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    Deutscher Bundestag 57. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1959 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz UVNG) (Drucksache 758) — Erste Beratung ; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (FDP) (Drucksache 446) ; Mündlicher Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses (Drucksache 638) — Zweite Beratung — Blank, Bundesminister . . . . . 3137 B Börner (SPD) 3142 A, 3157 A Wischnewski (SPD) . . . . . 3142 C Dr.-Ing. Philipp (CDU/CSU) . . . 3146 D Dr. Atzenroth (FDP) . . 3153 A, 3160 A Frau Friese-Korn (FDP) 3156 C Storch (CDU/CSU) 3158 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 9. September 1957 zum Abkommen vom 15. Juli 1931 zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern (Drucksache 543) ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache 718) — Zweite und dritte Beratung — Seuffert (SPD) 3161 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 3163 A Nächste Sitzung 3163 D Anlagen 3165 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 3137 57. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9.04 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 4. 4. Altmaier* 23. 1. Dr. Bärsch 23. 1. Baur (Augsburg) 23. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 9. 3. Behrendt 23. 1. Benda 23. 1. Birkelbach* 23. 1. Fürst von Bismarck* 23. 1. Blachstein' 23. 1. Frau Blohm 31. 1. Frau Brauksiepe 23. 1. Dr. Burgbacher 23. 1. Caspers 23. 1. Diekmann 23. 1. Diel (Horressen) 23. 2. Dr. Eckhardt 10. 2. Eilers (Oldenburg) 23. 1. Engelbrecht-Greve 23. 1. Etzenbach 7. 2. Even (Köln) 23. 1. Frenzel 23. 1. Dr. Furler* 23. 1. Gedat 30. 1. Geiger (München) 23. 1. Gerns* 23. 1. D. Dr. Gerstenmaier 23. 1. Gleisner (Unna) 20. 2. Graaff 23. 1. Dr. Greve 7. 2. Dr. Gülich 31. 1. Günther 23. 1. Haage 23. 1. Häussler 23. 1. Heinrich 31. 1. Heix 23. 1. Heye* 23. 1. Höfler* 23. 1. Holla 23. 1. Frau Dr. Hubert* 23. 1. Jacobs 28. 2. Dr. Jaeger 26. 1. Dr. Jordan 23. 1. Frau Kalinke 31. 1. Kiesinger* 23. 1. Dr. Kliesing (Honnef)* 23. 1. Köhler 24. 1. Dr. Kohut 24. 1. Dr. Kopf* 23. 1. Kramel 16. 2. Krug 23. 1. Kühlthau 23. 1. Kühn (Bonn) 26. 1. Kühn (Köln) * 23. 1. Kunst 31. 1. Kurlbaum* 23. 1. Dr. Leverkuehn* 23. 1. Lücker (München) * 23. 1. Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Baron Manteuffel-Szoege 30. 1. Dr. Martin 26. 1. Mauk 24. 1. Frau Dr. Maxsein* 23. 1. Memmel 31. 1. Dr. Mende* 23. 1. Dr. Menzel 15. 2. Metzger* 23. 1. Dr. Meyer (Frankfurt)* 23. 1. Müser 17. 2. Dr. Oesterle 6. 2. Paul* 23. 1. Pelster 31. 1. Pernoll 23. 1. Pütz 14. 2. Rademacher 24. 1. Regling 23. 1. Frau Dr. Rehling* 23. 1. Dr. Reith 31. 1. Reitzner 23. 1. Rohde 31. 1. Ruf 23. 1. Ruland 23. 1. Scheel 23. 1. Dr. Schmid (Frankfurt)* 23. 1. Schneider (Hamburg) 2. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15. 2. Schulze-Pellengahr 23. 1. Schütz (München)* 23. 1. Seidl (Dorten)* 23. 1. Dr. Serres* 23. 1. Spitzmüller 23. 1. Wagner 23. 1. Dr. Wahl* 23. 1. Walpert 31. 1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 23. 1. Dr. Weber (Koblenz) 23. 1. Weinkamm 23. 1. Winkelheide 23. 1. Wullenhaupt 24. 1. Dr. Zimmer* 23. 1. Zühlke 23. 1. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ritzel (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 20) : Ich frage die Bundesregierung: Ist es richtig, daß Hersteller und Händler der Fernsehbranche eine Preissünderkartei anzulegen beabsichtigen oder bereits angelegt haben, um sowohl in bezug auf die Fabrikpreise als auch in bezug auf die Verkaufspreise eine absolute Preisbindung herbeizuführen? Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, wenn diese Mitteilung zutrifft? Die Preisbindung der zweiten Hand für Markenwaren ist durch § 16 des Gesetzes gegen Wett- *) für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates 3166 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 bewerbsbeschränkungen (GWB) als Ausnahme von dem generellen Verbot der vertikalen Preisbindung des § 15 GWB unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Von der Möglichkeit der vertikalen Preisbindung hat die große Mehrzahl der Hersteller von Rundfunk- und Fernsehgeräten im Jahre 1958 Gebrauch gemacht. Diese Unternehmen haben den Groß- und Einzelhandel zur Einhaltung der von ihnen festgesetzten Wiederverkaufspreise verpflichtet. Bei der Preisbindung ist das von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis der Lückenlosigkeit zu beachten. Im Hinblick auf dieses Erfordernis kann auch der Handel ein Interesse daran haben, daß Verstöße gegen die Preisbindungsvorschriften der Hersteller festgestellt und unterbunden werden. Es ist der Bundesregierung bei der Sammlung von Unterlagen für die Beantwortung Ihrer Anfrage bekanntgeworden, daß der Vorsitzende des Deutschen Rundfunk- und Fernseh-Fachverbandes (DRFFV) in der Zeitschrift dieses Verbandes „Der Deutsche Rundfunk-Einzelhandel", Oktober-Heft 1958, es als notwendig bezeichnet hat, jeden Preisbindungsverstoß zu erfassen und in einer Preisbindungssünderkartei festzuhalten, um einen Überblick über auftretende Lücken im Preisbindungssystem zu gewinnen. Die genannte Kartei wird in Köln beim DRFFV geführt; aus ihr werden z. B. die preisbindenden Hersteller über festgestellte Verstöße unterrichtet. Soweit in der Kürze der Zeit der Sachverhalt im einzelnen festgestellt werden konnte, bezieht sich die Preisbindungssünderkartei nur auf unlautere Verhaltensweisen und berührt daher nicht die Verbote des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die ausschließlich Beschränkungen eines lauteren Verhaltens untersagen. Nach einer gutachtlichen Stellungnahme des Bundeskartellamtes kann ein Verstoß gegen Bestimmungen des GWB vorliegen, wenn Abnehmer preisgebundener Erzeugnisse außer ihrer vertikalen Verpflichtung gegenüber dem Hersteller noch untereinander horizontale Verpflichtungen zur Einhaltung der gebundenen Preise eingehen; derartige Verpflichtungen ließen sich jedoch im vorliegenden Fall bisher nicht feststellen. Nach den Vorschriften des GWB ist für eine Feststellung etwaiger kartellrechtlicher Verstöße im vorliegenden Fall das Bundeskartellamt in Berlin SW 61, Mehringdamm 129, zuständig; ich werde eine genaue Feststellung des Sachverhalts und der Rechtslage sowie der etwa nach den Vorschriften des GWB zu treffenden Maßnahmen durch das Bundeskartellamt veranlassen und Ihnen von dem Ergebnis Mitteilung machen. Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß in der Rundfunk- und Fernsehbranche ein Verein zur Förderung des lauteren Wettbewerbs tätig ist. Dieser beschränkt sich ausweislich seiner Satzung und Geschäftsordnung sowie nach Auskunft seines Geschäftsführers auf die Verfolgung von Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und seine Nebengesetze (Rabattgesetz, Zugabeverordnung, Preisauszeichnungsverordnung). Vor wenigen Tagen haben sechs namhafte Rundfunk-. und Fernsehgerätehersteller mit einem ge- schätzten Umsatzanteil von mindestens 50 % die Preisbindung für ihre Markenerzeugnisse aufgehoben. Sie haben damit den Handelsstufen die Möglichkeit einer freien Preisbildung gegeben. Insoweit dürften Überlegungen über die Errichtung und Führung von Preisbindungssünderkarteien und deren Zulässigkeit nunmehr gegenstandslos geworden sein; ob und welche Bedeutung ihnen im übrigen verbleiben wird, bleibt abzuwarten. Ludwig Erhard Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Friedensburg (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. Januar 1959, Drucksache 786, Frage 22): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Verwendung von Kunststoffen in der Bekleidungsindustrie, insbesondere bei der Strumpffabrikation, bei sehr vielen Menschen zu schweren Hautentzündungen und damit zu ernsten Gesundheitsschädigungen führt, und was gedenkt die Bundesregierung, etwa durch Einführung eines Kennzeichnungszwanges, zu tun, um diese sich immer mehr verbreitenden Nachteile zu bekämpfen? Mit den in der Anfrage erwähnten Kunststoffen, die insbesondere in der Strumpffabrikation Verwendung finden, dürften vornehmlich die vollsynthetischen Fasern und Fäden gemeint sein, die zur Polyamid-Gruppe der Chemiefasern gehören. Sowohl während des Entwicklungsstadiums als auch noch nach dem Erscheinen vollsynthetischer Textilerzeugnisse auf dem Markt ist die Frage ihrer Hautverträglichkeit untersucht und mit medizinischen, biologischen und chemischen Methoden in wissenschaftlichen Versuchsreihen in Universitätskliniken und Fachinstituten eingehend geprüft worden. Übereinstimmend ist dabei festgestellt worden, daß die vollsynthetischen Fasern weder giftige noch die Haut angreifende Eigenschaften haben. Gleichwohl ist bekannt, daß vereinzelt Hautschädigungen aufgetreten sind. Man hat diese anfangs mit der Färbung vollsynthetischer Fasern in Zusammenhang gebracht. Sorgfältig durchgeführte Untersuchungen haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß in der Färbung die Ursache für Hauterkrankungen liegen könnte. Richtig dürfte vielmehr sein, daß die vollsynthetischen Chemiefasern eine geringere Saug- und Schweißtransportfähigkeit als natürliche Textilfasern aufweisen. Diesem Umstand hat jedoch die Industrie inzwischen durch Anwendung besonders poröser Web- und Wirkverfahren sowie durch Mischung von vollsynthetischen Fasern mit anderen Textilrohstoffen weitestgehend Rechnung getragen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß solche Erzeugnisse, die in der Regel bei der Wäsche nicht gekocht werden, bei unzureichender Behandlung sich mit Resten von Waschmitteln, von Schweiß und Hautabscheidungen anreichern, so daß hierdurch Nährböden für Bakterien, Pilze und Hefen und demzufolge auch Hautschäden entstehen können. Schließlich darf darauf Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Januar 1959 3167 hingewiesen werden, daß es immer Menschen mit einer Überempfindlichkeit gegenüber Hautreizungen geben wird. Dies ist bei der Wolle ebenso bekannt wie bei den seit vielen Jahren im Gebrauch befindlichen künstlichen Fasern. Insoweit würden auch durch die Einführung eines Kennzeichnungszwanges die geäußerten Besorgnisse nicht beseitigt. In der Regel werden aber vollsynthetische Textilien ohnehin als solche - meist mit bekanntem Markennamen und Behandlungsanweisungen versehen — dem Konsumenten angeboten. Im übrigen habe ich mich zur Frage des Kennzeichnungszwangs für Textilerzeugnisse bereits in der Fragestunde des deutschen Bundestages am 12. Dezember 1957 geäußert. Ludwig Erhard
Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir haben noch nicht erledigt die Punkte 8 und 18 der durchlaufenden Tagesordnung. Ich kann es auch so ausdrücken: Wir haben alles erledigt bis auf die Punkte 8 und 18.

(Abg. Rasner: Klingt besser! — Abg. Dr. Mommer: So herum ist es angenehmer zu hören!)

— Das ist die alte Sache: man kann sagen, das Glas sei halb leer oder es sei halb voll; das ist mehr eine Temperamentsfrage. . . .

(Abg. Dr. Mommer: Pessimisten sagen „halb leer" !)

Ich rufe auf Punkt 18 des Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfaliversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz — UVNG) (Drucksache 758),
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (Drucksache 446) ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 638).
Wer begründet Punkt 18 a? — Das Wort zur Begründung hat der Bundesminister Blank.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Theodor Blank


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung, den Ihnen die Bundesregierung vorgelegt hat, treten wir in einen neuen Abschnitt unserer Arbeit ein. Diese Arbeit an der Neugestaltung des Systems der sozialen Sicherung hat bereits in der vorigen Legislaturperiode zur Verabschiedung wichtiger Reformgesetze geführt. Ich brauche Ihnen die soziale Bedeutung und wirtschaftliche Tragweite der Rentenversicherungsreform nicht noch besonders in Erinnerung zu rufen; sie war ja erst kürzlich Gegenstand eingehender Aussprachen dieses Hohen Hauses. Bei der Rentenversicherungsreform ging es vor allem darum, die Renten der alten und arbeitsunfähigen Arbeitnehmer so zu erhöhen, daß sie nicht mehr bloß Zuschuß zum Lebensunterhalt sind, sondern selbständige Existenzgrundlage werden. Diese Renten wurden dem Arbeitslohn der erwerbstätigen Bevölkerung angenähert. Außerdem erhielt die Vorbeugung den ihr zukommenden Platz in der Rentenversicherung.
    In der Unfallversicherung ist die Lage wesentlich anders. Die Vorbeugung, hier in Gestalt der Unfallverhütung, und die Wiedergesundung durch Heilbehandlung sowie die Berufsfürsorge wurden seit je von der Unfallversicherung besonders gepflegt; ihre Erfahrungen und Erfolge auf diesen Gebieten waren Beispiel und Vorbild für andere Versicherungszweige.
    Ihre Leistungen richten sich in den meisten Fällen nach dem Verdienst des Verletzten im Jahre vor dem Unfall. Sie sind auch im allgemeinen als durchaus befriedigend empfunden worden, wenn man von den weit zurückliegenden Unfällen und von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung absieht.
    Vor Jahrzehnten war bekanntlich das Arbeitseinkommen bedeutend niedriger als heute, und wer damals einen Unfall erlitt, erhielt Leistungen, die zwar seinem damaligen Verdienst, nicht aber den heutigen Arbeitslöhnen entsprechen. Die Zulagengesetzgebung der Vergangenheit ist diesem Mißstand nur unvollkommen begegnet. An diesem Punkt hat daher die Reform der Unfallversicherung eingesetzt. Und zwar wurden bereits durch das Gesetz zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 27. Juli 1957 die Leistungen auf den Entwicklungsstand der Löhne und Gehälter am 1. Januar 1957 angehoben. Wirtschaftlich ist dies der bei weitem bedeutendste und dringlichste Teil der Reform der gesetzlichen Unfallversicherung überhaupt. Außerdem hat dieses Gesetz eine Verbesserung für die Witwen und eine Erhöhung der Pflegezulagen vorweggenommen.
    Gestatten Sie mir noch einige Worte zu diesem Gesetz vom Juli 1957, das damals nur unter starkem Zeitdruck beraten werden konnte. Sie wissen, daß es ursprünglich keineswegs die Absicht der Bundesregierung war, die Unfallversicherung in Teilstücken zu reformieren. Vielmehr hatte mein Amtsvorgänger in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der



    Bundesarbeitsminister Blank
    das ganze Dritte Buch der Reichsversicherungsordnung umgestalten sollte. Der gesamte Fragenbereich konnte damals jedoch wegen der Arbeitsüberlastung des Bundestages nicht mehr durchberaten werden. Man einigte sich dahin, die erwähnten Leistungsverbesserungen wegen ihrer Dringlichkeit herauszugreifen und als besonderes Gesetz zu verabschieden. Es ist am 1. Januar 1957 in Kraft getreten und hat die Lage der Altrentner entscheidend gebessert. Besonders die Hinterbliebenen und die Schwerverletzten, die in jüngeren Jahren einen Unfall erlitten haben und keine nennenswerten Erwerbsarbeiten mehr verrichten konnten, haben dadurch an der allgemeinen Hebung des Lebensstandards teilgenommen. Das gilt insbesondere für diejenigen, die für ihren Unterhalt im wesentlichen auf die Unfallrenten angewiesen waren. Die finanziellen Mehrbelastungen, die dieses Gesetz gebracht hat, lassen sich heute ziemlich genau übersehen: Die Träger der Unfallversicherung müssen seitdem jährlich 325 Millionen DM mehr aufbringen. Um diese Summe richtig zu würdigen, vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß vorher — im Jahre 1956 — die gesamten Ausgaben der Unfallversicherungsträger 1 128,8 Millionen DM betrugen. Die Leistungsverbesserungen von 1957 verlangen also Beitragserhöhungen um durchschnittlich fast 30 vom Hundert.
    Bei der Verabschiedung jenes Gesetzes war man sich — ich deutete es schon an — wohl allseitig darüber einig, daß es nur ein Teilstück der Gesamtreform der Unfallversicherung, trotz seiner weitgreifenden wirtschaftlichen Bedeutung eben doch nur ein Anfang sei. Das Gesetz war andererseits aber — auch dies habe ich schon ausgeführt — ein sehr wesentlicher und sehr kostspieliger Anfang der Reform der Unfallversicherung. Hieran muß ich erinnern, weil der Ihnen jetzt vorliegende Gesetzentwurf die damals beschlossenen Leistungserhöhungen natürlich nicht noch einmal bringen kann.
    Wer die beiden Gesetze nicht im Zusammenhang sieht, wird daher die Leistungsverbesserungen in der Reform der Unfallversicherung nicht richtig würdigen können.
    Der neue Entwurf wird nach vorsichtigen Schätzungen abermals zu Mehraufwendungen von 120 Millionen DM führen, wenn er in der vorgeschlagenen Form angenommen wird. Für die Unfallversicherung müssen dann in Zukunft insgesamt jährlich rund 1,6 Milliarden DM aufgebracht werden.
    Ich habe mich nicht damit begnügt, Ihnen den Entwurf der vorigen Legislaturperiode unverändert noch einmal vorzulegen, sondern habe mit meinen Mitarbeitern die Zwischenzeit genutzt. Jede Vorschrift ist noch einmal überprüft, ob sie den Anforderungen unserer Zeit standhalten kann. Wir haben auch die Vorschläge und Anregungen sorgfältig geprüft, die uns von allen Seiten zukamen. Ich bin für diese Vorschläge, die vielfach die große Aufgabe der Reform ernst und verpflichtend auffaßten, dankbar. Natürlich konnten nicht alle berücksichtigt werden, denn jeder Neuordnungsvorschlag muß auch dem historisch Gewachsenen Rechnung tragen.
    Wenn Sie den Entwurf mit dem noch geltenden Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung vergleichen, werden Sie das alte Gesetz schon nach seinem Umfang, seinem Aufbau und der Fassung seiner Einzelvorschriften weithin in der Neufassung kaum wiedererkennen. So bringt der Entwurf eine Fülle von gesetzestechnischen Verbesserungen im Aufbau des Dritten Buches der Reichsversicherungsordnung und in der Fassung der Vorschriften. Er nimmt zahlreiche Bestimmungen auf, die bisher in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verstreut waren, beseitigt veraltete Regelungen, die trotz der Novellen der letzten Jahrzehnte noch mitgeschleppt wurden, und paßt nicht zuletzt den neuen Gesetzestext den Erfordernissen des Grundgesetzes an.
    Wie bisher ist das Dritte Buch der Reichsversicherungsordnung in einen allgemeinen Teil und drei besondere Teile für die allgemeine, die landwirtschaftliche und die See-Unfallversicherung eingeteilt. Der allgemeine Teil ist jedoch gegenüber dem bisherigen von 11 auf fast 100 Paragraphen erweitert worden, indem bisher verstreute Vorschriften hier zusammengefaßt wurden. Insbesondere finden Sie hier fast das gesamte Leistungsrecht und die Vorschriften über die Haftung von Unternehmern und anderen Personen. Durch diese Zusammenfassung sind die folgenden Teile entlastet worden, und dies hat dazu beigetragen, die Gesamtzahl der Paragraphen auf etwa die Hälfte zu vermindern. Diese nicht nur formellen Änderungen werden die Handhabung des Gesetzes in der Praxis erleichtern, zur Beschleunigung der Verfahren beitragen sowie die Zahl und Dauer der Prozesse vermindern. Über Einzelheiten wird in einem späteren Stadium des Gesetzgebungsverfahrens noch zu sprechen sein. Jetzt kann ich Ihnen nur einen Überblick geben, in welchen Hauptpunkten nach meiner Auffassung das bisherige Unfallversicherungsrecht mit den Erfordernissen einer modernen Sozialpolitik nicht mehr übereinstimmt.
    Im Vordergrund steht hier die Anpassung der Unfallrenten an das veränderte Lohn- und Preisgefüge. Ich deutete schon an, daß die Unfallrenten im Zeitpunkt ihrer Festsetzung immer aktuell sind, weil sie sich nach dem individuellen letzten Jahresarbeitsverdienst des Verletzten richten. Wir brauchen hier also keine Rentenformel und keine allgemeine Bemessungsgrundlage, um das richtige Verhältnis zwischen dem Arbeitseinkommen und dem Renteneinkommen herzustellen. Auch dafür, daß die Rente nicht zu niedrig ausfällt, wenn der Jahresarbeitsverdienst aus irgendeinem Grunde ausnahmsweise besonders niedrig liegen sollte, ist bereits im geltenden Recht vorgesorgt: Als Jahresarbeitsverdienst darf nicht weniger als das 300fache des Ortslohns, d. h. des ortsüblichen Tagesentgelts gewöhnlicher Tagesarbeiter, eingesetzt werden. Diese Mindestgrenze wird beibehalten. Im übrigen wird die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes wesentlich übersichtlicher gestaltet, indem sie auf einfache und klare Grundsätze zurückgeführt wird. Die Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes lag bisher bei 9000 DM; vielfach hatten jedoch die Satzungen der Berufsgenossenschaften



    Bundesarbeitsminister Blank
    höhere Beträge festgesetzt. Um die durch diese unterschiedlichen Satzungsbestimmungen hervorgerufenen Ungleichheiten zu beseitigen, erhöht der Entwurf die Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes erheblich, läßt aber in Zukunft abweichende Satzungsbestimmungen nicht mehr zu. Die Erhöhung trägt auch dem Charakter der Unfallversicherung besser Rechnung, zumal sie außer zahlreichen Unternehmern auch die höchstverdienenden Angestellten einschließt. Auch sie verlieren dadurch, daß sie von der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßt werden, ihre zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche.
    Da also die Berechnung der Renten der Unfallversicherung auf einer zunächst aktuellen Grundlage beruht, kommt eine Anpassung in der Unfallversicherung nur für solche Renten in Betracht, die aus zeitlich zurückliegenden Unfällen herrühren. Das Gesetz von 1957 hat hier bereits den Anfang gemacht. Es hat aber die laufenden Unfallrenten nur dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand vom 1. Januar 1957 angepaßt. Nunmehr wird eine solche Anpassung auch für die zukünftige Entwicklung vorgesehen. Ob und wann die Lohnentwicklung so weit fortgeschritten ist, daß die Renten nachgezogen werden müssen, also die Anpassung vorgenommen werden muß, das zu entscheiden bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten.
    Ich erwähnte vorhin schon die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Nach bisherigem Recht erhalten die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer Geldleistungen zwar unter denselben Voraussetzungen wie die gewerblichen Arbeitnehmer. Die Höhe dieser Geldleistungen richtet sich aber oft nicht nach ihrem wirklichen Arbeitseinkommen, sondern nach einem fiktiv festgesetzten Jahresarbeitsverdienst. Diese Festsetzungen sollten nach Absicht des Gesetzgebers von 1886 eigentlich den tatsächlichen Durchschnittsverdiensten entsprechen; in Wirklichkeit sind sie aber meist erheblich dahinter zurückgeblieben. Die Unfallentschädigung an landwirtschaftliche Arbeitnehmer ist daher in sehr vielen Fällen bedeutend kleiner als die Erwerbseinbuße, die sie doch ausgleichen soll. In Zukunft sollen daher die landwirtschaftlichen ebenso wie die gewerblichen Arbeitnehmer grundsätzlich nach dem Arbeitseinkommen entschädigt werden, das sie im Jahre vor dem Unfall tatsächlich bezogen haben.
    Erweitert werden ferner die Leistungen für Familienangehörige, und zwar in vielen bedeutsamen Punkten, von denen ich nur einige erwähnen will. Die Waisenrente und die Kinderzulage an Schwerverletzte wurden bisher eingestellt, wenn das Kind 18 Jahre alt wurde. In Zukunft sollen die Leistungen während einer Berufs- oder Schulausbildung bis zum 25. Lebensjahr des Kindes gewährt werden, bei gebrechlichen Kindern sogar lebenslang. Die Witwen-und Waisenrenten werden unter bestimmten Voraussetzungen erhöht, ebenso die Abfindungen an Witwen und Witwer, die sich wiederverheiraten. Witwenrente erhält auch die geschiedene Ehefrau nach dem Tode des unterhaltspflichtigen Mannes.
    Einen wichtigen Fortschritt stellt die Neuregelung des Berufskrankheitenrechts im Entwurf — § 551 — dar. Als man seit dem Jahre 1917 — zuerst nur für die Arbeit an chemischen Kampfstoffen — den Versicherungsschutz auf die Berufskrankheiten ausdehnte, ging man sehr vorsichtig zu Werke. Weil sich die Ursache einer Krankheit oft sehr schwer feststellen läßt und die ärztlichen Sachverständigen oft nicht zu sagen vermögen, inwieweit eine Erkrankung auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist, gewährte man Entschädigung nur für ganz bestimmte Krankheiten, die in einem Katalog aufgeführt waren. Bei vielen Krankheiten verlangte man außerdem, daß sie durch die Arbeit in besonders bezeichneten Unternehmen verursacht worden waren. Damit wollte man kostspielige Untersuchungen mit oft fragwürdigen Ergebnissen über die Ursachen der nicht in den Katalog aufgenommenen Krankheiten von vornherein vermeiden. Es hat sich jedoch gezeigt, daß der Katalog immer wieder ergänzt werden mußte. Er entsprach günstigstenfalls dem Stand der medizinischen Erkenntnis und der technischen Entwicklung, den diese gerade erreicht hatte, als die Ergänzung erlassen wurde. Jede weitere Ergänzung braucht Zeit. Wenn sie auch nur im Wege einer Rechtsverordnung, nicht in dem noch zeitraubenderen Gesetzgebungsverfahren vor sich geht, so müssen doch erst Erfahrungen gesammelt, Untersuchungen angestellt und eine Vielzahl sachverständiger Stellen beteiligt werden, ehe die Neufassung im Bundesgesetzblatt verkündet werden kann.
    Der Katalog der Berufskrankheiten soll jetzt zwar nicht abgeschafft werden; der Versicherungsträger soll aber nicht mehr ausschließlich an ihn gebunden sein. Er soll die Fälle elastischer beurteilen und auch die neuesten Erkenntnisse und Erfahrungen dabei zu Hilfe nehmen können. Das bedeutet nicht, daß nunmehr jede Krankheit wie eine Berufskrankheit entschädigt werden soll, wenn sie durch den Beruf entstanden ist.
    Nicht jede Verschleiß- oder Aufbraucherkrankung soll in Zukunft entschädigt werden. Es müssen vielmehr immer solche Krankheiten sein, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
    Lassen Sie mich das durch einen Fall aus der Praxis erläutern, der Sie, meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr bereits beschäftigt hat. Damals erblindete eine Arbeiterin, weil sie in der Bleistiftfabrik, in der sie arbeitete, mit Methanol umgehen mußte. Einwirkungen von Methanol sind in der Liste der Berufskrankheiten nicht aufgeführt. Deswegen konnte die Erblindung nicht als Berufskrankheit anerkannt werden. Man konnte gerade in jenem Falle zwar dadurch helfen, daß man die Methanoleinwirkungen als Arbeitsunfall ansah. Aber das setzt voraus, daß die Erblindung in höchstens einer Arbeitsschicht verursacht wird. Hätte der Sachverständige nicht festgestellt, daß in diesem Sonderfall bereits eine so kurzfristige Methanoleinwirkung den Schaden bewirkt hat, so hätte die Erkrankte lange auf eine Entschädigung warten müssen. Sie hätte günstigstenfalls darauf hoffen können, daß die Berufskrankheiten-Verordnung geändert wird und



    Bundesarbeitsminister Blank
    die Änderung rückwirkend auch auf ihre Erkrankung erstreckt wird. Die Neufassung der Vorschriften über eine Entschädigung von Berufskrankheiten will also den Verhältnissen der sozialen Wirklichkeit besser gerecht werden und die Leistungen der Unfallversicherung besser auf den Einzelfall abstellen.
    Ähnliche Vorstellungen liegen auch einer teilweise kritisierten Neuregelung des Entwurfs zugrunde. Zu ihrer Beurteilung muß man sich vor Augen halten, daß es Aufgabe der Unfallversicherung ist, für einen durch den Unfall bedingten Einkommensausfall zu entschädigen. Hierbei stellt sich aus sozialpolitischer Sicht die Frage, ob es notwendig ist, einen Ausgleich für einen Einkommensausfall auch dort zu gewähren, wo sich die wirtschaftliche Lage des Betroffenen gar nicht verschlechtert hat. Es wird den meisten von Ihnen bekannt sein, daß die um weniger als 25 vom Hundert in ihrer Erwerbsfähigkeit geminderten Unfallverletzten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in ihrem Beruf das gleiche Einkommen erzielen wie die Gesunden. Dies wird auch durch exakte Untersuchungen bestätigt, die ich habe anstellen lassen.
    Die nächstliegende Folgerung wäre die, daß die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wie sie in der Praxis geübt wird, demnach nicht richtig sein kann. Aber diese Erkenntnis nützt wenig, denn für die Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Unfallfolgen haben sich in der Rechtsprechung schon früh feste Grundsätze herausgebildet, an denen zu rütteln kaum möglich ist.
    Der Entwurf schlägt daher einen anderen Weg vor, und zwar soll eine Rente für Verletzte, deren Erwerbsfähigkeitsverlust, geschätzt nach den in der Praxis geübten Grundsätzen, 25 vom Hundert nicht erreicht, in Zukunft nicht mehr gewährt werden. Bereits erworbene Rechte, das heißt die jetzt laufenden 20prozentigen Renten, bleiben selbstverständlich unangetastet; die Neuregelung sollte auf jeden Fall nur für Arbeitsunfälle gelten, die sich nach Inkrafttreten des Gesetzes ereignen.
    Bei den sonstigen Nichtschwerverletzten, also bei den anderen Verletzten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 50 vom Hundert, liegen die Verhältnisse oft nicht anders als bei den Kleinstrentnern. Doch muß man hier mit Besonderheiten im Einzelfall rechnen. Deshalb wird in diesen Fällen dem Versicherungsträger nur die Möglichkeit eingeräumt, die Rente durch eine Kapitalzahlung in Höhe der fünffachen Jahresrente abzulösen. Die als Starthilfe gedachte Summe soll zugleich den Willen dieser Verletzten stärken, aus eigener Kraft ihr Schicksal zu meistern. Besser als mit einer kleinen Rente, die in der Regel die Lebenshaltung nicht wesentlich beeinflußt, wäre ihnen damit gedient, daß sie durch die Abfindung eine größere Summe erhalten. Sie können damit allein oder im Zusammenhang mit anderen Mitteln z. B. eine Anzahlung für einen Bausparvertrag leisten, sie zum Erwerb einer Wohnung oder auch zum Bau eines Eigenheims verwenden, Lasten ablösen oder die eigene Altersvorsorge verbessern, auch ein Geschäft oder eine andere selbständige Existenz
    gründen oder dergleichen mehr. Selbst wenn sie nur angeregt würden, die Summe durch weitere eigene Ersparnisse zu vergrößern, wäre im Kampf gegen die seelischen Schäden eines Arbeitsunfalles ein entscheidender Erfolg errungen. Diese Überlegungen finden sich übrigens ähnlich schon in den Ihnen bekannten „Grundgedanken zur Gesamtreform der sozialen Leistungen" des Herrn Bundesarbeitsministers, meines Amtsvorgängers, vom 7. April 1955.
    Es versteht sich von selbst, daß auch den Abgefundenen der Rechtsanspruch auf bestmögliche Rehabilitation durch Heilbehandlung und Berufsfürsorge in jedem Falle erhalten bleibt. Auch sonst muß der Versicherungsträger bei seiner Entschließung über die Abfindung auf die besonderen Belange der Verletzten Rücksicht nehmen. Wo dessen besondere Interessen entgegenstehen, ist die Abfindung unzulässig. Der Entwurf nimmt auch sorgfältig Bedacht darauf, den Abfindungsempfänger gegen etwaige unvorhergesehene Härten zu schützen, die erst später, nach der Auszahlung des Kapitals, auftreten könnten.
    Daß er die Abfindung auch gegen den Willen des Rentenbeziehers zuläßt, steht in Übereinstimmung mit der sozialpolitischen Forderung, daß nicht der Rentenbezug das wichtigste Ziel ist, sondern eine angemessene Entschädigung, die der Selbsthilfe und der aktiven Eingliederung in das soziale Leben dienen soll. Ich glaube, daß wir hier durch wohlabgewogene Regelungen dem langfristigen Interesse des Verletzten und seiner Angehörigen Rechnung tragen sollten.
    Es sind Stimmen laut geworden, die die Abfindungssumme zu niedrig finden. Dem kann ich nicht folgen; mir erscheint z. B. ein Betrag von 5400 DM als Abfindung für ein 30prozentige Rente durchaus beträchtlich, wenn der Betreffende als Gesunder 450 DM im Monat verdiente. Bei höheren Verdiensten werden entsprechend höhere Abfindungen gewährt, denn auch die Abfindungssumme richtet sich nach dem Jahresarbeitsverdienst.
    Der Kreis der versicherten Personen ist in der Unfallversicherung schon seit langem erheblich weiter gezogen als in irgendeinem anderen Zweig der Sozialversicherung, namentlich insofern, als hier keine Verdienstgrenze für die Angestellten besteht und insbesondere die landwirtschaftlichen Unternehmer sowie deren Ehegatten ebenfalls versichert sind. Der Entwurf erweitert den Versicherungsschutz daher nur geringfügig.
    Zu erwähnen ist aber immerhin, daß die für eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich tätigen Personen und die zur Beweiserhebung herangezogenen Zeugen in den Versicherungsschutz einbezogen werden sollen. Bisher erfüllten solche Tätigkeiten nicht mit Sicherheit die allgemeinen Voraussetzungen, von denen der Versicherungsschutz abhängt. Sie verdienen aber Versicherungsschutz, weil sie der Allgemeinheit dienen und unentgeltlich geleistet werden. Die ehrenamtliche Tätigkeit kann für den Bund, ein Land oder eine Gemeinde geleistet werden. Es ist



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    aber auch an andere Körperschaften zu denken, z. B. an die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Versicherungsträger, an die Ärzte- oder Rechtsanwaltskammern, an die Industrie- und Handelskammern oder an die Handwerkskammern.
    Die gleiche Regelung wie für die ehrenamtlich Tätigen soll auch für die zur Beweiserhebung herangezogenen Zeugen gelten. Der Versicherungsschutz ist in diesen Fällen von besonderer praktischer Bedeutung für den Hin- und Rückweg zu dem Ort, an dem die Vernehmung stattfindet.
    Weit mehr als frühere Novellen bringt der Entwurf auch außerhalb des Leistungsrechtes und des Kreises der versicherten Personen materielle Änderungen namentlich im Beitragsrecht, in der Organisation und im Finanzwesen der Versicherungsträger. Ich will nur zwei Fragenkomplexe herausgreifen, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.
    Der Entwurf erklärt nicht mehr allein die Unternehmer, sondern auch die Versicherten zu Mitgliedern der Berufsgenossenschaft. Unternehmer und Versicherte sind seit dem Selbstverwaltungsgesetz vom 22. Februar 1951 beide in den Organen der Versicherungsträger, dem Vorstand und der Vertreterversammlung, tätig. Nicht zuletzt war hierfür der Gedanke maßgebend, daß alle Unfallverhütungsmaßnahmen auch von den Versicherten mitbeschlossen und ausgeführt werden sollten, damit der größtmögliche Erfolg erreicht wird. Wer aber im Vorstand für den Versicherungsträger handeln und wer die Aufgaben der Vertreterversammlung miterfüllen darf, kann das nur deshalb, weil er da- mit Mitglied der öffentlich-rechtlichen Körperschaft geworden ist.
    Dieser schon seit Jahren bestehende Zustand kann rechtlich nicht anders gedeutet werden. Die Meinung, daß die Mitgliedschaft der Versicherten ihre Beitragspflicht begründe, ist unrichtig, da die Mitgliedschaft in einer Körperschaft nicht zwingend mit einer Beitragspflicht verknüpft ist. Zudem würde sich auch die Zahlung von Beiträgen durch die Versicherten nicht mit den Haftungsprivilegien der Unternehmer, die diese aufrechtzuerhalten wünschen, vereinbaren lassen.
    An eine Beitragspflicht der Versicherten ist zu keiner Zeit auch nur gedacht worden. Der Entwurf wollte vielmehr die Rechte der Selbstverwaltung der Versicherungsträger auf dem wichtigen Gebiete der Unfallverhütung stärken. Das autonome Recht der Unfallverhütungsvorschriften kann nur auf die Weise geschaffen werden, daß alle von den Unfallverhütungsvorschriften Betroffenen, das sind Unternehmer und Versicherte, an diesen mitgewirkt haben.
    Der letzte Punkt, den ich noch erwähnen möchte, berührt die Rechte der Versicherten nicht unmittelbar. Er findet aber trotzdem in weiteren Kreisen Interesse, zumal es dabei um erhebliche Geldsummen geht. Ich meine den Finanzierungsausgleich zwischen der Unfallversicherung und der Krankenversicherung.
    Die Träger der Krankenversicherung sind bekanntlich verpflichtet, ihren Versicherten auch im
    Falle eines Arbeitsunfalls die Leistungen zu erbringen, die ihnen nach Gesetz und Satzung obliegen. Der zuständige Träger der Unfallversicherung ersetzt ihnen die Kosten, die dadurch entstehen, aber nicht in vollem Umfang. Nach bisherigem Recht bezahlte die Unfallversicherung nur die Leistungen der Krankenkasse, die diese über den 45. Tag nach dem Unfall hinaus erbringt. Die Unfallversicherung zog also Nutzen daraus, daß der Verletzte krankenversichert war, denn bei Nicht-Krankenversicherten muß sie allein für die Heilbehandlung und die damit verbundenen Geldleistungen aufkommen. Auch aus diesen Erwägungen hatte die Bundesregierung in dem Gesetzesentwurf, der in der vorigen Legislaturperiode vorgelegt war, vorgesehen, daß die Berufsgenossenschaften grundsätzlich die durch den Unfall verursachten Leistungen bereits vom ersten Tage nach dem Unfall tragen.
    Gegen eine so weitgehende Verlagerung der Kosten sind Bedenken erhoben worden. Es ist insbesondere auch auf die erheblichen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten hingewiesen worden, die dadurch entstehen, daß auch geringfügige und kurzfristige Ausgaben abgerechnet werden müßten. Es müßte bei jedem Kranken erst geprüft werden, ob ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt. Diesen Erwägungen haben sich auch die Träger der Krankenversicherung nicht verschlossen. Sie haben auch miteinander über diese Frage verhandelt. Der jetzige Entwurf sieht deshalb vor, daß die Krankenkassen außer den Kosten der ambulanten Behandlung alle sonstigen Kosten tragen, die ihnen während der ersten 18 Tage nach dem Unfall entstehen. Erst die darüber hinausgehenden Kosten können der Unfallversicherung in Rechnung gestellt werden.
    Gestatten Sie mir abschließend noch eine allgemeine Bemerkung! Wer den vorliegenden Gesetzentwurf im ganzen und in seinen Einzelheiten überblickt, wird sich nicht verhehlen können, daß er uns einen sehr großen Schritt weiterbringt in der Neuordnung der Sozialversicherung und damit auch in der Neugestaltung unserer Sozialordnung überhaupt. Man darf seine Wirkung freilich nicht nur in Zahlen sehen. Statistiken sind wertvoll, und ich wäre der letzte, der übersehen wollte, daß Sozialleistungen Geld kosten und auch für den Empfänger Geldwert haben. Dennoch wird gerade der Unfallversicherung nicht gerecht, wer sie nur unter diesem Gesichtspunkt sieht.
    Die Unfallversicherung hat von allen Zweigen der Sozialversicherung wirtschaftlich-finanziell die geringste Bedeutung. Und doch hat gerade sie den guten Gedanken der sozialen Gefahrengemeinschaft und der Solidarität in weiten Kreisen unseres Volkes heimisch gemacht. Hier ist der Gedanke erfreulich lebendig geworden, daß alle Berufskollegen in einem Boot sitzen, daß sie alle, ob Unternehmer, Angestellter oder Arbeiter, für den Schaden, den einer von ihnen erleidet, einstehen müssen. Wie stark verbreitet dieses Denken ist, zeigt sich am besten an den zahlreichen Vorschlägen, den Berufsgenossenschaften noch weitere Aufgaben der sozialen Sicherung zu übertragen, die zum Teil — z. B.



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    bei den Familienausgleichskassen und Alterskassen der Landwirte — auch schon verwirklicht wurden. Der Kern ihrer Arbeit aber ist und bleibt die Unfallversicherung. Sie wird in ihrer neuen Gestalt das Gefühl sozialer Verantwortlichkeit und Gerechtigkeit kräftig beleben und damit ihren heilsamen Einfluß auf unsere Gesellschaftsordnung nicht verfehlen.
    Ich darf mich, meine Damen und Herren, für Ihre gütige Aufmerksamkeit bei Ihnen bedanken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)