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ID0308700400

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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Möglichkeit, dem Bundestag einen Bericht über die außenpolitische Lage zu geben. Die Bundesregierung wird gleichzeitig die vorliegenden Fragen beantworten, wobei ich das Einverständnis der Fragesteller unterstelle, die Antworten in den Gesamttext der Regierungserklärung einzubauen.
    Die letzte außenpolitische Debatte im Plenum des Bundestages liegt etwa anderthalb Jahre zurück. In der Zwischenzeit haben die außenpolitischen Aussprachen regelmäßig im Auswärtigen Ausschuß stattgefunden. Ich möchte darum auch davon absehen, über den ganzen Zeitraum zu berichten und alle politischen Ereignisse darzustellen und zu kommentieren, die in die vergangenen 18 Monate fallen. Es genügt, daran zu erinnern, daß in diese Zeit eine ernste Nah-Ost-Krise fiel und daß auch im Fernen Osten durch die Ereignisse in Quemoy die Spannung sichtbar wurde, die die weltpolitische Lage bestimmt.
    Für die deutsche Außenpolitik sind die Grundprobleme die gleichen geblieben. Sie wurden in ihrer ganzen Bedeutung und in ihrer ganzen Gefahr wieder erkennbar durch die Rede des sowjetrussischen Ministerpräsidenten vom 10. November 1958, in der er die Berlin-Note vom 27. November ankündigte. Diese Note und alle Noten, die ihr folgten, beschäftigten sich erneut mit dem Deutschlandproblem, mit der ungelösten Frage nach der deutschen Zukunft, auf die es bisher keine Antwort gab.
    Diese neue sowjetrussische Initiative, oder sagen wir richtiger, diese neue sowjetrussische Drohung, die mit der Forderung nach einer Gipfelkonferenz verbunden war, führte zu einer intensiven und laufenden Beratung zwischen der Bundesregierung auf der einen und den Regierungen der Verbündeten auf
    der anderen Seite. Ich möchte daran erinnern, daß ich bereits am 14. Dezember 1958 mit den Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten in Paris zusammenkam, und ich darf aus der Entschließung vom gleichen Tage zitieren: „Die Außenminister Frankreichs; des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten bestätigen noch einmal die Entschlossenheit ihrer Regierungen, ihre Position und ihre Rechte in bezug auf Berlin und das Recht auf freien Zugang dorthin zu wahren." Wenige Tage später, am 16. Dezember, hat sich der Ministerrat der Nordatlantischen Gemeinschaft zur Berlin-Frage geäußert. Er trat der zitierten Erklärung vom 14. Dezember bei; er unterstrich, daß kein Staat das Recht habe, sich einseitig aus internationalen Abmachungen zu lösen; und er betonte, daß die von der Sowjetunion erhobenen Forderungen eine ernste Lage geschaffen hätten, der mit Entschlossenheit begegnet werden müsse.
    Wenn ich diese Erklärung zitiere, möchte ich im Namen der Bundesregierung dankbar hervorheben, daß in der kritischen Lage, die durch die Note der Sowjetunion geschaffen war, die Allianz mit unseren Verbündeten ihre bisher schwerste Bewährungsprobe bestanden hat. Die drei westlichen Alliierten, die die unmittelbare Verantwortung für Berlin zu tragen haben, zögerten nicht einen Augenblick, sich angesichts der sowjetrussischen Note zu dieser Verantwortung zu bekennen. Die übrigen Mitglieder der Atlantischen Gemeinschaft, die ihrerseits die Garantie für Berlin übernommen hatten, haben sich mit aller Loyalität und ohne Einschränkung zu dieser Garantie bekannt. Für alle Beratungen der folgenden Zeit, die der Genfer Konferenz vorausgingen, und für alle Konsultationen, die bis in die jüngste Zeit mit unseren Alliierten geführt wurden, gilt die gleiche Feststellung. Es war für die politische Entwicklung nach Überreichung der sowjetischen Note vom 27. November 1958 von entscheidender Bedeutung, wie die Reaktion der freien Welt ausfallen würde. Damals wie heute war es sicherlich das unausgesprochene Ziel der Politik der Sowjetunion, den Westen aufzuspalten oder doch seine Widerstandskraft zu erschüttern. Die Sowjetunion hat es in dieser Zeit auch nicht an harten Drohungen fehlen lassen. Und wir wissen, daß sie in ihren Noten eine sehr abwechslungsreiche Sprache führte in dem offensichtlichen Bestreben, Form und Inhalt jeder Note auf die mögliche, oder richtiger gesagt, auf die erwartete Reaktion des Empfängers abzustimmen. Wenn ich hier an dieser Stelle schon die Feststellung vorwegnehme, daß das Ultimatum vom 27. November vorigen Jahres an Bedeutung verloren hat, daß an Stelle des angekündigten einseitigen Vorgehens Verhandlungen traten, die weitergehen werden, so glaube ich sagen zu müssen, daß diese Entschärfung der beunruhigenden Lage, wie sie vor Jahresfrist bestand, ausschließlich der solidarischen Reaktion des Westens zu verdanken ist.
    Es gelang zu Beginn des Jahres 1959, eine Verständigung mit der Sowjetunion über die Einberufung einer Außenministerkonferenz zu erzielen und die Entscheidung über die Gipfelkonferenz hinauszuschieben. Die Bundesregierung hat diese Entwick-



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    lung begrüßt. Denn wir alle wissen, daß die politischen Fragen, die heute das Ost-West-Verhältnis bestimmen und belasten, nicht ohne sorgfältige Vorbereitung, aber auch nicht ohne die Bereitschaft zur Verständigung auf beiden Seiten gelöst werden können.
    Mit besonderer Dankbarkeit gedenke ich hier des verstorbenen amerikanischen Außenministers John Foster Dulles. Trotz seiner schweren Erkrankung hat er sich mit ungebrochener Energie in die vorbereitenden Verhandlungen eingeschaltet. Seine letzte Reise nach London, Paris und Bonn war ein Zeugnis beispielhafter Willenskraft. Er hat entscheidend dazu beigetragen, die Solidarität des Westens zu festigen. Ich möchte ihm auch heute und von dieser Stelle aus für die treue Freundschaft danken, die er dem deutschen Volk bezeigte, und für das große Verständnis, das er unseren schweren Problemen entgegenbrachte.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Die Vorbereitung der Konferenz lag zunächst in den Händen einer Viermächte-Arbeitsgruppe, die in Washington, London und Paris zusammentrat und über ihre Vorarbeiten jeweils den Regierungen berichtete. Sicherlich werden Sie nicht erwarten, meine Damen und Herren, daß ich die Instruktionen im einzelnen bekanntgebe, die der deutschen Delegation auf den Weg gegeben wurden, und Sie werden auch nicht erwarten, daß ich Einzelheiten aus diesen Vorarbeiten hier zur Diskussion stelle. Es ging darum, in einem vollkommen offenen und unbefangenen Gespräch zwischen den unmittelbar beteiligten Regierungen die gemeinsame Ausgangsposition für die bevorstehenden Verhandlungen zu erarbeiten. Ich möchte darauf hinweisen, daß Vermutungen und Berichte über Meinungsverschiedenheiten bei dieser Vorbereitung falsch waren.
    Es ist selbstverständlich und bedarf kaum einer besonderen Betonung, daß eine gemeinsame Basis für diese Verhandlungen mit der Sowjetunion nur gefunden werden konnte, wenn alle Möglichkeiten einer Lösung diskutiert und in dieser Diskussion auch alle Auffassungen zur Kenntnis genommen wurden.
    Aber gerade diese Art der Vorbereitung hat sich hervorragend bewährt. Sie hat es ermöglicht, daß die drei alliierten Regierungen zusammen mit der Bundesregierung mit gemeinsamen Vorstellungen auf die Genfer Konferenz kamen, Vorstellungen, die in dem Friedensplan vom 14. Mai ihren Ausdruck fanden. Sie hat es auch ermöglicht, in der Diskussion mit den Vertretern der Sowjetunion in Genf immer eine gemeinsame Antwort auf die Fragen und die Vorschläge der anderen Seite zu finden. In den langen Wochen der Genfer Konferenz haben sich darum keine Meinungsverschiedenheiten auf der westlichen Seite gezeigt, die es etwa der Sowjetunion erlaubt hätten, die solidarische Haltung des Westens aufzusplittern und Erklärungen und Vorschläge des einen gegen solche des anderen auszuspielen.
    Unmittelbarer Anlaß der Genfer Konferenz — ich sagte es schon — war die Note vom 27. November
    1958. In dieser Note hatte die Sowjetunion erklärt, daß der auf Viermächte-Vereinbarungen beruhende Status Berlins keine Gültigkeit mehr besitze und daß an seine Stelle eine vertragliche Regelung gesetzt werden müsse, für die die Sowjetunion bekanntlich konkrete Vorschläge unterbreitete. Die deutsche Frage wurde in dieser Note nur in der Weise angesprochen, daß die Sowjetunion erneut den Abschluß eines Friedensvertrages mit zwei deutschen Staaten forderte.
    Die Vorschläge über den Status Berlins waren und sind nach der Überzeugung der Bundesregierung unannehmbar. Die Freiheit Berlins ist abhängig von der Aufrechterhaltung der Garantie der westlichen Alliierten. Sie hat bewirkt, daß Berlin frei geblieben ist, das heißt, daß in Berlin die freiheitliche, rechtsstaatliche und demokratische Ordnung herrscht, zu der wir uns alle bekennen. Der sowjetische Vorschlag bezweckt nichts anderes, als diese Freiheit auszuhöhlen und sie jeder wirksamen Garantie zu berauben. Berlin kann und will nicht als sogenannte „Freie Stadt" seine wirtschaftlichen und politischen Bindungen zur Bundesrepublik und zur freien Welt verlieren, weil es dann isoliert und hilflos dem Zugriff des Kommunismus ausgesetzt wäre. Berlin kann und will auch nicht zum selbständigen Staatswesen werden. Die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen seiner Existenz würden damit zerstört. Obendrein würde das deutsche Volk in einer solchen Entwicklung nichts anderes sehen als den Versuch einer neuen Teilung und als eine neue und endgültige Absage an die. Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit.
    Nach der Überzeugung der Bundesregierung gibt es keine endgültige Lösung der Frage Berlin, solange das Deutschlandproblem noch offen ist. Es war also die Aufgabe der deutschen Politik, in den vorbereitenden Verhandlungen darauf hinzuweisen:
    1. daß das Recht der westlichen Alliierten, über die Freiheit Berlins zu wachen, und ihre Pflicht, diese Freiheit zu sichern, nicht durch neue Vereinbarungen und Verträge beschränkt werden dürfen;
    2. daß ungeachtet der staats- und verfassungsrechtlichen Konstruktion Berlin ein integraler Bestandteil des freien Deutschland ist und daß darum seine wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zur Bundesrepublik erhalten bleiben müssen; dazu gehört naturgemäß auch das Recht auf freien Zugang;
    3. daß die Frage Berlin ein Teilaspekt der deutschen Frage ist und eine endgültige Lösung des Berlin-Problems daher nur im Rahmen der Wiederherstellung der deutschen Einheit gefunden werden kann;
    4. daß darum eine isolierte, dauerhafte Lösung des Berlin-Problems nicht denkbar ist.
    Die Bundesregierung vertrat von Anfang an den Standpunkt, daß die Genfer- Konferenz in erster Linie die Aufgabe habe, sich mit der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit zu beschäftigen. Die für die Bundesregierung auch heute noch



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    gültigen und verbindlichen Richtlinien für die Behandlung dieser Frage finden sich in den wiederholten einmütigen Beschlüssen des Bundestages. Ich erinnere an die Regierungserklärung vom 27. September 1951, die die nahezu einmütige Billigung des Bundestages fand; nur die Kommunistische Partei hat sich damals von dieser Entschließung distanziert. Noch am 27. Februar 1955 hat sich der Bundestag erneut einstimmig zu diesen Richtlinien bekannt. Die Berlin-Erklärung vom 29. Juli 1957 entsprach diesen einmütigen Willenserklärungen des Parlaments und brachte den übereinstimmenden Standpunkt der Bundesregierung und der drei Regierungen der westlichen Alliierten erneut zum Ausdruck.
    Ich halte es allerdings für meine Pflicht, namens der Bundesregierung darauf hinzuweisen, daß der von den Regierungsparteien und von den Parteien der Opposition so oft gewünschten und beschworenen Gemeinsamkeit in der Außenpolitik eine wesentliche Grundlage dadurch entzogen wurde, daß die Opposition den früher von ihr eingenommenen Standpunkt aufgegeben hat.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    So war es in letzter Zeit nicht mehr möglich, zu gemeinsamen Entscheidungen in dieser Frage zu kommen. Die Entschließungen des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1958 und vom 1. Oktober 1958 beschäftigen sich mehr mit der Frage der Prozedur als mit dem materiellen Problem als solchem. Auf die von der Fraktion der FDP gestellte Frage möchte ich allerdings eindeutig antworten, daß die Bundesregierung sich unablässig bemüht hat und sich auch l weiterhin bemühen wird, im Sinne dieser Entschließungen zu handeln. Sie würde es aufrichtig begrüßen, wenn die Sowjetunion ihren unverständlichen Widerstand gegen die Einsetzung einer von den vier Mächten gebildeten ständigen Kommission aufgäbe, deren Aufgabe es sein sollte, gemeinsame Vorschläge zur Lösung der deutschen Frage zu erarbeiten. Die Bundesregierung hat diese Auffassung auch während der Vorbereitung der Genfer Konferenz und in Genf selbst vertreten; der westliche Friedensplan vom 14. Mai 1959 trägt diesem Gedanken Rechnung.
    Für die Behandlung der Berliner Frage besteht erfreulicherweise auch heute noch eine weitgehende, ja, vielleicht sogar nahezu uneingeschränkte Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung und den Fraktionen des Hohen Hauses. Dazu hat die gute Zusammenarbeit beigetragen, die während der ganzen kritischen Zeit zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung bestanden hat, eine Zusammenarbeit, für die ich besonders dankbar bin.
    Diese Feststellung vermag ich aber bedauerlicherweise nicht mehr mit der gleichen Eindeutigkeit für den Fragenkomplex zu treffen, der die Wiederherstellung der deutschen Einheit zum Gegenstand hat. Das ist um so bedenklicher, als wir uns alle wohl darüber einig sind, daß die Lösung des Berlin-Problems und die Antwort auf die Frage nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit in einem inneren unlösbaren Zusammenhang stehen.
    Die Bundesregierung ist nach wie vor davon überzeugt, daß die Wiedervereinigung des deut-
    schen Volkes nur in der Weise stattfinden kann und stattfinden darf, daß dem ganzen deutschen Volk, also auch den 17 Millionen Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone, das Recht zur freien Selbstbestimmung zurückgegeben wird.

    (Beifall in der Mitte und rechts und bei der SPD.)

    Dieses Recht wird von den Vereinten Nationen und damit auch von der Sowjetunion für alle Völker gefordert, gleichgültig wo sie leben, gleichgültig auf welcher Entwicklungsstufe sie sich befinden. Es ist ein Akt der Ungerechtigkeit und der Willkür, dieses Recht der Selbstbestimmung für die einen zu fordern und es den anderen zu verweigern.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Die Bundesregierung ist sich darum auch der Unterstützung aller freien und selbständigen Völker der Welt — gleichgültig ob sie einem der westlichen Bündnissysteme angehören oder nicht — sicher, wenn sie für das ganze deutsche Volk, also auch für die Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone, die Verwirklichung dieses Selbstbestimmungsrechts fordert.
    Dieses Recht findet seinen sichtbaren Ausdruck in der Durchführung freier Wahlen als dem unmittelbaren freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Insoweit — ich betone: insoweit — stehen also freie Wahlen, die nach der Beseitigung der nicht in deutscher Zuständigkeit liegenden Hindernisse stattfinden müssen, am Beginn der Wiedervereinigung.
    Das Recht der Selbstbestimmung, das Recht auf freie Wahlentscheidung, hat aber nur dann einen Sinn, wenn es dem befragten Volk die Möglichkeit gibt, seine innere Ordnung entsprechend dem frei geäußerten Willen selbst und ohne Einmischung von außen zu bestimmen. Keine fremde Regierung ist berechtigt, dieses Recht mit Auflagen zu ver- binden oder Bedingungen zu stellen; die freie Entscheidung würde sonst zur Farce, die Stimmabgabe wäre nichts anderes als die Bestätigung fremden und nicht die Äußerung eigenen freien Willens.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Freiheit, die innere Ordnung zu bestimmen, läßt sich aber auch nicht von der Freiheit trennen, die äußeren Beziehungen zu regeln und den Standort zu bestimmen, den das deutsche Volk einnehmen will.
    Die Bundesregierung bedauert es aufs tiefste, daß diese, wie ich glaube, selbstverständlichen Vorbedingungen heute in der politischen Diskussion des deutschen Volkes zumindest umstritten sind. Die Bundesregierung ist aber nach sorgfältiger Prüfung nicht bereit, diesen Standpunkt aufzugeben, und sie hofft, daß der Bundestag ihr folgen wird.
    Diese Forderung nach uneingeschränkter Freiheit für das deutsche Volk bedeutet in keiner Weise, daß es die Bundesregierung heute oder eine frei



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    gewählte deutsche Regierung morgen ablehnen würde, ihre Beziehungen zur Umwelt so zu gestalten, daß damit auch den legitimen Interessen der anderen Nationen, insbesondere der Nachbarländer Rechnung getragen wird. Niemals hat es die Bundesregierung abgelehnt, sich in ein Ordnungssystem einzufügen, das zu einem Ausgleich der widerstreitenden Interessen beiträgt. Alle Entscheidungen, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren getroffen hat, unterstreichen diese Bereitschaft; wir sind auf dem europäischen Kontinent im Begriff, neue Formen des Zusammenlebens der beteiligten und benachbarten Völker zu verwirklichen. Die Bundesrepublik hat niemals gezögert, in eine solche Gemeinschaft Teile der staatlichen Souveränitätsrechte einzubringen, und sie ist auch heute bereit, auf diesem Wege weiterzuschreiten. Das gleiche gilt von dem Atlantischen Bündnis. Wir sehen in der NATO keineswegs ein Instrument, das nur der militärischen und strategischen Zusammenarbeit zum Schutze der Freiheit dienen soll. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die politischen Aufgaben, die dieser Allianz gestellt sind, nicht weniger wichtig sind. Gerade als Antwort auf die Vorwürfe und Verdächtigungen der Sowjetunion gegen die Haltung der Bundesregierung möchte ich noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß alles das, was geschehen ist, um zu einer engeren Zusammenarbeit mit den freien Völkern des Westens zu gelangen, gleichzeitig auch geeignet ist, die Behauptung zu widerlegen, daß Deutschland aggressive Absichten verfolge und daran denke, seine politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Die wirtschaftliche Bindung in der Gemeinschaft für Kohle und Stahl, im Gemeinsamen Markt und in der Atomgemeinschaft, die politische und die militärische Bindung in der Westeuropäischen Union und in der NATO müßten gerade diejenigen überzeugen, die die Gefahren einer möglichen deutschen Gewaltpolitik beschwören.
    Deutschland wird es niemals ablehnen, sich an Vereinbarungen und Verträgen zu beteiligen, die die Unabhängigkeit und Sicherheit anderer Staaten garantieren, wenn sie gleichzeitig die Freiheit und die Sicherheit des deutschen Volkes gewährleisten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Klarstellung, meine Damen und Herren, schien mir nötig, weil die Bundesregierung nach den Instruktionen gefragt wurde, die sie ihren Entscheidungen vor und während der Genfer Konferenz zugrunde legte.
    Das wesentliche Ergebnis dieser Beratungen war der von mir schon erwähnte Friedensplan vom 14. Mai 1959. In diesem Dokument wurde der Versuch unternommen, die Lösung der offenen Fragen miteinander zu verbinden, einen Stufenplan aufzustellen und in diesen Plan sowohl die Wiederherstellung der deutschen Einheit als auch das Problem der Sicherheit und erste Maßnahmen zur Durchführung eines großen Abrüstungsabkommens einzubauen. Ich darf sagen, daß diese Vorschläge tatsächlich ein Maximum an westlicher Konzessionsbereitschaft darstellten und daß sie deswegen nur
    als geschlossenes Ganzes zur Diskussion gestellt werden konnten.
    Leider ließ die Genfer Konferenz schon in ihrer ersten Phase erkennen, daß die Sowjetunion nicht bereit war, ein ernsthaftes Gespräch über die offenen politischen Fragen zu führen. Ihre Antwort auf den westlichen Friedensplan war die Wiederholung ihres Vorschlages, einen Friedensvertrag mit zwei deutschen Staaten abzuschließen. Es war unschwer zu erkennen, daß es der Sowjetunion mit ihren Vorschlägen und der These des Bestehens zweier deutscher Staaten überhaupt nur darauf ankam, den derzeitigen Zustand mit dem Schein der Legitimität zu versehen.
    Ich glaube, daß ich in diesem Bericht darauf verzichten kann, den Ablauf der Genfer Konferenz im einzelnen zu schildern. Alle Dokumente sind inzwischen veröffentlicht, und ich beschränke mich darauf, einige wesentliche Punkte hervorzuheben:
    Bereits am 21. Mai 1959 hatte der sowjetrussische Außenminister Gromyko erklärt, auf der Genfer Konferenz über die Wiedervereinigung zu reden, hieße die Zeit unnötig verschwenden. Auch in den persönlichen Gesprächen, die ich in Genf mit dem sowjetrussischen Außenminister führte, hat er diesen Standpunkt unverändert betont und wiederholt.
    Aber diese völlig negative Einstellung veranlaßte die westlichen Alliierten nicht, ihren Plan aufzugeben oder zu revidieren. An dem inneren Zusammenhang zwischen der Lösung der Berlin-Frage und der Deutschland-Frage hielten die westlichen Verhandlungspartner fest. Sie unternahmen es in der zweiten Phase der Genfer Verhandlungen allerdings, zunächst einmal die Regelung des brennendsten Problems vorzuschlagen, und sie konzentrierten sich auf die Frage, die die Krise ausgelöst hatte: die Berlin-Frage. Damit schien die Konferenz in ernsthafte Beratungen einzutreten, und tatsächlich konnten die ersten Erklärungen des sowjetrussischen Außenministers die Hoffnung erwecken, daß er zum Abschluß konkreter Vereinbarungen über Berlin bereit sei. Das veranlaßte uns, gemeinsam mit den Alliierten Vorschläge auszuarbeiten, die den Status Berlins bis zur Wiedervereinigung klären sollten. Diese Vorschläge waren mit gewissen Konzessionen verbunden — ich möchte das nicht verschweigen —, Konzessionen, die sachlich vielleicht bis an die Grenze des Möglichen gingen, aber diese Grenze nicht überschritten haben. Es gilt dies auch von dem letzten westlichen Vorschlag, der am 28. Juli 1959 dem sowjetrussischen Außenminister unterbreitet wurde.
    Leider durchkreuzte der sowjetrussische Außenminister auch diese Bemühungen, indem er willkürlich ein Junktim zwischen einer Lösung des Berlin-Problems und der Bildung eines paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen Ausschusses herstellte. Aufgabe dieses Ausschusses sollte es sein, innerhalb einer bestimmten Frist den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland vorzubereiten. Dieser Vorschlag, auf dessen politische Bedeutung ich noch zurückkommen werde, war verbunden mit der Drohung, nach Ablauf dieser Frist einen



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    1 Separatfrieden mit der Regierung der Sowjetzone abzuschließen. Auch das Alternativangebot, die Zugänge nach West-Berlin bis zur Wiedervereinigung zu garantieren, war an die Bedingung geknüpft, den sowjetrussischen Vorschlag einer „entmilitarisierten freien Stadt" zu akzeptieren. Damit war die Sowjetunion auf den Inhalt ihres Ultimatums vom 27. November 1958 zurückgegangen, und es blieb nichts anderes übrig als eine Vertagung der Konferenz.
    Ich glaube, daß ich es mir ersparen kann, die Bemühungen im einzelnen zu schildern, die unermüdlich in Genf unternommen wurden, um zu einer tragbaren Verständigung zu kommen. Ich möchte aber diesen Bericht nicht abschließen, ohne der vertrauensvollen und freundschaftlichen Zusammenarbeit zu gedenken, die vielleicht der stärkste Eindruck, aber auch das wichtigste positive Ergebnis der langwierigen Beratungen war. Die Besprechungen zwischen den westlichen Außenministern selbst und ihren Beratern waren in jeder Phase der Verhandlungen ebenso aufrichtig wie befriedigend.
    Immerhin hat die Genfer Konferenz dazu geführt, daß der unmittelbare Druck von Berlin genommen wurde. Immerhin haben die vier Außenminister in den letzten Tagen der Genfer Konferenz eine Vereinbarung darüber getroffen, die unterbrochenen Abrüstungsverhandlungen wiederaufzunehmen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung gerade auch an dieser Entwicklung und Entscheidung mitwirken konnte.
    Die Beratungen in Genf standen vor dem Abbruch, als bekannt wurde, daß der Präsident der Vereinigten Staaten den sowjetrussischen Ministerpräsidenten zu einem Besuch nach Washington eingeladen habe. Die Bundesregierung hat diese Initiative des amerikanischen Präsidenten begrüßt. Die gefährliche weltpolitische Lage verlangt und rechtfertigt jede ernsthafte Initiative, um das Gespräch fortzusetzen und Lösungsmöglichkeiten zu erörtern. Sie wissen, daß der Präsident der Vereinigten Staaten vor Aufnahme seiner Gespräche nach Europa kam, um mit den Regierungschefs in Bonn, London und Paris und mit anderen maßgeblichen europäischen Staatsmännern Fühlung aufzunehmen, um sie über seine Vorstellungen und Absichten zu informieren und um ihren Rat und ihre Meinung einzuholen. Die Bundesregierung hat diese Art der unmittelbaren Konsultation aufrichtig begrüßt. Der Empfang, der dem amerikanischen Präsidenten auf deutschem Boden zuteil wurde, war sicherlich ein überzeugender Ausdruck der Freundschaft und des Vertrauens, die das deutsche Volk dem amerikanischen Volk und seiner Regierung entgegenbringt.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Die Gespräche, die in Bonn geführt wurden, bestätigten die volle Übereinstimmung in der Beurteilung der Lage, in der Beurteilung des politisch Möglichen und des politisch Notwendigen. Auch über die Verhandlungen, die Präsident Eisenhower im Anschluß daran in London und Paris führte, wurde die Bundesregierung unterrichtet,
    und ich kann die Feststellung der völligen Übereinstimmung auch auf diese Gespräche ausdehnen. Ich füge hinzu, daß, wie Sie wissen, der Präsident der Vereinigten Staaten nicht die Absicht hatte, mit dem sowjetrussischen Regierungschef zu verhandeln, sondern daß es seiner Vorstellung entsprach, im Gespräch den Standpunkt der anderen Seite kennenzulernen und sich über die Möglichkeiten künftiger internationaler Verhandlungen zu unterrichten.
    Sie werden von der Bundesregierung nicht erwarten, daß ich die uns zugegangenen Berichte im einzelnen bekanntgebe. Aber ich lege Wert auf die Feststellung, daß bei den Unterredungen, die zwischen den beiden Regierungschefs geführt wurden, der gemeinsame Standpunkt des Westens voll zur Geltung kam und daß keine Vorschläge oder Lösungsmöglichkeiten diskutiert wurden, die mit der gemeinsamen Politik oder mit den besonderen Interessen des deutschen Volkes unvereinbar wären.
    Sie kennen das Ergebnis dieser Verhandlungen: Es wurde vereinbart, eine Gipfelkonferenz einzuberufen, ohne daß bisher Ort, Zeitpunkt, Teilnehmerkreis und Tagesordnung bestimmt wurden; die diplomatischen Verhandlungen, die diese Einzelpunkte klären sollen, sind im Gange. Die Bundesregierung begrüßt diese Entscheidung. Sie stellt mit Befriedigung fest, daß es gelungen ist, die Drohung auszuräumen, die in der sowjetischen Note vom 27. November 1958 enthalten war. Künftige Verhandlungen über Berlin werden von der gegebenen Rechtslage ausgehen; die Ausgangsposition wird also — vielleicht nicht politisch, wohl aber rechtlich — die gleiche sein, wie zu Beginn der Genfer Konferenz. Ich sage das ausdrücklich, weil es der bisherigen Verhandlungspraxis der Sowjetunion entspricht, Vorschläge und Konzessionen, die in der Erwartung einer gegenseitigen Verhandlungsbereitschaft gemacht werden, bereits als endgültig zu kassieren, ohne sie zu honorieren.
    Zu den Vorfragen der Konferenz kann die Bundesregierung heute noch keine Stellung nehmen. Es genügt die wiederholte Feststellung, daß die Bundesregierung den Entschluß begrüßt, eine Gipfelkonferenz abzuhalten, und sie behält sich für Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung ihre endgültige Stellungnahme vor. Allerdings möchte ich schon jetzt darauf hinweisen, daß eine gute und sorgfältige Vorbereitung einer solchen Konferenz unerläßlich ist. Die Bundesregierung glaubt, daß die Abrüstungsfrage auf dieser Konferenz das zentrale Problem sein sollte.
    Der. Bundeskanzler und die Sprecher der Bundesregierung haben ja schon wiederholt darauf hingewiesen, daß nach ihrer Überzeugung die Abrüstungsfrage den Vorrang vor allen anderen einnehmen soll. Wir alle spüren mit steigender Sorge, daß die Rüstungsanstrengungen in allen Teilen der Welt dazu beitragen, die Spannung und das Mißtrauen zu erhöhen und die Angst vor einer scheinbar unausweichlichen Katastrophe zu vergrößern. Man mag darüber diskutieren, ob diese Entwicklung Ursache oder Folge der politischen Unord-



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    nung ist, in der wir leben und die gerade in Europa in der tragischen Zerreißung des deutschen Volkes einen sinnfälligen Ausdruck findet. In jedem Falle aber sollte die Welt versuchen, ein konkretes Abrüstungsprogramm aufzustellen und erste Maßnahmen im Bereich der Abrüstung zu beschließen und zu verwirklichen. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß auf diesem Wege, ja, vielleicht nur auf diesem Wege die politischen und psychologischen Voraussetzungen für ernste Verhandlungen über die politischen Probleme geschaffen werden können. Das ist auch der Grund, warum die Bundesregierung und warum der Bundeskanzler — in seinen letzten Erklärungen — auf die Notwendigkeit der Abrüstungsverhandlungen mit besonderem Nachd ruck hingewiesen haben.
    Überraschenderweise wurde in diesem Zusammenhang eine Kritik geäußert, daß einzelne dieser Erklärungen oder Briefe einen Hinweis auf die deutsche Frage vermissen lassen. Diese Kritik ist unveranlaßt, und sie ist unverständlich. Die Bundesregierung hat es doch sicherlich nicht nötig, in jeder Erklärung, die sie abgibt, etwas Selbstverständliches zu wiederholen: die unverzichtbare und dringende Forderung des ganzen deutschen Volkes nach Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit und nach Anerkennung des Rechtes der freien Selbstbestimmung für das ganze deutsche Volk.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir kennen alle die Behauptung, die zuweilen von der Opposition aufgestellt wird und die wir auch sicherlich heute hören werden: Die Politik der Bundesregierung in der Frage der Wiedervereinigung habe versagt. Das deutsche Volk sei diesem Ziel nicht nähergekommen, und darum sei es an der Zeit, diese Politik zu revidieren. Es sei notwendig, neue Pläne zu entwickeln und neue Vorschläge zu erarbeiten, nachdem es sich gezeigt habe, daß die Sowjetunion einer Wiedervereinigung auf der Grundlage der bisher gemachten Vorschläge ihre Zustimmung verweigere.
    Solche neuen Vorschläge sind tatsächlich auch gemacht worden. Wir finden sie in dem bekannten Deutschland-Plan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und auch in Anregungen, die aus den Kreisen der Freien Demokratischen Partei stammen. Ich halte es für notwendig, in diesem Zusammenhange einem gefährlichen Denkfehler entgegenzutreten, der geeignet ist, zu einer echten Verwirrung zu führen.
    Die Feststellung, daß die Frage nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit noch immer unbeantwortet ist, ist objektiv ,sicherlich richtig. Die Behauptung aber, diese Feststellung beweise, daß die Politik der Bundesregierung falsch ,gewesen sei, enthält eine unbegreifliche Unlogik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Kurzfristige Erfolge oder Mißerfolge sind sicherlich wichtige Kriterien für die Beurteilung einer politischen Konzeption. Wenn sie allerdings die einzigen Kriterien wären, dann würde dies bedeuten, daß immer derjenige recht haben würde, der sich der
    Erfüllung einer politisch und moralisch gleicherweise berechtigten Forderung entgegenstellt.
    Daß wir immer noch im geteilten Deutschland leben, daß noch immer 17 Millionen deutscher Menschen in einem politischen System leben müssen, das sie ablehnen, daß man diesen 17 Millionen Menschen bis zur Stunde noch das Recht auf Selbstbestimmung und auf Menschenwürde streitig macht, daß die Stadt Berlin noch heute unter dem Druck der sowjetrussischen Bedrohung lebt, — alles das ist nicht ein Beweis dafür, daß die Politik der Bundesregierung und ihrer Alliierten in der Vergangenheit falsch war. Das alles ist vielmehr ein Beweis dafür, daß die Sowjetunion es bis zur Stunde ablehnt, über die berechtigten Forderungen eines Volkes von nahezu 70 Millionen Menschen auch nur zu diskutieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im Namen der Bundesregierung möchte ich nachdrücklich und eindringlich davor warnen, diese bedrückende Entwicklung etwa zum Anlaß zu nehmen, die eigene Position aufzugeben und sich schrittweise den kommunistischen Forderungen zu nähern und zu beugen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Selbstverständlich wissen wir alle, daß wir die Wiedervereinigung haben können: Dann nämlich, wenn wir bereit sind, uns aus dem Schutzverband der freien Welt zu lösen, unsere politischen, unsere wirtschaftlichen und unsere geistigen Beziehungen zu diesem Teil der Welt zu lösen, um uns in den sowjetrussischen Machtbereich einzufügen und die dort gültige politische Ordnung, den Kommunismus, zu übernehmen.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Ich warne vor der Gefahr, die darin liegt, die begreifliche Ungeduld und die berechtigte Unruhe, die viele von uns bewegen, zum ausschließlichen Motor unserer Entscheidungen werden zu lassen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    In der Auseinandersetzung, in der wir stehen, geht es zunächst um Fragen, auf die es nur eine eindeutige Antwort gibt. Über den Begriff der Selbstbestimmung als Ausdruck und Voraussetzung staatsbürgerlicher Freiheit und rechtsstaatlicher demokratischer Ordnung kann man keine Kompromisse schließen. Darum ist auch das Wort vom gesamtdeutschen Gespräch im Letzten nichts anderes als eine zynische Lüge. Glaubt wirklich jemand, daß man über die Auslegung absoluter Begriffe mit einigen weisungsgebundenen Funktionären verhandeln und Kompromisse schließen könne?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Glaubt wirklich jemand, daß wir, für die die Freiheit ein solcher absoluter Begriff ist, der keine Einschränkungen und Begrenzungen duldet,

    (Lachen bei der SPD)

    uns im Gespräch mit den Machthabern der Zone
    auf halbem Wege treffen könnten? Gibt es jemanden, der ernstlich glaubt, daß es diesen Menschen



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    überhaupt um die Wiederherstellung der Einheit in Freiheit geht? Wir wissen doch aus zahllosen Erklärungen, was sie wollen, aus Erklärungen, die leider auch von sowjetrussischer Seite abgegeben wurden. Ich erinnere hier an die Rede, die der sowjetrussische Regierungschef am 5. März 1959 in Leipzig gehalten hat, eine Rede, die die uneingeschränkte Zustimmung der Vertreter der Sowjetzone gefunden hat, da in ihr eine Übertragung des kommunistischen Systems auf Gesamtdeutschland als Voraussetzung der Wiedervereinigung gefordert wurde.
    Mit Bedauern stelle ich fest, daß sich auch in diesem Punkt ein Wandel in der Auffassung der Opposition vollzogen hat. Es ist doch wohl ein weiter Weg von den Erklärungen des Stuttgarter Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bis zu ihrem Deutschland-Plan. Damals, am 14. Juli 1956, hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ausdrücklich festgestellt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit nicht durch Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der Regierung der sowjetisch besetzten Zone erreicht werden könne. Solange die Regierung der sowjetisch besetzten Zone nicht aus allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Wahlen hervorgegangen sei, könne die Bundesregierung zu ihr auch nicht normale Beziehungen aufnehmen, weil bei der Knebelung der staatsbürgerlichen Freiheit im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands nicht die Bevölkerung der Zone als Gesprächspartner auftreten könne. Das war das Ergebnis des Parteitages von 1956. Der Deutschland-Plan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands dagegen befürwortet die Bildung einer gesamtdeutschen Konferenz. Beide deutsche Regierungen sollen Beauftragte auf der Grundlage der Parität entsenden. Diese gesamtdeutsche Konferenz soll in der zweiten Stufe durch einen in beiden Teilen Deutschlands je zur Hälfte gewählten gesamtdeutschen parlamentarischen Rat ersetzt werden. Aufgabe dieses gesamtdeutschen parlamentarischen Rates soll es sein, ein Gesetz für die Wahl einer verfassunggebenden Nationalversammlung zu erlassen, die die gesamtdeutsche Verfassung beschließen soll. Von allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen ist in diesem Plan erst die Rede im Zusammenhang mit der Bildung eines gesamtdeutschen Parlaments nach Inkrafttreten der gesamtdeutschen Verfassung.

    (Zurufe von der SPD: Na und?)

    Die Bundesregierung will und darf keine Zweifel darüber lassen, daß sie diesen und ähnliche Vorschläge mit Entschiedenheit ablehnt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ihre Verwirklichung würde bedeuten, daß das kommunistische System, unter dem ein Viertel des deutschen Volkes gegen seinen Willen zu leben gezwungen ist, gleichberechtigt in die Bildung eines gesamtdeutschen Staates eingeschaltet würde. Der Inhalt der gesamtdeutschen Verfassung würde gleichberechtigt von denen mitgestaltet, die die Freiheit leugnen und bekämpfen und die verantwortlich sind für das unerträgliche Terrorsystem in der sowjetisch besetzten Zone.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es klingt doch beinahe wie eine Ironie, wenn in dem Vorschlag gesagt wird, daß nach dem Erlaß der Verfassung freie und geheime Wahlen stattfinden sollten. Würde es wirklich noch einen Sinn haben, von der Freiheit der Wahl zu sprechen, wenn man vorher eine Verfassung erlassen hätte, die den Freiheitsbegriff leugnet?

    (Zuruf von der SPD: Wo steht das?)

    — .Meine Damen und Herren, es ist eine Illusion, an die Sie selbst nicht glauben können, daß Sie mit der kommunistischen Partei der Zone eine Verfassung beschließen können, die die Freiheitsrechte garantiert.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Wer antwortet, daß man eine solche Entwicklung in Kauf nehmen müsse und daß die freie Willensentscheidung zu einem späteren Zeitpunkt geeignet sein könne, begangene Fehler zu korrigieren, der muß sich sagen lassen, daß er Utopien und Illusionen nachjagt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Bundesregierung ist nicht bereit, diesen Weg mitzugehen, und sie ist überzeugt, daß die überwältigende Mehrheit des Bundestages und des deutschen Volkes solche Gedanken ablehnt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung kennt ihre politische und moralische Verpflichtung gegenüber dem ganzen deutschen Volk. Diese Verpflichtung besteht in dem Auftrag, die freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung in dem Teil Deutschlands wiederherzustellen, in dem sie fehlt, in dem sie unterdrückt ist; sie besteht aber ebenso in dem Auftrag, sie in dem Teil Deutschlands zu erhalten und zu sichern, in dem sie wiedergeschaffen werden konnte, nämlich im Gebiet der Bundesrepublik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Schröder!)

    — Gewiß, meine Damen und Herren

    (Lachen bei der SPD)

    — vielleicht darf ich nachher meinen Kollegen Schröder bitten, sich an der Diskussion zu beteiligen; ich möchte von seinen Erklärungen nichts vorwegnehmen —, gewiß, wir können nicht bestreiten, daß es sich bei der sowjetrussischen Deutschlandpolitik um den Ausdruck einer harten Realpolitik handelt. Es handelt sich aber auch um eine, wie ich glaube, moralisch gerechtfertigte Realpolitik, wenn die Bundesregierung und mit ihr das deutsche Volk in beiden Teilen des geteilten Deutschlands unverändert ihre Forderung auf Einheit und Freiheit aufrechterhalten. Und es würde dem Sinn für Realitäten, von dem die Sowjetunion so oft spricht, ein gutes Zeugnis ausstellen, wenn man sich dort einmal darüber klar würde, daß die Liebe zum Vaterland und das Bekenntnis zur Freiheit in allen Völkern reale sittliche Kräfte darstellen, die sich auf die Dauer immer stärker erwiesen haben als Fremdherrschaft und Unterdrückung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4689
    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    In den kommenden Verhandlungen. wird die Bundesregierung darum auch ihre Auffassung, so wie seither, furchtlos und überzeugt vertreten. Natürlich wissen wir alle, daß es keine isolierte Lösung des Deutschland-Problems gibt; vielleicht war es sogar die Bundesregierung, die dies früher erkannte als mancher ihrer Kritiker. Wenn ich die Auffassung vertreten habe, daß erste Entscheidungen über die Abrüstung und erste Schritte auf diesem Wege dazu beitragen werden, die Lösung der politischen Fragen zu erleichtern, dann auch deswegen, weil natürlich in den internationalen Beziehungen, wie sie heute bestehen, das Problem der Sicherheit eine große Rolle spielt. Allerdings sind die Erklärungen der Sowjetunion zu dieser Frage widersprechend. Zuweilen spricht sie von der Gefahr der deutschen Aufrüstung; zuweilen schiebt sie dieses Problem mit einer Bewegung vom Tisch und weist darauf hin, daß das eigene Rüstungspotential so gewaltig sei, daß es ausreiche, die ganze Welt in Schach ,zu halten und nötigenfalls zu zerstören. Aber die deutschen Vorschläge und die Vorschläge, die wir gemeinsam mit unseren Alliierten gemacht haben, beschäftigen sich auch mit dem Sicherheitsproblem. Ich verweise auch hier auf den westlichen Friedensplan, der diesen Erwägungen Rechnung trägt. Er sieht die Beschränkung der Streitkräfte und der Rüstungen in einem noch zu vereinbarenden Gebiet Europas vor, die Schritt für Schritt und parallel mit der Lösung der politischen Probleme, insbesondere der Deutschlandfrage, in Kraft treten solle. Bisher hat die Sowjetunion diese Überlegungen und Vorschläge nicht einmal einer sachlichen Antwort gewürdigt.
    Ich halte es aber für gefährlich und lehne es daher ab, nur diese völlig negative Stellungnahme der Sowjetunion zum Anlaß zu nehmen, auf Vorstellungen zurückzugreifen, die nach der Überzeugung der Bundesregierung weder geeignet sind, die Lösung der politischen Fragen zu erleichtern, noch das Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren, auf das nicht nur die Sowjetunion und ihre Verbündeten, sondern auch das deutsche Volk und seine Alliierten Anspruch erheben. Es wird viel von einem möglichen Disengagement gesprochen, wobei man feststellen kann, daß fast jeder, der das Wort gebraucht, es in einem anderen Sinne versteht.
    Selbstverständlich wünschen auch wir eine Entspannung. Wir wünschen sie, weil wir überzeugt sind, daß sie- eine der unerläßlichen Voraussetzungen auch für die Lösung der politischen Probleme ist. Und wir wünschen sie um der Ruhe und des Friedens in der ganzen Welt willen. Aber während uns die Entspannung, die friedliche Atmosphäre, eine bessere Chance zut Lösung der politischen Probleme zu sein scheint, zeigen alle bisherigen Erklärungen der Sowjetunion, daß für sie eine Entspannung gleichbedeutend ist mit der Anerkennung ihres politischen, ideologischen und territorialen Besitzstandes in Europa.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Auch darüber gibt die bereits erwähnte Leipziger Rede des sowjetrussischen Ministerpräsidenten eine klare Auskunft, wenn er sagt: Die Unterzeichnung
    eines Friedensvertrages mit den beiden deutschen Staaten „würde nichts von dem, was nach dem Krieg entstanden ist, verändern, sie würde die entstandene Lage im Mittelpunkt Europas fixieren".
    Ich sagte schon, daß die Bundesregierung eindeutig und entschlossen zu dem Bündnissystem der NATO steht. Die Allianz, zu der wir uns bekennen, hat eine doppelte Grundlage und ein gemeinsames Ziel. Sie dient der Erhaltung der Freiheit und der Sicherheit der 52 Millionen Menschen, die in der Bundesrepublik leben. Sie dient aber auch der Freiheit und Sicherheit derer, die sich mit uns in diesem Bündnissystem zusammengeschlossen haben. Es ist gut und wichtig, das zu erkennen, denn diese gemeinsame Verantwortung, die wir miteinander und füreinander tragen, läßt es nicht zu, eigene Ziele auf Wegen zu verfolgen, die mit den Zielen der Gemeinschaft unvereinbar wären.

    (Abg. Dr. Menzel: Auch mit Franco-Spanien?)

    Man sollte nicht einwenden, daß diese Feststellung das deutsche Volk in der Verfolgung seiner eigenen legitimen Aufgaben und Ziele behindert. Nichts wäre falscher, aber auch nicht verhängnisvoller als solche Überlegungen. Falsch wären sie deswegen, weil wir wissen, daß es eine isolierte deutsche Politik nicht gibt und nicht geben kann. Wenn das, was wir für das deutsche Volk fordern, nicht von dem solidarischen Willen der Gemeinschaft der freien Völker getragen ist, werden wir es nie erreichen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Verhängnisvoll wären diese Überlegungen, weil wir uns aus dieser Solidarität gegenüber unseren Bündnispartnern nicht einseitig lösen können.
    Wenn Deutschland diese Allianz verlassen oder schwächen würde, dann müßten wir dafür in Kauf nehmen, daß unsere Bündnispartner sich ihrerseits von der gemeinsamen Politik lossagen und aus verständlichem eigenem Interesse den Versuch unternehmen würden, ihre Beziehungen zur Welt im Osten ohne uns, ja vielleicht gegen uns, neu zu ordnen. Darum sollten wir uns auch bei jeder Diskussion über neue Wege und neue Vorschläge des gemeinsamen Zieles und der gemeinsamen Verpflichtung erinnern, die wir für andere und andere für uns tragen.
    Wer dire Diskussionen der vergangenen Monate verfolgt hat, muß sich aber darüber im klaren sein, daß die Verwirklichung von Disengagement-Plänen nur ohne und gegen unsere Alliierten möglich ist. Noch vor wenigen Wochen konnten die Teilnehmer am deutsch-amerikanischen Gespräch in Bad Godesberg die Auffassung der amerikanischen Politiker kennenlernen. Ich möchte nichts von dem dort Gesagten wiederholen. Aber ich glaube, der Bericht, der gegeben wurde, zeigt, daß diese Pläne für unsere amerikanischen Bündnispartner unannehmbar sind.

    (Abg. Dr. Mommer: Die anderer Meinung waren, waren nicht eingeladen!)




    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    — Ach, Herr Kollege Mommer, ich glaube, es ist nicht richtig, was Sie sagen.

    (Zuruf von der SPD: Doch! — Abg. Dr. Mommer: Es stimmt leider!)

    — Es waren die Vertreter der beiden großen Parteien eingeladen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Es wurden bestimmte Personen eingeladen!)

    — Wie immer, Herr Kollege; man kann nicht das ganze amerikanische Volk einladen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Man hat es nicht den Parteien selbst überlassen, zu bestimmen, wer delegiert werden sollte!)

    — Richtig! Aber ich glaube, man sollte nicht bestreiten, daß es wirklich ein repräsentativer Durchschnitt von Senat und Kongreß war; er ist vielleicht wichtiger als irgendein Leitartikler, auch wenn er Walter Lippman heißt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte nur feststellen und wiederholen: Selbst wenn, was ich bestreite, eine solche Politik des Disengagement einen militärischen Sinn hätte — darüber will ich mich nicht weiter auslassen —, politisch wäre sie das Ende des atlantischen Bündnisses. Denn das Disengagement würde eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichtes und damit eine völlige Veränderung in der politischen Zusammenarbeit der freien Welt bringen. Dabei darf ich daran erinnern, daß die Forderung nach Disengagement, wie sie von der anderen Seite erhoben wird, wesentlich weitergeht.
    Die außenpolitische Entwicklung, von der ich sprach, auch wenn sie unser Verhältnis zur Sowjetunion betrifft und belastet, hat uns nicht daran gehindert, alles zu unternehmen, um auch mit der Sowjetunion zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu gelangen. Die Bundesregierung hat die handelspolitischen Verhandlungen weiter geführt und abgeschlossen und dabei die Wünsche und Vorstellungen der sowjetrussischen Regierung im Rahmen des Möglichen berücksichtigt. Ein Abkommen über den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch wurde abgeschlossen. Von dem, was in wiederholten Noten der Bundesregierung der Regierung der Sowjetunion mitgeteilt wurde, will ich nichts wiederholen. Ich möchte auch nicht auf Gespräche eingehen, die hier in Bonn oder in Genf geführt worden sind.
    Ich erkläre allerdings offen, daß es der Bundesregierung nicht immer ganz leicht gemacht wurde, das Gespräch in dieser Weise fortzusetzen. Bis in die letzten Tage hinein mußten wir erleben, daß die Sprache der verantwortlichen sowjetrussischen Stellen so hart, so unversöhnlich und so aggressiv geblieben ist, wie sie es früher war. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die amtlichen Organe der Sowjetunion nicht zügellose Angriffe gegen die Bundesrepublik, gegen die Bundesregierung und gegen unsere Verbündeten richten.

    (Zuruf von der SPD: Auch umgekehrt!)

    — Ich glaube nicht, Herr Kollege. — Das ist um so bedauerlicher und auch um so ernster, als wir ja wissen, daß es nur eines Winkes der sowjetrussischen Regierung bedürfte, um diesen Chor zum Schweigen zu bringen. Alle diese Erklärungen sind nichts anderes als eine Wiederholung dessen, was immer wieder in der dortigen Presse zu lesen ist. Alle Vorschläge werden vom Tisch geschoben, und es ist unverkennbar, daß nach diesen Erklärungen die Sowjetunion sich bis zur Stunde offenbar unter Verständigung nichts anderes vorzustellen vermag als die Unterwerfung unter ihre Politik.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Rede, die der sowjetrussische Ministerpräsident Chruschtschow am 31. Oktober vor dem Obersten Sowjet gehalten hat, unterscheidet sich allerdings von diesen Äußerungen. Die Bundesregierung begrüßt die im wesentlichen sachliche und ruhige Erklärung, und sie hofft, daß diese Ausdrucksweise ein Anzeichen dafür ist, daß die Regierung der Sowjetunion auch die politischen Fragen selbst nüchterner und sachlicher behandeln wird als bisher.
    Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat es ganz besonders begrüßt, daß in Vollzug der Grundsatzvereinbarung von Genf eine neue Kommission zur Prüfung der Abrüstungsfragen gebildet wurde. Sie begrüßt es auch, daß das Abrüstungsproblem in der letzten Sitzung der Vereinten Nationen mit dieser Ernsthaftigkeit erörtert wurde. Sie hält insbesondere den von dem britischen Außenminister Selwyn Lloyd eingebrachten Vorschlag für eine gute Grundlage. Aber sie hofft, daß selbstverständlich auch der Vorschlag der Sowjetunion sorgfältig geprüft wird. Ich möchte in diesem Stadium noch nicht kritisch oder analysierend zu diesen Vorschlägen Stellung nehmen, auch nicht zu dem Alternativvorschlag, den der sowjetrussische Ministerpräsident eingereicht hat. Mir scheint es nur erforderlich, schon heute nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß die von uns allen gewünschte allgemeine Abrüstung eine wirksame Kontrolle in allen Bereichen voraussetzt. Die Grundzüge eines solchen Kontrollsystems sind in dem Vertrag über die Gründung der Westeuropäischen Union enthalten; man sollte sich diese Überlegungen zu eigen machen und vielleicht auch zu gegebener Zeit sich der schon bestehenden Organe bedienen.
    Die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Staaten des Ostblocks haben sich nicht geändert. Es bestehen handelspolitische Vereinbarungen, die wir im beiderseitigen Interesse auszubauen bereit sind. Die Bundesregierung wird weiterhin laufend überprüfen, ob und wie sie ihre Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten neu gestalten kann. Das war der Grund, warum die Bundesregierung vor einigen Monaten erwogen hat, den bereits wiederholt ausgesprochenen Gewaltverzicht zum Gegenstand vertraglicher Abmachungen unter internationaler Garantie zu machen. Leider waren die Reaktionen in den Staaten des Ostblocks nicht gerade ermutigend.



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Auch die Frage der diplomatischen Beziehungen war und ist Gegenstand sorgfältiger Prüfung der Bundesregierung. Die Bundesregierung kennt nicht zuletzt aus einer sehr eingehenden Diskussion im Auswärtigen Ausschuß des Bundestags alle Argumente, die für und gegen eine Aufnahme der Beziehungen sprechen. Sie wünscht ein gutes Verhältnis zu allen Völkern. Nachdem es gelungen ist, die Beziehungen zu den Staaten des Westens und auch zu den Staaten der nichtgebundenen Welt wiederherzustellen und auszubauen, wird sie auch das Verhältnis zu den östlichen Nachbarstaaten ständig überprüfen. Ohne im einzelnen auf die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses einzugehen, möchte ich jedoch namens der Bundesregierung feststellen, daß sie nach sorgfältiger Prüfung aller Argumente und Vorschläge zu dem Ergebnis gekommen ist, daß gegenwärtig die Voraussetzungen für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks nicht gegeben sind. Ich beschränke mich bei dieser Feststellung auf den Hinweis, daß die Bundesregierung dabei besonders die möglichen Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf das Verhältnis dritter Staaten zu der sogenannten Regierung der sowjetisch besetzten Zone im Auge hat. Es kommt hinzu, meine Damen und Herren, daß in der Frage der Oder-Neiße-Linie der Standpunkt der Bundesregierung sich nicht geändert hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum Problem der deutschen Ostgebiete und zu der Frage des Heimatrechts der Vertriebenen als Ausfluß und Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts hat die Bundesregierung am 28. Juni 1956 und am 31. Januar 1957 Erklärungen abgegeben, die auch heute noch gültig sind. Ich zitiere aus diesen Erklärungen:
    Die Bundesregierung hat sich niemals mit der Teilung Deutschlands abgefunden. In voller Übereinstimmung mit dem erklärten Willen des ganzen deutschen Volkes hat sie immer wieder darauf hingewiesen, daß das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937 fortbesteht und daß einseitige Entscheidungen, die in den Jahren nach dem völligen Zusammenbruch getroffen wurden, vom deutschen Volk nicht anerkannt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zustimmung des Abg. Dr. Mende.)

    Gleichzeitig aber hat die Bundesregierung versichert, daß sie ihren Rechtsanspruch niemals mit Mitteln der Gewalt, sondern ausschließlich auf dem Wege einer friedlichen Verständigung verwirklichen will.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Zuständig für Vereinbarungen dieser Art kann nur eine gesamtdeutsche Regierung sein, die das Mandat des ganzen deutschen Volkes besitzt. Und eine solche Regelung kann nur in einem Friedensvertrag gefunden werden, der das Ergebnis freier Verhandlungen sein muß. Die Bundesregierung hofft dabei, daß es möglich sein wird, eine gemeinsame Lösung zu finden und damit die
    Grundlage einer dauerhaften Verständigung und Freundschaft, auch mit den Völkern des Ostens, zu schaffen.
    Die Bundesregierung verwahrt sich allerdings dagegen, wenn man dieses Festhalten an et em unbestreitbaren Rechtsanspruch, der im Geiste aufrichtiger Versöhnung vertraten wird, als Revanchismus und Revisionismus bezeichnet. In einer Welt, die sich zum Recht der freien Selbstbestimmung bekennt, sollten auch diese Probleme im Wege der gegenseitigen Verständigung lösbar sein. Die Bundesregierung wird sich immer ernsthaft darum bemühen, daran mitzuwirken.
    Im Bereich der freien Welt., meine Damen und Herren, sind die Beziehungen der Bundesregierung naturgemäß besonders eng und freundschaftlich mit den Staaten, die zum atlantischen Bündnissystem gehören. Die Zusammenarbeit in der NATO hat sich ausgezeichnet bewährt. Die ständige Konsultation, wie sie im NATO-Rat in Paris durchgeführt wird, ist Ausdruck des gemeinsamen Willens, in dem atlantischen Bündnis nicht nur ein militärisches Instrument, sondern die Basis für eine weitreichende politische Zusammenarbeit zu erblicken. So wurden die Organe der NATO auch über die Pläne unterrichtet, mit denen wir nach Genf fuhren. So wurde der NATO-Rat wahrend und nach Abschluß der Genfer Beratungen informiert. Die Bundesregierung hält es für selbstverständlich und für daß die Mitglieder der atlantischen Gemeinschaft auch über die bevorstehenden Konferenzen befragt und unterrichtet-werden. Es bedarf kaum einer Begründung dafür; diese besteht in dem Zusammenschluß gleichberechtigter andi unabhangiger Staaten, die als Partner mit glechenn Rechten und mit gleichen Pflichten an der Verwirklichung des gemeinsamen Zieles mitwirken. Alle diese Fragen, die uns beschäftigen, sind also Fragen gemeinsamen Interesses und damit gemeinsamer Verantwortung. Die eigentlichen politischen Fragen, wie die Deutschland-Frage und das Berlin-Problem, .gehören in diesen Bereich nicht weniger als alla Probleme der Entspannung, der Abrüstung und der Sicherheit.
    Eine besondere Aufgabe ist der deutschen Politik aber erlauben Sie mir, daß ich darauf besonders eingehe — im europäischen Bereich gestellt. Es ist die feste Absicht der Bundesregierung, die europäische Zusammenarbeit mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern. Das bedeutet insbesondere, daß wir entschlossen sind, die europäischen Verträge zu verwirklichen und die geschaffenen Organisationen und Organe zu festigen und zu unterstützen. Hierüber liegen bereits konkrete Vorschläge vor, die die Bundesregierung zur Zeit prüft.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang besonders darauf hinweisen, daß es sich hier nicht etwa vorwiegend um wirtschaftspolitische Fragen handelt, deren Bedeutung ich bei dieser Feststellung keinesfalls verkleinern möchte. Es war eine kühne und fortschrittliche Idee, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, der die hockentwickelte Wirtschaft in einem Bereich, in dem 160 Millionen Menschen



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    leben, zusammenschließt. Aber ich möchte hier doch den ausgesprochen politischen Charakter dieser Vertragswerke unterstreichen und namens der Bundesregierung besonders darauf hinweisen, daß diese politische Aufgabe, die wir uns gestellt haben, vielleicht mehr als jede andere Ausdruck des Willens ist, die Grundlage für eine dauerhafte friedliche Ordnung und für eine freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen denen zu schaffen, die in der Vergangenheit in so unheilvoller Weise gegeneinander gekämpft haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die ganze Welt, auch die Sowjetunion, sollten doch verstehen, daß bei der Schaffung dieser Vertragswerke eine neue, ich möchte sagen, revolutionäre Vorstellung Pate gestanden hat. Sollte es jemand in der Welt vergessen haben, daß der unheilvolle und tragische Gegensatz zwischen den kontinentaleuropäischen Völkern, ganz besonders die Spannungen und die Kriege zwischen Deutschland und Frankreich immer von neuem Anlaß weltweiter politischer Spannungen und weltweiter politischer Katastrophen waren? Die Bundesregierung ist darum auch fest entschlossen, alles zu tun, nicht nur um einen Rückschlag zu verhindern, sondern um diesen Weg weiterzugehen. Wir wissen, daß wir auf diese Weise ein echtes Gefühl gemeinsamer Verpflichtung und Verantwortung wecken. Die europäische Gemeinschaft ist ja auch tatsächlich bereits zu einer Realität geworden, und es darf nichts mehr geschehen, was diese Realität in Zweifel ziehen könnte. In dieser europäischen Zusammenarbeit wurde die Grundlage gelegt für die deutsch-französische Verständigung. Ich meine, es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich darauf hinweise, daß seit einem Menschenalter wohl nichts geschehen ist, was das Gesicht der politischen Landkarte so entscheidend zum Guten verändert hat, nichts geschehen ist, was ein so entscheidender Beitrag zum Frieden und zur Verständigung unter den Völkern sein konnte, wie diese europäische Entwicklung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich muß dabei kaum noch hinzufügen, daß wir uns auch der Schwierigkeiten bewußt sind, die die zwangsläufige Folge einer solchen Neuorientierung der Politik der sechs Länder sein mußten. Die Schaffung des Gemeinsamen Marktes beeinflußt die bilateralen Handelsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf der einen und den Ländern, die dieser Gemeinschaft nicht angehören, auf der anderen Seite. Die Wettbewerbsvoraussetzungen auf dem internationalen Markt haben dadurch Änderungen erfahren. Wir sind uns dieser Folgen natürlich bewußt, und wir wollen den Fragen, die uns gestellt sind, nicht ausweichen. Ich erinnere an die ernsten Diskussionen im Rahmen des GATT und in der OEEC. Ich erinnere an die ernsten Bemühungen der sieben europäischen Länder, im Wege der Errichtung einer Freihandelszone ein Gegengewicht zu schaffen gegen den Gemeinsamen Markt.
    Die Bundesregierung hat auch die einmütige Entschließung des Bundestages aus Anlaß der Ratifizierung der römischen Verträge nicht zu den Akten
    gelegt, sondern sie ist gewillt, diesem Wunsch des Bundestages Rechnung zu tragen. Sie geht dabei von der Annahme aus, daß die aufgetretenen Fragen am ehesten schrittweise gelöst werden können. Schon in der seit dem Inkrafttreten des EWG-Vertrages verstrichenen Zeit sind eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, die zu einer Ausweitung des Handels nicht nur der sechs EWG-Partner untereinander, sondern auch zwischen der EWG und den übrigen europäischen und außereuropäischen Ländern geführt haben. Wir werden in diesem Geiste weiterarbeiten; wir hoffen und sind überzeugt, daß der gelegentlich beschworene europäische Handelskrieg nicht ausbrechen wird. Jedenfalls ist sich die Bundesregierung mit ihren Partnern darüber einig, daß es geeignete Mittel gibt, ihn zu verhindern.
    Die Lösungen, von denen ich spreche, sollten aber nicht nur schrittweise gesucht, sie sollten auch flexibel gestaltet werden. Neben multilateralen Konstruktionen kommen bilaterale Assoziationen zwischen der EWG und dritten Staaten in Betracht, wie sie mit Griechenland und der Türkei gerade jetzt vorbereitet werden. Neben die eigentliche europäische Frage tritt die Gestaltung der Beziehungen der EWG zu den großen überseeischen Ländern in Nord-und Südamerika und zu den Entwicklungsländern in Asien und Afrika. In diesen Verhandlungen ist es das Bestreben der Bundesregierung, das in der EWG Geschaffene zu erhalten und auszubauen und gleichzeitig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die in der Übergangszeit unvermeidlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Interessengegensätze ausgeglichen werden.
    Die bisherigen Bemühungen haben noch kein abschließendes Ergebnis gebracht. Die Verhandlungen im Rahmen der OEEC führten nicht zum Erfolg. Die Bundesregierung hofft, daß die letzte Initiative der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Tür zu neuen Verhandlungen geöffnet hat.
    Ich denke dabei ganz besonders auch an die handelspolitischen und politischen Beziehungen zu Großbritannien. Wir haben das größte Interesse daran, daß zwischen dem kontinentalen Zusammenschluß der Sechs und Großbritannien ein enges freundschaftliches Verhältnis hergestellt wird. Großbritannien ist ein starker und zuverlässiger Partner in der Gemeinschaft der freien Völker. Die Verdienste der britischen Regierung um die Ausarbeitung einer Lösung, die vor fünf Jahren den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO und die Errichtung der Westeuropäischen Union ermöglichte, sind bei uns nicht vergessen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir betrachten die Bündnisverpflichtungen, die Großbritannien für die Bundesrepublik und im Hinblick auf Berlin übernommen hat, als eine der Grundlagen, auf denen unsere Sicherheit beruht.
    Auf Grund dieser Überlegungen werden wir alles tun, um zusammen mit den anderen Mitgliedsstaaten des Gemeinsamen Marktes die ökonomischen Beziehungen zu Großbritannien in einer beide Seiten befriedigenden Weise zu ordnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Es würde den Rahmen eines solchen Berichtes sprengen, wenn ich auch über die Beziehungen und Verbindungen der Bundesrepublik zu den anderen Teilen der Welt berichten wollte. Ich bin jederzeit bereit, wenn dies gewünscht wird, das in der Debatte oder auch in einem gesonderten Bericht zu tun. Aber ich möchte doch zusammenfassend darauf hinweisen, daß es in den vergangenen Jahren gelungen ist, die politische Freundschaft und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit allen Teilen der Welt weiter auszubauen. Die diplomatischen Beziehungen, die die Bundesrepublik heute mit 70 Staaten unterhält, sind Ausdruck und Beweis dieses erfolgreichen Bemühens. Und ich stelle dabei auch mit besonderer Befriedigung fest, daß alle diese Staaten, die naturgemäß mit eigenen Problemen ringen und deren geographische, politische und wirtschaftliche Lage sie vor besondere Aufgaben stellt, bis zur Stunde für die besondere Lage des deutschen Volkes ein Verständnis gezeigt haben, das wir keineswegs als selbstverständlich registrieren können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit Ausnahme der Sowjetregierung sehen alle Regierungen, die in Bonn vertreten sind, in der Bundesrepublik die einzige legitime Vertretung des deutschen Volkes. Sie unterstützen uns damit politisch und moralisch im Kampf um die Verwirklichung der Lebensrechte des deutschen Volkes. Ich könnte zahlreiche Reden und Erklärungen zitieren, die noch in jüngster Zeit in den internationalen Gremien gehalten wurden, ganz besonders in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die wir mit Dankbarkeit zur Kenntnis nahmen, weil sie uns beweisen, daß wir im Kampf um die Selbstbestimmung und um die Freiheit des deutschen Volkes nicht allein stehen.
    Lassen Sie mich noch einmal mit wenigen Worten die Ziele der deutschen Politik zusammenfassen.
    Die Bundesregierung wird jeden ihr möglichen Beitrag leisten, damit die bevorstehenden internationalen Gespräche und Konferenzen zum Erfolg führen. Sie wird unbeirrt ihre Auffassung vertreten, von der sie überzeugt ist, daß sie auf Moral und Recht gegründet ist. Sie wird nicht müde werden, die Wiedervereinigung zu fordern, wobei wir uns klar sein müssen, daß es in Wahrheit darum geht, 17 Millionen Menschen die Freiheit zurückzugeben, die man ihnen aus machtpolitischen Gründen verweigert.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung ist bereit, so wie sie das auch während der Verhandlungen der Abrüstungskommission in London tat, ihren Beitrag bei den bevorstehenden Abrüstungsverhandlungen zu leisten. Sie ist bereit, sich jeder Kontrolle zu unterwerfen, die auch andere für sich akzeptieren. Sie verlangt. Sicherheit für das deutsche Volk, aber sie verlangt nicht mehr an Sicherheit, als andere für sich fordern. Und sie wird dabei nie außer acht lassen, daß das Verlangen nach Sicherheit für das eigene Volk sie verpflichtet, auch einen Beitrag zu leisten für die Sicherheit der anderen.
    Sie wird ihre Ziele in der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit ihren Bündnispartnern zu verwirklichen suchen; denn sie weiß wohl, daß wir das Recht auf Unterstützung unserer legitimen Forderungen nur so lange besitzen, als wir die Verpflichtung einlösen, die Interessen unserer Freunde und Partner mit der gleichen Sorgfalt wahrzunehmen wie die eigenen.
    Ich darf im Namen der Bundesregierung an den Bundestag appellieren, dieses politische Programm der Bundesregierung zu unterstützen, auch wenn der eine oder der andere die Akzente anders setzen und die Nuancen anders sehen sollte. Es bedarf keines Appells an unsere Freunde in der Welt; sie haben sich in der Vergangenheit bewährt. Aber ich appelliere eindringlich und ernsthaft an die Regierung der Sowjetunion, an den guten Willen der Bundesregierung und des ganzen deutschen Volkes zu glauben, sich aber auch über die Entschlossenheit der Bundesregierung Rechenschaft zu geben, auf unverzichtbarem Recht zu beharren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Sowjetunion sollte diese Erklärung in ihrem ganzen Ernst verstehen und sollte sie deuten als den Willen zur Verständigung, aber auch als den Ausdruck der Glaubwürdigkeit deutscher Politik.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier eine sehr ausführliche Darstellung des Herrn Bundesaußenministers über die Vorgänge in der Vergangenheit und gewisse polemische Auseinandersetzungen mit der Opposition gehört, auf die wir im Laufe dieser Debatte noch zurückkommen werden. Wir haben nicht die Möglichkeit gehabt, wie es früher in diesem Hause üblich war, den Text der Ausführungen des Herrn Außenministers kurz vorher kennenzulernen.

    (Abg. Erler: Hört! Hört!)

    Wir sind in diesem Augenblick darauf angewiesen, nur unmittelbar unter dem Eindruck des Gehörten zu argumentieren.
    Ich muß ehrlich sagen, wenn wir uns eine Gesamtübersicht über den Inhalt der Ausführungen des Herrn Außenministers verschaffen wollen, müssen wir feststellen, daß uns dieser Bericht sehr wenig oder gar keinen Aufschluß über die Aktivität der Regierung im Zusammenhang mit den vor uns liegenden internationalen Konferenzen gegeben hat. Ich gebe zu, daß wir dem Herrn Außenminister daraus vielleicht nicht einmal einen persönlichen Vorwurf machen können; denn seitdem sich ein wesentlicher Teil der Außenpolitik der Bundesregierung in der Form von privaten Briefwechseln zwischen dem Herrn Bundeskanzler und westlichen und östlichen Staatsmännern abspielt, sind wir noch viel mehr auf die Ebene der Geheimdiplomatie gekommen,

    (Heiterkeit)




    Ollenhauer
    was so weit geht, meine Damen und Herren, daß nicht einmal das Auswärtige Amt und der Herr Außenminister in Kenntnis der Vorgänge sind, die sich in diesem Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und anderen Staatsmännern abspielen.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP.)

    ich glaube, es wird Ihnen schwerfallen, das hier zuzugeben.

    (Zuruf des Bundesinnenministers Dr. Schröder.)

    — Aber, Herr Minister Schröder, in bezug auf die vollständige Information der Bundesregierung sind Sie ja heute auch mehr ein Schattenkabinett als ein reales Kabinett.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist unbestreitbar, daß wir hier gerade auf dem Gebiete der Außenpolitik eine Ein-Mann-Politik haben, die im parlamentarisch-demokratischen System eigentlich ohne Beispiel und von vornherein in jeder Beziehung abzulehnen ist.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, es wäre besser gewesen, wenn dieser wirkliche Sachverhalt vor dem Parlament nach einer so langen Pause in bezug auf die außenpolitische Diskussion auch dadurch deutlich gemacht worden wäre, daß nicht der Herr Außenminister als Berichterstatter, sondern der Herr Bundeskanzler als der amtierende Außenminister diese Erklärung abgegeben hätte.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Cillien: Kommt vielleicht noch!)

    Diese Methode ist erneut eine Mißachtung des Parlaments — —

    (Beifall bei der SPD. — Lachen und Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Ja, meine Damen und Herren, es tut mir leid.
    Ich verstehe, daß Sie hier etwas empfindlich sind.

    (Lachen und Nein!-Rufe von der CDU/CSU.)

    ich möchte aber hier nur folgendes sagen: wir haben jetzt in der Öffentlichkeit, auch in diesem Hause eine Diskussion über die notwendige Parlamentsreform. Ich glaube, wir können etwas und manches in der Praxis unserer parlamentarischen Arbeit bessern. Aber wenn wir dem unbefriedigenden Zustand, in dem sich unsere parlamentarische Arbeit befindet, auf den Grund gehen, dann werden wir feststellen, daß es sich hier nicht um technische und formale Probleme handelt, sondern einfach darum, daß durch die Willfährigkeit der Mehrheit dieses Hauses

    (Beifall bei der SPD)

    gegenüber der Ein-Mann-Politik des Herrn Bundeskanzlers das Parlament entwertet worden ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Meine Damen und Herren, wir werden ja sehen, inwieweit es gelingt, das Parlament in die kommen-
    den außenpolitischen Verhandlungen wieder einzuschalten. Das wird vor allen Dingen davon abhängen, welchen Beitrag Sie als Mehrheit des Parlaments dazu zu leisten haben. Ich hoffe, Ihr Beitrag erstreckt sich heute nicht nur auf eine Polemik gegen die sozialdemokratische Opposition auf der Ebene, auf die sich soeben der Herr von Brentano in bezug auf den Deutschlandplan begeben hat.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Er hat schon wieder Angst!)

    Ich möchte zunächst auf diesen Punkt nicht eingehen.

    (Abg. Rasner: Ist auch besser!)

    -- Entschuldigen Sie! Sie werden sich noch wundern, Herr Rasner, was dazu zu sagen ist;

    (Beifall bei der SPD)

    denn vielleicht besteht auf diese Weise die Möglichkeit, einen Teil des Hauses auf dieser Seite überhaupt einmal mit dem wirklichen Inhalt des Deutschlandplanes bekanntzumachen.

    (Beifall b d der SPD.)

    Ich möchte aber zunächst über einige Fragen sprechen, die mit der gegenwärtigen internationalen Situation zusammenhängen, weil ich meine, wir haben in dieser Stunde doch noch etwas Wichtigeres zu tun, als eine solche außenpolitische Debatte mit polemischen Bemerkungen zu beginnen.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir stehen in einer internationalen Situation, in der auf beiden entscheidenden Seiten der Weltpolitik der Versuch gemacht wird, durch internationale Verhandlungen auf höchster Ebene zu einer Entspannung zu kommen. Wir haben in der Vergangenheit, vor allem seit der Beendigung der Unterbrechung der Außenministerkonferenz in Genf, eine ganze Reihe solcher Versuche erlebt. Wir haben vor allen Dingen das direkte Gespräch auf Einladung des amerikanischen Präsidenten zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem Ministerpräsidenten der Sowjetunion erlebt. Ich glaube, wir können hier — hoffentlich als gemeinsame Auffassung — feststellen, daß wir solche direkten Gespräche zwischen den maßgebenden Staatsmännern als ein mögliches Mittel der Entspannung in der Welt begrüßen und solche Entwicklung unterstützen, um so mehr, als wir jetzt ja in den Vorbereitungen für das sogenannte Gipfeltreffen der Vier stehen.
    Wir hoffen, daß dieses Gipfeltreffen zustande kommt, obwohl man wohl davon ausgehen muß, daß diese Konferenz keine Konferenz mit abschließenden Resultaten sein kann, sondern der Beginn einer Zusammenarbeit in ,einer Reihe von Konferenzen mit dem Ziel, in den lebenswichtigsten internatonalen militärischen und politischen Fragen zu dauerhaften Vereinbarungen zu kommen.
    Niemand täuscht sich darüber, daß wir es mit schwierigen sachlichen Verhandlungen zu tun haben werden. Auf der anderen Seite .Ist aber unsere Meinung, daß jeder ernsthafte Versuch der Entspan-



    Ollenhauer
    nung zu begrüßen ist, weil eine solche Entspannung im besonderen Interesse des deutschen Volkes liegt. Nur in einer Atmosphäre der Entspannung können unsere Probleme, vor allen Dingen die Probleme Berlin und Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, gelöst werden.
    Wir haben jetzt eine Auseinandersetzung in derinternationalen Politik über den Zeitpunkt und die Tagesordnung der Gipfelkonferenz. Der Herr Bundesaußenminister hat hier erklärt, die Bundesregierung begrüße die Vorbereitung der Gipfelkonferenz und werde sich später hinsichtlich ihrer Stellung in bezug auf Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung schlüssig werden. Ich finde, daß diese Bemerkung etwas sehr zurückhaltend die tatsächliche Aktivität der Bundesregierung repräsentiert durch den Herrn Bundeskanzler, zum Ausdruck gebracht hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn in Wirklichkeit ist ja die Bundesregierung durch den Herrn Bundeskanzler aktiv in die Auseinandersetzung um den Termin und die Tagesordnung eingestiegen.
    Wir sind der Meinung, es liegt im allgemeinen Interesse, daß es zu einem möglichst frühen Termin zu einer solchen Gipfelkonferenz kommt, und wir bedauern es, daß der Herr Bundeskanzler in diese Diskussion eingegriffen und den französischen Staatspräsidenten bei der Hinauszögerung des Termins für die Gipfelkonferenz unterstützt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn es besteht die Gefahr, daß ein zu später Termin die Aussichten für einen Erfolg der Gipfelkonferenz nicht erhöht, sondern vermindert. Es ist ja kein Zweifel, daß der Erfolg einer solchen Konferenz auch von der allgemeinen psychologischen Atmosphäre abhängt, die man nicht beliebig lange vereist lassen kann und in der man den Gefahren von Rückschlägen ausgesetzt ist, wenn wir die Dinge selbst zu lange hinausschieben. Das ist die eine kritische Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang machen möchte.
    Die andere ist die: ich finde, es liegt im Interesse der Sache, wenn die Bundesregierung in der Auseinandersetzung um die Festlegung der Tagesordnung der Gipfelkonferenz Zurückhaltung übt. Der Grund sollten die Erfahrungen in der Vergangenheit sein, die in unser aller Erinnerung sind: daß der, der den Streit um die Tagesordnung solcher Konferenzen zu einem Kardinalpunkt macht, das Zustandekommen solcher Konferenzen überhaupt erschwert.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich finde, es kann nicht die Aufgabe der Regierung der Bundesrepublik Deutschland sein, eine solche Rolle zu spielen. Außerdem müssen wir wohl zur Kenntnis nehmen, daß gewisse Vereinbarungen über die Tagesordnung zwischen dem Präsidenten Eisenhower und Herrn Chruschtschow vorliegen, die man nicht ohne weiteres beiseite schieben kann. Es scheint mir zum Beispiel, man mag das beklagen oder nicht, nicht sehr sinnvoll, eine Diskussion von unserer Seite darüber anzufangen, ob auf der
    Tagesordnung der Gipfelkonferenz auch die Berlinfrage stehen soll. Denn es ist doch außer Zweifel, daß die Vereinbarung der beiden Staatsmänner in diesem Punkte dahin ging, daß man zwar auf der sowjetischen Seite auf den Druck des Termins verzichtete, aber nur gegen die Zusage der amerikanischen Seite, über die Frage Berlin zu verhandeln.
    Ich finde, wir sind in keiner sehr starken Position, wenn wir jetzt dafür eintreten, wie es der Herr Bundeskanzler in einigen öffentlichen Äußerungen getan hat, man solle darauf drängen, daß auf der Gipfelkonferenz überhaupt nur über die Abrüstung gesprochen wird. Ich glaube, eine solche Position ist nicht haltbar. Das wirkliche Problem besteht darin, daß es im Laufe der Verhandlungen der Gipfelkonferenz gelingt, das Berlinproblem wieder in den größeren Zusammenhang der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und des militärischen Status in Europa zu bringen, wenn wir überhaupt zu einer dauerhaften Lösung kommen wollen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das ist nach meiner Meinung die augenblickliche Situation, leider, meine Damen und Herren, muß ich hinzufügen. Vielleicht basiert diese Annahme auf der ungenügenden Kenntnis der Einzelheiten der Verhandlung. Aber dann liegt hier nicht ein Versäumnis der Opposition vor, sondern ein Versäumnis der Regierung, die es nicht für nötig hält, das Parlament auch nur einigermaßen über die Grundzüge ihrer Verhandlungsbasis in dieser Situation zu informieren.
    Ich bin der Meinung, es liegt im primären Interesse der deutschen Politik, daß es zu einer Gipfelkonferenz kommt. Gewiß hat niemand eine Sicherheit dafür, daß sie zum Erfolg führt. Aber der ernsthafte Versuch muß gemacht werden, weil nur auf diese Weise Entspannungen oder Lösungsansätze zu solchen Entspannungen vorbereitet werden können.
    Lassen Sie mich auch einige Worte zu der Frage der Abrüstung sagen, die der Herr Bundesaußenminister in seinem Bericht ebenfalls behandelt hat. Es gibt keine Meinungsverschiedenheit in diesem Hause darüber, daß die Abrüstungsfrage von entscheidender Wichtigkeit für den weiteren Lauf der internationalen Politik ist, einfach deshalb, weil es offensichtlich ist, daß eine Lösung der politischen Probleme ohne Fortschritte in der Abrüstungsfrage kaum möglich ist. Aber umgekehrt ist auch richtig, daß ernsthafte Bemühungen um politische Lösungen gleichzeitig einen Fortschritt in der Abrüstungsfrage erleichtern können. Wenn wir die Gesamtlage heute übersehen, so können wir es immerhin mit einem gewissen Optimismus hinnehmen, daß das Abrüstungsgespräch auf internationaler Basis in Gang ist und unter besseren Vorzeichen angelaufen ist als in der Vergangenheit. Ich denke hier an den Chruschtschow-Vorschlag auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 16. September über die allgemeine und vollständige Abrüstung. Dieser Vorschlag hat immerhin dazu geführt, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen hat, ihn neben anderen bereits eingebrachten Vorschlä-



    Ollenhauer
    gen in der neuen Zehnländerkommission der Vereinten Nationen zu behandeln, und zwar ist dieser Beschluß — ein seltener Fall — mit den Stimmen aller 82 Mitglieder der Vereinten Nationen gefaßt worden.
    Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der sowjetische Ministerpräsident in seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht nur den totalen Abrüstungsplan vertreten, sondern auch die Bereitschaft der Sowjetregierung zum Ausdruck gebracht hat, über Teillösungen, über schrittweise Fortschritte in der Abrüstungsfrage zu verhandeln. Der sowjetische Ministerpräsident hat diese Bereitschaft in seiner Moskauer Rede vom 31. Oktober ausdrücklich bestätigt. Ich möchte, daß wir diese Tatsachen bei dem weiteren Verlauf der Verhandlungen über die Abrüstung im Auge behalten.
    Wir haben neben der Behandlung dieser Frage in der Zehnerkommission der UNO die Wiederaufnahme der Verhandlungen der drei Atommächte über den Versuchsstopp zu verzeichnen; sie ist am 27. Oktober in Genf erfolgt.
    Die Bundesregierung, insbesondere der Herr Bundeskanzler, hat die Vorschläge des sowjetischen Ministerpräsidenten begrüßt. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß sich die Bundesregierung jeder internationalen Vereinbarung über die Abrüstung unterwerfen wolle.
    Unter den gegebenen Umständen genügt eine solche allgemeine Sympathieerklärung für umfassende Abrüstungsmaßnahmen nicht; denn jedermann weiß, daß es zu der sofortigen vollständigen
    Abrüstung nicht kommen wird. Die eigentliche
    Frage, vor die die Bundesregierung in bezug auf die
    Abrüstung gestellt ist, besteht doch darin, ob sie
    bereit ist, auch einer schrittweisen — sachlichen
    oder territorialen — Abrüstung zuzustimmen, ob sie
    bereit ist zur Mitarbeit an solchen Teillösungen.
    Denn praktisch wird dieser Weg der schrittweisen
    Regelungen der einzig mögliche sein, um überhaupt
    ein positives Resultat zu erzielen.
    Das Bedauerliche ist, daß in bezug auf solche schrittweisen Fortschritte in der Abrüstung, sei es in der Sache, sei es vor allem in regionaler Beziehung, die Haltung der Bundesregierung nach wie vor negativ ist. Ihr Standpunkt ist, daß sie keiner Regelung zustimmen könne, die den gegenwärtigen militärischen Status der Bundesrepublik im Rahmen der dafür geltenden Vertragswerke mindern würde. Meine Damen und Herren, wenn das der Standpunkt der Regierung der Bundesrepublik bleibt, ist das praktisch eine negative Entscheidung in der Abrüstungsfrage überhaupt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Angesichts der weltweiten Bedeutung der Abrüstungsfrage, die immer wieder von allen Seiten unterstrichen wird, möchte ich mit allem Ernst erklären, daß wir es auf das tiefste bedauern und im Interesse des deutschen Volkes beklagen würden, wenn die Bundesregierung auch in den kommenden Verhandlungen bei dieser negativen Einstellung bliebe. Ich meine, wir sollen uns nicht nur bereit erklären, auch Teilabmachungen zu akzeptieren, sondern wir sollten selber durch eigene Schritte die Abrüstungsgespräche fördern und damit zur internationalen Entspannung beitragen.
    Es handelt sich hier nicht darum, daß wir irgendwelche, wie man so schön sagt: utopische Vorleistungen .von der Bundesregierung verlangen. Es handelt sich um etwas ganz anderes. Meine Damen und Herren, wir haben hier im März 1958 eine Debatte über das Problem der Aufrüstung und der Abrüstung gehabt. Damals war unser Vorschlag, die Bundesregierung solle, statt atomar aufzurüsten, unter Hinweis auf den Verzicht der Bundesrepublik auf die Herstellung oder Anwendung der sogenannten ABC-Waffe eine Aufforderung an alle sogenannten Nichtatommächte richten, auf die atomare Ausrüstung zu verzichten, damit das Unheil des atomaren Wettrüstens auf den Kreis der Drei beschränkt bleibt. Sie haben damals diesen Vorschlag abgelehnt.
    Heute, anderthalb Jahre später, lohnt sich vielleicht für jeden der Gedanke, ob es nicht eine gute Position der Bundesrepublik gewesen wäre, wenn unsere Regierung mit Ihrer Zustimmung diesen Versuch gemacht hätte ohne irgendein Risiko der Minderung unserer eigenen Sicherheit.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt noch andere Möglichkeiten; auch sie sollte man sich in dieser Lage überlegen. Solche Überlegungen wären ein Beitrag der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich um die Frage: Wäre es angesichts der Verhandlungen über den Atomstopp und über die Beschränkung des Wettrüstens der Drei nicht erwägenswert, daß die Bundesrepublik an die drei heutigen Atommächte mit dem . Vorschlag herantritt, zur Begrenzung des Risikos des atomaren Wettrüstens bis zu einer Vereinbarung über die Einstellung der Atomrüstung keinerlei atomare Ausrüstung an vierte oder fünfte Mächte zu liefern,

    (Beifall bei der SPD)

    und verbindlich erklärt, daß wir uns absolut eindeutig und positiv einer solchen Entscheidung unterwerfen würden.
    Meine Damen und Herren, wo liegt hier eigentlich, auch vom Standpunkt Ihrer Sicherheitspolitik, ein militärisches und politisches Risiko? Warum sind wir eigentlich nicht bereit, in unserer besonderen Lage in dieser Weise einen sichtbaren Beitrag unseres guten Willens in der' Richtung einer Entspannung, erster Schritte der militärischen Rüstungsbeschränkung zu leisten?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich finde, es wäre gar nicht schlecht, wenn die Deutschen einmal in dieser Richtung, nämlich in der Richtung der Beschränkung der Rüstung, aus freiem Entschluß mit gutem Beispiel vorangingen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich mache diese Bemerkung auch deshalb, weil es ein Irrtum ist, anzunehmen, daß man, .wenn die Abrüstungsgespräche überhaupt zu einem Erfolg führen sollen, die Frage der regionalen Rüstungsbeschränkung ausschließen kann. Es ist selbstverständ-
    Deutschet Bundestag 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4697
    Ollenhauer
    lich, daß wir keine Sonderregelung vertreten oder verlangen,. die nur die beiden Teile Deutschlands umfaßt. Das wäre keine denkbare regionale Begrenzung mit irgendeinem Effekt für eine wirkliche Erleichterung der Rüstungssituation. Es ist auch. nötig, klarzustellen, daß jede solche regionale Abmachung keine Schwächung der Sicherheitsposition des Westens mit sich bringen darf.
    Und drittens: Auf diese Weise darf auch keine Verlagerung des militärischen Schwergewichts zugunsten der einen oder der anderen Seite, vor allem nicht zugunsten der Sowjets erfolgen.
    Es ist aber nicht wahr, daß solche Lösungen nicht
    denkbar und nicht zu realisieren seien. Solche europäischen regionalen Lösungen, die diese Voraussetzungen erfüllen und die trotzdem einen wesentlichen Schritt in .der Richtung der Rüstungsbeschränkung und der militärischen Entspannung bedeuten würden, sind denkbar. Wir sind bereit — ich möchte das hier, um nicht zu sehr in 'Einzelheiten zu gehen, von vornherein sagen —, diese These auch im Laufe dieser Debatte erneut zu beweisen und an Sie zu appellieren, doch die Dinge neu zu überdenken, damit wir tatsächlich durch eine aktive Mitwirkung der Regierung der Bundesrepublik zu einer schrittweisen militärischen Entspannung kommen.
    Warum? Weil das deutsche Interesse an einer solchen Teillösung in Europa nach unserer Meinung offensichtlich ist. Nur im Rahmen einer solchen militärischen Entspannung in Europa bestehen Aussichten auf eine akzeptable Lösung des Deutschlandproblems und eine dauerhafte Sicherung der
    Freiheit der Hauptstadt Berlin. Darum kann und darf die Bundesrepublik Diskussionen über solche Teillösungen nicht verweigern. Sie sollte vielmehr ihre ausdrückliche Bereitschaft zum Ausdruck bringen.
    Es gibt heute Leute, die in dieser Diskussion, die sich ja mit. einem heißumstrittenen Thema befaßt, glauben, sie hätten in der Auseinandersetzung mit den Anhängern einer europäischen Teillösung in Mr. Kennan einen neuen Bundesgenossen gefunden. Mr. Kennan hat sich früher sehr nachdrücklich für solche europäischen Entspannungsvorschläge eingesetzt und kürzlich erklärt, er halte unter den gegenwärtigen Umständen die Schaffung von militärischen Entspannungszonen in Europa nicht für möglich.
    Wir haben in manchen Lagern der in dieser Frage politisch Interessierten ein ziemliches Jubelgeschrei über diese Einsicht des Mr. Kennan gehört. Ich glaube aber, man sollte hier sehr vorsichtig sein; denn die Begründung, die Mr. Kennan für. seine heute, skeptische oder negative Einstellung zu dieser Frage gibt, ist eine der schwersten Anklagen gegen die Aufrüsturgspolitik, die in den vergangenen Jahren betrieben worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Kennan setzt nämlich auseinander, daß vor allem die vollständige militärische Integration der Bundesrepublik jede europäische Teillösung außerordentlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht hat.
    Eine solche Feststellung sollten wir sehr ernst nehmen und uns fragen, wie wir diese Hindernisse aus der Welt schaffen können. Denn ich glaube, wir dürfen nicht darauf verzichten, die Frage einer solchen regionalen militärischen Entspannung einmal ernsthaft zwischen West und Ost zur Debatte zu stellen. Die Behauptung der gegenwärtigen Positionen bedeutet von vornherein das Scheitern jedes Versuchs von Entspannung und auch das Scheitern jedes Versuchs einer Lösung der deutschen Frage.
    Ich glaube, es war ein Fehler des Westens — einschließlich der Vertretung unserer Bundesrepublik
    daß man auf der Außenministerkonferenz in Genf nicht auf die Anregung und Anfrage des sowjetischen Außenministers G r o m y k o vom 5. Juni 1959 eingegangen ist. Warum hat man eigentlich in diesem Stadium der Konferenz die Fragen, die Herr Gromyko in bezug auf mögliche Teillösungen gestellt hat, nicht beantwortet? Man hätte das tun sollen, nicht um sowjetische Vorschläge blanko zu akzeptieren, sondern um endlich einmal über die nach unserer Auffassung einzige Möglichkeit zu reden, den toten Punkt in der Frage der Wiedervereinigung zu überwinden. Man hat es nicht getan.
    Wir haben jetzt einen neuen Hinweis in der Rede von Herrn Chruschtschow, daß die Sowjetregierung bereit sei, über schrittweise Lösungen zu verhandeln. Es wäre sehr gefährlich, wenn man auch diese Bereitschaftserklärung in den Wind schlüge. Dabei soll man in diese Verhandlungen nicht mit der Illusion hineingehen, daß keine Probleme vorhanden seien, sondern einfach mit der Überzeugung, daß wir in der internationalen Diskussion über die politischen Probleme nicht weiterkommen, wenn wir diese Frage nicht bis auf den Grund diskutieren, um festzustellen, ob es eine gemeinsame Basis gibt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Außenminister hat heute morgen auch eine Bemerkung über die Deutschlandpolitik gemacht. Er hat die richtige Vorahnung gehabt, daß eines unserer Argumente das sein wird, daß die auswärtige Politik der Bundesregierung in bezug auf die Wiedervereinigung gescheitert sei. Er hat gemeint, er könne diesen Einwand vorwegnehmen. Dabei hat er gesagt, man könne doch bei so entscheidenden Fragen nicht auf Grund kurzfristiger Erfolge oder Mißerfolge zu irgendwelchen entscheidenden Urteilen über die — sagen wir — historische Richtigkeit einer bestimmten Politik kommen. -Entschuldigen Sie, Herr von Brentano, damit haben Sie die Dinge auf den Kopf gestellt, denn die. Position ist ganz anders. Sie sind hier seit Beginn der selbständigen Außenpolitik der Bundesrepublik, seit dem Beginn Ihrer Politik der deutschen Aufrüstung vor das Haus mit der Erklärung getreten, diese Aufrüstung werde uns die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das war doch Ihre These. Es geht hier nicht um kurz- oder langfristige Betrachtungen. Sie müssen uns auf die Frage antworten, ob Ihre Behauptung, Sie würden uns auf diese Weise der Wiedervereini-



    Ollenhauer
    gung näherbringen, im Lichte der Entwicklung aufrechterhalten werden kann oder nicht.

    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano: Ja! — Lachen bei der SPD.)

    — Wenn Sie dazu ja sagen, dann ist jede sachliche Diskussion über diese Frage unmöglich.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das glaubt er ja selber nicht!)

    Dann machen Sie keine Politik, sondern dann wollen Sie recht behalten, um eine bestimmte unhaltbare Position lange über ihre Zeit hinaus aufrechtzuerhalten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Menzel: Das Volk wird die Zeche bezahlen!)

    Ich möchte über dieses Kapitel zunächst nicht mehr sprechen. Ich habe gesagt, daß meine Fraktion bereit ist, gerade auch die Frage der regionalen Begrenzung der Rüstung noch näher zu untersuchen.
    In der zusammenfassenden Stellungnahme meiner Fraktion darf ich jetzt zu der nächsten Frage übergehen. Ich möchte hier unsere Beunruhigung über die Entwicklung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den Westmächten zum Ausdruck bringen. Man hat zwar gesagt, und der Herr Bundesaußenminister hat es heute wiederholt erklärt, es habe in allen Stadien hundertprozentige Übereinstimmung gegeben. Man hat gesagt, es gebe keine Verschlechterung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, und im Verhältnis zu Großbritannien handle es sich nur um geringfügige Meinungsverschiedenheiten, die im persönlichen Gespräch leicht aus der Welt geschafft werden könnten. Meine Damen und Herren, ich glaube, mit solchen Versuchen, eine sehr ernste Entwicklung zu verniedlichen, sollten wir uns hier nicht zufriedengeben.
    Was zunächst das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten angeht, so ist doch unbestreitbar, daß der Herr Bundeskanzler sich jedenfalls in der Auseinandersetzung über Termin und Tagesordnung der Gipfelkonferenz öffentlich gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten gewandt und sich auf die Seite des französischen Staatspräsidenten gestellt hat. Ist das eine Bagatelle? Ist das auf die leichte Schulter zu nehmen? Ist das unterzubringen unter dem Titel: „Es besteht völlige Übereinstimmung zwischen Bonn und Washington!"? Ich weiß nicht, wer das glauben soll und wer das glauben kann.

    (Zuruf von der SPD: Er selber!)

    Wir haben kein Interesse daran, solche Meinungsverschiedenheiten zu dramatisieren; aber noch weniger Interesse haben wir daran, sie zu leugnen, wenn sie offensichtlich sind.
    Nehmen wir den Fall Großbritannien. Da gibt es leider eine ganze Reihe von öffentlichen Äußerungen — von internen will ich gar nicht reden, die wird der Herr Bundeskanzler doch bestreiten —

    (Heiterkeit bei der SPD)

    des Herrn Bundeskanzlers, die die Beziehungen zwischen Bonn und London erheblich belastet haben. Ich will die Liste hier nicht ausdehnen — sie wäre
    sehr lang und sehr interessant —; aber ich denke z. B. an einen sehr typischen Fall, wie der Herr Bundeskanzler einen öffentlichen Angriff auf die britische Regierung gestartet hat wegen irgendeines Nebensatzes in einem Wahlaufruf der Konservativen Partei, der sich auf mögliche spätere Verhandlungen über regionale Rüstungsbeschränkungen bezog.

    (Abg. Schneider [Bremerhaven] : Deswegen haben aber die Konservativen die Wahl gewonnen! — Heiterkeit.)

    — Sicher hat Herr Adenauer da keinen Beitrag geleistet. Wir können sehr gern über die britischen Wahlen sprechen; vielleicht, Herr Schneider, können sie in einigen Punkten auch für Sie sehr lehrreich sein.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Aber ich meine hier jetzt den Herrn Bundeskanzler, nicht die englischen Wahlen.
    Ich möchte noch eine andere Bemerkung machen, Herr Bundeskanzler, und zwar über die Art und Weise, wie Sie damals im April über die „Drahtzieher" gesprochen haben, die angeblich ein Interesse daran hätten, das deutsch-englische Verhältnis zu verschlechtern. Was soll das eigentlich? Sicher haben wir dem Herrn Bundeskanzler keine Stilvorschriften zu machen. Aber es ist doch eine öffentliche Frage unseres Verhältnisses zu Großbritannien, wenn in dieser Weise offensichtlich im Verhältnis zu einem Lande, mit dem uns so viel verbindet, eine solche Belastung eintritt. Vielleicht könnte! man es vergessen sein lassen. Aber die Frage ist: ist es nur ein Zufall, oder steckt dahinter nicht tatsächlich eine politische Vorstellung des Herrn Bundeskanzlers über ein verändertes Verhältnis zu Großbritannien? Vielleicht ist der Herr Bundeskanzler heute der Meinung, daß Deutschland und Frankreich die Führung auf dem Kontinent haben müssen, ohne England, und daß Großbritannien hier nicht mehr führend sein kann.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das glaubt doch keiner!)

    — Bitte, es wäre sehr interessant, wenn wir darüber einige Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers hörten und nicht nur eine Erklärung: „Es ist alles in bester Ordnung, und wenn ich jetzt nach London gehe, werden all die Dinge sicher aus der Welt geschafft werden."

    (Abg. Schneider [Bremerhaven] : Ja, so kommt es doch! — Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, es ist ein merkwürdiger Gegensatz. Auf der einen Seite eine sehr große Überempfindlichkeit des Herrn Bundeskanzlers gegenüber bestimmten Haltungen der britischen Regierung; auf der anderen Seite stehen wir vor der Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler bei sehr bemerkenswerten Äußerungen des französischen Staatspräsidenten oder seines Ministerpräsidenten sozusagen die Nachsicht in Person ist.

    (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit. — Abg. Wehner: Sein altes Verhältnis!)




    Ollenhauer
    Sicher eine Rolle, die dem Herrn Bundeskanzler sehr schwerfällt,

    (Lachen in der Mitte und rechts)

    aber um so bemerkenswerter!
    Der französische Staatspräsident und Herr Debré haben öffentlich wiederholt z. B. die Auffassung vertreten, daß die Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze akzeptiert werden müsse. Offensichtlich ist es auch die Auffassung der heutigen offiziellen französischen Politik, daß man sich wohl oder übel auch mit der Fortdauer der Spaltung Deutschlands abfinden muß. Es ist bemerkenswert, daß das Echo auf diese für die gesamte deutsche Position außerordentlich wichtigen Vorstellungen seitens des Bundeskanzleramtes praktisch ausgeblieben ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Was ist die Folge? Heute kann man landauf, landab hören: Was wundert ihr euch eigentlich, ist es denn nicht denkbar, daß diese Äußerung von Herrn de Gaulle und Herrn Debré mit Wissen des Herrn Bundeskanzlers erfolgt ist?

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Unterstellung! — Weitere Zurufe und Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, ich halte es für meine Pflicht, hier solche Gerüchte auszusprechen,

    (Abg. Rasner: Verdächtigung!)

    nachdem wir keine andere Möglichkeit hatten, über solche Lebensfragen ernsthaft zu diskutieren.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir hier eine Antwort von Herrn Adenauer bekommen, die alle unsere Zweifel in diesem Punkt aus der Welt schafft.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wir möchten auch wissen — vielleicht bekommen wir die Antwort nicht; trotzdem stellen wir hier die Frage —: Steht denn hinter der offensichtlich unterschiedlichen Behandlung Großbritanniens auf der einen Seite und Frankreichs von heute auf der anderen Seite irgendeine politische Absicht? Gibt es in der Politik, in den Vorstellungen unserer Bundesregierung Pläne für eine kontinental-europäische Koalition, auch um den Preis einer Distanzierung von den Vereinigten Staaten und von Großbritannien

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    und den anderen nicht zu den Sechs gehörenden demokratischen Staaten?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ist das wieder ein Gerücht? Noch nicht mal ein Gerücht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, weisen Sie das nicht so ab! Sie können jedenfalls nicht für die ganze Fraktion sprechen;

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    denn Sie haben in Ihren Reihen Herrn Dr. Jaeger, der ja nicht müde wird, das Kleineuropa der Sechs noch um Franco-Spanien zu erweitern, um auf diese Weise das Reich Karls des Großen wieder auferstehen zu lassen.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: Kalter Kaffee!)

    — Es ist kalter Kaffee, Herr Rasner!

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich halte es für eine völlig verfehlte Politik. Aber leider laufen Sie mit solchen längst überholten politischen Vorstellungen auch sonst noch in der Welt herum.

    (Beifall und Zurufe bei der SPD. — Abg. Dr. h. c. Weber [Essen] : Das glauben Sie ja selber nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Wir sind glücklich über das freundschaftliche Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland,

    (Aha! bei der CDU/CSU)

    und ich glaube, es ist ein wesentlicher Beitrag in der Nachkriegsentwicklung von Europa, daß es möglich war, sehr schwierige Fragen zwischen Frankreich und Deutschland in einer freundschaftlichen Weise zu lösen.

    (Abg. Cillien: Und zwar durch den Herrn Bundeskanzler!)

    Lassen Sie mich aber eines sagen. Diese Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland und unser Bekenntnis dazu schließt nicht eine Blankovollmacht für jede Politik ein, die von den jeweiligen Regierungen in Bonn und Paris gemacht wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Wir wünschen kein Kontinentaleuropa der Sechs, das die volle politische Integration dieses Teiles von Europa auf Kosten unserer Freundschaft und unserer Beziehungen zu anderen europäischen Ländern bringt, vor allem nicht auf Kosten einer umfassenderen europäischen Gemeinschaft. Eine solche Politik würde weder den Interessen Europas noch den Interessen des deutschen Volkes dienen. Wir wünschen eine ernsthafte Anstrengung, unser Verhältnis zu Großbritannien wieder zu einem aufrichtigen und freundschaftlichen zu gestalten, die bestehenden Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und gemeinsame Wege für die Lösung der internationalen und europäischen Probleme zu finden. Da gibt es sachliche Schwierigkeiten; wir brauchen nur EWG und Freihandelszone zu nennen. Wir sind die letzten, die die Problematik dieser Dinge leugnen, aber wir müssen wissen, in welchem großen politischen Rahmen in der Europapolitik sich alle diese Dinge entwickeln sollen. Wir sind der Meinung, wir sollten über diese Frage der speziellen europäischen Zusammenarbeit in der nächsten Zeit einmal hier im Plenum des Bundestages reden. Es gibt da eine Reihe von Dingen, über die wir uns unterhalten sollten.

    Ollenhauer
    Jedenfalls möchten wir auch in diesem Zusammenhang an einen Tatbestand erinnern. Als wir seinerzeit den EWG-Vertrag annahmen, haben wir dies mit der einmütigen Forderung dieses Hauses getan, daß die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ihre Ergänzung in der Schaffung einer Freihandelszone, einer umfassenderen europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit findet. Wir wünschen, daß der damaligen Auffassung und Willenskundgebung des Bundestages auch in der jetzigen Situation Rechnung getragen wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Daß hierüber im Lager der Regierung nicht volle Harmonie herrscht, ist offensichtlich. Davon wüßte Professor Erhard ein Lied zu singen, wenn er wollte und wenn er könnte.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Er kann nicht singen!)

    Da gibt es also im Lager der Regierung selbst offensichtlich Schwierigkeiten.
    Unsere Vorstellung ist, daß wir weiterhin den Versuch machen müssen, die Zusammenarbeit in Europa auf der Basis der Sechs als eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu sehen und darüber hinaus diese wirtschaffliche Zusammenarbeit auch auf die anderen nicht an der EWG beteiligten europäischen Länder auszudehnen. Ich finde, die Bildung der sogenannten kleinen Freihandelszone ist eine ernste Warnung für alle, die in der europäischen Zusammenarbeit immer mehr gesehen haben als die möglichst weitgehende Integration der Sechs zu einem Kleineuropa. Wir sollten diese Gefahr abzuwenden versuchen und danach trachten, daß wir zu einer Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über die Sechs hinaus kommen. Wir dürfen unsere Kräfte nicht auf die Vorstellung konzentrieren, es komme jetzt darauf an, über die EWG in erster Linie zu einer politischen Gemeinschaft der Sechs auf dein europäischen Kontinent zu kommen. Das zu diesem Kapitel.
    Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu unseren Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten machen. Auch aus den heutigen Erklärungen des Herrn Außenministers ist hervorgegangen, daß die Bundesregierung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bereit ist, solche diplomatischen Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten aufzunehmen. Wir bedauern das. Wir bedauern es aus dem einfachen Grunde, daß es auf die Dauer eine unmögliche Politik ist, mit einer Reihe von Staaten, mit denen wir zum Teil sogar sehr wichtige gemeinsame Probleme zu erörtern haben, überhaupt keine Beziehungen zu unterhalten. Wir bedauern es, daß die Regierung und die Koalitionsmehrheit, vor allem die CDU/CSU, versucht haben, diese Frage zu einem erstrangigen politischen Problem zu machen,

    (Abg. Majonica: Das haben wir ja gar nicht aufs Tapet gebracht, das ist doch von Ihnen aufgerollt worden!)

    und zwar möchte ich sogar hinzufügen, zum Teil viel mehr unter innenpolitischen Aspekten als mit
    der notwendigen sachlichen Bewertung der außenpolitischen Konsequenzen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Freiherr zu Guttenberg: Sie haben doch den Antrag gestellt!)

    — Jawohl, wir stehen auch dazu! Was wir bedauern, ist die Art und Weise, wie Sie sich seit 1956 mit einem rein sachlichen Anliegen der Opposition auseinandergesetzt haben.
    Wir haben auf unserem Parteitag in München beschlossen, der Bundesregierung zu empfehlen, diplomatische Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern und zu China aufzunehmen. Wenn damals die Bundesrepublik in dieser Richtung eine aktivere Politik betrieben hätte, wären manche Dinge heute leichter zu diskutieren, als es so möglich ist.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Es ist doch durchaus nicht so, daß irgend jemand von uns durch solche diplomatischen Beziehungen eine Anerkennung der kommunistischen Regime in diesen Ländern erreichen wollte oder daß er irgend jemandem eine solche Anerkennung zumutete. Es ist auch nicht so, daß wir durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in strittigen Grenzfragen Dinge vorwegnähmen oder das Pankower Regime anerkennten. Das sind doch alles Dinge, die mit der Forderung, mit jedem Land ohne Rücksicht auf sein inneres Regime normale diplomatische Beziehungen zu unterhalten, überhaupt nichts zu tun haben. Wo kämen wir hin, wenn wir solche Maßstäbe anlegten!

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben es auch sonst nicht getan. Trotzdem ist es nicht möglich, über diese Hürde hinwegzukommen, obwohl wir ja einen Präzedenzfall haben: wir haben diplomatische Beziehungen zwischen Moskau und Bonn. Als der Herr Bundeskanzler die Aufnahme dieser diplomatischen Beziehungen zusagte, kam niemand auf die Idee, darin etwa eine Anerkennung des kommunistischen Regimes in der Sowjetunion zu vermuten. In Moskau gibt es neben der Botschaft der Bundesrepublik eine Botschaft des Pankower Regimes, die bereits vorhanden war, als wir die diplomatischen Beziehungen aufnahmen. Wo ist denn aus diesem Tatbestand die Anerkennung des Pankower Regimes hergeleitet worden?
    Wir haben in bezug auf Fragen, die nach unserer Meinung durch den Friedensvertrag geregelt werden müssen, in Moskau unseren Rechtsvorbehalt schriftlich formuliert niedergelegt. Die Moskauer Regierung hat das zur Kenntnis genommen, und jedermann weiß, daß mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und Bonn in diesen Fragen, z. B. bezüglich der Grenzen, von uns nichts vorweg entschieden oder anerkannt wird. Warum kann man das nicht auch gegenüber anderen osteuropäischen Ländern tun? Warum machen wir nicht einen Versuch, — nicht, um irgend jemandem einen Gefallen zu tun, sondern um uns selber die Mindestvoraussetzungen für die Verhandlungen zu schaffen, die wir mit bestimmten Ländern Osteuropas führen müssen, wenn wir bestimmte wichtige



    Ollenhauer
    Probleme des deutschen Volkes in vernünftiger Weise und auf die Dauer regeln wollen?
    Ich freue mich jedenfalls — das möchte ich hier feststellen —, dabei in Übereinstimmung mit dem zu sein, was der Herr Bundesaußenminister gesagt hat. Niemand denkt daran, unseren Standpunkt aufzugeben, daß die Frage der deutschen Ostgrenzen nur im Zuge von Friedensvertragsverhandlungen gelöst werden kann. Der Anspruch der Heimatvertriebenen auf ihre Heimat als ein elementares Menschenrecht ist unbestritten und unverzichtbar. Schließlich kann man in einer Zeit, in der in aller Welt das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundlage des Verhältnisses der Staaten zueinander anerkannt wird, dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht auf die Dauer nicht verweigern.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich frage Sie: wenn wir in diesen Voraussetzungen einer Meinung sind, wo liegen dann eigentlich die praktischen Hindernisse, hier einen Schritt zu tun?

    (Abg. Majonica: Das wissen Sie doch, Herr Ollenhauer! Darüber werden wir noch sprechen. Das haben wir ja ausführlich miteinander diskutiert, und wir werden es auch noch tun, Herr Kollege!)

    Ich habe es für richtig gehalten, unseren Standpunkt hier noch einmal zu präzisieren,

    (Abg. Majonica: Gut! Wir werden es auch tun!)

    Ich möchte im Anschluß an diese Bemerkung feststellen, daß wir die im Auswärtigen Ausschuß getroffene Verabredung begrüßen, die Problematik dieses ganzen Komplexes in einem Arbeitsausschuß weiter zu untersuchen. Nur möchten wir, daß es mit dem aktiven Willen geschieht, bald zu einer positiven Lösung zu kommen, weil uns das im Interesse der deutschen Politik zu liegen scheint. Ich finde, wir brauchen normale und friedliche Beziehungen nach beiden Seiten, nach Westen und nach Osten, wenn wir die friedliche Zukunft eines wiedervereinigten Deutschlands erreichen wollen.
    Außerdem ist es eine Unaufrichtigkeit in der deutschen Politik, wenn die Industrie der Bundesrepublik auf allen Messen und Ausstellungen in Osteuropa massenweise auftritt, während sich die politische Führung der Bundesrepublik weigert, ihre offiziellen Vertreter in die Hauptstädte dieser Länder zu schicken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir stehen auch heute wieder vor der Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, in ihrer Außenpolitik aktive Schritte in Richtung auf die Abrüstung und auf die schrittweise militärische Entspannung in Europa zu unternehmen, ob sie bereit ist, die Beziehungen zu allen Völkern in der Welt, auch zu Osteuropa, zu normalisieren, ob sie bereit ist, hier nicht nur abzuwarten, sondern gerade im Hinblick auf die kommenden internationalen Konferenzen selber auch die Initiative durch eigene Vorschläge zu ergreifen.
    Ich gebe zu, das bedeutet eine Revision der jetzigen Außenpolitik der Bundesregierung. Wie wir gehört haben, hat Herr von Brentano erklärt, die Bundesregierung sei nicht bereit, eine solche Revision durchzuführen. Ich bedaure das auf das tiefste, weil ich nicht sehe, wie wir sonst überhaupt zu hoffnungsvolleren Aspekten in bezug auf die Entspannung in Europa und die Wiedervereinigung Deutschlands kommen wollen.
    Meine Damen und Herren, es hilft Ihnen nichts, auch nicht die heutige Erklärung von Herrn von Brentano über die Folgerichtigkeit und die Logik der Außenpolitik der Regierung seit 1951. Sie war sicher konsequent. Aber es muß untersucht werden, mit welchem Resultat!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wert oder Unwert, Erfolg oder Mißerfolg der Außenpolitik der deutschen Bundesregierung seit 1949 können vom deutschen Standpunkt aus in erster Linie doch nur am Stand der Aussichten für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gemessen werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt keinen anderen Maßstab, der für das Urteil über die Politik der Bundesrepublik seit 1949 angelegt werden kann. Man kann nicht bestreiten —ich sage das nicht leichten Herzens —: wir sind heute von der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit weiter entfernt als je seit 1949.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Doch nicht durch die Schuld der Bundesregierung!)

    Liebe Kollegin Weber, das ist nicht nur die Folge der Außenpolitik der Bundesregierung. Das sage ich nicht auf Ihren Zwischenruf, das steht in meinem Manuskript; denn ich bin der Meinung, die Verkündung einer solchen Alleinschuld der Bundesregierung wäre unaufrichtig Und wäre falsch.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] Also doch!)

    Aber meine Damen und Herren, wir wissen, was alles für andere Elemente und politische Kräfte zu diesem Resultat beigetragen haben: vor allem -das wissen wir aus den Erfahrungen bis in die letzten Tage — daß z. B. die Machthaber in Pankow in erster Linie an der Erhaltung und Vertiefung der Spaltung Deutschlands interessiert sind, weil sie für sie die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung ihres Diktaturregimes in dem von ihnen besetzten Teil Deutschlands ist.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Darüber gibt es keinen Zweifel, das kann man überhaupt nicht zur Diskussion stellen. In dieser Tatsache liegt auch eine der wesentlichen Ursachen für die weitgehende, erdrückende Ablehnung des Pankower Regimes in der Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone. Das ist die Seite, die wir nicht verkennen und außer acht lassen.



    Ollenhauer
    Ich gehe sogar noch weiter. Es gibt auch starke internationale Kräfte, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    die an der Fortdauer der Spaltung Deutschlands interessiert sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich will mich hier nicht aus 'irgendeine Eitelkeit selbst zitieren. Aber ich darf Sie in diesem Augenblick an die Dezember-Debatte nach der ersten Genfer Konferenz erinnern, in der wir über die damals gegebene Situation gesprochen haben. Wir haben die Regierung darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahren sich aus der Fortsetzung ihres Kurses für Berlin und für unsere Beziehungen zu der Bevölkerung in der sowjetisch besetzten Zone ergeben müssen. Meine Damen und Herren, im Dezember 1955 — lesen Sie selber nach! — haben wir ohne jedes polemische Beiwerk 'darauf hingewiesen: Es kann eine Lage entstehen, in der es um die elementarsten Lebensrechte unserer Berliner und um die primitivsten Beziehungen zu den Menschen in der Sowjetzone geht. Heute stehen wir vor dieser schwierigen Lage; das kann doch niemand bestreiten. Unsere Meinung ist: wir dürfen ihr gegenüber nicht untätig bleiben. Es gibt glücklicherweise noch starke Kräfte in der Welt, vor allen Dingen dm Westen, in der freien Welt, die die Wiedervereinigung Deutschlands aufrichtig wollen. Aber, meine Damen und Herren, wir können vor allem in der Zukunft nicht erwarten, daß sie mehr für die Wiedervereinigung tun, als wir selber zu tun bereit sind.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Hier reichen Bekenntnisse nicht mehr aus. Es kommt darauf an, wie wir in dieser Lageeine Politik der Bundesregierung entwickeln können, die die Tür zu neuen Verhandlungen über die Wiedervereinigung und über die endgültige Sicherung der Freiheit von Berlin offenhalten kann.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber wollen doch die Tür offenhalten!)

    — Es kommt darauf an, mit welchen Mitteln, liebe Kollegin Weber! Sehen Sie, wir sind heute so weit, daß gute Freunde im Ausland — Sie kennen sie alle — uns den Rat geben, um des lieben Friedens willen die Sache der Wiedervereinigung wenigstens für eine absehbare Zeit aufzugeben und die Spaltung Deutschlands hinzunehmen.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Um Gottes willen!)

    Es gibt auch Politiker in Deutschland, die eine solche Haltung heute für die einzige sogenannte realistische Politik halten. Vielleicht lesen Sie gelegentlich mal den „Rheinischen Merkur".

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Da haben Sie das Blatt, das in dieser Beziehung
    wirklich eine Politik vertritt, die mit allen Lebens-
    interessen des deutschen Volkes nach meiner Meinung in krassem Widerspruch steht.

    (Abg. Majonica: Sie verwechseln den „Rheinischen Merkur" mit dem „Vorwärts"! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren und lieber Herr Majonica, Sie können alles Mögliche an Kritik gegenüber dem „Vorwärts" sagen; denn das ist ja ein sozialdemokratisches Blatt und kein CDU-Blatt. Aber in der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, in bezug auf die Abwertung dieses größten nationalen Anliegens des deutschen Volkes steht der „Rheinische Merkur" außerhalb jeder Konkurrenz,

    (Beifall bei der SPD)

    und ich bedauere, daß er ein Blatt Ihrer Partei ist.
    Gegenüber solcher Resignation oder auch Spekulation — „Warum können wir es nicht vielleicht so bequemer haben?" — kann es für die deutsche Politik doch nur folgende These geben: daß es keine denkbare internationale Situation geben kann, in der wir es vor unserem Volk und vor allem vor den Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs rechtfertigen und vertreten können, unsere Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands aufzugeben.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Will auch keiner!)

    Die Fortdauer der Spaltung Deutschlands ist auch unvereinbar mit den Interessen der friedliebenden Kräfte, die in Europa und in der Welt für die Entspannung wirken.
    Herr von Brentano hat es für richtig gehalten, in seinen Rechenschaftsbericht einen besonders polemischen Teil gegen die Sozialdemokratie mit Angriffen auf den Deutschland-Plan einzuschalten. Ich bedauere das. Ich hätte gewünscht, wir hätten im Laufe dieser Diskussion die Möglichkeit gefunden, einmal sachlich über die Grundgedanken der Vorschläge des Deutschland-Plans zu diskutieren.

    (Abg. Rasner: Machen wir noch!)

    Ich habe am wenigsten erwartet, daß der Herr Außenminister in dieser Weise gegen unseren damaligen Vorschlag vorgehen würde.

    (Abg. Rasner: Damaligen? Ist erledigt?! Ist schon vorbei?)

    — Ne, ne, ne, so billig können Sie es nicht haben! Das wissen Sie ja selber.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was kostet er denn?)

    Die Darstellung, die Herr von Brentano von unseren Vorstellungen in bezug auf die Zusammenarbeit, in bezug auf die Entwicklung gemeinsamer Organe, vor allen Dingen der verfassunggebenden Nationalversammlung, gegeben hat, war objektiv falsch.

    (Beifall bei der SPD.)

    Vielleicht hat Herr von Brentano das nicht gelesen.

    (Abg. Dr. Menzel: Er ist wieder nicht dal)




    Ollenhauer
    Aber es ist einfach nicht wahr, daß in unserem Deutschland-Plan der Vorschlag enthalten ist, die Nationalversammlung, die die deutsche Verfassung zustande bringen soll, nicht durch direkte, allgemeine und freie Wahlen, sondern durch paritätische Abmachungen zu schaffen. Das steht nicht drin, und ich bitte sehr, Herr von Brentano, uns einmal vorzulesen, wo das steht. Meine Damen und Herren, das hat doch keinen Sinn. Ich muß Ihnen offen sagen, ich war nicht darauf gefaßt, daß Herr von Brentano diese polemischen und :unsachlichen Bemerkungen über unseren Vorschlag machen würde.
    Aber ich hatte mir vorgenomen, hier zu sagen, wie wir zu diesem Plan mit seinen Einzelvorschlägen gekommen sind. Diese Einzelvorschläge müssen wir auch in der zukünftigen Entwicklung, wenn wir den Dingen wirklich sachlich auf den Grund gehen und eine Annäherung der beiden Teile Deutschlands erreichen wollen, noch sehr ernst zur Diskussion stellen, Sie und wir! Ehe Sie also hier in dieselbe falsche Schußrichtung losgehen wie Herr von Brentano, möchte ich Sie bitten, vor der Nachmittagssitzung einmal genau zu lesen, welche Vorschläge in dem Friedensplan der Westmächte, zu dem sich Herr von Brentano bekannt hat, über die innerdeutsche Zusammenarbeit durch die Schaffung eines gemeinsamen Komitees enthalten sind.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Und dann beweisen Sie uns einmal, wo denn die prinzipiellen Unterschiede zwischen diesen Vorschlägen und unseren liegen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica: O ja! — Abg. Rasner: Wir kommen darauf zu sprechen!)

    — Bitte, in diesem Fall werden Sie so freundlich sein, uns das zu ¡beweisen.

    (Abg. Majonica: Das werden wir!)

    Außerdem möchte ich Sie fragen: Warum unterschlagen Sie immer wieder bei jeder Diskussion, auch heute wieder, zwei entscheidende Tatsachen? Sie unterschlagen erstens die Tatsache, daß alle Vorschläge für die schrittweise Zusammenführung der beiden Teile Deutschlands in den Stufen eins und zwei eine verpflichtende Vereinbarung der Vier Mächte über die Aufgaben und Begrenzungen dieser Kommission oder dieses Ausschusses, wie immer wir ihn nennen wollen, voraussetzen.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Rasner: Paritätisch!)

    Und warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß in diesem Deutschlandplan gesagt list: Der erste Schritt der Zusammenarbeit ist nur denkbar bei vorheriger Anerkennung der Grund- und der Menschenrechte in beiden Teilen Deutschlands!?

    (Abg. Majonica: Und der Parität! — Zurufe von der SPD.)

    Sie können sagen: „Das ist illusionär", aber Sie,
    müssen, wenn Sie unseren Plan diskutieren, ihn
    auch wirklich so diskutieren, wie er da entwickelt ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)