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ID0308604600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 86. Sitzung Bonn, den 4. November 1959 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Etzenbach, Lermer und Dr. Conring 4617 A Abg. Brüns tritt als Nachfolger des verstor- benen Abg. Kunze in den Bundestag ein 4617 B Abg. Bach tritt als Nachfolger des Abg. Recktenwald in den Bundestag ein . . . 4617 B Mandatsniederlegung des Abg. Glahn . 4617 C Nachwahl von deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (Drucksache 1320) 4617 D Wahl eines stellvertretenden Mitgliedes des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 1323) 4617 D Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Lage des Kohlebergbaus (Drucksache 1300) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung einer Ergänzungsabgabe für soziale Hilf s-maßnahmen im Kohlebergbau (SPD) (Drucksache 1318) — Erste Beratung — Antrag betr. Bestellung eines Bundesbeauftragten für die Kohlewirtschaft (SPD) (Drucksache 1319) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksache 1327) — Erste Beratung —. Entwurf eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe (Drucksachen 937, 1113); Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 1287, zu 1287) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Deist (SPD) . 4618 A, 4668 D, 4675 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 4623 D, 4640 D, 4644 A, 4673 C Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . . 4631 B Dr. Atzenroth (FDP) 4635 A Dr. Bleiß (SPD) . . . . . . . 4640 A Höcherl (CDU/CSU) 4646 D Dr. Steinmetz (DP) 4649 C Bergmann (SPD) . . . . . . . 4650 B Scheppmann (CDU/CSU) 4653 C Seuffert (SPD) . . . . . . . 4656 B Engelbrecht-Greve (CDU/CSU) . 4657 C Dr.-Ing. Philipp (CDU/CSU) . . 4658 B Margulies (FDP) . . . . . . . 4658 C Dr. Schneider (Saarbrücken) (FDP) 4667 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau Il Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1959 (Abg. Auge, Behrendt, Bergmann, Büttner, Dr. Deist, Geritzmann, Heiland, Dr. Dr. Heinemann, Iven [Düren], Keuning, Kriedemann, Lange [Essen], Meyer [Wanne-Eickel], Frau Rudoll, Sträter, Striebeck, Wilhelm und Fraktion der SPD) (Drucksache 1246 [neu]) — Erste Beratung — 4678 C Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau (Abg. Harnischfeger, Dr. Hesberg, Mick, Scheppmann, Wullenhaupt und Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache 1292) Erste Beratung — 4678 C 'Entwurf eines Gesetzes über das Kreditwesen (Drucksache 1114) — Erste Beratung — Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 4659 B Dr. Veit, Minister des Landes Baden-Württemberg . . . . . . . 4660 C Scharnberg (CDU/CSU) 4664 B Dr. Seume (SPD) 4664 C Dr. Dahlgrün (FDP) 4666 D Nächste Sitzung 4678 D Anlagen 4679 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1959 4617 86. Sitzung Bonn, den 4. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 15.02 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1959 4679 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Atzenroth 7, 11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Brüns 4. 11 Dr. Bucerius 4. 11. Drachsler 6. 11. Even (Köln) 4. 11. Faller 4. 11. Gehring 4. 11. Geiger (München) 4. 11. Gewandt 4. 11. Dr Gleissner 4. 11. Dr Greve 15. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Hilbert 1. 12 Junghans 7. 11. Kraus • 4. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Dr. Leverkuehn 4. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Metzger 4. 11. Müller (Ravensburg) 4. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Frau Dr. Pannhoff 4. 11. Pietscher 6. 11. Pohle 4. 11. Prennel 6. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 4. 11. Dr. Seffrin 7. 11 Seidl (Dorfen) 5. 11. Seither 4. 11. Dr. Siemer 4. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Sühler 4. 11. Weinkamm 7. 11. b) Urlaubsanträge Graf Adelmann 25. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Heye 25. 11. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. lI. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 407 Änderungsantrag der Abgeordneten Engelbrecht-Greve, Müller-Hermann, Scharnberg und Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe (Drucksachen 937, 1113, 1287). Der Bundestag wolle beschließen: 1. In § 1 sind in der Anmerkung 3 zu Tarifnr. 27.01 folgende Änderungen durchzuführen: a) In Absatz 2 sind die Worte „insgesamt 68 vom Hundert" durch die Worte „insgesamt 77 vom Hundert" und die Worte „,im Durchschnitt der Jahre 1956, 1957 und 1958" durch die Worte „im Durchschnitt der Jahre 1955, 1956, 1957 und 1958" zu ersetzen. b) Im Absatz 3 sind die Worte „im Durchschnitt der Jahre 1956, 1957 und 1958" durch die Worte „1955, 1956, 1957 und 1958" zu ersetzen. c) Als Absatz 5 wird angefügt: „Die Bundesregierung kann, nachdem dem Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben worden ist, mit Zustimmung des Bundestages durch Rechtsverordnung das Zollkontingent in Absatz 2 dieser Anmerkung bis zu 20 v. H. erhöhen, wenn dies aus gesamtwirtschaftlichen Gründen geboten ist." 2. In § 2 ist vor die Jahreszahl „1956" die Jahreszahl „1955" einzufügen. 3. § 3 Abs. 2 wird wie folgt geändert: a) in Nummer 1 ist vor die Jahreszahl „1956" die Jahreszahl „1955" einzufügen; b) in Nummer 6 erhält Satz 2 folgende Fassung: „Auf den Anteil des Antragstellers ist die Warenmenge, die er in der Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 1959 eingeführt hat, insoweit anzurechnen, als hierdurch die für ihn nach Nummer 5 festgestellte Warenmenge nicht gekürzt wird." 4. In § 5 Abs. 2 erhält Satz 1 folgende Fassung: „Das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft vermerkt im Kontingentschein, daß die für den Berechtigten nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 festgestellte Teilmenge zur Belieferung anderer als in § 3 Abs. 2 Nr. 3 genannter Verbraucher verwendet werden darf." Bonn, den 3. November 1959 Engelbrecht-Greve Müller-Hermann Scharnberg Dr. Krone und Fraktion
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    Rede von Karl Bergmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin tief enttäuscht, daß der Abgeordnete Höcherl hier gesagt hat, die Große Anfrage der Bundestagsfraktion der SPD trage zu Unruhe bei oder enthalte Übertreibungen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Leider hat der Bundeswirtschaftsminister das gleiche zum Ausdruck gebracht. Ich bin der gleichen Auffassung wie die CDU-Abgeordneten des Ruhrgebietes, die in den entscheidenden Wochen und Monaten zu dieser Frage Stellung genommen und sogar öffentlich durch ihre Presse gefordert haben,
    daß der Herr Bundeswirtschaftsminister endlich einmal seine Pläne darüber kundtut, wie man das Problem der Feierschichten lösen könne.
    In der Öffentlichkeit, aber auch in diesem Hause ist viel über das Kohleproblem und ,über die Schwierigkeiten im Ruhrbergbau gesprochen und geschrieben worden. Ihnen wird es wie mir ergehen: Man wird fast täglich angesprochen von Leuten, die Klarheit bekommen wollen, was eigentlich los ist. Wenn man einmal die in der Öffentlichkeit gebrauchten Argumente prüfen will, stößt man auf ein wirres Durcheinander. Ich glaube übrigens, daß dieses Durcheinander durch Ausführungen und Andeutungen des Herrn Wirtschaftsministers nur noch gefördert wird. Ich habe dabei den Eindruck, daß Kräfte am Werke sind, die dazu bewußt beitragen; hinterher will es natürlich keiner gewesen sein.
    Nehmen Sie doch einmal die Überschriften der Tagespresse der letzten Monate. Ich will nur einiges davon zitieren, besonders aus dem Ruhrgebiet: Es heißt hier: „Feierschichten ohne Ende", Elastische Kohlepreispolitik notwendig", „Entlassung droht 50 000 Bergleuten", „4450 Bergarbeiter gesucht". Weiter: „Erhard beruhigt die Bergarbeiter", „Blank spricht von Demagogie", „Ruhrbischof sagt: Helft den Bergleuten!", „12 Zechen sollen stillgelegt werden — Vorschlag des Unternehmensverbandes", und — Herr Bundeswirtschaftsminister, passen Sie sehr gut auf! — „Burckhardt: 15 Zechen stillegen — Weitere 50 000 bis 60 000 Bergleute sollen entlassen werden". — Hier wissen Sie also, wer es gesagt hat. — „Blank in Essen (Ruhr) : Die Ruhr ist kein Notstandsgebiet". Oder: „Die Heizölsteuer die eleganteste Lösung". „Dr. Burckhardt sagt: Die Kohle kapituliert nicht!" „Kohlepreise in Bewegung". „Ruhrkohleverkauf bleibt bei seinem neuen Plan". „IG Bergbau ist zum Kampf entschlossen". Oder: „60 000 Bergleute in Bonn". Und: „Professor Erhard sagt hier: Demonstrationen können der Kohle nicht helfen". „Arbeitskräfte lassen sich nicht wie Maschinen einmotten". So ging es durch die Presse. Sie müssen doch wohl selbst zugeben, daß das ein Durcheinander von Argumenten ist und daß unsere Bürger, insbesondere die im Bergbau beschäftigten, das einfach nicht mehr verstehen können.
    Ich will versuchen, zu einigen Fragen Stellung zu nehmen. Auch Sie, meine Damen und Herren, werden in diesen Tagen die Stellungnahme der Unternehmensverbände des Ruhrbergbaus, der Saar, Bayerns, Niedersachsens und Aachens erhalten haben. Die Überschrift auf der zweiten Seite heißt: „Der Bergbau hilft sich selbst". Was verbirgt sich dahinter, was soll damit gesagt sein? Ich werfe die Frage auf, hilft er sich wirklich selbst? Dabei kommt es mir auf das Wort „selbst" an. Ich frage weiter, kann er sich überhaupt selbst helfen? Ich sage: Nein! Das hängt sicherlich auch mit der freien Unternehmerpersönlichkeit zusammen. Ich meine, die wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte sind von entscheidender Bedeutung. Daß den wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten Rechnung getragen wird, dafür sind der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung verantwortlich. Weil es den Bergbauunternehmern bis jetzt überlassen blieb, zu ent-



    Bergmann
    scheiden, was zu tun ist, kam es zu Entlassungen, von denen bis jetzt 60 000 Bergleute betroffen wurden. Die Entlassung weiterer 50 000 ist angekündigt. So kam es auch zu der Parole, daß 12, 15 oder sogar 16. Schachtanlagen stillgelegt werden sollen. Können Sie sich vorstellen, welche Wirkung das nicht nur für die im Bergbau Beschäftigten, sondern auch für die Geschäftswelt, für den Mittelstand, für alle, die vom Bergbau leben, hat? Das ist doch ein Schrumpfungsprozeß von ungeheurem Ausmaß. Die Äußerungen von Herrn Burckhardt sind die Ursache der Stimmung. Da streitet man sich darüber, ob es eine Panik sei, ob es eine Krisenlage sei oder ob man von einer Katastrophe sprechen könne. Ich finde es sehr eigenartig, daß der Bundesarbeitsminister Blank in Essen erscheint, um den Vorsitzenden der IG Bergbau anzugreifen und von Demagogie zu sprechen. Gerade der Herr Bundesarbeitsminister hätte Veranlassung, sich darum zu bemühen, daß die Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze behalten. Die ganzen Auswirkungen wird er mittlerweile auch von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister erfahren haben. Wir wissen jetzt auf Grund von Unterlagen, daß unter den 60 000 ausgeschiedenen Arbeitnehmern 80% Bergleute bis zum Alter von 30 Jahren sind. Diese jungen Leute, die mit großem Aufwand öffentlicher Mittel für den Bergbau geworben wurden, stehen nun also nicht mehr zur Verfügung. Aber auch für diejenigen, die noch beschäftigt sind, ist es eine Katastrophe; denn man muß feststellen, daß von Ende Februar 1958 bis Mitte 1959 11 Anlagen 28 Feierschichten, 9 Anlagen 29 Feierschichten, 1 Anlage 30 Feierschichten, 5 Anlagen 31 Feierschichten und 3 Schachtanlagen sogar 33 Feierschichten hinnehmen mußten. Das entspricht fast einem Einkommen von zwei Monaten. Sage mir da doch keiner, daß das soziale Gefüge einer Bergarbeiterfamilie nicht in Unordnung gerät, ich möchte sogar sagen: in große Schwierigkeiten kommen muß! Betrachten Sie doch einmal einen Beschäftigten, der in einer solchen Anlage im Schichtlohn tätig ist! Suchen Sie einmal einen solchen Mann auf! Sie werden dann feststellen, daß fast jeder nur noch ein Einkommen hatte, das in der Höhe des Fürsorgerichtsatzes lag, wenn man das auch vorhin abgestritten hat. Letzten Endes sind im Bergbau nicht nur Gedingearbeiter, sondern in großem Umfange auch Schichtlöhner beschäftigt. Da komme man doch nicht zum Ruhrgebiet, um so etwas zu beschönigen, um dabei der zuständigen Berufsorganisation eins auszuwischen! Herr Bundesarbeitminister, Sie sollten besser — wie der Ruhrbischof in Essen — sagen: Helft den Bergleuten!

    (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Preusker.)

    Ich möchte einmal unsere Angestellten und Beamten sehen, wenn sie wie viele Kumpels auf fast zwei Monatsgehälter verzichten müßten. Ich glaube, sie würden genauso unruhig wie unsere Bergleute. Oder Sie nicht, Herr Bundesarbeitsminister?
    Die ganze Angelegenheit hat letzten Endes auch eine politische Seite. Uns sollten die Erfahrungen der zwanziger Jahre an der Ruhr noch mahnend in Erinnerung sein. Deutlich war auch jetzt zu spüren, welche Kräfte am Werke waren. Im Interesse einer
    geordneten demokratischen Entwicklung sollte man daher die Akzente nicht verschieben.
    Wir sind auch der Auffassung, daß die Bundesregierung, wie schon gesagt, ohne Konzeption, ohne Plan einer Energiepolitik, es den Bergbauunternehmen nicht gestatten kann, nach alter Manier sich auf Kosten der Arbeitnehmer im Bergbau gesundzuschrumpfen. Die Rationalisierungsbemühungen müssen sicher anerkannt werden. Aber man hat jetzt fast den Eindruck, daß Entlassungen und Feierschichten die Hauptlösung darstellen sollen.
    Eine Glanzleistung der öffentlichen Beeinflussung der Entscheidung in der hier anstehenden Frage der Heizölsteuer erlebten wir heute morgen in unserer Presse. Nach dem Bericht einer westdeutschen Zeitung soll Herr Burckhardt gesagt haben: Stillegungen hängen von der Heizölsteuer ab. Ich finde diese Koppelung Stillegung — Heizölsteuer unerhört. Für den Bergarbeiter wäre es sehr interessant, hierzu einmal die Meinung des Herrn Bundeswirtschaftsministers zu hören. Dahinter steht für mich die Frage: Erfolgen keine Stillegungen von Schachtanlagen, wenn die Heizölsteuer beschlossen wird?
    Ich sagte schon: Man kann in der Öffentlichkeit nicht verstehen, daß man mehr als hunderttausend Bergleute entlassen will und zugleich die Außenstelle Bergbau des Landesarbeitsamts in Recklinghausen mitteilt, daß die Zahl der offenen Stellen gegenwärtig rund 4450 beträgt. Das kann stimmen. Aber hier offenbart sich die ganze Dramatik des Bergarbeiterberufs. Glauben Sie es mir, hier offenbart sich das Bergmannsleben überhaupt.
    Ich möchte einen Brief eines Bergbauangestellten an den Westdeutschen Rundfunk mit Genehmigung des Herrn Präsidenten teilweise vorlesen. Ich finde hier folgende Frage:
    Wie kommt es, daß der Bergbau Bergleute entlassen will und auf der anderen Seite Bergleute sucht?
    Das kann man draußen einfach nicht verstehen. Die Antwort lautet folgendermaßen:
    1. Der Bergbau löst sich von Arbeitskräften ... , die nicht mehr voll einsatzfähig sind und die auch für andere Industriezweige uninteressant sind. Diese Bergleute, die bisher für den Bergbau und für die Allgemeinheit ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben, werden im Zuge der Rationalisierung und Kostensenkung ausgebootet.
    Weiter wird in diesem Brief gesagt:
    2. Junge Bergleute kehren von sich aus aus folgenden Gründen ab:
    a) Sie wollen später nicht das Schicksal ihrer älteren Kameraden teilen.
    b) Die Industrie zahlt an jüngere Leute, die sie auch sucht, bei günstigeren Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten des Aufstiegs zur Zeit Löhne, die über dem Tarif liegen.
    c) Die Zukunft des Energieträgers Kohle ist zur Zeit noch unbestimmt.



    Bergmann
    Hier sehen Sie schon einen Ausdruck der Unsicherheit. Der Arbeitsplatz erscheint nicht gesichert.
    Weiter heißt es:
    d) Verdienstausfall durch Feierschichten, die sich in anderen Industrien nicht so zeigen.
    Ferner:
    e) Die Leistungssteigerung in den letzten Wochen im Bergbau ist nicht nur allein auf Rationalisierung und Mechanisierung, sondern zum Teil auf die Existenzangst verheirateter Bergleute zurückzuführen.
    Zum Schluß heißt es:
    Durch die Punkte a bis e ist das Betriebsklima nicht besser geworden.
    Ich möchte hier öffentlich mahnend die Stimme erheben. Sie haben soeben alle so Beifall geklatscht, als über die Leistungssteigerung pro Mann und Schicht unter Tage berichtet wurde. Beachten Sie auch die Leistungssteigerung anderer Bergarbeiter in Europa! Sie werden dann feststellen müssen, daß der deutsche Bergarbeiter verglichen mit diesen Leuten eigentlich viel zuviel leistet.
    Warum sage ich das? Schon bei den Beratungen über das Rentenanpassungsgesetz für die Bergleute kam es zum Ausdruck. Man weiß, der Kräfteverschleiß kommt mit einer so ungeheuren Wucht auf die Arbeitnehmer im Bergbau zu, daß auch die heute im Gesetz festgelegten Ansprüche nicht genügen. Sie, die Regierungsmehrheit, waren leider damals nicht bereit, den sozialdemokratischen Anträgen in dieser Hinsicht zu folgen. Ich möchte also auch auf den gesundheitlichen Raubbau, der sich im Augenblick zum Teil auf diesem Gebiet vollzieht, und damit auch auf die Verantwortung der Bergbauunternehmer in dieser Hinsicht aufmerksam machen.
    Sie sehen aus diesem Brief, welche große Unruhe besteht. Daher müssen sich die jungen Leute zwangsläufig die Frage vorlegen, ob sie abwandern sollen. Wenn sie fast täglich das Schicksal ihrer älteren Arbeitskollegen erleben, wissen sie, was sie zu tun haben. Glauben Sie nur nicht, diesen Fragen mit einigen Randbemerkungen aus dem Wege gehen zu können! Ich kenne einige Kollegen, die ihren Hauer-beruf nicht mehr ausüben können, ja nicht mehr ausüben dürfen; die Betriebsleitungen weigern sich, diesen Leuten über Tage eine Beschäftigung zu geben. Da reden Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, von sozialen Maßnahmen, die garantieren sollen, daß keine Nachteile für Leute entstehen, die den Betrieb verlassen müssen. Die erwähnten Kollegen wurden also entlassen, obgleich sie die Bergmannsrente wegen verminderter Berufsfähigkeit beantragt hatten. Jetzt beziehen sie Arbeitslosenunterstützung. Können Sie sich vorstellen, wie es in der Seele eines solchen Mannes aussieht?
    Hier steht die Wirtschaftspolitik zur Diskussion. Die Bundesregierung kann aus ihrer Verantwortung nicht entlassen werden. Diese Auffassung wird nicht nur von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion oder den Gewerkschaften vertreten. Selbst der Unternehmensverband Ruhrbergbau spricht in seiner Denkschrift von einer Krise der Wirtschafts-
    politik und sagt, daß mit den Begriffen „Strukturkrise" oder „Konjunkturkrise" allein die Schwierigkeiten nicht erklärt werden könnten.
    Vorhin erlebten wir das Zwischenspiel, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard sagte, man habe schon vor einem Jahr nicht nur die konjunkturellen, sondern auch die strukturellen Veränderungen gesehen. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um das Gedächtnis des Herrn Wirtschaftsministers etwas aufzufrischen. Vielleicht kann er sich daran erinnern, daß am 18. November 1958 im Palais Schaumburg ein Gespräch zwischen den Vertretern der IG Bergbau und dem Herrn Bundeskanzler stattgefunden hat, bei dem auch der Herr Finanzminister und er selber — der Herr Wirtschaftsminister — anwesend waren. Dabei haben Sie, Herr Wirtschaftsminister, diesen Vertretern gesagt: „Die Feierschichten sind nicht beunruhigend." Sie haben weiter gesagt: „mit einem Auftrag der Bundesbahn von 500 Millionen DM, der von der Bundesregierung ausgeht, werden wir das Problem lösen". Es ist vielleicht zu wenig bekannt — die Presse hat es jedoch berichtet —, daß auch Ihr Chef, unser Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer, dabei gesagt hat: „Niemand denkt an Entlassungen, niemand denkt an Stillegungen."
    So haben Sie vor 'einem Jahr — es ist noch nicht einmal ein ganzes Jahr her — die Zukunft gesehen. Ich muß Ihnen sagen: Sie haben da vollkommen danebengehauen; seien Sie doch ehrlich.
    Ich möchte noch auf eine andere Tatsache hinweisen. Am 6. August dieses Jahres hat Herr Burckhardt vor Journalisten gesagt: „Die Abwanderung von Bergleuten reicht nicht aus. Wie stark diese Belegschaftsminderung durchgeführt werden kann, hängt ganz von der Entscheidung der Bundesregierung ab." Das sagt ein Unternehmensverband, dem Sie heute ein so großes Lob gespendet haben. Wollen Sie noch mehr hören, Herr Wirtschaftsminister? Das ist auch die Auffassung der Arbeitnehmer im Bergbau. Darum wurde auch der Aufmarsch in Bonn veranstaltet. Es geht um die Sicherheit der Bergleute.
    Sie müssen sich auch darüber klar sein, welche Folgen es hatte, wenn Herr Staatssekretär Dr. Westrick in der 129. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. Februar 1956 folgendes erklärte — ich verlese wörtlich aus dem Protokoll —:
    Es läßt sich voraussehen, daß trotz aller Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Energiearten die Kohle auch in den kommenden Jahren, vorläufig jedenfalls noch, der Hauptträger unserer Energiewirtschaft sein wird. Der Energiebedarf wird so stark steigen, daß alle Möglichkeiten auszunutzen sein werden, . . .
    Wohin das geführt hat, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben meine Vorredner mit aller Deutlichkeit gesagt. Die Bergleute jedenfalls sagen: Zu Halden und Feierschichten hat es geführt. Weiterhin sprach Herr Staatssekretär Dr. Westrick in diesem Zusammenhang von der Heranziehung von Kohle und Öl im Einfuhrwege. So hat die Bundesregierung doch die Verantwortung für die Kohlenhalden zu tragen.



    Bergmann
    Zu den Feierschichten und Entlassungen kommt die Sorge um die Wohnung. Auch hierzu ein kurzes Wort. Wir sehen nicht ein — wenn schon jeden Tag Entlassungen öffentlich angedroht werden —, warum die im Bergbau Beschäftigten, denen gekündigt wird oder die sogar freiwillig den Bergbau verlassen, auch noch in die unmögliche Lage kommen, ihre Wohnung räumen zu müssen. Was es bedeutet, eine Räumungsklage zu bekommen, können wir fast täglich erleben. Wir sind gegen die Bindung der Wohnung an den Betrieb und halten an dem Grundsatz fest: Keine Einschränkung der Freizügigkeit. Selbstverständlich sind wir auch gegen einen Mißbrauch; wir möchten daher im zuständigen Ausschuß dazu beitragen, eine gerechte Lösung zu finden.
    Nun noch ein Letztes. Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben soeben behauptet, daß der Aufmarsch der IG Bergbau, daß der Aufmarsch der Bergleute unnötig gewesen sei.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist auch richtig!)

    Ich bin tief entrüstet darüber, daß Sie sich eine Antwort so einfach machen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

    So sollte man darüber nicht sprechen. Sie behaupteten, daß schon vor den Demonstrationen alles in Ordnung gewesen sei. Ich glaube, das stimmt nicht; das ist objektiv unrichtig. Am 26. September dieses Jahres war die Kundgebung in Bonn. Nur zehn Tage vorher haben Sie in einer Grundsatzerklärung zum Ausdruck gebracht, welche Maßnahmen letzten Endes möglich sind. Glauben Sie nicht — wir sind fest davon überzeugt! —, daß das Bekennen der Bergarbeiterschaft auf den Kundgebungen mit dazu beigetragen hat, daß Sie diese Lösung gefunden haben? Sie vergessen vielleicht ganz, daß schon Ende August die erste Kundgebung in Dortmund, anschließend die Kundgebungen in Bochum, Essen und anderen Städten stattgefunden haben. Ich glaube, es war gerade mit ein Ergebnis dieser Kundgebungen, daß die Bundesregierung sich zu einigen positiven Maßnahmen entschlossen hat.
    Ich will Ihr Gedächtnis weiter auffrischen. Sie wissen doch, daß in der Grundsatzerklärung jedenfalls für den Härteausgleich erst 50 Millionen DM vorgesehen waren. Sicherlich ist mit durch das energische Hervortreten der IG Bergbau erreicht worden, daß nunmehr 75 Millionen DM zur Verfügung stehen.
    Ich möchte mich hier auf einen Zeugen berufen, der vielleicht ebenfalls dazu beitragen kann, Klarheit in die Dinge zu bringen. Sie werden nicht abstreiten, daß eine Ihrer Parteizeitungen. die „Rheinische Post", folgendes geschrieben hat — sie berichtete über ein Zusammentreffen Erhards mit dem Vorstand der IG Bergbau vom 25. September vor dem Abflug Erhards zur Tagung der Weltbank

    (Zuruf)

    — ja, Sie mögen das vielleicht nicht gern hören, aber die Zeitung schreibt es —:
    Ein Beschluß des Bundeskabinetts, aus Steuermitteln Zuschüsse für die Bezahlung von Feierschichten aufzubringen, liegt bisher noch nicht
    vor. In Regierungskreisen gibt es nach wie vor Kräfte, die sich gegen eine solche Maßnahme wenden, weil dadurch der Anreiz für den Bergbau zu durchgreifenden Rationalisierungsmaßnahmen abgeschwächt werden könnte.
    Und nunmehr die Überraschung:
    Die Bundeshilfe soll daher nach Meinung dieser Kreise nur in der Gewährung von Krediten bestehen.

    (Zuruf.)

    — Wenn Sie jetzt dazwischenrufen: „Das stimmt nicht!", dann kann ich Ihnen nur antworten: Sie können ja den Artikel der „Rheinischen Post" öffentlich widerrufen. Warum warten Sie damit bis heute? — So wird die öffentliche Meinung beeinflußt.
    Damit bin ich am Schluß. Ich habe einen Teil der mir vorliegenden Zeitungsausschnitte vorgetragen. Nach allem bin ich der Meinung: Herr Bundeswirtschaftsminister, mit Ihrer „Schwarzkunst" ist es auch nicht weit her.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Scheppmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinrich Scheppmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bergmann hat hier einiges vorgetragen, wozu ich leider Stellung nehmen muß. Er hat einige Zitate aus der Presse verlesen. Es wäre richtig gewesen, Herr Kollege Bergmann, wenn Sie auch das einmal zitiert hätten, was Sie im Essener Saalbau anläßlich einer Delegiertenkonferenz der SPD gesagt haben und worüber in den Zeitungen geschrieben worden ist. Sie haben sich hier darüber beklagt, daß die jungen Leute den Bergbau verlassen und daß die Besetzung der Arbeitsplätze umsicher ist. Im Essener Saalbau dagegen haben Sie — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Ihre Parteizeitung — folgendes gesagt:
    Verlaßt den Bergbau! Ich gestehe ganz offen, daß ich es gern sähe, wenn die jungen Arbeitskräfte den Bergbau verlassen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Wir müssen endlich wieder dahin kommen, daß die Arbeitskraft Mangelware wird. Erst dann dürfen wir mit gerechten Sozialleistungen rechnen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Die Bergleute, die bisher entlassen wurden, stünden ohne Aussicht auf einen neuen Beruf da. Es sind Männer, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, die aber auch noch keine Invaliden sind.
    Herr Kollege Bergmann, wenn Sie von Sozialmaßnahmen sprechen, dann müßten Sie eigentlich auch wissen, daß bereits am 9. Oktober die von der Bundesregierung beantragten Sozialmaßnahmen von der Hohen Behörde gebilligt worden sind. Ich



    Scheppmann
    werde darauf nachher im einzelnen noch zu sprechen kommen. Ich bin der Auffassung, daß man so, wie das eben hier geschehen ist, nicht argumentieren kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dann ist von den Kundgebungen der IG Bergbau die Rede gewesen. Dazu muß ich sagen, Herr Kollege Bergmann, daß die Bundesregierung die genannten Schritte schon vorher eingeleitet hatte. Ich will gern zugeben, daß sich die Kundgebungen in einem vernünftigen Rahmen gehalten haben. Aber wenn hier behauptet wird, daß nur durch diese Kundgebungen die Bundesregierung veranlaßt wurde, entsprechende Maßnahmen einzuleiten, dann muß ich darauf erwidern, daß das einfach nicht stimmt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in der heutigen Kohlendebatte über die sozialen Probleme sprechen, die sich aus der gegenwärtigen Situation und der Lage des Bergbaues ergeben. Es wird mir nicht möglich sein, das, wie es gewünscht wird, in fünf Minuten zu tun; denn die Ausführungen, die hier gemacht worden sind, veranlassen mich, etwas weiter auszuholen. Denken wir einmal an die ersten Jahre der Nachkriegszeit und insbesondere daran zurück, wie die verantwortlichen Stellen in der damaligen Zeit sich mühten, die Förderkapazität möglichst bald zu erhöhen. Damals hatten wir nur einen Energieträger, das war die Kohle. Nach dem Zusammenbruch 1945 und in den folgenden Jahren war es nicht so einfach, ein I stetiges Ansteigen der Kohleförderung durchzusetzen. Sie sind sicher bestens darüber unterrichtet, welche Anstrengungen von allen Beteiligten, sei es der Arbeitnehmer, sei es der Unternehmungen, gemacht wurden. Es fehlte in der damaligen Zeit einfach an allem, was für eine ordnungsmäßige Durchführung und für eine Aufwärtsentwicklung der Kohleförderung notwendig war.
    Dennoch, so darf man heute wirklich sagen, ist es von den Beteiligten geschafft worden. Durch übermenschliche Anstrengungen hat in dieser Zeit die Kohleförderung eine Entwicklung genommen, die die Grundlage für den gesamten Wiederaufbau in Deutschland bildete.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Gruben waren nach dem zweiten Weltkrieg völlig vernachlässigt, weil man während des Krieges einen Raubbau getrieben hatte. Von jungen Leuten im Bergbau war in der damaligen Zeit überhaupt keine Rede. Im Bergbau war eine starke Überalterung zu verzeichnen. Auf weitere Einzelheiten möchte ich aus Zeitgründen nicht eingehen.
    Heute liegen die Verhältnisse genau umgekehrt. Seit anderthalb Jahren bedrücken uns die Sorgen des Absatzes. Jetzt fördert der Bergbau zu viel Kohle, und die Absatzschwierigkeiten sind bei weitem noch nicht behoben. Hierzu ist zusagen: Kohle, die sich nicht verkaufen läßt, kann man auch nicht fördern, nur um ,sie auf Halde zu legen. Gewisse Maßnahmen sind notwendig, damit wir aus dieser Situation herauskommen. Im Augenblick haben wir
    — das ist schon vorhin gesagt worden — rund 171 Millionen t Kohle und Koks auf Halde liegen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister und mein Fraktionskollege Professor Burgbacher haben dargelegt, wie die Entwicklung in der Kohlewirtschaft in den letzten Jahren gewesen ist und welche Maßnahmen erforderlich sind, um zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.
    Hierbei möchte ich erwähnen, daß die Schwierigkeiten nicht nur in der Bundesrepublik auftreten, sondern in allen Bergbau treibenden Ländern. Dort ist die Situation teilweise vielleicht noch schlimmer als bei uns. Nach einer Mitteilung vom 29. Oktober hat sich der britische Oppositionsführer im Unterhaus darüber beklagt, daß in England täglich noch 100 000 t Kohle auf Halde gelagert würden und daß insgesamt jetzt schon über 50 Millionen t Kohle in England auf Halde lägen. Mir scheint, daß der verstaatlichte englische Kohlenbergbau mit dem Prozeß der Verdrängung von Kohle durch andere Energien weniger gut fertig wird als der privatwirtschaftliche Kohlenbergbau in der Bundesrepublik, der sich mit Hilfe der Bundesregierung elastischer an die veränderte Marktlage anzupassen beginnt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die wichtigste Aufgabe in diesem Anpassungsprozeß ist aber für uns alle, für die von dem Strukturwandel betroffenen Menschen zu sorgen, die in schwerster und gefahrvoller Arbeit ihre Pflicht erfüllen und aus dem Schoß der Erde das für unsere Wirtschaft so notwendige Gut bergen, eben die Kahle. Die im Bergbau Beschäftigten, das ,soll nicht vergessen werden, haben für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Kriege Bedeutendes geleistet. Sie haben in schwerer und gefahrvoller Arbeit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die für den Wiederaufbau wichtige Energie in immer größerer Menge erzeugt werden konnte.
    Denken wir auch daran, wie die Bergleute, wie junge Menschen als Nachwuchs geworben wurden! Mit welchen Versprechungen warb man in allen Teilen der Bundesrepublik Arbeitskräfte für den Bergbau! Man hat von einem sicheren Arbeitsplatz, einer guten Entlohnung und einer guten Altersversorgung gesprochen.
    Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit erhebliche Maßnahmen zugunsten der Bergarbeiter getroffen hat. Mit Hilfe der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe wurden 160 000 Bergarbeiterwohnungen erstellt. Die Bergmannsprämie wird seit Jahren gezahlt. Herr Dr. Deist hat eingangs der Debatte dargelegt, wie man nach seiner Meinung den Steuerzahler damit noch belasten könne. Ich bin überzeugt, daß die IG Bergbau eine andere Meinung vertritt. — Das Knappschaftsversicherungsgesetz ist durch die von dem Hohen Hause beschlossene Neuregelung so gestaltet worden, daß man es als eines der besten Sozialgesetze der ganzen Welt bezeichnen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Scheppmann
    Zurückblickend darf mit großer Genugtuung festgestellt werden, daß für den Bergmann viel getan worden ist und daß die Anstrengungen, die seitens der Bundesregierung unternommen worden sind, auch Erfolg gehabt haben. Das bedeutet nicht, daß wir nunmehr keine Verpflichtungen mehr hätten. Das Problem, das sich jetzt stellt, ist weltweit und nicht auf das Bundesgebiet beschränkt. Was diesem Parlament und was der Bundesregierung zu tun bleibt, ist, für den Menschen im Bergbau zu sorgen. Wir müssen den Bergmann in echter Würdigung seiner harten Pflichterfüllung von den Lasten der Anpassung des Steinkohlenbergbaus an die neue Lage befreien. Das ist nicht nur eine politische Aufgabe, sondern ist eine menschliche und moralische Verpflichtung, der sich niemand, ganz gleichgültig, wo er steht, entziehen darf.
    Gestatten Sie mir nun, einiges von dem vorzutragen, was an sozialen Maßnahmen vorgesehen ist. Daraus mag der Herr Kollege Bergmann erkennen, was in den letzten Monaten eingeleitet und festgelegt worden ist.
    Zum Zwecke der Vermeidung sozialer Härten, die durch die rückliegenden Feierschichten entstanden sind, hat die Bundesregierung inzwischen 75 Millionen DM bereitgestellt. Der dahin gehende Erlaß des Bundesministers für Arbeit an die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist unter dem 29. Oktober 1959 veröffentlicht. Die Auszahlung der Beträge wird in den ersten Tagen des Monats Dezember beginnen und bis zum 10. Dezember durchgeführt sein.
    Ich habe soeben schon über die Bewilligung der von der Bundesregierung gestellten Anträge auf Anpassungsbeihilfen durch die Hohe Behörde gesprochen. Die von der Bundesregierung beantragten und von der Hohen Behörde gebilligten Beihilfemodalitäten sehen Beihilfen für 3 Kategorien von Arbeitnehmern vor: 1. Arbeitnehmer, die von der gesamten oder teilweisen Stillegung ihres Unternehmens betroffen, jedoch nicht entlassen worden sind, sondern in einer anderen Schachtanlage des gleichen Unternehmens weiterbeschäftigt werden, 2. rentenbeziehende Arbeitnehmer, die freiwillig ausscheiden, um für Arbeitnehmer aus stillgelegten Schachtanlagen einen Arbeitsplatz frei zu machen, und 3. entlassene Arbeiter.
    Zu 1 ist folgendes zu sagen. Es soll Ersatz für die tatsächlich entstehenden täglichen Fahrkosten für die Dauer von 12 auf die Überstellung auf andere Zechen folgenden Monaten, höchstens jedoch bis zum Ende des 18. Monats nach der Erteilung der Genehmigung von der Hohen Behörde gezahlt werden. Dann soll Ersatz von Reisekosten für unverheiratete Arbeitnehmer, sofern diese bis zum Ende des 12. Monats nach Erteilung der Genehmigung der Hohen Behörde endgültig überstellt sind, gewährt werden. Ersetzt werden sollen die tatsächlich entstandenen Reise- und Umzugskosten, und es soll eine Wiedereinrichtungsbeihilfe für die verheirateten Arbeiter gewährt werden. Die Einrichtungsbeihilfe wird in Höhe eines doppelten Nettolohnes gewährt. Weiter soll eine Trennungsentschädigung gezahlt werden, sofern nach der Überstellung eine
    tägliche Rückkehr an den früheren Wohnort nicht möglich und eine doppelte Haushaltsführung erforderlich ist. Die Entschädigung beläuft sich auf 7,50 DM je Kalendertag. Ferner ist Ersatz der Kosten für eine Fahrt monatlich zum Besuch der Familie vorgesehen.
    Dann ist der Lohnausgleich vorgesehen, sofern durch Einstufung in eine niedrige Lohngruppe oder infolge Überganges vom Gedinge- zum Schichtlohn ein geringeres Entgelt als bisher gezahlt wird. Der Lohnausgleich entspricht dem Unterschied zwischen 95% des alten und dem neuen Lohn und wird für die Dauer von 6 Monaten gewährt.
    Weiterhin sind Maßnahmen für rentenbeziehende Arbeitnehmer vorgesehen, die freiwillig ausscheiden. Sie sollen eine Abfindung in Höhe von 3000 DM, vermindert um den monatlichen Rentenbetrag, jedoch höchstens um 500 DM, erhalten. Diese Abfindung erhöht sich um 300 DM für jedes Kind, für das Anspruch auf Kindergeld besteht. Für den Ausfall an Deputatkohle soll ebenfalls ein Betrag von 240 DM erstattet werden.
    Dann spricht man von dem Wartegeld bei Arbeitslosigkeit während der Zeit von 12 Monaten nach der Entlassung. Es sollen in den ersten 4 Monaten 90 %, in den folgenden 4 Monaten 80% und in den restlichen 4 Monaten 70 % des früheren Monatslohns gewährt werden. Im Falle der Umschulung gilt ebenfalls der Satz von 90% als Wartegeld. Diese Beihilfe wird Arbeitern gewährt, die seit mindestens zwei Jahren im Kohlenbergbau beschäftigt sind.
    Es folgen noch gewisse Bestimmungen über den Lohnausgleich, über die Fahrkostenerstattung und die entlassenen Rentenempfänger. Es würde zu weit führen, wollte ich das im einzelnen hier noch aufzählen.
    Die gleichen sozialen Leistungen für. Stillegungen und Teilstillegungen nach § 23 des Übergangsabkommens des Montanvertrags werden gewährt — sie werden von der Bundesregierung dann allein finanziert —, wenn sie sich im Rahmen planmäßiger Rationalisierungsmaßnahmen als notwendig erweisen.
    Meine verehrten Damen und Herren, man könnte über die sozialen Maßnahmen bestimmt noch sehr lange und breite Ausführungen machen. Ich möchte aber davon Abstand nehmen. Wir wissen alle, daß die Durchführung all dieser Maßnahmen zur Umstellung im Bergbau mit enormen finanziellen Aufwendungen verbunden sind, die nach dem Willen der Bundesregierung und meiner Freunde nur durch zusätzliche Einnahmen gedeckt werden können. Aus den derzeitigen Mitteln des Bundeshaushalts können diese hohen Ausgaben auch nach der Auffassung der SPD, die eine Ergänzungsabgabe vorgeschlagen hat, nicht bestritten werden. Die Ergänzungsabgabe erbrächte außerdem jährlich nur ein Drittel des von der Bundesregierung angestrebten Aufkommens an Heizölsteuer.
    Ich habe Ihnen, verehrte Damen und Herren, dargelegt, welche politische, sozialpolitische, morali-



    Scheppmann
    sche und menschliche Verpflichtung das Parlament gegenüber den Bergleuten hat. Wir können auch für die Zukunft auf einen wirtschaftlich gesunden deutschen Bergbau nicht verzichten. Ich bin der Auffassung, daß wir uns bei der Energieversorgung nicht von dem abhängig machen dürfen, was eingeführt wird. Wir haben vielmehr die Verpflichtung, unseren Bergbau gesund zu machen.
    Ich weiß, daß damit Schwierigkeiten verbunden sind. Wir müssen durch Stillegungen oder Teilstilllegungen zu einem wettbewerbsfähigen Bergbau kommen. Es sind Maßnahmen vorgesehen, damit keine sozialen Härten für die Bergleute auftreten. Wenn wir die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen durchführen wollen, wird es notwendig sein, die Heizölsteuer einzuführen. Führten wir keine Heizölsteuer ein, müßten die Zechen entweder Feierschichten einlegen oder sie würden zu noch größeren Haldenbeständen kommen. Beides ist einfach untragbar. Die Zechen kämen, weil sie ihre Kohle nicht absetzen könnten, zu erneuten Stilllegungen.
    Die Anpassung der Förderungskapazität an den tatsächlichen Verbrauch soll in einem bestimmten Zeitabschnitt durchgeführt werden. Hierfür benötigt der Bergbau eine gewisse Zeit, damit soziale Härten soweit wie möglich vermieden werden.
    Es muß Wert darauf gelegt werden, daß wir unsere eigenen Energiequellen und einen gesunden Bergbau erhalten, damit wir nicht übermäßig von aus dem Ausland eingeführter Energie abhängig werden. Bei all diesen Maßnahmen ist entscheidend, daß wir den Menschen im Bergbau, die davon betroffen werden, die Sorge um ihre berufliche Existenz abnehmen und in dieser Richtung nichts überstürzen. Wenn alle Stellen gewillt sind, in dieser Richtung gemeinsam zu arbeiten, müßte es möglich sein, auch diese für den Bergbau schwierige Zeit zu überwinden. Dann kämen wir nach ziemlich kurzer Zeit zu gesunden Verhältnissen im Bergbau.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)