Rede:
ID0303902000

insert_comment

Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3039

  • date_rangeDatum: 3. Juli 1958

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:12 Uhr

  • fingerprintRedner ID: Nicht erkannt

  • perm_identityRednertyp: Präsident

  • short_textOriginal String: Vizepräsident Dr. Becker: info_outline

  • record_voice_overUnterbrechungen/Zurufe: 0

  • subjectLänge: 7 Wörter
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Hellwig.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 39. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1958 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Haushaltsgesetz 1958) (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468) ; Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Beratung (Drucksache 490) — Fortsetzung der dritten Beratung — Allgemeine Aussprache Margulies (FDP) . .. . . . . . 2249 C Kurlbaum (SPD) . . . . 2253 B, 2279 D Dr. Steinmetz (DP) 2260 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2262 B Dr. Deist (SPD) . . . . . . . . 2266 C Dr. Hellwig (CDU/CSU) 2272 A Dr. Starke (FDP) 2277 C Köhler (FDP) . . . . . . . . 2280 A Logemann (DP) 2283 B Dr. Sonnemann, Staatssekretär . 2286 B Bading (SPD) 2289 B Glahn (FDP) . . . . . . . . 2289 C Diekmann (SPD) 2291 A Dr. Schellenberg (SPD) 2293 B Blank, Bundesminister . . 2295 B, 2304 C Mischnick (FDP) 2300 A Frehsee (SPD) . . . . . . . 2301 D Frau Kalinke (DP) 2305 B Pohle (SPD) . . . . . . . . 2308 B Horn (CDU/CSU) 2308 D Rehs (SPD) . . . . . . . . 2309 B Kuntscher (CDU/CSU) . . . . . 2312 D Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 2315 C Weiterberatung vertagt . . . . . . . 2316 D Nächste Sitzung 2317 C Anlage 2319 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juli 1958 2249 39. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 7. 7. Frau Albertz 5. 7. Altmaier* 5. 7. Dr. Atzenroth 4. 7. Dr. Barzel 5. 7. Bauknecht 5. 7. Bauer (Würzburg)* 5. 7. Frau Beyer (Frankfurt) 5. 7. Birkelbach* 5. 7. Fürst von Bismarck* 5. 7. Blachstein* 5. 7. Frau Dr. Bleyler 3. 7. Blöcker 4. 7. Burgemeister 5. 7. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 7. Döring (Düsseldorf) 5. 7. Euler 4. 7. Dr. Even (Düsseldorf) 3. 7. Even (Köln) 3. 7. Franke 12. 7. Dr. Friedensburg 5. 7. Frau Friese-Korn 5. 7. Gaßmann 5. 7. Geiger (Aalen) 3. 7. Gerns* 5. 7. D. Dr. Gerstenmaier 2. 8. Gockeln 3. 7. Graaff 4. 7. Dr. Gradl 5. 7. Dr. Greve 5. 7. Hackethal 5. 7. Hahn 3. 7. Dr. Dr. Heinemann 3. 7. Frau Herklotz 3. 7. Heye* 5. 7. Höfler* 5. 7. Frau Dr. Hubert* 5. 7. Jacobs* 5. 7. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Kemmer 5. 7. Kiesinger* 5. 7. Kirchhoff 3. 7. Dr. Königswarter 5. 7. Dr. Kopf* 5. 7. Frau Korspeter 5. 7. Kriedemann 5. 7. Kühn (Köln)* 5. 7. Leber 4. 7. Dr. Lindenberg 5. 7. Lücker (München)* 5. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 5. 7. Dr. Maier (Stuttgart) 5. 7. Frau Dr. Maxsein* 5. 7. Metzger* 5. 7. Dr. Meyer (Frankfurt)* 5. 7. Müller-Hermann 5. 7. Neubauer 5. 7. Frau Niggemeyer 12. 7. Paul* 5. 7. Pöhler 3. 7. Dr. Preiß 5. 7. Pusch 5. 7. Rademacher 5. 7. Ramms 5. 7. Ruf 5. 7. Scheel 5. 7. Schneider (Hamburg) 4. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 5. 7. Schoettle 19. 7. Schütz (Berlin) 5. 7. Schütz (München)* 5. 7. Frau Dr. Schwarzhaupt 5. 7. Seidl (Dorfen)* 5. 7. Spies (Brücken) 5. 7. Stahl 4. 7. Stenger 4. 7. Struve 5. 7. Teriete 3. 7. Wagner 3. 7. Dr. Wahl* 5. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 5. 7. Welslau 3. 7. Dr. Will 5. 7. Dr. Winter 5. 7. Dr. Zimmer* 5. 7. Zoglmann 5. 7.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich soeben in seinen Ausführungen einer Sachlichkeit und einer Zurückhaltung befleißigt, die bei seinem Temperament außerordentlich selten sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn ich mir dazu ein paar Bemerkungen erlauben darf, die keineswegs der Verschärfung der Situation dienen sollen, so würde ich wünschen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister z. B. vor dem Fernsehen spricht, daran zudenken, daß es vielleicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, wenn man gewisse Grenzen einhält.

    (Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard: Beiderseits! — Abg. Dr. Hellwig: Und wie war das bei Ihrer Fernsehsendung?!)

    — Wenn Sie den Vergleich zwischen meiner Fernsehsendung vor den Bundestagswahlen und der vorgestrigen des Herrn Bundeswirtschaftsministers ziehen, dann traue ich Ihrem eigenen Urteil zu, daß Sie den Unterschied sehr deutlich merken.

    (Beifall bei der SPD. -Zuruf des Abg. Dr. Hellwig.)

    — Aber, meine Damen und Herren, lassen wir das! Ich möchte nämlich, da es sich um Probleme handelt, die sehr ernst sind, zu diesen Fragen genau in derselben sachlichen Weise Stellung nehmen. Was ich eben sagte, diente nur einer gewissen Erheiterung und Einleitung, weil mir wichtig erschien, einige Dinge doch auch von dieser Stelle aus einmal zu sagen.
    Ein paar Bemerkungen zum Konzentrationsprozeß! Der Konzentrationsprozeß selber ist von meinem Freund Kurlbaum hier deutlich dargestellt worden. Jedermann weiß — vor allen Dingen seit der letzten Tagung der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer in Wiesbaden — sehr genau, was das zu bedeuten hat. Ich hoffe, in Deutschland bekommt man im Interesse einer freiheitlichen Entwicklung allmählich vielleicht doch etwas mehr das Gefühl dafür, was wirtschaftliche Macht bedeutet. Dann könnten wir uns nämlich sehr viel leich-



    Dr. Deist
    ter darüber unterhalten, wie man in einem freiheitlichen Staat diesem Phänomen begegnet, während es so sehr schwierig ist, sachlich über dieses Problem zu reden, wenn man immer so tut, als wenn wirtschaftliche Macht eine Erfindung böser roter Sozialisten sei.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, dem Konzentrationsprozeß der Unternehmungen möchten Sie die Dekonzentration des Eigentums gegenüberstellen. Nun, meine Damen und Herren, ich will im Augenblick nicht über die Möglichkeiten, die in Ihren Plänen zur Dekonzentration des Eigentums stecken, sprechen, sondern will einmal für den Augenblick unterstellen, das wären wirklich brauchbare Möglichkeiten. Ich frage Sie: inwieweit können Sie dem Konzentrationsprozeß der Unternehmungen seinen Stachel nehmen, wenn Sie das Eigentum in den Unternehmungen dekonzentrieren? Im Gegenteil, Sie unterstützen die Entwicklung von Herrschaftspositionen in diesen Unternehmungen, die immer weniger Kontrollen unterliegen; denn je mehr Sie das Eigentum aufspalten und dekonzentrieren, um so weniger echte Kontrolle haben Sie in den Unternehmungen, um so stärker ist die unkontrollierte autoritäre Macht der Aufsichtsräte und Vorstände des Managements dieser Unternehmungen. Meine Damen und Herren! Das sollten Sie sich sehr genau überlegen. Die Dekonzentration des Kapitals ist kein Gegenargument gegen die Konzentration der Unternehmungen. Infolgedessen scheint mir dieser Einwand völlig fehlzugehen.

    (Abg. Dr. Hellwig: Dann ist die Enteignung auch kein Gegenargument!)

    — Bitte zwingen Sie mich nicht, weiterzugreifen auf Probleme, die mit der augenblicklichen Debatte nichts zu tun haben.

    (Abg. Dr. Hellwig: Doch!)

    Dann ein Wort dazu! Der Bundeswirtschaftsminister meinte, wenn man schon von wirtschaftlicher Macht sprechen wolle, dann müsse man auch von der Macht der Sozialpartner sprechen. Einverstanden! Wer wollte das bestreiten, daß Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerverbände auch eine wirtschaftliche Machtposition darstellen! Aber es gibt bestimmte Prinzipien darüber, wie man wirtschaftlicher Macht in der modernen Demokratie begegnet, und es gehört einmal zu den Prinzipien aller demokratischen Verfassungen, daß den Gefahren der Machtausübung der Sozialpartner dadurch begegnet werden soll, daß sie sich gegenseitig in freien Auseinandersetzungen ohne Eingreifen des Staates paralysieren. Das ist der Sinn der Koalitionsfreiheit und der Freiheit der Sozialpartner: die Arbeitsbedingungen frei auszuhandeln ohne Eingreifen des Staates. Das ist ein wichtiges Element der freiheitlichen Grundlagen demokratischer Staaten.
    Meine Damen und Herren, man kann sich darüber unterhalten, ob dieses Prinzip noch durchhält, ob es nicht Situationen gibt, wo ein Partner plötzlich eine solche Macht bekommt, daß darüber die gesunde soziale Ordnung zugrunde gehen kann. Aber es ist so, daß manche Menschen nicht recht merken, in welcher Situation sie sprechen. Wenn Sie heute etwa von einem Mißbrauch der Macht der Arbeitnehmerorganisationen sprechen, dann sollten Sie eigentlich zur Kenntnis nehmen, daß wir bereits in eine Phase der Konjunktur eingetreten sind, bei der es sehr zweifelhaft ist, ob nicht zur Zeit die Arbeitgeberverbände am .längeren Hebelarm sitzen. Denn das ist die Merkwürdigkeit an diesem konjunkturellen Ablauf, daß im Konjunkturaufschwung sicherlich die Arbeitnehmerverbände stärker sind und sie in der Regel die Möglichkeit haben, einiges von dem, was ihnen im Konjunkturabschwung verlorengegangen ist oder genommen wurde, wieder aufzuholen. Sowie aber der Konjunkturabschwung oder eine Stagnation kommt, befinden sich die Gewerkschaften normalerweise am kürzeren Hebelarm. Wer jetzt meint, man müsse dafür sorgen, daß hier nicht zuviel wirtschaftliche Macht mißbraucht wird, der kann sich, wenn er ehrlich ist, in der augenblicklichen konjunkturellen Situation eigentlich nur gegen die Arbeitgeberverbände richten, weil diese zur Zeit am längeren Hebelarm sitzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Trotz der Vollbeschäftigung!)

    Meine Damen und Herren, so liegen die Dinge, wenn Sie versuchen, von dem Spiel der Macht in der Wirtschaft auf das angeblich so gefährliche Spiel der Macht der Sozialpartner auszuweichen.
    Wir sollten uns überlegen, ob sich dieses Machtspiel zwischen den Sozialpartnern im Ablauf der Zeiten nicht in einer gesunden Weise ausgleicht. Der Bundeswirtschaftsminister und die Regierung sollten sich hüten, dann, wenn es ihnen paßt, in dieses Spiel einzugreifen und dann, wenn es ihnen nicht paßt, darauf zu verzichten. Dieses Problem der Stellung der Sozialpartner in der Wirtschaft ist sicherlich sehr wichtig und stellt uns vielleicht einmal vor Fragen, die wir heute noch gar nicht kennen. Aber man sollte nicht so leichtfertig sein, das einfach mit dem Problem der wirtschaftlichen Macht marktbeherrschender Unternehmungen und von Kartellen in einen Topf zu mengen, wofür verfassungsmäßig und in der Praxis, wie wir heute sehen, eben noch keine brauchbare Regel zur Ordnung gefunden ist. Das wollte ich zu dem sehr weitschichtigen und vielfältigen Problem der wirtschaftlichen Macht gesagt haben.
    Nun einiges zu der Konjunkturbetrachtung des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Der Bundeswirtschaftsminister meinte, wir sähen die Konjunktur wohl nicht wesentlich unterschiedlich. Ich glaube, in der Sache ist das richtig. Aber, meine Damen und Herren, es kommt darauf an, welche Akzente und welche Beleuchtung man dieser Beurteilung gibt, eigentlich nicht nur um der Beleuchtung selber willen, sondern um der Konsequenzen willen, die nun einmal in bestimmten konjunkturpolitischen Situationen gezogen werden müssen.
    Ich weiß nicht, ob es ganz richtig ist zu sagen: Die Beschäftigung war noch nie so ausgezeichnet wie heute. Ich sage nicht: wir befinden uns in einer



    Dr. Deist
    Krise; das würde ich für sachlich falsch halten. Außerdem kann niemand ein Interesse daran haben, durch Krisenredereien sogar schwierigere Entwicklungen hervorzurufen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dagegen wehren wir Sozialdemokraten uns mindestens so stark wie andere.
    Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, daß er — offenbar zu seiner Rechtfertigung — bestätigt hat, daß die Behauptung, die Sozialdemokratie spekuliere auf die Krise, nicht von ihm stamme, weil er also offenbar eine solche Formulierung auch für falsch hält.
    Bei einer realistischen Betrachtung der augenblicklichen Situation darf man aber z. B. nicht das Phänomen der Kurzarbeit übersehen. Wir haben in weiten Bereichen der Wirtschaft Kurzarbeit. Ich erinnere auch an die Feierschichten im Kohlenbergbau, wobei ich mir persönlich völlig darüber klar bin, daß vor dem 6. Juli die Feierschichten in einem so engen Ausmaß gehalten werden, daß das bittere Ende erst nach dem 6. Juli auf uns zukommt. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister auch für den Hinweis dankbar, daß er angesichts der Schwäche der Rohstoffländer bei aller Bedeutung der Veränderungen der wirtschaftlichen Situation auf dem Kontinent gegenüber den USA, wie ich wohl anerkenne, doch weiß, daß von dieser Entwicklung auch gewisse Auswirkungen auf uns möglich sind. Es ist doch wohl richtig, wenn man dann die augenblickliche konjunkturpolitische Situation etwas eingehender seziert. Man kommt vielleicht doch zu dem Ergebnis, daß man vor dem Betreiben einer aktiven Konjunkturpolitik nicht so viel Angst zu haben braucht wie der Bundeswirtschaftsminister, daß man also nicht auf die notwendigen konjunkturpolitischen Maßnahmen zu verzichten braucht.
    Der Herr Kollege Vogel möge entschuldigen, wenn ich in diesem Zusammenhang auf ein Zitat zurückkomme, das er vorgestern bei der allgemeinen Debatte aus den Ausführungen unseres Freundes Baade gebracht hat. Ich habe ihm im Privatgespräch bereits angekündigt, daß ich dieses Zitat nicht so ohne weiteres durchgehen lassen könne. Ich behaupte nicht, daß Herr Dr. Vogel falsch zitiert habe; aber es kommt erstens einmal darauf an, in welchem Tonfall ich ein Zitat bringe, und zweitens darauf, ob ich es indem genügenden Umfang anführe. Man kann nicht von vier gleichwertigen Gedankengängen über eine Konjunktursituation nur einen Gedankengang, der einem gerade paßt, in den Vordergrund rücken.
    Der Kollege Baade hat mit seiner Betrachtung durchaus recht. Es ist gut, das hier zu sagen. Was er sagt, ist zur Beurteilung der konjunkturpolitischen Situation durchaus wichtig. Der Kollege Baade hat darauf hingewiesen, daß es vier Quellen einer inflationären Entwicklung gibt: den Zahlungsbilanzüberschuß, das Defizit in den öffentlichen Haushalten, die Preisauftriebstendenzen und eventuell auch Lohnerhöhungen.
    Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht mit
    einer Erörterung aller vier Möglichkeiten für eine inflationäre Entwicklung langweilen, sondern nur auf das Problem der Zahlungsbilanzüberschüsse eingehen, weil das ein Punkt ist, in dem mir die allzu optimistische Darstellung des Herrn Bundeswirtschaftsministers über die Konjunkturlage bedenklich und gefährlich erscheint. Der Bundeswirtschaftsminister hat nämlich noch im Lagebericht für den Monat Mai dargelegt, daß die beträchtlichen Zahlungsbilanzüberschüsse, die wir trotz gleichbleibender Ausfuhr haben, ein wachstumsförderndes Element seien.
    Bei 'ernsthafter Überlegung wird man diese Ansicht in keiner Weise teilen dürfen. Erstens einmal sind Zahlungsbilanzüberschüsse in jeder wirtschaftlichen Situation sehr fragwürdige wachstumsfördernde Elemente; denn kein Land kann von ihnen leben, und die Länder, die mit uns im wirtschaftlichen Verkehr stehen, können es nicht dulden, daß wir ständig Zahlungsbilanzüberschüsse haben. Die Erzielung von Zahlungsbilanzüberschüssen bedeutet bei der Methode der Einlösung der Devisen durch die Bundesnotenbank in Deutsche Mark, daß ständig mehr Kaufkraft auf den deutschen Markt zuströmt, ohne ,daß ,dem gleichzeitig eine vermehrte Warenerzeugung gegenübersteht. Die Zahlungsbilanzüberschüsse haben also per se inflatorische Wirkung; darüber kann kein Zweifel bestehen.
    Ein zweites Moment darf man auch nicht vergessen. Ich habe mir erlaubt, vor dem Bundestagswahlkampf darauf hinzuweisen, daß wir in der Öffentlichkeit als Zerstörer der Weltmarktbeziehungen hingestellt würden. Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, im Bundestagswahlkampf drohend seinen Finger erheben zu müssen; er meinte, so etwas dürfe man nicht sagen, denn das entspreche nicht den nationalen Interessen Deutschlands. Wir kennen diese Tour! Herr Bausch hätte in einem solchen Fall wahrscheinlich ein Verfahren wegen Landesverrats für zweckmäßiger gehalten.
    Beim internationalen Währungsfonds wurde bereits Mitte des vergangenen Jahres festgestellt, 'daß 'die monetäre Situation keinen Anlaß zu den restriktiven Maßnahmen bietet, die die Ursachen für die starken Zahlungsbilanzüberschüsse sind. In diesem Frühjahr hat man sich auf der GATT-Tagung erneut mit dem Verhalten der Bundesrepublik und ihrer Außenhandelssituation befaßt und hat verlangt, daß die Importrestriktionen bis zum Herbst stark gedrosselt werden. Es wurde erklärt, daß das GATT andernfalls den übrigen Ländern das Recht zugestehen müsse, Kampfmaßnahmen gegen die Dumpingpolitik der deutschen Wirtschaft zu ergreifen.
    Deshalb, meine Damen und Herren, sollte man mit solchen Äußerungen vorsichtig sein, daß die Zahlungsbilanzüberschüsse in der augenblicklichen Situation günstige Momente seien. Eine solche Betrachtung verschließt uns nämlich den Blick für die Notwendigkeit, unsere wirtschaftliche Binnenstruktur darauf einzurichten, daß der deutsche Markt in viel größerem Umfang als früher auf Welt-



    Dr. Deist
    marktbeziehungen angewiesen ist. Protektionistische Tendenzen auf gewissen Gebieten sind nicht zu vereinbaren mit freien Weltmarktbeziehungen auf anderen Gebieten, solange dadurch das Zahlungsbilanzgleichgewicht auf die Dauer, also strukturell, gefährdet wird.
    Zur Entwicklung des Außenhandels folgendes. Der Herr Bundeswirtschaftsminister spricht von ständig hohen Ausfuhren. Ich vergleiche einmal bestimmte Monate mit den entsprechenden Monaten des Vorjahres. In der Zeit von März bis Mai 1957 stieg der Monatsdurchschnitt unserer Ausfuhren noch um 600 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr. In der Zeit von Juni bis August sank die Steigerung der Ausfuhr auf 400 Millionen DM, von September bis November auf 300 Millionen DM und von Dezember bis Februar 1958 auf nur noch 200 Millionen DM. Im März 1958 lag die Ausfuhr um 140 Millionen DM unter der Ausfuhr des Vorjahres, im Mai 1958 um 190 Millionen DM darunter und im April etwas darüber. Im Durchschnitt liegt die Ausfuhr jedenfalls um 50 Millionen DM unter der Ausfuhr des vergangenen Jahres. Hier zeigt sich ein ständiger Rückgang unseres Ausfuhrvolumens. Das muß man sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil diese Situation, vor der wir stehen, gefährlich und bedenklich ist.
    Den nächsten Punkt wollte ich besonders herausheben im Hinblick auf die Diskussion vor drei Tagen. Was das inflatorisch wirkende Defizit des Bundeshaushalts betrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß nicht Herr Kollege Baade die dort zitierte Auffassung vertritt. Sie mögen meinen, er sei nur in Streifen zu genießen, weil er immerhin zur sozialdemokratischen Fraktion gehöre.

    (Heiterkeit.)

    Aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß in demselben Heft der „Versicherungswirtschaft", in dem Herr Baade für Sie aufgetreten ist

    (Abg. Dr. Vogel: Auch Herr Schmölders geschrieben hat!)

    — Sie wissen genau, worauf ich hinaus will, aber es wird auch die anderen Damen und Herren dieses Hauses interessieren —, Herr Professor Schmölders über die Juliusturm-Politik folgendes gesagt hat:
    Heute sind wir dabei, diese angeblichen Kassenreserven, die inzwischen aus dem Geld- und Güterkreislauf bereits endgültig wieder ausgeschieden waren, wieder aufzulösen und zur Deckung von Bundesausgaben wieder einzusetzen. Das bedeutet volkswirtschaftlich nichts anderes als Defizitfinanzierung von Staatsausgaben mit dem Mittel der Geldschöpfung, durchgeführt im Zeitpunkt nicht der Depression, sondern der Vollbeschäftigung aller Produktionskräfte. Die Gefahren, die sich aus dieser Kassen-und Haushaltsgebarung für die Währung ergeben, liegen auf der Hand.

    (Abg. Dr. Vogel: Aber am Schluß macht er wieder einen Rückzieher!)

    — Herr Kollege Vogel, Sie können nicht sagen, daß
    der Satz etwa völlig aus dem Zusammenhang herausgezogen sei, sondern Professor Schmölders hat diesen Satz sehr deutlich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt.
    Nun komme ich zu einem Kapitel, das auch der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht hat lassen können, weil es zu seinen Spezialkapiteln gehört. Das ist der Einfluß der Lohnerhöhung auf die Preisgestaltung und auf die Konjunktur, ein Kapitel, das eine ernsthafte Betrachtung verlangt.
    Gestatten Sie mir, daß ich dazu einiges sage, nachdem ich vorher noch zur Korrektur des Zitats des Herrn Vogel dargelegt habe, was Herr Professor Baade abschließend über die vier inflationsfördernden Elemente in der Wirtschaftspolitik gesagt hat. Das ist nämlich nicht ganz uninteressant. Er schreibt:
    In einer Volkswirtschaft, in der man die drei anderen Inflationsquellen sprudeln läßt, d. h. konkret gesprochen: in der man weiterhin Zahlungsbilanzüberschüsse über das Notenbanksystem finanziert, eine Defizitpolitik der öffentlichen Haushalte betreibt, indem man angebliche Ersparnisse in einem Juliusturm in einer Zeit aufbraucht, wo diese inflationistisch wirken muß, und indem man dem Druck von Interessentengruppen in Landwirtschaft und Industrie im Sinne von Preissteigerungen oder der Verhinderung notwendiger Preissenkungen nachgibt, in solch einem Augenblick kann ein Appell an die Einsicht der Sozialpartner insbesondere auf der Arbeitnehmerseite nur wenig Erfolg haben.
    Herr Kollege Vogel, das ist der Extrakt dessen, was Herr Kollege Baade in seinem Artikel geschrieben hat. Es zeigt sehr deutlich, daß, jedenfalls im Gegensatz zu Ihrer Darstellung, nach seiner Auffassung das Schwergewicht der inflationären Tendenzen auf den drei anderen Gebieten — Zahlungsbilanzüberschüsse, Kassendefizit und preissteigernde Politik der Bundesregierung — liegt und nicht auf dem Gebiet der Lohnpolitik.
    Aber wie haben sich eigentlich die Löhne wirklich entwickelt? In der Zeit von 1949 bis 1957 sind die nominellen Bruttostundenverdienste um 78 % gestiegen, das Produktionsergebnis je Arbeiterstunde stieg in der Industrie um 72 %. Zu konzedieren ist, daß die nominellen Löhne etwas über der Entwicklung der realen Erhöhung des Sozialprodukts liegen. Die reale Lohnerhöhung lag bei 63 %, also unter der Ausweitung der Industrieerzeugung. Hinter dieser realen Erweiterung des Wirtschaftsvolumens aus der Industrie ist die Lohnerhöhung zurückgeblieben. Viel interessanter jedoch ist, daß es sich dabei nicht etwa um einen Trend handelt. Vielmehr hinkte die Lohnentwicklung in den Jahren 1949 bis 1951 und 1953 bis Mitte 1955 hinter der übrigen wirtschaftlichen Entwicklung her, während es in den Zwischenräumen möglich war, etwas nachzuholen.
    Nun komme ich auf das zurück, was ich vorhin sagte, daß wir eine Periode der konjunkturellen Entwicklung erreicht haben, die eine ganz andere Betrachtungsweise verlangt. In der Sitzung des Bundestages vom 5. November 1957 — das ist nunmehr acht Monate her — hatte ich mir erlaubt, folgendes auszuführen:



    Dr. Deist
    . . . hier liegt die wirkliche konjunkturpolitische Gefahr ... Es kommt entscheidend darauf an, ob die zukünftige Konjunkturentwicklung — da sie sich nicht mehr auf die Investitionsgüterindustrie stützen kann — nunmehr durch einen steigenden Verbrauch getragen wird. Die Gefahr liegt eher darin, daß wir einen zu niedrigen Verbrauch, zu niedrige Masseneinkommen haben, als daß wir einen zu hohen Verbrauch haben.
    Das, meine Damen und Herren, hatte ich mir im November vorigen Jahres erlaubt zu sagen, und ich glaube, heute kann eigentlich bei ruhiger Betrachtung der Konjunkturlage kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß wir bei diesem inflationären Trend, den wir seit etwa 1953 in der Wirtschaft haben, bei dieser langsamen, schleichenden Entwertung der D-Mark, bei diesen inflationistischen Tendenzen auf der Lohn- und Preisseite, wo sich nunmehr alles gegenseitig treibt, zu einem Ergebnis gekommen sind, bei dem es zweifelhaft erscheint, wie aus dieser Entwicklung wieder Ansatzpunkte für einen wirtschaftlichen Aufschwung gewonnen werden können. Denn diese kontinuierliche inflationäre Entwicklung muß auch bei geringem Ausmaß zunächst zu Ungleichgewichten führen. In diesem Stadium sind wir heute, und auf die Dauer besteht die Gefahr, daß das wirkliche Wachstum der Wirtschaft gefährdet wird.
    Ich sage das mit der genügenden Vorsicht, weil ich nicht meine, daß man hier ein Krisengerede anstimmen sollte. Aber man muß die Fakten sehen, und dazu möchte ich nun drei Beispiele nennen, die mir wichtig erscheinen.
    Einmal der berühmte Kampf um die Metallarbeiterlöhne in Nordrhein-Westfalen: letzte Lohnerhöhung im Frühjahr 1958, vorherige Lohnerhöhung am 1. Oktober 1956, Zeitraum: 1/2, Jahre. In diesen 11/2 Jahren ist der Lohn durch den Tarifvertrag im Schnitt um 51/2 % erhöht worden, während die Lebenshaltungskosten nach den statistischen Ausweisen um 6 % gestiegen sind. In diesem einen Beispiel jedenfalls haben die Lohnerhöhungen nicht mehr ausgereicht, um die zwischenzeitliche Steigerung der Lebenshaltungskosten und damit des Preisniveaus wettzumachen.
    Aber nun eine zweite Feststellung. Die gesamten in Deutschland gezahlten Netto-Löhne und -Gehälter lagen im ersten Quartal 1958 nach den Feststellungen der Bundesbank nominell um 5 % über den im ersten Quartal 1957 gezahlten Löhnen: nominelle Erhöhung der Kaufkraft um 5 %. Die Steigerung der Lebenshaltungskosten in dieser Zeit betrug 41/2 %. Angesichts der gesamten Lohn- und Gehaltsentwicklung in der ganzen Bundesrepublik bedeutet das also eine reale Kaufkraftsteigerung von nur 1/2 %. Wenn Sie jetzt außerdem daran denken, wie stark der Sparprozeß zugenommen hat, dann wird Ihnen eindeutig klar werden, daß in diesem Jahre eine Ausweitung der wirksamen realen ,Kaufkraft .einfach nicht mehr stattgefunden hat. Das ist ein ernsthaftes Symptom, das wir beachten müssen.
    Das letzte Bulletin, das die Bundesregierung herausgegeben hat, stellt denn auch bei der Untersuchung der Lohnsituation ganz eindeutig klar, daß die Bruttowochenverdienste in der Industrie einschließlich der Abzüge für Arbeitszeitverkürzung usw. — also das, was als Kaufkraft dazukommt — vom November 1957 bis zum Februar 1958 nicht mehr gestiegen, sondern leicht zurückgegangen sind. Das ist immerhin eine statistische Feststellung im Bulletin.
    Dann eine dritte Feststellung, die zu einer sachlichen Beurteilung notwendig ist: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat festgestellt, daß im ersten Quartal 1953 gegenüber dem ersten Quartal 1957 die Preise für die importierten Güter der gesamten deutschen Wirtschaft um 500 Millionen DM gestiegen sind, daß im Gegensatz dazu die Preise für die gelieferten Waren und die zur Verfügung gestellten Dienstleistungen um 1,6 Milliarden DM gestiegen sind, d. h. eine Steigerung insgesamt von 2,1 Milliarden DM — Preiserhöhung der Wertschöpfung, sagt das Institut —, die weit über die Kostensteigerungen durch Lohnerhöhungen hinausgeht. So die Feststellung dieses Institutes!
    Dann ist es furchtbar uninteressant, ob auf bestimmten Sektoren, z. B. bei den Dienstleistungen, das Gewicht der Löhne so groß ist, daß hier Preissteigerungen notwendig sind. Entscheidend ist, daß auf den Gebieten, wo diese Notwendigkeit nicht besteht, wo im Gegenteil durch den wirtschaftlichen Fortschritt Kostensenkungen eintreten, auch die entsprechenden Preissenkungen erfolgen. Niemand verlangt, daß auf jedem Gebiet, bei jedem Preis das Niveau festgehalten werde. Das ist in einer lebendigen Wirtschaft nicht möglich, und gerade bei den Dienstleistungsbetrieben werden wir häufiger einmal für Lohnerhöhungen auch Preiserhöhungen brauchen. Wesentlich ist, daß das gesamte Preisniveau gehalten wird. Aus dieser Ubersicht ergibt sich aber haargenau, daß das bei der augenblicklichen Situation durchaus möglich ist.
    Aber die Entwicklung von Löhnen und Preisen ist eben so — wenn ich versuche, es einmal nach großen Vorbildern primitiv auszudrücken —: Wirtschaftlicher Aufschwung bedeutet doch, daß mehr produziert wird als in vorhergehenden Perioden. Das heißt auch, daß mehr gekauft werden kann, und wenn sich die reale Kaufkraft nicht im Verhältnis zu den produzierten Gütern steigert, dann besteht die Gefahr eines Rückschlages. Nun tut es mir sehr leid, den Herrn Bundeswirtschaftsminister da etwas korrigieren zu müssen. Es ist richtig, daß in den ersten Monaten, global gesehen, auch die Industrieerzeugung noch über der Industrieerzeugung des vergangenen Jahres lag. Aber sie ist seit dem Januar gegenüber dem Vorjahresergebnis ständig zurückgegangen, und im Mai dieses Jahres haben wir zum erstenmal festzustellen, daß die industrielle Produktion Westdeutschlands unter dem Niveau des vergangenen Jahres liegt, und das insbesondere auf dem Gebiet der Konsumgütererzeugung. Das ist ein indirekter Beweis für meine Be-



    Dr. Deist
    hauptung, daß die Steigerung der Kaufkraft eben nicht mehr ausreicht, um das Niveau der Erzeugung in diesen Massenbedarfsartikeln weiter zu steigern oder nur aufrechtzuerhalten.
    Es ist auch nicht richtig, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister meint, darin sei nur eine Verlagerung von Massengütern zu gehobenen Bedarfsgütern zu sehen. Das verschärft zwar die Situation; aber der innere Grund für diese konjunkturelle Situation ist, daß die Kaufkraft nicht mehr ausreichend steigt und infolgedessen keine Ansatzpunkte und Akzente mehr für wirtschaftlichen Aufschwung vorhanden sind. Da kann man nicht mehr, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Mai-Bericht getan hat, von einem „ausgeglichenen Gesamtbild bei ruhiger Fortentwicklung auf dem erreichten hohen Stand" sprechen, sondern die Sachlage ist so: Der inflationäre Trend hat dazu geführt, daß die Lohnerhöhungen nicht mehr ausreichen, die Preiserhöhungen wettzumachen, und daß wir keine steigende Kaufkraft mehr haben. Und was viel schwieriger und tragischer ist: Bei der augenblicklichen Machtverteilung auf dem Arbeitsmarkt bei rückläufiger Konjunktur erscheint es auch nicht möglich, durch Lohnkämpfe eine stärkere Erhöhung der Kaufkraft durchzuführen, wobei ich ganz offenlasse, ob in diesem Stadium der steigenden inflationären Entwicklung nicht auch Preissteigerungen durch eine neue Lohnsteigerung verursacht würden.
    Die meinem Empfinden nach einzige Möglichkeit, in dieser Situation wieder Ansatzpunkte für eine Aufwärtsentwicklung zu bekommen, ist, die Preisstarrheit auf dem deutschen Markt aufzuheben. Diese Preisstarrheit hängt entscheidend mit dem zusammen, was mein Kollege Kurlbaum über die Macht der Konzentration und über die Vermachtung der Gesamtwirtschaft gesagt hat. Es geht doch wohl etwas zu weit, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister, weil hie und da, z. B. hier in Bonn, einige Preise unterboten werden, meinte sagen zu sollen, jetzt beginne die Starre nachzulassen und das Preisniveau einzubrechen. So ist die Situation leider nicht. Ich weiß auch nicht, ob ein ungeregelter Zusammenbruch von Preisen wirklich eine günstige Ausgangsposition für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung ist oder ob man nicht andere Methoden anwenden muß, um Ansatzpunkte für eine Wiedererhöhung der Konjunktur zu finden.
    Entscheidend kommt es darauf an — insoweit stimme ich mit dem Bundeswirtschaftsminister überein —, Ansatzpunkte für eine Steigerung der Mengenkonjunktur zu schaffen, Ansatzpunkte für Auslösung einer Mengenkonjunktur. Denn die Wirtschaft muß in diesem Zirkel, in dem sie sich befindet, der Verlangsamung im Zuwachs der nominellen Einkommen durch Preisanpassung Rechnung tragen. Da aber wundert mich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister zu diesem Problem, zu der Frage, was von der Bundesregierung getan werden könne, nicht ein einziges Wort gesagt hat. Auch dem Wunsche meines Kollegen Kurlbaum, doch im Sinne einer psychologischen Kriegführung einmal zu sagen, was die Bundesregierung tun wird, wenn stärkere Einbrüche erfolgen, hat er nicht entsprochen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß man in Amerika dieses Rezept befolgt. Pläne zur Steigerung der Wirtschaft anzukündigen und vorzubereiten, ist dort ein wichtiges Mittel der Konjunkturpolitik. Der Bundeswirtschaftsminister hat — ich glaube, in Dortmund war es — einmal laut ausgerufen: „Ich habe einen Plan." Ich meine: wenn er einen hat, irgendwo in einer Schublade, würde er der Öffentlichkeit einen Dienst erweisen, wenn er von diesem Plan gelegentlich einmal auch Gebrauch machte.
    Aber wenn man will, daß über eine Senkung oder wenigstens ein Festhalten des Preisniveaus, eine Verhinderung weiterer Preissteigerung dafür Sorge getragen wird, daß nominell steigende Löhne auch wirklich zusätzliche reale Kaufkraft darstellen, dann muß man ernsthaft etwas gegen diese Preisstarrheit tun, und dann genügen Deklamationen, wie sie der Herr Bundeswirtschaftsminister übt, und seine berühmte Seelenmassage eben leider in keiner Weise mehr. Vielmehr gehört dazu vor allen Dingen u. a. eine Kartellpolitik, die diesen Namen verdient. Wir bedauern sehr, daß die Bundesregierung von diesen Maßnahmen bisher so gut wie keinen Gebrauch gemacht hat, so daß wir ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Kartellgesetzes noch nicht einmal eine funktionsfähige Kartellbehörde haben. Und die Bundesregierung muß, wenn sie die Mengenkonjunktur einleiten will und wenn sie weiß, was Preiserhöhungen in solcher Situation bedeuten, sich entscheiden und dafür sorgen, daß die von ihr beeinflußten Preise, wie Mieten und Milchpreise, nicht weiterhin steigen, sondern zum mindesten auf ihrem Niveau gehalten werden. Dann muß sie von ihrer defizitären Finanzpolitik abgehen. Nur so läßt sich das Wort des Bundeswirtschaftsministers wirklich realisieren, daß den Ausgangspunkt für eine bessere Entwicklung nur eine Mengenkonjunktur bieten kann.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Sinne wünschen wir von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister wirtschaftspolitische Aktivität. Wir bedauern es sehr, daß seine Angst vor Aktivität, soweit es um das politische Handeln geht — sonst ist er fürchterlich aktiv —, ihn einfach davon abhält, auch nur die einfachste aktive wirtschaftspolitische Maßnahme zu ergreifen; wobei ich dahingestellt lasse, wieweit Mitglieder dieser Bundesregierung im Hinblick auf die hinter ihr stehenden Kräfte — das ist ja ein Stück Verfilzung von wirtschaftlicher und politischer Macht — überhaupt in der Lage wären, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendigerweise in den Interessenbereich bestimmter Gruppen eingreifen müssen. Aber ich möchte ganz deutlich sagen, meine Damen und Herren: Die entscheidende Krisengefahr sehen wir heute nicht in der wirtschaftlichen Lage, sondern in der Untätigkeit der Bundesregierung.
    Wenn aber die Dinge so liegen, dann sollten die Bundesregierung und der Herr Bundeswirtschaftsminister es sich nicht so leicht machen und die Verantwortung für diese Wirtschaftsentwicklung, die uns unter Umständen vor schwere Probleme stellen



    Dr. Deist
    kann, den breiten Schichten der Arbeitnehmer aufladen wollen, die heute schon nicht mehr in der Lage sind, durch Lohnerhöhungen die Folgen der Geldentwertung auszugleichen.

    (Zuruf von der Mitte: Oh!)

    — Ich hätte gedacht, Sie würden, nachdem ich Ihnen die zahlenmäßigen Beispiele genannt habe, wenigstens von Urlauten als Argumenten absehen. Ich nehme an, daß der Herr Kollege Hellwig etwas mehr als diese Urlaute zu dieser Auseinandersetzung beitragen kann.
    Meine Damen und Herren, es ist nicht fair, für ein Versagen und Verschulden der Bundesregierung und ihrer Politik die breiten Verbraucherschichten in Deutschland verantwortlich zu machen.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Fritz Hellwig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß hier eine Diskussion geführt werden kann, bei der man sich sehr ernste, sehr problemgeladene, in der Beurteilung zum Teil auch sehr heterogene Dinge sagen kann, ohne daß es persönlich genommen wird. Ich freue mich darüber und möchte den Wunsch haben, daß dieser Stil unserer Debatten im Wirtschaftsausschuß weiter um sich greift, wenn es hier erregte Auseinandersetzungen über andere Gebiete gibt.
    Ich möchte zunächst auf eine Sache hinweisen, von I der ich glaube, daß sie allen Seiten des Hauses so wichtig sein sollte, daß sie nicht übergangen werden kann. In den Ausführungen von Herrn Dr. Deist ist diese Frage weniger angeklungen. In den Darlegungen von Herrn Kurlbaum kam dagegen bei dem Thema der Machtkonzentration und anderen Dingen im Zusammenhang mit den Kapitalgesellschaften das Wort von der Selbstfinanzierung hoch.
    Es ist wohl der Aufmerksamkeit des größten Teiles der Kollegen entgangen, daß die Berechnungen des Volkseinkommens und seiner Verwendung durch das Statistische Bundesamt in den letzten Monaten auf eine neue Grundlage gestellt worden sind. Infolge dieser neuen Berechnungen müssen viele Dinge erheblich korrigiert werden. In den früheren Rechnungen — ich nenne das Jahr 1954 als Beispiel — sind die Nettoinvestitionen um Milliardenbeträge höher errechnet worden, als sie sich nach der neuen Berechnung ergeben. Dementsprechend haben sich auch die Angaben aus diesen Globalrechnungen über die Entwicklung der Einkommen und ihre Verwendung, insbesondere aber auch über die Bildung von Vermögen und seine Finanzierung ganz entscheidend verschoben. Ich verweise auf die jüngsten Berechnungen der Deutschen Bundesbank, die insbesondere über das Ausmaß der Selbstfinanzierung völlig neue Aufschlüsse geben und damit auch jene — ich möchte sagen: stichwortähnlichen — Zahlen, die das Bundeswirtschaftsministerium und das damalige Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in ihren Kapitalmarktgutachten zu Beginn des vergangenen Jahres vorgelegt haben, wesentlich korrigieren. Ich werde an einer anderen Stelle mich zu diesen Dingen noch einmal kurz äußern. Ich wollte nur an den Anfang diese völlig neuen Berechnungen stellen und auf sie aufmerksam machen. Sie sind nämlich nach meiner Meinung geeignet, einen Zankapfel, der bisher zwischen verschiedenen Gruppen, Lagern und Parteien in diesem Hause vorhanden war, im wesentlichen zu beseitigen.
    Nach den Angaben der Bundesbank ergibt sich folgendes. ,Die Vermögensbildung der Unternehmungen ist in den Jahren 1955 und 1956 nur zu 37 % aus nicht entnommenen Gewinnen, aber zu 65 % durch Kreditaufnahme finanziert worden. Diese Zahlen zwingen zu einer Uberprüfung zahlreicher bisheriger Angaben dieser Art. Ich erinnere mich noch, daß beispielsweise auf dem SPD-Parteitag in dem Referat des württembergischen Wirtschaftsministers Veit aus einer Berechnung des Berliner Institutes für Wirtschaftsforschung die Angabe gebracht wurde, der Sachvermögenszuwachs der Wirtschaftsunternehmungen sei zu 77 % selbst und zu 21 % über den Kapitalmarkt finanziert worden. Nach den neuen, nunmehr vorliegenden Berechnungen der Bundesbank ergibt sich für die Jahre von 1950 bis 1957 ungefähr ein Gleichgewicht zwischen der Selbstfinanzierung aus nicht entnommenen Gewinnen und der Finanzierung durch Kreditaufnahme. In dieser Vermögensbildung aber ist die Geldvermögensbildung mit enthalten. Im allgemeinen ist nun nicht anzunehmen, daß Geldvermögensbildung durch Kreditaufnahme finanziert wird. Für die Sachvermögensbildung der Unternehmungen muß der Anteil der Kreditfinanzierung also wesentlich höher sein, als er sich aus dieser Berechnung, die die gesamte Vermögensbildung, Sach- und Geldvermögensbildung, zugrunde legt, ergibt.
    Ich glaube, daß wir angesichts dieser Überprüfung der Ausgangszahlen, mit denen wir uns in den vergangenen Jahren in unseren Diskussionen herumgeschlagen haben, doch zu einer wesentlich ruhigeren Betrachtung kommen können, insbesondere auch dann, wenn die Fragen erörtert werden, die Herr Kollege Kurlbaum bei dem Thema Konzentration angeschnitten hat.
    Nun darf ich noch einmal zu dem Bild der konjunkturellen Lage zurückkehren. Selbstverständlich hat der Kollege Dr. Deist recht, daß man hinter der Globalzahl unseres derzeitigen Beschäftigungsvolumens nicht übersehen darf, daß in einigen Wirtschaftszweigen die Lage doch wesentlich anders ist. Aber wir haben dann zu überprüfen, ob es sich hier wirklich um ein allgemeines Konjunkturproblem, um einen phasenmäßigen Vorgang im konjunkturellen Abschwung handelt oder um das Auslaufen, ich möchte einmal sagen, von Sonderkonjunkturen, die durch den aufgestauten Nachholbedarf der Bevölkerung auf verschiedenen Gebieten bedingt waren. Das betrifft vor allem die Konsumgüterindustrie und in der Konsumgüterindustrie wohl, richtig gesehen, gerade die Textilwirtschaft, bei der im wesentlichen die Kurzarbeit aufgetreten ist, von der Kollege Deist gesprochen hat.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 3. Juli 1958 2273
    Dr. Hellwig
    Hier stellt sich in der Tat das Problem, daß eine Sonderkonjunktur aus aufgestautem Nachholbedarf der ersten Nachkriegsjahre zu Kapazitätserweiterungen mit relativ schmaler Kapitaldecke — es ist keine sehr kapitalintensive Industrie — durch das Hereinströmen von zahlreichen selbständigen Existenzen geführt hat. Man war froh, Vertriebenen und Flüchtlingen hier den Aufbau einer selbständigen Existenz ermöglichen zu können. Aber die Sonderkonjunktur mußte sich ja zu irgendeinem Zeitpunkt normalisieren. Wir werden daher in derartigen Wirtschaftszweigen weniger ein Problem der allgemeinen Konjunkturpolitik als strukturelle Veränderungen, die auf lange Sicht eben andere Maßnahmen erforderlich machen, erkennen müssen.
    Kurz ein Wort zu einem anderen der schwarzen Flecke auf dem derzeitigen konjunkturellen Bild, zum Steinkohlenbergbau. Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß man sich hier mit der beruhigenden Wirkung zufriedengeben kann, die die Verschärfung des Wettbewerbs hinsichtlich des Problems der Kohlenpreise herbeigeführt hat. Auf der anderen Seite sollte man es aber auch nicht überdramatisieren. Denn wenn ich die Haldenbestände im deutschen Steinkohlenbergbau — und zwar einschließlich des Kokses — mit denen anderer Länder vergleiche, nämlich mit den Ländern der Montanunion und mit dem englischen Steinkohlenbergbau, dann ist zumindest, bezogen auf die gesamte Jahresleistung, die Bevorratung der deutschen Kohlenwirtschaft nicht höher, ja relativ niedriger als in anderen Ländern der Montanunion, in denen Kohlenbergbau betrieben wird. Somit können wir wohl sagen, daß sich eine allgemeine Verlangsamung der Steinkohlennachfrage bei uns sogar nicht so stark ausgeprägt hat wie etwa in unserem Nachbarland Belgien oder wie in Frankreich. Auch hier bin ich der Meinung, daß nicht von einem allgemeinen konjunkturpolitischen Problem gesprochen werden sollte, sondern von dem Sonderproblem, welcher Zukunftsentwicklung der deutsche Steinkohlenbergbau bei der Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse entgegengeht, insbesondere im Hinblick auf Erdöl, Heizöl usw. Das sind Fragen, die einer sehr sorgfältigen Überprüfung bedürfen. Ich hoffe, daß im Rahmen der energiewirtschaftlichen Gesamtvorschau, von der wir nun schon so oft sprechen, auch diesem Problem nähergetreten wird.
    Nun zu einem Komplex, den sowohl der Kollege Deist wie der Kollege Margulies behandelt haben, nämlich zu der Frage unserer Ausfuhr und der Wirkungen, die von einer rückläufigen Entwicklung der Ausfuhr auf die deutsche Wirtschaft unter Umständen ausgehen können. Ich unterscheide mich etwas von jenen Kritikern, die da meinen, daß die Steigerung des deutschen Exports und der Exportkraft der deutschen Wirtschaft in den letzten Jahren vom Übel gewesen sei. Ich muß eigentlich auf das Gegenteil hinsteuern. Denn wir haben in der deutschen Wirtschaft 1948 vor einer Aufgabe gestanden, die kein anderer treffender formuliert hat als Professor Baade. Er sagte damals: Das Hereinströmen von 10 bis 12 Millionen zusätzlicher Menschen in die Bundesrepublik unter Verlust der landwirtschaftlichen Überschußgebiete des Ostens verlangt eine Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft; die deutsche Wirtschaft wird weltmarktorientiert werden müssen, so wie es andere hochindustrialisierte Länder mit entsprechender Bevölkerungsdichte — er nannte Großbritannien und Belgien — eben in ihrer Geschichte geworden sind. — Sehen Sie: die Entwicklung des deutschen Exports und die Stärkung der Exportkraft sind ja tatsächlich Ausdruck dafür, daß es gelungen ist, diese Umstrukturierung in einem ganz erheblichen Ausmaß auch durchzuführen.
    Nun sagt man: Aber ist nun nicht eine strukturelle Überschußsituation entstanden? Habt ihr mit eurer Umstrukturierung nicht zuviel des Guten getan? — Ich möchte zunächst einmal bezweifeln, ob die Bäume des deutschen Exports, die von der Investitionsnachholkonjunktur zahlreicher Bereiche der Welt in den letzten Jahren gedüngt waren, weiter in dieser Größenordnung stehenbleiben. Man wird auch, was die Weltmarktkonjunktur angeht, zu einem Ende der Nachholphase kommen; es werden also schon bestimmte Korrekturen hinsichtlich des Ausfuhrüberschusses eintreten. Auf der anderen Seite ist es ganz klar, daß, wenn wir von den anderen Ländern nicht genug abnehmen, dann die Unzufriedenheit über uns kommt - darüber sind hier ja einige Worte zitiert worden — und daß dann ein Ausfuhrüberschuß entsteht, der zu allen möglichen Störungen im internationalen Handels- und Zahlungsverkehr führen könnte und nicht zuletzt auch in unserer innerwirtschaftlichen Lage durch inflationistische Auswirkungen unserer Ausfuhrüberschüsse .
    Zunächst zu der Frage: Ist auf dem Gebiet der Einfuhr wirklich nicht genug geschehen? Wir sprechen schon gar nicht mehr von der Phase kontinuierlicher Senkungen der Einfuhrzölle, die wir in den letzten drei Jahren durchgeführt haben. Denn nur deshalb, weil diese Senkung der Einfuhrzölle und diese Liberalisierung im industriellen und gewerblichen Sektor so planmäßig vonstatten gingen, ist doch die Entwicklung eingetreten, daß auf das Jahr gerechnet — die Ausfuhr 1957 gegenüber 1953 nicht stärker als die Einfuhr, sondern wert- und mengenmäßig die Einfuhr noch stärker als die Ausfuhr gestiegen ist. Hier wirkt doch eine Tendenz zur Korrektur etwaiger kontinuierlicher Ausfuhrüberschüsse. Besonders deutlich wird das im Sektor der Halbwaren und Fertigwaren. In den ersten vier Monaten des Jahres 1958 lag die Einfuhr von Halbwaren um 135 % über der des gleichen Zeitraumes vor fünf Jahren und die Einfuhr von Fertigwaren um 216 % über der des gleichen Zeitraums vor 5 Jahren. Am schwächsten ist die Zunahme in der Einfuhr von Rohstoffen. Das liegt aber an der vorhin schon kurz besprochenen Zurückhaltung der deutschen Rohstoffkäufer im Hinblick auf die Erwartung weiterer Preisrückgänge auf den Rohstoffmärkten der Welt. Hier sind es also wesentliche Umdispositionen in der Lagerhaltung, von denen auch Herr Erhard schon gesprochen hat.
    Es darf also gesagt werden, daß sich bis zu den ersten Monaten dieses Jahres die Einfuhrsteige-



    Dr. Hellwig
    rung — auch angesichts einer relativ niedrigeren Zunahme der Einfuhren im Sektor der Rohstoffund Ernährungswirtschaft — doch im ganzen mit der Ausfuhrentwicklung die Waage gehalten hat.
    Ich muß es mir wegen der vorgeschrittenen Zeit versagen, hier noch mehr zu dem Thema des deutschen Ausfuhrüberschusses zu sagen. Wir sind uns völlig klar darüber, daß nunmehr Maßnahmen vorbereitet werden müssen, die die Kaufkraft von Abnehmerländern, insbesondere in den Rohstoffgebieten der Welt wieder stützen. Aber alle diejenigen die draußen in der Welt glauben, die Bundesrepublik sei nunmehr so reich, daß sie hier in die Rolle der Amerikaner eintreten könnte, möchte ich doch etwas korrigieren. Ein kluger Beobachter dieser Dinge hat davon gesprochen, daß es die Bundesrepublik in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zumindest bis zum Ablauf des Jahres 1957 nicht — wie andere Länder — verstanden hätte, ins Schaufenster der Weltöffentlichkeit ihre Schulden und Lasten zu stellen, sondern daß sie in das Schaufenster der Weltöffentlichkeit ihre Kassenüberschüsse — genannt Juliusturm — und ihre Devisenüberschüsse — genannt Vocke-Turm — gestellt habe.
    In dieser psychologisch zu verstehenden Beurteilung steckt sicher ein richtiger Kern. Denn wie sieht es mit den Gold- und Devisenguthaben der Deutschen Bundesbank aus? Wenn wir alle die Milliarden abziehen, die für ein- bis dreijährige Schuldverschreibungen, für unsere Darlehen und Guthaben bei der Weltbank und bei der Europäischen Zahlungsunion und unser Sonderkonto bei der Bank von England bestimmt sind, weiterhin die deutsche Beteiligung an der EZU-Hilfe für Frankreich, dann ergibt sich, daß sich unsere Währungsreserve auf etwa 16 Milliarden DM stellt. Das ist der Gegenwert des Einfuhrbedarfs der Bundesrepublik für 6 Monate. Meine Damen und Herren! 16 Milliarden DM, der Gegenwert des Einfuhrbedarfs der Bundesrepublik von 6 Monaten!
    Nun müssen wir aber noch die Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik aus ihren Schulden hinzunehmen, die Schulden aus dem Londoner Abkommen, die Auslandsverpflichtungen aus dem Haager Abkommen mit Israel und die noch gar nicht übersehbaren Zahlungs- und Transferverpflichtungen. die sich aus der Wiedergutmachung ergeben; denn ein erheblicher Teil der Wiedergutmachungsverpflichtungen wird gleichzeitig Verpflichtung zur Zahlung an das Ausland sein. Wenn man das alles zusammenzieht, dann wird der Spielraum, in dein etwa Kreditaktionen aus dem deutschen Gold- und Devisenpolster zugunsten der Einfuhrpolitik von Überseeländern abgezweigt werden können, relativ schmal. Immerhin, auch eine oder zwei Milliarden DM können, wenn es zu einer wirklich konjunkturpolitisch bedenklichen Gefährdung der deutschen Ausfuhrsituation in diesen Räumen kommen sollte, schon ganz erheblich wirken.
    Aber lassen Sie mich an dieser Stelle zu allen jenen Forderungen, Plänen und Wünschen, die auch im Laufe dieser Haushaltsdebatte vorgebracht worden sind, daß die Bundesrepublik gerade innerhalb dieser besonders interessanten Räume auch mit finanziellen Hilfen mehr tun müsse, doch einmal folgendes sagen. Wir stoßen in diesen asiatischen und afrikanischen Räumen auf eine bestimmte Konkurrenz, die man wiederholt als die sogenannte Rubel-Offensive bezeichnet hat. Diese Konkurrenz hat ja praktisch dazu geführt, daß heute nicht mehr mit Preis und Qualität auf diesen Märkten operiert wird, sondern mit den langfristigen Zahlungsbedingungen, mit langfristigen Lieferantenkrediten oder staatlichen Refinanzierungskrediten. Diese Konkurrenz muß ja wohl auch als eine der Fronten im Mehrfrontenkrieg gesehen werden, in dem die freie Welt und nicht zuletzt die Bundesrepublik steht.
    Wir zerbrechen uns in diesem Hause sehr hitzig den Kopf darüber, wo in diesem Wettlauf, in diesem Mehrfrontenkrieg die wichtigste Front ist, ob es die Verteidigung im militärischen Sinn ist und das, was für sie finanziell und wirtschaftlich zu geschehen hat, ob es die sogenannte soziale Sicherheit ist, d. h. die weitere Hebung und Garantierung eines bestimmten Lebensstandards, oder ob es jener Weltmarkt ist, wo wir der politisch gesteuerten Konkurrenz des gleichen Gegners gegenübertreten. Wenn wir diese Fronten nebeneinander sehen, wird es vielleicht verständlich, daß die Auseinandersetzung idarüber nicht einfach ist. Wir sollten aber auch sehen, daß die Leistungskraft, die hierfür notwendig ist, nur einmal verteilt werden kann und daß sie nicht an allen Stellen gleichzeitig in gleicher Höhe in Anspruch genommen werden kann. Hier ist ein kluges Abwägen notwendig, und um dieses kluge Abwägen auch bei der Diskussion über Rüstungskosten, über langfristige Exportkredite oder über Forderungen auf weitere Steigerung des sozialen Lebensstandards möchte ich alle in diesem Hause, ganz besonders aber selbstverständlich die Kollegen der Opposition bitten.
    Nun komme ich zu jenem anderen Moment, das auch Kollege Dr. Deist als eines der Gefahrenmomente behandelt hat. Ich meine die Lohnentwicklung, die Entwicklung der Einkommen. Kollege Dr. Deist knüpfte daran Besorgnisse, daß beispielsweise die Kaufkraft nicht mehr ausreiche, um die industrielle Erzeugung aufzunehmen.

    (Abg. Etzel: Herr Kollege Dr. Deist hat sich entschuldigen lassen, weil er zu einer Wahlrede wegmuß!)

    Herr Kollege Deist hatte davon gesprochen, daß natürlich — und darin wird ihm niemand widersprechen — ein wirklicher Kaufkraftrückgang der breiten Masse ein konjunkturelles Problem aufwerfen würde. Das sind Erscheinungen, die wir in der Deflationskrise zu Beginn der dreißiger Jahre gehabt haben. Ich wage aber doch hier zu bezweifeln, ob die Situation wirklich schon so gesehen werden darf. Die Kaufkraft oder, wie ich sagen möchte, die Kauflust ist nicht weiter gestiegen; aber die Sparneigung ist ganz kräftig weitergestiegen. Trotz der Entwicklung der Preise, auf 'die ich noch kommen werde, ist doch die Sparneigung unverkennbar außergewöhnlich gestiegen, so daß das bestätigt wird, was ich vorhin schon sagte: daß bestimmte Sonderkonjunkturen, in diesem Fall bestimmte Sonderbedarfslagen, bestimmter Nachholbedarf allmählich einen Sättigungsgrad gefunden



    Dr. Hellwig
    haben und eine Verlagerung in andere Wirtschaftsgüter — Professor Erhard hat von langlebigen Wirtschaftsgütern des gehobenen Konsums gesprochen — und eine Verlagerung in zunehmende Spartätigkeit stattgefunden hat.
    Was hat diese Verlagerung bedeutet? Sie hat die leichte konjunkturelle Belebung herbeigeführt, die seit dem Monat April, seit der Überwindung der Winterflaute das deutsche Konjunkturgeschehen kennzeichnet, nämlich die ganz kräftige Belebung einmal des Wohnungsbaues — Herr Dr. Brecht wird über die Verbesserung insbesondere der Hypothekendarbietung usw. sicher meiner Meinung sein, daß dieser Beitrag nicht zu unterschätzen ist —, und zum anderen, daß tatsächlich der Kredit in manchen Wirtschaftsbereichen billiger geworden ist und dort, wo man also wirklich mit den Pfennigen in diesen Fällen rechnet, auch Investitionen, die zurückgestellt worden sind, inzwischen wieder anlaufen. Wir haben in der Tat eine leichte Belebung, eine Zunahme der Investitionsvorhaben, der Investitionsgüteraufträge. Man darf das wohl mit jener Wandlung von Kauflust im Konsumbereich in Sparneigung und mit der Verlagerung von Mitteln im Investitionsbereich in Verbindung bringen.
    Aber das ist nicht ganz von ungefähr gekommen. Seit über einem Jahr haben meine politischen Freunde, nicht zuletzt der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesfinanzminister, mitgeholfen, diese Entwicklung in Gang zu bringen. Verschiedene unserer politischen Maßnahmen, insbesondere Probleme der Eigentumsbildung, der Förderung der Spartätigkeit und andere mehr, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.
    Für das weitere Jahr rechne ich mit einem Zuwachs an Kaufkraft, der sich auch im Konsum niederschlagen wird; denn die jetzt verabschiedete Einkommensteuersenkung, die ja gerade in den Familienhaushaltungen, bei denen vielfach auch heute noch Nachholbedarf besteht, günstig wirken wird, wird zu einer Vermehrung der Kaufkraft führen. Wenn man dann erwarten darf, daß über den Jahreslohnsteuerausgleich die im ersten Halbjahr zuviel gezahlten Steuern wieder zurückfließen, so glaube ich jetzt schon sagen zu können, daß mit einer erfreulichen Kaufkraftmehrung auch im Hinblick auf die Konsumdispositionen im zweiten Halbjahr gerechnet werden kann.
    Meine Damen und Herren! Nun darf ich aber hier noch einen kurzen Zusammenhang zwischen der Lohnbewegung, der Einkommenentwicklung und der Preisentwicklung erörtern. Herr Kollege Deist hat richtig darauf hingewiesen, daß nominelle Lohnbewegungen in einzelnen Bereichen — er sprach von der Metallindustrie — in dem Zeitraum, den er verglichen hat, hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückgeblieben seien. Er hat vieles an Zahlen dieser Art gebracht, aber er hat mit keinem einzigen Wort erwähnt, daß mit dieser nominellen Lohnbewegung auch eine reale Arbeitszeitverkürzung Hand in Hand gegangen ist, so daß einer nominellen Lohnerhöhung auf der Produktionsseite Beschneidungen des Produktionsvolumens durch Arbeitszeitverkürzungen gegenüberstehen.

    (Abg. Etzel: Sehr richtig!)

    Wenn man die beiden Dinge miteinander vergleicht, dann muß man die Arbeitszeitverkürzung mit ihrer Auswirkung auf die dargebotene Güterproduktion berücksichtigen. Wie sieht das Bild denn aus? Erstes Vierteljahr 1957 verglichen mit dem ersten Vierteljahr 1958: Die industrielle Produktion ist in diesem Jahre gestiegen um 3,5 %, die Lohn- und Gehaltssumme aber um 7,3 %. Meine Damen und Herren! Woher soll denn dieses Mehr der Lohn- und Gehaltssumme kommen? Das Produktionsergebnis je Arbeiterstunde ist gestiegen um 5,6 %, die Lohnsumme je Arbeiterstunde um 8,6 %.

    (Abg. Etzel: Hört! Hört!)

    Wenn wir die Arbeitszeitverkürzung insgesamt und jetzt das Produktionsergebnis der Beschäftigten nehmen, dann ist das Produktionsergebnis je Beschäftigten nur noch um 0,7 % gestiegen, die Lohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten jedoch um 4,6 %.
    Meine Damen und Herren, nun wird man sagen: Wo soll das herkommen? Das sollte auf Kosten der Gewinne gehen. Über die Höhe der Gewinne in diesem Zeitraum liegen ausreichende Angaben noch nicht vor. Aber wer Bilanzen der deutschen Unternehmungen über die Zeit vom ersten Quartal 1957 zum ersten Quartal 1958 eingesehen hat, wird wissen, wie sich die Gewinnsituation in diesem Jahre verschärft hat und daß von einer Situation, die etwa der des Sommers 1955 entsprechen würde, beileibe nicht mehr die Rede sein kann.
    Zu den Berechnungen, die von verschiedenen Seiten über die Entwicklung der Lohn- und Gewinnquote bisher vorgelegt worden sind, kann ich nur sagen, daß ich kurzfristige Vergleiche von Quartal zu Quartal ablehne, weil sie in der Tat nichts aussagen. Man muß schon Jahreszahlen miteinander vergleichen, und dann auch bereinigte Zahlen.
    Nach den jüngsten Berechnungen der Deutschen Bundesbank entfallen von dem Nettosozialprodukt zu Marktpreisen im Jahre 1957 40,5 % auf Nettolöhne und -gehälter. Dieser Anteil betrug im Jahre 1950 39,9 % und im Jahre 1956 40,3 %. Es ist also keinesfalls eine Verringerung des Anteils der Nettolöhne und -gehälter zu verzeichnen. Der Anteil der Sozialeinkommen ist von 13,3 auf 14,5 % gestiegen, und der Anteil der Nettoeinkommen der Selbständigen und der Unternehmungen, der 1950 25,8 % ausmachte, betrug 1957 nur noch 20,8 %. Man wird also nicht mehr allgemein sagen können, daß die Gewinnquote für die Abwälzung jener nominellen Lohnerhöhung, die über die Produktionsleistung hinausging, ausgereicht hätte.
    Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu grundsätzlichen Fragen machen, die hier vorhin von verschiedenen Sprechern angeschnitten worden sind. Da ist ,die Frage nach der Wirtschaftspolitik schlechthin in unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung.



    Dr. Hellwig
    Es ist leicht, mit dem Finger auf den Bundeswirtschaftsminister zu zeigen und ihn für alles das verantwortlich zu machen, was an Friktionen innerhalb der wirtschaftspolitischen Willensbildung auftritt.

    (Abg. Kurlbaum: Er ist doch auch Vizekanzler!)

    — Ich komme auf das Problem gleich zurück, Herr Kurlbaum.
    Wir müssen uns darüber klar sein, daß Wirtschaftspolitik in einer pluralistischen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, wie wir sie haben, nicht mehr von einem Ressort allein betrieben werden kann. Auf die Verlagerung eines großen Teils der Kompetenz auf die Bundesbank ist wiederholt hingewiesen worden. Auf die Verlagerung einer Kompetenz auf den Herrn Bundesfinanzminister, zwar nicht formaliter, aber doch de facto, sei hier gleichfalls hingewiesen. Wir haben in der Bundesrepublik nicht jene Zusammenfassung der Kompetenzen wie in der Person des englischen Schatzkanzlers, wo die wirtschaftspolitische Generallinie schon innerhalb der Budgetaufstellung ihre Berücksichtigung findet und wo sich das Ressort der Wirtschaftspolitik außerhalb des Schatzkanzlers im Grunde genommen mehr auf technische Bereiche, Handel und ähnliche Aufgaben, beschränkt. Eine solche Zusammenfassung wird in unserer Ordnung nicht zur Diskussion zu stehen haben. Aber man muß sich mit den Problemen, die daraus erwachsen, vertraut machen.
    Ich glaube, wir dürfen uns freuen, daß zwischen den beiden Männern, die diese Ressorts nunmehr leiten, ein Gleichklang der Seelen besteht, der sich in zehnjähriger gemeinsamer Arbeit an einer eindeutigen wirtschaftspolitischen Linie ergeben hat.
    Bei Betrachtung der Faktoren, die die Wirtschaftspolitik entscheidend beeinflussen, muß man auch auf die Rolle der Tarifpartner eingehen. In diesem Zusammenhang darf ich zur Richtigstellung einer Bemerkung des Herrn Kollegen Dr. Deist ein Wort sagen. Ich glaube nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, als er von den Problemen der Konzentration wirtschaftlicher Macht sprach, die Tarifpartner als solche meinte; er betrachtete sie nicht als gleichrangig mit dem, was Sie als Konzentrationen wirtschaftlicher Macht bezeichneten. Er meinte damit ein anderes.
    Die Macht der Tarifpartner liegt auf einer anderen Ebene; es ist die Macht der organisierten Verbände, die in der Aushandlung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, je nachdem, wie die Machtverhältnisse liegen, zu bestimmten Abschlüssen kommen. Das Klagelied, das der Kollege Dr. Deist über den angeblichen Machtschwund der Arbeitnehmerorganisationen vorhin angestimmt hat, ist wohl nicht so ernst zu nehmen. Vor allem denke ich daran, wie stark differenziert das konjunkturelle Bild innerhalb der Wirtschaft noch ist, gerade in jenen Bereichen, von denen ein bekannter Gewerkschaftsführer das Wort gebraucht hat, Lohnpolitik sei Machtpolitik. In jenen Bereichen ist die
    Beschäftigung und Konjunkturlage keinesfalls so, daß von einem Schwund .der Macht auf der Arbeitnehmerseite gesprochen werden könnte.
    Was hat Professor Erhard wohl gemeint? Er meinte, als er von der Konzentration der wirtschaftlichen Macht und ihrer Wirkung im Marktgeschehen sprach, offenbar, daß man auch diejenigen Konzentrationen sehen müsse, bei denen wirtschaftliche Macht des Marktgeschehens sogar mit der politischen Macht, sei es der öffentlichen Hand, sei es der öffentlichen Verbände, vereinigt sei. Daher ist die Kritik, die Kollege Dr. Deist an ihm geübt hat mit der Bemerkung, er habe wiederum die Sozialpartner ansprechen wollen, nicht ganz berechtigt gewesen.
    Ich muß aber bei diesem Thema der Macht noch etwas verweilen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß unsere Kollegen von der Opposition so etwas wie eine Haßliebe zum Staat haben. Das mag mit der leidvollen Vergangenheit der sozialistischen Bewegung in ihrem Verhältnis zu einem Staat zusammenhängen, der ihr größte Schwierigkeiten machte. Auf der einen Seite wird immer wieder vor der Ausdehnung und dem Mißbrauch staatlicher Gewalt gewarnt, auf der anderen Seite setzt man selber alle Hoffnung auf die Intervention des Staates oder einer anderen öffentlichen Instanz.
    Ich bin gefragt worden, ob ich Kontrolle durch die Öffentlichkeit nur für die öffentlichen Machtpositionen oder auch für die privaten Machtpositionen wolle. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen zu beiden ein uneingeschränktes Ja. Ich empfehle Ihnen die Lektüre ,der Düsseldorfer Leitsätze für die Wirtschaftspolitik der CDU, in denen dieses Postulat ganz eindeutig formuliert ist.
    Herr Kollege Kurlbaum, ich erinnere an die temperamentvollen Diskussionen ,über das Kartellgesetz. Ich möchte annehmen, daß sie für beide Seiten sehr aufschlußreich und belehrend waren; für mich jedenfalls darf ich das sagen. Sie werden sich daran erinnern, daß ich überall mitgezogen habe, wo die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit geschaffen werden sollten, z. B. als die Publizität und die Beiladung der beteiligten oder betroffenen Kreise bis zu den Verbrauchern zur Diskussion stand. Ich habe allerdings im Hinblick auf die leidvollen Erfahrungen, die wir mit dem Mißbrauch dieser Dinge durch die Besatzungsmächte gemacht haben, davor gewarnt, schon jetzt, wo wir am Anfang einer Gesetzgebung für privatrechtliche Unternehmensbereiche stehen, den Bogen zu überspannen und ex officio Möglichkeiten zu Eingriffen in bestimmte Unternehmungen zu schaffen, ehe überhaupt eine ausreichende Unterrichtung der Kartellbehörde durch die Informationen, durch die Meldepflichten und Registerpflichten herbeigeführt sei. Ich bedaure es nicht, daß die Kartellbehörde in diesem halben Jahr noch nicht sichtbar aktiv geworden ist. Bei der komplexen Aufgabe, in alles, was auf diesem Gebiet durch das Gesetz meldepflichtig geworden ist, einzugreifen, ist eine halbjährige Anlaufzeit weiß Gott keine lange Zeit. Wir wissen ja, daß es sich um eine Übergangszeit



    Dr. Hellwig
    handeln wird, in der zunächst einmal überhaupt angemeldet werden muß. Die Prüfung wird sich ohnehin noch länger hinziehen.
    In dem Zusammenhang ein Wort zu Ihrem Schreckgespenst, daß 600 Firmen Preisbindungen der zweiten Hand für 250 000 Markenartikel beantragt hätten. Meine Damen und Herren, ein überraschend niedriges Ergebnis!

    (Lachen bei der SPD.)

    Denn bei etwa 60 000 bis 70 000 industriellen Erzeugerfirmen sind 600 anmeldende Firmen sicher noch kein sehr großer Prozentsatz. Was die Zahl der 250 000 Artikel angeht, so möchte ich Sie, Herr Kollege Kurlbaum, erstens fragen: Sind in dieser Zahl die Druck- und Verlagserzeugnisse enthalten, für die wir ja einmütig die Preisbindung der zweiten Hand mit Anmeldung zugelassen haben? Und zum zweiten: Sind darin auch noch die Massenkataloge der pharmazeutischen Industrie enthalten, von der einzelne Firmen ja Tausende von Markenartikeln, die preisgebunden sind und deren Preise durch die Arzneitaxe ja ohnehin gebunden würden, herstellen? Das muß also zunächst klargestellt werden. Deswegen nehme ich diese Zahl einstweilen gar nicht tragisch.
    Aber zurück zu dem Problem der Macht und ein kurzes Abschlußwort hierzu! Die Publizität, die als Grundlage für die Kontrolle der Machtgebilde, aber auch für die Kontrolle der privaten Unternehmungen durch die öffentliche Meinung verlangt wird, stößt bei den Unternehmungen selbst auf ein Handicap, das wir allmählich ausräumen müssen. Wir möchten dazu auch Ihre Hilfe, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Opposition, haben. Ich meine damit folgendes. Solange die Tatsache der Gewinnerzielung noch nicht als Selbstverständlichkeit für unsere Unternehmungen in der Wirtschaft allerorts anerkannt ist, so lange besteht eine bestimmte Scheu, in der Nachweisung Brutto- und Nettogewinne und diese Dinge offenzulegen. In der amerikanischen Wirtschaft erklären auch Gewerkschaftsführer Unternehmer, die etwa keinen anständigen Gewinn erzielen können, für unfähig. Wir haben noch eine dogmatische Verhärtung und setzen noch dem so schnöden Prinzip der Gewinnerzielung das Prinzip der Bedarfsdeckung gegenüber. Ich will hier nicht in diese Kontroverse einsteigen. Sie ist nur eine der Illustrationen dafür, welche Hindernisse psychologischer Art einer verstärkten Publizität der Gewinnerzielung noch entgegenstehen.
    Die amerikanische Arbeiterbewegung und Gewerkschaft bejahen auch das private Eigentum an diesen Unternehmungen. Meine Damen und Herren, Sie werden es einem deutschen Unternehmer nicht verübeln, daß er hier zunächst etwas reserviert ist und sagt: Jawohl, auf der einen Seite erhöhte Publizität auch der Gewinne, die erzielt werden. Aber dann sollte man auf der anderen Seite auch aufhören, immer mit der Enteignung oder der Sozialisierung oder der Vergesellschaftung, jedenfalls der Einschränkung des privaten Eigentums zu drohen.
    Ich will die Diskussion nicht bis zur ganzen Tiefe führen. Aber vielleicht ist es gelungen, Ihnen deutlich zu machen, welches psychologische Hemmnis noch für die Ausdehnung der Publizität besteht. Im übrigen werden Sie meine Hilfe haben, wenn das, was hier notwendig ist, auch geschieht.
    Ein letztes Wort. Wir können — das darf ich für meine politischen Freunde noch einmal eindeutig sagen — an keiner Stelle die Augen davor verschließen, daß eine marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik im Rahmen der auf viele Instanzen, auf Bundes- und Landesebene, aber auch im vorparlamentarischen Raum, verteilten Zuständigkeiten eine Kunst hohen Maßes verlangt, eine Kunst, die ausgleichen kann, die abwägen kann und die sich vor allem vor vorschnellen Schlußfolgerungen und Interventionen hüten muß. Das gute Funktionieren setzt ein hohes Maß von gutem Willen bei allen Beteiligten innerhalb und außerhalb dieses Hauses voraus. Ich würde mich freuen, wenn die Art, in der die Diskussion über diese Dinge heute geführt worden ist, einen Auftakt auch für den weiteren guten Willen gerade auf diesem schwierigen Gebiet bedeutete.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)