Rede:
ID0305700600

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Philipp.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 57. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1959 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz UVNG) (Drucksache 758) — Erste Beratung ; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (FDP) (Drucksache 446) ; Mündlicher Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses (Drucksache 638) — Zweite Beratung — Blank, Bundesminister . . . . . 3137 B Börner (SPD) 3142 A, 3157 A Wischnewski (SPD) . . . . . 3142 C Dr.-Ing. Philipp (CDU/CSU) . . . 3146 D Dr. Atzenroth (FDP) . . 3153 A, 3160 A Frau Friese-Korn (FDP) 3156 C Storch (CDU/CSU) 3158 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 9. September 1957 zum Abkommen vom 15. Juli 1931 zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern (Drucksache 543) ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache 718) — Zweite und dritte Beratung — Seuffert (SPD) 3161 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 3163 A Nächste Sitzung 3163 D Anlagen 3165 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 3137 57. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9.04 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 4. 4. Altmaier* 23. 1. Dr. Bärsch 23. 1. Baur (Augsburg) 23. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 9. 3. Behrendt 23. 1. Benda 23. 1. Birkelbach* 23. 1. Fürst von Bismarck* 23. 1. Blachstein' 23. 1. Frau Blohm 31. 1. Frau Brauksiepe 23. 1. Dr. Burgbacher 23. 1. Caspers 23. 1. Diekmann 23. 1. Diel (Horressen) 23. 2. Dr. Eckhardt 10. 2. Eilers (Oldenburg) 23. 1. Engelbrecht-Greve 23. 1. Etzenbach 7. 2. Even (Köln) 23. 1. Frenzel 23. 1. Dr. Furler* 23. 1. Gedat 30. 1. Geiger (München) 23. 1. Gerns* 23. 1. D. Dr. Gerstenmaier 23. 1. Gleisner (Unna) 20. 2. Graaff 23. 1. Dr. Greve 7. 2. Dr. Gülich 31. 1. Günther 23. 1. Haage 23. 1. Häussler 23. 1. Heinrich 31. 1. Heix 23. 1. Heye* 23. 1. Höfler* 23. 1. Holla 23. 1. Frau Dr. Hubert* 23. 1. Jacobs 28. 2. Dr. Jaeger 26. 1. Dr. Jordan 23. 1. Frau Kalinke 31. 1. Kiesinger* 23. 1. Dr. Kliesing (Honnef)* 23. 1. Köhler 24. 1. Dr. Kohut 24. 1. Dr. Kopf* 23. 1. Kramel 16. 2. Krug 23. 1. Kühlthau 23. 1. Kühn (Bonn) 26. 1. Kühn (Köln) * 23. 1. Kunst 31. 1. Kurlbaum* 23. 1. Dr. Leverkuehn* 23. 1. Lücker (München) * 23. 1. Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Baron Manteuffel-Szoege 30. 1. Dr. Martin 26. 1. Mauk 24. 1. Frau Dr. Maxsein* 23. 1. Memmel 31. 1. Dr. Mende* 23. 1. Dr. Menzel 15. 2. Metzger* 23. 1. Dr. Meyer (Frankfurt)* 23. 1. Müser 17. 2. Dr. Oesterle 6. 2. Paul* 23. 1. Pelster 31. 1. Pernoll 23. 1. Pütz 14. 2. Rademacher 24. 1. Regling 23. 1. Frau Dr. Rehling* 23. 1. Dr. Reith 31. 1. Reitzner 23. 1. Rohde 31. 1. Ruf 23. 1. Ruland 23. 1. Scheel 23. 1. Dr. Schmid (Frankfurt)* 23. 1. Schneider (Hamburg) 2. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15. 2. Schulze-Pellengahr 23. 1. Schütz (München)* 23. 1. Seidl (Dorten)* 23. 1. Dr. Serres* 23. 1. Spitzmüller 23. 1. Wagner 23. 1. Dr. Wahl* 23. 1. Walpert 31. 1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 23. 1. Dr. Weber (Koblenz) 23. 1. Weinkamm 23. 1. Winkelheide 23. 1. Wullenhaupt 24. 1. Dr. Zimmer* 23. 1. Zühlke 23. 1. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ritzel (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 20) : Ich frage die Bundesregierung: Ist es richtig, daß Hersteller und Händler der Fernsehbranche eine Preissünderkartei anzulegen beabsichtigen oder bereits angelegt haben, um sowohl in bezug auf die Fabrikpreise als auch in bezug auf die Verkaufspreise eine absolute Preisbindung herbeizuführen? Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, wenn diese Mitteilung zutrifft? Die Preisbindung der zweiten Hand für Markenwaren ist durch § 16 des Gesetzes gegen Wett- *) für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates 3166 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 bewerbsbeschränkungen (GWB) als Ausnahme von dem generellen Verbot der vertikalen Preisbindung des § 15 GWB unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Von der Möglichkeit der vertikalen Preisbindung hat die große Mehrzahl der Hersteller von Rundfunk- und Fernsehgeräten im Jahre 1958 Gebrauch gemacht. Diese Unternehmen haben den Groß- und Einzelhandel zur Einhaltung der von ihnen festgesetzten Wiederverkaufspreise verpflichtet. Bei der Preisbindung ist das von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis der Lückenlosigkeit zu beachten. Im Hinblick auf dieses Erfordernis kann auch der Handel ein Interesse daran haben, daß Verstöße gegen die Preisbindungsvorschriften der Hersteller festgestellt und unterbunden werden. Es ist der Bundesregierung bei der Sammlung von Unterlagen für die Beantwortung Ihrer Anfrage bekanntgeworden, daß der Vorsitzende des Deutschen Rundfunk- und Fernseh-Fachverbandes (DRFFV) in der Zeitschrift dieses Verbandes „Der Deutsche Rundfunk-Einzelhandel", Oktober-Heft 1958, es als notwendig bezeichnet hat, jeden Preisbindungsverstoß zu erfassen und in einer Preisbindungssünderkartei festzuhalten, um einen Überblick über auftretende Lücken im Preisbindungssystem zu gewinnen. Die genannte Kartei wird in Köln beim DRFFV geführt; aus ihr werden z. B. die preisbindenden Hersteller über festgestellte Verstöße unterrichtet. Soweit in der Kürze der Zeit der Sachverhalt im einzelnen festgestellt werden konnte, bezieht sich die Preisbindungssünderkartei nur auf unlautere Verhaltensweisen und berührt daher nicht die Verbote des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die ausschließlich Beschränkungen eines lauteren Verhaltens untersagen. Nach einer gutachtlichen Stellungnahme des Bundeskartellamtes kann ein Verstoß gegen Bestimmungen des GWB vorliegen, wenn Abnehmer preisgebundener Erzeugnisse außer ihrer vertikalen Verpflichtung gegenüber dem Hersteller noch untereinander horizontale Verpflichtungen zur Einhaltung der gebundenen Preise eingehen; derartige Verpflichtungen ließen sich jedoch im vorliegenden Fall bisher nicht feststellen. Nach den Vorschriften des GWB ist für eine Feststellung etwaiger kartellrechtlicher Verstöße im vorliegenden Fall das Bundeskartellamt in Berlin SW 61, Mehringdamm 129, zuständig; ich werde eine genaue Feststellung des Sachverhalts und der Rechtslage sowie der etwa nach den Vorschriften des GWB zu treffenden Maßnahmen durch das Bundeskartellamt veranlassen und Ihnen von dem Ergebnis Mitteilung machen. Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß in der Rundfunk- und Fernsehbranche ein Verein zur Förderung des lauteren Wettbewerbs tätig ist. Dieser beschränkt sich ausweislich seiner Satzung und Geschäftsordnung sowie nach Auskunft seines Geschäftsführers auf die Verfolgung von Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und seine Nebengesetze (Rabattgesetz, Zugabeverordnung, Preisauszeichnungsverordnung). Vor wenigen Tagen haben sechs namhafte Rundfunk-. und Fernsehgerätehersteller mit einem ge- schätzten Umsatzanteil von mindestens 50 % die Preisbindung für ihre Markenerzeugnisse aufgehoben. Sie haben damit den Handelsstufen die Möglichkeit einer freien Preisbildung gegeben. Insoweit dürften Überlegungen über die Errichtung und Führung von Preisbindungssünderkarteien und deren Zulässigkeit nunmehr gegenstandslos geworden sein; ob und welche Bedeutung ihnen im übrigen verbleiben wird, bleibt abzuwarten. Ludwig Erhard Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Friedensburg (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. Januar 1959, Drucksache 786, Frage 22): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Verwendung von Kunststoffen in der Bekleidungsindustrie, insbesondere bei der Strumpffabrikation, bei sehr vielen Menschen zu schweren Hautentzündungen und damit zu ernsten Gesundheitsschädigungen führt, und was gedenkt die Bundesregierung, etwa durch Einführung eines Kennzeichnungszwanges, zu tun, um diese sich immer mehr verbreitenden Nachteile zu bekämpfen? Mit den in der Anfrage erwähnten Kunststoffen, die insbesondere in der Strumpffabrikation Verwendung finden, dürften vornehmlich die vollsynthetischen Fasern und Fäden gemeint sein, die zur Polyamid-Gruppe der Chemiefasern gehören. Sowohl während des Entwicklungsstadiums als auch noch nach dem Erscheinen vollsynthetischer Textilerzeugnisse auf dem Markt ist die Frage ihrer Hautverträglichkeit untersucht und mit medizinischen, biologischen und chemischen Methoden in wissenschaftlichen Versuchsreihen in Universitätskliniken und Fachinstituten eingehend geprüft worden. Übereinstimmend ist dabei festgestellt worden, daß die vollsynthetischen Fasern weder giftige noch die Haut angreifende Eigenschaften haben. Gleichwohl ist bekannt, daß vereinzelt Hautschädigungen aufgetreten sind. Man hat diese anfangs mit der Färbung vollsynthetischer Fasern in Zusammenhang gebracht. Sorgfältig durchgeführte Untersuchungen haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß in der Färbung die Ursache für Hauterkrankungen liegen könnte. Richtig dürfte vielmehr sein, daß die vollsynthetischen Chemiefasern eine geringere Saug- und Schweißtransportfähigkeit als natürliche Textilfasern aufweisen. Diesem Umstand hat jedoch die Industrie inzwischen durch Anwendung besonders poröser Web- und Wirkverfahren sowie durch Mischung von vollsynthetischen Fasern mit anderen Textilrohstoffen weitestgehend Rechnung getragen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß solche Erzeugnisse, die in der Regel bei der Wäsche nicht gekocht werden, bei unzureichender Behandlung sich mit Resten von Waschmitteln, von Schweiß und Hautabscheidungen anreichern, so daß hierdurch Nährböden für Bakterien, Pilze und Hefen und demzufolge auch Hautschäden entstehen können. Schließlich darf darauf Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 3167 hingewiesen werden, daß es immer Menschen mit einer Überempfindlichkeit gegenüber Hautreizungen geben wird. Dies ist bei der Wolle ebenso bekannt wie bei den seit vielen Jahren im Gebrauch befindlichen künstlichen Fasern. Insoweit würden auch durch die Einführung eines Kennzeichnungszwanges die geäußerten Besorgnisse nicht beseitigt. In der Regel werden aber vollsynthetische Textilien ohnehin als solche - meist mit bekanntem Markennamen und Behandlungsanweisungen versehen — dem Konsumenten angeboten. Im übrigen habe ich mich zur Frage des Kennzeichnungszwangs für Textilerzeugnisse bereits in der Fragestunde des deutschen Bundestages am 12. Dezember 1957 geäußert. Ludwig Erhard
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Jürgen Wischnewski


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beginnt heute mit den Beratungen eines entscheidenden Gesetzes im sozialpolitischen Raum. Es geht um den Schutz aller tätigen Menschen — unabhängig davon, ob in abhängiger oder in unabhängiger Arbeit — vor Unfällen und auch um den Schutz nach Unfällen. Eine echte Reformierung der Unfallversicherung mit ihrer fast 75jährigen Geschichte ist eine soziale und menschliche Verpflichtung. Das Wort „Die Gesundheit ist unser höchstes Gut" muß hier soweit wie möglich in die Tat umgesetzt werden.
    Zur Bedeutung des ganzen Problems darf ich einige wenige Zahlen nennen. Ich tue das insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers, der hier Millionen- und Milliardenbeträge genannt hat, um diese Zahlen in ein Verhältnis zu den Leistungen und in Verbindung zu ihnen zu bringen.
    Im Jahre 1957 gab es in der deutschen Unfallversicherung rund 26 Millionen versicherte Personen. Das zeigt uns sehr eindeutig, daß es sich um ein bedeutendes Problem handelt. Im gleichen Jahre wurden folgende Schadensfälle der gesetzlichen Unfallversicherung angezeigt: 2 341 000 Arbeitsunfälle im engeren Sinn, 240 000 Wegeunfälle und 33 759 Berufskrankheiten. Das waren im Jahre 1957 pro Kalendertag 7166 Schadensmeldungen. Das ist eine erschreckende Statistik.
    Im gleichen Jahre 1957 wurden 127 624 Fälle erstmalig entschädigt. Darunter befanden sich 7518 Todesfälle infolge von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen oder Berufskrankheiten. Im Durchschnitt waren das pro Kalendertag 21 Todesfälle. Auch diese Statistik ist grausam.
    Damit aber zeichnet sich, glaube ich, auch bereits ein entscheidender Schwerpunkt ab. Es geht in erster Linie darum, die Unfallverhütung in den Vordergrund zu stellen. Die Verhütung von Unfällen schützt Leben und Gesundheit. Für Unfälle, die verhütet werden, braucht keine Entschädigung gezahlt zu werden. Deshalb ist die Unfallverhütung insbesondere eine soziale und menschliche Verpflichtung und eine entscheidende wirtschaftliche Notwendigkeit. Unfälle sind nicht unabwendbar; Unfälle sind auch kein Schicksal, das man hinnehmen muß. Un-



    Wischnewski
    fälle sind ein Mißstand, den man durch geeignete Maßnahmen bekämpfen kann und muß.
    Auf diesem Gebiet der Unfallverhütung haben die Berufsgenossenschaften bisher Hervorragendes geleistet, und wir haben sicher allen Anlaß, den Berufs genossenschaften, insbesondere den Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertretern in den Organen und den technischen Aufsichtsbeamten, unseren Dank auszusprechen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir müssen bei dieser Gelegenheit aber auch feststellen, daß die technischen Aufsichtsbeamten bei den Berufsgenossenschaften leider nur in sehr geringem Umfange die Möglichkeit haben, die notwendigen Kontrollen durchzuführen. Ich darf Ihnen dafür zwei Beispiele, und zwar aus dem Jahre 1956, nennen, aber die Situation hat sich in der Zwischenzeit offensichtlich nicht wesentlich geändert. Im Jahre 1956 wurden von den gewerblichen Berufsgenossenschaften 1 663 960 Betriebe mit mehr als 16 190 000 Beschäftigten erfaßt. Auf diese Zahl entfielen bei den zuständigen Berufsgenossenschaften 475 technische Aufsichtsbeamte; d. h., im Durchschnitt kamen auf einen technischen Aufsichtsbeamten 3500 Betriebe mit rund 34 000 Beschäftigten.

    (Abg. Börner: Er kann nur jeden einmal im Leben kontrollieren!)

    Wenn der technische Aufsichtsbeamte in der Woche zehn Betriebe kontrollieren könnte — und einen besseren Durchschnitt wird er kaum erreichen können; denn es gibt große Betriebe, wo eine Kontrolle wochenlang dauert —, dann hätte er die Möglichkeit, alle sieben Jahre einmal seine Betriebe zu kontrollieren.
    Eine noch ungünstigere Situation ergab sich im selben Jahre für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Hier wurden mit den Gärtnereien usw. 2 977 000 Betriebe mit 8 850 000 Beschäftigten erfaßt. Den zuständigen Berufsgenossenschaften standen 95 technische Aufsichtsbeamte zur Verfügung; d. h., auf 31 300 Betriebe entfiel ein technischer Aufsichtsbeamter der zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Wenn in diesem Falle der Beamte in der Lage war, sich wöchentlich um die Situation in 2020 Betrieben zu kümmern, dann würde er 30 Jahre brauchen, um überhaupt nur einmal in jeden von ihm zu betreuenden Betrieb hineinzukommen.
    Damit, meine Damen und Herren, zeigt sich eindeutig, daß in sehr vielen Fällen — ich möchte sagen, in den meisten — eine echte Kontrolle nicht möglich ist, sondern die Tätigkeit des technischen Aufsichtsbeamten erst dann einsetzen wird, wenn ein Arbeitsunfall bereits passiert, wenn das Unglück schon geschehen ist. Auf der anderen Seite kommt hinzu, daß in sehr, sehr vielen Fällen auch die Gewerbeaufsichtsämter personell zahlenmäßig mangelhaft besetzt sind. Wir meinen daher, um die Unfallverhütung zu fördern, ist es zwingend notwendig, auch den Ausbau der Kontrollen im Rahmen der Unfallverhütung zu stärken, und wir werden uns erlauben, bei den Ausschußberatungen einige Vorschläge hierzu zu unterbreiten.
    Unfallverhütungsvorschriften und technische Aufsichtsbeamte allein werden nicht genügen, um das Problem der Unfallverhütung zu lösen. Erstens muß von beiden Seiten — von Arbeitnehmern und von Arbeitgebern — klar und eindeutig der Wille zur Unfallverhütung gezeigt werden. Darüber hinaus muß aber das Gesetz auch noch andere konkrete Möglichkeiten vorsehen, um die Unfallverhütung insgesamt zu fördern. Erfreulicherweise gibt es zahlreiche Betriebe, die gern und freiwillig viel für die Unfallverhütung tun; es gibt aber auch andere Betriebe, die sich bedauerlicherweise auf diesem Gebiet sehr zurückhaltend benehmen und meinen, gerade hier sparen zu müssen. Ich bin der Auffassung, man kann die unfallverhütungsaktiven und die unfallverhütungsträgen Betriebe nicht in einen Topf werfen, insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, die für die Berufsgenossenschaften notwendigen Umlagen zu bezahlen. Die Möglichkeiten, die hier der § 733 vorsieht, reichen offensichtlich nicht aus, um das Problem zu lösen.
    Nun lassen Sie mich zur Regierungsvorlage zuerst einige grundsätzliche Ausführungen machen. Wir kennen bekanntlich zwei Gesetzentwürfe, einen Gesetzentwurf vor und einen nach den Bundestagswahlen 1957. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden Gesetzentwürfen. Der zweite Regierungsentwurf, also der nach der Bundestagswahl 1957, weist eine Reihe von Verschlechterungen gegenüber dem ersten Entwurf der Bundesregierung vor den Bundestagswahlen auf.

    (Abg. Börner: Das nennt man sozialen Fortschritt!)

    Zumindest in einigen entscheidenden Fragen sind nicht nur Verschlechterungen gegenüber dem ersten Entwurf, sondern auch gegenüber dem geltenden Recht festzustellen. Damit soll nicht bestritten werden, daß selbstverständlich auch Verbesserungen gegenüber der augenblicklichen Rechtslage in der Regierungsvorlage enthalten sind, aber im Verhältnis des ersten zum zweiten Entwurf überwiegen die Verschlechterungen in entscheidendem Maße.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat zum Jahresende im Deutschland-Union-Dienst zu Fragen der Sozialpolitik insgesamt Stellung genommen. Er sprach von einem „Stilwandel" im Rahmen der sozialen Leistungen. Meine Damen und Herren, was hier vorliegt, kann ich nicht als „Stilwandel" bezeichnen, sondern hier muß schlicht und einfach gesagt werden: Für einen entscheidenden Teil der Betroffenen handelt es sich um einen Abbau jahrzehntelanger und gerechtfertigter sozialer Leistungen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir möchten schon jetzt in aller Deutlichkeit unseren Widerstand anmelden und befinden uns erfreulicherweise in denkbar bester Gesellschaft. Auch der Bundesrat hat ganz offensichtlich dieselbe Meinung. Auch er hat mit großer Einmütigkeit die Verschlechterungen abgelehnt. Sie alle kennen die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats. Deshalb wird niemand behaupten können, daß es sich hier um ein parteipolitisches Problem handelt, und das ist in diesem Zusammenhang auch gut so.



    Wischnewski
    Ein Wort zu den Rentenleistungen. Wir begrüßen durchaus, daß der Gesetzentwurf eine Anpassung der laufenden Renten vorsieht. Wir können aber den vorgesehenen Weg wie bisher nicht akzeptieren, insbesondere nach den Erfahrungen in der Rentenversicherung. Die jährliche Anpassung der laufenden Renten und der anderen Geldleistungen im Rahmen der Unfallversicherung entsprechend der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung in der Bundesrepublik ist zwingend notwendig. Nach unserer Auffassung muß darüber hinaus die Vollrente 75 % des Jahresarbeitsverdienstes betragen, um dem Grad der Schädigung in etwa gerecht zuwerden. Denken wir insbesondere daran, daß viele Verunglückte und Unfallgeschädigte keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten mehr besitzen und eine echte Lebenschance verloren haben. Die 662/3%, die in der Regierungsvorlage vorgesehen sind, entsprechen keineswegs den gegebenen Voraussetzungen. Für die Berechnung muß bei den jüngeren Unfallgeschädigten auch unbedingt berücksichtigt werden, daß die Tarife mit zunehmendem Lebensalter steigen.
    Auch gleich ein Wort zu den Teilrenten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat diese Frage hier sehr deutlich angesprochen, und wir wollen auch sehr deutlich dazu Stellung nehmen. Wir halten die vorgesehene Regelung in bezug auf die Teilrenten für völlig unmöglich. Ich meine den Fortfall der Renten bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 25 %.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das, meine Damen und Herren, ist eine Verschlechterung gegenüber den Zeiten Bismarcks, das ist eine Verschlechterung gegenüber den Krisenzeiten der Brüningschen Notverordnungen, das ist eine Verschlechterung gegenüber dem ersten Regierungsentwurf, und das ist auch eine Verschlechterung gegenüber der augenblicklichen Rechtslage. Die ursprüngliche Entschädigung im Rahmen der Unfallversicherung begann bei 10%. Erst durch die Brüningsche Notverordnung im Krisenjahr 1931 ist hier eine Änderung eingetreten. Offensichtlich will nun die Bundesregierung noch hinter die Bestimmungen der Brüningschen Notverordnung zurückgehen; denn sie will erst bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % an eine Entschädigung gewähren.
    Aufgabe der Bundesregierung und des Bundestages wäre ,es, hier den alten Rechtszustand, d. h. die Situation vor der Brüningschen Notverordnung, wiederherzustellen. Die Bundesregierung sagt in ihrer Begründung und der Herr Bundesarbeitsminister heute ebenfalls, daß die Festsetzung der unteren Grenze von 25 % deshalb gerechtfertigt sei, weil der Verletzte in aller Regel den Lohn eines Vollerwerbsfähigen verdiene und deshalb keinen Schaden habe. Das entspricht keineswegs den Tatsachen.
    Der Grad der Erwerbsminderung wird zwar vom Arzt von Fall zu Fall festgelegt. Aber wir wissen alle, daß es auch für die Ärzte in dieser Frage gewisse Richtlinien gibt. Nach den Richtlinien von Professor Dr. Paul Rostock, einem Experten auf diesem Gebiete, dem Chefarzt des Versorgungskrankenhauses in Bad Tölz, wird für den Verlust von zwei Fingern eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20% angenommen. Bitte, meine Damen und Herren, stellen Sie sich jetzt einen Feinmechaniker vor, der zwei Finger verliert! Er wird in den meisten Fällen nicht in der Lage sein, seinen bisherigen Beruf auszuüben oder, insbesondere bei dem Leistungslohnsystem, das wir haben, die alte Lohnhöhe zu erreichen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Oder stellen Sie sich auch nur die Stenotypistin vor, die zwei Finger verliert! Wenn sie ihren Arbeitsplatz einmal verloren hat, wird kein anderer bereit sein, sie wieder als Stenotypistin einzustellen.
    Wenn 25 % die untere Grenze sind, wenn alles, was darunterliegt, wegfällt, bedeutet das, daß derjenige, der durch einen Arbeitsunfall eine Niere verloren hat, nicht mehr entschädigt wird. Wir wissen alle, daß dieser Mann, wenn die andere, ihm verbliebene Niere erkrankt, lebensgefährlich erkrankt ist. Sie aber wollen ihn überhaupt nicht mehr berücksichtigen. Sie wollen ihn hier vollkommen herausnehmen.

    (Abg. Dr. Atzenroth: Dann muß dieser Unfall eben höher bewertet werden!)

    — Das stellen die Ärzte fest, das ist eine Aufgabe der Ärzte, und nach Auffassung der Ärzte ist bei diesen Beschädigungen eben ein derartiger Prozentsatz festzustellen.
    Aber etwas anderes spielt hier sicher eine entscheidende Rolle. Im Zivilrecht, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist jeder Schaden zu ersetzen. Es ist unmöglich, ausgerechnet den Arbeitsunfallgeschädigten hier schlechter zu stellen.
    Wir werden deshalb in den Beratungen in aller Deutlichkeit für die Wiederherstellung des alten Zustandes, wie er vor den Brüningschen Notverordnungen bestand, eintreten,

    (Beifall bei der SPD)

    d. h. Entschädigung ab 10%.
    Einige Worte zur Abfindung. Auch dazu hat ja der Herr Bundesarbeitsminister sehr ausführlich Stellung genommen. Ich meine hier insbesondere die Abfindung bei allen Rentenleistungen, wenn der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 50 % liegt. Ich darf in aller Deutlichkeit sagen: auch der hier vorgeschlagenen Regelung werden wir niemals unsere Zustimmung geben können. Es ist eine Unmöglichkeit, den Unfallgeschädigten unter Umständen gegen seinen Willen abzufinden.

    (Richtig! bei der SPD.)

    Der vorliegende Vorschlag sieht zum mindesten die Möglichkeit vor, einen Unfallgeschädigten gegen seinen Willen abzufinden. Ich darf hier noch einmal an das erinnern, was der Herr Minister am 30. Dezember 1958 im Deutschland-Union-Dienst zu Fragen der Sozialpolitik gesagt hat. Er sagte:
    Mögen sie sich mehr und besser gegen die Risiken des Lebens sichern, so soll ihnen doch die Freiheit der Entschlüsse im Rahmen des Möglichen bleiben.



    Wischnewski
    Hier aber will die Bundesregierung genau das Gegenteil. Sie schafft zum mindesten die gesetzliche Voraussetzung dafür, dem Unfallgeschädigten die Möglichkeit seines freien Entschlusses zu nehmen. Denn die Formulierung im Gesetzentwurf ist so, daß der Unfallgeschädigte auch gegen seinen Willen, gegen seine Überzeugung abgefunden werden kann.
    Wir wenden uns nicht gegen die Abfindung; wir halten selbstverständlich auch die Abfindung für eine Möglichkeit, die gegeben sein muß. Aber sie darf immer nur im Einverständnis mit dem Betroffenen, dem Unfallgeschädigten erfolgen. Das sieht die Regierungsvorlage nicht vor.
    Auch zur Höhe der Abfindung ist einiges zu sagen. Ich meine hier die Höhe bei den Schadensfällen, hei denen die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit weniger als 50 % bewertet ist. Die Bundesregierung schlägt vor, daß hier eine einmalige Abfindung in Höhe des Fünffachen der Jahresrente gezahlt wird und damit alles erledigt ist; bis auf die Krankenpflege selbstverständlich. Meine Damen und Herren, auch das ist eine unmögliche Regelung. Stellen Sie sich bitte einen jungen Arbeiter vor, der mit 25 oder 30 Jahren einen Unterschenkel verliert. Nach den Richtlinien für die Begutachtung liegt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 und mehr Prozent vor. Dieser Mann ist sein ganzes Leben lang schwer geschädigt. Es ist die Möglichkeit vorgesehen, ihn mit einer einmaligen Zahlung, dem Fünffachen der Jahresrente, abzufinden und zu sagen: Damit ist für alle Zeiten die Angelegenheit erledigt. Das ist nach unserer Auffassung eine unmögliche Regelung, der wir keineswegs zustimmen können. Die Möglichkeit der Abfindung wird von uns absolut begrüßt. Wir könnten uns vorstellen, daß eine ähnliche Regelung möglich ist wie in denjenigen Rentenfällen, wo die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 und mehr Prozent bewertet ist, d. h. eine Abfindung für 5 bzw. 10 Jahre, allerdings dann in voller Höhe, und dann automatisches Wiederanlaufen der Rente.
    Noch ein Wort zur Abfindung in den Fällen, in denen die Erwerbsminderung mehr als 50 % beträgt. Hier ist eine Abfindung für Grundbesitz, für Familienheime, für Eigentumswohnungen und für Zahlungen an Bausparkassen vorgesehen. Wir glauben, es ist richtig, daß nach einem Weg gesucht wird, eine sichere Anlage der Abfindung zu erreichen. Es wäre jedoch zu überlegen, ob hier nicht auch noch andere Möglichkeiten in das Gesetz eingebaut werden können, um die Existenz des Betroffenen zu sichern.
    Zur Witwenrente ganz kurz folgendes. Hier sollte eine Staffelung, eine unterschiedliche Regelung nach Lebensalter, auf alle Fälle vermieden werden. Dieser Auffassung ist auch der Bundesrat. Eine Staffelung erscheint uns hier schon deshalb unmöglich, weil ein Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes eine völlig unzureichende Rente ist. Wie im Vierten Buch der Reichsversicherung sollte hier vorgesehen werden, daß während der ersten drei Monate nach dem Tode des Ehegatten Anspruch auf die volle Rente besteht.
    Zur Elternrente! Hier müssen wir uns dagegen wehren, daß nach Bedürftigkeitsprinzipien verfahren wird. In der Unfallversicherung wird der Schaden auf Grund von Rechtsansprüchen ersetzt, und Rechtsansprüche und Prüfung von Bedürftigkeit widersprechen sich.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat das Problem der Berufskrankheiten angesprochen. Er hat auf den Katalog hingewiesen, der durch Rechtsverordnung aufgestellt wird. Im Augenblick gilt die Fünfte Verordnung, die 40 Berufskrankheiten enthält. Wir glauben, hier sollte der bisherige Weg weitergegangen werden, allerdings mit einer wesentlichen Abweichung von der Regierungsvorlage. Die Regierungsvorlage sagt, daß die Berufsgenossenschaften, die Versicherungsträger Krankheiten, die nicht im Katalog stehen, die aber nachgewiesenermaßen Berufskrankheiten sind, so behandeln k ö n n en, als stünden sie im Katalog. Meine Damen und Herren, wenn durch einen Arzt nachgewiesen ist, daß es sich um eine Berufskrankheit handelt, dann sollen nach unserer Ansicht — eigentlich müßte man fast sagen: müssen; aber sollen ist das richtige Wort —die Versicherungsträger diese Krankheit so behandeln, als stünde sie bereits in dem Berufskrankheiten-Katalog. Auch das scheint uns eine wesentliche Frage zu sein. Wir haben absolut Verständnis dafür, daß der Katalog angesichts der ständig im Fluß befindlichen Entwicklung nicht immer à jour sein kann.
    Beschäftigen muß man sich weiter mit dem Problem von Sachschäden, die im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen eintreten. Auch hier sind eine Reihe wesentlicher Überlegungen notwendig.
    Nunmehr darf ich ein Wort über das Verhältnis der Unfallversicherung zur Krankenversicherung sagen. Zu diesem Problem nimmt auch der Regierungsentwurf Stellung, und auch der Herr Bundesarbeitsminister hat es hier deutlich herausgestellt. Will man eine echte Reform, eine echte Änderung der gegenwärtigen Situation, wird man hier auch eine echte Trennung der Zuständigkeiten herbeiführen müssen. Leider müssen wir darauf hinweisen, daß auch in dieser Frage der zweite Entwurf der Bundesregierung gegenüber ihrem ersten Entwurf eine wesentliche Verschlechterung enthält. Der erste Entwurf der Bundesregierung sah vor, daß die Unfallversicherung für Krankengeld und Krankenhausaufenthalt die Kosten vom ersten Tage an übernimmt. Die Begründung der Bundesregierung lautete in dem ersten Entwurf wie folgt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
    Diese Regelung ist nicht nur deshalb begründet, weil die Unfallversicherung ein besonderer Zweig der Sozialversicherung ist, sondern vornehmlich deshalb, weil die Unfallversicherung nur durch die alleinige Beitragspflicht der Unternehmer als Sozialversicherungszweig ihre sinnvolle Erklärung findet und deshalb auch nicht mittelbar über die von den Arbeitnehmern gezahlten Krankenversicherungsbeiträge diese zu den Lasten der Unfallversicherung beitragen dürfen. Andernfalls würden die Arbeitnehmer



    Wischnewski
    einen Teil der den Unternehmern obliegenden Pflichten erfüllen.
    Das, meine Damen und Herren, war die Begründung der Bundesregierung in dieser Frage zum ersten Regierungsentwurf. Ich darf Ihnen sagen: zu dieser Begründung kann ich mich ohne weiteres bekennen, und sie hat auch heute noch ihre Gültigkeit. Deshalb ist es nicht verständlich, daß die Bundesregierung in dieser Frage eine wesentliche Änderung vorsieht, nämlich die, daß erst nach dem 18. Tage die Kosten durch die Unfallversicherung übernommen werden sollen. Es gibt keinen Streit darüber, daß bei 18 Tagen eine Besserstellung gegenüber der augenblicklichen Regelung, die 45 Tage vorsieht, einträte. Aber ich glaube, hier ist eine grundsätzliche und echte Trennung zwingend notwendig. Hier geht es um eine Prinzipienfrage, um eine Frage der gerechten Zuständigkeit; deshalb darf man keine halben Lösungen schaffen. Der Unfallgeschädigte darf in keinem Falle auf dem Umwege über die Krankenversicherungsbeiträge an der Finanzierung oder an den Kosten des Arbeitsunfalles beteiligt werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im übrigen meine ich, daß die Bundesregierung eigentlich bereit sein müßte, den Weg hier zu Ende zu gehen. Das Krankengeld bei Arbeitsunfällen wird in Verletztengeld umbenannt. Ich glaube, diese Umbenennung ist absolut richtig. Ich habe zunächst angenommen, die Bundesregierung wolle durch die Umbenennung von Krankengeld in Verletztengeld auch dokumentieren, daß das Verletztengeld mit der Krankenkasse nichts zu tun habe. Ich wäre daher sehr dankbar, wenn man bereit wäre, aus der Namensänderung, die berechtigt ist, auch die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
    Zum Verletztengeld folgendes. Wir werden unbedingt dafür eintreten, daß im Falle eines Arbeitsunfalles während der ersten sechs Wochen der Lohn fortgezahlt wird. Das ist ein Problem, das uns in diesem Hause bereits des öfteren beschäftigt hat, und ich glaube, hier werden auch viele von Ihnen, meine Damen und Herren, einsehen müssen, daß dies absolut berechtigt ist. Denn erstens ist nicht einzusehen, warum derjenige, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, schlechter stehen soll, als wenn er arbeitet. Zweitens ist ja vorgesehen, daß die Kosten für die Berufsgenossenschaften sowieso vom Arbeitgeber allein zu tragen sind. Es scheint also ohne weiteres möglich zu sein, hier die Lohnfortzahlung durchzusetzen.
    Zur Krankenpflege noch einige wenige Worte. Nach unserer Auffassung müßten auch bei der Krankenpflege den Krankenkassen die anfallenden Kosten voll ersetzt werden; sie müßten für ihre Auslagen voll entschädigt werden. Auch hier handelt es sich um eine Grundsatzfrage; sie sollte gelöst werden in zwei Richtungen: 1. mit dem Ziel voller Entschädigung für die Leistungen und 2. unter Ausschaltung aller zusätzlichen Verwaltungsarbeit. Wir können uns durchaus vorstellen, daß eine Einigung der verschiedenen zuständigen Versicherungsträger möglich ist. Eine Pauschalierung kann sicher vertraglich vereinbart werden.
    Abschließend lassen Sie mich noch ein Wort zu dem betroffenen Personenkreis sagen. Wenn in dem Regierungsentwurf herausgestellt wird — das hat auch der Herr Bundesarbeitsminister sehr deutlich getan , daß die in Rechtspflege und Verwaltung ehrenamtlich Tätigen einbezogen werden sollen, su begrüßen wir eine derartige Regelung unbedingt.
    Aber nach wie vor gibt es noch eine Reihe von Lücken. Wir sind der Auffassung, daß alle Wege — alle Wege! , die mit dem Arbeitsverhältnis zu tun haben, in die Unfallversicherung miteinbezogen werden sollten. Wir sollten uns um eine endgültige Abgrenzung der Wegeunfälle bemühen. Hier müßte es heißen: von Wohnungstür zu Wohnungstür der eigenen Wohnung. Dieses Problem sollten wir nicht der Rechtsprechung im sozialpolitischen Raum überlassen. Dort gibt es sicher andere Aufgaben, die wichtiger sind. Wir sollten uns in dieser Frage von vornherein um eine eindeutige und klare Entscheidung bemühen.
    Beim Personenkreis möchte ich noch eine andere Gruppe kurz hervorheben. Die Technisierung der Haushalte ist in den letzten Jahren gewaltig fortgeschritten. Damit ist automatisch die Unfallgefahr im Haushalt erheblich gestiegen. Ich glaube, ein Drittel aller Unfälle passiert heute im Haushalt. Insbesondere sind davon unsere Hausfrauen betroffen. Die Hausfrau, meist auch die Mutter, hat keine Arbeitsschutzbestimmungen. Ihre ganze Sorge gill der Familie, und sie bedarf sicher des besonderen Schutzes. Wir müssen deshalb überlegen, ob eine Möglichkeit gegeben ist, sie auf irgendeine Art und Weise in den Versicherungsschutz mit einzubeziehen. Dabei sind wir uns von vornherein darüber im klaren, daß die Abgrenzung überaus schwierig sein wird. Das sollte uns aber nicht daran hindern, in den Ausschußberatungen dieses Problem aufzugreifen. Im Interesse der Hausfrauen, der Mütter und damit. der Familien sollten wir uns gemeinsam an diese sicher sehr schwierige Aufgabe heranwagen.
    Ich darf zum Schluß unsere Gedanken in vier Punkten zusammenfassen: Die Unfallverhütung muß bei dieser Gesetzgebung im Vordergrund stehen. Ein Abbau sozialer Leistungen muß abgewendet werden. Die persönliche Entscheidungsfreiheit muß jedem erhalten bleiben, und eine vernünftige und gerechte Abgrenzung zwischen den Versicherungsträgern ist notwendig. Zum Wohle aller tätigen Menschen.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Philipp.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Philipp


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Begründung des Herrn Ministers hat mein Vorredner verschiedene Punkte berührt, die ihm Anlaß zur Kritik an dieser Gesetzesvorlage geben. Ich möchte zunächst von mir aus betonen -- was auch der Herr Minister bereits zum Ausdruck gebracht hat —, daß dieses Gesetz nicht etwa nur eine Anpassungsmaßnahme darstellt, sondern daß mit ihm eine Änderung der Struktur in den verschiedensten Punkten angestrebt wird. Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch



    Dr.-Ing. Philipp
    auf die altbewährten Grundlagen des Gesetzes hinweisen. Wir haben von meinem Herrn Vorredner hören können, daß man mit dem Gesetz bisher sehr zufrieden war.
    Der Dank, den mein Herr Vorredner den Beteiligten abgestattet hat, ist auch mein Anliegen. Ich möchte deshalb zu Beginn meiner Ausführungen mit besonderem Nachdruck feststellen, daß die Organe der Versicherungsträger — die Beamten und die dem Aufsichtsdienst angehörenden Männer —
    jederzeit ihre Pflicht getan haben. Wir können nur dankbar sein, daß die Unfallversicherung in den letzten 70 Jahren den guten Weg genommen hat, den wir heute zu verzeichnen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nach dieser kurzen einführenden Bemerkung darf ich im übrigen folgendes sagen. Wir haben zunächst feststellen können, daß es der Regierung offensichtlich gelungen ist, den Zielen, die sie sich mit dem Entwurf nach der allgemeinen Begründung gesetzt hat, nachzukommen und nach dieser Zielsetzung die einzelnen Bestimmungen abzufassen sowie die Gesamtkonzeption entsprechend auszurichten. Wir von der CDU/CSU-Fraktion begrüßen daher diesen Gesetzentwurf.
    Das besagt aber nicht, daß wir an gewissen speziellen Punkten nicht auch unsere Anmerkungen zu machen hätten, die sich zu gegebener Zeit für eine Diskussion im Ausschuß eignen, wo wir dann zu einer endgültigen Formulierung kommen müssen. Ich werde auf einzelne Punkte in dieser Richtung noch zu sprechen kommen.
    Zusammenfassend darf ich sagen: wir begrüßen diese Vorlage. Sie entspricht auch im allgemeinen unseren Vorstellungen von einer Neukodifikation des Unfallrechts.
    Wenn man die Frage nach den Leistungsverbesserungen stellt, die das neue Gesetz bringt, so kann man, wie der Herr Minister ausgeführt hat, den Entwurf naturgemäß nur im Zusammenhang sehen, und zwar im Zusammenhang mit dem Gesetz, das das Hohe Haus 1957 — ich möchte sagen : als Vorabregelung der Geldleistungen — beschlossen hat. Nur wenn man die heutige Gesetzesvorlage im Zusammenhang mit diesen früheren Bestimmungen sieht, kann man zu einem Urteil kommen, das dem Entwurf gerecht wird.
    Dann wird man meines Erachtens nicht zum Ausdruck bringen können, dieses Gesetz schaffe nicht das, was wir uns darunter vorgestellt hätten. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß man alles in allem sehen muß. Man kann nicht die Rosinen aus dem Kuchen herausholen, sondern man muß den ganzen Kuchen und die Rosinen, die darin sind, sehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Frage der Geldleistungen habe ich soeben angeschnitten. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält, wie der Herr Bundesarbeitsminister ausgeführt hat, naturgemäß auch echte Vergünstigungen. Bei all dem muß man akzeptieren — es kann nicht anders sein —, daß nicht jede Regelung so aussieht, wie man sie sich wünscht und wie sie sich dieser
    oder jener in einem Wunschtraum vorgestellt hat. Alles im Leben ist ein Kompromiß.
    Vor allem muß man ein Podest haben, auf das man sich stellt, und eine Vorstellung von dem Ziel, das man zu erreichen versucht. Diese Vorstellung von der Konstruktion besteht bei der Vorlage des Herrn Ministers darin, daß er Wert darauf legt, die schwereren Fälle in einer vernünftigen Weise zu regeln und die Schwerverletzten mit Leistungen entsprechend zu bedenken.
    Das sollte man doch bei der Betrachtung dieses Gesetzes bedenken. Man sollte vor allem fragen, inwieweit es denn diesem Entwurf gelungen ist, diese Konstruktion oder diese Strukturänderung zu erreichen.
    Man kann also — wie ich sagen möchte — die Dinge nicht allein aus der Sicht des Leistungsempfängers betrachten. Der Wünsche sind zwar viele, aber selbstverständlich müssen die Leistungen sinnvoll und gerecht geregelt werden. Dabei muß für die Unfallversicherung der Gesichtspunkt des Ausgleichs eines erlittenen Schadens entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesregelung im Vordergrund stehen. Deshalb geht es bei einer solchen Novelle auch darum, bisherige Regelungen neu zu durchdenken und, wenn nötig, zu korrigieren. Das sollte man bei allem im Auge haben und das Gesetz auch unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Dann wird man auf jeden Fall zu einer wohlwollenden und vernünftigen Betrachtung kommen. Jedenfalls kann man nicht immer sagen, daß das Maximum das beste sei, sondern wir müssen sagen: das Optimum ist das Erstrebenswerte; und das sollten wir zu erreichen versuchen. Wenn wir solche Gedanken hegen, werden wir auch eine gute Einstellung zu der Gesetzesvorlage haben. Über die Frage, was ein Optimum ist, lassen wir jederzeit mit uns diskutieren,

    (Beifall bei der SPD)

    und ich glaube, wenn wir beiderseits den guten Willen haben, werden wir auch die Frage des Optimums gemeinsam lösen.
    Ich betone das, weil ich mir — wie ich bereits ausführte — darüber im klaren bin, daß gewisse Wünsche offenbleiben werden. Wir müssen darauf achten, Regelungen zu unterlassen, die gegen die Vernunft sind, vielleicht selbst dann, wenn wir damit einmal unpopulär werden sollten. Diesen Mut muß man selbstverständlich aufbringen; denn sonst würde man draußen gegen uns Vorwürfe erheben und sagen: Ihr beschließt Sozialgesetze, die teilweise gegen die Vernunft sind. Das Volk denkt in diesen Dingen sehr vernünftig. Wir wissen genau, daß nur das, was gerecht und sinnvoll ist, jederzeit von der Allgemeinheit akzeptiert wird. Wir sollten die Dinge also auch s o sehen, Herr Professor Schellenberg. Ich glaube, wir haben alle die Hoffnung — ich habe das auch im Ausschuß zum Ausdruck gebracht —, daß wir gemeinsam einen Weg finden werden.
    Wir haben gleichzeitig — wie ich bereits sagte —die Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit, volkswirtschaftlich tragbare Lösungen zu suchen,



    Dr.-Ing. Philipp
    und wir sollten unser Augenmerk darauf richten, wie es mit der finanziellen Belastung steht. Es ist leider so, daß z. B. ein einziger Arbeitsunfall mit tödlichem Ausgang Kosten von 40 000 bis 50 000 DM verursacht. Ich nenne diese Zahlen nur, damit man sich darüber klar wird, mit welchen Größenordnungen wir es zu tun haben. Deshalb begrüßen wir es ganz besonders, daß die Unfallversicherung ihre vornehmste Aufgabe zunächst einmal in der Unfallverhütung sieht; denn es ist ein alter Grundsatz, daß Vorbeugen besser ist als Heilen.
    Auch die Frage der Wiedereingliederung wird von dem Gesetz unseres Erachtens sehr zweckmäßig behandelt.
    Der Herr Kollege hat vorhin die Frage der technischen Aufsichtsbeamten angeschnitten. Sicher, man muß auch über diese Dinge sprechen und sich überlegen, ob die bisherige Häufigkeit der Besuche ausreichte und ob die erforderliche Anzahl von Beamten vorhanden gewesen ist. Man kann aber nicht mit solchen Zahlen allein operieren und daraus errechnen, daß ein Betrieb im Regelfall alle 30 oder alle 7 Jahre besucht werden kann. Es kristallisieren sich ja bei allen diesen Dingen Schwerpunkte heraus. Ein Betrieb, der anfällig und kritisch ist — der ist bekannt — wird selbstverständlich aufgesucht. Es gibt bei 1000 Betrieben vielleicht 5 oder 10 Betriebe, denen man auf die Finger sehen muß, und diese Betriebe werden von den Beamten besucht. Dann kann man aber nicht sagen, daß der technische Aufsichtsdienst unzulänglich sei, weil 995 Betriebe nicht besucht worden sind. Ich möchte das ganz klar herausstellen, damit nicht falsche Meinungen entstehen und gesagt wird, der technische Aufsichtsdienst sei nicht in Ordnung.
    Ich möchte noch folgendes bemerken. Ein Arbeitsunfall ist nicht nur eine Kostenangelegenheit der Berufsgenossenschaft, sondern auch der Krankenkasse und letzten Endes auch eine indirekte Belastung der Volkswirtschaft, weil der Mann, der nicht zur Arbeit geht, sondern krank und arbeitsunfähig zu Hause liegt, sich nicht an der Produktion beteiligen kann. Wir alle haben das Anliegen — ob wir links, rechts oder in der Mitte sitzen —, daß unsere Produktion so weit wie möglich gesteigert wird und daß möglichst keine Unfälle eintreten, weil durch diese Unfälle unter Umständen Produktion ausfällt. Das ist ein gemeinsames Anliegen von uns allen. Wir ziehen in dieser Beziehung alle an einem Strang und sitzen gemeinsam in einem Boot, so daß wir uns alle bemühen müssen, die Dinge so weit hinzubekommen, daß man sagen kann: wir haben Fortschritte gemacht.
    Da bietet sich an, daß die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in den Betrieben gemeinsam Mittel und Wege suchen, um die Unfallhäufigkeit abzustellen. Ich komme aus einer Branche, wenn ich so sagen darf, die sehr arbeitsintensiv ist. Sicherlich ist Ihnen bekannt, daß der Bergbau alles versucht, um mit den Unfällen zu Rande zu kommen. Wir haben besondere Aktionen eingeleitet, die sehr gute Erfolge zeitigen. Wir haben z. B. Prämien ausgesetzt. Man sollte auch einmal unterstreichen, daß von den Betrieben alles Mögliche versucht wird, um mit diesen Dingen fertig zu werden. Denn der
    Unternehmer, d. h. die Berufsgenossenschaft zahlt ja die ganzen Belastungen, und es wäre doch eine Torheit, wenn der Unternehmer nicht alles täte, um Unfälle so weit wie möglich zu vermeiden. Wir haben im Bergbau etwa 3 % — pro Hundert angelegte Arbeiter — Fehlschichten aus Unfällen. Wenn Sie von 90 Millionen Schichten pro anno ausgehen, sind das etwa 2,5 Millionen Schichten, die uns durch Arbeitsunfälle verlorengehen. Das bedeutet einen Ausfall an Produktion von, sagen wir, 3 bis 4 Millionen Tonnen Kohle. Heute wird man sagen: Gott sei Dank, daß sie nicht gefördert werden; aber so wird man mit den Dingen nicht fertig. Ich wollte nur aufzeigen, in welcher Größenordnung die Produktion ausfällt.
    Ich möchte auf die Frage der Unfälle noch in einem besonderen Fall zu sprechen kommen, was Sie mir vielleicht nicht verübeln werden. Mir ist in meiner bergbaulichen Tätigkeit folgender Vorgang zur Kenntnis gekommen. Ihnen hat die Denkschrift der Industriegewerkschaft Bergbau vorgelegen. Wir sollten die Unfälle sehr ernst nehmen, aber wir sollten vermeiden, irgend etwas zu dramatisieren. Diese Denkschrift enthält auf der ersten Seite einen Passus, in dem von „besorgniserregender Zunahme der Unfallhäufigkeit" gesprochen wird. Ich will heute keine Kohlendebatte auslösen, aber weil wir von der Unfallversicherung sprechen, sei es gestattet, daß ich diese Frage anschneide und die Beurteilung der Verhältnisse richtigstelle, damit sich nicht im Kreise unserer Kollegen Meinungen festsetzen, die tatsächlich nicht der Wirklichkeit entsprechen.
    Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß man es geflissentlich unterläßt, in diesem Fall herauszustellen, daß das Ansteigen der Unfallzahlen auf 55 % aus statistischen Gründen erfolgt ist, d. h. sich aus dem Übergang von früher nicht als Unfälle verzeichneten Verletzungen in die Kategorie der leichten Unfälle erklärt. Wir haben festgestellt, daß es sich um eine Verlagerung handelt. Das ist aus der Tatsache zu ersehen, daß die Gesamtzahl der Eintragungen in die Verletztenbücher der Zechen die gleiche geblieben ist. Es geschieht ja so, daß sich ein Mann, der einen Unfall oder eine Verletzung hat, zur Zeche begibt und beim Heilgehilfen in das Zechenbuch eingetragen wird. Die Anzahl dieser Eintragungen ist in den Jahren seit 1956 nicht gestiegen, sondern sogar gefallen, und zwar von 100 bis auf etwa 84 pro 100 000 Schichten.
    Nun dürfen Sie feststellen die IGB vergleicht
    das erste Halbjahr 1957 mit dem ersten Halbjahr 1958 —, daß ausgerechnet nach dem 1. Juli 1957 —das ist ganz interessant, Sie wissen alle, welcher Stichtag das ist: da kam das berühmte Gesetz über die Fortzahlung des Lohnes — die Unfälle statistisch, Herr Professor Schellenberg, um 55 % angestiegen sind. Ich meine, das hat seine von mir eben geschilderte Begründung: Die Unfälle wurden im Unfallbuch vermerkt, ursprünglich aber nicht statistisch verwertet, weil nach der Statistik nur die Unfälle, bei denen der Arbeiter über vier Tage fehlen mußte, erfaßt worden sind. Nachdem nun aber bei jeder Verletzung schon vom ersten Tage an gesetzlich der Lohn fortgezahlt wird, kommt auch diese



    Dr.-Ing. Philipp
    Anzahl mit in die Statistik hinein, so daß wir eine Anhebung der Unfallzahlen in dieser Höhe haben. Dann ergibt sich also eine Zunahme von 55 0/o; das ist richtig. Was die IGB schreibt, ist eben nur statistisch zu werten.
    Ich sagte Ihnen, daß die Gesamtzahl der Unfälle, wie wir sie in den Zechenbüchern vermerken, nicht gestiegen, sondern sogar gefallen ist.

    (Abg. Stingl: Das läßt sich anders einfacher darstellen!)

    — Das läßt sich natürlich anders einfacher darstellen. Ich glaube, man merkt die Absicht und man wird verstimmt.
    Natürlich ist bei uns feststellbar, daß sich nach dem 1. Juli 1957 gewisse Erscheinungen zeigten, die die erhöhte Krankheitsziffer von da an begründeten. Ich will aber nicht boshaft werden. Ich bin gewöhnt, als Fachmann in meiner Branche sachlich zu denken, kann aber nicht umhin, diese Dinge anzusprechen, damit Sie, meine Damen und Herren, nicht den Eindruck gewinnen, bei uns im Bergbau gehe es drunter und drüber und es sei plötzlich eine 55%ige Steigerung der Unfälle eingetreten. Man sagt, das stehe eindeutig im Zusammenhang mit der Leistungssteigerung. Man will sagen: Hört, hört, die Leistungssteigerung ist gefährlich; sie schafft 55% mehr Unfälle!
    Ich glaube dargelegt zu haben, daß es sich hier um eine rein statistische Angelegenheit handelt, und darf damit dieses Thema als abgeschlossen betrachten.
    9 Es ist bedauerlich, daß ich immer auf die finanzielle Seite zu sprechen kommen muß. Aber das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Ich darf, weil der Herr Minister von der Belastung gesprochen hat, ins Gedächtnis zurückrufen, wie die Entwicklung der Umlagen in der Unfallversicherung in den letzten zehn Jahren gelaufen ist. Ich nenne hier nur einige Prozentsätze. Wir haben in den letzten zehn Jahren eine Anhebung um 325 % und bei der Landwirtschaft sogar von teilweise über 500 % gehabt. Ich bemerke das auf Grund eines ausdrücklichen Wunsches eines Herrn von der Grünen Front. Sie sehen also ein ganz erhebliches Anwachsen. Ich habe darüber nette graphische Darstellungen. Wer daran interessiert ist, kann sie bei mir einsehen.
    Infolge dieses Anwachsens ist es sehr verständlich, wenn Inhaber gewisser lohnintensiver Betriebe — kleine und auch große Leute — den Wunsch erschallen lassen, man möge doch einmal Überlegungen anstellen, ob man nicht davon Abstand nehmen könne, die Lohnsumme als Bemessungsgrundlage für die Umlage zu nehmen.
    Ich möchte dieses Thema nicht weiter vertiefen, sondern nur darauf hinweisen, daß es doch verständlich erscheint, wenn Inhaber solcher lohnintensiver Betriebe derartige Gedanken einmal aussprechen.
    Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß wir im Bergbau 1949 mit einer Umlage von 134 Millionen anfingen und heute bei dem Satz von 538,6 Millionen DM pro anno angekommen sind. In diesem Hause bin ich von sämtlichen Fraktionen — die eigene nicht ausgenommen — oft schief angesehen worden, weil ich so schwarz bin, d. h. weil ich der Kohle angehöre.
    Wir sollten auch dafür Verständnis haben, daß, wenn heute eine solche Belastung von 538 Millionen DM vorliegt, das pro Tonne — pro Tonne, meine Damen und Herren! — einen Betrag von etwa bis zu 5 DM ausmacht.

    (Abg. Dr. Atzenroth: Das zahlen wir alles im Kohlepreis!)

    — Das zahlen wir alles im Kohlepreis; es ist nur so, verehrter Herr Kollege, daß man es nur so lange in den Kohlepreis einbauen kann, als es der Markt hergibt. Wenn es der Markt nicht mehr hergibt, ist der schöne Traum aus. Dann muß man selbstverständlich auch von der Unternehmenseite alles dransetzen, um die Preise entsprechend dem Markt gestalten zu können. Dazu gehört auch die Unfallverhütung und die Einsicht von allen Seiten, daß uns keine Belastungen durch die Gesetzgebung zugemutet werden, die wir im Markt nicht verkraften können.
    Ich habe mich sehr gefreut, daß der Herr Bundesarbeitsminister seinerzeit, als die FDP ihre Anfrage über die künftige Gestaltung der Kosten der Unfallversicherung an ihn richtete, zum Ausdruck brachte, daß eine Gesetzesvorlage kommen werde, die die Belastung für die Wirtschaft tragbar gestalte, so daß also keine Preiserhöhungen einzutreten brauchten.
    Nun, wir wollen sehen, wie die Belastung aussehen wird. Jedenfalls darf ich feststellen, daß die Belastung aus dem Gesetz für alle Berufsgenossenschaften mit 120 Millionen DM angegeben wird. Wir haben früher schon einmal Schätzungen gehabt, als wir das Geldleistungsgesetz 1957 beschlossen.
    — Das heißt, S i e haben dieses Gesetz beschlossen. Ich war damals noch nicht in diesem Hohen Hause. Wäre ich dagewesen, hätte ich es vielleicht nicht so mitbeschlossen. — Damals schätzte man einen Betrag von 130 Millionen ,DM, und schließlich, wie man sich den Schaden besah, kam man auf 260 oder 270 Millionen, also auf die doppelte Summe. Ich möchte doch etwas pessimistisch sein, ob die 120 Millionen, die wir uns heute vorstellen, im Endeffekt nicht überschritten werden.
    Zusammengefaßt ist jedenfalls die Situation so, daß die Berufsgenossenschaften seit 1957 mit einer Zunahme ihrer Belastung — einschließlich der aus der jetzigen Vorlage — von rund 400 Millionen DM
    — ein nettes Sümmchen! — zu rechnen haben, ein Betrag, der bei einer Umlage in Höhe von 1,6 Milliarden DM doch immerhin beachtlich ist.
    Weil ich nun einmal in den Dingen drin bin, möchte ich auch ein Wort zu der Frage verlieren, wie unsere Unfallversicherung im Zusammenhang mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aussieht. Sie wissen, daß wir heute immer das Stichwort von der Harmonisierung hören. Wir haben ja feststellen können, daß unsere deutsche Gesetzgebung — auch unsere Sozialgesetzgebung und auch in der Sparte der Unfallversicherung — jederzeit den Vergleichen mit den Ländern der Euro-



    Dr.-Ing. Philipp
    päischen Wirtschaftsgemeinschaft standhält. Das zu betonen scheint mir erforderlich zu sein, damit jeder weiß, daß das, was wir tun, auch für andere ein ganz gutes Beispiel sein kann.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es erhebt sich die Frage, wie es in anderen Ländern aussieht. Ich kann nur von Belgien sprechen. Das ist, glaube ich, das einzige Land, das nicht die Konzeption der Zwangsunfallversicherung hat, wie wir sie haben. Dem Unternehmer wird die Möglichkeit gegeben, bei Arbeitsunfällen sich durch private Versicherung und durch Versicherungen beruflicher Art auf Gegenseitigkeit, Deckung und Schutz zu verschaffen. Für die Fälle von Berufskrankheit hat man eine Art von Fürsorgefonds, der von sämtlichen übrigen sozialen Einrichtungen losgelöst ist. — Ich möchte das nur im Interesse der Vollständigkeit meiner Darlegungen erwähnen.
    Nun komme ich noch zu einigen neuralgischen Punkten, die in der ersten Lesung immerhin angesprochen werden müssen, zumal auch mein Herr Vorredner davon gesprochen hat. Ich beginne mit der Frage der Mitgliedschaft der Versicherten. Ich habe feststellen können, daß offensichtlich in der Runde der Sozialpartner Einmütigkeit herrscht. Sie geht vom DGB bis zu dem Hauptverband der Berufsgenossenschaften. Übereinstimmend ist man der Meinung, daß man die Versicherten nicht als Mitglieder der Berufsgenossenschaft einführen soll.
    Ich will mich heute nicht abschließend zu dieser Frage äußern. Der Herr Minister hat uns dargelegt, daß verfassungsrechtliche Überlegungen maßgebend waren, eine solche Regelung zu finden. Man sollte ganz objektiv untersuchen, ob sie notwendig, zweckmäßig und rechtlich vertretbar ist; denn es ist nicht unbedingt erforderlich, die Versicherten als Mitglieder zu führen, jedenfalls nicht, um deren Verpflichtung gegenüber den Unfallverhütungsvorschriften zu begründen. Wenn man andere Überlegungen hat, etwa solche der Fortbildung des Sozialversicherungsrechts — wie ich mir gut vorstellen kann —, dann muß allerdings bedacht werden, inwieweit diese Überlegungen in die Konstruktion unserer Unfallversicherung als genossenschaftlicher unternehmerischer Kollektivhaftung hineinpaßt, und inwieweit wir im Zusammenhang mit dieser Konstruktion, die nun einmal bei uns da ist, die Mitgliedschaft der Arbeitnehmer festlegen können. Ich mache deswegen den Vorschlag — das wird wohl allen Überlegungen gerecht —, in unserem Ausschuß den Beschluß zu fassen, den Rechtsausschuß zu bitten, zu dieser reinen Rechtsfrage einmal Stellung zu nehmen. Dann werden wir auch über die weiteren Fragen hinwegkommen.
    Ich darf dann eine weitere Frage behandeln, die sich mit dem Problem der Abschaffung der Kleinstrenten befaßt, also mit der Abschaffung der Renten unter 25 °/o. Das scheint eine Angelegenheit zu sein, die einen Sturm im Wasserglas erzeugt. Selbstverständlich müßte man sich alles reiflich überlegen, bevor man in dieser Richtung einen Entschluß faßt. Der Herr Minister ist wohl davon ausgegangen, daß materiell in den Dingen keine „Musik" für den
    Geschädigten steckt und eine Erwerbsminderung durch diese geringfügigen Verletzungen nicht vorliegt. Wir sollten uns im Ausschuß von den Sachverständigen die Dinge einmal klarlegen lassen und besonders großen Wert darauf legen, daß keine sozialen Fortschritte abgeschafft werden. Wir wollen keine Rückschritte vornehmen, wenn sich ernsthafte Bedenken ergeben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darüber sind wir uns alle einig. Aber die Konzeption, Herr Professor Schellenberg, die der Herr Minister seiner Vorlage zugrunde gelegt hat, nämlich die Schwerbeschädigten und Schwerverletzten mit besonderem Nachdruck zu fördern und dafür auf der anderen Seite gewisse Entlastungen vorzunehmen, ist nicht von der Hand zu weisen. — Bitte, Herr Professor Schellenberg.