirken der Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist eine unveränderliche Grundlage unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sehen auch die europäische Neubildung im großen Zusammenhang mit der westlichen Welt.
    Ich sagte, die deutsche Außenpolitik sei eine große Einheit. Sie hat sich um Berlin, um unsere Sicherheit, um unsere Ansprüche auf Selbstbestimmung für die 17 Millionen zu kümmern, die nicht in Freiheit leben dürfen. Aber sie muß auch die ganze Welt sehen, und ich glaube, wir dürfen auf Aktivität nicht nur in der großen Auseinandersetzung mit Sowjetrußland nicht verzichten. Wir brauchen im Rahmen der Außenpolitik eine aktivere Kulturpolitik, eine Kulturpolitik, die nicht nur im Osten, sondern vor allem auch in den Ländern zwischen den großen Machtzentren sich auswirken muß, die aber auch in den Staaten des Westens wichtig ist — eine Kulturpolitik, die keine falsche Propaganda treibt, sondern eine richtige und zwingend wirkende Selbstdarstellung gibt, die glaubhaft macht, was wir wollen, welche Ziele wir haben, wie sehr wir von den Dingen entfernt sind, die einst in diesem deutschen Raum geschehen sind.
    In diesem Weltzusammenhang muß die deutsche Außenpolitik auch unsere Wirtschaftskraft stärker einspannen, um den Ländern zu helfen, die noch der Hilfe bedürftig sind. Es gibt viele solcher Länder. Ich weiß, wir haben schon viel getan, ich weiß aber auch, daß wir noch größere Verpflichtungen auf uns nehmen müssen und werden, allein und in der Gemeinschaft mit den großen Industriestaaten der westlichen Welt.
    Wenn wir die Außenpolitik in ihren großen Zusammenhängen betrachten, müssen wir am Ende erkennen, daß es ein Erfolg unserer Politik, ein Erfolg der Außenpolitik der Bundesregierung und der staatsmännischen Haltung des Bundeskanzlers ist, daß unsere Bundesrepublik heute diese Stellung in der Welt hat und wir das Ansehen haben, das wir genießen, die Achtung, die uns entgegengebracht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Geltung wurde nach schrecklichen und auch beschämenden Ereignissen in einem kurzen Jahrzehnt erworben. Sie wurde erworben für uns und für das ganze deutsche Volk, für das wir sprechen und für das wir vor allem auch ständig arbeiten.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und bei Abgeordneten der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.25 Uhr bis 15.02 Uhr.)


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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Wir nehmen die unterbrochene Sitzung wieder auf. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.