Ich lese also diese dpa-Meldung vor:
Kommunisten störten Berliner Atomkundkundgebung. — Berlin, 24. April. — dpa. —Mit Zwischenrufen versuchten kommunistische Agitatoren am Donnerstagabend die erste Kundgebung des Berliner Arbeitsausschusses gegen den Atomtod in der Kongreßhalle am Tiergarten zu stören. Der Ausschuß, der durch einige seiner prominenten Mitglieder auf dieser Kundgebung zu seinen Zielen Stellung nahm, verlor dadurch sogar den Berliner DGB-Vorsitzenden Ernst Scharnowski als Mitglied. Scharnowski wurde während seiner Rede durch ständige Zwischenrufe unterbrochen und mußte seine Ansprache schließlich abbrechen. Er bedauerte, daß es in dem Ausschuß anscheinend nicht möglich sei, seine Meinung zu äußern. Er wandte sich an den in der ersten Reihe sitzenden Regierenden Bürgermeister von Berlin Willy Brandt und sagte: „Ich trete aus." Darauf verließ Scharnowski die Kongreßhalle.
Mit dem weiteren Inhalt der Meldung beschäftige ich mich nicht, um das Haus nicht zu lange aufzuhalten; sie ist ja aber sehr leicht nachzulesen.
Nun kommen wir an ein zweites Zitat. Herr Kollege Greve meinte, daß ich den Abgeordneten Wehner nicht richtig zitiert habe. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Greve, noch während er sprach, meinen Text zur Verfügung gestellt. Sie können ganz sicher sein, daß mir die Wehnerschen Ausführungen interessant genug sind, um sie sehr sorgfältig zu studieren; denn man kann über Ihre gegenwärtige und künftige Richtung kaum mehr lernen als aus den Worten gerade von Herrn Wehner.
Ich bin gern bereit, noch einmal vorzulesen, was ich nach dem Protokoll vorn 26. April 1951, das ich hier vor mir liegen habe, zitiert habe. In der Tat, meine Damen und Herren, Sie dürfen mich nicht zu naiv einschätzen. Ich würde niemals sagen, daß Herr Wehner sich generell gegen Volksbefragungen aussprechen würde; nie. Aber gegen die damalige Volksbefragung hat er sich ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen allen vor, daß Sie vielleicht über das Wochenende einmal mit einiger Ruhe dieses Protokoll vom 26. April 1951 nachlesen. Sie werden erschüttert sein, sage ich Ihnen — ich werde das gleich noch im einzelnen darlegen —, erschüttert darüber, welchen Weg ein großer Teil hier im Hause in diesen Jahren zurückgelegt hat. Ich habe das „traurige Vergnügen" — so möchte ich sagen, wenn Sie den Ausdruck erlauben — gehabt, hier im November des vergangenen Jahres anläßlich der Saar-Diskussion etwas zu zitieren, was ebenfalls sieben Jahre vorher hier von dieser Stelle von Herrn Schumacher gesagt worden war. Meine Damen und Herren, Sie glaubten damals das Zitat nicht einmal mehr. Wie hieß das Zitat? Ich gebe es jetzt frei wieder. Ich habe damals darauf hingewiesen, daß Ihre Argumente gegen unseren Eintritt in den Europarat — in dem Sie sich im übrigen inzwischen ganz wohl fühlen —
dahin liefen, daß wir die Rückgewinnung der Saar gefährden würden, weil nämlich auch die Saar Mitglied des Europarates sei und wir nicht in diese Art von Tuchfühlung in Straßburg kommen sollten. Und dann sagte Dr. Schumacher etwa: Die Politik, die Sie hier betreiben — Europarat und Saar —, die droht die Wiedergewinnung der Gebiete jenseits von Oder und Neiße zu gefährden. — Meine Damen und Herren, lesen Sie das nach!
— Richtig; lesen Sie nach: November 1949. Die Zeit steht jetzt nicht zur Verfügung, sonst würde ich bis heute abend das Pult hier nicht verlassen können, um darzulegen, was sich in Ihrem politischen Weltbild und in Ihrem deutschen Weltbild seit jener Zeit geändert hat.
Meine Damen und Herren, nun bin ich beim dritten Zitat, und das bezog sich auf meinen Vorredner, der bei mir — das möchte ich gleich sagen —
eine besondere Art von zurückhaltender Beantwortung erfährt, weil er immerhin für eine gewisse Zeit einmal in dem Hause gearbeitet hat, in dem ich zu arbeiten jetzt die Ehre habe. Trotzdem muß ich folgendes sagen. Mein Zitat ist selbstverständlich — und dafür habe ich hier in diesem Hause einen positiven Ruf — richtig. Das Urteil werten Sie ganz falsch aus. Das Urteil ist ein Strafrechtsurteil und beschäftigt sich, wie ich gestern gesagt habe, mit dem § 90 a des Strafgesetzbuches. Es stellt die Frage, ob in einem bestimmten Stadium dieser Entwicklung eine bestimmte, natürlich nicht amtliche, nicht von Amts wegen mit den Mitteln des
1482 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Bundesminister Dr. Schröder
Gesetzes organisierte Befragung ohne weiteres schon verfassungswidrig sei. Diese Frage wird dahin beantwortet, daß die Aktion unter gewissen Umständen nicht strafbar sei, unter anderen Umständen aber zur Strafbarkeit führe,
Ich habe den Band vor mir. Das Hohe Haus wird nicht die Geduld haben, das anzuhören; sonst würde ich Ihnen gern die ganze Entscheidung vom 2. August 1954 vorlesen. Aber ich mache einen Vorschlag. Alle Mitglieder des Hohen Hauses können diese Entscheidung ja bekommen. Der Rechtsausschuß wird Gelegenheit haben, diese Fragen eingehend zu studieren, und dann können die Texte vielleicht komplett dargereicht werden, während ich das in einer solchen Debatte schließlich nur unvollkommen tun kann.
Nun zu dem Gegenstand dieser Auseinandersetzung im einzelnen. Ich greife dabei vorweg, um mich damit dann nicht mehr befassen zu müssen, den Punkt heraus, der derzeit die hauptsächliche literarische Betrachtung meines Herrn Vorredners ausmacht, nämlich den Art. 25 des Grundgesetzes. Vielleicht darf ich ihn hier vorlesen, weil dann alles andere leichter verständlich wird:
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
Diese Stelle wird jetzt benutzt, um darzutun, daß atomare Bewaffnung grundgesetzwidrig und im übrigen völkerrechtswidrig sei. Die Grundgesetzwidrigkeit wird von der angeblichen Völkerrechtswidrigkeit hergeleitet. Ich habe nun nicht die Zeit zur Verfügung — das wird das Hohe Haus verstehen —, das in aller Ausführlichkeit zu widerlegen. Ich möchte aber auf einen Aufsatz über die Legalität der Atomwaffen von Herrn Georg Schwarzenberger in der neuesten Nummer des „Europa-Archivs" vom 20. April verweisen. Ich gebe eine der, wie mir scheint, wichtigsten Stellen aus diesem Aufsatz mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wieder. Auch dieser Aufsatz wird in der bevorstehenden Rechtsausschußsitzung vielleicht eine Rolle spielen können. Wir wissen alle, daß die Regeln des Völkerrechts manchmal schwer zu ermitteln sind und daß das Völkerrecht ein Gebiet ist, das sich jener genauen Fixierung, wie wir sie etwa aus dem bürgerlichen Recht gewöhnt sind, entzieht. Aber ich darf Ihnen dieses hier einschlägige Stück vorlesen:
Grundsätzlich steht es jedem souveränen Staat frei, Atomwaffen herzustellen oder zu besitzen. Wenn diese Feststellung besonderer Rechtfertigung bedürfte, so würde die allgemeine Staatenpraxis in bezug auf die Herstellung und Lagerung von Giftgas den nötigen Beweis liefern. Selbst Staaten, die Vertragsparteien des Genfer Giftgasprotokolls von 1925 sind, haben die Giftgasproduktion nicht eingestellt, lagern erhebliche Mengen dieser verbotenen Waffen und haben sich sogar auf die
Möglichkeit bakteriologischer Kriegführung vorbereitet. In allen Fällen wird zur Rechtfertigung dieses Verhaltens angeführt, daß, selbst wenn anerkannt wäre, daß Nichtvertragsparteien nach Völkergewohnheitsrecht gleichen Verpflichtungen unterlägen, es immer noch notwendig sein könnte, diese Waffen gleichwohl als identische Repressalien einzusetzen.
In diesen wenigen Zeilen sind bereits alle die Stichworte enthalten, die zur Beurteilung der völkerrechtlichen Seite der Fragen aufzuführen wären, die uns heute beschäftigen und die über das Völkerrecht in das Grundgesetz hineinwirken. Ich verlasse damit diesen Punkt.
Ich komme zu der Schilderung von gewissen, ich möchte beinahe sagen, mehr oder weniger sportmäßig veranstalteten Europabefragungen, von denen wir gerade gehört haben. Sie werden sich noch an diese Sache von damals erinnern. Sie wissen, daß die Art, wie man die Sache so mit einer Art amtlichem Charakter auszukleiden versuchte, in meinen Augen ein etwas unziemlicher Spaß gewesen ist. Im Grunde würde ich die Sache beanstandet haben, wenn ich damals verantwortlich gewesen wäre, — ohne sie allerdings überbewerten zu wollen.
— Warum wollen Sie das nicht hören?
— Ich nehme gewisse Dinge ernster als Sie, wie ich merke, und ich sage Ihnen:
Ich halte den Einsatz amtlicher Mittel für Dinge, die nicht unbedingt nötig sind, für verderblich und schädlich.
— Vielleicht denken Sie über den Satz einen Augenblick nach!
— Versuchen Sie nicht, Herr Kollege Kühn, der Sache einen falschen Dreh zu geben! Daß die Europabewegung in ihren Anfängen eine sehr idealistische Bewegung gewesen ist — ebenso wie das, was man heute Europabewegung nennen könnte —, ist selbstverständlich. In der Zwischenzeit ist die Entwicklung aber darüber hinausgegangen. Inzwischen gibt es wirklich eine durch Gesetze konkretisierte Europapolitik, und die Abstimmungen über die Europapolitik haben nicht in Castrop-Rauxel stattgefunden, wo Herr Rosenberg und ich weiß nicht, wer sonst, gesprochen hat, sondern hier in diesem Hause. Und wissen Sie, was das Merkwürdigste ist: gegen Ihre Stimmen, bis auf den letzten Fall! Das ist die Wahrheit.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1483
Bundesminister Dr. Schröder
Ein weiterer Punkt. Nachdem das Sonntagsblatt des Herrn Bischof Lilje sich bei Ihnen einer zunehmenden Wertschätzung erfreut — und ich hoffe, daß seine Leserzahl aus Ihren Reihen kräftig aufgefüllt worden ist —, komme ich zu dem Aufsatz, den Herr Dr. Jaeger schon gestern abend verwertet hat. Ich verstehe eigentlich nicht recht, weshalb gerade gegenüber diesem Aufsatz so leicht bedenkliche Töne laut geworden sind; der Aufsatz ist hochinteressant. Sie stehen offenbar auf dem Standpunkt, daß die Theologen hier für militärische Fragen zitiert werden sollten und nicht für Fragen unserer allgemeinen Verfassung, vor allen Dingen aber unseres Verfassungsbewußtseins. In dem Punkt bin ich völlig anderer Meinung. Von den Militärfragen halten sie sich besser noch weiter fern.
Dieser Aufsatz heißt „Das Atomplebiszit als Frage der christlichen Staatsethik". Erlauben Sie mir, Herr Präsident, daß ich daraus einige Stellen vorlese, von denen ich die Hoffnung habe, daß sie vielleicht nicht nur gelegentliche Leser aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion beeindrucken könnten.
Mir hat aber
— so schreibt Professor Thielickenoch niemand klarmachen können, wie jemand seinem Gewissen gehorchen soll, wenn dieses Gewissen unter allen Umständen nur populär reagieren darf. Solange die oft im Emotionalen begründete Massenmeinung nicht eo ipso auch die richtige und politisch beste ist, wird es also unpopuläre Entscheidungen geben müssen.
Ich bin im übrigen der Meinung, daß sich Professor Thielicke hier durchaus noch im Bereich seines Lehrauftrages und seiner Stellung hält. Er fährt dann fort:
Beraubt man ein Parlament der Möglichkeit, unpopuläre Maßnahmen zu treffen, indem man den Populus von Fall zu Fall dagegen mobil macht, so erniedrigt man die Demokratie zur Farce, untergräbt das Ansehen des Parlaments, raubt dem Abgeordneten die ethischen Grundlagen seines Mandats und bläst dem sowieso fast erloschenen Staatsbewußtsein unseres Volkes den Rest seiner Flamme aus.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das nicht nur einmal, sondern zweimal läsen.
Dann heißt es dort:
Wenn die Autorität der rechtsstaatlichen Organe untergraben wird, regieren nur noch die lauteste Kommandostimme und die unbekümmerte Brutalität.
Er fährt fort, er bedaure seinerseits sehr, daß der Bürgermeister Hamburgs, Herr Brauer, bei diesen Vorgängen von juristischen Haarspaltereien gesprochen hat, und schließt dann — ich möchte es hier vorlesen — mit folgendem Gedanken:
. . . es geht nur und ausschließlich um die andere Frage, ob wir die staatliche Lebensform, die unser institutionelles Bekenntnis gegenüber der östlichen Diktatur ist, glaubwürdig erhalten oder ob wir sie zum Gespött machen wollen. Lassen wir sie ein Gespött werden, so haben wir mit oder ohne Atomwaffen
— mit oder ohne Atomwaffen! —
vor dem Osten kapituliert.
Damit komme ich zu dem Zentralpunkt, den ich hier nennen möchte und den ich gestern vielleicht nur angedeutet habe. Glauben Sie mir, es ist eine Frage, auf die ich sehr viel Zeit des Nachdenkens verwende, weil ich glaube, daß sie zu den zentralen Fragen unserer künftigen staatlichen Entwicklung gehört. Ich bin leider zu der Überzeugung gekommen, daß die dreimalige Wahlniederlage der SPD eine für ihre geistige Verfassung geradezu verhängnisvolle Wirkung gehabt hat.
— Herr Blachstein, was Sie und Ihre staatspolitische Auffassung angeht, so widme ich ihr gleich einen Sonderabschnitt; darauf können Sie sich verlassen.
Ich wiederhole die Feststellung, die ich gerade getroffen habe. Mich wundert eines außerordentlich — und jeder von uns ist ja Kenner und Zuscheuer dieser Vorgänge —: es gibt, ich glaube, bis auf eine, keine Landeshauptstadt, in der Sie nicht sehr beträchtliche Kabinette gestellt haben. Wir können anfangen in Kiel, wir können nach Hamburg gehen, wir können nach Bremen gehen, wir können nach Niedersachsen gehen, und wir können in das größte deutsche Land gehen, nach Nordrhein-Westfalen. Ich springe herunter nach München, wo es bis vor einiger Zeit so war. Ich brauche nur einen Blick nach Wiesbaden zu werfen, wo Sie seit sehr langem kräftig etabliert sind. Und für Stuttgart gilt mindestens hinsichtlich Ihres Einflusses etwas, was Sie vielleicht genauer beschreiben können als ich.
Man muß sich eigentlich wundern, wenn man sich die großen deutschen Städte und ihre sozialdemokratischen Oberbürgermeister ansieht, aus was für Quellen sich das nährt, was ich hier beklage. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken — und vielleicht ist es Ihre Vorstellung, dann halte ich es für eine falsche Vorstellung —, Sie seien sozusagen ausgeschlossen von der Gestaltung der staatlichen Geschicke. Wer weiß, was Deutschland für ein kompliziertes staatsrechtliches Gebilde ist, wer wie wir hier alle sich einmal zurückerinnert, was wir hier acht Jahre an einem sehr schwierigen, ungeheuer ausgewogenen, viel zu ausgewogenen Spiel zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat erlebt haben, und wer dann einmal den Versuch macht, Ihren effektiven Einfluß zu beschreiben — von Publizistik und Rundfunk und all diesen Sachen
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schweige ich jetzt einmal —, der würde zu einer sozialdemokratischen Quote kommen, die nach meiner Überzeugung größer als Ihre durchschnittliche Wählerquote ist.
Und trotzdem, meine Damen und Herren, eine unheilvolle Entwicklung in der Richtung der Radikalisierung!
Ich gehe noch nicht ganz so weit in der Beschreibung dieser Sache, wie das gerade heute in einem Aufsatz geschieht, in dem von der Gefahr einer zweiten Teilung Deutschlands gesprochen wird. Ich nehme dieses Problem aber sehr ernst. Glauben Sie ja nicht, daß wir etwa gelassen und mit großem „Vergnügen" ansehen, wie Sie sich in beträchtlichen Teilen radikalisieren. Das gilt nicht für jeden von Ihnen, der hier ist, meine Damen und Herren, aber Sie — —
— Meine Damen und Herren, erzählen Sie keine kommunistischen Propagandageschichten!