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ID0308700600

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    2. Zwischenfrage!: 1
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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
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    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier eine sehr ausführliche Darstellung des Herrn Bundesaußenministers über die Vorgänge in der Vergangenheit und gewisse polemische Auseinandersetzungen mit der Opposition gehört, auf die wir im Laufe dieser Debatte noch zurückkommen werden. Wir haben nicht die Möglichkeit gehabt, wie es früher in diesem Hause üblich war, den Text der Ausführungen des Herrn Außenministers kurz vorher kennenzulernen.

    (Abg. Erler: Hört! Hört!)

    Wir sind in diesem Augenblick darauf angewiesen, nur unmittelbar unter dem Eindruck des Gehörten zu argumentieren.
    Ich muß ehrlich sagen, wenn wir uns eine Gesamtübersicht über den Inhalt der Ausführungen des Herrn Außenministers verschaffen wollen, müssen wir feststellen, daß uns dieser Bericht sehr wenig oder gar keinen Aufschluß über die Aktivität der Regierung im Zusammenhang mit den vor uns liegenden internationalen Konferenzen gegeben hat. Ich gebe zu, daß wir dem Herrn Außenminister daraus vielleicht nicht einmal einen persönlichen Vorwurf machen können; denn seitdem sich ein wesentlicher Teil der Außenpolitik der Bundesregierung in der Form von privaten Briefwechseln zwischen dem Herrn Bundeskanzler und westlichen und östlichen Staatsmännern abspielt, sind wir noch viel mehr auf die Ebene der Geheimdiplomatie gekommen,

    (Heiterkeit)




    Ollenhauer
    was so weit geht, meine Damen und Herren, daß nicht einmal das Auswärtige Amt und der Herr Außenminister in Kenntnis der Vorgänge sind, die sich in diesem Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und anderen Staatsmännern abspielen.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP.)

    ich glaube, es wird Ihnen schwerfallen, das hier zuzugeben.

    (Zuruf des Bundesinnenministers Dr. Schröder.)

    — Aber, Herr Minister Schröder, in bezug auf die vollständige Information der Bundesregierung sind Sie ja heute auch mehr ein Schattenkabinett als ein reales Kabinett.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist unbestreitbar, daß wir hier gerade auf dem Gebiete der Außenpolitik eine Ein-Mann-Politik haben, die im parlamentarisch-demokratischen System eigentlich ohne Beispiel und von vornherein in jeder Beziehung abzulehnen ist.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, es wäre besser gewesen, wenn dieser wirkliche Sachverhalt vor dem Parlament nach einer so langen Pause in bezug auf die außenpolitische Diskussion auch dadurch deutlich gemacht worden wäre, daß nicht der Herr Außenminister als Berichterstatter, sondern der Herr Bundeskanzler als der amtierende Außenminister diese Erklärung abgegeben hätte.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Cillien: Kommt vielleicht noch!)

    Diese Methode ist erneut eine Mißachtung des Parlaments — —

    (Beifall bei der SPD. — Lachen und Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Ja, meine Damen und Herren, es tut mir leid.
    Ich verstehe, daß Sie hier etwas empfindlich sind.

    (Lachen und Nein!-Rufe von der CDU/CSU.)

    ich möchte aber hier nur folgendes sagen: wir haben jetzt in der Öffentlichkeit, auch in diesem Hause eine Diskussion über die notwendige Parlamentsreform. Ich glaube, wir können etwas und manches in der Praxis unserer parlamentarischen Arbeit bessern. Aber wenn wir dem unbefriedigenden Zustand, in dem sich unsere parlamentarische Arbeit befindet, auf den Grund gehen, dann werden wir feststellen, daß es sich hier nicht um technische und formale Probleme handelt, sondern einfach darum, daß durch die Willfährigkeit der Mehrheit dieses Hauses

    (Beifall bei der SPD)

    gegenüber der Ein-Mann-Politik des Herrn Bundeskanzlers das Parlament entwertet worden ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Meine Damen und Herren, wir werden ja sehen, inwieweit es gelingt, das Parlament in die kommen-
    den außenpolitischen Verhandlungen wieder einzuschalten. Das wird vor allen Dingen davon abhängen, welchen Beitrag Sie als Mehrheit des Parlaments dazu zu leisten haben. Ich hoffe, Ihr Beitrag erstreckt sich heute nicht nur auf eine Polemik gegen die sozialdemokratische Opposition auf der Ebene, auf die sich soeben der Herr von Brentano in bezug auf den Deutschlandplan begeben hat.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Er hat schon wieder Angst!)

    Ich möchte zunächst auf diesen Punkt nicht eingehen.

    (Abg. Rasner: Ist auch besser!)

    -- Entschuldigen Sie! Sie werden sich noch wundern, Herr Rasner, was dazu zu sagen ist;

    (Beifall bei der SPD)

    denn vielleicht besteht auf diese Weise die Möglichkeit, einen Teil des Hauses auf dieser Seite überhaupt einmal mit dem wirklichen Inhalt des Deutschlandplanes bekanntzumachen.

    (Beifall b d der SPD.)

    Ich möchte aber zunächst über einige Fragen sprechen, die mit der gegenwärtigen internationalen Situation zusammenhängen, weil ich meine, wir haben in dieser Stunde doch noch etwas Wichtigeres zu tun, als eine solche außenpolitische Debatte mit polemischen Bemerkungen zu beginnen.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir stehen in einer internationalen Situation, in der auf beiden entscheidenden Seiten der Weltpolitik der Versuch gemacht wird, durch internationale Verhandlungen auf höchster Ebene zu einer Entspannung zu kommen. Wir haben in der Vergangenheit, vor allem seit der Beendigung der Unterbrechung der Außenministerkonferenz in Genf, eine ganze Reihe solcher Versuche erlebt. Wir haben vor allen Dingen das direkte Gespräch auf Einladung des amerikanischen Präsidenten zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem Ministerpräsidenten der Sowjetunion erlebt. Ich glaube, wir können hier — hoffentlich als gemeinsame Auffassung — feststellen, daß wir solche direkten Gespräche zwischen den maßgebenden Staatsmännern als ein mögliches Mittel der Entspannung in der Welt begrüßen und solche Entwicklung unterstützen, um so mehr, als wir jetzt ja in den Vorbereitungen für das sogenannte Gipfeltreffen der Vier stehen.
    Wir hoffen, daß dieses Gipfeltreffen zustande kommt, obwohl man wohl davon ausgehen muß, daß diese Konferenz keine Konferenz mit abschließenden Resultaten sein kann, sondern der Beginn einer Zusammenarbeit in ,einer Reihe von Konferenzen mit dem Ziel, in den lebenswichtigsten internatonalen militärischen und politischen Fragen zu dauerhaften Vereinbarungen zu kommen.
    Niemand täuscht sich darüber, daß wir es mit schwierigen sachlichen Verhandlungen zu tun haben werden. Auf der anderen Seite .Ist aber unsere Meinung, daß jeder ernsthafte Versuch der Entspan-



    Ollenhauer
    nung zu begrüßen ist, weil eine solche Entspannung im besonderen Interesse des deutschen Volkes liegt. Nur in einer Atmosphäre der Entspannung können unsere Probleme, vor allen Dingen die Probleme Berlin und Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, gelöst werden.
    Wir haben jetzt eine Auseinandersetzung in derinternationalen Politik über den Zeitpunkt und die Tagesordnung der Gipfelkonferenz. Der Herr Bundesaußenminister hat hier erklärt, die Bundesregierung begrüße die Vorbereitung der Gipfelkonferenz und werde sich später hinsichtlich ihrer Stellung in bezug auf Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung schlüssig werden. Ich finde, daß diese Bemerkung etwas sehr zurückhaltend die tatsächliche Aktivität der Bundesregierung repräsentiert durch den Herrn Bundeskanzler, zum Ausdruck gebracht hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn in Wirklichkeit ist ja die Bundesregierung durch den Herrn Bundeskanzler aktiv in die Auseinandersetzung um den Termin und die Tagesordnung eingestiegen.
    Wir sind der Meinung, es liegt im allgemeinen Interesse, daß es zu einem möglichst frühen Termin zu einer solchen Gipfelkonferenz kommt, und wir bedauern es, daß der Herr Bundeskanzler in diese Diskussion eingegriffen und den französischen Staatspräsidenten bei der Hinauszögerung des Termins für die Gipfelkonferenz unterstützt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn es besteht die Gefahr, daß ein zu später Termin die Aussichten für einen Erfolg der Gipfelkonferenz nicht erhöht, sondern vermindert. Es ist ja kein Zweifel, daß der Erfolg einer solchen Konferenz auch von der allgemeinen psychologischen Atmosphäre abhängt, die man nicht beliebig lange vereist lassen kann und in der man den Gefahren von Rückschlägen ausgesetzt ist, wenn wir die Dinge selbst zu lange hinausschieben. Das ist die eine kritische Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang machen möchte.
    Die andere ist die: ich finde, es liegt im Interesse der Sache, wenn die Bundesregierung in der Auseinandersetzung um die Festlegung der Tagesordnung der Gipfelkonferenz Zurückhaltung übt. Der Grund sollten die Erfahrungen in der Vergangenheit sein, die in unser aller Erinnerung sind: daß der, der den Streit um die Tagesordnung solcher Konferenzen zu einem Kardinalpunkt macht, das Zustandekommen solcher Konferenzen überhaupt erschwert.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich finde, es kann nicht die Aufgabe der Regierung der Bundesrepublik Deutschland sein, eine solche Rolle zu spielen. Außerdem müssen wir wohl zur Kenntnis nehmen, daß gewisse Vereinbarungen über die Tagesordnung zwischen dem Präsidenten Eisenhower und Herrn Chruschtschow vorliegen, die man nicht ohne weiteres beiseite schieben kann. Es scheint mir zum Beispiel, man mag das beklagen oder nicht, nicht sehr sinnvoll, eine Diskussion von unserer Seite darüber anzufangen, ob auf der
    Tagesordnung der Gipfelkonferenz auch die Berlinfrage stehen soll. Denn es ist doch außer Zweifel, daß die Vereinbarung der beiden Staatsmänner in diesem Punkte dahin ging, daß man zwar auf der sowjetischen Seite auf den Druck des Termins verzichtete, aber nur gegen die Zusage der amerikanischen Seite, über die Frage Berlin zu verhandeln.
    Ich finde, wir sind in keiner sehr starken Position, wenn wir jetzt dafür eintreten, wie es der Herr Bundeskanzler in einigen öffentlichen Äußerungen getan hat, man solle darauf drängen, daß auf der Gipfelkonferenz überhaupt nur über die Abrüstung gesprochen wird. Ich glaube, eine solche Position ist nicht haltbar. Das wirkliche Problem besteht darin, daß es im Laufe der Verhandlungen der Gipfelkonferenz gelingt, das Berlinproblem wieder in den größeren Zusammenhang der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und des militärischen Status in Europa zu bringen, wenn wir überhaupt zu einer dauerhaften Lösung kommen wollen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das ist nach meiner Meinung die augenblickliche Situation, leider, meine Damen und Herren, muß ich hinzufügen. Vielleicht basiert diese Annahme auf der ungenügenden Kenntnis der Einzelheiten der Verhandlung. Aber dann liegt hier nicht ein Versäumnis der Opposition vor, sondern ein Versäumnis der Regierung, die es nicht für nötig hält, das Parlament auch nur einigermaßen über die Grundzüge ihrer Verhandlungsbasis in dieser Situation zu informieren.
    Ich bin der Meinung, es liegt im primären Interesse der deutschen Politik, daß es zu einer Gipfelkonferenz kommt. Gewiß hat niemand eine Sicherheit dafür, daß sie zum Erfolg führt. Aber der ernsthafte Versuch muß gemacht werden, weil nur auf diese Weise Entspannungen oder Lösungsansätze zu solchen Entspannungen vorbereitet werden können.
    Lassen Sie mich auch einige Worte zu der Frage der Abrüstung sagen, die der Herr Bundesaußenminister in seinem Bericht ebenfalls behandelt hat. Es gibt keine Meinungsverschiedenheit in diesem Hause darüber, daß die Abrüstungsfrage von entscheidender Wichtigkeit für den weiteren Lauf der internationalen Politik ist, einfach deshalb, weil es offensichtlich ist, daß eine Lösung der politischen Probleme ohne Fortschritte in der Abrüstungsfrage kaum möglich ist. Aber umgekehrt ist auch richtig, daß ernsthafte Bemühungen um politische Lösungen gleichzeitig einen Fortschritt in der Abrüstungsfrage erleichtern können. Wenn wir die Gesamtlage heute übersehen, so können wir es immerhin mit einem gewissen Optimismus hinnehmen, daß das Abrüstungsgespräch auf internationaler Basis in Gang ist und unter besseren Vorzeichen angelaufen ist als in der Vergangenheit. Ich denke hier an den Chruschtschow-Vorschlag auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 16. September über die allgemeine und vollständige Abrüstung. Dieser Vorschlag hat immerhin dazu geführt, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen hat, ihn neben anderen bereits eingebrachten Vorschlä-



    Ollenhauer
    gen in der neuen Zehnländerkommission der Vereinten Nationen zu behandeln, und zwar ist dieser Beschluß — ein seltener Fall — mit den Stimmen aller 82 Mitglieder der Vereinten Nationen gefaßt worden.
    Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der sowjetische Ministerpräsident in seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht nur den totalen Abrüstungsplan vertreten, sondern auch die Bereitschaft der Sowjetregierung zum Ausdruck gebracht hat, über Teillösungen, über schrittweise Fortschritte in der Abrüstungsfrage zu verhandeln. Der sowjetische Ministerpräsident hat diese Bereitschaft in seiner Moskauer Rede vom 31. Oktober ausdrücklich bestätigt. Ich möchte, daß wir diese Tatsachen bei dem weiteren Verlauf der Verhandlungen über die Abrüstung im Auge behalten.
    Wir haben neben der Behandlung dieser Frage in der Zehnerkommission der UNO die Wiederaufnahme der Verhandlungen der drei Atommächte über den Versuchsstopp zu verzeichnen; sie ist am 27. Oktober in Genf erfolgt.
    Die Bundesregierung, insbesondere der Herr Bundeskanzler, hat die Vorschläge des sowjetischen Ministerpräsidenten begrüßt. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß sich die Bundesregierung jeder internationalen Vereinbarung über die Abrüstung unterwerfen wolle.
    Unter den gegebenen Umständen genügt eine solche allgemeine Sympathieerklärung für umfassende Abrüstungsmaßnahmen nicht; denn jedermann weiß, daß es zu der sofortigen vollständigen
    Abrüstung nicht kommen wird. Die eigentliche
    Frage, vor die die Bundesregierung in bezug auf die
    Abrüstung gestellt ist, besteht doch darin, ob sie
    bereit ist, auch einer schrittweisen — sachlichen
    oder territorialen — Abrüstung zuzustimmen, ob sie
    bereit ist zur Mitarbeit an solchen Teillösungen.
    Denn praktisch wird dieser Weg der schrittweisen
    Regelungen der einzig mögliche sein, um überhaupt
    ein positives Resultat zu erzielen.
    Das Bedauerliche ist, daß in bezug auf solche schrittweisen Fortschritte in der Abrüstung, sei es in der Sache, sei es vor allem in regionaler Beziehung, die Haltung der Bundesregierung nach wie vor negativ ist. Ihr Standpunkt ist, daß sie keiner Regelung zustimmen könne, die den gegenwärtigen militärischen Status der Bundesrepublik im Rahmen der dafür geltenden Vertragswerke mindern würde. Meine Damen und Herren, wenn das der Standpunkt der Regierung der Bundesrepublik bleibt, ist das praktisch eine negative Entscheidung in der Abrüstungsfrage überhaupt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Angesichts der weltweiten Bedeutung der Abrüstungsfrage, die immer wieder von allen Seiten unterstrichen wird, möchte ich mit allem Ernst erklären, daß wir es auf das tiefste bedauern und im Interesse des deutschen Volkes beklagen würden, wenn die Bundesregierung auch in den kommenden Verhandlungen bei dieser negativen Einstellung bliebe. Ich meine, wir sollen uns nicht nur bereit erklären, auch Teilabmachungen zu akzeptieren, sondern wir sollten selber durch eigene Schritte die Abrüstungsgespräche fördern und damit zur internationalen Entspannung beitragen.
    Es handelt sich hier nicht darum, daß wir irgendwelche, wie man so schön sagt: utopische Vorleistungen .von der Bundesregierung verlangen. Es handelt sich um etwas ganz anderes. Meine Damen und Herren, wir haben hier im März 1958 eine Debatte über das Problem der Aufrüstung und der Abrüstung gehabt. Damals war unser Vorschlag, die Bundesregierung solle, statt atomar aufzurüsten, unter Hinweis auf den Verzicht der Bundesrepublik auf die Herstellung oder Anwendung der sogenannten ABC-Waffe eine Aufforderung an alle sogenannten Nichtatommächte richten, auf die atomare Ausrüstung zu verzichten, damit das Unheil des atomaren Wettrüstens auf den Kreis der Drei beschränkt bleibt. Sie haben damals diesen Vorschlag abgelehnt.
    Heute, anderthalb Jahre später, lohnt sich vielleicht für jeden der Gedanke, ob es nicht eine gute Position der Bundesrepublik gewesen wäre, wenn unsere Regierung mit Ihrer Zustimmung diesen Versuch gemacht hätte ohne irgendein Risiko der Minderung unserer eigenen Sicherheit.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt noch andere Möglichkeiten; auch sie sollte man sich in dieser Lage überlegen. Solche Überlegungen wären ein Beitrag der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich um die Frage: Wäre es angesichts der Verhandlungen über den Atomstopp und über die Beschränkung des Wettrüstens der Drei nicht erwägenswert, daß die Bundesrepublik an die drei heutigen Atommächte mit dem . Vorschlag herantritt, zur Begrenzung des Risikos des atomaren Wettrüstens bis zu einer Vereinbarung über die Einstellung der Atomrüstung keinerlei atomare Ausrüstung an vierte oder fünfte Mächte zu liefern,

    (Beifall bei der SPD)

    und verbindlich erklärt, daß wir uns absolut eindeutig und positiv einer solchen Entscheidung unterwerfen würden.
    Meine Damen und Herren, wo liegt hier eigentlich, auch vom Standpunkt Ihrer Sicherheitspolitik, ein militärisches und politisches Risiko? Warum sind wir eigentlich nicht bereit, in unserer besonderen Lage in dieser Weise einen sichtbaren Beitrag unseres guten Willens in der' Richtung einer Entspannung, erster Schritte der militärischen Rüstungsbeschränkung zu leisten?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich finde, es wäre gar nicht schlecht, wenn die Deutschen einmal in dieser Richtung, nämlich in der Richtung der Beschränkung der Rüstung, aus freiem Entschluß mit gutem Beispiel vorangingen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich mache diese Bemerkung auch deshalb, weil es ein Irrtum ist, anzunehmen, daß man, .wenn die Abrüstungsgespräche überhaupt zu einem Erfolg führen sollen, die Frage der regionalen Rüstungsbeschränkung ausschließen kann. Es ist selbstverständ-
    Deutschet Bundestag 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4697
    Ollenhauer
    lich, daß wir keine Sonderregelung vertreten oder verlangen,. die nur die beiden Teile Deutschlands umfaßt. Das wäre keine denkbare regionale Begrenzung mit irgendeinem Effekt für eine wirkliche Erleichterung der Rüstungssituation. Es ist auch. nötig, klarzustellen, daß jede solche regionale Abmachung keine Schwächung der Sicherheitsposition des Westens mit sich bringen darf.
    Und drittens: Auf diese Weise darf auch keine Verlagerung des militärischen Schwergewichts zugunsten der einen oder der anderen Seite, vor allem nicht zugunsten der Sowjets erfolgen.
    Es ist aber nicht wahr, daß solche Lösungen nicht
    denkbar und nicht zu realisieren seien. Solche europäischen regionalen Lösungen, die diese Voraussetzungen erfüllen und die trotzdem einen wesentlichen Schritt in .der Richtung der Rüstungsbeschränkung und der militärischen Entspannung bedeuten würden, sind denkbar. Wir sind bereit — ich möchte das hier, um nicht zu sehr in 'Einzelheiten zu gehen, von vornherein sagen —, diese These auch im Laufe dieser Debatte erneut zu beweisen und an Sie zu appellieren, doch die Dinge neu zu überdenken, damit wir tatsächlich durch eine aktive Mitwirkung der Regierung der Bundesrepublik zu einer schrittweisen militärischen Entspannung kommen.
    Warum? Weil das deutsche Interesse an einer solchen Teillösung in Europa nach unserer Meinung offensichtlich ist. Nur im Rahmen einer solchen militärischen Entspannung in Europa bestehen Aussichten auf eine akzeptable Lösung des Deutschlandproblems und eine dauerhafte Sicherung der
    Freiheit der Hauptstadt Berlin. Darum kann und darf die Bundesrepublik Diskussionen über solche Teillösungen nicht verweigern. Sie sollte vielmehr ihre ausdrückliche Bereitschaft zum Ausdruck bringen.
    Es gibt heute Leute, die in dieser Diskussion, die sich ja mit. einem heißumstrittenen Thema befaßt, glauben, sie hätten in der Auseinandersetzung mit den Anhängern einer europäischen Teillösung in Mr. Kennan einen neuen Bundesgenossen gefunden. Mr. Kennan hat sich früher sehr nachdrücklich für solche europäischen Entspannungsvorschläge eingesetzt und kürzlich erklärt, er halte unter den gegenwärtigen Umständen die Schaffung von militärischen Entspannungszonen in Europa nicht für möglich.
    Wir haben in manchen Lagern der in dieser Frage politisch Interessierten ein ziemliches Jubelgeschrei über diese Einsicht des Mr. Kennan gehört. Ich glaube aber, man sollte hier sehr vorsichtig sein; denn die Begründung, die Mr. Kennan für. seine heute, skeptische oder negative Einstellung zu dieser Frage gibt, ist eine der schwersten Anklagen gegen die Aufrüsturgspolitik, die in den vergangenen Jahren betrieben worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Kennan setzt nämlich auseinander, daß vor allem die vollständige militärische Integration der Bundesrepublik jede europäische Teillösung außerordentlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht hat.
    Eine solche Feststellung sollten wir sehr ernst nehmen und uns fragen, wie wir diese Hindernisse aus der Welt schaffen können. Denn ich glaube, wir dürfen nicht darauf verzichten, die Frage einer solchen regionalen militärischen Entspannung einmal ernsthaft zwischen West und Ost zur Debatte zu stellen. Die Behauptung der gegenwärtigen Positionen bedeutet von vornherein das Scheitern jedes Versuchs von Entspannung und auch das Scheitern jedes Versuchs einer Lösung der deutschen Frage.
    Ich glaube, es war ein Fehler des Westens — einschließlich der Vertretung unserer Bundesrepublik
    daß man auf der Außenministerkonferenz in Genf nicht auf die Anregung und Anfrage des sowjetischen Außenministers G r o m y k o vom 5. Juni 1959 eingegangen ist. Warum hat man eigentlich in diesem Stadium der Konferenz die Fragen, die Herr Gromyko in bezug auf mögliche Teillösungen gestellt hat, nicht beantwortet? Man hätte das tun sollen, nicht um sowjetische Vorschläge blanko zu akzeptieren, sondern um endlich einmal über die nach unserer Auffassung einzige Möglichkeit zu reden, den toten Punkt in der Frage der Wiedervereinigung zu überwinden. Man hat es nicht getan.
    Wir haben jetzt einen neuen Hinweis in der Rede von Herrn Chruschtschow, daß die Sowjetregierung bereit sei, über schrittweise Lösungen zu verhandeln. Es wäre sehr gefährlich, wenn man auch diese Bereitschaftserklärung in den Wind schlüge. Dabei soll man in diese Verhandlungen nicht mit der Illusion hineingehen, daß keine Probleme vorhanden seien, sondern einfach mit der Überzeugung, daß wir in der internationalen Diskussion über die politischen Probleme nicht weiterkommen, wenn wir diese Frage nicht bis auf den Grund diskutieren, um festzustellen, ob es eine gemeinsame Basis gibt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Außenminister hat heute morgen auch eine Bemerkung über die Deutschlandpolitik gemacht. Er hat die richtige Vorahnung gehabt, daß eines unserer Argumente das sein wird, daß die auswärtige Politik der Bundesregierung in bezug auf die Wiedervereinigung gescheitert sei. Er hat gemeint, er könne diesen Einwand vorwegnehmen. Dabei hat er gesagt, man könne doch bei so entscheidenden Fragen nicht auf Grund kurzfristiger Erfolge oder Mißerfolge zu irgendwelchen entscheidenden Urteilen über die — sagen wir — historische Richtigkeit einer bestimmten Politik kommen. -Entschuldigen Sie, Herr von Brentano, damit haben Sie die Dinge auf den Kopf gestellt, denn die. Position ist ganz anders. Sie sind hier seit Beginn der selbständigen Außenpolitik der Bundesrepublik, seit dem Beginn Ihrer Politik der deutschen Aufrüstung vor das Haus mit der Erklärung getreten, diese Aufrüstung werde uns die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das war doch Ihre These. Es geht hier nicht um kurz- oder langfristige Betrachtungen. Sie müssen uns auf die Frage antworten, ob Ihre Behauptung, Sie würden uns auf diese Weise der Wiedervereini-



    Ollenhauer
    gung näherbringen, im Lichte der Entwicklung aufrechterhalten werden kann oder nicht.

    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano: Ja! — Lachen bei der SPD.)

    — Wenn Sie dazu ja sagen, dann ist jede sachliche Diskussion über diese Frage unmöglich.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das glaubt er ja selber nicht!)

    Dann machen Sie keine Politik, sondern dann wollen Sie recht behalten, um eine bestimmte unhaltbare Position lange über ihre Zeit hinaus aufrechtzuerhalten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Menzel: Das Volk wird die Zeche bezahlen!)

    Ich möchte über dieses Kapitel zunächst nicht mehr sprechen. Ich habe gesagt, daß meine Fraktion bereit ist, gerade auch die Frage der regionalen Begrenzung der Rüstung noch näher zu untersuchen.
    In der zusammenfassenden Stellungnahme meiner Fraktion darf ich jetzt zu der nächsten Frage übergehen. Ich möchte hier unsere Beunruhigung über die Entwicklung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den Westmächten zum Ausdruck bringen. Man hat zwar gesagt, und der Herr Bundesaußenminister hat es heute wiederholt erklärt, es habe in allen Stadien hundertprozentige Übereinstimmung gegeben. Man hat gesagt, es gebe keine Verschlechterung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, und im Verhältnis zu Großbritannien handle es sich nur um geringfügige Meinungsverschiedenheiten, die im persönlichen Gespräch leicht aus der Welt geschafft werden könnten. Meine Damen und Herren, ich glaube, mit solchen Versuchen, eine sehr ernste Entwicklung zu verniedlichen, sollten wir uns hier nicht zufriedengeben.
    Was zunächst das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten angeht, so ist doch unbestreitbar, daß der Herr Bundeskanzler sich jedenfalls in der Auseinandersetzung über Termin und Tagesordnung der Gipfelkonferenz öffentlich gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten gewandt und sich auf die Seite des französischen Staatspräsidenten gestellt hat. Ist das eine Bagatelle? Ist das auf die leichte Schulter zu nehmen? Ist das unterzubringen unter dem Titel: „Es besteht völlige Übereinstimmung zwischen Bonn und Washington!"? Ich weiß nicht, wer das glauben soll und wer das glauben kann.

    (Zuruf von der SPD: Er selber!)

    Wir haben kein Interesse daran, solche Meinungsverschiedenheiten zu dramatisieren; aber noch weniger Interesse haben wir daran, sie zu leugnen, wenn sie offensichtlich sind.
    Nehmen wir den Fall Großbritannien. Da gibt es leider eine ganze Reihe von öffentlichen Äußerungen — von internen will ich gar nicht reden, die wird der Herr Bundeskanzler doch bestreiten —

    (Heiterkeit bei der SPD)

    des Herrn Bundeskanzlers, die die Beziehungen zwischen Bonn und London erheblich belastet haben. Ich will die Liste hier nicht ausdehnen — sie wäre
    sehr lang und sehr interessant —; aber ich denke z. B. an einen sehr typischen Fall, wie der Herr Bundeskanzler einen öffentlichen Angriff auf die britische Regierung gestartet hat wegen irgendeines Nebensatzes in einem Wahlaufruf der Konservativen Partei, der sich auf mögliche spätere Verhandlungen über regionale Rüstungsbeschränkungen bezog.

    (Abg. Schneider [Bremerhaven] : Deswegen haben aber die Konservativen die Wahl gewonnen! — Heiterkeit.)

    — Sicher hat Herr Adenauer da keinen Beitrag geleistet. Wir können sehr gern über die britischen Wahlen sprechen; vielleicht, Herr Schneider, können sie in einigen Punkten auch für Sie sehr lehrreich sein.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Aber ich meine hier jetzt den Herrn Bundeskanzler, nicht die englischen Wahlen.
    Ich möchte noch eine andere Bemerkung machen, Herr Bundeskanzler, und zwar über die Art und Weise, wie Sie damals im April über die „Drahtzieher" gesprochen haben, die angeblich ein Interesse daran hätten, das deutsch-englische Verhältnis zu verschlechtern. Was soll das eigentlich? Sicher haben wir dem Herrn Bundeskanzler keine Stilvorschriften zu machen. Aber es ist doch eine öffentliche Frage unseres Verhältnisses zu Großbritannien, wenn in dieser Weise offensichtlich im Verhältnis zu einem Lande, mit dem uns so viel verbindet, eine solche Belastung eintritt. Vielleicht könnte! man es vergessen sein lassen. Aber die Frage ist: ist es nur ein Zufall, oder steckt dahinter nicht tatsächlich eine politische Vorstellung des Herrn Bundeskanzlers über ein verändertes Verhältnis zu Großbritannien? Vielleicht ist der Herr Bundeskanzler heute der Meinung, daß Deutschland und Frankreich die Führung auf dem Kontinent haben müssen, ohne England, und daß Großbritannien hier nicht mehr führend sein kann.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das glaubt doch keiner!)

    — Bitte, es wäre sehr interessant, wenn wir darüber einige Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers hörten und nicht nur eine Erklärung: „Es ist alles in bester Ordnung, und wenn ich jetzt nach London gehe, werden all die Dinge sicher aus der Welt geschafft werden."

    (Abg. Schneider [Bremerhaven] : Ja, so kommt es doch! — Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, es ist ein merkwürdiger Gegensatz. Auf der einen Seite eine sehr große Überempfindlichkeit des Herrn Bundeskanzlers gegenüber bestimmten Haltungen der britischen Regierung; auf der anderen Seite stehen wir vor der Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler bei sehr bemerkenswerten Äußerungen des französischen Staatspräsidenten oder seines Ministerpräsidenten sozusagen die Nachsicht in Person ist.

    (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit. — Abg. Wehner: Sein altes Verhältnis!)




    Ollenhauer
    Sicher eine Rolle, die dem Herrn Bundeskanzler sehr schwerfällt,

    (Lachen in der Mitte und rechts)

    aber um so bemerkenswerter!
    Der französische Staatspräsident und Herr Debré haben öffentlich wiederholt z. B. die Auffassung vertreten, daß die Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze akzeptiert werden müsse. Offensichtlich ist es auch die Auffassung der heutigen offiziellen französischen Politik, daß man sich wohl oder übel auch mit der Fortdauer der Spaltung Deutschlands abfinden muß. Es ist bemerkenswert, daß das Echo auf diese für die gesamte deutsche Position außerordentlich wichtigen Vorstellungen seitens des Bundeskanzleramtes praktisch ausgeblieben ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Was ist die Folge? Heute kann man landauf, landab hören: Was wundert ihr euch eigentlich, ist es denn nicht denkbar, daß diese Äußerung von Herrn de Gaulle und Herrn Debré mit Wissen des Herrn Bundeskanzlers erfolgt ist?

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung! — Weitere Zurufe und Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, ich halte es für meine Pflicht, hier solche Gerüchte auszusprechen,

    (Abg. Rasner: Verdächtigung!)

    nachdem wir keine andere Möglichkeit hatten, über solche Lebensfragen ernsthaft zu diskutieren.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir hier eine Antwort von Herrn Adenauer bekommen, die alle unsere Zweifel in diesem Punkt aus der Welt schafft.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wir möchten auch wissen — vielleicht bekommen wir die Antwort nicht; trotzdem stellen wir hier die Frage —: Steht denn hinter der offensichtlich unterschiedlichen Behandlung Großbritanniens auf der einen Seite und Frankreichs von heute auf der anderen Seite irgendeine politische Absicht? Gibt es in der Politik, in den Vorstellungen unserer Bundesregierung Pläne für eine kontinental-europäische Koalition, auch um den Preis einer Distanzierung von den Vereinigten Staaten und von Großbritannien

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    und den anderen nicht zu den Sechs gehörenden demokratischen Staaten?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ist das wieder ein Gerücht? Noch nicht mal ein Gerücht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, weisen Sie das nicht so ab! Sie können jedenfalls nicht für die ganze Fraktion sprechen;

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    denn Sie haben in Ihren Reihen Herrn Dr. Jaeger, der ja nicht müde wird, das Kleineuropa der Sechs noch um Franco-Spanien zu erweitern, um auf diese Weise das Reich Karls des Großen wieder auferstehen zu lassen.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: Kalter Kaffee!)

    — Es ist kalter Kaffee, Herr Rasner!

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich halte es für eine völlig verfehlte Politik. Aber leider laufen Sie mit solchen längst überholten politischen Vorstellungen auch sonst noch in der Welt herum.

    (Beifall und Zurufe bei der SPD. — Abg. Dr. h. c. Weber [Essen] : Das glauben Sie ja selber nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Wir sind glücklich über das freundschaftliche Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland,

    (Aha! bei der CDU/CSU)

    und ich glaube, es ist ein wesentlicher Beitrag in der Nachkriegsentwicklung von Europa, daß es möglich war, sehr schwierige Fragen zwischen Frankreich und Deutschland in einer freundschaftlichen Weise zu lösen.

    (Abg. Cillien: Und zwar durch den Herrn Bundeskanzler!)

    Lassen Sie mich aber eines sagen. Diese Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland und unser Bekenntnis dazu schließt nicht eine Blankovollmacht für jede Politik ein, die von den jeweiligen Regierungen in Bonn und Paris gemacht wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Wir wünschen kein Kontinentaleuropa der Sechs, das die volle politische Integration dieses Teiles von Europa auf Kosten unserer Freundschaft und unserer Beziehungen zu anderen europäischen Ländern bringt, vor allem nicht auf Kosten einer umfassenderen europäischen Gemeinschaft. Eine solche Politik würde weder den Interessen Europas noch den Interessen des deutschen Volkes dienen. Wir wünschen eine ernsthafte Anstrengung, unser Verhältnis zu Großbritannien wieder zu einem aufrichtigen und freundschaftlichen zu gestalten, die bestehenden Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und gemeinsame Wege für die Lösung der internationalen und europäischen Probleme zu finden. Da gibt es sachliche Schwierigkeiten; wir brauchen nur EWG und Freihandelszone zu nennen. Wir sind die letzten, die die Problematik dieser Dinge leugnen, aber wir müssen wissen, in welchem großen politischen Rahmen in der Europapolitik sich alle diese Dinge entwickeln sollen. Wir sind der Meinung, wir sollten über diese Frage der speziellen europäischen Zusammenarbeit in der nächsten Zeit einmal hier im Plenum des Bundestages reden. Es gibt da eine Reihe von Dingen, über die wir uns unterhalten sollten.

    Ollenhauer
    Jedenfalls möchten wir auch in diesem Zusammenhang an einen Tatbestand erinnern. Als wir seinerzeit den EWG-Vertrag annahmen, haben wir dies mit der einmütigen Forderung dieses Hauses getan, daß die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ihre Ergänzung in der Schaffung einer Freihandelszone, einer umfassenderen europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit findet. Wir wünschen, daß der damaligen Auffassung und Willenskundgebung des Bundestages auch in der jetzigen Situation Rechnung getragen wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Daß hierüber im Lager der Regierung nicht volle Harmonie herrscht, ist offensichtlich. Davon wüßte Professor Erhard ein Lied zu singen, wenn er wollte und wenn er könnte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Er kann nicht singen!)

    Da gibt es also im Lager der Regierung selbst offensichtlich Schwierigkeiten.
    Unsere Vorstellung ist, daß wir weiterhin den Versuch machen müssen, die Zusammenarbeit in Europa auf der Basis der Sechs als eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu sehen und darüber hinaus diese wirtschaffliche Zusammenarbeit auch auf die anderen nicht an der EWG beteiligten europäischen Länder auszudehnen. Ich finde, die Bildung der sogenannten kleinen Freihandelszone ist eine ernste Warnung für alle, die in der europäischen Zusammenarbeit immer mehr gesehen haben als die möglichst weitgehende Integration der Sechs zu einem Kleineuropa. Wir sollten diese Gefahr abzuwenden versuchen und danach trachten, daß wir zu einer Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über die Sechs hinaus kommen. Wir dürfen unsere Kräfte nicht auf die Vorstellung konzentrieren, es komme jetzt darauf an, über die EWG in erster Linie zu einer politischen Gemeinschaft der Sechs auf dein europäischen Kontinent zu kommen. Das zu diesem Kapitel.
    Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu unseren Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten machen. Auch aus den heutigen Erklärungen des Herrn Außenministers ist hervorgegangen, daß die Bundesregierung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bereit ist, solche diplomatischen Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten aufzunehmen. Wir bedauern das. Wir bedauern es aus dem einfachen Grunde, daß es auf die Dauer eine unmögliche Politik ist, mit einer Reihe von Staaten, mit denen wir zum Teil sogar sehr wichtige gemeinsame Probleme zu erörtern haben, überhaupt keine Beziehungen zu unterhalten. Wir bedauern es, daß die Regierung und die Koalitionsmehrheit, vor allem die CDU/CSU, versucht haben, diese Frage zu einem erstrangigen politischen Problem zu machen,

    (Abg. Majonica: Das haben wir ja gar nicht aufs Tapet gebracht, das ist doch von Ihnen aufgerollt worden!)

    und zwar möchte ich sogar hinzufügen, zum Teil viel mehr unter innenpolitischen Aspekten als mit
    der notwendigen sachlichen Bewertung der außenpolitischen Konsequenzen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Freiherr zu Guttenberg: Sie haben doch den Antrag gestellt!)

    — Jawohl, wir stehen auch dazu! Was wir bedauern, ist die Art und Weise, wie Sie sich seit 1956 mit einem rein sachlichen Anliegen der Opposition auseinandergesetzt haben.
    Wir haben auf unserem Parteitag in München beschlossen, der Bundesregierung zu empfehlen, diplomatische Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern und zu China aufzunehmen. Wenn damals die Bundesrepublik in dieser Richtung eine aktivere Politik betrieben hätte, wären manche Dinge heute leichter zu diskutieren, als es so möglich ist.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Es ist doch durchaus nicht so, daß irgend jemand von uns durch solche diplomatischen Beziehungen eine Anerkennung der kommunistischen Regime in diesen Ländern erreichen wollte oder daß er irgend jemandem eine solche Anerkennung zumutete. Es ist auch nicht so, daß wir durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in strittigen Grenzfragen Dinge vorwegnähmen oder das Pankower Regime anerkennten. Das sind doch alles Dinge, die mit der Forderung, mit jedem Land ohne Rücksicht auf sein inneres Regime normale diplomatische Beziehungen zu unterhalten, überhaupt nichts zu tun haben. Wo kämen wir hin, wenn wir solche Maßstäbe anlegten!

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben es auch sonst nicht getan. Trotzdem ist es nicht möglich, über diese Hürde hinwegzukommen, obwohl wir ja einen Präzedenzfall haben: wir haben diplomatische Beziehungen zwischen Moskau und Bonn. Als der Herr Bundeskanzler die Aufnahme dieser diplomatischen Beziehungen zusagte, kam niemand auf die Idee, darin etwa eine Anerkennung des kommunistischen Regimes in der Sowjetunion zu vermuten. In Moskau gibt es neben der Botschaft der Bundesrepublik eine Botschaft des Pankower Regimes, die bereits vorhanden war, als wir die diplomatischen Beziehungen aufnahmen. Wo ist denn aus diesem Tatbestand die Anerkennung des Pankower Regimes hergeleitet worden?
    Wir haben in bezug auf Fragen, die nach unserer Meinung durch den Friedensvertrag geregelt werden müssen, in Moskau unseren Rechtsvorbehalt schriftlich formuliert niedergelegt. Die Moskauer Regierung hat das zur Kenntnis genommen, und jedermann weiß, daß mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und Bonn in diesen Fragen, z. B. bezüglich der Grenzen, von uns nichts vorweg entschieden oder anerkannt wird. Warum kann man das nicht auch gegenüber anderen osteuropäischen Ländern tun? Warum machen wir nicht einen Versuch, — nicht, um irgend jemandem einen Gefallen zu tun, sondern um uns selber die Mindestvoraussetzungen für die Verhandlungen zu schaffen, die wir mit bestimmten Ländern Osteuropas führen müssen, wenn wir bestimmte wichtige



    Ollenhauer
    Probleme des deutschen Volkes in vernünftiger Weise und auf die Dauer regeln wollen?
    Ich freue mich jedenfalls — das möchte ich hier feststellen —, dabei in Übereinstimmung mit dem zu sein, was der Herr Bundesaußenminister gesagt hat. Niemand denkt daran, unseren Standpunkt aufzugeben, daß die Frage der deutschen Ostgrenzen nur im Zuge von Friedensvertragsverhandlungen gelöst werden kann. Der Anspruch der Heimatvertriebenen auf ihre Heimat als ein elementares Menschenrecht ist unbestritten und unverzichtbar. Schließlich kann man in einer Zeit, in der in aller Welt das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundlage des Verhältnisses der Staaten zueinander anerkannt wird, dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht auf die Dauer nicht verweigern.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich frage Sie: wenn wir in diesen Voraussetzungen einer Meinung sind, wo liegen dann eigentlich die praktischen Hindernisse, hier einen Schritt zu tun?

    (Abg. Majonica: Das wissen Sie doch, Herr Ollenhauer! Darüber werden wir noch sprechen. Das haben wir ja ausführlich miteinander diskutiert, und wir werden es auch noch tun, Herr Kollege!)

    Ich habe es für richtig gehalten, unseren Standpunkt hier noch einmal zu präzisieren,

    (Abg. Majonica: Gut! Wir werden es auch tun!)

    Ich möchte im Anschluß an diese Bemerkung feststellen, daß wir die im Auswärtigen Ausschuß getroffene Verabredung begrüßen, die Problematik dieses ganzen Komplexes in einem Arbeitsausschuß weiter zu untersuchen. Nur möchten wir, daß es mit dem aktiven Willen geschieht, bald zu einer positiven Lösung zu kommen, weil uns das im Interesse der deutschen Politik zu liegen scheint. Ich finde, wir brauchen normale und friedliche Beziehungen nach beiden Seiten, nach Westen und nach Osten, wenn wir die friedliche Zukunft eines wiedervereinigten Deutschlands erreichen wollen.
    Außerdem ist es eine Unaufrichtigkeit in der deutschen Politik, wenn die Industrie der Bundesrepublik auf allen Messen und Ausstellungen in Osteuropa massenweise auftritt, während sich die politische Führung der Bundesrepublik weigert, ihre offiziellen Vertreter in die Hauptstädte dieser Länder zu schicken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir stehen auch heute wieder vor der Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, in ihrer Außenpolitik aktive Schritte in Richtung auf die Abrüstung und auf die schrittweise militärische Entspannung in Europa zu unternehmen, ob sie bereit ist, die Beziehungen zu allen Völkern in der Welt, auch zu Osteuropa, zu normalisieren, ob sie bereit ist, hier nicht nur abzuwarten, sondern gerade im Hinblick auf die kommenden internationalen Konferenzen selber auch die Initiative durch eigene Vorschläge zu ergreifen.
    Ich gebe zu, das bedeutet eine Revision der jetzigen Außenpolitik der Bundesregierung. Wie wir gehört haben, hat Herr von Brentano erklärt, die Bundesregierung sei nicht bereit, eine solche Revision durchzuführen. Ich bedaure das auf das tiefste, weil ich nicht sehe, wie wir sonst überhaupt zu hoffnungsvolleren Aspekten in bezug auf die Entspannung in Europa und die Wiedervereinigung Deutschlands kommen wollen.
    Meine Damen und Herren, es hilft Ihnen nichts, auch nicht die heutige Erklärung von Herrn von Brentano über die Folgerichtigkeit und die Logik der Außenpolitik der Regierung seit 1951. Sie war sicher konsequent. Aber es muß untersucht werden, mit welchem Resultat!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wert oder Unwert, Erfolg oder Mißerfolg der Außenpolitik der deutschen Bundesregierung seit 1949 können vom deutschen Standpunkt aus in erster Linie doch nur am Stand der Aussichten für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gemessen werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt keinen anderen Maßstab, der für das Urteil über die Politik der Bundesrepublik seit 1949 angelegt werden kann. Man kann nicht bestreiten —ich sage das nicht leichten Herzens —: wir sind heute von der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit weiter entfernt als je seit 1949.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Doch nicht durch die Schuld der Bundesregierung!)

    Liebe Kollegin Weber, das ist nicht nur die Folge der Außenpolitik der Bundesregierung. Das sage ich nicht auf Ihren Zwischenruf, das steht in meinem Manuskript; denn ich bin der Meinung, die Verkündung einer solchen Alleinschuld der Bundesregierung wäre unaufrichtig Und wäre falsch.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] Also doch!)

    Aber meine Damen und Herren, wir wissen, was alles für andere Elemente und politische Kräfte zu diesem Resultat beigetragen haben: vor allem -das wissen wir aus den Erfahrungen bis in die letzten Tage — daß z. B. die Machthaber in Pankow in erster Linie an der Erhaltung und Vertiefung der Spaltung Deutschlands interessiert sind, weil sie für sie die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung ihres Diktaturregimes in dem von ihnen besetzten Teil Deutschlands ist.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Darüber gibt es keinen Zweifel, das kann man überhaupt nicht zur Diskussion stellen. In dieser Tatsache liegt auch eine der wesentlichen Ursachen für die weitgehende, erdrückende Ablehnung des Pankower Regimes in der Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone. Das ist die Seite, die wir nicht verkennen und außer acht lassen.



    Ollenhauer
    Ich gehe sogar noch weiter. Es gibt auch starke internationale Kräfte, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    die an der Fortdauer der Spaltung Deutschlands interessiert sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich will mich hier nicht aus 'irgendeine Eitelkeit selbst zitieren. Aber ich darf Sie in diesem Augenblick an die Dezember-Debatte nach der ersten Genfer Konferenz erinnern, in der wir über die damals gegebene Situation gesprochen haben. Wir haben die Regierung darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahren sich aus der Fortsetzung ihres Kurses für Berlin und für unsere Beziehungen zu der Bevölkerung in der sowjetisch besetzten Zone ergeben müssen. Meine Damen und Herren, im Dezember 1955 — lesen Sie selber nach! — haben wir ohne jedes polemische Beiwerk 'darauf hingewiesen: Es kann eine Lage entstehen, in der es um die elementarsten Lebensrechte unserer Berliner und um die primitivsten Beziehungen zu den Menschen in der Sowjetzone geht. Heute stehen wir vor dieser schwierigen Lage; das kann doch niemand bestreiten. Unsere Meinung ist: wir dürfen ihr gegenüber nicht untätig bleiben. Es gibt glücklicherweise noch starke Kräfte in der Welt, vor allen Dingen dm Westen, in der freien Welt, die die Wiedervereinigung Deutschlands aufrichtig wollen. Aber, meine Damen und Herren, wir können vor allem in der Zukunft nicht erwarten, daß sie mehr für die Wiedervereinigung tun, als wir selber zu tun bereit sind.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Hier reichen Bekenntnisse nicht mehr aus. Es kommt darauf an, wie wir in dieser Lageeine Politik der Bundesregierung entwickeln können, die die Tür zu neuen Verhandlungen über die Wiedervereinigung und über die endgültige Sicherung der Freiheit von Berlin offenhalten kann.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber wollen doch die Tür offenhalten!)

    — Es kommt darauf an, mit welchen Mitteln, liebe Kollegin Weber! Sehen Sie, wir sind heute so weit, daß gute Freunde im Ausland — Sie kennen sie alle — uns den Rat geben, um des lieben Friedens willen die Sache der Wiedervereinigung wenigstens für eine absehbare Zeit aufzugeben und die Spaltung Deutschlands hinzunehmen.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Um Gottes willen!)

    Es gibt auch Politiker in Deutschland, die eine solche Haltung heute für die einzige sogenannte realistische Politik halten. Vielleicht lesen Sie gelegentlich mal den „Rheinischen Merkur".

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Da haben Sie das Blatt, das in dieser Beziehung
    wirklich eine Politik vertritt, die mit allen Lebens-
    interessen des deutschen Volkes nach meiner Meinung in krassem Widerspruch steht.

    (Abg. Majonica: Sie verwechseln den „Rheinischen Merkur" mit dem „Vorwärts"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren und lieber Herr Majonica, Sie können alles Mögliche an Kritik gegenüber dem „Vorwärts" sagen; denn das ist ja ein sozialdemokratisches Blatt und kein CDU-Blatt. Aber in der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, in bezug auf die Abwertung dieses größten nationalen Anliegens des deutschen Volkes steht der „Rheinische Merkur" außerhalb jeder Konkurrenz,

    (Beifall bei der SPD)

    und ich bedauere, daß er ein Blatt Ihrer Partei ist.
    Gegenüber solcher Resignation oder auch Spekulation — „Warum können wir es nicht vielleicht so bequemer haben?" — kann es für die deutsche Politik doch nur folgende These geben: daß es keine denkbare internationale Situation geben kann, in der wir es vor unserem Volk und vor allem vor den Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs rechtfertigen und vertreten können, unsere Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands aufzugeben.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Will auch keiner!)

    Die Fortdauer der Spaltung Deutschlands ist auch unvereinbar mit den Interessen der friedliebenden Kräfte, die in Europa und in der Welt für die Entspannung wirken.
    Herr von Brentano hat es für richtig gehalten, in seinen Rechenschaftsbericht einen besonders polemischen Teil gegen die Sozialdemokratie mit Angriffen auf den Deutschland-Plan einzuschalten. Ich bedauere das. Ich hätte gewünscht, wir hätten im Laufe dieser Diskussion die Möglichkeit gefunden, einmal sachlich über die Grundgedanken der Vorschläge des Deutschland-Plans zu diskutieren.

    (Abg. Rasner: Machen wir noch!)

    Ich habe am wenigsten erwartet, daß der Herr Außenminister in dieser Weise gegen unseren damaligen Vorschlag vorgehen würde.

    (Abg. Rasner: Damaligen? Ist erledigt?! Ist schon vorbei?)

    — Ne, ne, ne, so billig können Sie es nicht haben! Das wissen Sie ja selber.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was kostet er denn?)

    Die Darstellung, die Herr von Brentano von unseren Vorstellungen in bezug auf die Zusammenarbeit, in bezug auf die Entwicklung gemeinsamer Organe, vor allen Dingen der verfassunggebenden Nationalversammlung, gegeben hat, war objektiv falsch.

    (Beifall bei der SPD.)

    Vielleicht hat Herr von Brentano das nicht gelesen.

    (Abg. Dr. Menzel: Er ist wieder nicht dal)




    Ollenhauer
    Aber es ist einfach nicht wahr, daß in unserem Deutschland-Plan der Vorschlag enthalten ist, die Nationalversammlung, die die deutsche Verfassung zustande bringen soll, nicht durch direkte, allgemeine und freie Wahlen, sondern durch paritätische Abmachungen zu schaffen. Das steht nicht drin, und ich bitte sehr, Herr von Brentano, uns einmal vorzulesen, wo das steht. Meine Damen und Herren, das hat doch keinen Sinn. Ich muß Ihnen offen sagen, ich war nicht darauf gefaßt, daß Herr von Brentano diese polemischen und :unsachlichen Bemerkungen über unseren Vorschlag machen würde.
    Aber ich hatte mir vorgenomen, hier zu sagen, wie wir zu diesem Plan mit seinen Einzelvorschlägen gekommen sind. Diese Einzelvorschläge müssen wir auch in der zukünftigen Entwicklung, wenn wir den Dingen wirklich sachlich auf den Grund gehen und eine Annäherung der beiden Teile Deutschlands erreichen wollen, noch sehr ernst zur Diskussion stellen, Sie und wir! Ehe Sie also hier in dieselbe falsche Schußrichtung losgehen wie Herr von Brentano, möchte ich Sie bitten, vor der Nachmittagssitzung einmal genau zu lesen, welche Vorschläge in dem Friedensplan der Westmächte, zu dem sich Herr von Brentano bekannt hat, über die innerdeutsche Zusammenarbeit durch die Schaffung eines gemeinsamen Komitees enthalten sind.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Und dann beweisen Sie uns einmal, wo denn die prinzipiellen Unterschiede zwischen diesen Vorschlägen und unseren liegen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica: O ja! — Abg. Rasner: Wir kommen darauf zu sprechen!)

    — Bitte, in diesem Fall werden Sie so freundlich sein, uns das zu ¡beweisen.

    (Abg. Majonica: Das werden wir!)

    Außerdem möchte ich Sie fragen: Warum unterschlagen Sie immer wieder bei jeder Diskussion, auch heute wieder, zwei entscheidende Tatsachen? Sie unterschlagen erstens die Tatsache, daß alle Vorschläge für die schrittweise Zusammenführung der beiden Teile Deutschlands in den Stufen eins und zwei eine verpflichtende Vereinbarung der Vier Mächte über die Aufgaben und Begrenzungen dieser Kommission oder dieses Ausschusses, wie immer wir ihn nennen wollen, voraussetzen.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Rasner: Paritätisch!)

    Und warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß in diesem Deutschlandplan gesagt list: Der erste Schritt der Zusammenarbeit ist nur denkbar bei vorheriger Anerkennung der Grund- und der Menschenrechte in beiden Teilen Deutschlands!?

    (Abg. Majonica: Und der Parität! — Zurufe von der SPD.)

    Sie können sagen: „Das ist illusionär", aber Sie,
    müssen, wenn Sie unseren Plan diskutieren, ihn
    auch wirklich so diskutieren, wie er da entwickelt ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Eine Zwischenfrage!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ernst Majonica


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Ollenhauer, ich habe den Deutschlandplan und auch die Erklärungen sorgfältig gelesen.

    (Zurufe von links: Keine Rede halten! — Eine Frage!)

    — Die Frage kommt jetzt. Im Deutschlandplan heißt es: „die Grundrechte und die Menschenfreiheiten", auf Seite 54 wird nur noch von den „meisten Grundrechten und Menschenfreiheiten" gesprochen, und auf Seite 55 sind Sie dann nur noch bei „gewissen Grundrechten und Menschenfreiheiten" angelangt. Was gilt nun: alle, die meisten oder gewisse?

    (Lachen bei der SPD.)