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ID0305600900

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    Deutscher Bundestag 56. Sitzung Bonn, den 22. Januar 1959 Inhalt: Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fragen der Justizpolitik (Drucksache 569) Dr. Arndt (SPD) . . . . . 3047 B, 3118 B Schäffer, Bundesminister . . 3056 A, 3076 D, 3117 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3069 C, 3095 B Jahn (Marburg) (SPD) 3069 D Dr. Kanka (CDU/CSU) . . . 3077 D, 3114 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . . 3082 A Dr. Schneider (Lollar) (DP) . . . 3086 D Rehs (SPD) 3091 B Benda (CDU/CSU) . . . . . . 3098 C Dr. Stammberger (FDP) 3106 A Wittrock (SPD) . . . . . . . 3107 C Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . 3110 D, 3114 A Dr. von Brentano, Bundesminister . 3113 B, 3114 C Dr. Schröder, Bundesminister . . . 3118 B Entwurf eines Gesetzes zu den Vereinbarungen mit den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Ver- einigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, der Republik Frankreich, des Königreichs Dänemark, des Königreichs der Niederlande und des Königreichs Belgien über gegenseitige Hilfe gemäß Art. 3 des Nordatlantik-Vertrages (Drucksache 47); Mündlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksache 593) — Zweite und dritte Beratung Graf Adelmann (CDU/CSU) . . . 3123 D Erler (SPD) 3124 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 3126 C Schultz (FDP) . . . . . . . . 3129 D Probst (Freiburg) (DP) . . . . . 3130 B Entwurf eines Gesetzes über das Europäische Währungsabkommen vom 5. August 1955 (Drucksache 541); Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 785, zu 785) — Zweite und dritte Beratung — 3130 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3131 C Anlagen 3133 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 3047 56. Sitzung Bonn, den 22. Januar 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9,03 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 55. Sitzung Seite 3002 D Zeile 11 statt „Rademacher". Ramms. Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 3133 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 4.4. Altmaier* 23.1. Dr. Atzenroth 22.1. Dr. Bärsch 23.1. Baur (Augsburg) 23.1. Dr. Becker (Hersfeld) 9. 3. Birkelbach*- 23.1. Fürst von Bismarck* 23.1. Blachstein* 23.1. Frau Blohm 31.1. Diel (Horressen) 23.2. Dr. Eckhardt 10. 2. Eilers (Oldenburg) 23.1. Etzenbach 7.2. Frenzel 23.1. Dr. Furler* 23.1. Gedat 30. 1. Geiger (München) 23.1. Gerns* 23.1. D. Dr. Gerstenmaier 23.1. Gleisner (Unna) 20. 2. Graaff 23.1. Dr. Greve 7.2. Dr. Gülich 31. 1. Haage 23.1. Häussler 23.1. Heinrich 31.1. Heye* 23.1. Höfler* 23.1. Frau Dr. Hubert* 23.1. Jacobs 28. 2. Dr. Jaeger 26.1. Frau Kalinke 31.1. Kiesinger* 23.1. Dr. Kliesing (Honnef)* 23.1. Köhler 24.1. Dr. Kohut O 24.1. Dr. Kopf* 23.1. Kramel 16.2. Kriedemann 22.1. Kühn (Bonn) 26.1. Kühn (Köln)* 23.1. Kunst 31.1. Kurlbaum* 23.1. Dr. Leverkuehn* 23.1. Lücker (München)* 23.1. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 30.1. Dr. Martin 26.1. Mank 24.1. Frau Dr. Maxsein* 23.1. Memmel 31.1. Dr. Mende* 23.1. Dr. Menzel 15.2. Metzger* 23.1. Dr. Meyer (Frankfurt)* 23.1. *für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaub bis einschließlich Müser 17.2. Dr. Oesterle 6.2. Paul' 23.1. Pelster 31.1. Pernoll 23.1. Pütz 14.2. Rademacher 24.1. Frau Dr. Rehling* 23.1. Dr. Reith 31.1. Rohde 31.1. Ruf 23.1. Dr. Schild 22.1. Dr. Schmid (Frankfurt)* 23.1. Schneider (Hamburg) 2.2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15.2. Schütz (München)* 23.1. Seidl (Dorfen)* 23.1. Dr. Serres* 23.1. Vogt 23.1. Dr. Wahl* 23.1. Walpert 31.1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 31.1. Weinkamm 23.1. Wullenhaupt 24.1. Dr. Zimmer* 23.1. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Verkehrs auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ritzel (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 31) : Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um das neu eingerichtete Autotransportwesen der Bundesbahn mit wesentlich vermehrten Ein- und Ausladestationen auszustatten? Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn zu veranlassen, auf den bis jetzt für cien Autotransport erschlossenen Strecken eine vor Beginn der Bahnreise des Automobilisten stattfindende Verladung des Autos in geschlossenen oder offenen Güterwagen so rechtzeitig zu ermöglichen, daß der Reisende bei seiner Ankunft am ausländischen oder innerdeutschen Bestimmungsort seinen Wagen sofort zur Verfügung hat? Sieht die Bundesregierung auch die Möglichkeit, die Einrichtung des Autotransports von bundesdeutschen Stationen nach Berlin durchzuführen? Die Beförderung von Autos mit Reisezügen war 1958 noch auf die Sommersaison (Juni bis Oktober) beschränkt. Im vergangenen Jahre waren Autotransportwagen einmal zwischen Hamburg und Basel und zum andern in der Verbindung Ostende-München eingesetzt. Im kommenden Sommer sollen versuchsweise in zwei weiteren Zügen Autotransportwagen mitgeführt werden. Einer dieser Züge wird zwischen Mülheim (Ruhr)-Speldorf und München Ost verkehren. Kraftwagen können dabei auch in Düsseldorf Hauptbahnhof und in Köln-Deutz ein- und ausgeladen werden. Der andere Transportwagen wird von Großenbrode mit Verlademöglichkeit in Lüneburg nach München Ost und zurück verkehren. 3134 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 Zweck des seit einigen Jahren versuchsweise eingeführten Verfahrens ist es, die Reisenden, die am Tage ihren Kraftwagen benutzen, nachts mitsamt ihrem Fahrzeug über längere Strecken auf der Schiene zu befördern. Demgemäß sind jedem der genannten Züge Schlaf- und Liegewagen beigegeben. Eine Unterwegsbedienung ist im allgemeinen deswegen nicht vorgesehen, weil nach allen bisherigen Erfahrungen kein Interesse an einer Kurzstreckenbeförderung besteht und bei der bisherigen Fahrplangestaltung die Zwischenbahnhöfe zur Nachtzeit angelaufen werden. Die Beförderung von Kraftwagen in Tageszügen wurde bisher nicht gefordert. Sie ist deshalb bis auf weiteres auch nicht geplant. Zudem gibt es nur wenige Großstadtbahnhöfe, deren Bahnsteige ohne Schwierigkeit von Personenkraftwagen erreicht und befahren werden können. Die Bundesbahn prüft laufend die Möglichkeit, weitere Verbindungen dieser Art zu schaffen. Maßgebend für die Einrichtung weiterer Verkehre sind neben der Nachfrage die Einrichtung der Personenbahnhöfe mit Anfahrrampen und ausreichend breiten Bahnsteigen sowie das Vorhandensein entsprechend ausgerüsteter Transportwagen. Zur Zeit ist die Bundesbahn bemüht, die Konstruktion der Verladeeinrichtungen dieser Wagen zu verbessern, um die Aufenthalte der Züge abzukürzen. Bei dem heutigen Verfahren hat der Reisende seinen Wagen unmittelbar nach der Ankunft des Zuges zur Verfügung. Es ist deshalb nicht erforderlich, ihm eine vorausgehende Verladung zu ermöglichen, soweit die Beförderungsart „Auto im Zuge" eingeführt ist. Übrigens könnten normale Güterwagen, auf die der Reisende etwa vorher sein Fahrzeug verladen hat, deshalb nicht mit Schnellzügen befördert werden, weil sie für solche Geschwindigkeiten nicht geeignet sind und weil im allgemeinen auf den Personenbahnhöfen unterwegs . nicht die erforderliche Zeit für das Ein- und Ausrangieren vorhanden ist. In den Jahren vor dem letzten Krieg konnten Personenkraftwagen auf allen Güterabfertigungen gegen einen stark ermäßigten Beförderungspreis zur Beförderung mit Güterzügen nach allen Richtungen aufgegeben werden. Von dieser Einrichtung ist so gut wie kein Gebrauch gemacht worden, weil im Güterverkehr, der zum grollen Teil mit Bedarfsgüterzügen bedient wird, die Ankunftszeit im allgemeinen nicht mit völliger Sicherheit vorher angegeben werden kann. In gewissen Schnellzügen werden dagegen besonders eingerichtete Gepäckwagen mitgeführt, die der Autobeförderung dienen. Dabei handelt es sich einmal um Doppelstockgepäckwagen (DPw4üm) mit Schwenkhubbühne. Hier werden die Autos vom Bahnsteig aus durch die Seitentür verladen; Fassungsvermögen 8 Kraftwagen. Außerdem werden zukünftig — ohne Möglichkeit der Verladung an Zwischenstationen — Gepäckwagen mit Stirnwandtüren (MPw4i) verwendet, in denen zwei bis drei Kraftwagen unterzubringen sind. Bisher lief je einer der erwähnten Doppelstockwagen im Fernschnellzug „Komet" zwischen Hamburg und Basel. Der Verkehr wurde täglich bedient. An zwei Wochentagen liefen die Wagen bis Chiasso durch; jedoch soll diese Verlängerung nach Chiasso aufgegeben werden. Ferner gab es eine Verbindung Ostende—München, die an einzelnen Tagen, 1958 insgesamt 19mal, bedient wurde. Hier fanden belgische Spezialgüterwagen Verwendung, die für den Lauf in Schnellzügen geeignet sind. Die neugeplanten Verbindungen Mülheim (Ruhr)—München Ost und Großenbrode—München Ost sollen dreimal wöchentlich durchgeführt werden. Hier werden Gepäckwagen mit Stirnwandtür verwendet. Für die Beförderung der Pkw in Autotransport-wagen wird eine mäßige Fracht erhoben, die nicht vom Gewicht der Wagen abhängig ist. Unterschieden wird lediglich zwischen Pkw mit einer Länge von bis zu 4,42 m und größeren Wagen. Die Beförderungsart „Auto im Reisezug" hat im letzten Jahr recht lebhaften Zuspruch gefunden. Gezählt wurden in der Verbindung Hamburg—Basel 2535 Pkw und 6252 Reisende, auf der Strecke Ostende — München (an 19 Tagen) 865 Pkw und 2573 Reisende. Im Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin kann eine Beförderung auf Autotransportwagen nur eingeführt werden, wenn die Deutsche Reichsbahn (Ost) diesem Verfahren zustimmt. Das ist kaum anzunehmen, um so mehr als gegenwärtig die Zahl der verkehrenden Reisezüge sehr gering ist und deswegen diese Züge schon heute bis an die Grenze des Möglichen mit Personenwagen ausgelastet sind. Dr.-Ing. Seebohm Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Verkehr auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Felder (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 37) : Welche Zeitspanne ist im Rahmen des Straßenbauprogramms des Bundesverkehrsministeriums für den Ausbau der Strecke vom Nürnberger Kreuz nach Tennenlohe und damit zum Anschluß an die bereits vierspurig befahrbare Bundesstraße 4 zwischen Tennenlohe und Erlangen vorgesehen? Ist bei den Planungen zum weiteren Ausbau der Bundesstraße 8 schon eine Entscheidung in der Frage der Ortsumgehungen von Langenzenn und Emskirchen getroffen worden? Die für den Vollausbau der Autobahnteilstrecke Nürnberger Kreuz — Tennenlohe erforderlichen Mittel stehen zur Verfügung. Die Arbeiten zur Herstellung des Fahnbahnunterbaues und eines Teiles der Fahrbahndecke sind vergeben. Der Rest der Deckenarbeiten ist ausgeschrieben; mit der Zuschlagserteilung ist in den nächsten Tagen zu rechnen. Mit der Durchführung der Arbeiten wurde im Herbst 1958 begonnen. Ich rechne damit, daß bis Ende dieses Jahres der gesamte Streckenabschnitt zweibahnig, d. h. vierspurig, dem Verkehr übergeben werden kann. Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 3135 Im Wirtschaftsplan der Gemeinde Emskirchen ist bereits eine generelle Linienführung für die Ortsumgehung vorgesehen. Für Langenzenn soll ebenfalls die Trasse für eine spätere Umgehung im Wirtschaftsplan der Gemeinde berücksichtigt werden. Nachdem wir uns entschlossen haben, die Autobahn Frankfurt/M.—Würzburg—Nürnberg jetzt beschleunigt zu bauen, sind diese Umgehungen nicht mehr vordringlich. Der derzeitige starke und für die Gemeinden besonders lästige Durchgangsverkehr wird künftig von der Bundesstraße 8 abwandern und auf die neue Autobahn übergehen. In den generellen Planungen der beiden Ortsumgehungen und deren Aufnahme in die Wirtschaftspläne der Gemeinden sehe ich eine vorsorgliche Maßnahme, um die Mögkeit für spätere Umgehungen bei einer heute noch nicht voraussehbaren Verkehrsentwicklung offenzuhalten. Dr.-Ing. Seebohm
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    Rede von Gerhard Jahn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wenigstens der Herr Bundeskanzler gewesen, der für die Bundesregierung zur Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion noch ein politisches Wort gesagt hat, das im Grunde zu begrüßen ist, zu dem ich aber gleich eines feststellen möchte. Wir haben seit einem Jahr in zunehmendem Maße antisemitische Erscheinungen bei uns in der Bundesrepublik festzustellen und haben



    Jahn (Marburg)

    uns mit ihnen auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang darf man wohl nicht verschweigen, daß es gerade ein Mitglied seines Kabinetts, nämlich der Herr Bundesjustizminister, gewesen ist, der mit seinen Brandreden gegen die Wiedergutmachung und über die Gefährdung der deutschen Währung durch die Wiedergutmachung offenbar erst den Anstoß dazu gegeben hat, daß eine ganze Reihe von Leuten den Mut fanden, über diese Dinge etwas zu sagen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun noch ein Wort zu der Art und Weise, wie die Anfrage durch die Regierung oder genauer gesagt: durch den Herrn Bundesjustizminister beantwortet worden ist. Leider kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Form dieser Beantwortung und ihr Inhalt offenbar Methode sind, nämlich die Methode, dem Hause gegenüber dadurch, daß man auf die entscheidenden politischen Fragen nicht einzugehen bereit ist und sich mit einer Fülle von danebenliegenden Fragen beschäftigt, also dem eigentlichen, dem politischen Anliegen der Anfrage ausweicht, offenbar das Gewicht des Anliegens zu mindern.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich kann mir schlecht
    vorstellen, daß der Herr Bundesjustizminister den politischen Sinn und das Anliegen dieser Anfrage nicht verstanden hat. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß ihm unklar geblieben ist, worum es uns eigentlich geht. Ich bin der Überzeugung, daß er sehr wohl in der Lage gewesen wäre, in diesem Sinne ,auf die Anfrage zu antworten, wenn er es gewollt hätte.
    Ich denke in diesem Zusammenhang noch einmal an die munteren Sonntagsreden, die er gerade in bezug auf die soeben zitierte Wiedergutmachung gehalten und in denen er durchaus gezeigt hat, daß er nicht nur in der Lage, sondern dann, wenn es ihm nützlich erscheint, auch bereit ist, sehr diffizil an solche politischen Fragen heranzugehen und sie entsprechend zu behandeln. Wenn er heute einer politischen Beantwortung der Anfrage bewußt ausgewichen ist und ,in einer — ich kann es nicht anders bezeichnen — doch recht ermüdenden Form darauf geantwortet hat,

    (Beifall bei der SDP und der FDP)

    dann kann man es nicht anders kennzeichnen als so: es ist die Methode, mit vielen Worten dem eigentlichen Anliegen und der eigentlichen Frage auszuweichen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich möchte mich -vor allem mit dem Punkt 2 unserer Anfrage beschäftigen. Es ist eine der Fragen, an der in besonderem Maße deutlich wird, daß es sich hier nicht um irgendwelche nebensächlichen Dinge handelt, sondern daß es im Grunde um ein sehr ernstes Anliegen geht, ein Anliegen, von dem man annehmen sollte, daß nicht nur dieses ganze Haus, sondern auch die Bundesregierung über seine Bewertung einer Meinung ist. Seit Monaten ist in der Öffentlichkeit eine berechtigte und sich immer mehr steigernde Unruhe über gewisse Erscheinungen in unserer Rechtsprechung, über Urteile und andere Gerichtsentscheidungen festzustellen, die nicht zu übersehen sind und zu denen nach unserer Auffassung weder der Bundestag noch die Bundesregierung schweigen können.
    Wird eine Frage dieser Art so behandelt, wie es der Herr Bundesjustizminister getan hat, indem er auf die Feststellung, daß wir Sozialdemokraten ernste Besorgnisse wegen dieser Entwicklung der Rechtsprechung haben, nicht eingeht und nicht einmal zum Ausdruck bringt, daß diese Erscheinungen in unserer Rechtsprechung auch der Bundesregierung Anlaß zur Sorge sind, dann möchte man meinen, daß er innerlich auf der Seite derjenigen steht, die sagen, es sei an der Zeit, unter diese ganzen Dinge aus unserer Vergangenheit einen Schlußstrich zu ziehen. Dann möchte man meinen, auch ihm sei es nachgerade schon unangenehm und peinlich und im Grunde eine dumme Sache, über die man am besten Gras wachsen läßt.
    Mit einer derartigen Behandlung können und werden wir uns nicht einverstanden erklären. Es geht darum, daß wir auch im Bereiche der Rechtsprechung ein so klares Verhältnis zu unserer politischen Vergangenheit bekommen, dal wir sagen können, dieser Staat hat seine eigenen Grundlagen und seine eigene Ordnung — auch Verhältnis zur Vergangenheit — gefunden. Wenn wir nicht den Mut haben, diese Auseinandersetzung zu führen und in dieser Auseinandersetzung auch durch die Justiz ein eindeutiges Nein zu dem Unrechtsstaat zu sagen, dann gefährden wir bereits die Grundlagen unserer eigenen Demokratie, an deren Aufbau wir doch noch arbeiten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sicherlich ist dieser Teil der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, wie so manches andere, unbequem. Das ändert aber nichts daran, daß man die Probleme nicht dadurch erledigen kann, daß man sie totschweigt. Es ist gerade die vornehmste Aufgabe des Parlaments, darüber etwas zu sagen, sich auch mit den negativen Erscheinungen kritisch auseinanderzusetzen, um keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß wir und, wie wir hoffen, die ganz überwiegende Mehrheit unseres Volkes es mit dieser Auseinandersetzung wirklich ernst meinen.
    Zu diesem Volk gehören und in diesem Volk leben und arbeiten auch die Richter, die die Urteile fällen, die heute Gegenstand unserer Kritik sind. Ich sage absichtlich nicht, daß alle Richter hier ausnahmslos über einen Kamm geschoren werden sollten. Aber wenn man sich einmal die Begründung einer Vielzahl der in Frage kommenden Urteile sorgfältiger ansieht, dann muß man doch feststellen, daß die Auffassung einer verhältnismäßig großen Zahl von Richtern Anlaß zu Bedenken gibt.
    Es geht dabei — auch das möchte ich einmal klarstellen — nicht nur um die Berufsrichter; vielleicht — das wissen wir nicht — geht es genau so und in gleichem Maße um die Laienrichter: Aber einen wesentlichen Teil gerade der juristischen Ver-



    Jahn (Marburg)

    antwortung tragen die Berufsrichter. Ich möchte vor dem Versuch warnen, zu sagen, daß nur die einen oder anderen der beteiligten Richter für bestimmte Urteile verantwortlich zu machen seien.
    Um welche Urteile geht es im einzelnen? Ich möchte zunächst einiges zu einem Urteil sagen, das schon einmal, wenigstens in einer ganz kurzen Erklärung, Gegenstand der Erörterung hier im Hause gewesen ist: das Urteil, das das Schwurgericht Arnsberg vor einigen Monaten gefällt hat.
    Es ging um folgenden Sachverhalt. In der Gegend von Warstein und Arnsberg lag im März 1945 eine sogenannte Division zur Verwendung unter Führung eines SS-Obergruppenführers, die etwas mit den sogenannten Vergeltungswaffen zu tun hatte. Im Stab dieser Division wurde gelegentlich darüber gesprochen, daß die sogenannten Fremdarbeiter aus dem Ruhrgebiet auf der Flucht vor den Kriegsgeschehnissen zu einer gewissen Beunruhigung in der Bevölkerung geführt hätten. Man war der Meinung, daß es Aufgabe auch dieser Division zur Verwendung sei, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, und glaubte — das war das Entscheidende — eingreifen zu müssen. Gelegentlich einer der Unterhaltungen im Stabe der Division äußerte der verantwortliche Divisionskommandeur — eben dieser SS-General — sinngemäß, man solle das Problem in der Weise anpacken, daß man die Fremdarbeiter einfach kräftig dezimiere. Das ist nicht etwa ein ausdrücklicher Befehl, eine klare Weisung oder etwas Ähnliches gewesen, sondern im Grunde nicht viel mehr als eine Meinung, die dieser Offizier gegenüber seinen Untergebenen geäußert hat.
    Als nun in diesem Raume, in dem der Stab der Division lag, in der Tat größere Gruppen von ausländischen Arbeitern auftauchten, entschlossen sich einige Offiziere des Stabes, außerdem ein Offizier, der dieser Einheit gar nicht angehörte, sondern in Urlaub war und sich in der Nähe aufhielt, aus diesem Wort Ernst zu machen. Man ging dazu über, Exekutionskommandos zusammenzustellen und in drei aufeinanderfolgenden Nächten insgesamt 208 Fremdarbeiter, darunter eine sehr große Zahl von Frauen, darunter zwei Kinder — ein Kind im Altei von etwa 4 bis 6 Jahren —, wahllos aus der Zahl der zusammengekommenen Arbeiter herauszusuchen, zu erschießen und in Massengräbern zu verscharren. Eine konkrete Gefährdung etwa durch Plünderungen oder Ähnliches — diese Feststellung gehört noch hinzu — lag in diesem Raume überhaupt nicht vor. Ein konkreter Anlaß, irgend etwas gegen diese sogenannten Fremdarbeiter zu unternehmen, war nicht gegeben.
    Alles das ist in den tatsächlichen Feststellungen des Urteils ausdrücklich enthalten. Man verfuhr so, daß man in den Raum, in dem die sogenannten Fremdarbeiter untergebracht worden waren, zu nächtlicher Stunde hineinging und dort erklärte: Wer Arbeit haben will, soll herauskommen und sich melden. Eine entsprechende Anzahl von Leuten meldete sich. Man fuhr sie auf Lastwagen zu der Mordstätte, lud sie dort ab, stellte neben je zwei einen Mann mit einer Maschinenpistole und ließ sie dann kurzerhand erschießen. So weit der Sachverhalt.
    Nun sollte man meinen, daß man bei diesem durch viele Zeugenvernehmungen sehr sorgfältig festgestellten Sachverhalt zu einer verhältnismäßig einfachen und klaren Beurteilung der Tat kommt. Der Herr Kollege Benda hat seinerzeit — im Sommer, kurz nach der Verkündung dieses Urteils —
    dankenswerterweise hier etwas ausgesprochen, was gerade nach diesem Sachverhalt eigentlich selbstverständlich sein sollte und keiner großen juristischen Erörterungen bedürfte: daß für ihn dieses Vorgehen, diese Handlung Mord sei und Mord bleibe, auch wenn, wie es tatsächlich geschehen ist, die Richter in Arnsberg zu einem anderen Ergebnis gekommen seien.
    Tatsächlich kann bei einer nur oberflächlichen Beurteilung dieses Sachverhalts lediglich festgestellt werden, daß sowohl in der Art des Vorgehens alle Tatbestandsmerkmale der Heimtücke vorzufinden sind, als auch daß man die Arglosigkeit dieser Menschen ausgenutzt hat und daß man auch den Umständen entsprechend die Geschehnisse gar nicht anders beurteilen kann, als daß hier aus niedrigen Beweggründen gehandelt worden ist.
    Alle diese auf der Hand liegenden Erwägungen sind zwar vom Schwurgericht in Arnsberg angestellt worden, jedoch ist verneint worden, daß solche Beweggründe vorlagen. Das Schwurgericht Arnsberg meint, es könne hier lediglich die Voraussetzungen eines Totschlags feststellen, und ergeht sich in seitenlangen Begründungen darin, festzustellen, in welcher Ausnahmesituation in diesem Verfahren die Angeklagten gestanden hätten, und daß man ihnen beim besten Willen nicht vorwerfen könne, sie hätten aus niedrigen Motiven gehandelt und — nach den Bestimmungen des § 211 — einen Mord begangen.
    Das Arnsberger Gericht hat sich nicht gescheut, den Angeklagten sogar mit einer geradezu höhnischen Beurteilung der tatsächlichen Situation zugute zu halten, daß sie nicht heimtückisch gehandelt hätten; denn es führt in dem Urteil u. a. aus:
    Den Angeklagten war weiter nicht zu widerlegen, daß die Opfer mit Ausnahme des im Zeitpunkt der Bestattung noch lebenden Mädchens bei der Exekution im Langenbachtal sofort tot waren.
    Das ist nach Auffassung des Arnsberger Gerichts eine offenbar besonders milde Behandlung beim Mord.
    Das Gericht sagt weiter:
    Darüber hinaus fehlt es dem Schwurgericht an konkreten Anhaltspunkten für die Feststellung, daß die Tötungsanordnung selbst oder die bei der Tatausführung zutage getretenen Umstände einer unbarmherzigen und gefühllosen Gesinnung seitens der Angeklagten entsprungen sind.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zitate ließen sich noch vielfältig fortführen. Ja, das Gericht geht sogar so weit, daß es erklärt, im Grunde sei doch die Art und Weise der Erschießung deswegen nicht heimtückisch gewesen, weil man die Ermordeten ja auf andere Weise nicht dazu



    Jahn (Marburg)

    hätte bekommen können, sich ruhig in ihr Schicksal zu fügen.
    Von derartigen Überlegungen, von derartigen sachfremden und der Tat in keiner Weise gerecht werdenden Beurteilungen wimmelt es in diesem Urteil auf Schritt und Tritt.
    Im weiteren Verlaufe der Urteilsbegründung wird zwar dann ausführlich etwas dazu gesagt, daß die Angeklagten in diesem Falle rechtswidrig gehandelt hätten. Es wird sogar auch festgestellt, daß sie schuldhaft gehandelt hätten. Aber dann wird wieder etwas sichtbar, was sich durch das ganze Urteil hindurchzieht — eigentlich von der ersten bis zur letzten Zeile —, nämlich der ganz eindeutige Versuch, den Angeklagten alle Umstände, die man ihnen nur zugute halten kann, auch tatsächlich zugute zu halten, und zwar in einem solchen Maße, daß sie im Grunde hinterher beinahe als die Opfer erscheinen möchten. Es wird lang und breit etwas darüber ausgesagt, daß der betreffende Divisionskommandeur, jener bewußte SS-General Kammler, ein sehr jähzorniger und unbeherrschter Mensch gewesen sei und daß alle furchtbare Angst vor ihm gehabt hätten. Es wird darauf hingewiesen, daß im allgemeinen die sogenannten Fremdarbeiter eine besondere Gefahr dargestellt hätten und daß deshalb etwas gegen sie hätte unternommen werden müssen, oder die Angeklagten hätten zumindest der Meinung sein dürfen, es hätte etwas unternommen werden müssen usw.
    Im Gegensatz dazu wird allerdings der Wert des einzelnen Menschenlebens, das die Angeklagten
    vernichtet haben — der 208 Menschenleben von Männern, Frauen und Kindern, die nichts getan hatten, als daß sie als Fremdarbeiter in diesem Lande waren —, in gar keiner Weise angemessen gewürdigt.
    Wie gefährlich die Überlegungen sind, die im Hintergrund dieses Urteils bestanden haben, wird an folgendem Satz deutlich:
    Gemessen an den damaligen Zeitverhältnissen war die von den Angeklagten durch ihre Tat geoffenbarte Einstellung zum Leben anderer Menschen nicht so ungewöhnlich und einmalig, wie sie ohne Beachtung des damaligen Geschehens erscheinen müßte.
    Wenn man Derartiges liest, dann fällt es einem wirklich schwer, noch die Ruhe zu bewahren; dann fällt es einem wirklich schwer, der Justiz schlechthin zuzugestehen, daß sie unser unbedingtes Vertrauen und unsere unbedingte Zustimmung mit Recht in Anspruch nimmt.
    Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß ich hier nicht der Gefahr erliegen will, zu generalisieren. Aber ich muß doch offen gestehen: Wenn man derartige Meinungsäußerungen in Urteilsbegründungen eines deutschen Gerichts aus dem Jahre 1958 liest, dann fällt es einem mehr als schwer, ruhig zu bleiben.
    Es fällt einem noch schwerer, wenn man schließlich sieht, zu welchem Ergebnis man kommt: daß der Hauptangeklagte zu ganzen fünf Jahren Gefängnis wegen Totschlags auf Grund mildernder
    Umstände verurteilt wird. Irgendein Journalist hat ausgerechnet, das bedeute im Grunde, daß jeder einzelne Mord mit ganzen 12 Tagen Gefängnis bestraft worden sei. Sicherlich kann man eine solche „Rechnung", streng juristisch gesehen, nicht anstellen. Aber sie zeigt doch ganz deutlich auf, wo der wunde Punkt liegt. Die Achtung vor jedem einzelnen Menschenleben, die notwendige Achtung vor dem Leben auch solcher Menschen, die nicht zu diesem Volke gehören, eine Achtung, die gerade einem Gericht selbstverständlich sein sollte, hat in diesem Urteil bestimmt nicht ihren Ausdruck gefunden und hat ganz offensichtlich bei der Urteilsfindung noch nicht einmal im Hintergrund der Überlegungen gestanden.
    Das ist nicht so sehr verwunderlich, wenn man sich die Gründe des Urteils ansieht, wenn man sieht, welche Zeugen vernommen worden sind: zu einem großen Teil die Leute, die hier im Grunde fast als Mittäter in Betracht kommen, nämlich diejenigen, die sich als Angehörige des Divisionsstabes oder in anderen Funktionen im Lebensbereich der Angeklagten bewegt haben und von denen man gewiß nicht erwarten konnte, daß sie die Situation der damaligen Zeit anders darstellten als im Sinne der Angeklagten.
    Mindestens ebenso kraß wie dieses Urteil ist das, was in unzähligen Verhandlungen in jenem berühmten Brettheimer Mordprozeß zum Ausdruck gekommen ist. Dort ging es, um das noch einmal kurz zu sagen, um folgendes.
    Im April 1945—die Front war längst nicht mehr am Zusammenbrechen, sondern bereits zusammengebrochen — erschienen in dem Dorf Brettheim einige Hitlerjungen mit Panzerfäusten, offenbar in der Absicht, hier noch eine Verteidigungsfront aufzubauen. Einige beherzte und vernünftige Bürger nahmen diesen Hitlerjungen die Panzerfäuste weg, warfen sie in den nächsten Teich und jagten die Jungen davon, wobei sie einem auch noch eine kräftige und sicherlich wohlverdiente Ohrfeige verabfolgten.
    Dieser Vorfall veranlaßte den in diesem Bereich tätigen Divisionskommandeur — ebenfalls wieder ein SS-General —, sofort die seiner Meinung nach notwendigen Untersuchungen anzustellen und zunächst den einzigen der an diesem Vorfall beteiligten Bürger, den Bauern Hanselmann, verhaften zu lassen, schließlich aber auch den Bürgermeister und den Ortsgruppenleiter der NSDAP mit der Begründung verhaften zu lassen, sie hätten nicht dafür gesorgt, daß diese Tat unterblieben sei, und hinterher auch noch versucht, den Bauern Hanselmann zu begünstigen und seine Tat zu decken.
    Es fanden mehrere Verfahren statt. Das Gericht hat festgestellt und ausdrücklich erklärt, daß keines dieser Verfahren ordnungsgemäß vor sich gegangen ist. In keinem der Verfahren ist auch nur einer der beteiligten Richter vereidigt worden. In keinem der Verfahren ist auch nur einem der Angeklagten ein Verteidiger bestellt worden. In keinem Verfahren ist ein Ankläger aufgetreten oder bestellt worden. In keinem dieser Verfahren sind also die primitivsten Grundsätze eines ordnungsgemäßen

    Jahn (Marburg)

    Gerichtsverfahrens berücksichtigt worden. In jedem dieser Verfahren ist man dann zu einem Todesurteil gekommen, indem man erklärt hat, eine andere Möglichkeit als die, freizusprechen oder ein Todesurteil zu fällen, gebe es nicht. Diese Urteile sind dann von dem General Simon, dem Hauptangeklagten in diesem Prozeß, bestätigt worden, teilweise noch mit den dazugehörigen zynischen Randbemerkungen, und es ist angeordnet worden, die Angeklagten zu erhängen.
    Auch in diesem Urteil finden wir eine erschrekkende Zahl von Widersprüchen und eine erschrekkende Zahl von verwirrenden Überlegungen, von denen nur eins klar ist: daß das Gericht offenbar gar nicht in der Lage gewesen ist, sich ein objektives Bild von der damaligen Situation zu machen. Einerseits wird festgestellt, und zwar ziemlich zu Beginn des Urteils, das übrigens ¡in dieser Richtung, also hinsichtlich kriegsgeschichtlicher Feststellungen, schier unerschöpflich ist:
    Auch demjenigen, der die Aussichtslosigkeit des 1939 verbrecherischerweise begonnenen Krieges lange Zeit nicht erkannt hatte, blieb nicht verborgen, daß dieser Krieg nun sinnlos geworden und verloren war.
    Gleichwohl wird aber an anderer Stelle später gesagt, als es darum ging, zu bewerten, was eigentlich diese Hitlerjungen mit ihren Panzerfäusten wollten:
    Die militärische Bedeutung dieser Kräfte ergibt sich rückschauend aus der Tatsache, daß es mit ihrer Hilfe gelang, innerhalb von zehn Tagen 300 gepanzerte Fahrzeuge und Panzer zu vernichten sowie die 10. amerikanische Panzerdivision durch die Unterbindung des Nachschubs zum Rückzug zu zwingen.
    Einerseits wird also zugestanden, daß der Krieg verloren war und seine Fortsetzung einfach sinnlos, andererseits wird aber davon gesprochen, daß einige mit Panzerfäusten ausgerüstete Hitlerjungen noch militärisch bedeutsame Kräfte gewesen seien.
    Dieser Widerspruch ist einer von vielen; er ist besonders typisch und läßt etwas anderes an diesem Verfahren sichtbar werden, nämlich, daß man sich zur Beurteilung der Situation und damit schon beginnend zur Rechtfertigung der Angeklagten auf das Zeugnis von Leuten stützt, die nun in gar keiner Weise geeignet und in der Lage sind, Objektives über die damalige Situation zu sagen. Da wird in diesem Verfahren der ehemalige Feldmarschall Kesselring als Zeuge darüber gehört, wie die militärische Situation damals gewesen sei und ob vom Militärischen her der Einsatz solcher Kräfte wie dieser Hitlerjungen sinnvoll gewesen sei; und kein Richter kommt offenbar ¡auf den Gedanken, einmal die Frage zu stellen, ob dieser Zeuge nun wirklich der geeignete Mann ist, darüber ein gültiges Urteil abzugeben. Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir wirklich nur schlecht vorstellen, daß irgendeiner der beteiligten Richter oder Geschworenen etwa erwartet hat, daß der Herr Kesselring heute etwa schon zu der Einsicht gelangt wäre,
    seine damalige militärische Tätigkeit sei sinnlos gewesen und er habe neben manchem anderen auch hier eine Reihe grober Fehler gemacht. Das konnte doch im Ernst niemand erwarten, und man muß sich fragen: Welchen Sinn sollte es eigentlich haben, einen solchen Mann hier als Zeugen vor das Gericht zu holen? Das kann nur den Sinn gehabt haben, von vornherein es darauf anzulegen, die Situation in einer ganz bestimmten Richtung zu klären

    (Zustimmung bei der SPD)

    und nicht den ernsthaften Versuch zu machen, objektive Feststellungen zu treffen. Und nicht nur der Herr Kesselring, sondern eine ganze Reihe anderer Leute aus seinem Stabe werden dann natürlich auch folgerichtig dazu herangeholt, um etwas darüber zu sagen, daß jener General Simon, der Hauptangeklagte dieses Prozesses, im Grunde ja nur ein braver Haudegen gewesen sei, der seine Pflicht getan habe, der sogar auch schon einmal ein freisprechendes Urteil bestätigt habe und der es also gar nicht so böse gemeint haben könne.
    Wenn man sich alle diese Dinge einmal ansieht, wenn man diese wunden Punkte des Urteils einmal nacheinander und etwas zusammenhängender darstellt, als sie im Urteil selber sichtbar sind, dann kann man sich fast nicht mehr darüber wundern, daß zum Schluß solche Urteile wie hier herauskommen, wo man den Angeklagten zubilligt, sie seien irrtümlich der Meinung gewesen — und hätten es auf Grund der damaligen Situation sein können —, daß sie zu ihrem Verhalten befugt gewesen seien, wo man ihnen alle möglichen Rechtfertigungs-
    und Entschuldigungsgründe zubilligt und schließlich sagt: Genau festzustellen ist es jedenfalls nicht, ob sie in diesem Zusammenhang eigentlich gewußt haben, wie falsch, wie rechtsbrecherisch sie sich verhielten; deshalb müssen sie freigesprochen werden.
    In diesem Zusammenhang scheint es mir notwendig zu sein, auch noch einmal ein besonderes Wort zu der Frage zu sagen, inwieweit hier etwa mit Recht und mit gutem Grunde unsere Berufsrichter schlechthin von dieser Kritik ausgenommen werden könnten. Dieses Urteil des Schwurgerichts Nürnberg, das letzte Urteil in einer langen Kette von Verfahren in dieser Sache, stützt sich wesentlich auf ein zuvor ergangenes Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes. In diesem Urteil hat sich der Bundesgerichtshof, also unser oberstes Strafgericht, merkwürdigerweise dazu verleiten lassen — anders kann man es wirklich nicht mehr bezeichnen —, folgenden Satz in die Urteilsgründe hineinzuschreiben und damit sozusagen zur Richtschnur für die Urteilsfindung des Schwurgerichts zu machen. Es heißt in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1956:
    Die Sinnlosigkeit einer Fortsetzung des Krieges auf deutscher Seite schloß denkgesetzlich nicht die Feststellung aus, daß Hanselmann durch seine Tat mindestens mit bedingtem Vorsatz den Wehrwillen des deutschen Volkes zu zersetzen suchte und die Schlagkraft der deutschen Wehrmacht gefährdete.
    3074 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959
    Jahn (Marburg)

    Meine Damen und Herren, das sagt unser oberstes Bundesgericht in Strafsachen zur Beurteilung eines solchen Falles!

    (Abg. Wehner: Hört! Hört!)

    Da fragt man sich doch mit Fug und Recht, ob es im Grunde nicht eigentlich heißen muß: Der Ermordete ist selber daran schuld. Warum hat er auch Wehrkraftzersetzung begangen?! Er hätte ja die armen Hitlerjungen in Ruhe lassen können; dann wäre ihm eben nichts geschehen. — So hat es sinngemäß übrigens schon seinerzeit in dem ersten Schwurgerichtsurteil unter dem Vorsitz des Uraltparteigenossen Schmidt geheißen.
    Ich darf an dieser Stelle nur auf das verweisen, was Herr Kollege Dr. Arndt vorhin schon einmal gesagt hat. In dieser verhängnisvollen Zusammenbruchssituation waren die einzigen Männer, die in diesem ganzen schaurigen Spiel vernünftig gehandelt haben, der Bauer Hanselman, sein Bürgermeister und sein Ortsgruppenleiter, die nichts anderes im Sinne hatten, als der Bevölkerung ihres Dorfes zu helfen, dieses Dorf vor der sinnlosen Zerstörung zu bewahren und das zu tun, was einem der gesunde Menschenverstand gebietet.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Man muß sich doch fragen, was wohl die Bürger dieses Dorfes und was die Hinterbliebenen dieser Männer heute sagen und was sie von unserem Staat und seiner ernsten Bereitschaft sowie der Bereitschaft seiner Justiz denken müssen, ein sauberes, ein klares, ein eindeutiges Verhältnis zur Vergangenheit zu finden.
    Diese gleichartige Tendenz in der rechtsprechenden Beurteilung der damaligen Situation wird auch in einem weiteren Urteil des Schwurgerichts in Traunstein sichtbar, in dem es um die Verhaltensweise des damaligen Generals T o 1 s d o r f f ging. Ich will nicht auf alle Einzelheiten dieses Urteils in aller Ausführlichkeit eingehen. Aber auch hier stellen wir wieder fest: Zunächst einmal kommt das Gericht auf Grund tatsächlicher Feststellungen in der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, der Angeklagte in diesem Verfahren — in diesem Verfahren übrigens deshalb besonders, weil er im Auftrage seines Heeresgruppenchefs ausdrücklich noch ins Führerhauptquartier entsandt war, um als bewährter Frontoffizier darzutun, wie verhängnisvoll die Kriegslage geworden war — habe genau gewußt, daß der Krieg längst verloren und daß jeder Widerstand im Grunde sinnlos war. Aber da wird dann im gleichen Atemzuge bedenkenlos, kritiklos und ohne jeden Vorbehalt auch in das Urteil und damit schon wieder zur Rechtfertigung des Angeklagten jene These des auch hier wieder als Zeuge auftretenden Herrn Kesselring übernommen, es sei in der damaligen Situation notwendig gewesen, die Front im Westen zu halten, um möglichst vielen Soldaten noch die Flucht aus dem Osten zu ermöglichen.
    In diesem Falle ging es dann darum, daß der Stab dieses Generals in einem Ort vorübergehend, für wenige Stunden Quartier bezogen hatte; am nächsten Morgen rückte man schon wieder ab, weil die
    Feindtruppen in allzu große Nähe gerückt waren. In diesem Ort war ein beurlaubter Hauptmann, der einen schon längere Zeit bestehenden Plan verwirklichen wollte, nämlich am Ortseingang ein RotKreuz-Schild aufzustellen. Er tat das in der Nähe einer Flakstellung. Der Offizier dieser Flakstellung trat das Schild um und veranlaßte, daß dieser Hauptmann Holzhey sofort verhaftet wurde. Dann spielte sich folgendes ab. Unter Gegenüberstellung mit einem möglicherweise noch in Betracht kommenden Täter wurde also festgestellt, daß dieser Hauptmann Holzhey der Verantwortliche sei, und nachdem das feststand, brüllte dieser General, der gar nicht etwa erwogen hatte, ein ordnungsgemäßes Verfahren hier ablaufen zu lassen, 20 bis 30 Minuten — wie man so zu sagen pflegt, ohne die Luft anzuhalten — diesen sogenannten Angeklagten an. Der konnte sich in der Sache selber gar nicht äußern, und es mutet merkwürdig an, wenn dann an mehreren Stellen des Urteils gesagt wird, er hätte ja Gelegenheit gehabt, dann, wenn der General einmal mit seinen Beschimpfungen ausgesetzt hätte, etwas zu sagen.

    (Heiterkeit.)

    Das wird in dem Urteil — meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nicht darüber zu lachen — sehr ernsthaft als die Gewährung rechtlichen Gehörs bezeichnet. Wenn aber ein Gericht bereit ist, solche Feststellungen allein auf Grund der Angaben derjenigen zu treffen, die in diesem Verfahren neben Herrn Kesselring und anderen als Zeugen aufgetreten sind, nämlich derjenigen, die seinerzeit im Stabe des Generals dabei gewesen sind, die seinerzeit bei dieser sogenannten Verhandlung anwesend waren und die meiner Ansicht nach eher als Mittäter mit auf die Anklagebank denn als Zeugen in den Zeugenstand gehörten, wenn man sich auf Grund der Aussage solcher Leute seine Meinung bildet, kann wohl nichts Vernünftiges dabei herauskommen. Ich möchte, weil dieser Fall in mancher Beziehung hinsichtlich seiner endgültigen rechtlichen Bewertung etwas eigenartig liegt, zu der schließlich vom Gericht gefällten Entscheidung hier nichts sagen. Das ändert aber nichts daran, daß das, was im übrigen in den Urteilsgründen steht — die Art und Weise, in der man diese Entscheidung aufbaut —, wirklich keinen Anspruch darauf erheben kann, einen Beitrag dazu zu leisten, daß man Vertrauen in diese Art von Rechtsprechung und Vertrauen in diese Art der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit haben kann, und ich möchte mit dem Leitartikel einer großen süddeutschen Tageszeitung hier sagen: Um das verkraften zu können, dazu bedarf es schon einer gehörigen Portion Galgenhumors, um nicht zu sagen: eines regelrechten Fleischerhakenhumors.
    Es geht schließlich nicht an, meine Damen und Herren, daß man in all diesen Urteilen ausschließlich davon ausgeht, die damalige Situation zu würdigen, daß man sich darauf beschränkt, die Taten der Angeklagten zu relativieren, indem man sagt, daß unter den damaligen Umständen diese Taten als rechtmäßig aufgefaßt werden konnten. Wenn man sich auf eine, wie ich meine, so schiefe Ebene



    Jahn (Marburg)

    begibt, dann stellt man letzten Endes alle eigentlich selbstverständlichen Grundsätze unserer Rechtsstaatlichkeit in Frage. Wenn man solche relativen Werte für die Beurteilung derartiger Handlungen einführt, dann fragt man sich: Wie mag, wenn eine solche Situation — was niemals geschehen möge, aber doch noch einmal sein kann — wieder eintritt, derjenige, der in sie hineingerät, klar wissen, was er tun kann und was er nicht tun darf? In dieser Weise der Auseinandersetzung, in dieser Art der Rechtsfindung wird dazu sicherlich kein Beitrag geleistet. Man beschränkt sich darauf, mit formaljuristischer positivistischer Manier sehr sorgfältig, sehr fleißig an die Beurteilung der Tatbestände heranzugehen; aber den eigentlichen, auch politischen Gehalt solcher Taten übersehen diese Richter; ich lasse zunächst offen, ob bewußt oder unbewußt; jedenfalls geflissentlich.
    Dies wird auch sehr deutlich in der Auseinandersetzung über das Urteil in der Versorgungssache Heydrich. Meine Damen und Herren, das, was der Herr Bundesjustizminister hier zur Sache gesagt hat, war — gerade hier hätte er einen etwas erfreulicheren Beitrag zur Debatte leisten können — nicht gerade ergiebig oder gar befriedigend. Das Gericht hat sich im Grunde darauf beschränkt, das zu übernehmen, was seinerzeit von der Geheimen Staatspolizei und von den Kriminalbeamten, die von deutscher Seite beauftragt waren, die Hintergründe des Attentats auf Heydrich zu ermitteln, festgestellt worden ist. Das Gericht hat sich im Grunde also völlig unkritisch, wenn auch in sehr fleißiger Materialsammlung, die damalige offizielle Legende der Gestapo zu eigen gemacht und seiner Entscheidung zugrunde gelegt, es habe sich um eine Maßnahme gehandelt, die von tschechischen Emigranten von England her mit Unterstützung der englischen Regierung gegen den kriegführenden deutschen Staat als Kriegshandlung gedacht gewesen sei. Das ist eine Konstruktion, die zunächst recht annehmbar klingt, die aber die tatsächliche Situation völlig außer acht läßt: ganz gleich, ob das Attentat aus den Kreisen derjenigen kam, die in der Tschechoslowakei verblieben waren, oder aus den Kreisen der Emigranten, es war nichts anderes als ein echter Tyrannenmord der Mord am Unterdrücker, an demjenigen, der das Symbol, die Personifizierung des Unrechts war, das man diesem Volk angetan hatte. Nur so und in keiner anderen Weise konnte diese Handlung und konnte auch der Tod Heydrichs beurteilt werden. Jede andere, positivistische Auseinandersetzung mit dieser Frage mußte natürlich — so kann man fast schon sagen — schiefgehen.
    Ich möchte mich einer eigenen Wertung des weiteren enthalten und mich darauf beschränken, zu zitieren, was in der Zeitschrift „Die Gegenwart" zu diesem Urteil, wie ich glaube, sehr treffend gesagt worden ist:
    Die Richter haben einfach den Robotermechanismus des unpersönlichen Rechts eingestellt und dann das Ergebnis abgelesen, zu dem sie keine menschliche Beziehung haben und das sie nahezu kalt und gleichgültig, weder lobend noch tadelnd, hinnehmen. Ein Politikum ersten
    Ranges von höchster Bedeutung und ein moralisches Problem der menschlichen und geschichtlichen Verantwortung der Deutschen wurde derart durch Kategorien eines formalen Rechts entschieden, die gegen alle Regungen des Gewissens und des Herzens unempfindlich sind und die als kalte maschinenhafte Formel des Buchstabenrechts nicht nach Gerechtigkeit, Rechtlichkeit und politischer Verantwortung fragen.
    Diesem Urteil steht ein anderes Urteil gegenüber, in dem ebenfalls in einer Versorgungsache den Kindern eines im Kriege umgekommenen Offiziers — Vollwaisen — die Rente deshalb versagt wird, weil man glaubt feststellen zu können, daß dieser Offizier, der abfällige Äußerungen über die nationalsozialistische Regierung gemacht hatte und von einem Kameraden daraufhin erschossen wurde, nicht Opfer einer Kriegshandlung geworden ist. Der Vergleich hinkt etwas, weil es in diesem Fall nach dem Instanzenzug nicht gegangen wäre; trotzdem reizt gerade die Gegenüberstellung dieser beiden so gegensätzlichen Entscheidungen doch noch einmal zu der Frage, ob der Herr Bundesjustizminister ernsthaft der Meinung ist, daß ein oberstes Bundesgericht so sehr entbehrlich ist, wie er es hier dargetan hat.
    In diesen makabren Reigen von richterlichen Entscheidungen gehört letztlich auch eine Auseinandersetzung mit der Behandlung des Falles Lautz. Hier hat man lange Jahre hindurch immer wieder so getan, als existiere in unserer Geschichte weder ein Volksgerichtshof noch ein Oberreichsanwalt an diesem Volksgerichtshof namens Lautz. Schließlich hat es immerhin sieben Jahre gedauert, bis der Herr Bundesminister des Innern das Verfahren mit den notwendigen Konsequenzen gegen diesen Mann eingeleitet hat. Es hat doch — ich will nicht all die Dinge wiederholen, die hier weitgehend bekannt sind — unzähliger Vorstöße aus diesem Hause bedurft, um überhaupt erst einmal zu veranlassen, daß diesem Herrn Lautz nicht die volle Pension weiter ausgezahlt wird, die er lange Zeit in Höhe von vielen zehntausend Mark in Anspruch genommen hat, und zu veranlassen, daß überhaupt ein Verfahren gegen ihn in Gang kommt. Das ist geschehen, das konnte geschehen, obwohl nicht nur jeder politisch denkende Mensch wußte, wissen konnte und wissen mußte, was es mit dem Volksgerichtshof auf sich hatte, sondern schließlich auch der Bundesgerichtshof schon im Jahre 1956 einmal ganz unmißverständlich über die Rechtsprechung des Volksgerichtshofs gesagt hat: „Er ist nur eine Ausnützung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung". Einen der Hauptverantwortlichen an diesen widerrechtlichen Tötungen, eben diesen Oberreichsanwalt Lautz, ließ man lange Jahre hindurch mit dem Geld der Steuerzahler dieser Demokratie ungeschoren herumlaufen.
    Man hört heute aus dem Munde des Herrn Bundesjustizministers, daß die bisherigen Ermittlungen im Grunde noch nicht so sehr viel ergeben hätten, daß diese Ermittlungen außerordentlich schwierig seien und man noch gar nicht sagen könne, wie



    Jahn (Marburg)

    sie weiter verlaufen würden. Meine Damen und Herren, wenn es in unserer Nachkriegsentwicklung einen Fall gibt, in dem Zweifel nicht möglich sein können und in dem die — ich will einmal unterstellen: auch nur bescheidenen — Unterlagen, die vorhanden sind, schon lange und reichlich genügen, um hier in aller Deutlichkeit zu einem Ergebnis zu kommen, dann ist es doch wohl der Fall Lautz. Und ich muß gestehen: Auch hier bleibt es im Grunde unfaßbar, daß es bei einem solch evidenten Fall notwendig ist, die Entscheidung einer disziplinargerichtlichen Instanz anzugreifen, daß auch hier offenbar Richter sitzen, für die es noch ein Problem sein kann, wie man diesen Herrn Lautz in unserem Staate zu behandeln hat.
    Hier ist einiges nicht in Ordnung, und es gehört eigentlich zur Vollständigkeit einer Kritik an dieser Rechtsprechung, daß man sich Gedanken macht darüber, ob das so ganz von ungefähr kommt und ob es genügt, in diesem Zusammenhang zu beklagen, daß wir in unserem Volke offenbar bisher noch nicht den Mut und den Weg gefunden hätten, in ein richtiges Verhältnis zu unserer geschichtlichen Vergangenheit zu kommen. Dieser Versuch, eine Antwort zu finden, reicht sicherlich nicht aus. Ich glaube vielmehr, meine Damen und Herren, daß hier auch noch Erscheinungen in der Entwicklung unseres demokratischen Lebens in den letzten Jahren ihren, wenn auch nur mittelbaren, Einfluß ausüben, die ein Mitglied dieses Hohen Hauses in so trefflicher Weise wie folgt charakterisiert hat:
    Man will, daß im Tone unseres politischen Lebens das Patzige, Arrogante, Unverschämte wieder Oberwasser bekommt. Sie wollen die Juden, die Zigeuner, die Fremden, die Demokraten und die humanen Leute wieder offen verachten und beleidigen dürfen. Sie wollen die Wiedergutmachung vom Tische wischen. Sie wollen die Widerstandsleute und Naziverfolgten in die zweite Klasse des Soldatenstandes versetzen. Sie wollen den Bundestag wieder als eine Quasselbude geringschätzen dürfen. Sie wollen, daß der Abgeordnete vor dem Ministerialrat und vor dem Oberleutnant strammsteht und daß er von den Herren, die in den Ämtern die Personalpolitik und die Gesetzentwürfe machen, überfahren wird. Sie wollen den berühmten Strich unter die Vergangenheit ziehen. Sie wollen, daß die Leute wieder kuschen, die in der Hitlerzeit haben kuschen müssen. Sie wollen haben, daß der heutige Staat jeden Zusammenhang mit dem Dritten Reich ablehnt. Aber sie wollen, daß dieser Staat ein patziger Staat ist, ein Staat, in dem die Leute genauso denken, wie sie gedacht haben, bevor Hitler beschloß, ein Politiker zu werden und sich dieses patzige Denken zunutze zu machen.
    Der verehrte Herr Kollege Professor Dr. Böhm, der in der Nummer Mai/Juni 1958 des Organs der Widerstandskämpfer- und Verfolgtenverbände „Freiheit und Recht" diese Sätze niedergeschrieben hat, hat damit an ein sehr wesentliches Thema gerührt, über das wir auch in diesem Zusammenhang nicht hinweggehen können. Diese Gesinnung, die hier charakterisiert worden ist, tritt doch nicht zufällig und gelegentlich auf, sondern sie wird immer wieder und deutlich sichtbar, insbesondere auch im Verhalten einer nicht unwesentlichen Zahl von Mitgliedern unserer Bundesregierung.
    Zu dieser patzigen Auffassung von unserer Demokratie und ihren Verpflichtungen gehört in meinen Augen, daß es möglich ist, einen Mann wie Herrn Globke in eine verantwortliche Position in dieser Regierung zu berufen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zu dieser patzigen Gesinnung gehört aber weiter, daß heute die Möglichkeit besteht, nahezu unangefochten in unserem Staate öffentlich die Forderung zu erheben, daß wir wieder eine geheime Staatspolizei mit allen exekutiven Vollmachten bekämen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Zu dieser patzigen Gesinnung gehört schließlich auch die Aufforderung eines verantwortlichen Ministers in dieser Regierung, der seinen politischen Gegnern empfiehlt, wenn es ihnen in dieser Demokratie nicht passe, in die Ostzone oder sonstwohin zu gehen; für sie sei hier jedenfalls kein Platz.
    Nur aus dieser Haltung und aus dieser Gesinnung ist es verständlich, daß viele Leute, die sich in verantwortlicher Position, sei es als Berufs-, sei es als Laienrichter, mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen haben, es sich allzu leicht machen und glauben, in der Form der Behandlung, die ich im einzelnen geschildert habe, dem Recht Genüge zu tun.
    Es ist notwendig, hier ein ernstes Wort zu sagen, das zu einer grundsätzlichen Änderung der Haltung sehr vieler auffordert, die es angeht, nicht zuletzt — und ich möchte sie ausdrücklich nicht ausnehmen — auch der Richter, die sich das ins Stammbuch schreiben lassen müssen. Niemand fordert — ich möchte da nicht falsch verstanden sein — eine politische Justiz, eine Justiz, die unter politischen Gesichtspunkten urteilt und Recht spricht. Aber es ist eine selbstverständliche Forderung, daß unsere Justiz sich ihrer gesamtpolitischen Verantwortung bewußt ist,

    (Beifall bei der SPD)

    daß auch unsere Richter nicht ein Dasein außerhalb des politischen Lebens unseres Volkes führen, sondern daß sie im vollen Bewußtsein auch ihrer eigenen politischen Verantwortung Recht sprechen und ihren Beitrag dazu leisten, daß diese Demokratie gut gegründet wird, daß sie ein festes Fundament erhält und daß sie Bestand hat, daß diese Demokratie sich ihres Wertes bewußt ist und sich nicht durch manche ihrer Urteile und Richter zum Gespött ihrer Feinde machen läßt.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Schäffer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst



    Bundesjustizminister Schäffer
    ganz kurz zu Ausführungen des Herrn Vorredners Stellung nehmen, der einige Pfeile gegen mich ab- 1 geschossen hat. Er kritisierte die Art und Weise meines Vortrags. Ich darf ihn doch daran erinnern, daß derjenige, der eine Interpellation und Fragen zu beantworten hat, sich letzten Endes an die Fragestellung und vielleicht auch an das Beispiel dessen zu halten hat, der die gestellten Fragen zunächst begründet hat.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Nachdem Herr Kollege Arndt sehr sachlich und ruhig gesprochen hat, kann, glaube ich, dem Bundesminister der Justiz kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er in der Antwort genauso sachlich und genauso ruhig sein wollte wie derjenige,

    (Lachen bei der SPD) der diese Interpellation begründet hat.

    Damit diese Sachlichkeit und Ruhe verlorengeht, hat dann der Herr Vorredner versucht, seine Rede mit dem Abschießen persönlicher giftiger Pfeile zu beginnen,

    (Oho-Rufe bei der SPD)

    und er schoß auf mich einen Pfeil wegen meiner Stellungnahme in der Frage der Wiedergutmachung ab. Es hat mit dem heutigen Thema nichts zu tun, aber ich darf ihn darin erinnern, daß das Wiedergutmachungsgesetz in diesem Hause zustande gekommen ist, als ich als Minister der Finanzen dafür verantwortlich gezeichnet habe. Bekanntlich hat das Haus all dem, was der Bundesfinanzminister in den Beratungen vorgeschlagen hat, einstimmig von rechts und links zugestimmt. Ich glaube also, daß gegen den Bundesfinanzminister hinsichtlich dieses Gesetzes irgendein Vorwurf in Richtung von Judenfeindlichkeit oder irgend so etwas bestimmt nicht erhoben werden kann.

    (Zurufe von der SPD.)

    Auch daß Sie von Brandreden sprachen, ist falsch, mein lieber Herr Vorredner! Es. hat sich nicht um Brandreden gehandelt, sondern um einen im vertraulichen Kreis erstatteten Bericht über die voraussichtlichen finanziellen Aufwendungen, den ich abgegeben und den ich mit den verantwortlichen Organisationen der Juden besprochen habe. Diese verantwortlichen Organisationen haben meine Außerung in die „Allgemeine Zeitung der Juden" übernommen und sich dabei für meine Argumentation ausgesprochen. Ich bin gedeckt durch den Anstand der Juden. Wie sich andere in dieser Frage verhalten, ist mir gleichgültig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nun im einzelnen zu den Fragen Arnsberg, Ansbach und Traunstein. Ich darf den Herrn Vorredner und muß auch das Hohe Haus darauf hinweisen, daß die Staatsanwaltschaft in allen diesen drei Fragen ihre Pflicht getan hat. In allen drei Fragen handelt es sich um Urteile der Schwurgerichte, bei denen der Staatsanwalt von allen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat. Wenn schon eine Rüge erteilt wird, müßte sie sich nicht gegen die Gerichtsbarkeit als solche, sondern gegen das System der
    Schwurgerichte richten. Ich bedaure manche dieser Urteile, habe aber als Bundesminister der Justiz nach meinem Dafürhalten nicht die Möglichkeit, zu den einzelnen Verfahren Stellung zu nehmen, solange noch Rechtsmittel laufen und die Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Das verbietet schon der Takt. Ich kann zu dem Verfahren beim Schwurgericht Ansbach also nur feststellen, daß die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt hat und eine rechtskräftige Entscheidung daher meines Wissens bis heute noch nicht vorliegt.
    Ebenso ist es im Falle des Schwurgerichts Arnsberg. Ich darf darauf hinweisen, daß es sich um ein Urteil eines Schwurgerichts handelt. Es kann der Fall vorgekommen sein — und wie ich nach Presseberichten annehme, ist die Möglichkeit gerade in diesem Fall ernsthaft gegeben —, daß die Geschworenen denjenigen, der das Urteil begründen mußte, überstimmt hatten. Aber auch in diesem Fall ist das Urteil nicht rechtskräftig.
    Jedenfalls handelt es sich in allen Fällen um Urteile der Schwurgerichte. Man sollte sich also bei der Kritik an Urteilen, in denen die Mehrheit der Geschworenen entscheidet, bewußt sein, daß damit ein Urteil über die Qualität, die Güte und die Bewährung des deutschen Richterstandes sicherlich nicht gegeben ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)