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    Deutscher Bundestag 57. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1959 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz UVNG) (Drucksache 758) — Erste Beratung ; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (FDP) (Drucksache 446) ; Mündlicher Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses (Drucksache 638) — Zweite Beratung — Blank, Bundesminister . . . . . 3137 B Börner (SPD) 3142 A, 3157 A Wischnewski (SPD) . . . . . 3142 C Dr.-Ing. Philipp (CDU/CSU) . . . 3146 D Dr. Atzenroth (FDP) . . 3153 A, 3160 A Frau Friese-Korn (FDP) 3156 C Storch (CDU/CSU) 3158 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 9. September 1957 zum Abkommen vom 15. Juli 1931 zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern (Drucksache 543) ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache 718) — Zweite und dritte Beratung — Seuffert (SPD) 3161 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 3163 A Nächste Sitzung 3163 D Anlagen 3165 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 3137 57. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9.04 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 4. 4. Altmaier* 23. 1. Dr. Bärsch 23. 1. Baur (Augsburg) 23. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 9. 3. Behrendt 23. 1. Benda 23. 1. Birkelbach* 23. 1. Fürst von Bismarck* 23. 1. Blachstein' 23. 1. Frau Blohm 31. 1. Frau Brauksiepe 23. 1. Dr. Burgbacher 23. 1. Caspers 23. 1. Diekmann 23. 1. Diel (Horressen) 23. 2. Dr. Eckhardt 10. 2. Eilers (Oldenburg) 23. 1. Engelbrecht-Greve 23. 1. Etzenbach 7. 2. Even (Köln) 23. 1. Frenzel 23. 1. Dr. Furler* 23. 1. Gedat 30. 1. Geiger (München) 23. 1. Gerns* 23. 1. D. Dr. Gerstenmaier 23. 1. Gleisner (Unna) 20. 2. Graaff 23. 1. Dr. Greve 7. 2. Dr. Gülich 31. 1. Günther 23. 1. Haage 23. 1. Häussler 23. 1. Heinrich 31. 1. Heix 23. 1. Heye* 23. 1. Höfler* 23. 1. Holla 23. 1. Frau Dr. Hubert* 23. 1. Jacobs 28. 2. Dr. Jaeger 26. 1. Dr. Jordan 23. 1. Frau Kalinke 31. 1. Kiesinger* 23. 1. Dr. Kliesing (Honnef)* 23. 1. Köhler 24. 1. Dr. Kohut 24. 1. Dr. Kopf* 23. 1. Kramel 16. 2. Krug 23. 1. Kühlthau 23. 1. Kühn (Bonn) 26. 1. Kühn (Köln) * 23. 1. Kunst 31. 1. Kurlbaum* 23. 1. Dr. Leverkuehn* 23. 1. Lücker (München) * 23. 1. Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Baron Manteuffel-Szoege 30. 1. Dr. Martin 26. 1. Mauk 24. 1. Frau Dr. Maxsein* 23. 1. Memmel 31. 1. Dr. Mende* 23. 1. Dr. Menzel 15. 2. Metzger* 23. 1. Dr. Meyer (Frankfurt)* 23. 1. Müser 17. 2. Dr. Oesterle 6. 2. Paul* 23. 1. Pelster 31. 1. Pernoll 23. 1. Pütz 14. 2. Rademacher 24. 1. Regling 23. 1. Frau Dr. Rehling* 23. 1. Dr. Reith 31. 1. Reitzner 23. 1. Rohde 31. 1. Ruf 23. 1. Ruland 23. 1. Scheel 23. 1. Dr. Schmid (Frankfurt)* 23. 1. Schneider (Hamburg) 2. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15. 2. Schulze-Pellengahr 23. 1. Schütz (München)* 23. 1. Seidl (Dorten)* 23. 1. Dr. Serres* 23. 1. Spitzmüller 23. 1. Wagner 23. 1. Dr. Wahl* 23. 1. Walpert 31. 1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 23. 1. Dr. Weber (Koblenz) 23. 1. Weinkamm 23. 1. Winkelheide 23. 1. Wullenhaupt 24. 1. Dr. Zimmer* 23. 1. Zühlke 23. 1. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ritzel (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 20) : Ich frage die Bundesregierung: Ist es richtig, daß Hersteller und Händler der Fernsehbranche eine Preissünderkartei anzulegen beabsichtigen oder bereits angelegt haben, um sowohl in bezug auf die Fabrikpreise als auch in bezug auf die Verkaufspreise eine absolute Preisbindung herbeizuführen? Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, wenn diese Mitteilung zutrifft? Die Preisbindung der zweiten Hand für Markenwaren ist durch § 16 des Gesetzes gegen Wett- *) für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates 3166 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 bewerbsbeschränkungen (GWB) als Ausnahme von dem generellen Verbot der vertikalen Preisbindung des § 15 GWB unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Von der Möglichkeit der vertikalen Preisbindung hat die große Mehrzahl der Hersteller von Rundfunk- und Fernsehgeräten im Jahre 1958 Gebrauch gemacht. Diese Unternehmen haben den Groß- und Einzelhandel zur Einhaltung der von ihnen festgesetzten Wiederverkaufspreise verpflichtet. Bei der Preisbindung ist das von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis der Lückenlosigkeit zu beachten. Im Hinblick auf dieses Erfordernis kann auch der Handel ein Interesse daran haben, daß Verstöße gegen die Preisbindungsvorschriften der Hersteller festgestellt und unterbunden werden. Es ist der Bundesregierung bei der Sammlung von Unterlagen für die Beantwortung Ihrer Anfrage bekanntgeworden, daß der Vorsitzende des Deutschen Rundfunk- und Fernseh-Fachverbandes (DRFFV) in der Zeitschrift dieses Verbandes „Der Deutsche Rundfunk-Einzelhandel", Oktober-Heft 1958, es als notwendig bezeichnet hat, jeden Preisbindungsverstoß zu erfassen und in einer Preisbindungssünderkartei festzuhalten, um einen Überblick über auftretende Lücken im Preisbindungssystem zu gewinnen. Die genannte Kartei wird in Köln beim DRFFV geführt; aus ihr werden z. B. die preisbindenden Hersteller über festgestellte Verstöße unterrichtet. Soweit in der Kürze der Zeit der Sachverhalt im einzelnen festgestellt werden konnte, bezieht sich die Preisbindungssünderkartei nur auf unlautere Verhaltensweisen und berührt daher nicht die Verbote des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die ausschließlich Beschränkungen eines lauteren Verhaltens untersagen. Nach einer gutachtlichen Stellungnahme des Bundeskartellamtes kann ein Verstoß gegen Bestimmungen des GWB vorliegen, wenn Abnehmer preisgebundener Erzeugnisse außer ihrer vertikalen Verpflichtung gegenüber dem Hersteller noch untereinander horizontale Verpflichtungen zur Einhaltung der gebundenen Preise eingehen; derartige Verpflichtungen ließen sich jedoch im vorliegenden Fall bisher nicht feststellen. Nach den Vorschriften des GWB ist für eine Feststellung etwaiger kartellrechtlicher Verstöße im vorliegenden Fall das Bundeskartellamt in Berlin SW 61, Mehringdamm 129, zuständig; ich werde eine genaue Feststellung des Sachverhalts und der Rechtslage sowie der etwa nach den Vorschriften des GWB zu treffenden Maßnahmen durch das Bundeskartellamt veranlassen und Ihnen von dem Ergebnis Mitteilung machen. Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß in der Rundfunk- und Fernsehbranche ein Verein zur Förderung des lauteren Wettbewerbs tätig ist. Dieser beschränkt sich ausweislich seiner Satzung und Geschäftsordnung sowie nach Auskunft seines Geschäftsführers auf die Verfolgung von Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und seine Nebengesetze (Rabattgesetz, Zugabeverordnung, Preisauszeichnungsverordnung). Vor wenigen Tagen haben sechs namhafte Rundfunk-. und Fernsehgerätehersteller mit einem ge- schätzten Umsatzanteil von mindestens 50 % die Preisbindung für ihre Markenerzeugnisse aufgehoben. Sie haben damit den Handelsstufen die Möglichkeit einer freien Preisbildung gegeben. Insoweit dürften Überlegungen über die Errichtung und Führung von Preisbindungssünderkarteien und deren Zulässigkeit nunmehr gegenstandslos geworden sein; ob und welche Bedeutung ihnen im übrigen verbleiben wird, bleibt abzuwarten. Ludwig Erhard Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Friedensburg (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. Januar 1959, Drucksache 786, Frage 22): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Verwendung von Kunststoffen in der Bekleidungsindustrie, insbesondere bei der Strumpffabrikation, bei sehr vielen Menschen zu schweren Hautentzündungen und damit zu ernsten Gesundheitsschädigungen führt, und was gedenkt die Bundesregierung, etwa durch Einführung eines Kennzeichnungszwanges, zu tun, um diese sich immer mehr verbreitenden Nachteile zu bekämpfen? Mit den in der Anfrage erwähnten Kunststoffen, die insbesondere in der Strumpffabrikation Verwendung finden, dürften vornehmlich die vollsynthetischen Fasern und Fäden gemeint sein, die zur Polyamid-Gruppe der Chemiefasern gehören. Sowohl während des Entwicklungsstadiums als auch noch nach dem Erscheinen vollsynthetischer Textilerzeugnisse auf dem Markt ist die Frage ihrer Hautverträglichkeit untersucht und mit medizinischen, biologischen und chemischen Methoden in wissenschaftlichen Versuchsreihen in Universitätskliniken und Fachinstituten eingehend geprüft worden. Übereinstimmend ist dabei festgestellt worden, daß die vollsynthetischen Fasern weder giftige noch die Haut angreifende Eigenschaften haben. Gleichwohl ist bekannt, daß vereinzelt Hautschädigungen aufgetreten sind. Man hat diese anfangs mit der Färbung vollsynthetischer Fasern in Zusammenhang gebracht. Sorgfältig durchgeführte Untersuchungen haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß in der Färbung die Ursache für Hauterkrankungen liegen könnte. Richtig dürfte vielmehr sein, daß die vollsynthetischen Chemiefasern eine geringere Saug- und Schweißtransportfähigkeit als natürliche Textilfasern aufweisen. Diesem Umstand hat jedoch die Industrie inzwischen durch Anwendung besonders poröser Web- und Wirkverfahren sowie durch Mischung von vollsynthetischen Fasern mit anderen Textilrohstoffen weitestgehend Rechnung getragen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß solche Erzeugnisse, die in der Regel bei der Wäsche nicht gekocht werden, bei unzureichender Behandlung sich mit Resten von Waschmitteln, von Schweiß und Hautabscheidungen anreichern, so daß hierdurch Nährböden für Bakterien, Pilze und Hefen und demzufolge auch Hautschäden entstehen können. Schließlich darf darauf Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 3167 hingewiesen werden, daß es immer Menschen mit einer Überempfindlichkeit gegenüber Hautreizungen geben wird. Dies ist bei der Wolle ebenso bekannt wie bei den seit vielen Jahren im Gebrauch befindlichen künstlichen Fasern. Insoweit würden auch durch die Einführung eines Kennzeichnungszwanges die geäußerten Besorgnisse nicht beseitigt. In der Regel werden aber vollsynthetische Textilien ohnehin als solche - meist mit bekanntem Markennamen und Behandlungsanweisungen versehen — dem Konsumenten angeboten. Im übrigen habe ich mich zur Frage des Kennzeichnungszwangs für Textilerzeugnisse bereits in der Fragestunde des deutschen Bundestages am 12. Dezember 1957 geäußert. Ludwig Erhard
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Holger Börner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei Drucksache 446 vom 12. Juni 1958 befaßt sich mit dem Problem der Weitergewährung von Waisenrenten an die hinterbliebenen Kinder eines durch Arbeitsunfall Getöteten über das 18. Lebensjahr hinaus, wenn sich diese noch in Schul- und Berufsausbildung befinden oder wenn sie infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen.
    Der Antrag hatte das Ziel, diesen Personenkreis der Waisen der Unfallversicherung den Waisen der Rentenversicherung gleichzustellen; denn seit dem Inkrafttreten der Rentenneuregelungsgesetze ist die vorhin genannte Möglichkeit der Weiterzahlung von Renten an Waisen über das 18. Lebensjahr hinaus in der Rentenversicherung gegeben.
    Der Ausschuß für Sozialpolitik hat sich in seiner 17. und 18. Sitzung im November 1958 sehr eingehend mit diesem Fragenkomplex beschäftigt. Die antragstellende Fraktion und die sozialdemokratische Fraktion haben dabei geltend gemacht, daß im Interesse des betroffenen Personenkreises eine schnelle Regelung der Frage erfolgen müsse, da das hier zur Zeit bestehende ungleiche Recht durch die Tatsache verschuldet wurde, daß es im 2. Bundestag nicht mehr gelang, eine Neuregelung der Unfallversicherung vorzunehmen, und daß hier bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung der Unfallversicherung eine Lösung gefunden werden müsse, die den Waisen der Unfallversicherung die gleichen Rechte einräume wie denen der Rentenversicherung.
    Die Fraktionen der CDU/CSU und der DP haben sich dieser Argumentation nicht anschließen können. Sie betonten, daß dieses Problem der Rechtsangleichung mit bei der Beratung des Entwurfs der Unfallversicherungsneuregelung behandelt werden müsse, und verwiesen darauf, daß die Bundesregierung dem Parlament in ihrem Entwurf dieses Gesetzes eine Regelung vorschlagen würde, die dem Anliegen der Antragsteller Rechnung trage.
    Die anderen Parteien wiesen darauf hin, daß diese Regelung trotzdem einen Teil der Berechtigten vom Genuß der weitergezahlten Renten ausschließen würde, da die rückwirkende Inkraftsetzung einer solchen gesetzlichen Regelung aus der Sache heraus
    kaum möglich sei. Der Entwurf Drucksache 446 wurde sodann bei Stimmengleichheit abgelehnt.
    Der Sozialpolitische Ausschuß empfiehlt Ihnen deshalb die Ablehnung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung, Drucksache 446.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Damit, meine Damen und Herren, ist der Gesetzentwurf eingebracht und begründet und der Bericht des Ausschusses zum Entwurf der Fraktion der FDP erstattet.
Wir treten in die allgemeine Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Jürgen Wischnewski


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beginnt heute mit den Beratungen eines entscheidenden Gesetzes im sozialpolitischen Raum. Es geht um den Schutz aller tätigen Menschen — unabhängig davon, ob in abhängiger oder in unabhängiger Arbeit — vor Unfällen und auch um den Schutz nach Unfällen. Eine echte Reformierung der Unfallversicherung mit ihrer fast 75jährigen Geschichte ist eine soziale und menschliche Verpflichtung. Das Wort „Die Gesundheit ist unser höchstes Gut" muß hier soweit wie möglich in die Tat umgesetzt werden.
    Zur Bedeutung des ganzen Problems darf ich einige wenige Zahlen nennen. Ich tue das insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers, der hier Millionen- und Milliardenbeträge genannt hat, um diese Zahlen in ein Verhältnis zu den Leistungen und in Verbindung zu ihnen zu bringen.
    Im Jahre 1957 gab es in der deutschen Unfallversicherung rund 26 Millionen versicherte Personen. Das zeigt uns sehr eindeutig, daß es sich um ein bedeutendes Problem handelt. Im gleichen Jahre wurden folgende Schadensfälle der gesetzlichen Unfallversicherung angezeigt: 2 341 000 Arbeitsunfälle im engeren Sinn, 240 000 Wegeunfälle und 33 759 Berufskrankheiten. Das waren im Jahre 1957 pro Kalendertag 7166 Schadensmeldungen. Das ist eine erschreckende Statistik.
    Im gleichen Jahre 1957 wurden 127 624 Fälle erstmalig entschädigt. Darunter befanden sich 7518 Todesfälle infolge von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen oder Berufskrankheiten. Im Durchschnitt waren das pro Kalendertag 21 Todesfälle. Auch diese Statistik ist grausam.
    Damit aber zeichnet sich, glaube ich, auch bereits ein entscheidender Schwerpunkt ab. Es geht in erster Linie darum, die Unfallverhütung in den Vordergrund zu stellen. Die Verhütung von Unfällen schützt Leben und Gesundheit. Für Unfälle, die verhütet werden, braucht keine Entschädigung gezahlt zu werden. Deshalb ist die Unfallverhütung insbesondere eine soziale und menschliche Verpflichtung und eine entscheidende wirtschaftliche Notwendigkeit. Unfälle sind nicht unabwendbar; Unfälle sind auch kein Schicksal, das man hinnehmen muß. Un-



    Wischnewski
    fälle sind ein Mißstand, den man durch geeignete Maßnahmen bekämpfen kann und muß.
    Auf diesem Gebiet der Unfallverhütung haben die Berufsgenossenschaften bisher Hervorragendes geleistet, und wir haben sicher allen Anlaß, den Berufs genossenschaften, insbesondere den Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertretern in den Organen und den technischen Aufsichtsbeamten, unseren Dank auszusprechen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir müssen bei dieser Gelegenheit aber auch feststellen, daß die technischen Aufsichtsbeamten bei den Berufsgenossenschaften leider nur in sehr geringem Umfange die Möglichkeit haben, die notwendigen Kontrollen durchzuführen. Ich darf Ihnen dafür zwei Beispiele, und zwar aus dem Jahre 1956, nennen, aber die Situation hat sich in der Zwischenzeit offensichtlich nicht wesentlich geändert. Im Jahre 1956 wurden von den gewerblichen Berufsgenossenschaften 1 663 960 Betriebe mit mehr als 16 190 000 Beschäftigten erfaßt. Auf diese Zahl entfielen bei den zuständigen Berufsgenossenschaften 475 technische Aufsichtsbeamte; d. h., im Durchschnitt kamen auf einen technischen Aufsichtsbeamten 3500 Betriebe mit rund 34 000 Beschäftigten.

    (Abg. Börner: Er kann nur jeden einmal im Leben kontrollieren!)

    Wenn der technische Aufsichtsbeamte in der Woche zehn Betriebe kontrollieren könnte — und einen besseren Durchschnitt wird er kaum erreichen können; denn es gibt große Betriebe, wo eine Kontrolle wochenlang dauert —, dann hätte er die Möglichkeit, alle sieben Jahre einmal seine Betriebe zu kontrollieren.
    Eine noch ungünstigere Situation ergab sich im selben Jahre für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Hier wurden mit den Gärtnereien usw. 2 977 000 Betriebe mit 8 850 000 Beschäftigten erfaßt. Den zuständigen Berufsgenossenschaften standen 95 technische Aufsichtsbeamte zur Verfügung; d. h., auf 31 300 Betriebe entfiel ein technischer Aufsichtsbeamter der zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Wenn in diesem Falle der Beamte in der Lage war, sich wöchentlich um die Situation in 2020 Betrieben zu kümmern, dann würde er 30 Jahre brauchen, um überhaupt nur einmal in jeden von ihm zu betreuenden Betrieb hineinzukommen.
    Damit, meine Damen und Herren, zeigt sich eindeutig, daß in sehr vielen Fällen — ich möchte sagen, in den meisten — eine echte Kontrolle nicht möglich ist, sondern die Tätigkeit des technischen Aufsichtsbeamten erst dann einsetzen wird, wenn ein Arbeitsunfall bereits passiert, wenn das Unglück schon geschehen ist. Auf der anderen Seite kommt hinzu, daß in sehr, sehr vielen Fällen auch die Gewerbeaufsichtsämter personell zahlenmäßig mangelhaft besetzt sind. Wir meinen daher, um die Unfallverhütung zu fördern, ist es zwingend notwendig, auch den Ausbau der Kontrollen im Rahmen der Unfallverhütung zu stärken, und wir werden uns erlauben, bei den Ausschußberatungen einige Vorschläge hierzu zu unterbreiten.
    Unfallverhütungsvorschriften und technische Aufsichtsbeamte allein werden nicht genügen, um das Problem der Unfallverhütung zu lösen. Erstens muß von beiden Seiten — von Arbeitnehmern und von Arbeitgebern — klar und eindeutig der Wille zur Unfallverhütung gezeigt werden. Darüber hinaus muß aber das Gesetz auch noch andere konkrete Möglichkeiten vorsehen, um die Unfallverhütung insgesamt zu fördern. Erfreulicherweise gibt es zahlreiche Betriebe, die gern und freiwillig viel für die Unfallverhütung tun; es gibt aber auch andere Betriebe, die sich bedauerlicherweise auf diesem Gebiet sehr zurückhaltend benehmen und meinen, gerade hier sparen zu müssen. Ich bin der Auffassung, man kann die unfallverhütungsaktiven und die unfallverhütungsträgen Betriebe nicht in einen Topf werfen, insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, die für die Berufsgenossenschaften notwendigen Umlagen zu bezahlen. Die Möglichkeiten, die hier der § 733 vorsieht, reichen offensichtlich nicht aus, um das Problem zu lösen.
    Nun lassen Sie mich zur Regierungsvorlage zuerst einige grundsätzliche Ausführungen machen. Wir kennen bekanntlich zwei Gesetzentwürfe, einen Gesetzentwurf vor und einen nach den Bundestagswahlen 1957. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden Gesetzentwürfen. Der zweite Regierungsentwurf, also der nach der Bundestagswahl 1957, weist eine Reihe von Verschlechterungen gegenüber dem ersten Entwurf der Bundesregierung vor den Bundestagswahlen auf.

    (Abg. Börner: Das nennt man sozialen Fortschritt!)

    Zumindest in einigen entscheidenden Fragen sind nicht nur Verschlechterungen gegenüber dem ersten Entwurf, sondern auch gegenüber dem geltenden Recht festzustellen. Damit soll nicht bestritten werden, daß selbstverständlich auch Verbesserungen gegenüber der augenblicklichen Rechtslage in der Regierungsvorlage enthalten sind, aber im Verhältnis des ersten zum zweiten Entwurf überwiegen die Verschlechterungen in entscheidendem Maße.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat zum Jahresende im Deutschland-Union-Dienst zu Fragen der Sozialpolitik insgesamt Stellung genommen. Er sprach von einem „Stilwandel" im Rahmen der sozialen Leistungen. Meine Damen und Herren, was hier vorliegt, kann ich nicht als „Stilwandel" bezeichnen, sondern hier muß schlicht und einfach gesagt werden: Für einen entscheidenden Teil der Betroffenen handelt es sich um einen Abbau jahrzehntelanger und gerechtfertigter sozialer Leistungen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir möchten schon jetzt in aller Deutlichkeit unseren Widerstand anmelden und befinden uns erfreulicherweise in denkbar bester Gesellschaft. Auch der Bundesrat hat ganz offensichtlich dieselbe Meinung. Auch er hat mit großer Einmütigkeit die Verschlechterungen abgelehnt. Sie alle kennen die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats. Deshalb wird niemand behaupten können, daß es sich hier um ein parteipolitisches Problem handelt, und das ist in diesem Zusammenhang auch gut so.



    Wischnewski
    Ein Wort zu den Rentenleistungen. Wir begrüßen durchaus, daß der Gesetzentwurf eine Anpassung der laufenden Renten vorsieht. Wir können aber den vorgesehenen Weg wie bisher nicht akzeptieren, insbesondere nach den Erfahrungen in der Rentenversicherung. Die jährliche Anpassung der laufenden Renten und der anderen Geldleistungen im Rahmen der Unfallversicherung entsprechend der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung in der Bundesrepublik ist zwingend notwendig. Nach unserer Auffassung muß darüber hinaus die Vollrente 75 % des Jahresarbeitsverdienstes betragen, um dem Grad der Schädigung in etwa gerecht zuwerden. Denken wir insbesondere daran, daß viele Verunglückte und Unfallgeschädigte keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten mehr besitzen und eine echte Lebenschance verloren haben. Die 662/3%, die in der Regierungsvorlage vorgesehen sind, entsprechen keineswegs den gegebenen Voraussetzungen. Für die Berechnung muß bei den jüngeren Unfallgeschädigten auch unbedingt berücksichtigt werden, daß die Tarife mit zunehmendem Lebensalter steigen.
    Auch gleich ein Wort zu den Teilrenten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat diese Frage hier sehr deutlich angesprochen, und wir wollen auch sehr deutlich dazu Stellung nehmen. Wir halten die vorgesehene Regelung in bezug auf die Teilrenten für völlig unmöglich. Ich meine den Fortfall der Renten bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 25 %.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das, meine Damen und Herren, ist eine Verschlechterung gegenüber den Zeiten Bismarcks, das ist eine Verschlechterung gegenüber den Krisenzeiten der Brüningschen Notverordnungen, das ist eine Verschlechterung gegenüber dem ersten Regierungsentwurf, und das ist auch eine Verschlechterung gegenüber der augenblicklichen Rechtslage. Die ursprüngliche Entschädigung im Rahmen der Unfallversicherung begann bei 10%. Erst durch die Brüningsche Notverordnung im Krisenjahr 1931 ist hier eine Änderung eingetreten. Offensichtlich will nun die Bundesregierung noch hinter die Bestimmungen der Brüningschen Notverordnung zurückgehen; denn sie will erst bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % an eine Entschädigung gewähren.
    Aufgabe der Bundesregierung und des Bundestages wäre ,es, hier den alten Rechtszustand, d. h. die Situation vor der Brüningschen Notverordnung, wiederherzustellen. Die Bundesregierung sagt in ihrer Begründung und der Herr Bundesarbeitsminister heute ebenfalls, daß die Festsetzung der unteren Grenze von 25 % deshalb gerechtfertigt sei, weil der Verletzte in aller Regel den Lohn eines Vollerwerbsfähigen verdiene und deshalb keinen Schaden habe. Das entspricht keineswegs den Tatsachen.
    Der Grad der Erwerbsminderung wird zwar vom Arzt von Fall zu Fall festgelegt. Aber wir wissen alle, daß es auch für die Ärzte in dieser Frage gewisse Richtlinien gibt. Nach den Richtlinien von Professor Dr. Paul Rostock, einem Experten auf diesem Gebiete, dem Chefarzt des Versorgungskrankenhauses in Bad Tölz, wird für den Verlust von zwei Fingern eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20% angenommen. Bitte, meine Damen und Herren, stellen Sie sich jetzt einen Feinmechaniker vor, der zwei Finger verliert! Er wird in den meisten Fällen nicht in der Lage sein, seinen bisherigen Beruf auszuüben oder, insbesondere bei dem Leistungslohnsystem, das wir haben, die alte Lohnhöhe zu erreichen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Oder stellen Sie sich auch nur die Stenotypistin vor, die zwei Finger verliert! Wenn sie ihren Arbeitsplatz einmal verloren hat, wird kein anderer bereit sein, sie wieder als Stenotypistin einzustellen.
    Wenn 25 % die untere Grenze sind, wenn alles, was darunterliegt, wegfällt, bedeutet das, daß derjenige, der durch einen Arbeitsunfall eine Niere verloren hat, nicht mehr entschädigt wird. Wir wissen alle, daß dieser Mann, wenn die andere, ihm verbliebene Niere erkrankt, lebensgefährlich erkrankt ist. Sie aber wollen ihn überhaupt nicht mehr berücksichtigen. Sie wollen ihn hier vollkommen herausnehmen.

    (Abg. Dr. Atzenroth: Dann muß dieser Unfall eben höher bewertet werden!)

    — Das stellen die Ärzte fest, das ist eine Aufgabe der Ärzte, und nach Auffassung der Ärzte ist bei diesen Beschädigungen eben ein derartiger Prozentsatz festzustellen.
    Aber etwas anderes spielt hier sicher eine entscheidende Rolle. Im Zivilrecht, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist jeder Schaden zu ersetzen. Es ist unmöglich, ausgerechnet den Arbeitsunfallgeschädigten hier schlechter zu stellen.
    Wir werden deshalb in den Beratungen in aller Deutlichkeit für die Wiederherstellung des alten Zustandes, wie er vor den Brüningschen Notverordnungen bestand, eintreten,

    (Beifall bei der SPD)

    d. h. Entschädigung ab 10%.
    Einige Worte zur Abfindung. Auch dazu hat ja der Herr Bundesarbeitsminister sehr ausführlich Stellung genommen. Ich meine hier insbesondere die Abfindung bei allen Rentenleistungen, wenn der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 50 % liegt. Ich darf in aller Deutlichkeit sagen: auch der hier vorgeschlagenen Regelung werden wir niemals unsere Zustimmung geben können. Es ist eine Unmöglichkeit, den Unfallgeschädigten unter Umständen gegen seinen Willen abzufinden.

    (Richtig! bei der SPD.)

    Der vorliegende Vorschlag sieht zum mindesten die Möglichkeit vor, einen Unfallgeschädigten gegen seinen Willen abzufinden. Ich darf hier noch einmal an das erinnern, was der Herr Minister am 30. Dezember 1958 im Deutschland-Union-Dienst zu Fragen der Sozialpolitik gesagt hat. Er sagte:
    Mögen sie sich mehr und besser gegen die Risiken des Lebens sichern, so soll ihnen doch die Freiheit der Entschlüsse im Rahmen des Möglichen bleiben.



    Wischnewski
    Hier aber will die Bundesregierung genau das Gegenteil. Sie schafft zum mindesten die gesetzliche Voraussetzung dafür, dem Unfallgeschädigten die Möglichkeit seines freien Entschlusses zu nehmen. Denn die Formulierung im Gesetzentwurf ist so, daß der Unfallgeschädigte auch gegen seinen Willen, gegen seine Überzeugung abgefunden werden kann.
    Wir wenden uns nicht gegen die Abfindung; wir halten selbstverständlich auch die Abfindung für eine Möglichkeit, die gegeben sein muß. Aber sie darf immer nur im Einverständnis mit dem Betroffenen, dem Unfallgeschädigten erfolgen. Das sieht die Regierungsvorlage nicht vor.
    Auch zur Höhe der Abfindung ist einiges zu sagen. Ich meine hier die Höhe bei den Schadensfällen, hei denen die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit weniger als 50 % bewertet ist. Die Bundesregierung schlägt vor, daß hier eine einmalige Abfindung in Höhe des Fünffachen der Jahresrente gezahlt wird und damit alles erledigt ist; bis auf die Krankenpflege selbstverständlich. Meine Damen und Herren, auch das ist eine unmögliche Regelung. Stellen Sie sich bitte einen jungen Arbeiter vor, der mit 25 oder 30 Jahren einen Unterschenkel verliert. Nach den Richtlinien für die Begutachtung liegt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 und mehr Prozent vor. Dieser Mann ist sein ganzes Leben lang schwer geschädigt. Es ist die Möglichkeit vorgesehen, ihn mit einer einmaligen Zahlung, dem Fünffachen der Jahresrente, abzufinden und zu sagen: Damit ist für alle Zeiten die Angelegenheit erledigt. Das ist nach unserer Auffassung eine unmögliche Regelung, der wir keineswegs zustimmen können. Die Möglichkeit der Abfindung wird von uns absolut begrüßt. Wir könnten uns vorstellen, daß eine ähnliche Regelung möglich ist wie in denjenigen Rentenfällen, wo die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 und mehr Prozent bewertet ist, d. h. eine Abfindung für 5 bzw. 10 Jahre, allerdings dann in voller Höhe, und dann automatisches Wiederanlaufen der Rente.
    Noch ein Wort zur Abfindung in den Fällen, in denen die Erwerbsminderung mehr als 50 % beträgt. Hier ist eine Abfindung für Grundbesitz, für Familienheime, für Eigentumswohnungen und für Zahlungen an Bausparkassen vorgesehen. Wir glauben, es ist richtig, daß nach einem Weg gesucht wird, eine sichere Anlage der Abfindung zu erreichen. Es wäre jedoch zu überlegen, ob hier nicht auch noch andere Möglichkeiten in das Gesetz eingebaut werden können, um die Existenz des Betroffenen zu sichern.
    Zur Witwenrente ganz kurz folgendes. Hier sollte eine Staffelung, eine unterschiedliche Regelung nach Lebensalter, auf alle Fälle vermieden werden. Dieser Auffassung ist auch der Bundesrat. Eine Staffelung erscheint uns hier schon deshalb unmöglich, weil ein Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes eine völlig unzureichende Rente ist. Wie im Vierten Buch der Reichsversicherung sollte hier vorgesehen werden, daß während der ersten drei Monate nach dem Tode des Ehegatten Anspruch auf die volle Rente besteht.
    Zur Elternrente! Hier müssen wir uns dagegen wehren, daß nach Bedürftigkeitsprinzipien verfahren wird. In der Unfallversicherung wird der Schaden auf Grund von Rechtsansprüchen ersetzt, und Rechtsansprüche und Prüfung von Bedürftigkeit widersprechen sich.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat das Problem der Berufskrankheiten angesprochen. Er hat auf den Katalog hingewiesen, der durch Rechtsverordnung aufgestellt wird. Im Augenblick gilt die Fünfte Verordnung, die 40 Berufskrankheiten enthält. Wir glauben, hier sollte der bisherige Weg weitergegangen werden, allerdings mit einer wesentlichen Abweichung von der Regierungsvorlage. Die Regierungsvorlage sagt, daß die Berufsgenossenschaften, die Versicherungsträger Krankheiten, die nicht im Katalog stehen, die aber nachgewiesenermaßen Berufskrankheiten sind, so behandeln k ö n n en, als stünden sie im Katalog. Meine Damen und Herren, wenn durch einen Arzt nachgewiesen ist, daß es sich um eine Berufskrankheit handelt, dann sollen nach unserer Ansicht — eigentlich müßte man fast sagen: müssen; aber sollen ist das richtige Wort —die Versicherungsträger diese Krankheit so behandeln, als stünde sie bereits in dem Berufskrankheiten-Katalog. Auch das scheint uns eine wesentliche Frage zu sein. Wir haben absolut Verständnis dafür, daß der Katalog angesichts der ständig im Fluß befindlichen Entwicklung nicht immer à jour sein kann.
    Beschäftigen muß man sich weiter mit dem Problem von Sachschäden, die im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen eintreten. Auch hier sind eine Reihe wesentlicher Überlegungen notwendig.
    Nunmehr darf ich ein Wort über das Verhältnis der Unfallversicherung zur Krankenversicherung sagen. Zu diesem Problem nimmt auch der Regierungsentwurf Stellung, und auch der Herr Bundesarbeitsminister hat es hier deutlich herausgestellt. Will man eine echte Reform, eine echte Änderung der gegenwärtigen Situation, wird man hier auch eine echte Trennung der Zuständigkeiten herbeiführen müssen. Leider müssen wir darauf hinweisen, daß auch in dieser Frage der zweite Entwurf der Bundesregierung gegenüber ihrem ersten Entwurf eine wesentliche Verschlechterung enthält. Der erste Entwurf der Bundesregierung sah vor, daß die Unfallversicherung für Krankengeld und Krankenhausaufenthalt die Kosten vom ersten Tage an übernimmt. Die Begründung der Bundesregierung lautete in dem ersten Entwurf wie folgt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
    Diese Regelung ist nicht nur deshalb begründet, weil die Unfallversicherung ein besonderer Zweig der Sozialversicherung ist, sondern vornehmlich deshalb, weil die Unfallversicherung nur durch die alleinige Beitragspflicht der Unternehmer als Sozialversicherungszweig ihre sinnvolle Erklärung findet und deshalb auch nicht mittelbar über die von den Arbeitnehmern gezahlten Krankenversicherungsbeiträge diese zu den Lasten der Unfallversicherung beitragen dürfen. Andernfalls würden die Arbeitnehmer



    Wischnewski
    einen Teil der den Unternehmern obliegenden Pflichten erfüllen.
    Das, meine Damen und Herren, war die Begründung der Bundesregierung in dieser Frage zum ersten Regierungsentwurf. Ich darf Ihnen sagen: zu dieser Begründung kann ich mich ohne weiteres bekennen, und sie hat auch heute noch ihre Gültigkeit. Deshalb ist es nicht verständlich, daß die Bundesregierung in dieser Frage eine wesentliche Änderung vorsieht, nämlich die, daß erst nach dem 18. Tage die Kosten durch die Unfallversicherung übernommen werden sollen. Es gibt keinen Streit darüber, daß bei 18 Tagen eine Besserstellung gegenüber der augenblicklichen Regelung, die 45 Tage vorsieht, einträte. Aber ich glaube, hier ist eine grundsätzliche und echte Trennung zwingend notwendig. Hier geht es um eine Prinzipienfrage, um eine Frage der gerechten Zuständigkeit; deshalb darf man keine halben Lösungen schaffen. Der Unfallgeschädigte darf in keinem Falle auf dem Umwege über die Krankenversicherungsbeiträge an der Finanzierung oder an den Kosten des Arbeitsunfalles beteiligt werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im übrigen meine ich, daß die Bundesregierung eigentlich bereit sein müßte, den Weg hier zu Ende zu gehen. Das Krankengeld bei Arbeitsunfällen wird in Verletztengeld umbenannt. Ich glaube, diese Umbenennung ist absolut richtig. Ich habe zunächst angenommen, die Bundesregierung wolle durch die Umbenennung von Krankengeld in Verletztengeld auch dokumentieren, daß das Verletztengeld mit der Krankenkasse nichts zu tun habe. Ich wäre daher sehr dankbar, wenn man bereit wäre, aus der Namensänderung, die berechtigt ist, auch die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
    Zum Verletztengeld folgendes. Wir werden unbedingt dafür eintreten, daß im Falle eines Arbeitsunfalles während der ersten sechs Wochen der Lohn fortgezahlt wird. Das ist ein Problem, das uns in diesem Hause bereits des öfteren beschäftigt hat, und ich glaube, hier werden auch viele von Ihnen, meine Damen und Herren, einsehen müssen, daß dies absolut berechtigt ist. Denn erstens ist nicht einzusehen, warum derjenige, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, schlechter stehen soll, als wenn er arbeitet. Zweitens ist ja vorgesehen, daß die Kosten für die Berufsgenossenschaften sowieso vom Arbeitgeber allein zu tragen sind. Es scheint also ohne weiteres möglich zu sein, hier die Lohnfortzahlung durchzusetzen.
    Zur Krankenpflege noch einige wenige Worte. Nach unserer Auffassung müßten auch bei der Krankenpflege den Krankenkassen die anfallenden Kosten voll ersetzt werden; sie müßten für ihre Auslagen voll entschädigt werden. Auch hier handelt es sich um eine Grundsatzfrage; sie sollte gelöst werden in zwei Richtungen: 1. mit dem Ziel voller Entschädigung für die Leistungen und 2. unter Ausschaltung aller zusätzlichen Verwaltungsarbeit. Wir können uns durchaus vorstellen, daß eine Einigung der verschiedenen zuständigen Versicherungsträger möglich ist. Eine Pauschalierung kann sicher vertraglich vereinbart werden.
    Abschließend lassen Sie mich noch ein Wort zu dem betroffenen Personenkreis sagen. Wenn in dem Regierungsentwurf herausgestellt wird — das hat auch der Herr Bundesarbeitsminister sehr deutlich getan , daß die in Rechtspflege und Verwaltung ehrenamtlich Tätigen einbezogen werden sollen, su begrüßen wir eine derartige Regelung unbedingt.
    Aber nach wie vor gibt es noch eine Reihe von Lücken. Wir sind der Auffassung, daß alle Wege — alle Wege! , die mit dem Arbeitsverhältnis zu tun haben, in die Unfallversicherung miteinbezogen werden sollten. Wir sollten uns um eine endgültige Abgrenzung der Wegeunfälle bemühen. Hier müßte es heißen: von Wohnungstür zu Wohnungstür der eigenen Wohnung. Dieses Problem sollten wir nicht der Rechtsprechung im sozialpolitischen Raum überlassen. Dort gibt es sicher andere Aufgaben, die wichtiger sind. Wir sollten uns in dieser Frage von vornherein um eine eindeutige und klare Entscheidung bemühen.
    Beim Personenkreis möchte ich noch eine andere Gruppe kurz hervorheben. Die Technisierung der Haushalte ist in den letzten Jahren gewaltig fortgeschritten. Damit ist automatisch die Unfallgefahr im Haushalt erheblich gestiegen. Ich glaube, ein Drittel aller Unfälle passiert heute im Haushalt. Insbesondere sind davon unsere Hausfrauen betroffen. Die Hausfrau, meist auch die Mutter, hat keine Arbeitsschutzbestimmungen. Ihre ganze Sorge gill der Familie, und sie bedarf sicher des besonderen Schutzes. Wir müssen deshalb überlegen, ob eine Möglichkeit gegeben ist, sie auf irgendeine Art und Weise in den Versicherungsschutz mit einzubeziehen. Dabei sind wir uns von vornherein darüber im klaren, daß die Abgrenzung überaus schwierig sein wird. Das sollte uns aber nicht daran hindern, in den Ausschußberatungen dieses Problem aufzugreifen. Im Interesse der Hausfrauen, der Mütter und damit. der Familien sollten wir uns gemeinsam an diese sicher sehr schwierige Aufgabe heranwagen.
    Ich darf zum Schluß unsere Gedanken in vier Punkten zusammenfassen: Die Unfallverhütung muß bei dieser Gesetzgebung im Vordergrund stehen. Ein Abbau sozialer Leistungen muß abgewendet werden. Die persönliche Entscheidungsfreiheit muß jedem erhalten bleiben, und eine vernünftige und gerechte Abgrenzung zwischen den Versicherungsträgern ist notwendig. Zum Wohle aller tätigen Menschen.

    (Beifall bei der SPD.)