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ID0304200800

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    Deutscher Bundestag 42. Sitzung Berlin, den 2. Oktober 1958 Inhalt: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Erfüllung des EWG-Vertrags (Drucksache 371) Margulies (FDP) 2429 C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2434 B Dr. Furler (CDU/CSU) 2436 C Birkelbach (SPD) 2441 A Scheel (FDP) 2443 D Dr. Starke (FDP) . . . . . 2448 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (FDP) (Drucksache 446) — Erste Beratung — Frau Friese-Korn (FDP) . . . . . 2450 B Entwurf eines Gesetzes zu den internationalen Betäubungs-Protokollen von 1946, 1948 und 1953 (Drucksache 453) — Erste Beratung — 2450 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Drucksache 100) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 478) — Zweite und dritte Beratung — . . . . . . . . . 2450 D Nächste Sitzung 2451 C Anlagen 2453 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 42. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Oktober 1958 2429 42. Sitzung Berlin, den 2. Oktober 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.06 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Ackermann 4. 10. Bauer (Wasserburg) 4. 10. Blachstein 4. 10. Frau Döhring (Stuttgart) 4. 10. Eplée 4. 10. Gibbert 4. 10. Giencke 4. 10. Günther 4. 10. Hilbert 4. 10. Josten 4. 10. Knobloch 4. 10. Dr. Kopf 4. 10. Kraft 3. 10. Kunze 4. 10. Dr. Löhr 4. 10. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 4. 10. Müser 5. 10. Peters 4. 10. Dr. Pferdmenges 4. 10. Pietscher 6. 10. Rademacher 4. 10. Ramms 4. 10. Scharnberg 4. 10. Schneider (Bremerhaven) 4. 10. Stauch 3. 10. Theis 3.10. Wacher 3. 10. Wischnewski 5. 10. b) Urlaubsanträge Berkhan 30. 10. Dr. Böhm 10. 10. Dowidat 10. 10. Engelbrecht-Greve 4. 11. Frehsee 4. 11. Dr. Gülich 11. 10. Dr. Höck (Salzgitter) 25. 10. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Jahn (Frankfurt) 10. 10. Maier (Freiburg) 22. 11. Muckermann 12. 10. Rasner 28. 10. Frau Schmitt (Fulda) 17. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 18. 10. Schoettle 18. 10. Anlage 2 Umdruck 161 (neu) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Erfüllung des EWG-Vertrages (Drucksache 371). Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag unterstreicht erneut die große Bedeutung, die dem Abschluß eines Vertrages über eine Europäische Freihandelszone zur Ergänzung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als einen weiteren Schritt auf dem Wege zur weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit zukommt. Er billigt die Bemühungen der Bundesregierung, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Standpunkten der Verhandlungspartner herbeizuführen und Lösungen zu erarbeiten, die den wichtigsten Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen. Er fordert die Bundesregierung auf, auch weiter alles in ihren Kräften Liegende zu tun, um baldmöglichst zum Abschluß eines Vertrages zu gelangen, der die Schaffung einer umfassenden Europäischen Freihandelszone vorsieht, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ergänzen soll. Berlin, den 1. Oktober 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion Dr. Mende und Fraktion
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    Rede von Willi Birkelbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im ersten Teil der Großen Anfrage der Fraktion der FDP geht es um die Unterrichtung des Bundestages über die Entwicklung im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dieser Teil der Anfrage böte Veranlassung, auf gewisse Debatten zurückzukommen, die sowohl im Plenum dieses Hauses wie in den Ausschüssen stattgefunden haben, als wir uns über die Struktur des Vertrages unterhielten. Hier ist zu beachten, daß gemeinsam festgestellt wurde, es seien auf das Europaparlament nicht die gleichen Zuständigkeiten übergegangen, die die nationalen Parlamente, in unserem Falle der Bundestag, aufgegeben haben.
    Es wurde dann in weiteren Debatten darauf hingearbeitet, sicherzustellen, daß wenigstens im Rahmen der Bundesrepublik eine Unterrichtung über die Tätigkeit des Ministerrates, daß in bestimmtem Ausmaß eine vorhergehende Unterrichtung erfolgt und daß vielleicht sogar eine Stellungnahme des Bundestages herbeigeführt wird. Denn in der Struktur dieser Gemeinschaft hat der Ministerrat wirklich eine sehr bedeutsame Stellung.
    Wir können der Aufgabe, die uns als Parlamentariern gestellt ist, wir können unserer Verantwortung nur gerecht werden, wenn wir ein Zusammenspiel des übernationalen Parlaments, des Europaparlaments, mit den nationalen Parlamenten herbeiführen, und wir dürfen hier keine Naht offenlassen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Das alles ist von Herrn Bundesaußenminister von Brentano in der Debatte damals aufgegriffen worden. Er hat auf die Behauptung hin, daß gewisse Zuständigkeiten der Parlamente überhaupt untergegangen seien, gesagt — ich zitiere —:
    Ich glaube aber nicht, daß die Feststellung richtig ist, eine Reihe von parlamentarischen Rechten gingen in dem Vertrag unter. Sicherlich ist es richtig, . daß der Rat in bestimmten Fällen ermächtigt ist, bindende Entscheidungen zu treffen, und in besonderen Fällen kann ja auch, wie Sie wissen, die Europakommission Verordnungen erlassen, die für die Staatsangehörigen dann unmittelbar verbindlich sind.
    Und nun kommt ein entscheidender Satz:
    Aber vergessen Sie nicht, daß die Mitglieder des Ministerrats ja ihrerseits wieder der parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
    Es gab dann Debatten darüber, ob diese parlamentarische Kontrolle direkt an den Minister heranführt. Wir wissen, wie die Konstruktion nach unserem Grundgesetz ist. Aber in der Zwischenzeit haben sich in Europa doch politische Entwicklungen vollzogen, die eine bestimmte Gefahr erkennen lassen, nämlich die Gefahr, daß die Kontrolle durch das Parlament und die Verantwortlichkeit der Minister vor dem Parlament z. B. in Frankreich mindestens problematisch sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es wäre richtig, dieses Problem in der europäischen Öffentlichkeit schon heute stärker in den Vordergrund zu rücken, um so dazu beizutragen, daß, nachdem nun in Frankreich eine neue Verfassung angenommen worden ist, die Verfassungswirklichkeit sich nicht anders gestaltet, als damals bei dem Abschluß der Verträge angenommen wurde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir alle haben ein Interesse daran, zu prüfen, ob wir in Zukunft das, was im Ministerrat behandelt wird, nicht auch stärker in Plenarsitzungen diskutieren müssen, um zu erreichen, daß auch in anderen Ländern die Parlamente ihrer Pflicht in dieser Richtung nachkommen, und sicherzustellen, daß in Europa insgesamt die parlamentarische Demokratie als solche nicht ausgeschaltet wird.

    (Abg. Dr. Zimmer: Was geht uns das an? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sollen wir das machen?)

    — Ich sehe, meine Herren, Sie glauben, daß alles dies, was ich hier vortrage, selbstverständlich sei. Ich hielt es jedenfalls für richtig, zu bemerken, daß dazu auch eine gewisse Einflußnahme gehört, ein gewisses Erkennenlassen dessen, was wir für richtig halten, z. B. von seiten der Regierung.
    Ich muß dieses Thema hier allein schon deswegen so hervorheben, weil wir damals, als wir noch nicht die Erfahrung hatten, daß man unter Europa gewissermaßen nur eine Art besonderer Bewaffnung verstand, als man den europäischen Gedanken noch in der vollen Breite erfassen und darum ringen konnte, der Auffassung waren, daß mit der Schaffung europäischer Institutionen gleichzeitig ein Beitrag zur internationalen Untermauerung und Absicherung der parlamentarischen Demokratie in allen unseren Ländern geleistet werden sollte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deswegen haben wir alle Veranlassung, diesen Punkt hier nicht völlig unerwähnt zu lassen.

    (Abg. Dr. Zimmer: Amerika hat keine parlamentarische Demokratie, sondern eine präsidiale!)

    — Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich auf die werdende Verfassungswirklichkeit abstelle. Man muß diesen Dingen die notwendige Aufmerksamkeit im status nascendi widmen und nicht erst, wenn es zu spät ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich finde jedenfalls, daß wir alle Veranlassung haben, in bezug auf diese Dinge die Praxis zu beobachten. Wir haben ja durch die Kontakte mit unseren Kollegen aus den anderen Parlamenten z. B. in Straßburg, in Luxemburg und in Brüssel gewisse Möglichkeiten, so zu wirken, daß das, was wir allgemein als richtig erkennen, sich auch dort fest verankert. Wir können den Kräften eine gewisse Stütze geben, die da noch um die endgültige Gestaltung ringen und in der Auseinandersetzung begriffen sind.
    In diesem Zusammenhang gibt es noch ein anderes Problem. Wenn wir hier schon eine solche De-



    Birkelbach
    batte haben, ohne uns nun insgesamt mit diesem Vertragswerk über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auseinanderzusetzen, dann sollten wir erkennen, daß politische Entwicklungen, die sich seit dem Abschluß des Vertrages vollzogen haben, möglicherweise Gefahren in sich bergen. Insofern muß ich bekennen, daß ich weniger optimistisch bin, als es Herr Kollege Furler in seinen Ausführungen war, der diese Aspekte bewußt hier nicht behandelt hat, der andererseits auch nicht darauf eingegangen ist, daß z. B. die besonderen Regelungen, die sich mit den überseeischen Gebieten unserer Partnerstaaten befassen, eine gewisse Beleuchtung notwendig machen. Wir meinen, daß es nicht allein darum geht, sicherzustellen, daß bei jedem einzelnen Projekt, das z. B. aus dem Entwicklungsfonds mitfinanziert wird, das Wohl der dortigen Bevölkerung, ihre Entwicklung zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Selbständigkeit beachtet wird. Wir dürfen unser Augenmerk nicht allein auf ein Einzelprojekt richten. Wir haben vielmehr ein Interesse daran, daß die Gesamtpolitik, die ein großer Partner etwa seinen überseeischen Gebieten gegenüber betreibt, nicht zu einer Beeinträchtigung der Stellung Europas zu diesen Gebieten führt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sollten das ,auch hier sagen, um so vor der Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß wir hier auch selber verantwortlich geworden sind. Wir haben ja in dieser Wirtschaftsgemeinschaft einen Ansatz zu einer politischen Gemeinschaft gesehen, und zu
    einer solchen politischen Gemeinschaft gehört mehr als das, was jetzt in den Vertragstexten steht. Wir müssen uns besonders davor hüten, daß unsere Schritte in dieser Richtung etwa als eine Einmischung in fremde Zuständigkeit empfunden werden. Da es diese Gemeinschaft nun einmal gibt, müssen Meinungsäußerungen in den nationalen Parlamenten möglich sein.
    Auf diesem Gebiet ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Wir wollen klarmachen, daß wir eine Rückkehr zu überholten Methoden und Konstruktionen in den Beziehungen zu den überseeischen Ländern als eine starke Gefährdung der Entwicklung zur europäischen Einheit ansehen. Hier allerdings haben wir bisher den Eindruck, daß die Bundesregierung von vornherein bereit ist, passiv zu bleiben, wenn möglich zwar zu zahlen, aber darüber hinaus nichts tun will. Es sollte klargemacht werden, daß gerade die Bestimmungen über die wirtschaftlichen Beziehungen zu den überseeischen Gebieten einen neuralgischen Punkt des Vertragswerkes darstellen, und dort, wo man etwas tun kann, sollte man etwaige Gefahren auch abzuwenden suchen.
    Wir haben es für nötig gehalten, bei der Diskussion, die wir hier führen, diese politischen Punkte hervorzuheben.
    Nun zu dem anderen Teil der hier vorgelegten Großen Anfrage. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Verwirklichung der Freihandelszone auftun, werden natürlich nicht von heute auf morgen überwunden werden können. Es wird da sehr langwieriger und schwieriger Verhandlungen bedürfen. Es besteht jedoch kein Grund zu der Annahme, von deutscher Seite werde hier etwa nachlässig gehandelt oder es sei nicht das Ziel der Bundesregierung, zu einer wirklichen Assoziation und zu einer Freihandelszone zu kommen. Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Furler, doch sagen, daß wir die Freihandelszone nicht für eine Einrichtung halten, ohne die man unter Umständen auch auskommen könnte. Nach unserer Auffassung sind gerade im deutschen Interesse besondere Anstrengungen in dieser Richtung nötig, und das sollte auch in der deutschen Öffentlichkeit gebührend erkannt werden.
    Für diese Notwendigkeit führe ich zwei Gründe an. Zunächst: der politische Schaden, der durch eine weitere Aufspaltung Europas entstehen würde, wäre nicht ohne weiteres zu überbrücken. Zumindest in der Einschätzung dieser Gefahr sind wir uns alle einig. Zweitens: die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Auseinanderrückens der beiden Teile Europas könnten in einem bestimmten Umfange zu einer Bedrohung der Arbeitsplätze in ihrer bisherigen Verteilung führen. Wir wissen, daß unsere Nachbarländer Österreich, die Schweiz, Schweden, Dänemark und Norwegen in das Gebiet der EWG zwischen 28 und 49 0/o ihres Gesamtexports ausführen. Da taucht doch die Frage auf, wie wir unsere eigenen Bezüge aus diesen Ländern auf die Dauer bezahlen sollen, wenn nicht allein eine Zollsenkung gegenüber unseren anderen Nachbarländern eintritt, sondern gleichzeitig für eine ganze Reihe von Produkten — wenn nicht gleichzeitig, so doch im Laufe der Zeit — eine Zollheraufsetzung im Rahmen des für die Länder des Gemeinsamen Marktes geltenden Gesamt-Außenzolls.
    Hier klafft etwas auseinander, und das kann durchaus auch bedrohliche Auswirkungen haben und die Struktur unserer Wirtschaft in mancher Beziehung stark berühren. Die Freihandelszone ist also auch aus diesem nationalen Interesse notwendig, und wir dürfen uns nicht etwa auf den Standpunkt stellen, zur Not ginge es auch ohne das, sondern müssen mit allem Nachdruck daran arbeiten, hier zu einer Lösung zu kommen, die praktisch eine Ausbreitung der Wirtschaftsgemeinschaft, eine Verhinderung der Abkapselung der Wirtschaftsgemeinschaft möglich macht.
    In diesen Fragen gibt es gewisse Unterschiede zwischen Ihrer Auffassung und unserer. Wir könnten uns durchaus denken, daß eine Reihe von vertraglichen Regelungen auch der jetzigen Wirtschaftsgemeinschaft — natürlich nicht alle, nicht jede Bestimmung, aber eine Reihe von Bestimmungen — angepaßt werden könnten, daß man also nicht nur, wie einmal gesagt wurde, unter dem Gesichtspunkt verhandelt: der europäische Besitzstand muß gewahrt werden. Wenn ich alles das zusammenfasse, was in der Zwischenzeit an Problematik hier aufgetaucht ist, dann muß ich den Begriff europäischer Besitzstand sehr viel enger fassen, als es bisher geschehen ist. Man darf ihn auf keinen Fall zu stark



    Birkelbach
    auf das Institutionelle ausdehnen und glauben, hier ginge es darum, alles und jedes zu verteidigen.
    Darüber hinaus können die möglichen Lösungen in bezug auf die Wirtschaftsassoziationen mit andern Ländern durchaus auch die Schaffung von Institutionen einschließen, die parallel zu denjenigen der EWG und mit ihnen zusammen handeln können. Hier muß nach unserer Auffassung eine elastische Lösung vorherrschen. Man darf nicht zu starr an der sogenannten Ausgangsgrundlage festhalten.
    Nun sehen wir natürlich ein, daß die Verwirklichung der Freihandelszone zum I. Januar des kommenden Jahres kaum erreichbar sein wird. Wir würden es begrüßen, wenn man zu einer provisorischen Lösung für diesen Zeitpunkt käme, aber nicht zu einem Provisorium, das dann sozusagen der Dauerzustand wird, sondern es muß hier ganz klar sein, wohin wir gehen wollen.
    Wir müssen in jeder Beziehung das Gefühl bekommen, daß die Bundesregierung die eigenen Interessen des deutschen Volkes und der arbeitenden Bevölkerung insbesondere nachdrücklich wahrnimmt. Gegen die hier eingebrachte Entschließung, gegen den Antrag Nr. 161, haben wir keine Einwendungen vorzubringen. Wir glauben, daß er in die richtige Richtung zielt, werden ihm also zustimmen.
    Wir hatten bei unseren Überlegungen, die uns zu dem Schluß führten, dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft seinerzeit zuzustimmen, einige andere Fragen hervorgehoben, andere als in den Betrachtungen bisher, insbesondere von den Sprechern der FDP, vorgetragen worden sind. Wir glaubten, daß nationale Bemühungen zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes heute nicht mehr ausreichen würden und daß es darauf ankäme, eine gemeinsame Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik zu entwickeln und dafür auch Institutionen zu schaffen, die dann nachher ein Parallelschalten mit anderen Wirtschaftsräumen durchaus denkbar machen. Wir waren uns bewußt, daß in diesen Vertrag eben nicht der früher so sehr strapazierte Begriff der sogenannten Supranationalität in eine Vorwegbestimmung hineinkommen werde, sondern daß man sich bemühte, mehr pragmatisch und in Etappen vorzugehen und im Laufe der Zeit auch eine Überwindung der Teilintegration, die unsere Wirtschaft nach unserer Auffassung gefährlich lähmen könnte, zu erreichen.
    Das alles sind Gesichtspunkte, die wir hier in den Vordergrund zu rücken haben, um zu zeigen, wo die wirklichen Anliegen sind, die uns veranlaßten, dieses Vertragswerk anzunehmen. Da die Ansatzpunkte sehr schwach sind — wir haben das in der Debatte betont —, käme es darauf an, sie weiter zu entwickeln und sie nicht aus der Diskussion in der Öffentlichkeit herauszulassen.
    Wenn wir das alles so betont und dabei immer wieder auch ein anderes Monitum angebracht haben, dann aus folgendem Grundgedanken heraus: Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die verstärkten Bemühungen um eine sogenannte Westintegration letzten Endes mit der Tendenz der Einschmelzung eines Teiles Deutschlands in ein solches westliches System große Gefahren für die Möglichkeit einer Überwindung der deutschen Spaltung in sich bergen. Wir sind der Auffassung, daß man jederzeit, bei allen Besprechungen und bei allem, was man tut, an die Notwendigkeit, dem zu begegnen, denken sollte. Dabei müssen wir auch heute, insbesondere nach der Debatte, die gestern hier geführt worden ist, sagen: wir sehen, zu welchen Anstrengungen und Opfern die Bundesregierung bereit ist, z. B. in jenen Fragen eine Annäherung herbeizuführen, eine praktische Lösung auszuarbeiten. Auf der anderen Seite aber möchten wir, daß zur Überwindung der deutschen Spaltung mindestens die gleiche Aktivität und der gleiche Nachdruck entwickelt werden, um auch hier zu praktischen Lösungen zu kommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben Ihnen gestern — ich erinnere an die Rede des Herrn Kollegen Professor Dr. Schmid — gewisse Anregungen unterbreitet, über die wir uns noch weiter zu unterhalten gedenken. Ich glaube, daß Sie aus dieser Ankündigung und auch aus dem, was ich hier in dieser Debatte vorgetragen habe, erkennen können, wie sehr uns daran liegt, eine Integration, die wir brauchen, um einen besseren Lebensstandard und die Vollbeschäftigung zu erreichen, mit einer Politik zu verbinden, die letzten Endes die Überwindung der Spaltung Deutschlands ermöglicht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an eine Bemerkung anschließen, die der Kollege Birkelbach in seiner Rede über die Gedanken gemacht hat, die die sozialdemokratische Fraktion bewogen haben, dem Vertrag über die EWG zuzustimmen, nämlich einen größeren Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem es größere Stabilität geben würde und in dem auch der Lebensstandard verbessert werden könnte. Das ist eine durchaus liberale Idee, und sie ist auch die Grundlage der Überlegungen der Freien Demokratischen Partei gewesen. In einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft braucht man große Räume, um zu einem ungehinderten Warenverkehr zu kommen. Sicherlich ist das die Grundlage für die Überlegung, in Europa einen einheitlichen Markt zu entwickeln, der etwa 250 Millionen Verbraucher umfassen und der es der Wirtschaft erst ermöglichen würde, ihre optimale Leistung voll auszuschöpfen.
    Dabei besteht allerdings immer die große Gefahr, daß es bei solchen Entwicklungen zu perfektionistischen Formen kommt, die nachher eine dirigistische und protektionistische Entwicklung begünstigen könnten, und das würde die freie Entfaltung der Kräfte, die wir an den Anfang aller unserer Überlegungen stellen, hemmen und zu einer Schrumpfung des Wirtschaftsprozesses führen, die wir weiß Gott nicht wollen. Daher kommt es dar-



    Scheel
    auf an, bei allen Überlegungen zur Schaffung von wirtschaftlichen Großräumen am Anfang die Weichen richtig zu stellen, nämlich am Anfang eine freiheitliche Entwicklung zu begünstigen. Das, meine Damen und Herren, war genau die Einstellung, die die FDP hatte, als wir die Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besprochen haben.
    Sie wissen, daß wir der EWG gegenüber eine verhältnismäßig reservierte Haltung gehabt haben. Bei der Beratung dieser Verträge hat uns ein Mißbehagen beschlichen, und das aus zwei Gründen. Der erste Grund war, daß nach innen, nämlich in der Entwicklung im Vertragsbereich selbst, das Vertragswerk alle protektionistischen und dirigistischen Möglichkeiten offengelassen hat, ja gerade die Chance für solche Entwicklungen eröffnet hat, wobei auf der anderen Seite auch eine liberale Entwicklung durch die Verträge sehr wohl möglich ist.
    Aber vor allen Dingen haben wir Sorge gehabt, daß dieses Gebiet sich nach außen hin abkapseln könnte; denn die Konstruktion einer Zollunion mit einem gemeinsamen Außenzoll bietet natürlich die Möglichkeit der Abkapselung und der Einschränkung des Verkehrs mit den Staaten, mit den Völkern um uns herum. Daher haben wir von Anfang an entscheidendes Gewicht darauf gelegt, diesen Raum durch die Freihandelszone zu ergänzen. Wir haben in allen Beratungen damals immer wieder hervorgehoben, daß unsere Stellung zur EWG durch die Tatsache beeinflußt werden würde, wie sich die Verhandlungen über die Freihandelszone entwikkeln würden. Ich war selbst — Sie werden sich erinnern — Berichterstatter des Bundestags in dieser Frage, und der Bundestag hat damals einstimmig unserer Auffassung seine Zustimmung gegeben, daß nämlich die EWG gefährdet werden würde, wenn es nicht gelänge, die Freihandelszone zu erreichen.
    Unsere Große Anfrage, meine Damen und Herren, hat nichts anderes im Sinne gehabt als die Regierung aufzufordern, im Sinne der einstimmigen Entschließung des Bundestags zu wirken. Die Bundesregierung hat diese Große Anfrage, ich muß sagen, detailliert beantwortet, wenngleich ich betonen möchte, daß auch bis jetzt schon eine Unterrichtung des Bundestags und der Ausschüsse hätte möglich sein müssen; denn so wenig ist ja in der jüngsten Vergangenheit nicht passiert. Und wenn die Initiative nun beim Wirtschaftspolitischen Ausschuß vielleicht gefehlt hat, dann hätte die Bundesregierung die Initiative ergreifen müssen, um der Pflicht, mit dem Parlament diese Frage zu diskutieren, nachzukommen. Das heißt also: Für die Vergangenheit bin ich nicht recht zufrieden; für die Zukunft hat uns die Bundesregierung sehr prononciert ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, uns in allen Einzelfragen zu unterrichten und zu einem wirklichen Gespräch zu kommen.
    Ich möchte bei der Gelegenheit einen Gedanken von Herrn Professor Furler aufgreifen; ob es nicht ratsam wäre, einen Sonderausschuß des Bundestags mit der laufenden Diskussion dieser Frage zu beauftragen, der gleichzeitig dann auch die koordinierende Tätigkeit mit dem europäischen Parlament von sich aus durchführen könnte.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es scheint mir jetzt nötig zu sein, einige Ergänzungen zur Antwort der Bundesregierung zu bringen.
    Wir müssen uns wohl mit dem Bild der zukünftigen Freihandelszone auseinandersetzen weil auch hier gewisse Institutionen sich zu entwickeln scheinen, die dem Bilde einer liberalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten nicht ganz entsprechen mögen. Die komplizierten Vertragsabmachungen, die wir ja schon aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kennen und die wir im Bereich der Verhandlungen über die Freihandelszone wieder erleben, lassen manchen liberalen Beobachter fragen, ob nicht eine lockere Verbindung, in der die Volkswirtschaften der Industriestaaten vor dem ersten Weltkrieg einen Zustand der Vollintegration erreicht hatten, der jetzigen Form der Zusammenarbeit vorzuziehen sei. Diese Beobachter lassen wohl außer acht, daß der paradiesische Zustand der Weltwirtschaft vor dem 1. Weltkrieg diesen Krieg und andere Konflikte nicht verhindert hat. Ja, es besteht sogar der Verdacht, daß das bloße Interesse für den reibungslosen Ablauf des Zahlungsverkehrs mit ein Teil Schuld trägt an der Anfälligkeit unserer Weltwirtschaft, die ja zum Teil eine Folge der labilen Situation der Rohstoffländer ist.
    Der Zustand des reibungslosen Waren- und Zahlungsaustauschs auf der Basis der Goldwährung, wie er vor ,dem 1. Weltkrieg bestand, ist schon deswegen nicht mehr zu erreichen, weil die Industriestaaten sich ein hohes Maß an Souveränität in der Wirtschaftspolitik erhalten wollen. Das gilt nicht nur für die Staaten, die etwa planwirtschaftliche oder sozialistische Vorstellungen mit der Wirtschaftspolitik verbinden, sondern das gilt auch für die Staaten, die eine sehr liberale Wirtschaftspolitik treiben. Wenn Sie sich einmal gerade die Verhandlungen um das Zustandekommen der Freihandelszone und die Rolle, die die Schweiz in diesen Verhandlungen spielt, ansehen, dann stellen Sie fest, daß gerade solche Staaten nicht auf ein Jota ihrer liberalen Wirtschaftspolitik verzichten wollen.
    Bei dieser Sachlage muß man erkennen, daß eine Reintegration der europäischen Wirtschaft, wie sie z. B. Professor Röpke jetzt als notwendig erachtet, nicht allein durch das Senken von Zöllen und die Beseitigung von Kontingenten erreicht werden kann, sondern daß darüber hinaus bei der heutigen Sachlage weitere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden müssen. Erst ein Höchstmaß an Koordinierung kann uns diese Reintegration bringen, die wir ja alle wollen.
    Vor allem ist das bei der Abstimmung der Konjunkturpolitik der beteiligten Staaten nötig; denn hieran hängt ja eine befriedigende Entwicklung der ganzen europäischen Entwicklung. Wenn wir Rückschläge schwerer Natur erlitten, etwa dadurch, daß wir unsere Konjunkturpolitik nicht aufeinander abstimmten und daß dadurch Störungen im Waren-



    Scheel
    und Zahlungsverkehr entstünden, dann würden solche Rückschläge möglicherweise zu einem Rückfall in die alten autarkischen Bestrebungen der Wirtschafts- und Handelspolitik der Völker untereinander führen. Schon deswegen ist es nötig, hier zu gewissen Übereinstimmungen zu kommen.
    Viel wird davon abhängen, in welchem Geiste die Verträge, die wir teils abgeschlossen haben, teils abschließen müssen, ausgeführt werden. Es ist heute aus verschiedenen Gründen wohl nicht möglich, ein marktwirtschaftliches Ordnungssystem einfach über die Grenzen hinaus auszudehnen. Wir müssen nun einmal den etwas umständlichen Weg der zwischenstaatlichen Verträge gehen, so leid uns das auch tun mag. Wenn die neuen europäischen Behörden, die wir entweder schon haben oder vielleicht noch bekommen werden, die Verträge in liberalem Sinne auszuführen, können wir froh sein; wir müssen es wünschen. Ich habe den Eindruck, daß nicht alle leitenden Beamten der europäischen Organe so wenig liberal denken, wie es mancher Kritiker aus der Sache heraus vermutet. Insofern kommt natürlich bei der weiteren Entwicklung, die wir anstreben, nämlich der Erreichung eines größeren Raumes der Zusammenarbeit, der Auffassung der schon bestehenden Institutionen eine gewisse Bedeutung zu.
    Ich möchte hier einmal, weil es notwendig erscheint, die Auffassung zitieren, die die Kommisson der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu der Notwendigkeit, eine Freihandelszone zu entwickeln, hat. Das Mitglied der Kommission, der belgische liberale Politiker Jean Rey hat dazu vor dem Europäischen Parlament bemerkenswerte Ausführungen gemacht, die ich Ihnen gern vortragen möchte. Er sagte nämlich:
    Wir
    - wir, das ist die Europäische Kommission
    halten die Schaffung einer europäischen Wirtschaftsassoziierung
    — das ist die Freihandelszone —
    für notwendig, weil dies im Sinne der Urheber des Vertrages von Rom ist und weil sie diesen Wunsch in der gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der internationalen Organisation erneut bestätigt haben. Diese Erklärung ist der Schlußakte vom 25. März 1957 beigefügt.
    Nach unserer Auffassung kann es jedenfalls nicht das Ziel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein, eine autarkische Stellung einzunehmen, die allen Grundsätzen, auf denen sie selbst begründet ist, widersprechen würde. Wir sind dieser Auffassung, weil wir uns darüber klar sind, daß die Mitgliedstaaten unserer Gemeinschaft selbst den Wunsch hegen, ihren Wirtschaftshorizont zu erweitern, und weil ein Mißlingen dieser Bemühungen in der Folge ohne Zweifel ernste Schwierigkeiten und Spannungen innerhalb der Gemeinschaft selbst hervorrufen würde. Wenn unsere Gemeinschaft mit Recht den Vorwurf zurückweist, irgendwelche
    unterschiedliche Bedingungen in Europa gegeschaffen zu haben, so muß sie andererseits
    meine Damen und Herren, das ist sehr wichtig —
    auf die Folgen achthaben, die sowohl innerhalb wie außerhalb der Gemeinschaft aus solchen unterschiedlichen Bedingungen entstehen, und zum Ausdruck bringen, daß sie gewillt ist, die augenblicklichen Schwierigkeiten im Geiste der Zusammenarbeit zu beseitigen.
    Das ist allerdings die Aufgabe der EWG im Zusammenhang mit den Diskussionen über das Entstehen einer europäischen Wirtschaftsassoziation, wie wir sie sehen. Ich glaube, man sollte hier im Parlament festhalten, daß die Auffassung, die von Herrn Rey vorgetragen worden ist, die Richtschnur für die künftige Arbeit der Europäischen Kommission sein sollte.
    Der erste Gesamtbericht der Europäischen Kommission, ein dickes Werk, das uns in den letzten Tagen zugegangen ist, sagt eine ganze Menge über Liberalisierung, über Öffnung der Märkte und eigentlich recht wenig über die ersten Anzeichen protektionistischer Regungen innerhalb des Vertrags. Da die Mitarbeit der EWG-Kommission an der weiteren Entwicklung des Vertragswerks über das Zustandekommen einer Freihandelszone von entscheidender Bedeutung ist, ist auch diese Äußerung zu dem Problem im jetzigen Gesamtbericht, so glaube ich, wichtig und sollte hier festgehalten werden. Die Vermittlungsvorschläge der Europäischen Kommission in der Vergangenheit haben ja zu einem Teil zu dem Bild beigetragen, das sich jetzt abzuzeichnen scheint.
    Ein Gebiet ist weder in den Verträgen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch in dem ersten Gesamtbericht der Europäischen Kommission noch in den Ausführungen der Bundesregierung zu unserer Großen Anfrage erwähnt worden, ein Gebiet, das ich persönlich bei der Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften im Verkehr miteinander für das wichtigste halte: das ist das Währungsgebiet. Ausgerechnet das Währungsgebiet ist der Sektor, der im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am meisten vernachlässigt worden und auch bisher bei der Diskussion um die Freihandelszone nicht erfaßt worden ist. Die Erhöhung des Warenverkehrs allein ist ein Nonsens, wenn der Zahlungsverkehr stockt. Das ist der Kern bei allen Versuchen, zu einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu kommen. Solange aber die Staaten, die an einem Vertragswerk teilhaben, ihre Wechselkurse willkürlich festsetzen können, die Autonomie der Währungspolitik behalten, bleibt alle andere Zusammenarbeit ein Stückwerk.
    In der jüngsten Vergangenheit sind Versuche gemacht worden, zu einer Konvertibilität der Währungen zu kommen. Es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der monate-, ja jahrelang einen verbissenen Kampf geführt hat, zu einem frühen Zeitpunkt dieses Stadium zu erreichen. Diese Versuche sind gescheitert, weil, so sagt man, die Währungen noch nicht reif dafür seien. Die Wirtschafts-,



    Scheel
    die Finanz-, Konjunktur- und Währungspolitik der Staaten müsse einander angeglichen werden. Die Konvertibilität setze voraus, daß alle beteiligten Währungen Hartwährungen seien; und dieser Zustand ist bisher noch nicht erreicht worden. Sicherlich, so glaube ich, wird die in den Verträgen vorgesehene Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Währungspolitik eine gewisse Voraussetzung für die Konvertibilität der Währungen bilden. Aber sie bietet keine Garantie für eine disziplinierte Währungspolitik. Hier beißt sich die Katze nämlich in den Schwanz. Die Konvertibilität setzt Hartwährung voraus. In vielen Fällen wird aber die Hartwährung nur unter dem Zwang der Konvertibilität erreicht werden. Ein freier Wechselkurs erst würde eine inflationäre Finanzierung der Expansion des Binnenmarktes durch Zahlungsbilanzdefizite verhindern.
    Die Währungspolitik scheint mir auch das Kernproblem der Zusammenarbeit im Rahmen der zukünftigen Freihandelszone zu sein, und ich glaube, die Bundesregierung sollte den größten Wert darauf legen, ihrerseits bei ihren Bemühungen, dieses Vertragswerk zu erreichen, immer wieder dieses Kernproblem zum Gegenstand der Diskussion zu machen.
    Die Bundesregierung hat überhaupt die wichtige Aufgabe, im Sinne der Beantwortung der Großen Anfrage der FDP sozusagen als Vermittler zwischen den widerstreitenden Meinungen der zukünftigen Partner in einem solchen Gebiet aufzutreten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat angedeutet, daß er sich in der Vergangenheit immer wieder um diese Aufgabe bemüht hat. Im wesentlichen — das ging auch aus den Darlegungen von Herrn Professor Furler hervor — sind es wohl die unterschiedlichen Auffassungen unseres französischen Partners aus der EWG und des zukünftigen englischen Partners innerhalb der Freihandelszone, die es auszugleichen gilt — auszugleichen in einem positiven Sinne. Der Nationalökonom Röpke hat einmal von dem „Druck nach unten" gesprochen, den er in der internationalen Zusammenarbeit auf der Basis solcher Verträge befürchtet. Ich glaube, es ist die Aufgabe unserer Bundesregierung, auf der Basis einer liberalen wirtschaftspolitischen Überzeugung einen Druck nach oben auszuüben, und es ist die Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers, zwischen den beiden, mit denen er es im wesentlichen zu tun hat, in diesem Sinne auszugleichen. Ich möchte sagen, in Abwandlung eines populären Bildes und unter Beibehaltung der traditionellen Rolle, die der Bundeswirtschaftsminister ja hat: „Ein Weltkind links, das andere rechts, Prophete in der Mitten." So sollte er seine Rolle auffassen: der Prophet einer liberalen Entwicklung sollte zwischen den beiden anderen Partnern ausgleichen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Röpke, der ja ein scharfer Kritiker der Entwicklung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist und der als ein liberaler Nationalökonom mit besonderer Dringlichkeit immer wieder darauf hinweist, daß es zu einer Freihandelszone kommen müsse, wenn anders die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als solche überhaupt solle funktionieren können, hat der Bundesrepublik und der Bundesregierung offensichtlich eine positive Rolle in dieser Entwicklung zugedacht. Ich weiß nicht, ob er dieses Lob für die Bundesregierung in seinen verschiedenen Reden und Aufsätzen niedergelegt hat, bevor oder nachdem er die Rede des Arbeits- und Sozialministers über die Notwendigkeit des Wohlfahrtsstaates gelesen hat. Ich möchte annehmen, er hat seine Meinung vor Kenntnisnahme dieser Rede geäußert und nicht nachher; sonst wäre er sicherlich zutiefst erschrocken gewesen und würde berechtigten Zweifel in die Kraft der Bundesregierung haben, einen solchen Weg zu gehen.
    Ich glaube, die Bundesregierung hat noch weitere Aufgaben in der weiteren Entwicklung zu einer Freihandelszone, nämlich bei der Schaffung möglicher neuer Institutionen sehr große Vorsicht walten zu lassen. Es ist ja — so konnten wir aus der Presse entnehmen, und so ist auch eben aus den Ausführungen von Herrn Professor Erhard hervorgegangen — in Venedig offenbar Einigkeit darüber erzielt worden, daß man eine Freihandelszone mit den institutionellen Mitteln der OEEC steuern kann und will. Darüber hinaus aber — so habe ich mir sagen lassen — sollen noch zusätzliche Direktorien und Einrichtungen geschaffen werden. Sollte man hier nicht einmal ins Auge fassen, ob man eine gewisse Koordinierung oder eine Harmonisierung der nebeneinander hergehenden Verträge dadurch erreichen kann, daß man gewisse Aufgaben den gleichen schon bestehenden Organen und Institutionen geben kann, selbst über alle möglichen juristischen und vertragsrechtlichen Fußangeln hinweg? Wo es einen Willen zu einer solchen Koordinierung gibt, da sollte man auch einen Weg finden.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist nötig, im Zusammenhang mit der Diskussion über die Entwicklung der Freihandelszone ein besonderes Problem zu besprechen. Das ist nämlich die Aufgabe, die eine solche zukünftige europäische Wirtschaftsassoziation haben müßte. Dieses ist nicht nur die Verbesserung des Warenaustauschs auf dem europäischen Markt. Genauso wichtig, glaube ich, vielleicht noch bedeutsamer, ist die Herstellung intensiver Wirtschaftsbeziehungen zwischen den klassischen Industrieländern und den sogenannten Entwicklungsländern, damit die Störanfälligkeit der Weltwirtschaft verringert wird. Diese Aufgabe ist um so schwieriger, als sie mit den Bestrebungen dieser Gebiete zusammenfällt, ihre politische Unabhängigkeit zu erringen und auszubauen. Der Herr Kollege Birkelbach hat soeben auf die politische Seite dieser ungemein wichtigen Frage hingewiesen. Diese Gebiete haben fast ohne Ausnahme, sei es aus klimatischen Gründen oder als Folge der Kolonialpolitik der Vergangenheit, die krisenanfällige Monokultur als Grundlage ihrer Volkswirtschaft. Wir erleben in jüngster Zeit, wie durch einen Preisverfall auf dem Rohstoffsektor diese Länder und Gebiete Störungen des Welthandels auslösen, die ernste Folgen haben können. Bei sinkenden Rohstoffpreisen müssen



    Scheel
    diese Länder ihre Bestellungen an Industrieerzeugnissen kürzen. Das führt zu Beschäftigungseinschränkungen in den Industrieländern, und das hinwiederum führt dazu, daß diese Industrieländer ihre Rohstoffkäufe einschränken müssen, und wenn man diesen Circulus nicht irgendwo unterbricht, dann kann es zu erheblichen Schrumpfungen des Welthandels führen mit all seinen verheerenden sozialen und politischen Folgen.
    Die vornehmste Aufgabe einer zukünftigen europäischen Zusammenarbeit auf breiter Grundlage scheint es mir zu sein, diesen Gebieten bei der Verbesserung ihrer Wirtschaftsstruktur mit materieller Hilfe und mit technischem Rat zur Seite zu stehen. Europa ist ja das beste Beispiel dafür, daß eine schnelle und großzügige Hilfe für den Aufbau der Wirtschaft auch schnell Früchte tragen kann. Wer hätte bei Beginn der großzügigen Marshallplanhilfe vor zehn Jahren je geglaubt, daß wir so bald wieder anderen helfen können, nachdem unser wirtschaftlicher Aufbau aus dem Zustand einer völlig zerschundenen, desolaten europäischen Wirtschaft heraus begonnen hat. Die sinnvolle Verteilung der Aufgaben im Verkehr mit diesen Entwicklungsländern für die Zukunft sollte allerdings schon jetzt überlegt werden. Eine wirkungsvolle Hilfe bei der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den Entwicklungsländern kann sich nicht in einer einmaligen Leistung erschöpfen. Erst der ständige Kontakt wird hier befriedigende Ergebnisse bringen.
    Die Weltbank hat in den vergangenen Jahren sicherlich eine hervorragende Pionierleistung auf dem Gebiete weltweiter Finanzierungsgeschäfte vollbracht. Mir scheint es jedoch sinnvoll zu sein, daneben noch andere, sowohl multilaterale als auch bilaterale Maßnahmen ins Auge zu fassen.
    Eins muß gesagt werden: Die Hilfe mit öffentlichen Mitteln allein hat nur geringen Nutzen, wenn nicht daneben die private Investition tritt. Ob allerdings deutsches privates Kapital in nennenswertem Umfang in die Entwicklungsgebiete fließt, hängt zu einem großen Teil von dem Investitionsklima ab, das die verantwortlichen Behörden dieser Gebiete für ausländische Investoren schaffen. Der unbedingte Schutz des Privateigentums ist wohl die erste Voraussetzung in diesem Zusammenhang.
    Die Entscheidung, die die Regierung der Vereinigten Staaten über die Rückgabe des im Kriege beschlagnahmten privaten Eigentums trifft, ist von großer Bedeutung für diese Entwicklung.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    In den letzten Wochen und Monaten ist deutlich geworden, daß eine Hilfe für die Entwicklungsländer, um wirkungsvoll zu sein, schnell und großzügig gewährt werden muß. Die 1,2 Milliarden Menschen, die in diesen Ländern wohnen, produzierten 1955 nur für 150 Milliarden Dollar. Das ist nicht viel mehr als ein Drittel der Produktion, die die Vereinigten Staaten mit nur 160 Millionen Einwohnern hatten. Sie können sich vorstellen, was aus dieser Situation herausspringt, welches Lebensniveau dort anzutreffen ist. Das soziale Niveau der Industrieländer und der Entwicklungsländer nähert sich in den jüngsten Jahren nicht, sondern es klafft mehr und mehr auseinander. Wenn wir die sozialen Spannungen und ihre drohende Explosion vermeiden wollen, dann gilt es, jetzt all das nachzuholen, was wir vielleicht in der Vergangenheit versäumt haben. Es gilt, das kräftig zu tun, schnell zu tun, und zwar gemeinsam zu tun. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit aller europäischen Völker.
    Nun tritt die Bundesrepublik auf diesem Gebiet in eine ganz besondere Verantwortung ein. Sie schickt sich an, als beachtlicher Gläubiger in dieser Entwicklung auf dem Weltmarkt aufzutreten. Wenn das ein Staat tut, und zwar ganz im Gegensatz zu dem bisherigen Verlauf seiner Rolle, die er in der Welt gespielt hat, dann sollte man an den Anfang einige politische Überlegungen stellen. Jetzt ist es dazu noch Zeit. Ich meine, wir sollten sehr bald einmal über diese Entwicklung, die sowohl mit einer zukünftigen Freihandelszone in Europa als auch mit der besonderen Rolle der Bundesrepublik in diesem Rahmen in Zusammenhang steht, im Parlament, sei es im Plenum, sei es in den dafür zuständigen Ausschüssen, eingehend diskutieren. Ich hoffe, daß die Verhandlungen, die jetzt in Neu-Delhi stattfinden und an denen der Herr Bundeswirtschaftsminister teilnimmt, nicht ein Präjudiz schaffen für eine Entwicklung, die wir in unserem Parlament noch nicht ausreichend besprochen haben.
    Zum Abschluß möchte ich auf einige Bemerkungen eingehen, die der Kollege Dr. Furler im Rahmen seines Diskussionsbeitrags gemacht hat. Sie scheinen mir vor allem wichtig zu sein, um die Stellungnahme der Freien Demokratischen Partei zum Problem der Freihandelszone noch einmal klarzumachen.
    Zunächst hat er gesagt, daß die Bundesrepublik die Freihandelszone wohl gar nicht brauche,

    (Widerspruch des Abg. Dr. Furler)

    — Entschuldigung! — daß die Bundesrepublik nicht so scharf sei auf das Zustandekommen der Freihandelszone; sie habe sie nicht unbedingt nötig. Das war doch wohl der Sinn dessen, was Sie sagten.