Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich ziemlich kurz fassen. — Ich möchte sagen, daß das Schlagwort „Wahlpsychose" nicht von uns gebraucht wurde. Aber wenn man heute die Presse durchsieht, kann man doch wohl feststellen, daß die Presse — die Presse, die nicht mit uns verwandt und verschwägert ist — in dieses Horn stößt, und zwar mit dem Motto, daß der Bundeskanzler im wesentlichen wohl den nächsten Wahltermin im Auge gehabt hat. Es wird Ihre Sache sein, sich damit auseinanderzusetzen.
Ich möchte persönlich eines sagen. Es tut mir immer sehr leid, wenn etwas aus der alten Mottenkiste herausgekramt wird. Ich glaube, gerade wir, die wir im Kriege sehr viel gelitten haben, und wir hier in diesem Hohen Hause, die die Staatsgesinnung gemeinsam vertreten sollten, sollten uns auch davor hüten, immer wieder zu sagen: „Das hat der 1948 gesagt, das hat der 1945 gesagt, und das hat der 1930 gesagt."
— Meine Damen und Herren, nun zeigen Sie nicht so Ihren großen Zeigefinger und sagen Sie nicht, wir seien die Alleinschuldigen. Ich will Ihnen mal eine kleine Geschichte erzählen. Als ich noch ein kleiner Junge war und zur Schule ging, hatte ich zwei Nachbarssöhne, die beide etwas „völkisch" erzogen waren. Beide sind Nationalsozialisten geworden. Sie sind den gleichen Weg gegangen wie ich. Der eine steht heute politisch bei Ihnen, und der andere ist bei uns. Demjenigen, der bei Ihnen ist, ist Absolution erteilt worden; der hat sich geläutert. Aber dem, der bei uns gelandet ist, sagt man nach, daß er in das zweite Fegefeuer gekommen sei.
Frau Kalinke, es hat mir sehr weh getan, daß gerade Sie dieses alte Pflästerchen wieder aufgerissen haben.
Wenn Sie sagen, man solle vergessen, dann soll man auch vieles nicht aussprechen; denn dadurch, daß man manches immer wieder ausspricht, wird das Vergessensein gestört. Nehmen Sie das ruhig einmal zur Kenntnis!
— Ich glaube, mit dem Kollegen Bazille komme ich
sehr gut zurecht. Wir haben uns immer sehr gut
verstanden, und wir haben eine gemeinsame Linie.
Noch eines möchte ich herausstellen. Ich bin ja im wesentlichen erst nach diesem Kriege zur Politik gekommen, und zwar bin ich in Nordrhein-Westfalen in der Nachbarschaft des Bundeskanzlers groß geworden. Ich kann mich erinnern, daß der Bundeskanzler nach dem Kriege ganz andere Posaunentöne geblasen hat als heute
4558 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 84. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Oktober 1959
Rasch
und daß auch der Herr Bundesverteidigungsminister Strauß 1946 vor der Jungen Union in Bayern — ich will es hier gar nicht weiter ansprechen — einmal vor der Wiederbewaffnung gewarnt hat.
— Ich sage Ihnen: Wenn Sie es nicht mehr in derartiger Form tun, werden wir Sozialdemokraten es auch unterlassen.
— Das ist ein Angebot.
Es kommt noch eines hinzu. Wir hatten vor einigen Wochen die Ihnen allen bekannte Situation, daß die 22er gemustert werden sollten. Ich will zu diesem Problem gar nichts sagen. Aber der Herr Verteidigungsminister hat sich genötigt gesehen — ich weiß nicht, was es ist, ein Flugblatt oder ein Rundschreiben oder was sonst —, sagen wir, eine Schrift herauszugeben: „Warum Jahrgang 1922?" Darin steht — und wenn heute schon von Demagogie gesprochen worden ist, dann muß man das in etwa auch als Demagogie bezeichnen —: „Wie wird die Familie versorgt?" Da wird eine schöne Zahl angegeben: Der höchste Betrag für den Unterhalt der Familie beträgt 800 DM. Dann heißt es weiter: Eine Erhöhung ist beabsichtigt. Ich weiß nicht, Herr Finanzminister, ob Sie davon schon wissen.
Aber hier steht es schon drin, und hier kann man es nachlesen.
In dieser Schrift steht aber eines, das uns in der heutigen Debatte so sehr berührt. Da hat man nur ganz schüchtern erwähnt: Wenn den Soldaten etwas passiert, gelten für sie die Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes. Den Inhalt dieses Bundesversorgungsgesetzes kennen wir ja!
Da müssen eben die Dinge, die nicht in den Raum hineinpassen, aus dem Raum heraus, und wir werden uns im Ausschuß bemühen müssen, sie zu klären.
Nun möchte ich dem Hause eines nicht vorenthalten. Die Denkschrift des Bundes der Kriegsblinden Deutschlands ist Ihnen allen zugestellt worden. Diese Kriegsblinden sind Menschen, die in der Vergangenheit trotz ihrer schweren Versehrtheit bewiesen haben, daß sie nicht den Glauben an das Leben verloren haben, daß sie gleichwertig unter uns leben wollen. Was in dieser Denkschrift steht, ist eine erschütternde Anklage gegen das, was die Bundesregierung vorgehabt hat.