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ID0302414600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 24. Sitzung Bonn, den 23. April 1958 Inhalt: Glückwünsche zum 65. Geburtstag des Abg. Cillien und zur Wiedergenesung des Abg. Dr. Becker . . . . . . . . 1279 A Fragestunde (Drucksache 325) Frage 1 des Abg. Dr. Menzel: Fall Strack Dr. von Brentano, Bundesminister . 1279 B Frage 2 des Abg. Ehren: Kulturelle Eigenständigkeit nicht- deutscher Flüchtlinge Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1279 C Frage 33 des Abg. Ritzel: Fischkonserven aus atomar-verseuchten Gewässern Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1280 A Frage 3 des Abg. Ehren: Erfassung der 1945/46 entlassenen Kriegsgefangenen, Zivilinternierten und -verschleppten Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1280 B Frage 4 des Abg. Wegener: Einschränkung der Vergünstigungen für Schwerbeschädigte durch die Deutsche Bundesbahn Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1280 C Frage 5 des Abg. Rehs: Behandlung ostpreußischer Frauen und Männer in sowjetrussischem Gewahrsam nach dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1280 D Frage 6 des Abg. Reitzner: Deutsche Staatsbürgerschaft für Volksdeutsche in Österreich Dr. von Brentano, Bundesminister . 1281 A Frage 7 des Abg. Reitzner: Unterbringung deutscher Staatsbürger in Österreich nach Auflösung der UNREF-Lager Dr. von Brentano, Bundesminister . 1281 C Frage 8 des Abg. Regling: Auflösung des Bundesbahnausbesserungswerks Lübeck Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1281 D Regling (SPD) . . . . . . . . 1282 A Frage 9 des Abg. Börner: Versuchte Erpressung politischer Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei Dr. Schröder, Bundesminister . . 1282 C Börner (SPD) . . . . . . . . . 1282 D Frage 10 des Abg. Spitzmüller: Ansprüche der Margarethe Schwarz, Warberg Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1283 A Spitzmüller (FDP) . . . . . . . 1283 B Frage 11 des Abg. Dr. Leiske: Bundeszuschuß für eine deutsche Mannschaft zu den Segelflug-Weltmeisterschaften Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1283 C Frage 12 des Abg. Dr. Leiske: Statistische Aufgliederung des Aktienbesitzes Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1283 D II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1958 Frage 13 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Schornsteinfegerwesen Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1284 B Frage 14 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Entschädigung der Fischereigenossenschaft Drage Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1284 C Frage 15 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Zollvorschriften für über die Zollgrenze wechselndes Weidevieh Etzel, Bundesminister 1285 B Frage 16 des Abg. Meyer (Wanne-Eickel): Ergänzung des Katalogs der Berufskrankheiten Dr. Claussen, Staatssekretär . . . 1285 C Frage 17 der Abg. Frau Renger: Einsatz von Eilzügen in Oldenburg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1286 A Frage 18 des Abg. Meyer (Wanne-Eickel) : Höchstrenten nach dem Renten-Neuregelungsgesetz Dr. Claussen, Staatssekretär . . . 1286 C Frage 19 der Abg. Frau Herklotz: Entschädigung der „Abrißgeschädigten" Etzel, Bundesminister 1286 D Frage 20 des Abg. Rademacher: Aufwendungen zur Beseitigung oder Sicherung unbeschrankter Bahnübergänge Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1287 C Frage 21 des Abg. Dr. Menzel und Frage 24 des Abg. Mensing: Begriff des standesgemäßen Umgangs bei der Bundeswehr Strauß, Bundesminister 1288 A Frage 22 des Abg. Schmitt (Vockenhausen): Rechtzeitige Bekanntgabe der Einberufungstermine zur Bundeswehr Strauß, Bundesminister 1288 C Frage 23 des Abg. Maier (Freiburg) : Pensionsansprüche der Angehörigen des DNB Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1289 A Frage 25 des Abg. Burgemeister: Zahl der Anträge auf Gewährung eines Zuschusses nach § 18 a Abs. 3 des 131er-Gesetzes Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1289 B Frage 26 des Abg. Rasch: Deutsche Kriegsgräber im Osten Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1289 C Frage 27 des Abg. Rasch: Herabsetzung der Pflichtquote bei der Beschäftigung Schwerbeschädigter Dr. Claussen, Staatssekretär . . 1290 A Rasch (SPD) 1290 B Frage 28 des Abg. Rehs: Werbe-Landkarten in den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Dr. von Brentano, Bundesminister . 1290 C Frage 29 des Abg. Hansing: Gewährung des Haushaltstags bei Dienststellen der Bundeswehr im Lande Bremen Strauß, Bundesminister 1290 D Hansing (SPD) . . . . . . . 1291 A Frage 30 des Abg. Hansing: Besoldung der beamteten Nautiker Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister i291 B Wahl eines weiteren Stellvertreters des Präsidenten Schneider (Bremerhaven) (DP) 1291 D, 1292 C Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 1291 D, 1292 D, 1293 B Dr. Mommer (SPD) . . 1292 C, 1293 A Rasner (CDU/CSU) 1293 A Ergebnis 1304 B Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 1293 C Etzel, Bundesminister 1304 D Strauß, Bundesminister 1306 D Schoettle (SPD) . . . . . . . 1313 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 1316 D Schultz (FDP) 1320 C Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 1324 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1333 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 1336 B Dr. Starke (FDP) . . . . . . . 1344 C Leber (SPD) 1348 A Erler (SPD) . . . . 1355 A Nächste Sitzung 1358 C Anlage . . . .. 1359 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1958 1279 24. Sitzung Bonn, den 23. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1958 1359 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 31.5. Altmaier 26. 4. Bauer (Wasserburg) 26.4. Bauereisen 26.4. Bauknecht 10.5. Dr. Becker (Hersfeld) 23.4. Berlin 23.4. Birkelbach 25. 4. Frau Dr. Bleyler 26. 4. Dr. Böhm 26.4. Frau Dr. Brökelschen 26.4. Dr. Dehler 24.4. Diel (Horressen) 5.5. Dr. Dittrich 264. Dr. Eckhardt 30.4. Eichelbaum 3.5. Dr. Elbrächter 26.4. Engelbrecht-Greve 26.4. Eschmann 23.4. Felder 30.4. Dr. Frey 26.4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Gaßmann 26.4. Geiger (München) 26.4. Graaff 23.4. Dr. Gülich 26. 4. Dr. von Haniel-Niethammer 26.4. Häussler 30.4. Heinrich 15.5. Frau Herklotz 1.5. Höcherl 10.5. Dr. Höck (Salzgitter) 23.4. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 26. 4. Iven (Düren) 26. 4. Jacobs 24.4. Dr. Jordan 23.4. Frau Kipp-Kaule 26.4. Krug 23. 4. Kunze 15.5. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30.6. Dr. Maier (Stuttgart) 26.4. Dr. Martin 23. 4. Mauk 23.4. Mellies 23.5. Meyer (Oppertshofen) 26.4. Dr. Meyers (Aachen) 23.4. Frau Niggemeyer 30.4. Pöhler 23.4. Frau Dr. Probst 23.4. Ruf 24.4. Scharnberg 26.4. Scharnowski 26.4. Scheppmann 2.5. Dr. Schmid (Frankfurt) 24.4. Dr. Siemer 23.4. Storch 25.4. Sträter 31.5. Struve 7.5. Dr. Wahl 15.5. Frau Wolff (Berlin) 23 4. Dr. Zimmer 26.4. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 3.5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 30.4. Hamacher 25.5. Frau Renger 10.6. Weimer 31.5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Georg Leber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, ich möchte auf etwas weiteres hinweisen, nämlich auf das, an dem sich meiner Auffassung nach die Preissteigerungen der letzten Monate entzündet haben. Die Bundesregierung ist scheinbar Bindungen eingegangen, die sie zu allzu großer Toleranz den Leuten gegenüber verpflichtet hat,

    (Abg. Stingl: Wirklich scheinbar! Da haben Sie das richtige Wort getroffen!)

    die an diesen Preissteigerungen ein Interesse haben.

    (Abg. Stingl: Der Schein trügt!)

    Die Subventionen, die nach der Diskussion in diesem Hause gestrichen worden sind, liegen auf der-



    Leber
    selben Ebene. Vergessen Sie doch bitte nicht, daß diese Subventionen in erster Linie die breiten Massen der Bevölkerung belastet haben und daß man auf anderen Gebieten, wo man auch Subventionen gezahlt hat, sie nicht gestrichen hat, sondern sie noch weiterhin zahlt! Ich erinnere Sie an die Einlösung des Versprechens, das der Herr Bundeskanzler den Zuckerrübenbauern gegeben hat. Dort hat man noch nach den Wahlen versucht, neue Subventionen zu gewähren, aber da, wo die breiten Massen der Bevölkerung belastet werden, hat man sie gestrichen.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat von Preisentzerrung geredet. Ich habe das Gefühl, es ist dabei nicht nur um eine Preisentzerrung gegangen, sondern es ist ihm in erster Linie darauf angekommen, seinen Kollegen Etzel und Strauß zur Finanzierung der Rüstungsaufgaben Schützenhilfe zu leisten, denn der Bund hat echte Ausgaben, die er sonst tätigen müßte, dabei erspart. Das Entscheidende aber ist: die Belastung trifft die breiten Massen der Bevölkerung. Das sind doch wesentliche Dinge, die man sehen muß.
    Dazu kommt, daß in einer Situation, in der die vielen Millionen Arbeitnehmer in unserem Staat eine echte Schmälerung ihres Lebenstandards hinnehmen müssen,

    (Widerspruch in der Mitte)

    gleichzeitig die Dividenden der großen Kapitalgesellschaften erhöht werden.

    (Beifall bei der SPD. — Unruhe und Zurufe in der Mitte.)

    Der Reallohn ist — das behaupte ich und beweise es Ihnen auch —

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Sie waren vorhin nicht da, als ich die Zahlen genannt habe — in den letzten zwölf Monaten gesunken. Der Arbeitnehmer hat heute in seiner Lohntüte nicht mehr die Kaufkraft, die er vor zwölf Monaten einmal drinhatte.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stingl: Die Textilarbeiter auch? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie nicht ab und zu auch einmal die Gewerkschaftlichen Monatshefte?)

    — Die Gewerkschaftlichen Monatshefte sind fast so tolerant wie der Herr Präsident dieses Hauses;

    (Beifall bei der SPD)

    sie lassen auch Leute reden, die mal eine andere Auffasung vertreten.

    (Abg. Dr. Hellwig: Das wollen Sie doch nicht von Herrn Baade sagen?)

    Die Dividenden sind bei sehr vielen Kapitalgesellschaften auf 12% gestiegen, und sie wissen so gut wie ich, daß eine ganze Anzahl von Gesellschaften überlegen, ob sie nicht von 12 auf 15% gehen sollten. Die Frage wird ernsthaft diskutiert. Man verzichtet lediglich aus psychologischen Gründen darauf, das zu tun.
    Aber, meine Damen und Herren, vergessen Sie bitte folgendes nicht. In der gleichen Zeit, in der die Bundesregierung und der Herr Bundeswirtschaftsminister den breiten Massen der Bevölkerung Belastungen auf eine solche Art zumuten, werden dem Großverdienertum Gratisaktien angeboten, steuerfreie Geschenke, Vermögenszuwachs in einer Zeit, in der man den breiten Massen der Bevölkerung gegenüber von einem nationalen Opfer spricht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Leber, Herr Baade sieht Sie ganz bedenklich an bei der Theorie, die Sie hier vorbringen! — Abg. Rasner: Nehmen Sie ihn mal ins Kolleg, Herr Baade!)

    — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, das ist eine Sache, über die kann man natürlich reden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Abg. Stingl: Reden Sie ruhig!)

    Es steht fest, daß der Lebensstandard der Lohn-und Gehaltsempfänger gesunken ist und daß auf der anderen Seite Steuergeschenke der Regierung als Vermögenszuwachs in die Hände derer gegeben werden, die sie zu bekommen haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

    — Das wird doch bei der Bundesregierung diskutiert. Wenn ich mich nicht täusche, werden die ersten Vorlagen in der nächsten Zeit auf uns zukommen.
    Etwas ist weiter sehr bedenklich, meine Damen und Herren. Alle die, die noch arbeiten, können sich gegen die Auswirkungen dieser wirtschaftspolitischen Manipulationen wehren. Ich verweise auf die Rentner. Ihnen hat man vor den Wahlen die Rentenerhöhung gegeben und hat sie ihnen noch mit einem persönlichen Brief des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesarbeitsministers avisiert. Die Renten, die vor den Wahlen den Leuten attestiert worden sind, sind in der Zwischenzeit in aller Stille um 5 % abgewertet worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, der Index für die Lebenshaltung der mittleren Verbrauchergruppe — der Rentner liegt sicher nicht in der mittleren Verbrauchergruppe; denn diese beruht auf einem Einkommen von etwa 400 DM — ist vom März 1957 bis zum Februar 1958 um 4,5 % gestiegen. Wenn man das auf ein niedrigeres Einkommen überträgt, bei dem der Faktor Ernährung — wie beim Rentner — noch einen größeren Teil des Einkommens ausmacht, dann ist es sicherlich nicht übertrieben, wenn ich sage: Um 5% ist die Kaufkraft des Rentners geschmälert. Wahrscheinlich ist das noch eine schmale Bemessung.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich finde, Sie sind alle recht oberflächlich mit Ihren Zwischenrufen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Leber
    Meine Damen und Herren, man hat heute hier sehr viel von der Vernunft des Lohnempfängers gesprochen. Ich hätte gern einmal die Ansicht des Herrn Bundeswirtschaftsministers dazu gehört. Ich habe in dieser Sache viel von ihm gehört, aber etwas nicht; ich will Ihnen sagen, was ich meine. Der Herr Professor Röpke — sicher nicht Sozialist oder vielleicht verdächtig, ein geheimes Ehrenmitglied der Gewerkschaften zu sein —, hat im März 1957 in Paris vor französischen Unternehmern ein Referat gehalten — Sie können das nachlesen; ich stelle es Ihnen gern zur Verfügung —, und zwar. über das Thema,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie denn Französisch?)

    warum sich die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik und Frankreichs so unterschiedlich vollzogen hat. Professor Röpke hat in Paris vor französischen Unternehmern — ich glaube nicht, daß er das auch vor deutschen sagen würde, weil die Gefahr bestünde, daß es bekannt würde —

    (Abg. Stingl: Wir laden ihn öfters ein!)

    erklärt, der deutsche Aufbau, das, was man bei uns als Wirtschaftswunder bezeichnet, sei nicht nur darauf zurückzuführen, daß bei uns tüchtige Unternehmer vorhanden seien und die Wirtschaftspolitik nicht schlecht sei, sondern in erster Linie darauf, daß die Arbeitnehmerschaft in den Jahren des Rufhaus, in diesen zehn Jahren, ein außerordentlich beachtliches und größeres Maß an Vernunft gezeigt habe als sonst in Europa.

    (Beifall bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Das hat niemand bestritten!)

    Warum sagt man das dann hier nicht? Warum wirft man dem Arbeitnehmer bei jeder Gelegenheit Unvernunft vor?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Warum wirft man ihm bei jeder Gelegenheit vor
    — so wie es auch heute in diesem Hause wieder geschehen ist —, daß die Löhne, weil sie die Produktivitätsquote übersteigen würden, die Preissteigerungen auslösen, und wer weiß was alles?
    Ich will Ihnen eines sagen. Die Arbeitnehmerschaft ist sich sehr wohl bewußt gewesen, — —

    (Abg. Stingl: Wir gehören doch schließlich auch dazu! Tun Sie doch nicht, als seien das nur Sie!)

    — Ich bestreite gar nicht, daß Sie dazu gehören.
    — Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerschaft ist sich in den zehn Jahren des Aufbaues sehr wohl bewußt gewesen, daß sie Opfer zu bringen hatte. Sie ist sich allerdings auch klar darüber — vielleicht bestreiten Sie das auch —, daß der Verzicht und das Opfer der Allgemeinheit in den Jahren des Aufbaues in der Zwischenzeit in den Händen von einigen Zehntausend Leuten leider zu Eigentum erstarrt ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wo hätte es denn sonst herkommen sollen, wenn es nicht von der Allgemeinheit erspart worden wäre?
    Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerschaft beobachtet auch, und es geht eine tiefe Unruhe durch die Millionen von Menschen draußen,

    (Abg. Krammig: Durch die Gewerkschaft verursacht!)

    auf welche Weise die Rüstung in dem nun vor uns liegenden Abschnitt finanziert werden soll — ob es auch wieder so geschieht, daß die Massen zu verzichten haben, daß den Massen ein nationales Opfer zugemutet wird, daß die Massen eine Stunde mehr arbeiten sollen, und die anderen verdienen in aller Stille und in aller Offenheit an dem Geschäft.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht können Sie das am 1. Mai reden!)

    Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Heck hat in der Sitzung am Freitag Ausführungen gemacht, von denen ich der Auffassung bin, daß sie wichtig sind. Herr Kollege Heck hat hier davon gesprochen, daß neben die Rüstung in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West die geistige Macht tritt. Der Herr Bundesinnenminister sprach zwar davon, daß das in erster Linie eine sittliche Frage sei. Ich bin der Meinung, das ist eine politische Frage. Chruschtschow hat vor einem Jahr in Kiew verkündet, daß der Krieg in Richtung Butter geht. Deshalb tritt neben die Rüstung, deshalb tritt neben die geistige Macht die soziale Macht der Gruppen, die nun in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West miteinander ringen. Alle, die an der Lösung dieser Spannungen zwischen Ost und West und an einem Bestehen der westlichen Welt in diesen Spannungen interessiert sind und die daran glauben, daß diese Spannungen ohne Krieg gelöst werden können, müssen bereit sein, dafür zu sorgen, daß die soziale Ordnung in diesem Staat und in der westlichen Welt so fundiert wird, daß die Menschen in der Lage sind, daran zu glauben, daß es gerecht zugeht, daß nicht viele arbeiten müssen und nur wenige ernten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nur dann wird diese Auseinandersetzung zwischen West und Ost in der richtigen Weise bestanden werden können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Auseinandersetzung ist seit Jahren im Gange. Sie wird weitergehen. Die primitivste Art, die Spannungen zwischen Ost und West zu beseitigen, ist der Weg über eine kriegerische Auseinandersetzung. Es gibt hier in diesem Hause niemanden, der das möchte.

    (Abg. Stingl: Es gibt die primitivere: die Kapitulation!)

    Ich unterstelle auch, daß es keinen Deutschen gibt, der der Auffassung ist, daß man diese Spannung auf eine kriegerische Weise lösen kann. Wenn es gelingt, diesen Krieg zu vermeiden — und das ist



    Leber
    unser aller Hoffnung —, dann wird die Auseinandersetzung zwischen Ost und West, zwischen der Welt des Ostens und der Welt des Westens — bleiben; es wird ein Ringen und eine Konkurrenz des Geistes, es wird ein Ringen der Bildung und der Ausbildung,

    (Abg. Schütz [München]: Das sehen wir in der Zone!)

    ein Wettbewerb der sozialen Ordnung und des materiellen Wohlstandes sein; es wird ein Bewähren der inneren Festigkeit, der sittlichen und der moralischen Werte, die den Völkern innewohnen, aber auch — und das wird sicher eine der wesentlichen Grundlagen sein — ein Ausdruck der Zufriedenheit bei den Bürgern beider Welten sein. Diese Auseinandersetzung der Kräfte des Friedens wird letztlich die Entscheidung über den Bestand des Bolschewismus im Osten oder unseres westlichen Freiheitsideals erbringen. Diese Auseinandersetzung wird mit allen nichtmilitärischen Mitteln, die es überhaupt gibt, und auf allen Ebenen geführt werden. Sie wird nicht von dem Volk bestanden werden können, das letztlich die größten Stapel an Granaten und Geschossen aller Art und die gefülltesten Arsenale, aber Bürger aufzuweisen hat, die von der Gerechtigkeit der bestehenden Ordnung nicht erfüllt sind. Für Rekorde an Dividenden westdeutscher Aktionäre, für die ständig steigenden Vermögenswerte in den Händen weniger kann kein denkender Mensch bereit sein, den Kopf hinzuhalten.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Antwort auf diese Frage, meine Damen und Herren, kann man nicht in so leicht verständlicher Weise geben, wie es der Herr Bundeskanzler tut, wenn er sagt: Es geht uns doch heute allen besser als vor zehn Jahren!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Marxist!)

    Meine Damen und Herren, darum geht es nicht, daß es uns heute besser geht als damals. — Sie brauchen nicht so gehässig „Marxist" zu rufen, mein lieber Kollege.

    (Abg. Rasner: Sagen wir: Klassenkampf!)

    Ich könnte Ihnen einiges darauf erwidern. Ich will Ihnen aber nur das sagen: In der Zeit, in der viele von Ihnen — und es hängt ja hier manches auch mit Christentum und mit Gerechtigkeit zusammen — ihre damalige politische Auffassung nicht mit der Zugehörigket zu einer Kirche in Einklang bringen konnten, habe ich als Ministrant in einer katholischen Kirche am Gottesdienst mitgewirkt.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich bin damals nicht aus der Kirche ausgetreten, während manche von Ihnen ihre politische Auffassung damals nicht mehr mit der Zugehörigkeit zu einer Kirche in Einklang bringen konnten, und ich trete heute nicht aus, weil manche von Ihnen wieder drin sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben deshalb gar keine Veranlassung, hier solche Zwischenrufe zu machen.
    Das, was ich meine, wenn ich von Fortschritt rede, ist folgendes. Ich darf mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten ein paar Worte zitieren, die der Jesuitenpater Professor Oswald von Nell-Breuning vor zwei Jahren vor katholischen Unternehmern gesprochen hat:
    Der Osten hat in großem Umfang — so sagte er
    ein neues soziales System eingeführt, eine Sozialreform im vollen Sinne des Wortes, eine strukturelle Reform der Gesellschaft vollzogen. Im Westen redet man von Sozialreform. Es zeigt sich ein eigentümliches Vorherrschen restaurativer Tendenzen. Es ist besorgniserregend, wie selbstzufrieden gefährlich die westliche Welt in ihren sozialen und ökonomischen sowie ihren politisch-demokratischen Verhältnissen ist. Trotz vieler wirtschaftlicher Erfolge ist in Westdeutschland etwas Vergleichbares, was uns vorwärtsgebracht hätte, nicht vorhanden, die fällig gewordene Überwindung des Kapitalismus nicht verwirklicht, sind nur sehr geringe Fortschritte im Sinne einer strukturellen Reform der Gesellschaft zu verzeichnen.
    Meine Damen und Herren, das ist nicht von einem Marxisten, sondern von Professor von Nell-Breuning!
    Die Bundesrepublik liegt an der Nahtstelle zwischen Ost und West. Niemand denkt daran, den freien Völkern des Westens, dem wir verbunden sind, den Rücken zu kehren. Im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen des Westens, gegenüber dem Osten zu bestehen, ist es aber sicher nötig, die Frage zu bedenken, ob der Bundesrepublik nicht eine besondere Aufgabe in den vielseitigen Auseinandersetzungen zufällt. Ich meine nicht die Rolle, daß die Bundesrepublik das Fußvolk zu stellen hat. Die Bundesrepublik muß ein Musterbeispiel an sozialer Ordnung und fortschrittlichen Wirkens werden. Das wäre eine Rolle an der Nahtstelle zwischen Ost und West. Um in dieser Rolle besonders im Hinblick auf den Osten bestehen zu können, braucht die Bundesrepublik nicht einen Abbau ihres sozialen Standards, wie er hier in den letzten Monaten geschehen ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!)

    Die Rüstung zerrüttet auf lange Sicht unsere sozialen Verhältnisse. Wenn die Frage gestellt ist, was auch aus politischen Gründen den Vorrang haben muß, dann muß die Antwort lauten: In der Bundesrepublik ist wegen der besonderen Lage dieses Landes eine Frontzulage zur sozialen Ordnung nötig und nicht ein Rückgang unseres sozialen Standards,

    (Beifall bei der SPD)

    so viel Wohlstand und soziale Ordnung und soziale Gerechtigkeit,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    daß dieser Staat in den Herzen seiner Bürger ein
    verteidigenswertes Anliegen ist. Diese Aufgabe darf



    Leber
    durch den Rüstungsaufwand nicht in den Hintergrund gedrängt werden, wie es offensichtlich geschieht und noch mehr in der Zukunft geschehen wird.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.

(Abg. Stingl: Ich verzichte!) Das Wort hat der Abgeordnete Erler.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Beantwortung der Großen Anfrage haben wir von der Bundesregierung vernommen, daß für einen gewissen Teil der Verteidigungskosten -- denn alles war da offenbar noch gar nicht drin — in den nächsten Jahren mit einem Gesamtaufwand von 52 Milliarden Mark gerechnet werden müsse. Als man in der Diskussion darauf kam, daß eventuell das Programm wegen der Haushaltslage des Bundes sogar etwas gestreckt werden müsse, da wurde niemandem ganz klar, auf welchen Zeitraum genau sich diese 52 Milliarden eigentlich verteilen. Das ist nun auch verständlich; denn diese 52 Milliarden DM beziehen sich im wesentlichen auf den geplanten Aufbau der Bundeswehr zunächst im Rahmen der herkömmlichen Bewaffnung. Das, was durch Ihre Grundsatzentscheidung vor wenigen Wochen auf dem Gebiet der Atombewaffnung und auch der Raketenbewaffnung eingeleitet worden ist, käme erst hinzu. Wir wissen, daß es sich bei den Kosten dieser, wie es so schön heißt, modernsten Waffen um astronomische Beträge handelt, die noch um ein Mehrfaches den jetzt vorgesehenen Kostenrahmen übersteigen würden.
    Ich möchte nun Ihre Aufmerksamkeit auf ein Sonderproblem lenken, das wir in diesem Hause verschiedentlich zu klären versucht haben. Trotz aller Bemühungen sind uns der Bundesverteidigungsminister und auch der Bundesaußenminister auf alle drängenden Fragen die Antwort schuldig geblieben. Wir möchten nämlich gern wissen, was es eigentlich im Zusammenhang mit den Rüstungsplänen der Bundesregierung mit dem vielberufenen Rüstungsdreieck zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Italien und ähnlichen Vereinbarungen auf sich hat, die jeweils zwischen mehreren Teilnehmerstaaten der Westeuropäischen Union abgeschlossen worden sind. Wir sind nicht damit zufrieden, wenn uns der Herr Bundesverteidigungsminister versichert: Dort werden nur konventionelle Waffen entwickelt. Er versucht damit, uns über einen entscheidenden Teil der Vereinbarungen im dunkeln zu lassen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich finde, Dementis können die Vorlage von Texten nicht ersetzen. Angesichts der Erklärungen, die wir aus England, aus Frankreich und Italien zu diesen Abkommen bisher gehört haben, müssen wir auch im Zusammenhang mit dieser Kostendebatte die Frage stellen: Was ist dort beabsichtigt? Vor allem
    fragen wir: Wie wird es dann mit der finanziellen Abwicklung eines solchen künftigen gemeinsamen Rüstungsprogramms gehalten werden? Da soll man das Haus doch nicht mit der geringsten Vereinbarung von allen trösten, nämlich mit der über das Ballistische Institut von Saint Louis. Sie soll dem Bundestag gnadenweise zur Ratifikation vorgelegt werden, während wir die anderen Texte, die Rahmenvereinbarungen, bisher nicht gesehen haben. Ich werde auf diesen Komplex noch ein wenig zurückkommen müssen.
    Gestatten Sie mir aber vorher angesichts des Gangs der Debatte noch ein paar Bemerkungen zu anderen Fragen, die hier angeschnitten worden sind. Ich kann mir denken, daß ein Mann wie der Herr Bundeswirtschaftsminister gar keine Sorgen hat bei dem Aufkommen einer eventuellen Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an einer kostenfressenden Atomwaffenproduktion.

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Jawohl, sprechen wir das ruhig einmal aus; denn wer so rechnet wie der Bundeswirtschaftsminister, um den Kollegen Hellwig zu zitieren — das erinnert mich fast an das „Hexeneinmaleins", das er beschworen hat —, dem kann nicht mehr viel passieren, der macht aus 9,55 % ohne weiteres auch 18% Das stört den weiter gar nicht.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Seffrin: Von Ihnen hätte ich das nicht erwartet!)

    — Wieso? Soll ich Ihnen das noch einmal vor' rechnen, weil es so reizend war, oder haben Sie es schon wieder vergessen?

    (Beifall bei der SPD.)

    Das erinnert mich an jenen Mann, der einstmals versucht hat, die Kosten für den deutschen Verteidigungsbeitrag mit der Herstellung künstlicher Diamanten zu decken.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Oder sollte das vielleicht sogar derselbe Mann gewesen sein? Das ist immerhin auch möglich.
    Doch lassen wir die Rechenkunststücke des Herrn Bundeswirtschaftsministers, und kommen wir zu der Frage zurück, die ich in diese Debatte mit hineinbringen möchte, nämlich zu den Kosten für die sogenannten modernsten Waffen, die in der Beantwortung der Großen Anfrage vom Herrn Bundesfinanzminister ausdrücklich genannt worden sind. Es handelt sieh dabei eindeutig nicht um eine Entscheidung anderer, die wir ausführen müssen. Man soll sich hier nicht hinter der NATO verstecken,

    (Zuruf von der SPD: Das ist der Mut!)

    sondern jeder Staat ist auch in dieser Frage für das, was er tut, selbst verantwortlich.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das haben z. B. die skandinavischen Staaten sehr klar herausgestellt. Aus welchen Gründen auch immer, sie wollen keine Atomwaffen haben. Uns wird hier die sozialistische Solidarität vorgehalten. Sie könnten sich von dieser Solidarität eine Scheibe



    Erler
    abschneiden und sich auch auf diesem Gebiet nach den skandinavischen Staaten richten.

    (Abg. Kiesinger: Die Norweger wollen ja Sprengkörper haben!)

    Nun ist die Grundsatzentscheidung — so haben wir es vorhin gehört — für die Modernisierung gefallen. Und der Herr Verteidigungsminister hat gesagt, das, was die Verteidigungsminister getan hätten, seien nur die Konsequenzen gewesen. Sie hätten nur die technische Durchführung jener Grundsatzentscheidung, die bereits gefallen ist, übernommen. Diese ist also wohl in diesem Hause gefallen. Nun verstehe ich den Kollegen Heck überhaupt nicht mehr, der in Versammlungen in seinem Wahlkreis jeden mit gerichtlicher Klage bedroht, der behauptet, er habe hier im Hause für die Atombewaffnung der Bundeswehr gestimmt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Was denn anderes als eine Entscheidung für die Atombewaffnung der Bundeswehr ist denn jene Entscheidung damals gewesen, als es sich um die Grundsatzentscheidung handelte, die die Verteidigungsminister nur noch auszuführen haben!
    All das bringt uns wieder einmal zu der Erkenntnis, daß die Bundesregierung derartige Fragen Schritt für Schritt so zu lösen sucht, daß sich der Bürger eines Tages einer vollendeten Tatsache gegenübersieht, ohne daß er vorher überhaupt recht begriffen hat, worum es geht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesregierung spricht von modernsten Waffen. Herr Kollege Kiesinger hat neulich hier die Wasserstoffbombe von diesen modernsten Waffen ausdrücklich ausgenommen. Ob also die Wasserstoffbombe schon altmodisch ist oder ob er sie aus anderen Gründen ausgenommen hat, blieb dabei offen. Aber wenn Sie schon das Stichwort von den modernsten Waffen ausgeben, dann gibt es eigentlich keine Grenze. Heute sagt man, die Wasserstoffbombe gehöre nicht dazu. Was wird man morgen sagen?
    Gestern — das war 1954 — hat man hier im Bundestag gesagt, die Bundesrepublik verzichte nicht nur auf die Produktion, sondern — ich wiederhole —, um Vorbild zu sein, auch auf den Gebrauch der Atomwaffen. Später hat man behauptet, man habe das gar nicht gesagt. Der Bundeskanzler hat sich dann gewundert, daß das Wort „Gebrauch" im Protokoll gestanden hat, obwohl nach dem Text der Verträge tatsächlich nur die Produktion von Atomwaffen ausgeschlossen war.
    Der Herr Bundeskanzler hat eine Untersuchung verlangt, wie dieses Wort in das Protokoll hineingekommen sei. Ich nehme an, daß die Untersuchung stattgefunden hat. Das Haus hat darüber bisher keine amtliche Mitteilung bekommen, meines Wissens jedenfalls nicht. Ich habe mich selber einmal erkundigt: Wie war denn das? Denn die Frage interessiert uns doch schließlich. Ich habe feststellen können, daß die Stenographen übereinstimmend das Wort „Gebrauch" notiert hatten und daß der Herr Bundeskanzler dieses Protokoll so abgezeichnet hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, ich will nicht ungerecht sein. Vielleicht hat der Herr Bundeskanzler damals wirklich nicht Gebrauch, sondern Produktion gemeint. Gesagt hat er jedenfalls Gebrauch. Versprechen ist keine Schande. Das kann jedem mal passieren. Dann soll man sich aber die Methode abgewöhnen, andere dafür zu verdächtigen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wie nämlich im Zusammenhang mit den Verteidigungskosten der Herr Bundeskanzler mit Korrekturen zur Hand sein kann, wenn er etwas Gefährliches ausgeführt hat, dafür gibt es noch ein weiteres interessantes Beispiel. Am 8. Dezember 1952 veröffentlichte das Bulletin der Bundesregierung eine Rede, die der Herr Bundeskanzler am 5. Dezember hier gehalten hatte. Diese Rede beschäftigt sich mit dem Thema des heutigen Tages. Da zitiert zunächst der Herr Bundeskanzler den Herrn Ollenhauer und meint:
    Herr Ollenhauer hat gesagt ... :
    Jeder weiß, daß wir doch gar nicht in der Lage sind, die 40 Milliarden, die zur Ausrüstung notwendig sind, aufzubringen. Nun, Herr Blank hat mir eben erklärt, Herr Ollenhauer wisse durch die Unterrichtung, die er gegeben hat, genau, daß die Vereinigten Staaten sich verpflichtet haben, uns die neuesten und besten Waffen in diesem Werte
    — laut Bulletin! —
    zu stellen.

    (Zuruf des Abg. Wehner.)

    Ich habe im Protokoll nachgelesen, und da steht auf Seite 11458 plötzlich nicht mehr „in diesem Werte", sondern „in diesem Heere". Das macht das Zitat zwar sachlich richtiger, aber raubt ihm jeden Sinn für die Debatte; denn da ging es um die 40 Milliarden. Hier hat der Kanzler einen Irrtum berichtigt, obwohl er damals in der Debatte bei uns jedenfalls einen anderen Eindruck zu erwecken versucht hat.
    Das geschieht öfter in diesem Hause, daß in dieser Weise je nach den Notwendigkeiten der Debatte mit schillernden Formulierungen die gewünschte Wirkung heraufbeschworen wird, obwohl man weiß, daß sich das mit den sachlichen Feststellungen und den Tatsachen nicht deckt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, kommen wir zurück zu dem Verzicht auf die Herstellung von Atomwaffen und auch bestimmten anderen Waffen in den Pariser Verträgen. Man hat jetzt die Aufhebung einiger Beschränkungen auf anderen Gebieten, die in den Verträgen enthalten sind, bei der Westeuropäischen Union beantragt. Nun bleibt wirklich die bange Frage: Steht die Regierung zu ihrem Wort, daß dieser Verzicht wirklich bestehenbleiben soll, und wie würde sich ein solcher Verzicht mit den deutsch-französisch-italienischen Abreden vereinbaren, bei denen nach den französischen und italienischen Erklärungen offensichtlich für die Zukunft mit der gemeinsamen Produktion auch von Atomwaffen gerechnet werden muß?

    (Hört! Hört! bei der SPD.)




    Erler
    In welchem Verhältnis steht das zu dem Verzicht nach den Pariser Verträgen? Wir haben danach gefragt. Wir haben keine Antwort erhalten. Ich habe dem Herrn Verteidigungsminister am 11. März einen Brief in dieser Sache geschrieben. Ich warte bis heute auf eine Antwort auf diesen Brief.
    Wir haben den Wortlaut der Vereinbarungen erbeten. Bisher hat sich dem Parlament gegenüber nichts gerührt. Der Punkt steht auf der nächsten Tagesordnung des Verteidigungsausschusses. Ich bin skeptisch, ob wir dort den Text zu sehen bekommen.
    Meint man vielleicht, daß die Pariser Verträge nur die Herstellung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verbieten? Ist man vielleicht der Meinung, daß man sich so elegant aus der Affäre ziehen kann, daß man sagen kann: Dann tun wir das eben mit deutschem Geld und mit deutschen Technikern und mit deutscher Hilfe außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik, und dann stehen die Verträge gar nicht mehr im Wege? Was hat man hier vor? Will man die Verträge so umgehen, oder will man sich an sie halten? Dann müßte man die Atomwaffenproduktion von den Vereinbarungen mit den anderen Staaten ausdrücklich ausschließen. Das scheint nach allem, was wir gehört haben, bisher nicht geschehen zu sein.
    Wie ist es denn mit dem Ballistischen Institut in St. Louis? Sicher scheint sich das nicht mit Sprengköpfen zu beschäftigen — ich kenne einen Teil der Leute, die dort arbeiten, von früher her —, aber doch wohl mit Flugkörpern, die auch eine Stufe der Entwicklung in diesem ganzen Programm sind.
    Es hat eine Reihe von widersprechenden Erklärungen in Frankreich und hier zu diesem Thema gegeben. Vielleicht studiert der Herr Verteidigungsminister einmal die „New York Times" vom 10. Februar mit dem Aufsatz des Herrn Sulzberger aus Frankreich, in dem die Hoffnungen der anderen auf die deutsche Mitwirkung sehr deutlich zum Ausdruck kommen. Selbst wenn noch keine konkreten Beschlüsse über die Atomwaffen im Rüstungsdreieck gefaßt sein sollten, so scheint die Beschäftigung mit Atomwaffen für die Zukunft nicht ausgeschlossen worden zu sein. Man will das Ganze auf alle Waffen ausdehnen, die im Rahmen der NATO eingeführt sind und künftig empfohlen werden. Das bezieht sich natürlich auch auf die Atomwaffen.
    Ich will als Beispiel hier nur erwähnen, wie sich der italienische Verteidigungsminister unmittelbar nach einer Zusammenkunft mit seinem französischen und mit seinem deutschen Kollegen geäußert hat. Der frühere italienische Verteidigungsminister Pacciardi hat anläßlich der Vorkonferenz der drei Verteidigungsminister in Rom erklärt, es sei ein unhaltbarer Zustand, daß das Festland Europa noch keine eigene Atomwaffenproduktion habe, aber es sei klar, daß sich Europa mit diesem Zustand nicht abfinden könne; aus diesem Grunde begrüße er die französisch-deutsch-italienische Zusammenarbeit, die dieses Problem — also das der Atomwaffenproduktion — lösen werde. Herr Pacciardi ist nicht Herr Taviani, aber so ganz uneingeweiht ist er nicht. Und
    die „Times" meinte dazu: Wenn schließlich atomare Sprengköpfe nicht nur von den Vereinigten Staaten und Großbritannien, sondern auch von anderen Mächten der Westeuropäischen Union produziert werden, dann werden sie zumindest für die gleichen standardisierten Geschosse entwickelt. — Man nimmt es also schon als selbstverständlich hin, daß die anderen das tun werden, und darunter auch die Bundesrepublik.
    Hier ist Offenheit nötig. Die Regierung muß sich äußern, ob nach ihrer Meinung die Verträge eine solche Form der Mitwirkung außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik verbieten oder gestatten. Dann soll sie sich unzweideutig äußern, wie sie sich zu dem weiteren Schicksal der Vertragsbestimmungen zu stellen gedenkt. Dementis können keine Texte ersetzen, zumal da wir einige Erfahrungen mit den Dementis des Herrn Verteidigungsministers haben. Wer von Ihnen schon einmal das Vergnügen hatte, mit dem englischen Abgeordneten Crossmann zu diskutieren, der in diesem Bundestag ohne weiteres eine Rede in deutscher Sprache halten könnte, wird 'sich davon überzeugt haben, daß man bei einem Interview mit Herrn Crossmann wohl kaum sprachliche Schwierigkeiten als Begründung für ein Dementi heranziehen kann.

    (Abg. Wehner: Wenn man Dialekt spricht! — Heiterkeit links.)

    Das worauf es mir im Kern in diesem Zusammenhang ankommt, war der Hinweis des Ministers, der sagte: Der Atomklub soll nicht vergrößert werden, es soll niemand hinzukommen; aber dann, wenn andere Staaten außer den dreien, die es jetzt gibt, die Produktion aufnehmen, dann wird — so hat er damals Herrn Crossmann gesagt — in vier bis fünf Jahren auch die Bundesrepublik in diesen Vorgang hineingezogen. Das ist doch die allgemeine Haltung der Regierung, nur konsequent auf diese Frage ausgedehnt; das und nichts anderes. Insofern möchte ich also annehmen, daß das Gespräch sehr korrekt wiedergegeben worden ist.
    Da ist aber noch ein anderes sehr interessantes Entwicklungsprojekt. Als der Minister die Entscheidung begründete, in den Vereinigten Staaten Matadore zu kaufen, ließ er wissen, daß das auch geschehe, damit die deutsche Industrie Anschluß an die Entwicklung derartiger Flugkörper finde. Da handelt es sich also nicht nur um die Ausbildung der Soldaten der Bundeswehr, sondern auch um die Vorbereitung der Produktion. Wie steht es denn auf diesem Gebiet mit den Kosten, die mit der Aufnahme einer Produktion auf diesem Gebiet verbunden wären?
    Das waren Beispiele dafür, wie uns die Regierung Schritt für Schritt in das gefährlichste Experiment unserer Geschichte hineinzuziehen sucht.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Und da redet man von denen, die dieses Experiment nicht mitmachen wollen — gerade weil es uns um die Sicherheit unseres Volkes geht —, sie würden damit eine Vorleistung erbringen! Meine Damen



    Erler
    und Herren, Verzicht auf Selbstmord ist keine Vorleistung!

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Das war billig!)

    Aber diese Politik dient auch dazu, uns Schritt für Schritt noch in andere Abenteuer hineinzuziehen. Wir haben damals schon auf einige Tücken des Atlantikpakts aufmerksam gemacht, damit man sich das reiflich überlege. Der Art. 6 des Vertrages bezieht beispielsweise ausdrücklich die französischen Departements in Algerien in das Vertragsgebiet ein. Die letzte französische Regierung hat vor ihrem Sturz noch angekündigt, daß sie diese Bestimmung anrufen und am 4. Mai die Hilfe der Verbündeten Frankreichs im Konflikt mit Tunesien wegen des angeblichen Angriffs auf Algerien verlangen werde. In dieser Stunde — wir werden bis dahin keine außenpolitische Debatte mehr haben — sollte unsere Regierung dem Parlament gegenüber erklären, welche Haltung sie im Atlantikrat zu diesem französischen Vorstoß einzunehmen gedenkt. Denn dort steht nicht nur unser Ansehen, sondern auch die Sicherheit nicht nur der Deutschen, sondern darüber hinaus des freien Westens im ganzen auf dem Spiel. Norwegen hat sich bereits geäußert. Sie schauen so gern nach Norwegen, Sie berufen sich oft auf die Solidarität der Sozialisten. Ich kann Sie nur dringend ermahnen, sich hier das norwegische Beispiel wiederum zum Vorbild zu nehmen.
    Sollen wir etwa auf diesem Umweg in die französischen Kolonialkriege hineingezogen werden?! Dabei müssen wir uns allen Ernstes überlegen, in
    welchem Maße wir — ungewollt — durch die Leistungen von über einer Milliarde D-Mark an die französische Republik, die die Bundesregierung uns neuerlich bekanntgegeben hat, schon indirekt zur Finanzierung dieser Kolonialkriege beitragen. Aus Libyen haben wir ein sehr unfreundliches Presseecho erfahren, als es um die Idee ging, dort eventuell deutsche Soldaten an Matadoren auszubilden. Da hat man gesagt, man empfinde es als Mißachtung der Afrikaner, wenn plötzlich über ihren Kopf hinweg dort so etwas geschehe.
    Nein, meine Damen und Herren, hüten wir uns, auf diese Weise an der Seite Frankreichs in die afrikanischen Wirren hineingezogen zu werden! Bei aller Notwendigkeit eines engen Verhältnisses zwischen dem französischen und dem deutschen Volk, bei aller Notwendigkeit, so eng wie möglich zusammenzuwachsen, sollten wir der Ehrlichkeit halber doch unseren französischen Freunden sagen, daß Frankreichs Krieg in Algerien die afrikanischen Völker politisch an die Seite der Sowjetunion treibt und deshalb eine Gefährdung der freien Welt ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich wollte Ihnen mit diesem einen Beispiel zeigen, daß es in Ihrer Politik viele Aufwendungen gibt, von denen Sie glauben, daß sie der Verteidigung dienen, die aber in Wahrheit unsere Sicherheit nicht vergrößern, sondern gefährden.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD.)