Sehr geehrte Damen und Herren! Bei der Debatte über die Frage atomarer Bewaffnung war es schwer, bei Ihnen von der CDU Verständnis dafür zu finden, daß es vor allen Fragen politischer Zweckmäßigkeit Vorfragen gibt, ob nämlich das, was man für zweckmäßig hält, auch erlaubt ist. Damals stellten wir Ihnen die Vorfrage, ob die atomare Bewaffnung im Hinblick auf Art. 25 der Verfassung völkerrechtlich erlaubt sei. Damals stellten wir Ihnen die Frage, ob atomare Bewaffnung ethisch verantwortbar, christlich verantwortbar sei. Heute stellen Sie uns die Vorfrage, ob Volksbefragung verfassungsmäßig sei Sie haben sich damals, als wir Ihnen unsere Vorfragen unterbreiteten, nicht recht gestellt. Sie haben gesagt, solche Vorfragen gingen einseitig zu Lasten des Westens oder der Bundesrepublik. Sie haben gesagt, Karlsruhe werde schon das Nötige an Auswegen finden. Sie haben gesagt, Fragen christlicher Verantwortung solle man im Parlament nicht zu sehr vertiefen. Irgendwie lief Ihre Antwort darauf hinaus, daß Rechtens sei, was nützlich ist.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1477
Dr. Dr. Heinemann
Heute müssen Sie anerkennen — und das haben wir gerade aus dem Mund Ihres Sprechers Wilhelmi gehört , daß wir uns der Vorfrage nach der Verfassungsmäßigkeit des Volksbegehrens absolut stellen, in keiner Weise entziehen.
Bemerkenswert ist übrigens auch, daß nun anscheinend doch Theologen hier zitiert werden können, so wie wir es gestern von Herrn Dr. Jaeger gehört haben. Bemerkenswert ist auch, daß Theologen sogar zu Verfassungsfragen zitiert werden.
— Immer wenn es paßt!
Wir wollen uns vorbehalten, sie dann wieder zu zitieren, wenn es um die Fragen christlicher Verantwortbarkeit geht.
Dann wäre gerade z. B. von Herrn Professor Thielicke, den Sie gestern so gelobt haben, noch manches andere anzuführen, z. B. daß er es bestreitet, daß eine Partei sich „christlich" nennen dürfe.
— Wenn Sie sich auf einen Zwischenruf konzentrierten, könnte ich ihn allenfalls verstehen, aber aus dem ganzen Bündel Ihrer Zwischenrufe werde ich nicht schlau.
Nun zu der Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit einer Volksbefragung. Es gibt Verfassungsfragen, die im Grundgesetz ausdrücklich geregelt sind, und andere, zu denen das Grundgesetz schweigt. Es gibt Verfassungsregelungen, die ernst genommen werden, und andere, die nicht ernst genommen werden. Das Merkwürdige ist, daß sich diese beiden Unterschiede manchmal seltsam überschneiden. Dafür nur folgende zwei Beispiele!
Ausdrücklich steht in der Verfassung, daß die Parteien über ihre Geldmittel öffentlich Rechenschaft geben sollen.
Die Ausrede, daß das entsprechende Ausführungsgesetz noch fehle, ist eine faule Ausrede.
Dieses Ausführungsgesetz habe ich immerhin zu meiner Amtszeit als Bundesinnenminister schon 1950 in Bearbeitung gegeben; aber es kommt offenbar nicht über die Hürden.
Nun werden Sie eines nicht bestreiten können: daß nach den Intentionen der Väter des Grundgesetzes gerade für eine repräsentative Demokratie das Parteiengesetz und die öffentliche Rechenschaft über die Herkunft der Parteifinanzen ein wesentlicher Bestandteil dieser repräsentativen Demokratie sein sollte.
Sodann: In Art. 25 des Grundgesetzes steht zu lesen, daß das Völkerrecht Bundesrecht bricht. Daher kam unsere Frage: Wie wollen Sie es verantworten, mit Massenvernichtungsmitteln umzugehen und die Bundeswehr entsprechend auszurüsten angesichts des Umstandes, daß das Völkerrecht — und damit das Bundesrecht — Massenvernichtungen verbietet, Gewaltanwendung gegen Nichtkämpfer verbietet, und daß von daher alle Pflichten in Frage gestellt sind, die mit atomarer Bewaffnung irgendwie zusammenhängen, daß von daher — Herr Dr. Wilhelmi, das wird Sie insbesondere in bezug auf Frankfurt interessieren — geradezu eine Widerstandspflicht gegen derartige Zumutungen in unserer Verfassung ausgesprochen wird?
Wenn Sie das alles jetzt für unzweckmäßig, für hinderlich empfinden, so werden Sie sauberer arbeiten müssen, werden Sie eben diese verfassungsmäßigen Hindernisse durch Verfassungsänderungen wegräumen müssen.
— Ich möchte nicht annehmen, daß Sie die ganzen tagelangen Debatten des vorigen Monats hier verschlafen haben.
Zu der Vorfrage, ob eine Volksbefragung verfassungsmäßig sei, sind Sie von Herrn Greve darauf hingewiesen worden, was die Geschichte des Grundgesetzes — die Debatten im Parlamentarischen Rat — besagt. Ich möchte jetzt auf zwei andere Dinge zu sprechen kommen, zunächst einmal auf die Rechtsprechung, sonderlich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1954. Verehrter Herr Dr. Schröder, ich werde richtig zitieren; Sie haben es nicht richtig zitiert. Dieses Urteil ist nachzulesen in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtshofentscheidungen, Band 7, Seite 222. Da werden Sie finden, daß der Senat des Bundesgerichtshofs gesagt hat, in der Entwicklung des Hauptausschusses für Volksbefragung seien zwei Stadien zu unterscheiden. In einem zweiten Entwicklungsstadium sei er verfassungswidrig geworden, habe er sich dazu verleiten lassen, die Grundsätze unserer Bundesrepublik, so wie sie im § 88 des Strafgesetzbuches gekennzeichnet sind, anzugreifen, also das Mehrparteiensystem, die Gewaltenteilung, die Vorschrift, daß Opposition sein muß und all dergleichen. Aber in dem ersten Entwicklungsstadium war dieser Hauptausschuß für Volksbefragung nicht verfassungswidrig. In bezug auf dieses erste Stadium steht in dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu lesen — Herr Dr. Menzel hat es schon vorgetragen; aber ich muß es hier wiederholen —:
Dadurch allein, daß der Hauptausschuß für
Volksbefragung sich für eine Volksabstimmung
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Dr. Dr. Heinemann
über die Wiederbewaffnung einsetzte und durchzuführen versuchte, obwohl eine solche Abstimmung im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, war seine Tätigkeit noch nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet. Sofern es nur darum ging, die Meinung der Volksmehrheit über die geplanten Verträge mit der Folge der Wiederbewaffnung zu erforschen und festzustellen und dann durch das Ergebnis die Mitglieder des Bundestages in ihrer Meinungsbildung bei einer bestimmten Aufgabe zu beeinflussen, handelt es sich um ein von der verfassungsmäßigen Ordnung her gesehen neutrales Ziel.
Mit anderen Worten: bei äußerlich gleichen Vorgängen entscheidet die Absicht, entscheidet das subjektive Moment der Veranstalter, ob etwas verfassungswiderrechtlich ist oder nicht. Das ist der Kernpunkt dieses Urteils, den Sie nicht dadurch wegwischen, daß etwa im „Informationsdienst" der Union eine Darstellung von diesem Urteil gegeben wird, die auch nur hei flüchtigem Vergleich in gar keiner Weise mit dem amtlichen Text übereinstimmt. Meine Damen und Herren, glauben Sie denn ernstlich, daß Sie mit einem solchen „Informationsdienst" auch nur sich selber einen Dienst tun, indem Sie sich durch ihre Informationsdienststelle falsch unterrichten lassen? — Das zu dem Urteil, zu der Rechtsprechung.
Aber nun auch etwas zu der Praxis. Es gibt ja eine außerparlamentarische Praxis von Volksbefragung. Sie ist nicht groß, aber sie ist eindeutig, sehr eindeutig. Im Juli 1950 wurden Volksbefragungen in der Bundesrepublik zu dem Thema: Eintritt in den Europarat oder nicht? veranstaltet. Solche Volksbefragungen wurden in Breisach und in Castrop-Rauxel gemacht, und sie sollte auch in Bremen veranstaltet werden. Man suchte damals drei Orte in den drei westlichen Besatzungszonen aus, eine Landstadt, eine mittlere Industriestadt und eine Großstadt. Durchgeführt wurde die Volksbefragung in Breisach am 9. Juli 1950, in CastropRauxel am 16. Juli 1950. In Bremen wurde sie nicht durchgeführt. Warum, das kann ich im Augenblick nicht feststellen.
Ich will nun darstellen, wie sie sich in CastropRauxel abgespielt hat. Auftakt: Beschluß der Stadtverordnetenversammlung, sehr geehrter Herr Dr. Wilhelmi, in zweierlei Weise. Zunächst einmal wurde in der Stadtverordnetenversammlung eine Resolution gefaßt, in der der Europarat gelobt, der Beitritt empfohlen und allerlei schöne Perspektiven aus diesem Beitritt entwickelt wurden. Dann beschloß die Stadtverordnetenversammlung von Castrop-Rauxel aber auch eine Volksbefragung in Castrop-Rauxel! Dieser Beschluß wurde von sämtlichen Parteien mit Ausnahme der KPD gefaßt. An diesem Beschluß waren also auch die CDU-Stadtverordneten von Castrop-Rauxel beteiligt.
Die Frage, die man den Bürgern von CastropRauxel unterbreitete, lautete so:
Sind Sie für die Beseitigung der politischen
und wirtschaftlichen Grenzen innerhalb Europas und für den Zusammenschluß aller europäischen Völker zu einem europäischen Bundesstaat?
Die Abstimmung vollzog sich auf Grund der amtlichen Wählerliste. Die Abstimmungskosten trug die Stadt Castrop-Rauxel. Stimmberechtigt waren 46 864 wahlberechtigte Männer und Frauen. Abgestimmt haben in Castrop-Rauxel 34 239 Männer und Frauen. Das war eine Beteiligung von rund 73 %. Voraufgegangen ist ein öffentlicher Abstimmungskampf. Die Widersprecher waren sonderlich die Kommunisten. Geleitet wurde der Abstimmungskampf von einem Arbeitsausschuß, bestehend aus allen Parteien mit Ausnahme der KPD, bestehend aus Vertretern der Gewerkschaften, des Jugendrings, von Vertriebenenorganisationen usw. Was wurde damals öffentlich gesagt? Der CDU-Sprecher, Bürgermeister Hilke von Castrop-Rauxel, sagte unter anderem:
Wenn die Regierungen und die Politiker zögern, dann müssen sie durch das Volk zur Tat aufgerufen werden.
Aber noch interessanter mag sein, daß ein Mitglied Ihrer CDU-Fraktion sich auch an diesem Propagandakampf in Castrop-Rauxel beteiligte. Es war der damalige Ministerpräsident und jetzige Abgeordnete Karl Arnold.
Karl Arnold sagte in Castrop-Rauxel:
Die Bevölkerung dieser Stadt ist aufgerufen, am morgigen Tag eine überaus ernste und bedeutende Entscheidung zu treffen. . • . Durch euer Ja sollt ihr daran mitwirken, daß die Organisation Europas, die so verheißungsvoll eingeleitet worden ist, beschleunigt vorwärtsgetrieben wird.
Karl Arnold sagte:
Das „Ja" von Castrop-Rauxel ist das „Ja" der Ruhr, ist das „Ja" des Werkvolkes.
Ich wollte Herrn Barzel ja empfehlen, bei seinem Herrn und Lehrmeister noch etwas gründlicher in die Lehre zu gehen.
Der Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbundes — nebenbei bemerkt: das Vorstandsmitglied Rosenberg — wies damals darauf hin, daß je und dann auch ein Druck auf die Vertreter des politischen Lebens ausgeübt werden müsse, nämlich endlich das Richtige zu tun. Er sagte:
Deshalb sind wir heute hier, und wir wollen Sie
— also die angeredeten Bürger von Castrop-Rauxel —
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Dr. Dr. Heinemann
auf die Möglichkeit hinweisen, die Sie als Bürger und Glieder unseres Volkes haben. Es gilt in diesen Tagen, die Stimme des Volkes, des einzelnen Menschen klar und eindeutig zur Geltung zu bringen.
Nun, wir sind eben der Meinung, daß genau dies auch heute in bezug auf die atomare Bewaffnung gilt.
Damals haben darüber hinaus noch gesprochen der Professor für politische Wissenschaften Eugen Kogon, der Freiherr von Gumpenberg. Ich will das alles jetzt nicht im einzelnen verlesen. Die Stadt Castrop-Rauxel hat über den damaligen Vorgang eine Broschüre herausgegeben, in der Sie alles Nähere finden. Da ist das Protokoll der Stadtverordnetenversammlung mit abgedruckt,
darin sind die Reden abgedruckt, aus denen ich soeben einige Sätze vorlas, und auch die anderen Reden.
Meine Damen und Herren, damals kam kein Mensch auf den Gedanken, diesen Vorgang in Castrop-Rauxel — und das Entsprechende wird auch für Breisach in Baden gegolten haben — von Aufsichts wegen zu stören. Eine kommunale Frage war das ja nicht, worüber in Castrop-Rauxel abgestimmt wurde.
Es gab damals keinen Bundesminister des Innern, der da erklärte, der Vorgang sei verfassungswidrig und man werde mit allen Mitteln dagegen einschreiten. Ich frage, ob das nur daran lag, daß ich damals der Bundesinnenminister war, oder ob das an den Richtlinien des Bundeskanzlers lag, der eine solche Europa-Abstimmung auch im kommunalen Rahmen, auf Grund kommunaler Parlamentsbeschlüsse, auf kommunale Kosten und mit voraufgehender öffentlicher Propaganda wünschte, für gut hielt, für richtig hielt.
Meine Damen und Herren, Sie sehen an diesem Vorgang, daß nicht das Äußerliche schon den absoluten Maßstab abgibt, sondern die Absicht.
Ich vertrete auch heute noch, so wie damals auch meine Mitarbeiter im Bundesministerium des Innern den Vorgang von Castrop-Rauxel für gesetzmäßig und verfassungsmäßig hielten, den Standpunkt, daß das verfassungsmäßig gewesen ist, was man in Castrop-Rauxel machte; denn hinter diesem ganzen Vorgang stand in keiner Weise die Absicht, unser Grundgesetz zum Platzen zu bringen, die in § 88 des Strafgesetzbuches niedergelegten Grundsätze zum Scheitern zu bringen.
Nun bleiben Sie bitte beiseite mit der Unterstellung, daß die Sozialdemokratische Partei mit ihrer Bemühung um diese Volksbefragung auch nur von fern dahin tendiere, unser Grundgesetz anzutasten. Die subjektive Absicht ist von entscheidender Bedeutung bei diesen sonst äußerlich
oft so gleichen Vorgängen. Das war übrigens der Kernpunkt auch eines Agartz-Prozesses. Da wurde ja drei Wochen lang vor dem Bundesgerichtshof allein über die Frage verhandelt: Was war die Absicht? Die äußeren Vorgänge? Nein! Was war die Absicht? So werden auch Sie sich dazu finden müssen, daß bei den Bemühungen um diese Volksbefragung die Absicht das Entscheidende ist. Wenn diese Absicht getragen wird, wie es bei dem Hauptausschuß für Volksbefragung 1952 im letzten Stadium der Fall war, von dem Bemühen, das Grundgesetz auf den Kopf zu stellen und umzustülpen, dann sind alle Ihre Warnungen berechtigt, und dann werden Sie uns an Ihrer Seite finden. Aber hier werden Sie nicht darlegen können, daß hinter unserer Bemühung, eine Volksbefragung in Gang zu bringen, die Absicht stünde, das Grundgesetz zu negieren, im Gegenteil! Damit ist alle Ihre Bemühung, uns über diese Vorfrage stolpern zu lassen, hinfällig.
Noch ein kurzes Wort zu den Frankfurter Beschlüssen, weil Herr Dr. Wilhelmi darauf so großen Wert legte. Wozu ist denn der Magistrat beauftragt worden? Wahrscheinlich ist er dazu beauftragt worden, nichts herzugeben, etwa an kommunalem Gelände, was der atomaren Aufrüstung dienen könnte. Aber wenn Sie den Frankfurter Beschluß wirklich dramatisieren wollen, Herr Dr. Wilhelmi, dann übersehen Sie nicht — ich bitte darum — den Art. 25 des Grundgesetzes mit der darin enthaltenen Widerstandspflicht gegen ungesetzliche Vorgänge,
auch wenn sie ihren Ursprung im Völkerrecht haben. Dann übersehen Sie bitte nicht die in der hessischen Landesverfassung ausgesprochene Widerstandspflicht gegen derartige Dinge. Das muß man alles hinzunehmen.
Sie haben sich hier besonders gestützt auf die Darlegung der repräsentativen Demokratie. Sie sind von unseren Sprechern längst gefragt worden, ob das ein absoluter Freibrief sei. Das ist er eben nicht. Zum guten Spiel repräsentativer Demokratie gehört, daß die Parteien, die sich auf vier oder fünf Jahre um ein Wahlmandat bemühen, ihren Wählern eine Wahlplattform unterbreiten, aus der zu ersehen ist, was man mit diesem Mandat in vier oder fünf Jahren auszurichten gedenkt. Das ist die gute Spielregel repräsentativer Demokratie etwa englischen Stils.
Wir haben Sie hier immer wieder gefragt, was denn im September 1957 Ihre Erklärungen in bezug auf die atomare Bewaffnung gewesen seien. Darauf wird uns von Herrn Barzel geantwortet, daß keines Ihrer Werbemittel die atomare Bewaffnung ausgeschlossen habe. Da werden uns von Herrn Jaeger hier auf dem Podium des Bundestages SPD-Plakate vorgezeigt. Meine Damen und Herren, interessant wären Ihre Plakate. Was stand damals auf Ihr en Plakaten? Was war damals aus Ihren Werbemitteln zu entnehmen
für die Absicht, eine atomare Bewaffnung der
Bundeswehr hier zu bejahen? Was stand in Ihren
1480 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
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Wählerbriefen? Was haben Sie in Ihren Wahlreden gesagt? Gibt es unter Ihnen — ich frage das; es würde mich interessieren, wie es sich damit verhält —, unter Ihren Mitgliedern, unter den Mitgliedern der CDU-Fraktion hier im Hause, einen einzigen, der in einer seiner Wahlreden damals gesagt hat: Jawohl, ich werde mein Mandat dahin verstehen, daß ich eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr zu bejahen gewillt bin!? Gibt es ein solches Mitglied?
Daß wir die Öffentlichkeit vor derartigen Absichten bei Ihnen gewarnt haben,
daß wir die Wähler gewarnt haben, das steht füglich fest.
Es geht um den Inhalt Ihr es Mandates. Es geht darum, wie Sie mit Ihren Wählern umgegangen sind.
Wir stehen hier vor einer kompletten Wiederholung des Vorgangs von 1949. Bei der Bundestagswahl 1949 wurde hoch und heilig von allen abgestritten, daß es wieder eine Aufrüstung geben werde. Die Bundesregierung hat 1949 im Petersberger Abkommen hoch und heilig versichert, daß es nie wieder Aufrüstung in Deutschland geben werde. Nachher erschien es Ihnen zweckmäßig, einen anderen Weg zu gehen. Daraus entstand ja mein Rücktritt.
Ich habe damals in der Begründung meines Rücktritts der Öffentlichkeit unterbreitet, daß McCloy, der damalige amerikanische Hochkommissar sagte, er werde eine westdeutsche Aufrüstung nur dann für tragbar halten, wenn sie aus dem Willen des deutschen Volkes, des Parlamentes und der Regierung erwachse. Er baute von unten auf, und er tat das mit Absicht. Er hat diesen Aufbau von unten als seine Absicht damals ausdrücklich bestätigt und erklärt, er wolle damit helfen, daß hier demokratisch verfahren werde. Er meinte, daß ein Parlament wie der 1. Bundestag von 1949 sich nicht dieser Aufgabe unterziehen könne, weil es gar nicht auf diese Aufgabe hin gewählt worden war. Es stand also damals schon zur Frage, entweder den Bundestag neu zu wählen oder, wie ich damals, 1950, bereits vorschlug, eine Volksbefragung zu machen. Es ist also gar nichts Neues bei mir, daß ich diese Dinge vertrete. Ich habe damals gesagt:
Wo ein Wille zur Mitbeteiligung des Volkes vorhanden ist, gibt es auch Wege, um diese Mitbeteiligung aufzuschließen. Wir werden unser Volk nur dann demokratisch machen,
wenn wir Demokratie riskieren. Wenn in irgendeiner Frage der Wille des deutschen Volkes eine Rolle spielen soll, dann muß es in der Frage der Wiederaufrüstung sein.
Ich brauche statt des Wortes „Wiederaufrüstung" heute nur zu sagen „atomare Bewaffnung", dann ist die Parallele komplett. Auch bei der Wahl des 3. Bundestags ist in keiner Weise das Mandat von den Wählern mit dem Inhalt erbeten worden, eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, daß diese Bewegung gegen die atomare Bewaffnung da ist, mag Sie hinsichtlich des Ausmaßes erstaunen, obwohl Sie natürlich immer wieder versuchen werden, das zu bagatellisieren. Ich möchte Sie nur um eines bitten — ich bin ja wesentlich mehr als nur hier im Parlament gerade jetzt draußen in solchen Kundgebungen tätig — und Sie vor einem warnen, nämlich zu meinen, daß die Tausende, die in diese Kundgebungen kommen, kraft Gestellungsbefehls der SPD kämen, daß da ein Zwang auf 10-, 20- oder Hunderttausende ausgeübt würde, sich an einer solchen Demonstration zu beteiligen. Tischen Sie Einzelheiten auf, meinetwegen auch aus Hamburg, — das bringt Sie niemals auf die Erklärung, was wirklich im Gange ist. Es liegt mir daran, Sie und uns alle davor zu bewahren, daß hier eine Politik auf einer Grundlage aufgebaut wird, die sich letzten Endes nicht als tragfähig erweisen wird. Nehmen Sie deshalb von dieser Politik Abstand oder
helfen Sie, daß diese Grundlage geklärt werde, eben durch die Volksbefragung, die wir Ihnen vorschlagen.