Rede:
ID0304501800

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3045

  • date_rangeDatum: 16. Oktober 1958

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    Deutscher Bundestag 45. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Wolff (Denzlingen) . .. 2515 A Zur Tagesordnung Rösing (CDU/CSU) . . . . . . . 2515 C Vizepräsident Dr. Becker . . . . . 2515 C Entwurf eines Deutschen Richtergesetzes (Drucksache 516) — Erste Beratung — Memmel (CDU/CSU) . . . . . 2515 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . . 2516 D Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung umsatzsteuerrechtlicher Vorschriften (Drucksache 455) — Erste Beratung — . 2517 A Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkommen Nr. 97 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 1. Juli 1949 über Wanderarbeiter (Neufassung 1949) (Drucksache 512) — Erste Beratung — . . . . 2517 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Vierten Zusatzabkommen vom 1. November 1957 zum Zollvertrag mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Drucksache 524) —Erste Beratung — 2517 B Entwurf eines Gesetzes zu den Protokollen vom 14. Juni 1954 über Änderungen des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt (Drucksache 527) — Erste Beratung — . . . . 2517 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. Januar 1958 über Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen mit dein Königreich Belgien (Drucksache 534) — Erste Beratung . . . . . . . . . 2517 C Entwurf eines Gesetzes über das Europäische Währungsabkommen vom 5. August 1955 (Drucksache 541) — Erste Beratung — 2517 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 9. September 1957 zum Abkommen vom 15. Juli 1931 mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern (Drucksache 543) — Erste Beratung — . . . . . . . . 2517 D Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (CDU/ CSU) (Drucksache 515) -- Erste Beratung -- 2518 A Achtzehnte Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 523) 2518 A Entschließungen der 46. Konferenz der Interparlamentarischen Union (Drucksache 124); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 507) . . . . . . . . 2518 B Bericht des Bundesrechnungshofs über die Prüfung der Bilanzen und des Geschäftsbetriebs der Verwertungsstelle der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein für die Geschäftsjahre 1954/55 und 1955/56 (Drucksache 535) 2518 C Antrag der Abg. Dr. Kopf, Metzger u. Gen betr. Vereinfachung der Grenzformalitäten (Drucksache 519) . . . . . . . 2518 C Entwurf einer Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Drucksache 382) Dr. Deist (SPD) . . . . . . . . 2518 D Entwurf einer Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Festlegung der Einzelheiten für die Anforderung und Überweisung der Finanzbeiträge sowie für die Haushaltsregelung und die Verwaltung des Entwicklungsfonds für die überseeischen Länder und Hoheitsgebiete (Drucksache 540) Schoettle (SPD) . . . . . . . . 2519 B Große Anfrage der Fraktion der FDP. betr. Maßnahmen im Zuge der wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes (Drucksache 429), Antrag der Fraktion der DP betr. wirtschaftliche Rückgliederung des Saarlandes an die Bundesrepublik (Drucksache 58) Dr. Atzenroth (FDP) 2519 C Schneider (Bremerhaven) (DP) 2521 C, 2538 A Dr. Westrick, Staatssekretär . . . . 2523 B Dr. Fritz (Ludwigshafen) (CDU/CSU) 2526 C Dr. Mommer (SPD) . 2531 D, 2537 A, 2547 C Dr. von Brentano, Bundesminister . . 2535 D Dr. Becker (Hersfeld) 2537 B Conrad (SPD) . . . . . . 2538 B, 2545 C . Dr. Hellwig (CDU/CSU) 2543 D Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Geschäftsraummietengesetzes (Einführung im Land Berlin) (Abgg. Huth, Stiller, Dr. Preusker u. Gen.) (Drucksache 513) -- Erste Beratung — Stiller (CDU/CSU) 2548 D Frau Berger-Heise (SPD) 2549 B Dr. Will (FDP) . . . . . . . 2551 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 2552 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (Abgg. Dr. Kreyssig, Seuffert, Marx, Folger u. Gen.) (Drucksache 511) — Erste Beratung — Folger (SPD) . . . . . . . . 2553 A Brück (CDU/CSU) 2553 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . 2554 C Anlagen 2555 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1958 2515 45. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 31. 10. Altmaier* 19. 10. Dr. Baade 30. 10. Bauer (Würzburg)* 19. 10. Dr. Becker (Hersfeld)* 19. 10. Berkhan 30. 10. Birkelbach* 19. 10. Fürst von Bismarck 17. 10. Blachstein 18. 10. Dr. Böhm 2. 11. Frau Brauksiepe 17. 10. Burgemeister 17. 10. Frau Diemer-Nicolaus 24. 10. Frau Döhring (Stuttgart) 18. 10. Döring (Düsseldorf) 16. 10. Dowidat 18. 10. Eilers (Oldenburg) 17. 10. Engelbrecht-Greve 4. 11. Even (Köln)* 19. 10. Frehsee 5. 11. Frau Friese-Korn 16. 10. Dr. Furler* 19. 10. Geritzmann 17. 10. Gerns* 19. 10. Frau Geisendörfer 18. 10. Giencke 25. 10. Dr. Gülich 18. 10. Hahn 17. 10. Frau Herklotz 23. 10. Heye* 19. 10. Hilbert 17. 10. Dr. Höck (Salzgitter) 16. 10. Höfler' 19. 10. Frau Dr. Hubert* 19. 10. Illerhaus 17. 10. Jacobs* 19. 10. Jahn (Frankfurt) 31. 12. Kalbitzer 25. 10. Kiesinger* 19. 10. Frau Kipp-Kaule 17. 10. Knobloch 17. 10. Dr. Kopf* 19. 10. Dr. Königswarter 17. 10. Frau Dr. Kuchtner 17. 10. Kühlthau 16. 10. Kühn (Köln)* 19. 10. Lenz (Trossingen) 9. 11. Dr. Leverkuehn* 19. 10. Dr. Löhr 17. 10. Lücker (München)* 19. 10. Maier (Freiburg) 22. 11. Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Baron Manteuffel-Szoege 30. 11. Frau Dr. Maxsein` 19. 10. Dr. Menzel 16. 10. Metzger* 19. 10. Müller (Worms) 17. 10. Neuburger 17. 10. Niederalt 10. 11. Ollenhauer 17. 10. Paul* 19. 10. Dr. Preusker 17. 10. Rasner 28. 10. Frau Dr. Rehling* 19. 10. Rehs 22. 10. Reitzner 31. 12. Scheel 4. 11. Dr. Schmid (Frankfurt)* 19. 10. Frau Schmitt (Fulda) 17. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 1. 11. Schütz (München)* 19. 10. Dr.-Ing. Seebohm 17. 10. Seidl (Dorfen)* 19. 10. Dr. Serres* 19. 10. Spitzmüller 30. 10. Dr. Stammberger 18. 10. Dr. Starke 17. 10. Dr. Steinmetz 10. 11. Stenger 17. 10. Dr. Stoltenberg 10. 11. Dr. Vogel 10. 11. Wagner 17. 10. Dr. Wahl* 19. 10. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)' 19. 10. Wehner 17. 10. Dr. Zimmer* 19. 10. b) Urlaubsanträge Schmidt (Hamburg) 15. 11. Anlage 2 Umdruck 168 Antrag der Fraktion der DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Maßnahmen im Zuge der wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes (Drucksache 429) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bis zum 31. Mai 1959 dem Bundestag einen Bericht über die zu treffenden wirtschaftlichen Maßnahmen für die Eingliederung der Saarwirtschaft in die Wirtschaft der Bundesrepublik zu erstatten. Bonn, den 16. Oktober 1958 Schneider (Bremerhaven) und Fraktion für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Fritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Atzenroth hat in der Begründung des FDP-Antrags einen Satz gebracht, mit dem ich beginnen will. Er sagte: Erfreulicherweise ist die sogenannte Saarfrage zunehmend aus dem Bereich nationaler Emotion in die Sphäre wirtschaftlich-praktischer Vernunft übergegangen. Ich kann nur sagen, sein Beitrag zu dieser Debatte ließ diese sachliche Atmospähre verspüren. Deshalb möchte ich mich ebenfalls um eine nüchterne, sachliche Würdigung bemühen.
    In der Würdigung des Saarproblems, vielleicht nicht immer in der Lösung, herrscht wohl auch hier im Hause eine weitgehende Übereinstimmung. Schließlich wird die Saarpolitik von der Bundesregierung und von der Regierung des Saarlandes getragen, in welcher SPD, DPS und CDU eine Koalition sind.
    An der Saar hört man nun immer wieder, die Saar sei ein Probefall für die Verwirklichung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und sie sei ein Testfall für die Wiedervereinigung Deutschlands. Wir lernen aus der Saarangliederung und wir sehen, wie schwierig es ist, ein bestimmtes Gebiet aus einer Volkswirtschaft herauszulösen und in eine andere Wirtschaft einzugliedern.
    Die französische Wirtschaft ist von der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland durchaus verschieden. Sie vollzieht sich nach anderen Ordnungsprinzipien als bei uns, sie ist auch in der Struktur anders, und schließlich gibt es Unterschiede in der Kaufkraft, in den Löhnen, in der Währung, in den Preisen und auch im Steuersystem.
    Das wichtigste Kriterium bildet aber die Tatsache, daß das Wirtschaften in der französischen Wirtschaftsunion sich nach anderen Ordnungsprinzipien als bei uns in der Bundesrepublik vollzieht. Frankreich neigt wohl mehr als die Bundesrepublik einer dirigistischen Wirtschaft zu, die auch durch einen gewissen Protektionismus und durch eine stärkere Subventionspolitik gekennzeichnet ist, welche fast
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 45. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1958 2527
    Dr. Fritz (Ludwigshafen)

    alle Bereiche des Wirtschaftslebens erfaßt. Ebenso werden die Handelspolitik, die Geld- und Kreditpolitik in der französischen Wirtschaftsunion anders, straffer wohl, als bei uns gehandhabt. Daß es unter diesen Gegebenheiten ungeheuer schwierig ist, ein industriell hochentwickeltes Gebiet, nämlich das Saarland, aus der einen Ordnung herauszunehmen und in eine andere Ordnung einzufügen, liegt wohl auf der Hand.
    Am Falle Saar wird sichtbar, wie groß das Problem einmal sein wird, den wirtschaftlichen Zusammenschluß der Bundesrepublik und der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands zu vollziehen. Dort sind die Unterschiede in der Wirtschaftsordnung noch wesentlich größer als zwischen der französischen Wirtschaftsunion und der Bundesrepublik Deutschland.
    Neben Unterschieden in den wirtschaftlichen Ordnungsprinzipien sind, wie gesagt, Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur zu überwinden. Die Saarwirtschaft hat sich im Zeichen des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg weitgehend der französischen Wirtschaftsstruktur angepaßt, vielleicht mit Ausnahme der Montanunionsbereiche. Wir finden diese Anpassung z. B. in einer starken Verflechtung der weiterverarbeitenden Industrie der Saar mit dem französischen Markt.
    Die Anpassung und die Verflechtung nach beiden Seiten werden auch sichtbar, wenn man einmal die Außenhandelszahlen der saarländischen Wirtschaft in den vergangenen 50 Jahren und ihre unterschiedliche Entwicklung vergleicht.
    Die Unterschiede zwischen der französischen und
    der deutschen Wirtschaft werden aber auch sichtbar, wenn wir z. B. im Memorandum der Saarregierung an die Bundesregierung vom 13. November 1957 lesen, daß der Preisindex für die Lebenshaltung vom Jahre 1949 bis zum Oktober des Jahres 1957 im Saarland eine Steigerung von 100 auf 171,2 Punkte erfahren hat im Gegensatz zu einer Steigerung des Index in der Bundesrepublik von 100 auf 109,3 Punkte. Das Memorandum der saarländischen Regierung sagt weiter, daß, während die Kaufkraft der D-Mark von 1949 bis September 1957 um 7,8 °/o gesunken ist, der Kaufkraftverlust des französischen Franc im gleichen Zeitraum 41 % betrug.
    Im Mittelpunkt der augenblicklichen Diskussion steht das Problem der Übergangszeit. Ich habe aus einem Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes Saar, einem Sieben-Punkte-Programm, folgenden Satz übernommen, den ich kurz zitieren zu dürfen bitte. Es heißt dort:
    Das Geld ist das wichtigste Steuerungs- und Eingliederungsmittel in jeder Wirtschaft. Solange die Saarwirtschaft vom Franken kontrolliert wird, können ihre Unternehmen weder dem deutschen Leistungsniveau angepaßt, noch kann das Saarland in den Wirtschaftsraum der Bundesrepublik eingegliedert werden.
    Tatsächlich steckt darin das Problem der Übergangszeit. Die Ziele der Übergangszeit waren: die wirtschaftliche Erzeugung an der Saar zu rationalisieren und die weiterverarbeitende Industrie vor allem mit
    den notwendigen Investitionsgütern auszurüsten. Das zweite Ziel war, den Absatz des Saarlandes vom französischen Markt zum Markt der Bundesrepublik und zu den Märkten in dritten Ländern zu verlagern. Wir sind uns hier wohl alle einig, daß diese Ziele bis heute kaum oder nicht erreicht worden sind.
    Betrachten wir die Realität! Die Investitionen haben lediglich bei der öffentlichen Hand in etwas stärkerem Umfang zugenommen. Die privaten Investitionen sind in wesentlich geringerem Maße durchgeführt worden, aus verschiedenen Gründen, die vielleicht später noch zu erwähnen sind. Dabei kam die Großindustrie besser zum Zug als die mittelständische Wirtschaft. Es liegen Klagen vom Handel, vom Handwerk und es liegen auch Klagen von den kleineren und mittleren Industrieunternehmen vor. Deshalb schreibt der DGB in seinem Gutachten:
    Trotz günstiger Kreditbedingungen im Francenraum wurde das Kreditpotential des Saarlandes offenbar zuwenig ausgenützt. Das gilt wiederum besonders für die kleineren Unternehmen.
    Herr Staatssekretär Dr. Westrick hat vorhin schon auf die Absatzverhältnisse der saarländischen Wirtschaft hingewiesen. Gestatten Sie mir aber doch, daß ich noch einige Zahlen zur Ergänzung nenne, indem ich einen Vergleich der Entwicklung seit 1955 bis zum ersten Halbjahr 1958 bringe. Die Absatzstruktur der weiterverarbeitenden Industrie des Saarlandes hat sich in den genannten Zahlen nicht wesentlich geändert, wie daraus hervorgeht. 1955 entfielen auf das Saargebiet 52,2 % des Absatzes, 1956 49,2 %, 1957 48,8 % und im ersten Halbjahr 1958 48,4 %. Auf das Bundesgebiet entfielen 1955 3,8, 1956 3,8, 1957 4,9%, und lediglich im ersten Halbjahr 1958 ist der Absatz relativ etwas angestiegen auf 7,2 %. Der Absatz nach Frankreich betrug 1955 37,3 %, 1956 40,2 %, 1957 40,6 % und im ersten Halbjahr 1958 40,3% Es war also nicht möglich, den saarländischen Absatz in stärkerem Maße nach der Bundesrepublik zu verlagern, obwohl die Unternehmen französische und saarländische Exportsubventionen erhielten und auch bundesdeutsche Erleichterungen geschaffen wurden. Der geringe Anteil am deutschen Markt hat sich nicht entscheidend vergrößert. Im Gegenteil, es erfolgte — absolut betrachtet noch eine stärkere Verlagerung nach Frankreich.
    Die Gründe sind heute schon mehrfach genannt worden. Einmal waren es die französischen Entliberalisierungsmaßnahmen, die zu Beginn des Jahres 1957 einsetzten, die ihren Höhepunkt in der Defacto-Abwertung des französischen Franc Mitte des Jahres 1957 hatte. Die Folge waren Preis- und Lohnbewegungen, und die Folge war, daß der französische Markt für die saarländische Wirtschaft einen immer bequemeren Verkäufermarkt darstellte und im Gegensatz dazu die Bundesrepublik einen Käufermarkt bildete als Folge des abklingenden Konjunkturbooms und in der Folge des sich damit verstärkenden Wettbewerbs. Der übersetzte FrancKurs kann durch alle Subventionen offenbar nicht ausgeglichen werden.
    Nun, ich möchte im einzelnen auf die französischen Restriktionsmaßnahmen nicht eingehen. Ich möchte



    Dr. Fritz (Ludwigshafen)

    1 lediglich kurz zur Erläuterung einige Indexziffern zur Preisentwicklung im Saargebiet nennen mit dem Basisjahr 1955 = 100. Wir können dabei feststellen, daß der Preisindex für die Lebenshaltungskosten im Saarland allein von Mitte 1957 bis Mitte 1958 um rund 25 Punkte angestiegen ist. Vor den französischen Wirtschaftsmaßnahmen war die Preisentwicklung im Franc-Raum nur langsam ansteigend, und erst nach den Wirtschaftsmaßnahmen im vergangenen Sommer hat eine steile Preisentwicklung begonnen. Ich erwähne das deshalb, weil es einen Schluß auf jene Überlegungen ziehen läßt, die man sich noch vor dem Juli 1957 über den Sinn und Zweck der Übergangszeit machte, denn damals mußte man die französische Situation anders beurteilen als danach.
    Im übrigen hat aber die saarländische Produktion im allgemeinen eine recht befriedigende Entwicklung genommen. Der Index der industriellen Produktion z. B. hat sich mit Basisjahr 1950 = 100 von 156 im Jahre 1956 auf 169 bis Mitte 1958 erhöht. Lediglich im Bergbau ist keine Steigerung zu verzeichnen. Der Index der weiterverarbeitenden Industrie ist sogar noch wesentlich stärker, von 179 im Jahre 1956 auf 201 Mitte 1958, angestiegen.
    Etwas bedenklich scheint die Lage bei der Erzeugung von Roheisen, Rohstahl und Walzwerkprodukten zu sein. Dort konnten wir keine wesentliche Steigerung der Produktion verspüren. Aber was entscheidend ist: der Auftragseingang ging in den vergangenen 11/2 Jahren merklich zurück.
    Noch kurz ein Wort zur Beschäftigungslage an der Saar im allgemeinen. Man kann nur sagen: alle bedeutenden Zweige der Saarwirtschaft sind heute gut beschäftigt. Eine Ausnahme bildet vielleicht der Bergbau. Aber der rückläufige Absatz im Bergbau wirkte sich bisher nicht auf die Beschäftigtenzahl aus. Auch die Bauwirtschaft hat gut angezogen. Insgesamt werden in der Saarwirtschaft heute 360 000 Arbeitskräfte beschäftigt. Davon sind 28 800 Pendler, vor allem aus den umliegenden deutschen Randgebieten. 5000 Saarländer finden heute Arbeit in Lothringen und in Luxemburg. Allein in der Bauwirtschaft mit 43 000 Arbeitern sind in diesem Jahr 2500 Arbeiter mehr beschäftigt als im vergangenen Jahr. Das Saarland zählt im Augenblick nur 5300 Arbeitslose. Demgegenüber gibt es über 5000 offene Stellen. Die Zunahme im Baugewerbe hängt teilweise damit zusammen, daß in diesem halben Jahr mehr Baugenehmigungen erteilt wurden als in der gleichen Zeit im vergangenen Jahr, was wiederum mit Zuwendungen des Bundes in Verbindung zu bringen ist. Z. B. ist im Nicht-Wohnungsbau die Zahl der Baugenehmigungen im ersten Halbjahr 1958 im Vergleich zum vergangenen Jahr um 10 % gestiegen, im Wohnungsbau um 20 %. Innerhalb der Gebäude sollen 30 % mehr Wohnungen errichtet werden.
    Ich muß natürlich auch einen Vergleich der Beschäftigung im Saargebiet mit der im übrigen Bundesgebiet anstellen, wenn ich das Problem in seiner Gesamtheit würdigen will. Ich habe leider nur die Zahlen zur Hand, die sich auf die Bevölkerung beziehen. Deswegen sieht die Arbeitslosigkeit bei meinen Zahlen etwas geringer aus als bei der üblichen Art des Vergleichs zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung. Ich habe meinen Vergleich aus den statistischen Berichten, Ländervergleiche 1955 bis 1957, entnommen; er ist also wohlgemerkt auf die Bevölkerung bezogen. Danach ergibt sich im Saargebiet eine Arbeitslosenquote von 0,6 %, in Nordrhein-Westfalen von 1,4 %, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern von 3 % bis 3,7 %, in Berlin von 4,2 % und in der Bundesrepublik im Durchschnitt von 2,2 %. Ich will damit lediglich sagen: die Saar ist nicht strukturell hilfsbedürftig. Es gilt hier nur, ein wirtschaftlich gesundes Gebiet ohne Schaden in die deutsche Volkswirtschaft einzugliedern.
    Die Diskussion um eine weitere Frankenabwertung ist ja nicht verstummt; dies kam vorhin schon bei den Begründungen zur Sprache. Aber die Meinungen darüber, ob eine Frankenabwertung erfolgt oder ob sie nicht erfolgt, sind zumindest geteilt. Der saarländische Wirtschaftsminister hat auf die Gefahr einer weiteren Francabwertung hingewiesen. Auch die saarländische Presse hat da und dort in Artikeln dazu Stellung genommen. Auf der anderen Seite hat sich das saarländische Bankgewerbe teilweise zuversichtlicher ausgesprochen, vielleicht beeindruckt durch die Tatsache, daß sich in Frankreich gegenwärtig eine gewisse Stabilisierung zeigt. Sie wissen alle: General de Gaulle erklärte, daß zumindest bis Ende des Jahres 1958 Preise, Löhne und öffentliche Ausgaben auf dem derzeitigen Stand gehalten werden sollen. Auch Finanzminister Pinay hat ähnliche Stellungnahmen abgegeben. Die amtliche Statistik verzeichnet eine gewisse Beruhigung sowohl bei den Industriepreisen wie auch bei den saisonal sich entspannenden Agrarpreisen.
    Es ist natürlich schwierig, sich an dieser Stelle über die wirtschaftliche Lage Frankreichs zu äußern; es geschieht auch nur zur Beurteilung der saarländischen Situation. Von der wirtschaftlichen Entwicklung in Frankreich hängt, das wissen wir alle, wesentlich die wirtschaftliche Entwicklung auch im Saargebiet ab. Ich persönlich neige der Ansicht zu, daß es der franzöischen Regierung gelingen wird, eine allmähliche erfolgreiche Konsolidierung einzuleiten. Dies würde sich natürlich auf das Rückgliederungsproblem der Saar ungemein günstig auswirken, ebenso wie auf die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
    Herr Staatssekretär Dr. Westrick hat in seiner Antwort auf das hingewiesen, was von seiten der Bundesregierung bisher für die Saar getan worden ist. Ich glaube, man kann sagen, am aktuellsten dabei ist wohl das Kanzlergespräch, das am 30. Juli dieses Jahres mit der Regierung des Saarlandes über das Saarproblem geführt wurde. Außer diesem Kanzlergespräch sind viele Gespräche geführt worden. Die saarländische Regierung hat mit vielen Ministern des Bundeskabinetts über Sonderprobleme verhandelt. Die Minister haben das Saargebiet besucht, um dort die aktuellen Fragen an Ort und Stelle zu studieren. Der Wirtschaftspolitische Aus-



    Dr. Fritz (Ludwigshafen)

    schuß des Bundestags war zu seiner Unterrichtung in Saarbrücken. Mehrere deutsch-französische Verhandlungen haben stattgefunden, und Anfang November soll erneut mit den Franzosen verhandelt werden. Der interministerielle Saarausschuß hat seine Arbeit in sechs Arbeitsgruppen aufgenommen, und das, was man bisher von dieser Arbeit sehen konnte, zeigt, daß die Vorbereitungen für die Saarrückgliederung tatsächlich mit Ernst getroffen werden.
    In der Kanzlerbesprechung am 30. Juli 1958 waren die folgenden Punkte wohl am wichtigsten: Mit Frankreich sollen möglichst bald Verhandlungen wegen der rechtzeitigen Bekanntgabe des ungefähren Termins der Beendigung der Übergangszeit geführt werden. Eine Ersparnissicherung wurde zugesagt. Es wurde erklärt, daß sozialpolitische Fragen in späteren Besprechungen zu klären seien. Der Handelsverkehr Saar-Frankreich soll kontinuierlich weiterlaufen, und eine gemeinsame deutsch-französische Stelle soll für die Behandlung des Warenaustausches gebildet werden.
    Ich möchte nun nur wenige aus der Vielzahl der Maßnahmen, die auf dem handelspolitischen Gebiet getroffen worden sind, herausgreifen. Zunächst eine sehr negative, die mit der Bildung der Landesauftragsstelle des Saarlandes zusammenhängt!
    Im Jahre 1935 glaubte man, man könne die Umstellung dadurch begünstigen, daß zahlreiche öffentliche Aufträge vom Deutschen Reich an die Saar gegeben werden. Damals bestanden allerdings wesentlich andere wirtschaftliche Verhältnisse als heute. Das wird sichtbar, wenn wir einen sich auf die damalige Zeit beziehenden Preisvergleich zwischen dem Saarland, dem Deutschen Reich und Frankreich durchführen. Aber auch seit dem Jahre 1957 bemüht sich die Saar, öffentliche Aufträge zu erhalten. Das Ergebnis ist — ich muß es sagen — recht enttäuschend. 1957 hat die Landesauftragsstelle Saar 821 beschränkte Ausschreibungen bearbeitet. In 512 Fällen konnte keine saarländische Firma vorgeschlagen werden. In 309 Fällen wurden saarländische Lieferanten benannt; aber nur in 5 Fällen kam es zu einer Vergabe an saarländische Firmen.

    (Hört! Hört!)

    Woran liegt das? Einmal daran, daß Rohstoffe und Vormaterialien auf dem saarländisch-französischen Markt nicht bzw. nur schwerbeschafft werden konnten. Das gilt z. B. für den Textil- und Bekleidungssektor. Sie werden fragen, warum man dann nicht das Material aus der Bundesrepublik beschaffen konnte. Nun, die Ausschreibungen waren vielfach zu kurzfristig angesetzt, und selbst dann, wenn Einfuhrlizenzen zur Verfügung standen, dauerte die Einfuhr zu lange. In der Regel aber stehen diese Lizenzen nicht zur Verfügung.
    Deshalb wurde auch versucht, die Materialbeschaffung auf dem Wege über das IMEX-Verfahren vorzunehmen. Aber die Bearbeitungszeit in Paris dauert in der Regel vier bis sechs Wochen, und eine Genehmigung ist auch nicht in jedem Fall sicher. Es ist die Frage zu stellen, ob nicht vielleicht auch hier deutsch-französische Gespräche helfen könnten, eine gewisse Abhilfe, eine gewisse Erleichterung zu schaffen.
    Daneben steht natürlich das Preisproblem. Das übersetzte Kostenniveau in der Frankenzone gestattet es den saarländischen Firmen vielfach nicht, entsprechende Preisangebote in der Bundesrepublik zu unterbreiten. Aber vielleicht sollte man auch die Vergabestellen bei der Bundesregierung bitten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ein etwas weniger bürokratisches Verfahren anzuwenden — soweit das möglich ist.
    Nun, die saarländischen Investitionen sind durch vielfältige Maßnahmen gefördert worden. Ich möchte nur kurz das Steuermaßnahmengesetz erwähnen. Ferner wurden für die Investitionen von Franc- und D-Mark-Mitteln gewisse Regelungen getroffen. Es haben mehrere Verhandlungen mit der französischen Regierung darüber stattgefunden. Zuletzt brachten die Verhandlungen das Ergebnis, daß unter der Bedingung, daß die Finanzierung der Investitionsgüter mit Hilfe 'eines Fünf-Jahres-Kredits in D-Mark erfolgt, ab Mitte 1958 saarländische Unternehmungen die in Liste 15 des Saarvertrags aufgeführten Güter zollfrei einführen können.
    Weiterhin hat sich Frankreich Mitte 1958 bereit erklärt, schon Anträge für eine zollfreie Investitionsgütereinfuhr gemäß Art. 48 Abs. 4 entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Aber auch hier scheint es so zu sein, daß die größeren Firmen eine gewisse Bevorzugung vor der mittleren Industrie erfahren. Allerdings wird nach neuesten Bankberichten gesagt, daß die Investitionsfreudigkeit der Klein- und Mittelbetriebe in den letzten Monaten ebenfalls besser geworden sei.
    Ich möchte mich auch hier nicht näher zum Sondereinfuhrplan äußern, zur Verfügungsteilung von EFAC-Guthaben und zur Verfügungstellung eines Kredits aus den ERP-Mitteln in Höhe von 25 Millionen DM für die Deutsche Bundesbahn zum Ankauf von Gütern aus dem Saargebiet. Auch über die Finanzsituation hat der Herr Staatssekretär bereits gesprochen.
    In bezug auf die Kanzlerbesprechung am 30. Juli zur Ersparnissicherung bei künftiger Währungsänderung sei nur kurz folgendes erwähnt. Hierzu liegt ein Vorschlag der saarländischen Regierung vor, der noch geprüft werden soll. Es zeigt sich aber, wenn wir die Sparguthaben an der Saar betrachten, daß wir es zum großen Teil mit Kleinsparern zu tun haben. Die größte Zahl aller Sparguthaben an der Saar entfällt auf diejenigen Konten, die unter 100 000 fr liegen, es sind rund 350 000. Konten mit Einlagen von über 5 Millionen sind lediglich 100 vorhanden. Das Versprechen des Kanzlers hatte an der Saar eine recht günstige Wirkung. Wenn wir die Spareinlagen bei den Banken und Sparkassen vergleichen, so finden wir, daß die Spareinlagen von Mitte 1957 bis Januar 1958 abnahmen und daß seit dieser Zeit wieder eine beträchtliche Zunahme zu verzeichnen ist.
    Zur Diskussion steht auch die Frage der Übergangszeit. Es wurde z. B. gefordert, daß nach dem Scheitern einer Vorverlegung des Übergangs-



    Dr. Fritz (Ludwigshafen)

    termins die Übergangszeit Mitte 1959 beendet wird. Dieser Vorschlag verdient eine sachliche Untersuchung. Die Meinungen an der Saar gehen aber offenbar stark auseinander. Die Industrie befürchtet Absatzstockungen, wenn sie das Weihnachtsgeschäft nicht mehr vor Beendigung der Übergangszeit erledigen kann. Der Handel wünscht ein Weihnachtsgeschäft mit deutschen Waren. Der Konsument ist in seiner Meinung sicherlich gespalten, da er ja nicht nur Konsument ist, sondern auch einen Arbeitsplatz innehat, der von der Prosperität der saarländischen Wirtschaft abhängig ist. Hier sollten, glaube ich, zunächst einmal die Experten entscheiden.
    Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber auch das Problem der Bekanntgabe des Termins. Von bedeutsamer saarländischer Seite wird erklärt, es sei notwendig, den Termin rechtzeitig bekanntzugeben, damit die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden könnten. Man kann allerdings auch anderer Ansicht sein. Man kann sagen: so kurzfristig wie nur möglich, um Spekulationen weitgehend ,auszuschalten. Auch scheint es so zu sein, daß die französische Seite zu einer kurzfristigen Bekanntgabe und einer möglichst langen Hinauszögerung des Eingliederungstermins eher geneigt ist. Wahrscheinlich werden aber die Leute, die spekulieren wollen, eis so oder so tun, wenn sie mit Sicherheit wissen, daß der Tag X im Laufe von drei oder zwei Monaten kommt.
    Dieser Tag X bereitet der saarländischen weiterverarbeitenden Industrie offenbar recht viel Sorge. Sie glaubt nämlich, daß folgendes eintreten wird. Die französischen Abnehmer kürzen ihre Aufträge, teils aus nationalen Gründen, teils aus Angst vor den zu erfüllenden Formalitäten und teils aus der Sorge, die Liefermöglichkeiten könnten unterbrochen werden. Man glaubt weiterhin, die deutschen Waren würden den Saarmarkt überfluten, und teilweise — so sagt man jetzt schon im Saargebiet -warteten heute bereits bestellte Waren an der Saargrenze auf deutschem Gebiet, um am Tage X ohne Zollformalitäten herübergeholt zu werden. Man vermutet, daß dadurch ein erheblicher Absatzverlust an der Saar eintreten wird. Weiterhin befürchtet die saarländische weiterverarbeitende Industrie, daß sie nicht in der Lage sein wird, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, aus den vorhin schon erwähnten Gründen.
    Sicherlich werden die Bundesregierung und die Regierung des Saarlandes wie auch der Bundestag und der saarländische Landtag alles unternehmen, um hier einen Fehlschlag zu vermeiden. Man kann sagen, daß die Saarländer offensichtlich die Situation etwas zu düster beurteilen. Vielleicht wäre es aber auch gut, wenn sich die saarländischen Unternehmer etwas mehr als bisher um den deutschen Markt bemühten, z. B. durch Beschickung von Messen, durch Kontaktaufnahmen, durch den Aufbau von Vertriebsorganisationen. Die Messe von Essen hatte ja in dieser Hinsicht bereits einen guten Erfolg. Vielleicht müssen wir aber auch die deutschen Unternehmer bitten, nach dem Tage X eine gewisse Zurückhaltung auf dem Saarmarkt zu wahren. Der Saarmarkt wird vielfach überschätzt. Der deutsche
    Unternehmer denkt oft nicht daran, daß es sich dort nur um eine Bevölkerung von einer Million Menschen handelt.

    (Zuruf von der SPD: Meinen Sie, der Unternehmer der Bundesrepublik?)

    — Ja, der Unternehmer der Bundesrepublik. Ich bitte um Entschuldigung. — Vielleicht müßte man auch sagen, es wäre schön, wenn es eine Käuferdisziplin ,an der Saar gäbe. So ,absurd es klingt — wir sollten den Saarländern für den Tag X zurufen: Saarländer, kauft am Tage X saarländische und französische Waren! Es geht hier um die Erhaltung der saarländischen Arbeitsplätze. Verschiedentlich herrscht auch im Saarland der Glaube an die Wunderkraft der deutschen Erzeugnisse — der westdeutschen Erzeugnisse, entschuldigen Sie. Es ist so schwierig, einen kurzen Begriff für die „RestBundesrepublik" zu finden. — In vielen Fällen hat jedoch das Saarland an Qualität, Preis und Geschmack mindestens Gleichwertiges entgegenzusetzen. Zahlreiche Firmen konnten trotz ihrer schwierigen Situation sich inzwischen umstellen, und diese Firmen werden sicherlich am Tage X vollwertige Partner auf dem deutschen, dem saarländischen und dem französischen Markt sein.
    Zur Verkehrspolitik möchte ich mich kurz fassen. Ich möchte lediglich das Problem der Elektrifizierung der Saar und der Pfalz-Strecke von Homburg nach Ludwigshafen anschneiden. Dieses Projekt, das ja vom Saargebiet gefordert worden ist, ist nun endlich in die Planung der Bundesbahn eingestellt worden. Es ist zu hoffen, daß nunmehr auch die Finanzierung sichergestellt werden kann. Das Projekt wird mit rund 120 Millionen DM veranschlagt, und man hofft, daß vielleicht im Jahre 1959 mit dem Bau begonnen werden kann. Die Elektrifizierung des Saargebiets schreitet ja planmäßig fort, so daß es dort kein besonderes Problem mehr gibt.
    In der Begründung der Anträge ist auf die Problematik der Endregelung des Saarvertrags hingewiesen worden. Eine der wichtigsten Bestimmungen bezüglich der Endregelung besagt, daß der Handelsverkehr Saar-Frankreich unter Zugrundelegung des Verkehrs im Referenzjahr 1955 auf möglichst hohem Stand erhalten werden soll. Gleichermaßen gilt auch die Zusage, die der Bundeskanzler in der schon erwähnten Besprechung gegeben hat. Man hat ein Sonderregime vereinbart, um den Handel auf diesem Stand zu erhalten, und diese Vereinbarung ist wohl beispiellos im internationalen Handelsverkehr. Sie stellt auf der einen Seite einen mutigen Schritt dar, auf der anderen Seite aber — das wissen wir alle — ein Risiko. Ich brauche über den Inhalt dieser Abmachung nichts weiteres zu sagen; ich möchte lediglich einige Fragen stellen, die zu klären wären. Einmal wäre die Frage zu stellen: Ist der Lohnveredelungsverkehr aus diesem Abkommen ausgenommen? Etwa auch der Reparaturverkehr, die Dienstleistungen und die Montageleistungen? Wenn sie nicht einbezogen sind, würden sich dann nicht für die saarländische Wirtschaft Nachteile ergeben, vor allem dort, wo Maschinen und Anlagen nach Frankreich geliefert worden sind



    Dr. Fritz (Ludwigshafen)

    und ein ständiger Reparaturverkehr aufrechterhalten werden muß? Dieselbe Frage gilt für die Sukzessivlieferungsverträge und für die langfristigen Verträge. Es heißt auch, daß die französischen Waren nur zum Verbleib im Saarland bestimmt sind. Ob der saarländische Markt bei gleichzeitiger Einfuhr deutscher Waren den französischen Marktanteil halten kann, scheint vielleicht fraglich zu sein. Aber hier müssen Stockungen vermieden werden. Dann entsteht das Problem der Kontingentübertragung, die Frage, ob der Gemischte Regierungsausschuß unter bestimmten Voraussetzungen die festgesetzten Kontingente erhöhen kann. Zweck des Vertrags ist ja, eine Schrumpfung des Volumens zu vermeiden. Auch hier sind in den kommenden Verhandlungen noch konkrete Vereinbarungen zu erwarten. Die Frage nach den mit Finanzzöllen belasteten Waren muß gestellt werden, die Frage der Abwicklung der Ein- und Ausfuhrformalitäten. Es kommt einem fast das kalte Grauen bei der Überlegung, was der arme Exporteur und Importeur bei der Abwicklung des saarländisch-französischen Handels alles zu erledigen hat. Bevor die Güter fließen, fließt zunächst einmal sehr dick das Papier. Es ist gut, daß die saarländischen Unternehmen zahlreiche Vertretungen und Niederlassungen in Frankreich haben, welche den französischen Kunden die Einfuhrformalitäten weitgehend abnehmen sollen. Es ist die Bitte an die Bundesregierung zu richten, daß sie in Zusammenarbeit mit der französischen Regierung eine möglichst weitgehende Vereinfachung der Formalitäten anstrebt.
    Ich muß leider noch einige Fragen kurz aufwerfen; Sie müssen es mir bitte gestatten. Wieweit können Zollkontingente von Positionen, die nicht ausgenutzt werden, auf solche Waren übertragen werden, für die ein Bedarf besteht? Ist es möglich, an Stelle einer Aufrechnung Position um Position eine gruppenmäßige Zusammenfassung zu erreichen? Können nichtausgenutzte Kontingente auf die sogenannten Finanzzollwaren übertragen werden? Wieweit werden durch Listen sogenannter sensibler Güter Austauschmöglichkeiten erschwert? Wie steht es mit der Anwendung von Rechtsvorschriften in Zusammenhang mit den bisherigen regionalen Gewohnheiten? Besteht hier nicht die Gefahr eines administrativen, den Warenverkehr hemmenden Protektionismus?
    Schwierig wird auch die Frage für die saarländischen Exporteure, wenn die Kontingente des Saarvertrags nicht ausreichen, was ja der Fall ist, da die saarländische Ausfuhr nach Frankreich seit 1955 wesentlich zugenommen hat. Wieweit können diese Waren insgesamt vielleicht zu einem Mischpreis verkauft werden, der sich aus den Preisen nicht zollbelasteter und zollbelasteter Güter ergibt, eine Frage der Kalkulation und eine Frage, die nur im Zusammenhang mit der Entwicklung der ersten Phase der EWG beantwortet werden kann, wo ja bis zum Jahre 1962, vielleicht auch mit einem gewissen Verzögerungsmoment, eine 30prozentige Zollsenkung erfolgen soll? Die Zumutbarkeit der Mischpreise hängt von der Wettbewerbsfähigkeit der Preise auf dem französischen Markt ab.
    Diese Aufzählung ist keineswegs erschöpfend. Sie soll lediglich darstellen, wie problematisch die Abwicklung des saarländisch-französischen Handels nach der Übergangszeit ist. Es wird Aufgabe der Bundesregierung und der saarländischen Regierung sein, hier nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Die loyale Zusammenarbeit mit der französischen Regierung läßt hier auch hoffen, daß Erleichterungen geschaffen werden und daß eine Verständigung gefunden wird. Wir hoffen auch, daß es trotz der Automatik des 25prozentigen Swing gelingt, den hohen Absatz der verarbeitenden Industrie des Saarlandes in Frankreich zu halten.
    Ein Problem stellt noch die sogenannte Anpassungszeit nach dem Tage X im D-Mark-Raum dar, die ja, was ich hier ausdrücklich sagen möchte, höchstens eine steuer- und kreditpolitische Anpassungszeit sein kann.
    Meine Damen und Herren, in einer Atmosphäre wirtschaftlich-praktischer Vernunft wollen bzw. müssen wir gemeinsam die Endphase der saarländischen Eingliederung betreiben. Unser Ziel soll sein, die Saar in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Frankreich so in die Volkswirtschaft der Bundesrepublik einzubetten, daß Beschäftigung und Lebensstandard der saarländischen Bevölkerung gesichert bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Mommer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von meinen verehrten Vorrednern ist gesagt worden, daß wir jetzt in der glücklichen Lage seien, über die Saar sozusagen als über ein technisches, wirtschaftliches Problem zu reden. Das ist weitgehend richtig, und es ist gut, daß es so ist. Aber es ist nicht ganz richtig. Zunächst gibt, glaube ich, die gegenwärtige Situation mit ihren Problemen der wirtschaftlichen Rückgliederung auch Anlaß zu einigen politischen Bemerkungen. Und dann meine ich, daß wirklich Grund zu politischen Bemerkungen ist — es wäre sogar Grund zu sehr emotionalen Bemerkungen vorhanden —, wenn der Chef der Bundesregierung und Vorsitzende der größten Partei unseres Landes wenige Tage vor dieser Debatte über die Rückkehr einer Provinz, die verlorenzugehen drohte, gesagt hat: ,Die Sozialdemokraten haben keinen Anteil an den Erfolgen der deutschen Außenpolitik, und den Sozialdemokraten täte es gut, wenn sie etwas Liebe zum ganzen deutschen Volke entwickelten.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie meinen, das hätte nichts mit diesem Thema zu tun?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat er nicht gesagt!)

    Mir scheint, es hat etwas damit zu tun.
    Lassen Sie mich zunächst in aller Ruhe einige Bemerkungen zu dem ersten Kapitel sagen, nämlich



    Dr. Mommer
    der Bewertung des politischen Verhaltens der Bundesregierung, seitdem das Gröbste geschafft war und wir den Rückgliederungsvertrag unter Dach und Fach gebracht hatten. Wir Sozialdemokraten hatten gehofft, daß die Versprechen, die wir damals, als es um die Entscheidungsschlacht ging, gegeben hatten, auch sehr minutiös eingehalten würden. Wir hatten, als der Abstimmungkampf tobte, gesagt, daß es später niemand bereuen solle, sich für die Wiedervereinigung ausgesprochen zu haben, und daß niemandes Liebe zu der Einheit unseres gesamten deutschen Volkes in Konflikt kommen solle mit seiner Sorge um den Arbeitsplatz und seiner Sorge um die Erhaltung seines sozialen Besitzstandes.
    Wir hatten auch gehofft, daß die Bundesregierung mehr Verständnis für die 'Bedeutung dieses Modellfalles entwickeln werde, des Modellfalles der Eingliederung eines deutschen Landesteils, der durch die Kriegsereignisse eine eigene Entwicklung genommen hatte, der jetzt eingegliedert werden müßte, wenn irgend möglich ohne jeden Schaden für die betroffene Bevölkerung. An dem Fall können wir ja viele Dinge, im verkleinerten Maßstab, durchexerzieren, die wir hoffentlich bald dann in einem sehr viel größeren Maßstab unter sehr viel schwereren Verhältnissen werden üben müssen, wenn es um die Wiedervereinigung der beiden getrennten Teile Deutschlands gehen wird.
    Wir hatten gehofft, daß die Bundesregierung mehr Verständnis für die besondere Lage dieser Bevölkerung aufbringen werde und daß sie in der Hilfe großzügiger sein würde, als sie es bisher gewesen ist. Trotz einer bösen Erfahrung bei der Ratifizierung des Rückgliederungsvertrags hatten wir auch gehofft, daß sie die Wichtigkeit der Erhaltung des sozialen Standards der Saarbevölkerung isehen und darauf verzichten werde, auf zentralistische Unitarität loszugehen, daß sie es für möglich halten werde, in der Zukunft, auch im Jahre 1960 und später, daß es in der föderalistischen Bundesrepublik ein Land gebe, in dem sehr wichtige Dinge wie die soziale Gesetzgebung abweichend bleiben, vielleicht noch auf lange Zeit bleiben können, weil das im Interesse der Einheit und der Wiedervereinigung unseres Volkes notwendig erscheint.
    Ich will hier nicht auf die Einzelheiten eingehen. Herr Kurt Conrad wird gleich noch zu den konkreten Fragen sprechen, die mit dieser wirtschaftlichen und sozialen Situation an der Saar zusammenhängen.
    Aber ich muß sagen: Nach den Beobachtungen der Stimmung an der Saar ist es keineswegs so, daß die Bundesregierung mit Eifer und unter großer Opferbereitschaft und unter Rücksichtnahme auf die Lage der Saarbevölkerung alles getan habe, was sie hätte tun können.
    Wir werden über dieser Kritik, die wir im einzelnen anzubringen haben, nicht vergessen, daß das große erfreuliche Ereignis Tatsache bleibt: die politische Rückgliederung und auch die schließlich erfolgende wirtschaftliche Eingliederung.
    Da hat nun — und jetzt komme ich darauf, und Sie sehen, hoffe ich, den Zusammenhang — der
    Bundeskanzler in dieser Situation, da wir auch gerade wieder sprechen von diesem Erfolg, einem der größten, die die deutsche Politik in den Jahren seit 1949 zu verzeichnen hatte, der Rückgliederung des Saargebiets, da hat der Chef dieser Regierung es für nötig gehalten, in einer wirklich einzigartigen Rede uns Sozialdemokraten erstens zu bestreiten. daß wir Anteil daran hätten. Und entschuldigen Sie, ich nehme die Gelegenheit wahr, das hier, wo wir uns kennen—nicht wahr, Herr Hellwig, wir kennen uns doch, und w i e haben wir gestritten um diesen bedeutendsten Erfolg der deutschen Politik nach 1949 —, das einmal zu sagen. Ich hoffe, daß niemand von Ihnen sagen wird, das sei mal à propos und außerhalb des Themas. Das ist sehr im Thema, wenn wir über die Rückgliederung eines Landesteils sprechen, der verlorenzugehen drohte: Nicht nur das sagt dieser Bundeskanzler, daß wir keinen Anteil daran hätten und daß er das so allein und immer gegen uns geschafft habe.

    (Abg. Erler: Ausgerechnet an der Saar!)

    — Ich komme darauf. — Er sagt mehr, und — was viel, viel schlimmer ist — er wünscht uns etwas Liebe zum gesamten deutschen Volk.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Baur . [Ausgburg] : Wo hat e r sie denn?)

    Meine lieben Kollegen, auch von meiner eigenen Fraktion, über dieses Wort wird man noch manchmal sprechen. Ich versuche es an dieser Stelle ganz ohne Emotion zu tun. Es war ein schlimmes Wort, das der Bundeskanzler da gesprochen hat.
    Lassen Sie mich zunächst einiges darüber sagen, wie das mit dieser Liebe und mit dem Anteil am Erfolg in diesem konkreten Fall Saar bestellt war. Ich greife aus dem Verhalten des Bundeskanzlers gerade in der Saarfrage nur einen, den bekanntesten und krassesten Fall heraus. Im Herbst 1955 kämpften die Deutschen an der Saar einen schweren, aber entscheidenden Kampf um die Zugehörigkeit zum deutschen Volke. Vor ihnen lag das Saarstatut mit der Unterschrift der französischen und der bundesrepublikanischen Regierung, und es galt, dieses Saarstatut anzunehmen oder abzulehnen. Von der deutschen Bevölkerung an der Saar wurde das Statut, genauso wie im Bundestag von den Freien Demokraten und von uns Sozialdemokraten, leidenschaftlich abgelehnt. Die deutschen Parteien an der Saar, zu denen die Saar-CDU gehörte, nannten dieses Statut ein Kolonial- und Abtrennungsstatut.
    Nun, die Wogen gingen hoch an der Saar; denn es ging um eine emotionsgeladene nationale Frage. Der Herr Bundeskanzler hielt unter dem Murren Ihrer Fraktion — ich weiß es doch noch — eine Rede, so wie er auch jetzt unter dem Murren Ihrer Fraktion eine Rede gehalten hat, — —

    (Zuruf von der Mitte: Hier irrt Mommer!— Lachen und weitere Zurufe in der Mitte.)

    — Wir reden ja manchmal miteinander, und wir kennen einander schon seit neun Jahren! — In dieser Rede, die er damals in Bochum gehalten hat, empfahl er der Saarbevölkerung, jenes Statut anzunehmen, das man an der Saar ein Kolonial- und



    Dr. Mommer
    Abtrennungsstatut nannte. Er tat das keineswegs in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht. Im Vertrag vom 23. Oktober 1954 stand das Gegenteil. Darin verpflichteten sich beide Vertragspartner, sich nicht in den Saarkampf einzumischen, weder für Ja, noch für Nein Propaganda zu machen. Der Bundeskanzler brach also den eigenen Vertrag, indem er die Saarbevölkerung aufforderte, das Saarstatut anzunehmen. Er hat das auch noch bei anderer Gelegenheit getan; aber ich will es kurz machen und hier keineswegs eine vollständige Geschichte dieses leidigen Kampfes geben.
    Wenn die Rückgliederung gekommen ist, meine Damen und Herren, dann nicht, weil die Bevölkerung an der Saar dem Rat des Bundeskanzlers gefolgt wäre, sondern weil sie unserem Rat und, ich glaube, auch Ihrem, Herr Hellwig, gefolgt ist; und manch einer bei Ihnen war in dieser Sache, auch wenn er es nicht offen kundgeben durfte, auf unserer Seite. Also weil man uns folgte, darum kam die Saar zurück.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Hätte die Saarbevölkerung die Parole des Bundeskanzlers befolgt, dann wäre sie weg gewesen, dann wäre sie europäisiert worden.

    (Abg. Erler: Dann hätten wir den Tagesordnungspunkt heute gar nicht!)

    —und heute hätten wir uns mit dem Problem nicht auseinanderzusetzen.
    Aber in der auch in Ihrer Fraktion als etwas allzu I) perfide empfundenen Rede von Würzburg empfiehlt uns der Bundeskanzler etwas mehr Liebe und kehrt die Wahrheit, wie es gerade am Saarbeispiel sichtbar wird, um, indem er sagt, daß wir keinen Anteil an den Erfolgen der deutschen Politik hätten. Sie wissen, wie oft wir gerade in diesem Hause aus der Sorge wegen der verlorenen Einheit unserer Nation gesprochen haben. Die heutige Sorge, die wirtschaftliche Rückgliederung, ist auch ein reales nationales Anliegen. Aber wenn wir sie mit der anderen Sorge um die Einheit unseres Volkes, um die Wiedererrichtung seiner Einheit, um die Menschen jenseits der Zonengrenze vergleichen, dann müssen wir sagen: die wirtschaftliche Rückgliederung ist ein kleines, ein geringes Problem.
    Zu jenem anderen Problem hat unser Kollege Herbert Wehner in Berlin vor uns allen gesprochen. Ich darf daran erinnern, daß er dort auf Ihren Vorschlag zu den Lebensfragen unseres Volkes gesprochen hat.

    (Abg. Erler: Sehr richtig! Abg. Kriedemann: Für uns alle!)

    Darf ,ich daran erinnern, daß er nicht nur im Namen unserer Fraktion, sondern im Namen von uns allen, man kann wirklich sagen: im Namen des deutschen Volkes gesprochen hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darf ich daran erinnern, daß er an jenem Tage den Beifall aller gefunden hat, als er sich in seiner leidenschaftlichen Art für Recht und Freiheit für alle Deutschen einsetzte.

    (in Würzburg der Chef dieser Bundesregierung, der Chef der größten deutschen Partei — und ich darf hinzufügen: der Chef, der sich in Berlin immer ein wenig unwohl fühlt und in Bonn sehr viel wohler, (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    der in Berlin keinen Beitrag zu unserer Beratung zu leisten wußte!

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich kann es verstehen, daß Sie das nicht lieben, aber Sie sehen doch, daß ich es für Sie so sanft wie möglich mache.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Also dieser Mann sagt dann, Herbert Wehner spreche die Sprache der SED.
    Sie wissen, daß ich es gern habe, daß wir, auch wenn wir über sehr ernste Dinge reden, zwischendurch doch einmal wieder einen heiteren Satz einflechten. Soeben kam mir folgende Meldung in die Hand. Es handelt sich um ein Zitat aus dem Zentralorgan der SED „Neues Deutschland" von heute morgen. Ich darf die Meldung verlesen:
    Die Zeitung, die Wehner als einen „Paladin der psychologischen Kriegsführung" bezeichnet, nimmt die Berliner Bundestagssitzung zum Anlaß, erneut die politische Vergangenheit Wehners aus der Sicht der SED zu beleuchten. Das Blatt schreibt, Wehner war ein Kleinbürger und ist ein Kleinbürger mit allen Schwankungen, Stimmungen und Depressionen, die er ausgleichen wolle durch Geltungsbedürfnis und krankhaften Ehrgeiz. Nach Ansicht der Zeitung habe Wehner nie eine politisch-ideologische Basis besessen und zu keinem Zeitpunkt eine Ahnung vom Marxismus gehabt.

    (Lachen bei der SPD.)

    Er habe während des Aufschwungs der KPD auch einige Funktionen dieser Partei erhaschen können, weil zu diesem Zeitpunkt die Mitglieder und Funktionäre noch nicht ernsthaft überprüft wurden.

    (Erneutes Lachen bei der SPD.)

    Die Adenauer-Propaganda beliebe es, Wehner als einen „Linken" in der SPD hinzustellen. Dies sei aber nur eine bewußte Taktik mit dem Ziel, die Parteiführung der SPD immer mehr nach rechts zu drücken.

    (Anhaltendes Lachen bei der SPD.)

    Ich kann nur sagen: im Kampf gegen Wehner einig, in den Vorwürfen genau entgegengesetzt!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    — Nein, die Wahrheit liegt weder da noch dort, Herr Bucerius.

    (Abg. Baur [Augsburg] : Da kommt die Verlogenheit des Kanzlers in seinen Reden zum Ausdruck! — Weitere Zurufe von der SPD.)




    Dr. Mommer
    Meine verehrten Damen und Herren, in solchen Reden, wie sie in Würzburg zur Eröffnung eines Wahlkampfes gehalten wurden, ist die Sorge um Wahrheit, Anstand und Respekt vor dem Gegner völlig beiseite geschoben.

    (Zuruf von der SPD: War noch nie da!)

    Nur ein Bestreben bleibt dabei: in rücksichtsloser Anwendung der Erkenntnisse der Massenpsychologie die Wahl zu gewinnen.
    Dabei ist die Gefahr groß und größer geworden. Ich möchte sie als gleich groß neben die stellen, die aus der Teilung unseres Landes kommt, die Gefahr nämlich, daß in unserem Volke und unter uns eine weitere Teilung entsteht, die die Überwindung der anderen, der territorialen und politischen Teilung an der Zonengrenze schließlich gänzlich unmöglich macht.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Als ich von dieser perfiden Art las, wie da der politische Gegner heruntergesetzt wird, dachte ich Wo stammt das denn her, das habe ich doch einmal gelesen; ich kenne doch diese Technik!? — Ich habe gesucht und habe auch gefunden. Hören Sie einmal einen Augenblick zu:
    Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau zu richten nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die isie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll.

    (Abg. Dr. Hellwig: Siehe AtomtodKampagne!)

    Und noch ein Beispiel:
    Alle Genialität der Aufmachung der Propaganda aber wird dennoch zu keinem Erfolge führen, wenn nicht ein fundamentaler Grundsatz immer gleich scharf berücksichtigt wird: Sie hat sich auf wenig zu beschränken und dieses ewig zu wiederholen. Die Beharrlichkeit ist hier wie bei so vielem auf der Welt die erste und wichtigste Voraussetzung zum Erfolg.
    Ich lasse Sie einmal raten, wo das steht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP. — Zurufe von der Mitte: Siehe Atomtod!)

    Gerade in den letzten Wochen waren wir uns meine Damen und Herren, darin einig, wie sehr die schwere Lage unseres Volkes es erforderlich macht, daß es zwischen uns, die wir Gegensätze auszutragen haben, Gegensätze, die wir in aller sachlichen Schärfe austragen können, doch eine gewisse Gemeinsamkeit gibt, eine gewisse gemeinsame Operationsbasis, von der aus wir Probleme, wie sie sich früher an der Saar gestellt haben und in Zukunft in der Wiedervereinigung stellen werden, anpacken können. Wir sollten uns auch um es konkret zu sagen — in interfraktionellen Gesprächen darüber unterhalten können, was wir wohl zu tun vermöchten, um das Los der 17 Millionen drüben zu erleichtern.
    Diese gemeinsame Operationsbasis brauchen wir nicht nur wegen der deutschen Wiedervereinigung, wir brauchen sie' auch wegen der Zukunft unserer Demokratie. Wir haben in unserem Nachbarlande gesehen, wie schnell eine Staatsform dem Wandel unterworfen sein kann. Bei uns ist sie ja nicht so von alt her und so gefestigt, daß wir munter draufloswirtschaften könnten. Wem also daran liegt, daß diese Demokratie nicht nur nicht untergeht, sondern sich entwickelt, der muß bei aller Propaganda, aller Härte und Großzügigkeit, die wir uns alle erlauben, doch wieder bestrebt sein, auf die gemeinsame Operationsbasis Rücksicht zu nehmen und es nicht unmöglich zu machen, Herr Barzel, daß wir uns treffen, am Tisch einander gegenübersitzen und ernst miteinander reden. Das können wir aber nur, Herr Barzel, wenn wir einander nicht sagen: Euch fehlt die Liebe zum Vaterland.

    (Beifall bei der SPD und der FDP. — Abg. Dr. Barzel: Was sagt Ihr denn über den Bundeskanzler? Atomtod-Kampagne!)

    Da hört die Gemeinsamkeit auf. Wenn das ein Redner auf dem Lande sagte, dann täten wir unrecht daran, uns darüber aufzuregen. Aber der Bundeskanzler ist auch dann Bundeskanzler, wenn er den Wahlkampf in Würzburg eröffnet, und hat darauf Rücksicht zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Ich glaube, wir müssen doch verlangen, daß der Respekt vor dem politischen Gegenspieler und Gegner erhalten bleibt und daß der Gegner nicht zum verächtlichen Feind gemacht wird.