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ID0302414400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 24. Sitzung Bonn, den 23. April 1958 Inhalt: Glückwünsche zum 65. Geburtstag des Abg. Cillien und zur Wiedergenesung des Abg. Dr. Becker . . . . . . . . 1279 A Fragestunde (Drucksache 325) Frage 1 des Abg. Dr. Menzel: Fall Strack Dr. von Brentano, Bundesminister . 1279 B Frage 2 des Abg. Ehren: Kulturelle Eigenständigkeit nicht- deutscher Flüchtlinge Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1279 C Frage 33 des Abg. Ritzel: Fischkonserven aus atomar-verseuchten Gewässern Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1280 A Frage 3 des Abg. Ehren: Erfassung der 1945/46 entlassenen Kriegsgefangenen, Zivilinternierten und -verschleppten Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1280 B Frage 4 des Abg. Wegener: Einschränkung der Vergünstigungen für Schwerbeschädigte durch die Deutsche Bundesbahn Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1280 C Frage 5 des Abg. Rehs: Behandlung ostpreußischer Frauen und Männer in sowjetrussischem Gewahrsam nach dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1280 D Frage 6 des Abg. Reitzner: Deutsche Staatsbürgerschaft für Volksdeutsche in Österreich Dr. von Brentano, Bundesminister . 1281 A Frage 7 des Abg. Reitzner: Unterbringung deutscher Staatsbürger in Österreich nach Auflösung der UNREF-Lager Dr. von Brentano, Bundesminister . 1281 C Frage 8 des Abg. Regling: Auflösung des Bundesbahnausbesserungswerks Lübeck Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1281 D Regling (SPD) . . . . . . . . 1282 A Frage 9 des Abg. Börner: Versuchte Erpressung politischer Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei Dr. Schröder, Bundesminister . . 1282 C Börner (SPD) . . . . . . . . . 1282 D Frage 10 des Abg. Spitzmüller: Ansprüche der Margarethe Schwarz, Warberg Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1283 A Spitzmüller (FDP) . . . . . . . 1283 B Frage 11 des Abg. Dr. Leiske: Bundeszuschuß für eine deutsche Mannschaft zu den Segelflug-Weltmeisterschaften Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1283 C Frage 12 des Abg. Dr. Leiske: Statistische Aufgliederung des Aktienbesitzes Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1283 D II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1958 Frage 13 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Schornsteinfegerwesen Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1284 B Frage 14 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Entschädigung der Fischereigenossenschaft Drage Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1284 C Frage 15 des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Zollvorschriften für über die Zollgrenze wechselndes Weidevieh Etzel, Bundesminister 1285 B Frage 16 des Abg. Meyer (Wanne-Eickel): Ergänzung des Katalogs der Berufskrankheiten Dr. Claussen, Staatssekretär . . . 1285 C Frage 17 der Abg. Frau Renger: Einsatz von Eilzügen in Oldenburg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1286 A Frage 18 des Abg. Meyer (Wanne-Eickel) : Höchstrenten nach dem Renten-Neuregelungsgesetz Dr. Claussen, Staatssekretär . . . 1286 C Frage 19 der Abg. Frau Herklotz: Entschädigung der „Abrißgeschädigten" Etzel, Bundesminister 1286 D Frage 20 des Abg. Rademacher: Aufwendungen zur Beseitigung oder Sicherung unbeschrankter Bahnübergänge Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 1287 C Frage 21 des Abg. Dr. Menzel und Frage 24 des Abg. Mensing: Begriff des standesgemäßen Umgangs bei der Bundeswehr Strauß, Bundesminister 1288 A Frage 22 des Abg. Schmitt (Vockenhausen): Rechtzeitige Bekanntgabe der Einberufungstermine zur Bundeswehr Strauß, Bundesminister 1288 C Frage 23 des Abg. Maier (Freiburg) : Pensionsansprüche der Angehörigen des DNB Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1289 A Frage 25 des Abg. Burgemeister: Zahl der Anträge auf Gewährung eines Zuschusses nach § 18 a Abs. 3 des 131er-Gesetzes Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1289 B Frage 26 des Abg. Rasch: Deutsche Kriegsgräber im Osten Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1289 C Frage 27 des Abg. Rasch: Herabsetzung der Pflichtquote bei der Beschäftigung Schwerbeschädigter Dr. Claussen, Staatssekretär . . 1290 A Rasch (SPD) 1290 B Frage 28 des Abg. Rehs: Werbe-Landkarten in den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Dr. von Brentano, Bundesminister . 1290 C Frage 29 des Abg. Hansing: Gewährung des Haushaltstags bei Dienststellen der Bundeswehr im Lande Bremen Strauß, Bundesminister 1290 D Hansing (SPD) . . . . . . . 1291 A Frage 30 des Abg. Hansing: Besoldung der beamteten Nautiker Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister i291 B Wahl eines weiteren Stellvertreters des Präsidenten Schneider (Bremerhaven) (DP) 1291 D, 1292 C Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 1291 D, 1292 D, 1293 B Dr. Mommer (SPD) . . 1292 C, 1293 A Rasner (CDU/CSU) 1293 A Ergebnis 1304 B Große Anfrage der Fraktion der SPD betr Finanzielle Verpflichtungen aus dem Verteidigungshaushalt und ihre kassenmäßige Erfüllung (Drucksache 195) Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 1293 C Etzel, Bundesminister 1304 D Strauß, Bundesminister 1306 D Schoettle (SPD) . . . . . . . 1313 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 1316 D Schultz (FDP) 1320 C Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 1324 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 1333 B Dr. Hellwig (CDU/CSU) 1336 B Dr. Starke (FDP) . . . . . . . 1344 C Leber (SPD) 1348 A Erler (SPD) . . . . 1355 A Nächste Sitzung 1358 C Anlage . . . .. 1359 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1958 1279 24. Sitzung Bonn, den 23. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1958 1359 Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 31.5. Altmaier 26. 4. Bauer (Wasserburg) 26.4. Bauereisen 26.4. Bauknecht 10.5. Dr. Becker (Hersfeld) 23.4. Berlin 23.4. Birkelbach 25. 4. Frau Dr. Bleyler 26. 4. Dr. Böhm 26.4. Frau Dr. Brökelschen 26.4. Dr. Dehler 24.4. Diel (Horressen) 5.5. Dr. Dittrich 264. Dr. Eckhardt 30.4. Eichelbaum 3.5. Dr. Elbrächter 26.4. Engelbrecht-Greve 26.4. Eschmann 23.4. Felder 30.4. Dr. Frey 26.4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Gaßmann 26.4. Geiger (München) 26.4. Graaff 23.4. Dr. Gülich 26. 4. Dr. von Haniel-Niethammer 26.4. Häussler 30.4. Heinrich 15.5. Frau Herklotz 1.5. Höcherl 10.5. Dr. Höck (Salzgitter) 23.4. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 26. 4. Iven (Düren) 26. 4. Jacobs 24.4. Dr. Jordan 23.4. Frau Kipp-Kaule 26.4. Krug 23. 4. Kunze 15.5. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30.6. Dr. Maier (Stuttgart) 26.4. Dr. Martin 23. 4. Mauk 23.4. Mellies 23.5. Meyer (Oppertshofen) 26.4. Dr. Meyers (Aachen) 23.4. Frau Niggemeyer 30.4. Pöhler 23.4. Frau Dr. Probst 23.4. Ruf 24.4. Scharnberg 26.4. Scharnowski 26.4. Scheppmann 2.5. Dr. Schmid (Frankfurt) 24.4. Dr. Siemer 23.4. Storch 25.4. Sträter 31.5. Struve 7.5. Dr. Wahl 15.5. Frau Wolff (Berlin) 23 4. Dr. Zimmer 26.4. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 3.5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 30.4. Hamacher 25.5. Frau Renger 10.6. Weimer 31.5.
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    Rede von Georg Leber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vorhin — sicher im Zustand einer gewissen Erregung — gesagt: Wissen Sie denn nicht mehr, wer Deutschland aufgebaut hat? Was war denn damals vor zehn Jahren, als ich kam? — Meine Damen und Herren, ich unterstelle sicher nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister gemeint hat, er habe diesen Aufbau allein vollzogen. Ich möchte nicht verkleinern, was der Herr Bundeswirtschaftsminister bei diesem Aufbau selbst auch mit in die Waagschale geworfen hat. Aber diesen Wiederaufbau haben in erster Linie viele Millionen arbeitender Menschen draußen im Lande geleistet, und das soll man hier im Hause nicht verkleinern.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister ein besonderes, nicht im Rahmen des Üblichen liegendes Verdienst dabei hat, dann ist es das, daß er in jeder Situation dafür gesorgt hat, daß die Großindustrie und das Großverdienertum dabei in recht ordentlicher Weise ihre Geschäfte gemacht haben.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

    Mein Kollege Dr. Deist hat hier nüchterne Zahlen genannt und er hat daraus Schlußfolgerungen gezogen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat darauf in einer Art und Weise reagiert, mit der er dem Stil, den der Herr Bundeskanzler selber im Wahlkampf geübt hat, schon recht nahe gekommen ist. Der Herr Bundeskanzler hätte vielleicht darauf gesagt: Es jeht uns doch heute allen viel besser als vor zehn Jahren! — Das wäre noch viel einleuchtender gewesen als die Bemerkungen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister gemacht hat.
    Im Laufe dieser Debatte ist öfter gesagt worden, nicht zuletzt die Löhne seien schuld an dem, was wir in der letzten Zeit an Preissteigerungen zu verzeichnen gehabt haben. Ich komme darauf gleich noch mit ein paar Beispielen zu sprechen. Der Herr Kollege Dr. Hellwig hat insbesondere davon gesprochen, die Produktivität falle vor allem in Industriezweigen, die einen hohen Lohnanteil haben, ins Gewicht. Gestatten Sie mir, daß ich am Beispiel des Baugewerbes einmal zeige, was sich dort in den letzten Jahren getan hat. Wir haben im Jahre 1956 ein Bauvolumen von 24,75 Milliarden DM gehabt. Das Bauvolumen im Jahre 1957 hat 25 Milliarden DM betragen, lag also um eine Viertelmilliarde höher als im Vorjahr. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß die Baupreise im Jahre 1957 gegenüber 1956 rund 5 % höher lagen, so ergibt sich doch ein beachtlicher Produktivitätszuwachs, wenn man berücksichtigt, daß diese Leistung im Jahre 1957 mit 110 000 Menschen weniger erbracht worden ist und daß die restlichen Arbeitnehmer, die im Baugewerbe geblieben sind, durchschnittlich sechs Stunden im Monat weniger geleistet haben. Ich bitte Sie, das einmal zu überprüfen. Dann werden Sie sehen, daß Preissteigerungen auch in diesem Wirtschaftszweig trotz hoher Lohnintensität in diesem Ausmaße nicht nötig gewesen wären.
    Sie haben auf Schweden verwiesen, Herr Kollege Dr. Hellwig. Sie haben den Anteil, der dort pro Kopf der Bevölkerung in die Rüstung gesteckt wird, mit den deutschen Zahlen verglichen. Sie hätten auch einen anderen Vergleich anstellen und hätten sagen sollen, daß trotz der Leistungen, die Schweden für die Rüstung erbringt, das Realeinkommen der breiten Masse der Bevölkerung in Schweden rund zweieinhalb mal größer ist als in der Bundesrepublik.

    (Zuruf von der Mitte: Weil sie keinen Krieg gehabt haben!)

    Ich glaube, daß es notwendig ist, zu sagen, daß diese Länder — darauf kommt es, glaube ich, sehr an — neben den Verteidigungsausgaben, die sie leisten, nicht vergessen, daß sie auch noch soziale Aufgaben haben. Wenn Sie auf Schweden als Vorbild hinweisen, dann ist es angebracht, auch auf die sozialen Leistungen, die dort vollbracht worden sind, aufmerksam zu machen. Wesentlich ist, daß dort — und das unterscheidet uns gründlich von diesen Ländern —, nicht Verteidigungsleistungen ganz losgelöst von allen anderen Aufwendungen erbracht werden. Wesentlich ist auch, daß die Belastung, die effektiv entsteht, viel gerechter auf die Gesamtheit der Bevölkerung verteilt wird, als das bei uns der Fall ist.
    Sie haben zum Schluß besonders auf den amerikanischen Gewerkschaftsführer Gompers verwiesen und haben seine Ansicht über die Freiheit zitiert. Herr Kollege Dr. Hellwig, ich bin der Meinung, daß Gompers unter Freiheit etwas ganz anderes verstanden hat als Sie und viele andere Leute.

    (Beifall bei der SPD.)




    Leber
    Unter Freiheit kann man nämlich vieles verstehen, und bei uns hier im Lande gibt es sehr viele Leute, die verstehen bestimmt etwas anderes darunter als der amerikanische Gewerkschaftsführer Gompers. Freiheit schließt nämlich Verantwortung und Sinn für Gerechtigkeit auch der Gemeinschaft gegenüber ein. Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Bei uns wird aber unter Freiheit von sehr vielen Leuten nichts anderes verstanden als die Freiheit, sich der Allgemeinheit und besonders den breiten Massen der Bevölkerung gegenüber so rücksichtslos zu verhalten, wie das nur irgendwie geht.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Kollegen Schoettle und Deist haben hier über das Ausmaß der Rüstungskosten, über das Verhältnis der Rüstungskosten zum allgemeinen Haushalt gesprochen. Ich brauche das nicht weiter zu erörtern, möchte aber eine besonders interessante Variante aus diesem Thema hier einmal näher beleuchten, nämlich die Frage, wie die Rüstung bei uns finanziert wird. Ich halte das für eine sehr wesentliche Sache. Wie wird die Belastung, die sich aus dem Rüstungsaufwand ergibt, auf die breiten Schichten, auf die Gesamtbevölkerung in unserem Staate verteilt? Der Herr Bundeswirtschaftsminister — und nicht nur er allein —, der Herr Bundeskanzler, alle Männer, die hier in der Regierungskoalition sitzen, haben vor den Wahlen, wenn sich die Gelegenheit dazu geboten hat, erklärt: „Wir müssen rüsten, das Land muß verteidigt werden; aber das kann und muß geschehen, ohne
    Bi daß der Lebensstandard der Bevölkerung dadurch beschnitten wird." Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat unter anderem dazu folgendes gesagt:
    Ich habe schon seit Jahren immer wieder betont, daß jeder deutsche Verteidigungsbeitrag nicht begleitet sein darf von einem Absinken des Lebensstandards und einer Verschlechterung der sozialen Verhältnisse unseres Volkes, sondern daß es vielmehr unsere Aufgabe sein müsse, durch eine erhöhte Produktivität und zusätzliche Anstrengungen der Volkswirtschaft jenes Mehr an Aufwendungen nicht nur auszugleichen, sondern zu übersteigern.
    Das heißt also, wir sind nicht nur in der Lage, zu vermeiden, daß der Lebensstandard gesenkt wird, sondern durch das Mehr, durch den Zuwachs, können wir sogar den Lebensstandard noch in einem bescheidenen Maße steigern, wenn wir nicht den ganzen Zuwachs für uns und für den Konsum in Anspruch nehmen wollen.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung noch darauf hingewiesen, daß der Anteil der öffentlichen Hand am Sozialprodukt zugunsten der privaten Haushalte und der Vermögensbildung bei den breiten Massen der Bevölkerung verringert werden müsse. Ich halte die Feststellung, die der Herr Bundeskanzler dort getroffen hat, für sehr notwendig. Aber ich werfe hier die Frage auf, wieviel tatsächlich getan wird, um dieses Ziel zu erreichen.
    Zum Beweis dessen, wie es tatsächlich ist, möchte ich mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten ein paar Sätze aus einem Büchlein zitieren, das ich Ihnen allen zum Lesen empfehle. Der Mann, der das geschrieben hat, ist kein Gegner der freien Marktwirtschaft und kein Gegner der Wirtschaftstheorien, die der Bundeswirtschaftsminister experimentiert, sondern er steht seinem Prinzip nahe.

    (Zurufe von der Mitte: Wie heißt er denn!) — Reithinger. Er schreibt:

    Man wird kaum von der Wahrheit abweichen, wenn man feststellt, daß nach zehn Jahren sozialer Marktwirtschaftstheorie der Fiskus und die großen Kapitalgesellschaften reicher, das
    Volk in seiner Gesamtheit ärmer ist als vor dem Kriege.

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte.)

    — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, ich zitiere nur.
    Ein Teil des relativen deutschen Wirtschaftswunders ist rein optisch dadurch bedingt, daß die Bundesrepublik den neuen Reichtum in das öffentliche Schaufenster gestellt hat ... und die unzureichende Vermögensbildung der Bevölkerung im dunkeln läßt, während die anderen Länder die Vermögensbildung in der Bevölkerung kräftig unterstützen und in das Schaufenster die öffentlichen Schulden stellen. Dadurch kommt das kuriose Ergebnis zustande, daß eine christlich-demokratische Regierung, die ununterbrochen das Bekenntnis zu Privateigentum und Sozialstaat im Munde führt, in Wirklichkeit den Reichtum bei der öffentlichen Hand und den großen Kapitalgesellschaften konzentriert hat und damit in die Nähe administrativ gelenkter totalitärer Staaten gerät, während die Vertreter kapitalistischer Wirtschaftsprinzipien, z. B. die USA, den sozialen Reichtum breit verteilen und sozialistisch regierte Länder wie zeitweise England, Frankreich, skandinavische Länder, die private Vermögensbildung auf Kosten der Verschuldung im öffentlichen Sektor fördern. Die Akkumulation der Reichtumsbildung in der Zehnjahresperiode 1949 bis 1957 ist in der Bundesrepublik genau nach den Erwartungen von Karl Marx erfolgt und nicht nach den Theorien von Ludwig Erhard.

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, das schreibt kein Kommunist, das schreibt kein Sozialdemokrat, sondern das schreibt ein uralter, erklärter Anhänger der freien Marktwirtschaft.

    (Abg. Rasner: Der „kaum von der Wahrheit abweicht"!)

    Bei solchen Vorstellungen, unter solchen Erwägungen, bei solchen Erkenntnissen ist es dringend nötig, daß man untersucht, wie man in der jetzt vor uns liegenden Sphäre das, was die Gemeinschaft, das, was das Volk erarbeitet, verteilt, daß man zu klären versucht, in welchem Maße die verschiedensten Schichten unserer Bevölkerung an der Finan-



    Leber
    zierung der Rüstung beteiligt werden. Vor den Wahlen hat man gesagt, der Lebensstandard der Bevölkerung dürfe nicht gesenkt werden und werde auch nicht gesenkt. Dann hat der Bundeswirtschaftsminister, so wie das in den letzten Jahren üblich gewesen ist, eine Weihnachtsbotschaft „an sein Volk" verkündet. Es war die bekannte Rede, die er in München gehalten hat. Ich habe sie hier und möchte Ihnen daraus einige Sätze vorlesen. Er sagte, es genüge die bescheidene Einsicht, daß wir nur nicht den gesamten Leistungszuwachs der nächsten Jahre für unsere eigenen privaten Zwecke in Anspruch nehmen dürften, aber eben doch immer noch ein Mehr gewinnen könnten. — Das sagte er damals. Aber er erklärte seinerzeit weiter, das seien
    nicht die Freunde, sondern die Feinde des Volkes,
    die ihm wohl immer neuen und größeren Gewinn versprächen, obwohl nur zu oft die Beherrschung des kleinen Einmaleins genüge, die volkswirtschaftliche Unmöglichkeit zu erweisen.
    Meine Damen und Herren, das erste war ein Versprechen, und das andere ist die Konsequenz daraus. Er sagt nämlich, die, die zu diesem Opfer nicht bereit seien und dem Volke mehr versprächen, als sie halten könnten — der Wirtschaftsminister hat ja versprochen, der Lebensstandard werde nicht gesenkt —,

    (Zurufe von der Mitte)

    seien die Feinde des Volkes. Passen Sie gut auf, was ich Ihnen zu sagen habe! Ich bin nämlich der Meinung, daß die Freiheit die Sache aller ist, nicht nur der breiten Massen der Bevölkerung. Ich will Ihnen folgendes Beispiel nennen; das können Sie nachrechnen.
    Ein Baufacharbeiter hat im Jahre 1957 einen Wochenlohn von 108,90 DM verdient. Die Preisentwicklung war im Laufe des Jahres 1957 verhältnismäßig ruhig.

    (Zuruf von der Mitte: Das haben wir in der Wahl aber nicht von Ihnen gehört! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ich komme gleich darauf zu sprechen. Die Preise haben sich bis Ende des Jahres 1957 verhältnismäßig gehalten.

    (Zuruf von der Mitte: Neue Erkenntnis! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ich komme schon noch darauf; nur nicht zu früh rufen!

    (Zuruf von der Mitte: Das haben Sie aber in den Tarifverhandlungen nicht zugegeben!)

    — Wir haben das nicht nur in Tarifverhandlungen
    zugegeben, sondern haben sogar einen Vertrag über zwei Jahre abgeschlossen, mein Herr! Ende des Jahres 1957 traten dann Preissteigerungen ein. Diese Preissteigerungen auf dem Gebiete der Ernährung, der Heizung und der Mieten schmälerten die Kaufkraft des Lohnes dieses Baufacharbeiters um 4,82 %! Das können Sie beim Statistischen Bundesamt erfragen. Sie können das selber überprüfen.
    Durch den Fortfall der Subventionen wurden große Teile der Arbeitnehmerschaft in unserer
    Wirtschaft in besonderem Maße betroffen. Ich will Ihnen ein Beispiel aus dem Baugewerbe nennen. Nach den Ermittlungen des Statitischen Amts der Stadt Frankfurt sind rund 60 % der in Frankfurt tätigen Bauarbeiter außerhalb des Stadtgebietes ansässig. Sie müssen täglich im Durchschnitt eine Strecke von 40 km zurücklegen, um zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen. Das heißt, daß 60%, weil sie nicht ständig an ihrem Arbeitsplatz wohnen können, da dieser wechselt, Mehrkosten infolge der erhöhten Tarife im Berufsverkehr haben, die 3,2 % des Lohnes ausmachen. Bedenken Sie, allein höhere Aufwendungen für Ernährung von 4,82 % und zusätzliche Aufwendungen für gestiegene Fahrkosten von 3,2 %! Das sind Mehraufwendungen von 8,02%, die zu tragen sind.
    Es sind Lohnerhöhungen durchgeführt worden. Ohne Streik, ohne Arbeitskampf, das werden Sie feststellen, ist nirgends ein Stückchen mehr erreicht worden. Die Lohnerhöhungen betragen 3,7%. Das ist ein Ausmaß, das nicht bereinigt, was an Mehrbelastungen auf die Menschen zugekommen ist. Aus 8,02 % Mehrbelastung und 3,7% Lohnerhöhung ergibt sich eine echte Kaufkraftschmälerung von 4,32%, gemessen an dem Lohn von vor den Bundestagswahlen.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard hat in München erklärt, er empfinde es als richtig, wenn wir bereit wären, angesichts der großen Dinge, die vor uns liegen, eine Stunde mehr zu arbeiten. Meine Damen und Herren, wenn der Mann das, was er durch die Ereignisse der letzten Monate an Kaufkraftschwund hat hinnehmen müssen, durch Mehrarbeit ausgleichen will, dann muß er hei einer um 4,32 % gesunkenen Kaufkraft seines Lohnes und einem Stundenlohn von 2,42 DM eine Stunde und 57 Minuten mehr arbeiten! Soviel länger muß er arbeiten, um die gleiche Kaufkraft in seiner Lohntüte zu haben, die er vor einem Jahr oder vor der Bundestagswahl hatte.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Widerspruch in der Mitte.)

    — Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Zahlen zu geben. Diejenigen unter Ihnen, die schweigen, wissen, daß das in Ordnung ist. So ist es in vielen Fällen, so ist es der Arbeitnehmerschaft im Durchschnitt ergangen. Was in den letzten Monaten an Preissteigerungen zu verzeichnen war, hat man durch Lohnerhöhungen nicht wettgemacht. Auf diese Weise ist den Menschen der Gürtel wirklich enger geschnallt worden.

    (Abg. Schlick: Sie können doch die Kaufkraftsteigerungen in der letzten Zeit nicht leugnen!)

    Meine Damen und Herren, ich habe in der Eisenbahn gesessen, und da haben sich zwei Unternehmer unterhalten. Ich sehe sie manchmal im Bundestag verkehren. Sie essen hier gelegentlich zu Mittag, weil das Essen hier besser ist als anderswo.

    (Heiterkeit.)

    Dann haben sie sich erzählt — sie wußten nicht, wer ich war, weil ich neu im Bundestag bin —: Wie



    Leber
    wird das gehen, wie wird die Geschichte finanziert, wie soll das werden? Dabei hat der eine gesagt: Den Maulkorb höher hängen! Dann werden sie von sich aus schon mehr arbeiten. Sie werden erleben, wie das im Sommer 1958 sein wird. — Meine Damen und Herren, das ist das Opfer, das den breiten Massen der Bevölkerung in unserem Lande zugemutet worden ist.
    Wie sieht es in anderen Kreisen unseres Staates aus?

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Die Rede werde ich vielleicht auch am 1. Mai halten. Man kann das gar nicht oft genug sagen.

    (Abg. Stingl: Da können Sie sie ablesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wie ist es in anderen Kreisen unseres Volkes gewesen? So wie es den Arbeitnehmern ergangen ist, ist es vielen Menschen in unserem Staat ergangen. Ich weiß, es ist hier schon darüber gesprochen worden, es ist gestreift worden. Ich möchte aber noch einmal darauf zurückkommen. Mir ist bekannt, daß Anfang des vergangenen Jahres, im März, Vertreter der Wirtschaft, nach Wirtschaftszweigen geordnet, bei dem Herrn Bundeswirtschaftsminister waren. Ich habe ein Rundschreiben eines Verbandes — meine Damen und Herren, ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung —, in dem ein Verbandsvertreter, der an diesen Besprechungen, die im Hause des Herrn Bundeswirtschaftsministers abgehalten worden sind, teilgenommen hat — der Herr Bundeswohnungsbauminister war ebenfalls dabei —, seinen erstaunten Landesverbänden mitteilt, der Herr Bundeswirtschaftsminister habe erklärt, vor den Wahlen müsse die Industrie bereit sein, ein Opfer zu bringen; denn ohne daß Preissteigerungen bis zum Wahltag vermieden würden, seien die Wahlen nicht zu gewinnen. Wenn die Industrie aber bereit sei, ein solches Opfer zu bringen und auf überhöhte Gewinne bis zu den Wahlen zu verzichten — das steht wörtlich darin, meine Damen und Herren —, dann sei das nach den Wahlen ein Pluspunkt. Ich sage hier nichts, was ich nicht beweisen kann.

    (Zuruf von der SPD: Herr Hellwig, was sagen Sie jetzt? — Gegenruf des Abg. Dr. Hellwig: Ich mache Sie auch nicht für den Mist jedes Ihrer Geschäftsführer auf der unteren Ebene verantwortlich!)

    Ich habe Leute gefragt, die bei dieser Besprechung dabeigewesen sind.

    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard: Das habe ich schon widerlegt!)

    — Herr Bundeswirtschaftsminister, ob Sie es widerlegt haben oder nicht, ich weiß es nicht, ich habe es ja noch nicht gehört. Jedenfalls ist das eine sehr schwerwiegende Behauptung, die nicht damit abgetan ist, daß Sie hier über den Tisch rufen: Das habe ich schon widerlegt.

    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard: Das ist das Gegenteil von dem, was ich durch zehn Jahre hindurch gemacht habe!)

    — Ja, vielleicht offiziell. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe schon oft festgestellt, daß zwischen Ihren offiziellen Äußerungen und dem, von dem man hört, was manchmal in Ihrem Amt und in Ihrer Anwesenheit gesprochen wird, bedenkliche Unterschiede bestehen.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Früher, als ich mit politischen Dingen noch nicht so viel Berührung hatte wie jetzt, habe ich mir immer gedacht: Na, das wird immer mal vorkommen, daß eine Regierung mit bestimmten Interessengruppen etwas abkartet, wie das auch hier offenbar geschehen ist. Aber dann habe ich mir auch vorgestellt: Wenn das herauskommt, daß auf eine solche Art politischer Schleichhandel getrieben worden ist, dann ist der Mann, der ihn betrieben hat, eigentlich überfällig; dann muß er aus dem Amt ausscheiden.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    — Sie mögen das für eine sehr harte Bezeichnung halten.

    (Abg. Wehner: Schleichhandel ist nicht verboten, Herr Präsident! In der freien Marktwirtschaft nicht!)

    — „Politischer Schleichhandel" habe ich gesagt.


Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Wehner, Sie haben recht. „Politischer Schleichhandel", das lasse ich passieren; aber nicht deshalb, weil es mir gefällt, sondern weil mir die Freiheit in diesem Hause noch mehr gefällt. Deshalb lasse ich es passieren.

(Abg. Metzger: Weil Sie die Pflicht dazu haben!)

— Einen Augenblick, Herr Kollege Metzger! Weil ich die Pflicht dazu habe? Lesen Sie doch einmal bei meinem Landsmann Schiller nach über Pflicht und Neigung! Das muß nicht unbedingt ein Widerspruch sein.

(Beifall und Heiterkeit.)

— Der Beifall freut mich, mindestens für Friedrich Schiller.

(Erneuter allgemeiner Beifall und Heiterkeit.)


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    Rede von Georg Leber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, ich möchte auf etwas weiteres hinweisen, nämlich auf das, an dem sich meiner Auffassung nach die Preissteigerungen der letzten Monate entzündet haben. Die Bundesregierung ist scheinbar Bindungen eingegangen, die sie zu allzu großer Toleranz den Leuten gegenüber verpflichtet hat,

    (Abg. Stingl: Wirklich scheinbar! Da haben Sie das richtige Wort getroffen!)

    die an diesen Preissteigerungen ein Interesse haben.

    (Abg. Stingl: Der Schein trügt!)

    Die Subventionen, die nach der Diskussion in diesem Hause gestrichen worden sind, liegen auf der-



    Leber
    selben Ebene. Vergessen Sie doch bitte nicht, daß diese Subventionen in erster Linie die breiten Massen der Bevölkerung belastet haben und daß man auf anderen Gebieten, wo man auch Subventionen gezahlt hat, sie nicht gestrichen hat, sondern sie noch weiterhin zahlt! Ich erinnere Sie an die Einlösung des Versprechens, das der Herr Bundeskanzler den Zuckerrübenbauern gegeben hat. Dort hat man noch nach den Wahlen versucht, neue Subventionen zu gewähren, aber da, wo die breiten Massen der Bevölkerung belastet werden, hat man sie gestrichen.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat von Preisentzerrung geredet. Ich habe das Gefühl, es ist dabei nicht nur um eine Preisentzerrung gegangen, sondern es ist ihm in erster Linie darauf angekommen, seinen Kollegen Etzel und Strauß zur Finanzierung der Rüstungsaufgaben Schützenhilfe zu leisten, denn der Bund hat echte Ausgaben, die er sonst tätigen müßte, dabei erspart. Das Entscheidende aber ist: die Belastung trifft die breiten Massen der Bevölkerung. Das sind doch wesentliche Dinge, die man sehen muß.
    Dazu kommt, daß in einer Situation, in der die vielen Millionen Arbeitnehmer in unserem Staat eine echte Schmälerung ihres Lebenstandards hinnehmen müssen,

    (Widerspruch in der Mitte)

    gleichzeitig die Dividenden der großen Kapitalgesellschaften erhöht werden.

    (Beifall bei der SPD. — Unruhe und Zurufe in der Mitte.)

    Der Reallohn ist — das behaupte ich und beweise es Ihnen auch —

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Sie waren vorhin nicht da, als ich die Zahlen genannt habe — in den letzten zwölf Monaten gesunken. Der Arbeitnehmer hat heute in seiner Lohntüte nicht mehr die Kaufkraft, die er vor zwölf Monaten einmal drinhatte.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stingl: Die Textilarbeiter auch? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie nicht ab und zu auch einmal die Gewerkschaftlichen Monatshefte?)

    — Die Gewerkschaftlichen Monatshefte sind fast so tolerant wie der Herr Präsident dieses Hauses;

    (Beifall bei der SPD)

    sie lassen auch Leute reden, die mal eine andere Auffasung vertreten.

    (Abg. Dr. Hellwig: Das wollen Sie doch nicht von Herrn Baade sagen?)

    Die Dividenden sind bei sehr vielen Kapitalgesellschaften auf 12% gestiegen, und sie wissen so gut wie ich, daß eine ganze Anzahl von Gesellschaften überlegen, ob sie nicht von 12 auf 15% gehen sollten. Die Frage wird ernsthaft diskutiert. Man verzichtet lediglich aus psychologischen Gründen darauf, das zu tun.
    Aber, meine Damen und Herren, vergessen Sie bitte folgendes nicht. In der gleichen Zeit, in der die Bundesregierung und der Herr Bundeswirtschaftsminister den breiten Massen der Bevölkerung Belastungen auf eine solche Art zumuten, werden dem Großverdienertum Gratisaktien angeboten, steuerfreie Geschenke, Vermögenszuwachs in einer Zeit, in der man den breiten Massen der Bevölkerung gegenüber von einem nationalen Opfer spricht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Leber, Herr Baade sieht Sie ganz bedenklich an bei der Theorie, die Sie hier vorbringen! — Abg. Rasner: Nehmen Sie ihn mal ins Kolleg, Herr Baade!)

    — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, das ist eine Sache, über die kann man natürlich reden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Abg. Stingl: Reden Sie ruhig!)

    Es steht fest, daß der Lebensstandard der Lohn-und Gehaltsempfänger gesunken ist und daß auf der anderen Seite Steuergeschenke der Regierung als Vermögenszuwachs in die Hände derer gegeben werden, die sie zu bekommen haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

    — Das wird doch bei der Bundesregierung diskutiert. Wenn ich mich nicht täusche, werden die ersten Vorlagen in der nächsten Zeit auf uns zukommen.
    Etwas ist weiter sehr bedenklich, meine Damen und Herren. Alle die, die noch arbeiten, können sich gegen die Auswirkungen dieser wirtschaftspolitischen Manipulationen wehren. Ich verweise auf die Rentner. Ihnen hat man vor den Wahlen die Rentenerhöhung gegeben und hat sie ihnen noch mit einem persönlichen Brief des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesarbeitsministers avisiert. Die Renten, die vor den Wahlen den Leuten attestiert worden sind, sind in der Zwischenzeit in aller Stille um 5 % abgewertet worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    — Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, der Index für die Lebenshaltung der mittleren Verbrauchergruppe — der Rentner liegt sicher nicht in der mittleren Verbrauchergruppe; denn diese beruht auf einem Einkommen von etwa 400 DM — ist vom März 1957 bis zum Februar 1958 um 4,5 % gestiegen. Wenn man das auf ein niedrigeres Einkommen überträgt, bei dem der Faktor Ernährung — wie beim Rentner — noch einen größeren Teil des Einkommens ausmacht, dann ist es sicherlich nicht übertrieben, wenn ich sage: Um 5% ist die Kaufkraft des Rentners geschmälert. Wahrscheinlich ist das noch eine schmale Bemessung.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich finde, Sie sind alle recht oberflächlich mit Ihren Zwischenrufen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Leber
    Meine Damen und Herren, man hat heute hier sehr viel von der Vernunft des Lohnempfängers gesprochen. Ich hätte gern einmal die Ansicht des Herrn Bundeswirtschaftsministers dazu gehört. Ich habe in dieser Sache viel von ihm gehört, aber etwas nicht; ich will Ihnen sagen, was ich meine. Der Herr Professor Röpke — sicher nicht Sozialist oder vielleicht verdächtig, ein geheimes Ehrenmitglied der Gewerkschaften zu sein —, hat im März 1957 in Paris vor französischen Unternehmern ein Referat gehalten — Sie können das nachlesen; ich stelle es Ihnen gern zur Verfügung —, und zwar. über das Thema,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie denn Französisch?)

    warum sich die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik und Frankreichs so unterschiedlich vollzogen hat. Professor Röpke hat in Paris vor französischen Unternehmern — ich glaube nicht, daß er das auch vor deutschen sagen würde, weil die Gefahr bestünde, daß es bekannt würde —

    (Abg. Stingl: Wir laden ihn öfters ein!)

    erklärt, der deutsche Aufbau, das, was man bei uns als Wirtschaftswunder bezeichnet, sei nicht nur darauf zurückzuführen, daß bei uns tüchtige Unternehmer vorhanden seien und die Wirtschaftspolitik nicht schlecht sei, sondern in erster Linie darauf, daß die Arbeitnehmerschaft in den Jahren des Rufhaus, in diesen zehn Jahren, ein außerordentlich beachtliches und größeres Maß an Vernunft gezeigt habe als sonst in Europa.

    (Beifall bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Das hat niemand bestritten!)

    Warum sagt man das dann hier nicht? Warum wirft man dem Arbeitnehmer bei jeder Gelegenheit Unvernunft vor?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Warum wirft man ihm bei jeder Gelegenheit vor
    — so wie es auch heute in diesem Hause wieder geschehen ist —, daß die Löhne, weil sie die Produktivitätsquote übersteigen würden, die Preissteigerungen auslösen, und wer weiß was alles?
    Ich will Ihnen eines sagen. Die Arbeitnehmerschaft ist sich sehr wohl bewußt gewesen, — —

    (Abg. Stingl: Wir gehören doch schließlich auch dazu! Tun Sie doch nicht, als seien das nur Sie!)

    — Ich bestreite gar nicht, daß Sie dazu gehören.
    — Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerschaft ist sich in den zehn Jahren des Aufbaues sehr wohl bewußt gewesen, daß sie Opfer zu bringen hatte. Sie ist sich allerdings auch klar darüber — vielleicht bestreiten Sie das auch —, daß der Verzicht und das Opfer der Allgemeinheit in den Jahren des Aufbaues in der Zwischenzeit in den Händen von einigen Zehntausend Leuten leider zu Eigentum erstarrt ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wo hätte es denn sonst herkommen sollen, wenn es nicht von der Allgemeinheit erspart worden wäre?
    Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerschaft beobachtet auch, und es geht eine tiefe Unruhe durch die Millionen von Menschen draußen,

    (Abg. Krammig: Durch die Gewerkschaft verursacht!)

    auf welche Weise die Rüstung in dem nun vor uns liegenden Abschnitt finanziert werden soll — ob es auch wieder so geschieht, daß die Massen zu verzichten haben, daß den Massen ein nationales Opfer zugemutet wird, daß die Massen eine Stunde mehr arbeiten sollen, und die anderen verdienen in aller Stille und in aller Offenheit an dem Geschäft.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht können Sie das am 1. Mai reden!)

    Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Heck hat in der Sitzung am Freitag Ausführungen gemacht, von denen ich der Auffassung bin, daß sie wichtig sind. Herr Kollege Heck hat hier davon gesprochen, daß neben die Rüstung in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West die geistige Macht tritt. Der Herr Bundesinnenminister sprach zwar davon, daß das in erster Linie eine sittliche Frage sei. Ich bin der Meinung, das ist eine politische Frage. Chruschtschow hat vor einem Jahr in Kiew verkündet, daß der Krieg in Richtung Butter geht. Deshalb tritt neben die Rüstung, deshalb tritt neben die geistige Macht die soziale Macht der Gruppen, die nun in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West miteinander ringen. Alle, die an der Lösung dieser Spannungen zwischen Ost und West und an einem Bestehen der westlichen Welt in diesen Spannungen interessiert sind und die daran glauben, daß diese Spannungen ohne Krieg gelöst werden können, müssen bereit sein, dafür zu sorgen, daß die soziale Ordnung in diesem Staat und in der westlichen Welt so fundiert wird, daß die Menschen in der Lage sind, daran zu glauben, daß es gerecht zugeht, daß nicht viele arbeiten müssen und nur wenige ernten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nur dann wird diese Auseinandersetzung zwischen West und Ost in der richtigen Weise bestanden werden können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Auseinandersetzung ist seit Jahren im Gange. Sie wird weitergehen. Die primitivste Art, die Spannungen zwischen Ost und West zu beseitigen, ist der Weg über eine kriegerische Auseinandersetzung. Es gibt hier in diesem Hause niemanden, der das möchte.

    (Abg. Stingl: Es gibt die primitivere: die Kapitulation!)

    Ich unterstelle auch, daß es keinen Deutschen gibt, der der Auffassung ist, daß man diese Spannung auf eine kriegerische Weise lösen kann. Wenn es gelingt, diesen Krieg zu vermeiden — und das ist



    Leber
    unser aller Hoffnung —, dann wird die Auseinandersetzung zwischen Ost und West, zwischen der Welt des Ostens und der Welt des Westens — bleiben; es wird ein Ringen und eine Konkurrenz des Geistes, es wird ein Ringen der Bildung und der Ausbildung,

    (Abg. Schütz [München]: Das sehen wir in der Zone!)

    ein Wettbewerb der sozialen Ordnung und des materiellen Wohlstandes sein; es wird ein Bewähren der inneren Festigkeit, der sittlichen und der moralischen Werte, die den Völkern innewohnen, aber auch — und das wird sicher eine der wesentlichen Grundlagen sein — ein Ausdruck der Zufriedenheit bei den Bürgern beider Welten sein. Diese Auseinandersetzung der Kräfte des Friedens wird letztlich die Entscheidung über den Bestand des Bolschewismus im Osten oder unseres westlichen Freiheitsideals erbringen. Diese Auseinandersetzung wird mit allen nichtmilitärischen Mitteln, die es überhaupt gibt, und auf allen Ebenen geführt werden. Sie wird nicht von dem Volk bestanden werden können, das letztlich die größten Stapel an Granaten und Geschossen aller Art und die gefülltesten Arsenale, aber Bürger aufzuweisen hat, die von der Gerechtigkeit der bestehenden Ordnung nicht erfüllt sind. Für Rekorde an Dividenden westdeutscher Aktionäre, für die ständig steigenden Vermögenswerte in den Händen weniger kann kein denkender Mensch bereit sein, den Kopf hinzuhalten.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Antwort auf diese Frage, meine Damen und Herren, kann man nicht in so leicht verständlicher Weise geben, wie es der Herr Bundeskanzler tut, wenn er sagt: Es geht uns doch heute allen besser als vor zehn Jahren!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Marxist!)

    Meine Damen und Herren, darum geht es nicht, daß es uns heute besser geht als damals. — Sie brauchen nicht so gehässig „Marxist" zu rufen, mein lieber Kollege.

    (Abg. Rasner: Sagen wir: Klassenkampf!)

    Ich könnte Ihnen einiges darauf erwidern. Ich will Ihnen aber nur das sagen: In der Zeit, in der viele von Ihnen — und es hängt ja hier manches auch mit Christentum und mit Gerechtigkeit zusammen — ihre damalige politische Auffassung nicht mit der Zugehörigket zu einer Kirche in Einklang bringen konnten, habe ich als Ministrant in einer katholischen Kirche am Gottesdienst mitgewirkt.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich bin damals nicht aus der Kirche ausgetreten, während manche von Ihnen ihre politische Auffassung damals nicht mehr mit der Zugehörigkeit zu einer Kirche in Einklang bringen konnten, und ich trete heute nicht aus, weil manche von Ihnen wieder drin sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben deshalb gar keine Veranlassung, hier solche Zwischenrufe zu machen.
    Das, was ich meine, wenn ich von Fortschritt rede, ist folgendes. Ich darf mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten ein paar Worte zitieren, die der Jesuitenpater Professor Oswald von Nell-Breuning vor zwei Jahren vor katholischen Unternehmern gesprochen hat:
    Der Osten hat in großem Umfang — so sagte er
    ein neues soziales System eingeführt, eine Sozialreform im vollen Sinne des Wortes, eine strukturelle Reform der Gesellschaft vollzogen. Im Westen redet man von Sozialreform. Es zeigt sich ein eigentümliches Vorherrschen restaurativer Tendenzen. Es ist besorgniserregend, wie selbstzufrieden gefährlich die westliche Welt in ihren sozialen und ökonomischen sowie ihren politisch-demokratischen Verhältnissen ist. Trotz vieler wirtschaftlicher Erfolge ist in Westdeutschland etwas Vergleichbares, was uns vorwärtsgebracht hätte, nicht vorhanden, die fällig gewordene Überwindung des Kapitalismus nicht verwirklicht, sind nur sehr geringe Fortschritte im Sinne einer strukturellen Reform der Gesellschaft zu verzeichnen.
    Meine Damen und Herren, das ist nicht von einem Marxisten, sondern von Professor von Nell-Breuning!
    Die Bundesrepublik liegt an der Nahtstelle zwischen Ost und West. Niemand denkt daran, den freien Völkern des Westens, dem wir verbunden sind, den Rücken zu kehren. Im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen des Westens, gegenüber dem Osten zu bestehen, ist es aber sicher nötig, die Frage zu bedenken, ob der Bundesrepublik nicht eine besondere Aufgabe in den vielseitigen Auseinandersetzungen zufällt. Ich meine nicht die Rolle, daß die Bundesrepublik das Fußvolk zu stellen hat. Die Bundesrepublik muß ein Musterbeispiel an sozialer Ordnung und fortschrittlichen Wirkens werden. Das wäre eine Rolle an der Nahtstelle zwischen Ost und West. Um in dieser Rolle besonders im Hinblick auf den Osten bestehen zu können, braucht die Bundesrepublik nicht einen Abbau ihres sozialen Standards, wie er hier in den letzten Monaten geschehen ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!)

    Die Rüstung zerrüttet auf lange Sicht unsere sozialen Verhältnisse. Wenn die Frage gestellt ist, was auch aus politischen Gründen den Vorrang haben muß, dann muß die Antwort lauten: In der Bundesrepublik ist wegen der besonderen Lage dieses Landes eine Frontzulage zur sozialen Ordnung nötig und nicht ein Rückgang unseres sozialen Standards,

    (Beifall bei der SPD)

    so viel Wohlstand und soziale Ordnung und soziale Gerechtigkeit,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    daß dieser Staat in den Herzen seiner Bürger ein
    verteidigenswertes Anliegen ist. Diese Aufgabe darf



    Leber
    durch den Rüstungsaufwand nicht in den Hintergrund gedrängt werden, wie es offensichtlich geschieht und noch mehr in der Zukunft geschehen wird.

    (Beifall bei der SPD.)