Mir liegt daran, zur Sache zu kommen; denn diese Sache ist ernst, und sie ist wichtig, und sie sollte mit dem gebotenen Ernst behandelt werden, woran meinen Freunden und mir doch weiß Gott hier in der Sache liegt.
Da knüpfe ich an das an, was der Abgeordnete Benda aus einem Aufsatz von mir aus dem Jahre 1932 zitiert hat, — auch ein herausgegriffenes Wort aus einem Aufsatz, der einem ganz bestimmten Ziel diente. In jenen Tagen hatte der NS-Abgeordnete Wilhelm Kube im Preußischen Landtag von den Richtern, zu denen ich mich damals auch zu zählen die Ehre hatte, gesagt, daß wir hinter schwedischen Gardinen gehörten. Die NSDAP hatte als qualifizierte Minderheit im Preußischen Landtag einen Antrag eingebracht, daß ein Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege, wie es hieß, eingesetzt werden sollte. Wenn ich nicht irre, war Kerrl Landtagspräsident, und ohne Abstimmung erklärte er auf Grund dieses Minderheitsantrags den Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege für eingesetzt. Dagegen habe ich im Archiv des öffentlichen Rechts einen wohl recht scharfen Aufsatz veröffentlicht und gesagt, daß jeder Richter — da möge der Landtag tun, was immer er wolle — vor einem solchen Untersuchungsausschuß nicht einmal erscheinen dürfe. Zu diesem Standpunktwürde ich mich auch heute noch bekennen. Kein Parlament in einem Rechtsstaat, in Deutschland, hat das Recht, einen Untersuchungsausschuß zur Prüfung der Rechtspflege einzusetzen, damit er untersuche, ob konkrete Gerichtsverfahren richtig oder falsch entschieden sind. In dem Zusammenhang steht der Satz, auf den ich gleich noch komme.
Zweitens habe ich mich in jenem Artikel zur richterlichen Unabhängigkeit als einem unverzichtbaren und unabdingbaren Fundamentalsatz eines freiheitlichen Rechtsstaats bekannt. Daran hat sich nichts geändert. Es gibt in meinem Leben keine Zeile und kein Wort, wo ich jemals die richterliche Unabhängigkeit angetastet hätte, und das sage ich nicht nur für meine Person, sondern ich bin überzeugt, sagen zu können, daß meine Partei und Fraktion mit mir die richterliche Unabhängigkeit gerade nach den bitterbösen Erfahrungen der hinter uns liegenden Jahre von 1933 bis 1945 als eine der Säulen einer rechtsstaatlichen Demokratie betrachten.
Aber ich bin — das gebe ich freimütig zu; ich war l damals 28 Jahre alt, und es liegen sehr schwere Jahrzehnte dazwischen — in meinem jugendlichen Überschwang und aus der einseitigen Sicht eines frischgebackenen Gerichtsassessors und Landrichters damals etwas zu weit gegangen, indem ich mit diesen Bemerkungen das Wesen und die Aufgabe der öffentlichen Meinung und des Parlaments verkannt habe. Das halte ich in aller Ehrlichkeit so, wie Sie es zitiert haben, Herr Benda, nicht aufrecht; denn ich bin heute der Meinung, daß sowohl die Öffentlichkeit als auch ein Parlament sich sehr wohl Gedanken über die rechtlichen, geistigen und sittlichen Grundfragen einer Gerichtsbarkeit zu machen haben und auch ein Rechtsgespräch zur Richterschaft hin darüber führen müssen.
Ich glaube doch, daß auch manches, was heute hier von allen Parteien gesagt worden ist, der Richterschaft nach dieser oder jener Richtung hin Anlaß zum redlichen Nachdenken oder zur Ermutigung gibt; denn die Gerichtsbarkeit in einer Demokratie lebt nicht in einem luftleeren Raum. Sie soll, wie Herr Kanka mit Recht gesagt hat, ja auch inmitten des politischen Lebens stehen.
Ich habe mich dabei allerdings, Herr Benda, nicht so schnell gewandelt wie Sie; denn heute haben Sie gesagt, man dürfe vor Rechtskraft des Urteils überhaupt keinen Prozeß diskutieren — was ich nicht sage —, und heute haben Sie zitiert, daß nicht einmal die politischen Parteien das Recht der Urteilsschelte haben sollten. Es ist gar nicht so lange her, da haben Sie von diesem Platz aus erklärt: Da möge ein deutsches Gericht entscheiden, wie es wolle, für Sie blieben die Arnsberger Täter Mörder, und Sie ließen sich von keinem Gericht daran hindern, das auszusprechen. — Das war ein sehr viel besseres Wort als alles, was Sie heute gesagt haben.
Sie sagen, die politischen Parteien dürfen nicht kritisieren. Nun, Sie haben keinen Widerspruch dagegen erhoben, daß Herr Ministerpräsident Meyers auf dem letzten Parteitag Ihrer Partei in Kiel einen wesentlichen Teil seines Referats einer sehr erheblichen Kritik an einem bestimmten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gewidmet hat, wogegen ich auch gar nichts einzuwenden hätte. Ich wünschte nur, Herr Ministerpräsident Meyers hätte nicht einige falsche Tatsachen oder vermeintliche Tatsachen, die in Wirklichkeit nicht bestehen, seiner Kritik zugrunde gelegt.
Ich möchte jetzt nicht noch auf diese Ablenkung eingehen, auf das, was der Deutsche Gewerkschaftsbund, den Sie so leichthin mit der Sozialdemokratie identifiziert haben, zu einem bestimmten Urteil ge- sagt hat. Der Gewerkschaftsbund ist anders noch als politische Parteien und Parlamentsfraktionen eine gesellschaftliche Kraft im öffentlichen Raume und hat in einer Demokratie die selbstverständliche Befugnis,
sich mit den Urteilen auseinanderzusetzen, die ihn angehen.
Dr. Arndt
Was uns hier betrifft, so glaube ich heute morgen ja sehr deutlich gesagt zu haben, welche Grenzen eine solche durchaus heikle Debatte hat. Ich wiederhole noch einmal: Zur Kritik stehen rechtliche, geistige und sittliche Strukturen und — selbstverständlich — Eingriffe der Bundesregierung in die Gerichtsbarkeit. Wenn aber — es ist traurig, daß man solche Dinge klarstellen muß — Herr Benda behauptet hat, von einem meiner Freunde oder von mir sei eine kollektive Kritik an der Richterschaft generalisierend und pauschal hier vorgebracht worden, so ist das nicht wahr. Dann haben Sie auf unsere Ausführungen nicht geachtet; denn meinen Freunden und mir liegt so etwas gänzlich fern.
Damit möchte ich das abschließen. Ich glaube, ich brauche nicht darzulegen, daß zwischen Herrn Heinemanns juristischem Aufsatz, in dem er zum Maßhalten im Strafrecht ermahnt, und meiner Wendung, die sich namentlich auf Wiedergutmachung bezog, mehr Mut zum Herz zu haben, kein Widerspruch sein kann.
Ich muß mich aber leider auch noch etwas mit dem Herrn Kollegen Schneider von der Deutschen Partei deshalb auseinandersetzen, weil es auch hier notwendig ist, einige Irrtümer aufzuklären oder Behauptungen zurückzuweisen. Herr Jahn hat keineswegs gefordert, daß man die Täter oder die Verdächtigen schlimmer Taten aus der Vergangenheit so aburteilen sollte, als ob es die ganzen Umstände, Verwirrungen und Irrungen jener Zeit nicht gegeben hätte. Das liegt Herrn Jahn und uns allen völlig fern. Er hat sich nicht gegen eine Relativierung der Tat gewandt, sondern gegen eine Relativierung des Rechts durch einen Positivismus, der so tut, als sei Gesetz gleich Gesetz und als sei jedes Beliebige, was der sogenannte Führer damals befohlen habe, zu jener Zeit das Recht gewesen, als sei, einmal kurz und prägnant gesagt, Hitlers Anspruch, er sei das deutsche Recht, seinerzeit gültig gewesen. Diese phantastische Vorstellung spukt tatsächlich in manchen Köpfen, und es ist notwendig, das klarzustellen, daß es eine solche Relativierung des Rechts als einer Wert- und Seinsordnung nicht geben kann. Desungeachtet mögen einige Menschen geirrt haben; sie haben das für Recht gehalten. Dann muß das Gericht untersuchen, ob das ein vorwerfbarer, verschuldeter und nicht entschuldigender Irrtum ist oder ein Irrtum, der eine Tat irgendwie entschuldigen oder wenigstens mildern könnte.
Noch ein anderes muß ich zu Herrn Schneider sagen. Er ist bedauerlicherweise nicht mehr da; aber er hat je einige Freunde hier. — Nichts hat ihn dazu berechtigt, zu behaupten, daß der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Max Brauer, so pauschal erklärt habe, daß diese Richter alle das Recht beugten. Eine derartige Erklärung hat Herr Brauer weder sinngemäß noch wörtlich abgegeben. Ich halte es für meine Ehrenpflicht, das hier klarzustellen.
Herr Brauer hat in seiner schweren Situation das getan, was ein guter Landesvater und der Bürgermeister einer Stadt mit freier und stolzer Tradition macht. Weil es jetzt an den Bund ging, weil es
jetzt darum ging, ob der Bundesgerichtshof, ob das Bundesverfassungsgericht noch eingreifen konnte, hat er sich an den Herrn Bundeskanzler gewandt und bei dem Herrn Bundeskanzler auch Verständnis gefunden, wofür ich hier meine Anerkennung auszusprechen gar kein Blatt vor dem Mund nehme.
Es gibt Fragen des Rechts, die uns allen gemeinsam sind. Denn wenn es kein Recht mehr gibt, dann gibt es uns alle hier nicht mehr.
— Bitte, Herr Schneider.