Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Vielen Dank, Herr Präsident!
In diesem Entwurf soll wiederum, wenn auch mit anderen Formulierungen, zuerst einmal die Erfüllung von Verpflichtungen des Bundes aus zwischenstaatlichen Verträgen über die Stationierung und die Rechtsstellung von Streitkräften auswärtiger Staaten im Bundesgebiet sichergestellt werden, an zweiter Stelle die Erfüllung von Verteidigungsaufgaben, und erst an dritter Stelle wird etwas über die notwendige Versorgung der Bevölkerung in Krisenzeiten gesagt. Dieser Entwurf läßt wieder erkennen, daß man sich Krisenzeiten nur dergestalt vorstellen kann, daß sich irgendwo Verhältnisse entwickeln, die zu harten, zum Teil zu bewaffneten Auseinandersetzungen führen. Es kann aber auch Krisenzeiten und Krisenerscheinungen anderer Art geben, lin denen die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigem Bedarf unter allen Umständen sichergestellt werden muß.
Ich darf in diesem Zusammenhang an das erinnern, was unser Kollege und mein Freund Georg Kurlbaum am 7. Dezember 1956 bei der zweiten und dritten Lesung des zweiten Gesetzes dieser Art für die sozialdemokratische Fraktion gesagt hat. Ich will ,es nicht wiederholen. Was am Eingang seiner Erklärung stand, ist auch heute richtig, daß nämlich „jede Regierung, die ihre Verantwortung gegenüber der Volksgesamtheit ernst nimmt, verpflichtet ist, auch in kritischen Zeiten die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern sicherzustellen". Das wäre, wenn überhaupt, die vordringliche Aufgabe des Gesetzes. Wenn Sie wollen, könnte man sich in zweiter und dritter Linie darüber unterhalten, ob auch die Erfüllung zwischenstaatlicher Verpflichtungen und die Erfüllung von Verteidigungsaufgaben in ein solches Gesetz eingebaut werden sollen.
Eines, was ebenfalls ausgesprochen wurde, ist heute so richtig wie damals. Durch das, was die Bundesregierung bisher bei diesen Fragen in der Praxis gezeigt hat, ist in keiner Weise gewährleistet, daß sie den ernsthaften Versuch machen würde, solchen Krisen mit marktentsprechenden Mitteln zu begegnen. Denn trotz Inkrafttretens des EWG-Vertrages, trotz des Gemeinsamen Marktes — damit wiederhole ich ein Argument, das damals genannt worden ist — hat sie sich beispielsweise noch nicht dazu verstehen können, über die Verpflichtungen des Vertrages hinaus wirksame Maßnahmen der Zollsenkung einzuleiten. Im Gegenteil, Zollsenkungen, die auf Grund des Vertrages vorgenommen wurden, sind aus fiskalischen Erwägungen durch Steuererhöhungen ausgeglichen worden.
Ein weiterer entscheidender Punkt, über den auch im Ausschuß geredet werden muß, ist die Tatsache, daß man in dem Entwurf in einem umfassenden Umfange Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen gibt, die uneingeschränkte Möglichkeiten für die Bewirtschaftung — bis zur Kleiderkarte und ähnlichen Erscheinugen, wie wir sie schon einmal kennengelernt haben — enthalten. ,Die Bundesregierung wird im Ausschuß zu der Frage Rede und Antwortstehen müssen, ob sie solche Absichten, die sie bei dem zweiten Gesetz, das ausgelaufen ist, ausdrücklich erklärt hat, wiederum hat.
Zum letzten ist darauf hinzuweisen — und das erscheint uns sehr bedenklich —, daß Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen gegeben werden, die wiederum Ermächtigungen für weitere Rechtsverordnungen enthalten. Das ist eine für unser Empfinden verfassungsrechtlich sehr bedenkliche Methode. Die Frage ist, ob die Maßnahmen, die nach der Vorstellung der Bundesregierung erforderlich sein würden, um krisenhaften Erscheinungen in der Versorgung der Bevölkerung zu begegnen, nicht durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen ersetzt werden sollten, damit eine wie immer geartete Willkür völlig ausgeschaltet wird.
Diese Fragen müssen im Ausschuß besonders sorgfältig erörtert und geprüft werden, um gleichzeitig feststellen zu können, ob dieses Gesetz die Erklärungen der Bundesregierung betreffend ihre Wirtschaftspolitik innerlich glaubwürdig erscheinen läßt oder nicht.