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ID0304201000

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    Deutscher Bundestag 42. Sitzung Berlin, den 2. Oktober 1958 Inhalt: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Erfüllung des EWG-Vertrags (Drucksache 371) Margulies (FDP) 2429 C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2434 B Dr. Furler (CDU/CSU) 2436 C Birkelbach (SPD) 2441 A Scheel (FDP) 2443 D Dr. Starke (FDP) . . . . . 2448 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (FDP) (Drucksache 446) — Erste Beratung — Frau Friese-Korn (FDP) . . . . . 2450 B Entwurf eines Gesetzes zu den internationalen Betäubungs-Protokollen von 1946, 1948 und 1953 (Drucksache 453) — Erste Beratung — 2450 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Drucksache 100) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 478) — Zweite und dritte Beratung — . . . . . . . . . 2450 D Nächste Sitzung 2451 C Anlagen 2453 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 42. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Oktober 1958 2429 42. Sitzung Berlin, den 2. Oktober 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.06 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Ackermann 4. 10. Bauer (Wasserburg) 4. 10. Blachstein 4. 10. Frau Döhring (Stuttgart) 4. 10. Eplée 4. 10. Gibbert 4. 10. Giencke 4. 10. Günther 4. 10. Hilbert 4. 10. Josten 4. 10. Knobloch 4. 10. Dr. Kopf 4. 10. Kraft 3. 10. Kunze 4. 10. Dr. Löhr 4. 10. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 4. 10. Müser 5. 10. Peters 4. 10. Dr. Pferdmenges 4. 10. Pietscher 6. 10. Rademacher 4. 10. Ramms 4. 10. Scharnberg 4. 10. Schneider (Bremerhaven) 4. 10. Stauch 3. 10. Theis 3.10. Wacher 3. 10. Wischnewski 5. 10. b) Urlaubsanträge Berkhan 30. 10. Dr. Böhm 10. 10. Dowidat 10. 10. Engelbrecht-Greve 4. 11. Frehsee 4. 11. Dr. Gülich 11. 10. Dr. Höck (Salzgitter) 25. 10. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Jahn (Frankfurt) 10. 10. Maier (Freiburg) 22. 11. Muckermann 12. 10. Rasner 28. 10. Frau Schmitt (Fulda) 17. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 18. 10. Schoettle 18. 10. Anlage 2 Umdruck 161 (neu) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Erfüllung des EWG-Vertrages (Drucksache 371). Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag unterstreicht erneut die große Bedeutung, die dem Abschluß eines Vertrages über eine Europäische Freihandelszone zur Ergänzung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als einen weiteren Schritt auf dem Wege zur weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit zukommt. Er billigt die Bemühungen der Bundesregierung, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Standpunkten der Verhandlungspartner herbeizuführen und Lösungen zu erarbeiten, die den wichtigsten Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen. Er fordert die Bundesregierung auf, auch weiter alles in ihren Kräften Liegende zu tun, um baldmöglichst zum Abschluß eines Vertrages zu gelangen, der die Schaffung einer umfassenden Europäischen Freihandelszone vorsieht, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ergänzen soll. Berlin, den 1. Oktober 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion Dr. Mende und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an eine Bemerkung anschließen, die der Kollege Birkelbach in seiner Rede über die Gedanken gemacht hat, die die sozialdemokratische Fraktion bewogen haben, dem Vertrag über die EWG zuzustimmen, nämlich einen größeren Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem es größere Stabilität geben würde und in dem auch der Lebensstandard verbessert werden könnte. Das ist eine durchaus liberale Idee, und sie ist auch die Grundlage der Überlegungen der Freien Demokratischen Partei gewesen. In einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft braucht man große Räume, um zu einem ungehinderten Warenverkehr zu kommen. Sicherlich ist das die Grundlage für die Überlegung, in Europa einen einheitlichen Markt zu entwickeln, der etwa 250 Millionen Verbraucher umfassen und der es der Wirtschaft erst ermöglichen würde, ihre optimale Leistung voll auszuschöpfen.
    Dabei besteht allerdings immer die große Gefahr, daß es bei solchen Entwicklungen zu perfektionistischen Formen kommt, die nachher eine dirigistische und protektionistische Entwicklung begünstigen könnten, und das würde die freie Entfaltung der Kräfte, die wir an den Anfang aller unserer Überlegungen stellen, hemmen und zu einer Schrumpfung des Wirtschaftsprozesses führen, die wir weiß Gott nicht wollen. Daher kommt es dar-



    Scheel
    auf an, bei allen Überlegungen zur Schaffung von wirtschaftlichen Großräumen am Anfang die Weichen richtig zu stellen, nämlich am Anfang eine freiheitliche Entwicklung zu begünstigen. Das, meine Damen und Herren, war genau die Einstellung, die die FDP hatte, als wir die Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besprochen haben.
    Sie wissen, daß wir der EWG gegenüber eine verhältnismäßig reservierte Haltung gehabt haben. Bei der Beratung dieser Verträge hat uns ein Mißbehagen beschlichen, und das aus zwei Gründen. Der erste Grund war, daß nach innen, nämlich in der Entwicklung im Vertragsbereich selbst, das Vertragswerk alle protektionistischen und dirigistischen Möglichkeiten offengelassen hat, ja gerade die Chance für solche Entwicklungen eröffnet hat, wobei auf der anderen Seite auch eine liberale Entwicklung durch die Verträge sehr wohl möglich ist.
    Aber vor allen Dingen haben wir Sorge gehabt, daß dieses Gebiet sich nach außen hin abkapseln könnte; denn die Konstruktion einer Zollunion mit einem gemeinsamen Außenzoll bietet natürlich die Möglichkeit der Abkapselung und der Einschränkung des Verkehrs mit den Staaten, mit den Völkern um uns herum. Daher haben wir von Anfang an entscheidendes Gewicht darauf gelegt, diesen Raum durch die Freihandelszone zu ergänzen. Wir haben in allen Beratungen damals immer wieder hervorgehoben, daß unsere Stellung zur EWG durch die Tatsache beeinflußt werden würde, wie sich die Verhandlungen über die Freihandelszone entwikkeln würden. Ich war selbst — Sie werden sich erinnern — Berichterstatter des Bundestags in dieser Frage, und der Bundestag hat damals einstimmig unserer Auffassung seine Zustimmung gegeben, daß nämlich die EWG gefährdet werden würde, wenn es nicht gelänge, die Freihandelszone zu erreichen.
    Unsere Große Anfrage, meine Damen und Herren, hat nichts anderes im Sinne gehabt als die Regierung aufzufordern, im Sinne der einstimmigen Entschließung des Bundestags zu wirken. Die Bundesregierung hat diese Große Anfrage, ich muß sagen, detailliert beantwortet, wenngleich ich betonen möchte, daß auch bis jetzt schon eine Unterrichtung des Bundestags und der Ausschüsse hätte möglich sein müssen; denn so wenig ist ja in der jüngsten Vergangenheit nicht passiert. Und wenn die Initiative nun beim Wirtschaftspolitischen Ausschuß vielleicht gefehlt hat, dann hätte die Bundesregierung die Initiative ergreifen müssen, um der Pflicht, mit dem Parlament diese Frage zu diskutieren, nachzukommen. Das heißt also: Für die Vergangenheit bin ich nicht recht zufrieden; für die Zukunft hat uns die Bundesregierung sehr prononciert ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, uns in allen Einzelfragen zu unterrichten und zu einem wirklichen Gespräch zu kommen.
    Ich möchte bei der Gelegenheit einen Gedanken von Herrn Professor Furler aufgreifen; ob es nicht ratsam wäre, einen Sonderausschuß des Bundestags mit der laufenden Diskussion dieser Frage zu beauftragen, der gleichzeitig dann auch die koordinierende Tätigkeit mit dem europäischen Parlament von sich aus durchführen könnte.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es scheint mir jetzt nötig zu sein, einige Ergänzungen zur Antwort der Bundesregierung zu bringen.
    Wir müssen uns wohl mit dem Bild der zukünftigen Freihandelszone auseinandersetzen weil auch hier gewisse Institutionen sich zu entwickeln scheinen, die dem Bilde einer liberalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten nicht ganz entsprechen mögen. Die komplizierten Vertragsabmachungen, die wir ja schon aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kennen und die wir im Bereich der Verhandlungen über die Freihandelszone wieder erleben, lassen manchen liberalen Beobachter fragen, ob nicht eine lockere Verbindung, in der die Volkswirtschaften der Industriestaaten vor dem ersten Weltkrieg einen Zustand der Vollintegration erreicht hatten, der jetzigen Form der Zusammenarbeit vorzuziehen sei. Diese Beobachter lassen wohl außer acht, daß der paradiesische Zustand der Weltwirtschaft vor dem 1. Weltkrieg diesen Krieg und andere Konflikte nicht verhindert hat. Ja, es besteht sogar der Verdacht, daß das bloße Interesse für den reibungslosen Ablauf des Zahlungsverkehrs mit ein Teil Schuld trägt an der Anfälligkeit unserer Weltwirtschaft, die ja zum Teil eine Folge der labilen Situation der Rohstoffländer ist.
    Der Zustand des reibungslosen Waren- und Zahlungsaustauschs auf der Basis der Goldwährung, wie er vor ,dem 1. Weltkrieg bestand, ist schon deswegen nicht mehr zu erreichen, weil die Industriestaaten sich ein hohes Maß an Souveränität in der Wirtschaftspolitik erhalten wollen. Das gilt nicht nur für die Staaten, die etwa planwirtschaftliche oder sozialistische Vorstellungen mit der Wirtschaftspolitik verbinden, sondern das gilt auch für die Staaten, die eine sehr liberale Wirtschaftspolitik treiben. Wenn Sie sich einmal gerade die Verhandlungen um das Zustandekommen der Freihandelszone und die Rolle, die die Schweiz in diesen Verhandlungen spielt, ansehen, dann stellen Sie fest, daß gerade solche Staaten nicht auf ein Jota ihrer liberalen Wirtschaftspolitik verzichten wollen.
    Bei dieser Sachlage muß man erkennen, daß eine Reintegration der europäischen Wirtschaft, wie sie z. B. Professor Röpke jetzt als notwendig erachtet, nicht allein durch das Senken von Zöllen und die Beseitigung von Kontingenten erreicht werden kann, sondern daß darüber hinaus bei der heutigen Sachlage weitere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden müssen. Erst ein Höchstmaß an Koordinierung kann uns diese Reintegration bringen, die wir ja alle wollen.
    Vor allem ist das bei der Abstimmung der Konjunkturpolitik der beteiligten Staaten nötig; denn hieran hängt ja eine befriedigende Entwicklung der ganzen europäischen Entwicklung. Wenn wir Rückschläge schwerer Natur erlitten, etwa dadurch, daß wir unsere Konjunkturpolitik nicht aufeinander abstimmten und daß dadurch Störungen im Waren-



    Scheel
    und Zahlungsverkehr entstünden, dann würden solche Rückschläge möglicherweise zu einem Rückfall in die alten autarkischen Bestrebungen der Wirtschafts- und Handelspolitik der Völker untereinander führen. Schon deswegen ist es nötig, hier zu gewissen Übereinstimmungen zu kommen.
    Viel wird davon abhängen, in welchem Geiste die Verträge, die wir teils abgeschlossen haben, teils abschließen müssen, ausgeführt werden. Es ist heute aus verschiedenen Gründen wohl nicht möglich, ein marktwirtschaftliches Ordnungssystem einfach über die Grenzen hinaus auszudehnen. Wir müssen nun einmal den etwas umständlichen Weg der zwischenstaatlichen Verträge gehen, so leid uns das auch tun mag. Wenn die neuen europäischen Behörden, die wir entweder schon haben oder vielleicht noch bekommen werden, die Verträge in liberalem Sinne auszuführen, können wir froh sein; wir müssen es wünschen. Ich habe den Eindruck, daß nicht alle leitenden Beamten der europäischen Organe so wenig liberal denken, wie es mancher Kritiker aus der Sache heraus vermutet. Insofern kommt natürlich bei der weiteren Entwicklung, die wir anstreben, nämlich der Erreichung eines größeren Raumes der Zusammenarbeit, der Auffassung der schon bestehenden Institutionen eine gewisse Bedeutung zu.
    Ich möchte hier einmal, weil es notwendig erscheint, die Auffassung zitieren, die die Kommisson der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu der Notwendigkeit, eine Freihandelszone zu entwickeln, hat. Das Mitglied der Kommission, der belgische liberale Politiker Jean Rey hat dazu vor dem Europäischen Parlament bemerkenswerte Ausführungen gemacht, die ich Ihnen gern vortragen möchte. Er sagte nämlich:
    Wir
    - wir, das ist die Europäische Kommission
    halten die Schaffung einer europäischen Wirtschaftsassoziierung
    — das ist die Freihandelszone —
    für notwendig, weil dies im Sinne der Urheber des Vertrages von Rom ist und weil sie diesen Wunsch in der gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der internationalen Organisation erneut bestätigt haben. Diese Erklärung ist der Schlußakte vom 25. März 1957 beigefügt.
    Nach unserer Auffassung kann es jedenfalls nicht das Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein, eine autarkische Stellung einzunehmen, die allen Grundsätzen, auf denen sie selbst begründet ist, widersprechen würde. Wir sind dieser Auffassung, weil wir uns darüber klar sind, daß die Mitgliedstaaten unserer Gemeinschaft selbst den Wunsch hegen, ihren Wirtschaftshorizont zu erweitern, und weil ein Mißlingen dieser Bemühungen in der Folge ohne Zweifel ernste Schwierigkeiten und Spannungen innerhalb der Gemeinschaft selbst hervorrufen würde. Wenn unsere Gemeinschaft mit Recht den Vorwurf zurückweist, irgendwelche
    unterschiedliche Bedingungen in Europa gegeschaffen zu haben, so muß sie andererseits
    meine Damen und Herren, das ist sehr wichtig —
    auf die Folgen achthaben, die sowohl innerhalb wie außerhalb der Gemeinschaft aus solchen unterschiedlichen Bedingungen entstehen, und zum Ausdruck bringen, daß sie gewillt ist, die augenblicklichen Schwierigkeiten im Geiste der Zusammenarbeit zu beseitigen.
    Das ist allerdings die Aufgabe der EWG im Zusammenhang mit den Diskussionen über das Entstehen einer europäischen Wirtschaftsassoziation, wie wir sie sehen. Ich glaube, man sollte hier im Parlament festhalten, daß die Auffassung, die von Herrn Rey vorgetragen worden ist, die Richtschnur für die künftige Arbeit der Europäischen Kommission sein sollte.
    Der erste Gesamtbericht der Europäischen Kommission, ein dickes Werk, das uns in den letzten Tagen zugegangen ist, sagt eine ganze Menge über Liberalisierung, über Öffnung der Märkte und eigentlich recht wenig über die ersten Anzeichen protektionistischer Regungen innerhalb des Vertrags. Da die Mitarbeit der EWG-Kommission an der weiteren Entwicklung des Vertragswerks über das Zustandekommen einer Freihandelszone von entscheidender Bedeutung ist, ist auch diese Äußerung zu dem Problem im jetzigen Gesamtbericht, so glaube ich, wichtig und sollte hier festgehalten werden. Die Vermittlungsvorschläge der Europäischen Kommission in der Vergangenheit haben ja zu einem Teil zu dem Bild beigetragen, das sich jetzt abzuzeichnen scheint.
    Ein Gebiet ist weder in den Verträgen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch in dem ersten Gesamtbericht der Europäischen Kommission noch in den Ausführungen der Bundesregierung zu unserer Großen Anfrage erwähnt worden, ein Gebiet, das ich persönlich bei der Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften im Verkehr miteinander für das wichtigste halte: das ist das Währungsgebiet. Ausgerechnet das Währungsgebiet ist der Sektor, der im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am meisten vernachlässigt worden und auch bisher bei der Diskussion um die Freihandelszone nicht erfaßt worden ist. Die Erhöhung des Warenverkehrs allein ist ein Nonsens, wenn der Zahlungsverkehr stockt. Das ist der Kern bei allen Versuchen, zu einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu kommen. Solange aber die Staaten, die an einem Vertragswerk teilhaben, ihre Wechselkurse willkürlich festsetzen können, die Autonomie der Währungspolitik behalten, bleibt alle andere Zusammenarbeit ein Stückwerk.
    In der jüngsten Vergangenheit sind Versuche gemacht worden, zu einer Konvertibilität der Währungen zu kommen. Es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der monate-, ja jahrelang einen verbissenen Kampf geführt hat, zu einem frühen Zeitpunkt dieses Stadium zu erreichen. Diese Versuche sind gescheitert, weil, so sagt man, die Währungen noch nicht reif dafür seien. Die Wirtschafts-,



    Scheel
    die Finanz-, Konjunktur- und Währungspolitik der Staaten müsse einander angeglichen werden. Die Konvertibilität setze voraus, daß alle beteiligten Währungen Hartwährungen seien; und dieser Zustand ist bisher noch nicht erreicht worden. Sicherlich, so glaube ich, wird die in den Verträgen vorgesehene Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Währungspolitik eine gewisse Voraussetzung für die Konvertibilität der Währungen bilden. Aber sie bietet keine Garantie für eine disziplinierte Währungspolitik. Hier beißt sich die Katze nämlich in den Schwanz. Die Konvertibilität setzt Hartwährung voraus. In vielen Fällen wird aber die Hartwährung nur unter dem Zwang der Konvertibilität erreicht werden. Ein freier Wechselkurs erst würde eine inflationäre Finanzierung der Expansion des Binnenmarktes durch Zahlungsbilanzdefizite verhindern.
    Die Währungspolitik scheint mir auch das Kernproblem der Zusammenarbeit im Rahmen der zukünftigen Freihandelszone zu sein, und ich glaube, die Bundesregierung sollte den größten Wert darauf legen, ihrerseits bei ihren Bemühungen, dieses Vertragswerk zu erreichen, immer wieder dieses Kernproblem zum Gegenstand der Diskussion zu machen.
    Die Bundesregierung hat überhaupt die wichtige Aufgabe, im Sinne der Beantwortung der Großen Anfrage der FDP sozusagen als Vermittler zwischen den widerstreitenden Meinungen der zukünftigen Partner in einem solchen Gebiet aufzutreten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat angedeutet, daß er sich in der Vergangenheit immer wieder um diese Aufgabe bemüht hat. Im wesentlichen — das ging auch aus den Darlegungen von Herrn Professor Furler hervor — sind es wohl die unterschiedlichen Auffassungen unseres französischen Partners aus der EWG und des zukünftigen englischen Partners innerhalb der Freihandelszone, die es auszugleichen gilt — auszugleichen in einem positiven Sinne. Der Nationalökonom Röpke hat einmal von dem „Druck nach unten" gesprochen, den er in der internationalen Zusammenarbeit auf der Basis solcher Verträge befürchtet. Ich glaube, es ist die Aufgabe unserer Bundesregierung, auf der Basis einer liberalen wirtschaftspolitischen Überzeugung einen Druck nach oben auszuüben, und es ist die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, zwischen den beiden, mit denen er es im wesentlichen zu tun hat, in diesem Sinne auszugleichen. Ich möchte sagen, in Abwandlung eines populären Bildes und unter Beibehaltung der traditionellen Rolle, die der Bundeswirtschaftsminister ja hat: „Ein Weltkind links, das andere rechts, Prophete in der Mitten." So sollte er seine Rolle auffassen: der Prophet einer liberalen Entwicklung sollte zwischen den beiden anderen Partnern ausgleichen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Röpke, der ja ein scharfer Kritiker der Entwicklung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist und der als ein liberaler Nationalökonom mit besonderer Dringlichkeit immer wieder darauf hinweist, daß es zu einer Freihandelszone kommen müsse, wenn anders die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als solche überhaupt solle funktionieren können, hat der Bundesrepublik und der Bundesregierung offensichtlich eine positive Rolle in dieser Entwicklung zugedacht. Ich weiß nicht, ob er dieses Lob für die Bundesregierung in seinen verschiedenen Reden und Aufsätzen niedergelegt hat, bevor oder nachdem er die Rede des Arbeits- und Sozialministers über die Notwendigkeit des Wohlfahrtsstaates gelesen hat. Ich möchte annehmen, er hat seine Meinung vor Kenntnisnahme dieser Rede geäußert und nicht nachher; sonst wäre er sicherlich zutiefst erschrocken gewesen und würde berechtigten Zweifel in die Kraft der Bundesregierung haben, einen solchen Weg zu gehen.
    Ich glaube, die Bundesregierung hat noch weitere Aufgaben in der weiteren Entwicklung zu einer Freihandelszone, nämlich bei der Schaffung möglicher neuer Institutionen sehr große Vorsicht walten zu lassen. Es ist ja — so konnten wir aus der Presse entnehmen, und so ist auch eben aus den Ausführungen von Herrn Professor Erhard hervorgegangen — in Venedig offenbar Einigkeit darüber erzielt worden, daß man eine Freihandelszone mit den institutionellen Mitteln der OEEC steuern kann und will. Darüber hinaus aber — so habe ich mir sagen lassen — sollen noch zusätzliche Direktorien und Einrichtungen geschaffen werden. Sollte man hier nicht einmal ins Auge fassen, ob man eine gewisse Koordinierung oder eine Harmonisierung der nebeneinander hergehenden Verträge dadurch erreichen kann, daß man gewisse Aufgaben den gleichen schon bestehenden Organen und Institutionen geben kann, selbst über alle möglichen juristischen und vertragsrechtlichen Fußangeln hinweg? Wo es einen Willen zu einer solchen Koordinierung gibt, da sollte man auch einen Weg finden.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist nötig, im Zusammenhang mit der Diskussion über die Entwicklung der Freihandelszone ein besonderes Problem zu besprechen. Das ist nämlich die Aufgabe, die eine solche zukünftige europäische Wirtschaftsassoziation haben müßte. Dieses ist nicht nur die Verbesserung des Warenaustauschs auf dem europäischen Markt. Genauso wichtig, glaube ich, vielleicht noch bedeutsamer, ist die Herstellung intensiver Wirtschaftsbeziehungen zwischen den klassischen Industrieländern und den sogenannten Entwicklungsländern, damit die Störanfälligkeit der Weltwirtschaft verringert wird. Diese Aufgabe ist um so schwieriger, als sie mit den Bestrebungen dieser Gebiete zusammenfällt, ihre politische Unabhängigkeit zu erringen und auszubauen. Der Herr Kollege Birkelbach hat soeben auf die politische Seite dieser ungemein wichtigen Frage hingewiesen. Diese Gebiete haben fast ohne Ausnahme, sei es aus klimatischen Gründen oder als Folge der Kolonialpolitik der Vergangenheit, die krisenanfällige Monokultur als Grundlage ihrer Volkswirtschaft. Wir erleben in jüngster Zeit, wie durch einen Preisverfall auf dem Rohstoffsektor diese Länder und Gebiete Störungen des Welthandels auslösen, die ernste Folgen haben können. Bei sinkenden Rohstoffpreisen müssen



    Scheel
    diese Länder ihre Bestellungen an Industrieerzeugnissen kürzen. Das führt zu Beschäftigungseinschränkungen in den Industrieländern, und das hinwiederum führt dazu, daß diese Industrieländer ihre Rohstoffkäufe einschränken müssen, und wenn man diesen Circulus nicht irgendwo unterbricht, dann kann es zu erheblichen Schrumpfungen des Welthandels führen mit all seinen verheerenden sozialen und politischen Folgen.
    Die vornehmste Aufgabe einer zukünftigen europäischen Zusammenarbeit auf breiter Grundlage scheint es mir zu sein, diesen Gebieten bei der Verbesserung ihrer Wirtschaftsstruktur mit materieller Hilfe und mit technischem Rat zur Seite zu stehen. Europa ist ja das beste Beispiel dafür, daß eine schnelle und großzügige Hilfe für den Aufbau der Wirtschaft auch schnell Früchte tragen kann. Wer hätte bei Beginn der großzügigen Marshallplanhilfe vor zehn Jahren je geglaubt, daß wir so bald wieder anderen helfen können, nachdem unser wirtschaftlicher Aufbau aus dem Zustand einer völlig zerschundenen, desolaten europäischen Wirtschaft heraus begonnen hat. Die sinnvolle Verteilung der Aufgaben im Verkehr mit diesen Entwicklungsländern für die Zukunft sollte allerdings schon jetzt überlegt werden. Eine wirkungsvolle Hilfe bei der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den Entwicklungsländern kann sich nicht in einer einmaligen Leistung erschöpfen. Erst der ständige Kontakt wird hier befriedigende Ergebnisse bringen.
    Die Weltbank hat in den vergangenen Jahren sicherlich eine hervorragende Pionierleistung auf dem Gebiete weltweiter Finanzierungsgeschäfte vollbracht. Mir scheint es jedoch sinnvoll zu sein, daneben noch andere, sowohl multilaterale als auch bilaterale Maßnahmen ins Auge zu fassen.
    Eins muß gesagt werden: Die Hilfe mit öffentlichen Mitteln allein hat nur geringen Nutzen, wenn nicht daneben die private Investition tritt. Ob allerdings deutsches privates Kapital in nennenswertem Umfang in die Entwicklungsgebiete fließt, hängt zu einem großen Teil von dem Investitionsklima ab, das die verantwortlichen Behörden dieser Gebiete für ausländische Investoren schaffen. Der unbedingte Schutz des Privateigentums ist wohl die erste Voraussetzung in diesem Zusammenhang.
    Die Entscheidung, die die Regierung der Vereinigten Staaten über die Rückgabe des im Kriege beschlagnahmten privaten Eigentums trifft, ist von großer Bedeutung für diese Entwicklung.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    In den letzten Wochen und Monaten ist deutlich geworden, daß eine Hilfe für die Entwicklungsländer, um wirkungsvoll zu sein, schnell und großzügig gewährt werden muß. Die 1,2 Milliarden Menschen, die in diesen Ländern wohnen, produzierten 1955 nur für 150 Milliarden Dollar. Das ist nicht viel mehr als ein Drittel der Produktion, die die Vereinigten Staaten mit nur 160 Millionen Einwohnern hatten. Sie können sich vorstellen, was aus dieser Situation herausspringt, welches Lebensniveau dort anzutreffen ist. Das soziale Niveau der Industrieländer und der Entwicklungsländer nähert sich in den jüngsten Jahren nicht, sondern es klafft mehr und mehr auseinander. Wenn wir die sozialen Spannungen und ihre drohende Explosion vermeiden wollen, dann gilt es, jetzt all das nachzuholen, was wir vielleicht in der Vergangenheit versäumt haben. Es gilt, das kräftig zu tun, schnell zu tun, und zwar gemeinsam zu tun. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit aller europäischen Völker.
    Nun tritt die Bundesrepublik auf diesem Gebiet in eine ganz besondere Verantwortung ein. Sie schickt sich an, als beachtlicher Gläubiger in dieser Entwicklung auf dem Weltmarkt aufzutreten. Wenn das ein Staat tut, und zwar ganz im Gegensatz zu dem bisherigen Verlauf seiner Rolle, die er in der Welt gespielt hat, dann sollte man an den Anfang einige politische Überlegungen stellen. Jetzt ist es dazu noch Zeit. Ich meine, wir sollten sehr bald einmal über diese Entwicklung, die sowohl mit einer zukünftigen Freihandelszone in Europa als auch mit der besonderen Rolle der Bundesrepublik in diesem Rahmen in Zusammenhang steht, im Parlament, sei es im Plenum, sei es in den dafür zuständigen Ausschüssen, eingehend diskutieren. Ich hoffe, daß die Verhandlungen, die jetzt in Neu-Delhi stattfinden und an denen der Herr Bundeswirtschaftsminister teilnimmt, nicht ein Präjudiz schaffen für eine Entwicklung, die wir in unserem Parlament noch nicht ausreichend besprochen haben.
    Zum Abschluß möchte ich auf einige Bemerkungen eingehen, die der Kollege Dr. Furler im Rahmen seines Diskussionsbeitrags gemacht hat. Sie scheinen mir vor allem wichtig zu sein, um die Stellungnahme der Freien Demokratischen Partei zum Problem der Freihandelszone noch einmal klarzumachen.
    Zunächst hat er gesagt, daß die Bundesrepublik die Freihandelszone wohl gar nicht brauche,

    (Widerspruch des Abg. Dr. Furler)

    — Entschuldigung! — daß die Bundesrepublik nicht so scharf sei auf das Zustandekommen der Freihandelszone; sie habe sie nicht unbedingt nötig. Das war doch wohl der Sinn dessen, was Sie sagten.


Rede von Dr. Hans Furler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein! Ich habe gesagt, daß wir sie nicht mehr brauchen als die anderen und daß wir nicht den Eindruck erwecken sollten, als wollten allein wir die Freihandelszone aus eigenstem Interesse haben.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Gut, dann nehme ich das so: wir haben kein besonderes Interesse, das über das der anderen hinausgeht. — Nun, meine Damen und Herren, wir hatten kein besonderes Interesse an dem Zustandekommen der Freihandelszone, solange es die EWG nicht gab. Jetzt aber, wo es die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gibt, hat die Bundesrepublik ein besonderes Interesse daran. Es ist also nicht ein nationales Interesse, sondern ein Interesse, das bedingt worden ist durch das Zustandekommen einer anderen internationalen Organisation. Von da her sehen wir die Notwendigkeit



    Scheel
    für die Bundesrepublik, mit allen Mitteln zum Zustandekommen der Freihandelszone beizutragen. Das wollte ich noch einmal deutlich machen.
    Dann haben Sie, Herr Professor Furler, gesagt, daß die EWG ein notwendiger Bestandteil einer Freihandelszone sei und daß Sie es für Ihre Fraktion ablehnen würden, daß man an die EWG taste, denn sie sei einfach zwingend notwendig. Solange die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in der Entwicklung auf eine größere Gemeinschaft hin, auf eine Freihandelszone oder eine europäische Wirtschaftsassoziation, wie wir sie heute nennen, hin ein Motor ist und positiv an der Weiterentwicklung mitarbeitet, hat sie sicherlich ihre Bedeutung. In dem Augenblick aber, in dem sie sich einmal als Bremse auf diesem Wege erweisen sollte, sieht es völlig anders aus. Dann nämlich würden wir in der FDP sagen — hat sie keine Bedeutung mehr. Das muß eindeutig festgehalten werden.
    Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß unsere Große Anfrage den Zweck, den wir mit ihr verfolgt haben, insoweit erreicht hat, als in einem Zeitpunkt, in dem die Verhandlungen zur Erreichung einer größeren wirtschaftlichen Gemeinschaft in ein entscheidendes Stadium eingetreten sind, noch einmal Gelegenheit gegeben worden ist, das Parlament zu hören und seine Meinung vor der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit festzustellen. Unsere Große Anfrage war auch insoweit erfolgreich, als alle Zusagen und gemeinsamen Beteuerungen des Parlaments, die wir in der Vergangenheit auf dieses Ziel hin gegeben und bekundet haben, noch einmal wiederholt worden sind und die Bundesregierung — das darf ich, glaube ich, erfreulicherweise feststellen — zu ihrer damaligen Auffassung in vollem Umfange auch heute wieder gestanden ist und zu erkennen gegeben hat, daß sie auf dem Wege dieser Entwicklung einen positiven Beitrag mit allen Mitteln zu leisten gewillt ist.
    Das ist der Sinn unserer Anfrage gewesen, und insoweit ist sie mit Erfolg hier behandelt worden. Das hat unsere Fraktion auch veranlaßt, der Entschließung, die uns gestern von Mitgliedern der CDU-Fraktion vorgelegt wurde, im Kern zuzustimmen. Nachdem sie nunmehr eine Form gefunden hat, die unseren Auffassungen im wesentlichen entspricht, möchten wir — und ich darf das hier im Auftrage der Fraktion sagen — die gestern aus technischen Gründen nicht mehr mögliche Unterschrift der Fraktion unter diese gemeinsame Entschließung hiermit nachholen. Wir stimmen ihr nicht nur zu, sondern wir nehmen das Angebot, sie als gemeinsame Entschließung einzubringen, an.

    (Beifall bei der FDP.)