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ID0304200600

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    Deutscher Bundestag 42. Sitzung Berlin, den 2. Oktober 1958 Inhalt: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Erfüllung des EWG-Vertrags (Drucksache 371) Margulies (FDP) 2429 C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2434 B Dr. Furler (CDU/CSU) 2436 C Birkelbach (SPD) 2441 A Scheel (FDP) 2443 D Dr. Starke (FDP) . . . . . 2448 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (FDP) (Drucksache 446) — Erste Beratung — Frau Friese-Korn (FDP) . . . . . 2450 B Entwurf eines Gesetzes zu den internationalen Betäubungs-Protokollen von 1946, 1948 und 1953 (Drucksache 453) — Erste Beratung — 2450 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Drucksache 100) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 478) — Zweite und dritte Beratung — . . . . . . . . . 2450 D Nächste Sitzung 2451 C Anlagen 2453 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 42. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Oktober 1958 2429 42. Sitzung Berlin, den 2. Oktober 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.06 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Ackermann 4. 10. Bauer (Wasserburg) 4. 10. Blachstein 4. 10. Frau Döhring (Stuttgart) 4. 10. Eplée 4. 10. Gibbert 4. 10. Giencke 4. 10. Günther 4. 10. Hilbert 4. 10. Josten 4. 10. Knobloch 4. 10. Dr. Kopf 4. 10. Kraft 3. 10. Kunze 4. 10. Dr. Löhr 4. 10. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 4. 10. Müser 5. 10. Peters 4. 10. Dr. Pferdmenges 4. 10. Pietscher 6. 10. Rademacher 4. 10. Ramms 4. 10. Scharnberg 4. 10. Schneider (Bremerhaven) 4. 10. Stauch 3. 10. Theis 3.10. Wacher 3. 10. Wischnewski 5. 10. b) Urlaubsanträge Berkhan 30. 10. Dr. Böhm 10. 10. Dowidat 10. 10. Engelbrecht-Greve 4. 11. Frehsee 4. 11. Dr. Gülich 11. 10. Dr. Höck (Salzgitter) 25. 10. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Jahn (Frankfurt) 10. 10. Maier (Freiburg) 22. 11. Muckermann 12. 10. Rasner 28. 10. Frau Schmitt (Fulda) 17. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 18. 10. Schoettle 18. 10. Anlage 2 Umdruck 161 (neu) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Erfüllung des EWG-Vertrages (Drucksache 371). Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag unterstreicht erneut die große Bedeutung, die dem Abschluß eines Vertrages über eine Europäische Freihandelszone zur Ergänzung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als einen weiteren Schritt auf dem Wege zur weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit zukommt. Er billigt die Bemühungen der Bundesregierung, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Standpunkten der Verhandlungspartner herbeizuführen und Lösungen zu erarbeiten, die den wichtigsten Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen. Er fordert die Bundesregierung auf, auch weiter alles in ihren Kräften Liegende zu tun, um baldmöglichst zum Abschluß eines Vertrages zu gelangen, der die Schaffung einer umfassenden Europäischen Freihandelszone vorsieht, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ergänzen soll. Berlin, den 1. Oktober 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion Dr. Mende und Fraktion
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    Rede von Dr. Hans Furler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, den Bundestag und den Bundesrat eingehend über die Entwicklung zu informieren, die in den Räten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und von Euratom stattfindet, und daß sie auch verpflichtet ist, uns zu unterrichten, wenn dort Beschlüsse gefaßt werden, die entweder unmittelbar bei uns Recht sind oder die innerdeutsche Gesetze notwendig machen. Ich sage dies deshalb, weil ich glaube, daß Herr Margulies die sich aus dem Gesetz ergebende Unterrichtungspflicht zu weit faßt. Diese Unterrichtung hat nichts zu tun mit einer Information über die Regierungsverhandlungen zur Errichtung einer Freihandelszone. Aber auch ich hielte es für sehr nützlich, wenn die Regierung über den Art. 2 a des Gesetzes zu den Verträgen hinaus freiwillig den Bundestag über jene Verhandlungen laufend unterrichtete. Die Erfahrungen, die wir bei der Entstehung der EWG gemacht haben, sprechen sehr dafür. Sie erinnern sich, daß damals ein großer Unmut entstanden war, weil die Verhandlungen ohne Fühlungnahme mit dem Parlament geführt wurden.
    Wir wissen, daß solche Verhandlungen schwierig sind, daß es nicht möglich ist, die Parlamente von Schritt zu Schritt zu unterrichten. Aber wir mußten damals noch unmittelbar vor der Unterzeichnung einen Unterausschuß schaffen, wir mußten manches wieder zurechtbiegen, um schließlich eine gemeinsame Meinung zu den europäischen Verträgen zu bekommen. So wäre es vielleicht gut, wenn bei den Verhandlungen über die möglicherweise noch kompliziertere Freihandelszone immerhin ein laufender Konnex zwischen Regierung und Parlament bestünde.
    Ich bin mir darüber klar, daß auch die in Art. 2 a genannte Orientierungspflicht nicht einfach zu erfüllen ist. Zunächst ist manchmal eine gewisse Vertraulichkeit notwendig. Dann aber sind es hier das Plenum und etwa acht Ausschüsse, die unmittelbar interessiert sind, und da ist es natürlich nicht ganz leicht, die Unterrichtung in' einer alle befriedigenden Form durchzuführen.
    Allerdings ist sicher, daß die bisherige Unterrichtung wohl nicht genügend war, wobei vielleicht auch mitspielte, daß die Technik der Unterrichtung



    Dr. Furler
    noch nicht richtig entwickelt war. Wir haben uns damals in dem anläßlich der Ratifizierung der Verträge gebildeten Sonderausschuß, der die Unterrichtungspflicht gefordert hat, auch noch kein ganz sicheres Urteil darüber bilden können, welchen Weg man am besten gehen sollte. Wir wollen auch im vorliegenden Falle die beste und wirksamste Methode ermitteln; etwa ob wir ein besonderes Gremium schaffen müssen. Wir werden, wenn wir zu einer Lösung gekommen sind, die notwendigen organisatorischen Anträge stellen.
    Ich darf aber feststellen, daß sich bisher in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entscheidende Dinge nicht abgespielt haben. Sehen Sie sich den großen Bericht an, den die Kommission nunmehr dem Europäischen Parlament vorgelegt hat, ein umfangreiches interessantes Dokument, aus dem sich ergibt, daß die Institutionen aufgebaut wurden — das wissen Sie — und daß die Wirtschaftsgemeinschaft bisher vor allem Studien betrieben hat, um die Lösung der vielfältigen Probleme vorzubereiten, die sich stellen, wenn einmal die wirklich entscheidende Tätigkeit kommt. Es ist interessant, damit den gleichen Bericht der Euratomgemeinschaft zu vergleichen. Die Atomgemeinschaft, die viel rascher aktiv ins Leben getreten ist, hat schon einen sehr wichtigen Vertrag mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen. Noch interessanter ist der Vergleich mit dem Bericht, den die Hohe Behörde für das Europäische Parlament ausgearbeitet hat. Dort ist man schon mitten in der Arbeit. Die Hohe Behörde hat die Anfangsschwierigkeiten überwunden. Die Übergangszeit der Gemeinschaft ist abgeschlossen. Im Gegensatz zu den beiden anderen, ersten Berichten handelt es sich hier am sehr konkrete Darlegungen.
    Nun zu der sehr schwerwiegenden Frage, die unter Ziffer 2 der Großen Anfrage angeschnitten ist: wie eigentlich das Verhältnis der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu — wie es heißt — der harmonischen Entwicklung des gesamten Handelsverkehrs sei. Wir wissen, daß schon die Verhandlungen über die EWG und die Tatsache, daß sie ins Leben trat, in der übrigen Welt sehr starkes Mißtrauen erregt hat, so vor allem in Südamerika, den arabischen Staaten, in Indien. Überall wurden Befürchtungen laut, und zwar trotz der deutlichen Haltung der sechs Regierungen zu dieser Frage — ich komme darauf noch zurück — und trotz der Erfahrungen, die man mit der Montangemeinschaft gemacht hat. Auch der Montangemeinschaft hat man vorgeworfen, sie wolle eine autarke, in sich abgeschlossene Politik auf dem Gebiet von Kohle und Stahl treiben. Wer aber die fünf Jahre des Bestehens der Montangemeinschaft überblickt, sieht, daß diese durch ihr Verhalten gezeigt hat, daß sie nicht daran denkt, Autarkie zu betreiben. Ich erinnere an das Assoziationsabkommen mit Großbritannien, das gerade in der Zeit der schwierigen Kohlenversorgung eine sehr bedeutende Wirkung hatte; ich erinnere an die großzügigen Verträge mit der Schweiz, mit Osterreich und an die Verhandlungen über Beschwerden, die von Dänemark ausgingen, und ähnliches mehr.
    Dieses Mißtrauen zu überwinden, hat auch die Europäische Kommission unternommen. Herr Präsident Hallstein hat sehr deutliche Erklärungen vor dem Europäischen Parlament abgegeben. In einer Folge von Vorträgen verficht er gegenüber der Öffentlichkeit ständig den Gedanken, daß die EWG nicht daran denkt, sich abzuschließen.
    Wir können feststellen, daß das Mißtrauen in der Tat zurückgegangen ist. Einmal hat man sich mit den Dingen abgefunden und gesehen, daß die Gefahren, die man von der EWG befürchtete, überschätzt worden sind. Man hat auch ihre positiven Seiten erkannt. Man sieht nämlich ein, daß die EWG zu einer stärkeren wirtschaftlichen Entwicklung führt. Daraus folgt, daß das Gebiet in der Lage ist, mehr Importe aufzunehmen, an denen diejenigen Länder interessiert sind, aus denen dieses Mißtrauen kam. Im übrigen hat sich auch der Gedanke durchgesetzt, daß man Europa eine größere wirtschaftliche Einigkeit schließlich nicht versagen kann, wenn man selber politische und wirtschaftliche Großräume anstrebt, wie das in Indien der Fall ist und wie das die arabischen Staaten wollen.
    Nun zu einem sehr wichtigen und schwierigen Punkt: dem Verhältnis zum GATT. Herr Margulies, ich glaube, es wäre wirklich nicht sehr real gewesen, zunächst lange mit dem GATT zu verhandeln. Es war richtig, einmal die Tatsachen zu schaffen, die als notwendig erachtet wurden, die EWG zu gründen, und dann in der Überzeugung, man werde sich dort mit dem Guten und Richtigen schon durchsetzen, das GATT anzugehen. Man klebt dort auch nicht mehr an juristischen Vorstellungen. Inzwischen hat man sich im GATT entschlossen, praktische Lösungen zu suchen. Man überlegt, wie man sich mit dieser EWG arrangieren kann. Schließlich ist auch nicht alles sakrosankt, was innerhalb des GATT als Norm besteht. Auch das GATT ist entwicklungsbedürftig. Ich glaube, wir kommen sehr viel besser auf dem Weg zum Ziele, den die Regierungen hier gegangen sind.
    Nun zu der allgemeinen Frage der Freihandelszone. Die Freihandelszone ist ein nicht einfaches Gebilde, und man muß sich, wenn man die Einzelfragen beurteilen will, immer wieder einige grundlegende Tatsachen vor Augen halten.
    Zunächst: Es ist ganz sicher, daß sowohl der Gedanke und die Verhandlungen wie auch eine Entstehung der Freihandelszone ausschließlich bewirkt und verursacht sind durch das Werden und das Entstehen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Hätte man jene Wirtschaftsgemeinschaft nicht entwickelt, würde wahrscheinlich kaum jemand noch von einer Freihandelszone sprechen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Wirtschaftsgemeinschaft war die Ursache der Verhandlungen über die Freihandelszone. Es war der heutige Ministerpräsident Macmillan, der als Schatzkanzler als erster die Anregung zur Freihandelszone gab, indem er sagte: Wir müssen nun ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, daß diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wird. Wie sollen wir uns dazu stellen? Beitreten können wir nicht.



    Dr. Furler
    Ablehnen wäre ein großer Schaden. Also: Finden wir eine Form der Verbindung. Und es kam der Gedanke der Freihandelszone.
    Also hat diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als Motor gewirkt. Ich bin der Überzeugung, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eben durch die schwerwiegende Tatsache ihrer Existenz ständig nach einer Ergänzung durch die Freihandelszone verlangt, ja sie geradezu erzwingt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das ist meine Überzeugung, und das entspricht, glaube ich, auch den realen politischen Gegebenheiten.
    Das zweite, was ich in bezug auf die grundlegenden Tatsachen sagen wollte: Vergessen Sie nie, daß die kulturellen, wirtschaftlichen, historischen und politischen Verschiedenheiten unter den 17 Staaten der Freihandelszone viel größer sind als zwischen Italien, Frankreich, Deutschland und den drei Benelux-Staaten, diesen sechs unmittelbaren Nachbarn im westlichen Kontinent. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß diese wirtschaftlich und politisch doch enger verbunden sind als Länder wie Norwegen, die Türkei, Griechenland, Portugal oder Großbritannien, die eine ganz andere und viel differenziertere historische und wirtschaftspolitische Entwicklung hinter sich haben. Diese Differenzen aber machen auch die Verhandlungen so schwierig. Deshalb soll man, wenn es nicht von heute auf morgen klappt, nicht gleich sagen, es sei hoffnungslos. Man muß eben diese Schwierigkeiten in geeigneten Formen ausgleichen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ein Drittes. Es fehlt in der Tat, vielleicht auch noch in der Gemeinschaft selbst, obwohl er dort schon stärker entwickelt ist, ein gewisser, notwendiger Gemeinschaftsgeist. Ein solcher Gemeinschaftsgeist entsteht nämlich nicht v o r dem Zusammenschluß, sondern erst i n ihm. Er muß erzeugt werden durch Erfahrungen, Vernunft und Opfer. Aber bisher versucht in den Verhandlungen eben jeder, eine möglichst günstige Position zu erreichen. Ich will das nicht als kritisches Beispiel bringen, aber in der Tat hat natürlich Macmillan, hat England versucht, eine sehr günstige Position zu erreichen. Sie dürfen nicht vergessen: wenn man ohne besondere Vereinbarungen eine nur auf die Niederlegung der inneren Zölle gerichtete Freihandelszone mit dem Gemeinsamen Markt abgeschlossen hätte, dann hätte England ohne besondere Konzessionen den besten Standort in ganz Europa gehabt. Wahrscheinlich hätte man dort von auswärts sehr viel investiert, weil ja England dann frei gewesen wäre gegenüber dem Commonwealth und frei gewesen wäre gegenüber dem Kontinent und seiner Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; eine Sonderposition — ich muß das sagen, auch das ist einer der allgemeinen Grundsätze —, die man in dieser Form natürlich nicht ohne weiteres bekommt und wo man sagen muß: Wer Rechte will, muß eben auch Pflichten übernehmen, weil es anders nicht geht.
    Und was ich als letztes Allgemeines noch sagen wollte: In allen Ländern finden wir immer wieder bei diesen Entwicklungen eine überempfindliche Haltung gewisser Wirtschaftskreise, die große Bedenken wegen einer zu starken Konkurrenz in einem noch größeren Gebiet haben. Deshalb wird es auch notwendig sein, gewisse Übergangsregelungen zu schaffen, gewisse Sonderklauseln zu geben. Es wird auch notwendig sein und es schadet nichts, strukturelle, grundlegende Verschiedenheiten, die sich nie ändern werden, durch Sonderregelungen auszugleichen. Aber man darf aus diesen Bedenken nun nicht auf eine Ablehnung der größeren Gemeinschaft schließen. Wir haben es in manchen Ländern erlebt, daß gewisse Industriekreise zunächst sehr gegen die Wirtschaftsgemeinschaft waren, alle Befürchtungen hatten und plötzlich — ich denke an Frankreich — sehr für die Wirtschaftsgemeinschaft sind, aber die neue Angst der größeren Freihandelszone zuwenden. Ich glaube aber, auch das wird sich ändern.
    Die größte Schwierigkeit in dieser Freihandelszone kann man objektiv zunächst nicht aus der Welt schaffen. Sie liegt in der Tatsache, daß die Freihandelszone — im Gegensatz zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — keinen einheitlichen Außenzolltarif hat. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Verlagerung, einer unorganischen Verlagerung der Warenströme deshalb, weil die Außenländer versuchen werden, über den niedrigsten nationalen Zolltarif in die große Gemeinschaft zu importieren und ihre Ware dann zu einem billigen Zollsatz auch in die Länder hineinzubekommen, die glauben, sich durch einen höheren Tarif stärker schützen zu müssen. Hier liegt ein sehr schwieriger Punkt, der aber auch lösbar ist. Man kann hier durch technische Ursprungsnachweise und andere Dinge dafür sorgen, daß keine allzu großen Ungerechtigkeiten passieren. Aber ich glaube, die beste Methode, diese Schwierigkeit zu überwinden, ist eine Harmonisierung der Außenzolltarife auf die Zukunft hin.

    (Sehr richtig!)

    Das sollte nun auch keine unüberwindliche Schwierigkeit sein, und man sollte da auch etwas der Zukunft vertrauen. Denn die ganze Entwicklung unserer westlichen Länder geht doch zu einem Niederzoll, zu einem freien System und nicht zu einem Hochzollsystem, und ich glaube, daß man über die Harmonisierung der Außenzölle diese Schwierigkeiten am besten beseitigen könnte.
    Nun noch dazu einige sehr wichtige Sonderfragen. Einmal das Verhältnis der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Freihandelszone. Sie wissen, die politischen Tendenzen sind sehr verschiedenartig. Es gibt Leute, die ganz gern hätten, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sich gewissermaßen im Rahmen der Freihandelszone auflöste. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das darf nicht sein. Das darf schon aus zwei Gründen nicht sein. Einmal, weil, wie ich darlegte, die
    Wirtschaftsgemeinschaft der Motor ist, der die an-



    Dr. Furler
    deren vorwärtstreibt, und dann, weil sie eben besondere Aufgaben hat und weil manche dieser Aufgaben von den übrigen Staaten einfach nicht — ich mache keinen Vorwurf daraus, sie können das einfach nicht — übernommen werden können. Infolgedessen soll die Freihandelszone die Wirtschaftsgemeinschaft nicht ersetzen. Sie soll sie ergänzen. Sie soll sie nicht beeinträchtigen. Sie soll nur eine weitere Wirkungsmöglichkeit geben. Sie soll sie vor allem räumlich erweitern und ergänzen. Sie soll den Gedanken des freien, durch Zölle und Kontingente nicht behinderten Handels ausdehnen auf möglichst das ganze freie Europa. Das Europäische Parlament, das sich auch mit diesem Problem befaßt hat und das mit uns hier auf dem Standpunkt steht, die Wirtschaftsgemeinschaft dürfe nicht beeinträchtigt oder auf lange Sicht irgendwie aufgelöst werden, hat deshalb auch einen neuen Begriff geschaffen und gesagt, wir wollen nicht von Freihandelszone sprechen, sondern von einer Wirtschaftsassoziation. Denn der Vertrag muß zustande kommen zwischen der Gemeinschaft der sechs und den übrigen elf Staaten. Ich halte den Gedanken für politisch gut und für richtig. Ich habe nur gewisse Bedenken, diesen Begriff der Wirtschaftsassoziation zu bringen. Unter „Freihandelszone" kann so relativ noch jedermann etwas verstehen. Unter „Wirtschaftsassoziation" wird man schwerlich in der breiten Öffentlichkeit ein konkretes Bild entstehen lassen können. Aber das ist auch wichtig. Das schließt nicht aus, das, was hinter diesem etwas komplizierten Begriff steht, zu billigen, nämlich eine Vereinbarung zwischen dem Gemeinsamen Markt und dem größeren der Freihandelszone. Ich finde, daß auch Artikel 238 des EWG-Vertrags eine unmittelbare Bindung hier nicht bringt. Es gibt ja Kombinationen und Variationen. Wichtig ist nur, daß das Ziel erreicht wird: daß die Vereinbarung die EWG unberührt läßt, daß sie in die Vereinbarung aufgenommen wird und daß natürlich auch die Organe der EWG in den Institutionen der Freihandelszone mitwirken, beratend und — zumindest auf handelspolitischem Gebiet — mit der Zeit auch mitwirkend und etwas stärker neben den Sechs in den Vordergrund tretend.
    Daß die Freihandelszone auch das Gebiet von Kohle und Stahl umfassen muß, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und ein Problem nur deshalb, weil Kohle und Stahl eine besondere Gemeinschaft innerhalb der Sechs, die Montanunion, haben, die natürlich ebenfalls in die Freihandelszone hineingenommen werden muß.
    Nun noch einige spezielle Fragen, die ich anschneiden will, weil ich glaube, man erhöht die Schwierigkeit nicht, wenn man über sie spricht.
    Da ist zunächst einmal die Stellung Frankreichs. Herr Margulies hat in sehr skeptischen, fast schon pessimistischen Ausführungen darauf hingewiesen. Sicher ist, daß die innerpolitische Entwicklung in Frankreich zunächst gewisse Hemmungen in den Verhandlungen gebracht hat. Sicher ist auch, daß starke wirtschaftliche Kreise in Frankreich keine Freunde der Freihandelszone sind. Ich habe aber vorhin schon bemerkt: wir 'haben die gleiche Erfahrung schon einmal bei den langwierigen, komplizierten Verhandlungen über die Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gemacht. Die Ergebnisse der Konferenz von Venedig scheinen aber doch zu zeigen, daß Frankreich im Begriff ist, eine positivere Haltung einzunehmen, die dem entspricht, was die anderen fünf Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wollen und anstreben. Wir haben mit Befriedigung von der sehr positiven Formulierung des Herrn Wirtschaftsministers Erhard Kenntnis genommen, wonach in Frankreich die zögernde Haltung einer positiveren Beurteilung Platz gibt. Wir wollen auf diesem Wege weiterschreiten und hoffen, daß wir doch noch zu einer gemeinsamen Haltung kommen werden.
    Das zweite sind die Währungsprobleme. Auch hier hauptsächlich das Verhältnis des französischen Franken zu den anderen Währungen. Aber auch da möchte ich sagen, daß ein wirtschaftlich erstarkendes und ein politisch sich kräftigendes Frankreich eher die Möglichkeit hat, zu einer endgültigen Lösung der Franc-Frage auch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und innerhalb der Freihandelszone zu kommen.
    Daß England einen starken Wandel seiner Wünsche und Einstellungen erlebt hat, ist sicher. Ich glaube, daß die endgültigen Widerstände wohl nicht mehr von England ausgehen, das wohl eingesehen hat, daß die völlige Abschließung der landwirtschaftlichen Produktion ebenso unhaltbar ist wie der Gedanke, daß man in die Freihandelszone hinein kann, ohne irgendwelche Opfer zu bringen.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang aber noch eines sagen — ich sprach über Frankreich, ich sprach über England —: es ist nicht so, daß gerade wir die Freihandelszone am allernotwendigsten haben, daß wir aus unmittelbarem eigenstem Interesse allein an dieser Freihandelszone hängen. Ich möchte das betonen, damit die anderen nicht auf die Idee kommen: die Deutschen haben dies so dringend nötig. Das wäre ja nicht gerade eine gute Verhandlungsposition. Auch wenn es, was ich nicht hoffe und nicht wünsche, nicht zu positiven Ergebnissen führt, kommen wir durch. Es ist nicht so, daß gerade wir besonders drängen müßten.
    Aber es hat sich die Situation ergeben, daß die Deutschen offenbar eine Vermittlungsposition haben. Darüber spricht die Regierungserklärung. Wir möchten nur hoffen, daß die Regierung von dieser Vermittlerrolle nicht so sehr aus einem eigenen Interesse, sondern aus dem Vertrauen der anderen gegenüber unserer Haltung einen möglichst positiven Gebrauch machen wird.
    Meine Damen und Herren, ganz zum Schluß noch einige Bemerkungen. Aus den schwerwiegenden und schwierigen, etwas langwierigen Verhandlungen über die Freihandelszone darf nicht eine Art Krise um die europäische Wirtschaftsentwicklung, eine Art Pessimismus entstehen. Dazu ist kein Grund. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist erst ,ab 1. Januar 1958 als lebendige Tatsache in Erscheinung getreten. Die Verhandlungen über die Frei-



    Dr. Furler
    handelszone sind schon sehr weit gediehen. Auf alle Fälle ist kein Anlaß, zu sagen, wir befänden uns in einer Krise.
    Hier möchte ich mir einen kleinen Exkurs nicht versagen. Ein sehr bedeutender philosophischer Kopf, Herr Jaspers, hat in Frankfurt sehr schwere Bedenken erhoben gegen eine allzu optimistische Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. Es steht mir nicht zu, mit einem Philosophen zu streiten. Ich glaube aber doch verpflichtet zu sein, hier von diesem Platz aus einem Philosophen einige Anregungen zum Denken zu geben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist sicherlich sehr wertvoll,. wenn man sich Gedanken macht über die Grundlagen und Ausgangspunkte unserer politischen Aktion. Aber es wäre wohl auch richtig, wenn man in diesen Überlegungen und Ausführungen auch gewisse objektiv vorhandene fortschrittliche Erkenntnisse in der wirtschaftstheoretischen und in der wirtschaftspolitischen Entwicklung berücksichtigte. Man sollte diese modernen Gedanken, die sich schon auf Erfahrungen stützen, nicht ohne weiteres ablehnen und sagen, sie seien im Ergebnis der Ausdruck einer gewissen Unwahrhaftigkeit. So ist es nicht. Wir sind ja auch keine Illusionisten. Wir können aber nicht davon leben, daß wir den Menschen schwarze Bilder über die Zukunft an die Wand malen, zumal wir überzeugt sind, daß gar kein Anlaß besteht, diese schwarzen Bilder zu malen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Politiker muß doch handeln. Wir sind ja auch nicht auf den Kopf gefallen und nehmen nicht an, das Paradies auf Erden sei ausgebrochen, weil Wirtschaftsminister Erhard hier regiert und weil wir nun sehr gute Verhältnisse in der Bundesrepublik, in Europa und auch in der Welt haben. Aber wir handeln im Bewußtsein dessen, daß wir allen Grund zu der Annahme haben, daß die wirtschaftliche Entwicklung, wenn wir wachsam und klug sind und die modernen Erkenntnisse rechtzeitig anwenden, nicht ohne weiteres wieder einen so tiefen Absturz durchmachen wird wie einstmals in den Jahren 1929/32. Man ist im übrigen heute überzeugt, daß man damals mit etwas modernerem wirtschaftspolitischem Denken vielleicht weitergekommen wäre.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auf alle Fälle — und das möchte ich gerade Herrn Jaspers sagen — fördern wir den Aufbau dieser größeren europäischen Gemeinschaften — das haben wir bisher immer wieder betont —, um uns krisenfester zu machen, weil wir überzeugt sind, daß wir in einem größeren Wirtschaftsgebiet, in einem größeren Wirtschaftsraum, wenn einmal eine gewisse Wende käme, sicherer dastünden, als wenn wir gegenüber anderen, schon entstandenen Großräumen des Ostens zersplittert blieben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Doch nun zurück zu unserem Thema. Am 1. Januar 1959 tritt die erste Zollsenkung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Kraft. Es wäre sehr erwünscht und sehr wichtig, wenn zu diesem Zeitpunkt auch schon die Freihandelszone sich zollpolitisch auswirken würde. Ich bin überzeugt, daß es Übergangsregelungen gibt. Wir können hier keine konkreten Vorschläge machen, die Dinge sind zu kompliziert. Wir wissen, daß die Regierung alles tut, um den 1. Januar als Ansatzpunkt auch für die Zollregelung in der Freihandelszone zu nehmen. Aber man darf das auch nicht so hinstellen, als sei das eine Frage von Sein oder Nichtsein, ob nun am 1. Januar ein ausreichendes Zwischenabkommen zustande kommt oder nicht. Wir müssen den Willen haben, zu handeln; dann wird sich auch ein Weg finden. Denn der politische Wille ist immer entscheidend. An ihn appelliere ich in allen Staaten. Man muß sich einmal zu einer gewissen Haltung bekennen und dann die notwendigen Konsequenzen ziehen. Ich möchte hoffen, daß wir zur Vollendung der Freihandelszone nicht mehr so tragische Lehren nötig haben, wie wir sie bekamen, um die Wirtschaftsgemeinschaft zu Ende zu bringen. Vergessen Sie nicht, daß es Anfang Oktober 1956 so aussah, als seien die Verhandlungen gescheitert. Es kamen dann die tragischen Ereignisse von Suez und Ungarn, und es kam jener Besuch des Bundeskanzlers am 6. November 1956 in Paris. Unter dem Eindruck dieser Europa erschütternden Vorgänge kamen die Verhandlungen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sehr schnell wieder in Gang und führten zu einem positiven Ende.
    Ich meine, die damaligen Lehren und die heutige Weltlage sollten genügen, um zu zeigen, wie notwendig ein baldiger weiterer Zusammenschluß auch in der Freihandelszone ist.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir unterstützen daher die Bemühungen der Regierung um die Entstehung der Freihandelszone. Es ist durchaus nicht so, daß wir auch nur ein Wort von jenen Erklärungen, die Herr Margulies zitiert hat, zurückzunehmen hätten. Ich finde sie in vollem Einklang mit dem, was wir immer gewollt haben und was wir auch in Zukunft wollen werden.
    Wir halten die Freihandelszone für sehr bedeutsam, für eine ausgezeichnete Ergänzung der Wirtschaftsgemeinschaft. Über beide geht der Weg zu einem größeren wirtschaftlich freien Europa und überhaupt zu einer wirtschaftlich in sich freien westlichen Welt.
    Ich darf Sie daher im Namen der Deutschen Partei und meiner Fraktionsfreunde bitten, den Entschließungsantrag anzunehmen, der Ihnen vorliegt, einen Entschließungsantrag, den ich in meinen Ausführungen schon begründet habe.

    (Beifall in der Mitte und bei der DP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Birkelbach.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willi Birkelbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im ersten Teil der Großen Anfrage der Fraktion der FDP geht es um die Unterrichtung des Bundestages über die Entwicklung im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dieser Teil der Anfrage böte Veranlassung, auf gewisse Debatten zurückzukommen, die sowohl im Plenum dieses Hauses wie in den Ausschüssen stattgefunden haben, als wir uns über die Struktur des Vertrages unterhielten. Hier ist zu beachten, daß gemeinsam festgestellt wurde, es seien auf das Europaparlament nicht die gleichen Zuständigkeiten übergegangen, die die nationalen Parlamente, in unserem Falle der Bundestag, aufgegeben haben.
    Es wurde dann in weiteren Debatten darauf hingearbeitet, sicherzustellen, daß wenigstens im Rahmen der Bundesrepublik eine Unterrichtung über die Tätigkeit des Ministerrates, daß in bestimmtem Ausmaß eine vorhergehende Unterrichtung erfolgt und daß vielleicht sogar eine Stellungnahme des Bundestages herbeigeführt wird. Denn in der Struktur dieser Gemeinschaft hat der Ministerrat wirklich eine sehr bedeutsame Stellung.
    Wir können der Aufgabe, die uns als Parlamentariern gestellt ist, wir können unserer Verantwortung nur gerecht werden, wenn wir ein Zusammenspiel des übernationalen Parlaments, des Europaparlaments, mit den nationalen Parlamenten herbeiführen, und wir dürfen hier keine Naht offenlassen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Das alles ist von Herrn Bundesaußenminister von Brentano in der Debatte damals aufgegriffen worden. Er hat auf die Behauptung hin, daß gewisse Zuständigkeiten der Parlamente überhaupt untergegangen seien, gesagt — ich zitiere —:
    Ich glaube aber nicht, daß die Feststellung richtig ist, eine Reihe von parlamentarischen Rechten gingen in dem Vertrag unter. Sicherlich ist es richtig, . daß der Rat in bestimmten Fällen ermächtigt ist, bindende Entscheidungen zu treffen, und in besonderen Fällen kann ja auch, wie Sie wissen, die Europakommission Verordnungen erlassen, die für die Staatsangehörigen dann unmittelbar verbindlich sind.
    Und nun kommt ein entscheidender Satz:
    Aber vergessen Sie nicht, daß die Mitglieder des Ministerrats ja ihrerseits wieder der parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
    Es gab dann Debatten darüber, ob diese parlamentarische Kontrolle direkt an den Minister heranführt. Wir wissen, wie die Konstruktion nach unserem Grundgesetz ist. Aber in der Zwischenzeit haben sich in Europa doch politische Entwicklungen vollzogen, die eine bestimmte Gefahr erkennen lassen, nämlich die Gefahr, daß die Kontrolle durch das Parlament und die Verantwortlichkeit der Minister vor dem Parlament z. B. in Frankreich mindestens problematisch sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es wäre richtig, dieses Problem in der europäischen Öffentlichkeit schon heute stärker in den Vordergrund zu rücken, um so dazu beizutragen, daß, nachdem nun in Frankreich eine neue Verfassung angenommen worden ist, die Verfassungswirklichkeit sich nicht anders gestaltet, als damals bei dem Abschluß der Verträge angenommen wurde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir alle haben ein Interesse daran, zu prüfen, ob wir in Zukunft das, was im Ministerrat behandelt wird, nicht auch stärker in Plenarsitzungen diskutieren müssen, um zu erreichen, daß auch in anderen Ländern die Parlamente ihrer Pflicht in dieser Richtung nachkommen, und sicherzustellen, daß in Europa insgesamt die parlamentarische Demokratie als solche nicht ausgeschaltet wird.

    (Abg. Dr. Zimmer: Was geht uns das an? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sollen wir das machen?)

    — Ich sehe, meine Herren, Sie glauben, daß alles dies, was ich hier vortrage, selbstverständlich sei. Ich hielt es jedenfalls für richtig, zu bemerken, daß dazu auch eine gewisse Einflußnahme gehört, ein gewisses Erkennenlassen dessen, was wir für richtig halten, z. B. von seiten der Regierung.
    Ich muß dieses Thema hier allein schon deswegen so hervorheben, weil wir damals, als wir noch nicht die Erfahrung hatten, daß man unter Europa gewissermaßen nur eine Art besonderer Bewaffnung verstand, als man den europäischen Gedanken noch in der vollen Breite erfassen und darum ringen konnte, der Auffassung waren, daß mit der Schaffung europäischer Institutionen gleichzeitig ein Beitrag zur internationalen Untermauerung und Absicherung der parlamentarischen Demokratie in allen unseren Ländern geleistet werden sollte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deswegen haben wir alle Veranlassung, diesen Punkt hier nicht völlig unerwähnt zu lassen.

    (Abg. Dr. Zimmer: Amerika hat keine parlamentarische Demokratie, sondern eine präsidiale!)

    — Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich auf die werdende Verfassungswirklichkeit abstelle. Man muß diesen Dingen die notwendige Aufmerksamkeit im status nascendi widmen und nicht erst, wenn es zu spät ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich finde jedenfalls, daß wir alle Veranlassung haben, in bezug auf diese Dinge die Praxis zu beobachten. Wir haben ja durch die Kontakte mit unseren Kollegen aus den anderen Parlamenten z. B. in Straßburg, in Luxemburg und in Brüssel gewisse Möglichkeiten, so zu wirken, daß das, was wir allgemein als richtig erkennen, sich auch dort fest verankert. Wir können den Kräften eine gewisse Stütze geben, die da noch um die endgültige Gestaltung ringen und in der Auseinandersetzung begriffen sind.
    In diesem Zusammenhang gibt es noch ein anderes Problem. Wenn wir hier schon eine solche De-



    Birkelbach
    batte haben, ohne uns nun insgesamt mit diesem Vertragswerk über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auseinanderzusetzen, dann sollten wir erkennen, daß politische Entwicklungen, die sich seit dem Abschluß des Vertrages vollzogen haben, möglicherweise Gefahren in sich bergen. Insofern muß ich bekennen, daß ich weniger optimistisch bin, als es Herr Kollege Furler in seinen Ausführungen war, der diese Aspekte bewußt hier nicht behandelt hat, der andererseits auch nicht darauf eingegangen ist, daß z. B. die besonderen Regelungen, die sich mit den überseeischen Gebieten unserer Partnerstaaten befassen, eine gewisse Beleuchtung notwendig machen. Wir meinen, daß es nicht allein darum geht, sicherzustellen, daß bei jedem einzelnen Projekt, das z. B. aus dem Entwicklungsfonds mitfinanziert wird, das Wohl der dortigen Bevölkerung, ihre Entwicklung zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Selbständigkeit beachtet wird. Wir dürfen unser Augenmerk nicht allein auf ein Einzelprojekt richten. Wir haben vielmehr ein Interesse daran, daß die Gesamtpolitik, die ein großer Partner etwa seinen überseeischen Gebieten gegenüber betreibt, nicht zu einer Beeinträchtigung der Stellung Europas zu diesen Gebieten führt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sollten das ,auch hier sagen, um so vor der Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß wir hier auch selber verantwortlich geworden sind. Wir haben ja in dieser Wirtschaftsgemeinschaft einen Ansatz zu einer politischen Gemeinschaft gesehen, und zu
    einer solchen politischen Gemeinschaft gehört mehr als das, was jetzt in den Vertragstexten steht. Wir müssen uns besonders davor hüten, daß unsere Schritte in dieser Richtung etwa als eine Einmischung in fremde Zuständigkeit empfunden werden. Da es diese Gemeinschaft nun einmal gibt, müssen Meinungsäußerungen in den nationalen Parlamenten möglich sein.
    Auf diesem Gebiet ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Wir wollen klarmachen, daß wir eine Rückkehr zu überholten Methoden und Konstruktionen in den Beziehungen zu den überseeischen Ländern als eine starke Gefährdung der Entwicklung zur europäischen Einheit ansehen. Hier allerdings haben wir bisher den Eindruck, daß die Bundesregierung von vornherein bereit ist, passiv zu bleiben, wenn möglich zwar zu zahlen, aber darüber hinaus nichts tun will. Es sollte klargemacht werden, daß gerade die Bestimmungen über die wirtschaftlichen Beziehungen zu den überseeischen Gebieten einen neuralgischen Punkt des Vertragswerkes darstellen, und dort, wo man etwas tun kann, sollte man etwaige Gefahren auch abzuwenden suchen.
    Wir haben es für nötig gehalten, bei der Diskussion, die wir hier führen, diese politischen Punkte hervorzuheben.
    Nun zu dem anderen Teil der hier vorgelegten Großen Anfrage. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Verwirklichung der Freihandelszone auftun, werden natürlich nicht von heute auf morgen überwunden werden können. Es wird da sehr langwieriger und schwieriger Verhandlungen bedürfen. Es besteht jedoch kein Grund zu der Annahme, von deutscher Seite werde hier etwa nachlässig gehandelt oder es sei nicht das Ziel der Bundesregierung, zu einer wirklichen Assoziation und zu einer Freihandelszone zu kommen. Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Furler, doch sagen, daß wir die Freihandelszone nicht für eine Einrichtung halten, ohne die man unter Umständen auch auskommen könnte. Nach unserer Auffassung sind gerade im deutschen Interesse besondere Anstrengungen in dieser Richtung nötig, und das sollte auch in der deutschen Öffentlichkeit gebührend erkannt werden.
    Für diese Notwendigkeit führe ich zwei Gründe an. Zunächst: der politische Schaden, der durch eine weitere Aufspaltung Europas entstehen würde, wäre nicht ohne weiteres zu überbrücken. Zumindest in der Einschätzung dieser Gefahr sind wir uns alle einig. Zweitens: die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Auseinanderrückens der beiden Teile Europas könnten in einem bestimmten Umfange zu einer Bedrohung der Arbeitsplätze in ihrer bisherigen Verteilung führen. Wir wissen, daß unsere Nachbarländer Österreich, die Schweiz, Schweden, Dänemark und Norwegen in das Gebiet der EWG zwischen 28 und 49 0/o ihres Gesamtexports ausführen. Da taucht doch die Frage auf, wie wir unsere eigenen Bezüge aus diesen Ländern auf die Dauer bezahlen sollen, wenn nicht allein eine Zollsenkung gegenüber unseren anderen Nachbarländern eintritt, sondern gleichzeitig für eine ganze Reihe von Produkten — wenn nicht gleichzeitig, so doch im Laufe der Zeit — eine Zollheraufsetzung im Rahmen des für die Länder des Gemeinsamen Marktes geltenden Gesamt-Außenzolls.
    Hier klafft etwas auseinander, und das kann durchaus auch bedrohliche Auswirkungen haben und die Struktur unserer Wirtschaft in mancher Beziehung stark berühren. Die Freihandelszone ist also auch aus diesem nationalen Interesse notwendig, und wir dürfen uns nicht etwa auf den Standpunkt stellen, zur Not ginge es auch ohne das, sondern müssen mit allem Nachdruck daran arbeiten, hier zu einer Lösung zu kommen, die praktisch eine Ausbreitung der Wirtschaftsgemeinschaft, eine Verhinderung der Abkapselung der Wirtschaftsgemeinschaft möglich macht.
    In diesen Fragen gibt es gewisse Unterschiede zwischen Ihrer Auffassung und unserer. Wir könnten uns durchaus denken, daß eine Reihe von vertraglichen Regelungen auch der jetzigen Wirtschaftsgemeinschaft — natürlich nicht alle, nicht jede Bestimmung, aber eine Reihe von Bestimmungen — angepaßt werden könnten, daß man also nicht nur, wie einmal gesagt wurde, unter dem Gesichtspunkt verhandelt: der europäische Besitzstand muß gewahrt werden. Wenn ich alles das zusammenfasse, was in der Zwischenzeit an Problematik hier aufgetaucht ist, dann muß ich den Begriff europäischer Besitzstand sehr viel enger fassen, als es bisher geschehen ist. Man darf ihn auf keinen Fall zu stark



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    auf das Institutionelle ausdehnen und glauben, hier ginge es darum, alles und jedes zu verteidigen.
    Darüber hinaus können die möglichen Lösungen in bezug auf die Wirtschaftsassoziationen mit andern Ländern durchaus auch die Schaffung von Institutionen einschließen, die parallel zu denjenigen der EWG und mit ihnen zusammen handeln können. Hier muß nach unserer Auffassung eine elastische Lösung vorherrschen. Man darf nicht zu starr an der sogenannten Ausgangsgrundlage festhalten.
    Nun sehen wir natürlich ein, daß die Verwirklichung der Freihandelszone zum I. Januar des kommenden Jahres kaum erreichbar sein wird. Wir würden es begrüßen, wenn man zu einer provisorischen Lösung für diesen Zeitpunkt käme, aber nicht zu einem Provisorium, das dann sozusagen der Dauerzustand wird, sondern es muß hier ganz klar sein, wohin wir gehen wollen.
    Wir müssen in jeder Beziehung das Gefühl bekommen, daß die Bundesregierung die eigenen Interessen des deutschen Volkes und der arbeitenden Bevölkerung insbesondere nachdrücklich wahrnimmt. Gegen die hier eingebrachte Entschließung, gegen den Antrag Nr. 161, haben wir keine Einwendungen vorzubringen. Wir glauben, daß er in die richtige Richtung zielt, werden ihm also zustimmen.
    Wir hatten bei unseren Überlegungen, die uns zu dem Schluß führten, dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft seinerzeit zuzustimmen, einige andere Fragen hervorgehoben, andere als in den Betrachtungen bisher, insbesondere von den Sprechern der FDP, vorgetragen worden sind. Wir glaubten, daß nationale Bemühungen zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes heute nicht mehr ausreichen würden und daß es darauf ankäme, eine gemeinsame Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik zu entwickeln und dafür auch Institutionen zu schaffen, die dann nachher ein Parallelschalten mit anderen Wirtschaftsräumen durchaus denkbar machen. Wir waren uns bewußt, daß in diesen Vertrag eben nicht der früher so sehr strapazierte Begriff der sogenannten Supranationalität in eine Vorwegbestimmung hineinkommen werde, sondern daß man sich bemühte, mehr pragmatisch und in Etappen vorzugehen und im Laufe der Zeit auch eine Überwindung der Teilintegration, die unsere Wirtschaft nach unserer Auffassung gefährlich lähmen könnte, zu erreichen.
    Das alles sind Gesichtspunkte, die wir hier in den Vordergrund zu rücken haben, um zu zeigen, wo die wirklichen Anliegen sind, die uns veranlaßten, dieses Vertragswerk anzunehmen. Da die Ansatzpunkte sehr schwach sind — wir haben das in der Debatte betont —, käme es darauf an, sie weiter zu entwickeln und sie nicht aus der Diskussion in der Öffentlichkeit herauszulassen.
    Wenn wir das alles so betont und dabei immer wieder auch ein anderes Monitum angebracht haben, dann aus folgendem Grundgedanken heraus: Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die verstärkten Bemühungen um eine sogenannte Westintegration letzten Endes mit der Tendenz der Einschmelzung eines Teiles Deutschlands in ein solches westliches System große Gefahren für die Möglichkeit einer Überwindung der deutschen Spaltung in sich bergen. Wir sind der Auffassung, daß man jederzeit, bei allen Besprechungen und bei allem, was man tut, an die Notwendigkeit, dem zu begegnen, denken sollte. Dabei müssen wir auch heute, insbesondere nach der Debatte, die gestern hier geführt worden ist, sagen: wir sehen, zu welchen Anstrengungen und Opfern die Bundesregierung bereit ist, z. B. in jenen Fragen eine Annäherung herbeizuführen, eine praktische Lösung auszuarbeiten. Auf der anderen Seite aber möchten wir, daß zur Überwindung der deutschen Spaltung mindestens die gleiche Aktivität und der gleiche Nachdruck entwickelt werden, um auch hier zu praktischen Lösungen zu kommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben Ihnen gestern — ich erinnere an die Rede des Herrn Kollegen Professor Dr. Schmid — gewisse Anregungen unterbreitet, über die wir uns noch weiter zu unterhalten gedenken. Ich glaube, daß Sie aus dieser Ankündigung und auch aus dem, was ich hier in dieser Debatte vorgetragen habe, erkennen können, wie sehr uns daran liegt, eine Integration, die wir brauchen, um einen besseren Lebensstandard und die Vollbeschäftigung zu erreichen, mit einer Politik zu verbinden, die letzten Endes die Überwindung der Spaltung Deutschlands ermöglicht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)