Rede von
Dr.
Gerd
Bucerius
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Selten hat mir in diesem Hause die Verwaltung so leid getan wie heute. Herr van Scherpenberg weiß natürlich ganz genau, wie schwer die Bedenken sind, die gegen den Vertrag geltend gemacht werden können und geltend gemacht worden sind. Ich meine damit nicht die von dem Kollegen Atzenroth in die erste Feuerlinie gestellten Einwendungen, die sich aus der Tatsache ergeben, daß Österreich wie andere Länder nach dem Kriege deutsches Vermögen beschlagnahmt hat. Sich über den Tatbestand des Völkerrechtswidrigen heute zu unterhalten ist sinnlos. Es ist auch bedenklich, wenn das gerade von deutscher Seite geschieht, weil diese Völkerrechtswidrigkeit natürlich nur eine in der Kette vieler gewesen ist, deren erste Ursache sicherlich nicht in Osterreich gesetzt worden ist.
Aber die Verwaltung ist vielleicht doch genötigt, sich noch einmal näher mit dem Problem zu befassen. Ich will Ihnen einen der kritischen Fälle einmal vor Augen führen. Eine deutsche Firma errichtet in Österreich einen Betrieb. Sie wendet dazu aus eigenem Vermögen, um einen runden Betrag zu nennen, i Million Mark auf. Sie bekommt von einer österreichischen Bank — gewöhnlich der Filiale einer deutschen Bank damals — einen Kredit von 1 Million Mark. 1945 wird der Betrieb wie viele andere Betriebe kassiert, erst von den Österreichern, dann von den Russen, dann wieder zurückgegeben an die Osterreicher. Was aus solchen beschlagnahmten Betrieben wird, das wissen wir ja. Sie gehen allemal zurück, und in vielen Fällen gehen sie kaputt. Das ist die Folge, wenn man sich fremdes Vermögen aneignet. In dem Bewußtsein nämlich, daß dieser Eigentumswechsel nicht legitim ist, möchte man möglichst schnell Früchte aus dem Vermögen ziehen; und wenn man das versucht, geht man mit dem Vermögen im allgemeinen nicht gut um. Jetzt ist der Betrieb weg. Der Vertrag sieht diese Fälle auch ausdrücklich vor. Aber was geschieht dem Eigentümer? Er wird zunächst einmal nach dem Vertrag — nicht wahr, Herr van Scherpenberg — wegen der 1 Million Mark, die er von der österreichischen Bank bekommen hat, in Anspruch genommen. Und, Herr van Scherpenberg, ich habe so das Gefühl, daß Ihre österreichischen Verhandlungspartner in diesem Falle ein ganz klein wenig offener hätten sein können. Die haben nämlich die Formulare, mit denen sie die deutschen Schuldner in Anspruch nehmen, schon gedruckt, bevor wir in diesem Haus mit dem Fall überhaupt befaßt worden sind.
Da kommen schon die Leute von den österreichischen Banken in die deutschen Betriebe und schauen sich das an, was sie von den Schuldnern heute noch bekommen können. Herr van Scherpenberg, ich finde in diesem Falle geschieht ein Unrecht; und ich finde, es ist sehr einfach, dieses Unrecht auszugleichen. Es genügt wirklich eine einfache Erklärung der österreichischen Regierung, daß sie nicht gewillt ist, in solchen Fällen, in denen 1945 das Vermögen zur Schuldentilgung ausgereicht hat, heute die deutschen Schuldner in Anspruch zu nehmen. Herr van
Scherpenberg, Sie sind bis an die äußerste Grenze des Ihnen heute Möglichen gegangen, als Sie hier gesagt haben: Diese Schuldner haben den Schutz der Bundesregierung. Wir sind Ihnen für diese Erklärung aufrichtig dankbar. Mehr können Sie in Abwesenheit Ihres Ministers, in Abwesenheit des Finanzministers, in Abwesenheit des Wirtschaftsministers wahrlich in dieser Stunde nicht tun. Aber, Herr van Scherpenberg, das reicht leider im entscheidenden Augenblick nicht aus. Denn wie ist es im Wirtschaftsleben? Wenn die Forderung einmal geltend gemacht wird, ruft ihre Geltendmachung allein bereits ein solches Maß an Unsicherheit hervor, daß die betroffenen Kaufleute sich wirtschaftlich nicht halten können. Und Sie haben gesagt: „Ja, wenn sie dann tot sind, kann die Bundesregierung auch nichts ändern." Dieser Kranz auf dem wirtschaftlichen Grabe des Steuerzahlers — der reicht mir für meine Person in der Tat nicht aus.
Deshalb bin ich der Meinung, daß Sie die Gelegenheit bekommen sollten, — —
— Was haben die Zurufe zu bedeuten? Machen Sie mir einen Vorwurf?
Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung noch einmal Gelegenheit nehmen und von uns durch Zurückverweisung der Vorlage an den Ausschuß die Gelegenheit bekommen sollte, diese eine konkrete Frage noch einmal mit der österreichischen Regierung kurz zu prüfen. Das hat im ganzen eine Verzögerung von vierzehn Tagen zur Folge, die man im Interesse des beiderseitigen Friedens wohl in Kauf nehmen sollte.