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ID0302301800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 23. Sitzung Bonn, 18. April 1958 Inhalt Nachruf auf den Abg. Wolfgang Klausner 1221 A Antrag der Fraktion der SPD, den Gesetzesantrag auf Befragung des deutschen Volkes (Drucksache 303) auf die Tagesordnung zu setzen Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1221 C Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 1223 B Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen (Drucksache 154) Dr. Ratzel (SPD) 1224 C Dr. Schröder, Bundesminister 1231 A, 1268 B Dr. Heck (Rottweil) (CDU/CSU) . . 1240 C Lohmar (SPD) . . . . . . 1252 B, 1272 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . . 1257 B Probst (Freiburg) (DP) . . . . . . 1260 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . . 1262 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . . 1263 C Dr. Frede (SPD) . . . . . . . . 1265 A Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestags (CDU/CSU, SPD, FDP, DP) (Drucksache 327) — Erste Beratung — Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 1244 C Sammelübersicht 4 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen zu Petitionen (Drucksache 280) . . . 1273 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landbeschaffungsgesetzes (SPD) (Drucksache 272) — Erste Beratung — Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 1273 B Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1274 B Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 29) 1275 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . 1275 C Anlagen 1277 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1958 1221 23. Sitzung Bonn, den 18. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 17. 5. Dr. Arndt 19. 4. Dr.-Ing. E. h. Arnold 19. 4. Dr. Baade 18. 4. Bauereisen 26. 4. Bauknecht 10. 5. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Dr. Becker (Mönchen-Gladbach) 18. 4. Blöcker 18. 4. Dr. Böhm 18. 4. Frau Dr. Brökelschen 26. 4. Dr. Bucerius 19. 4. Cillien 18. 4. Conrad 18. 4. Corterier 18. 4. Dr. Czaja 26. 4. Dr. Dehler 19. 4. Diel (Horressen) 5. 5. Dr. Eckhardt 30. 4. Eichelbaum 3. 5. Even (Köln) 19. 4. Felder 30. 4. Dr. Frey 26. 4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Dr. Furler 19. 4. Gedat 18. 4. Gehring 19. 4. Dr. Greve 21. 4. Günther 18. 4. Häussler 30. 4. Heinrich 15. 5. Frau Herklotz 25. 4. Hilbert 18, 4. Höcherl 10. 5. Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 19. 4. Iven (Düren) 26. 4. Jacobi 18. 4. Jacobs 24. 4. Jahn (Frankfurt) 18. 4. Jaksch 18. 4. Dr. Jordan 18. 4. Kiesinger 18. 4. Frau Kipp-Kaule 19. 4. Kirchhoff 18. 4. Koenen (Lippstadt) 19. 4. Kriedemann 19. 4. Dr. Krone 18. 4. Kuntscher 18. 4. Kunze 15. 5. Dr. Leverkuehn 18. 4. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Dr. Maier (Stuttgart) 26. 4. Mattick 18. 4. Frau Dr. Maxsein 18. 4. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Mellies 25. 4. Merten 19. 4. Meyer (Oppertshofen) 26. 4. Neuburger 18. 4. Frau Niggemeyer 30. 4. Paul 30. 4. Dr. Pferdmenges 18. 4. Rademacher 19. 4. Ramms 18. 4. Riedel (Frankfurt) 18. 4. Ruland 18. 4. Scheppmann 2. 5. Schneider (Bremerhaven) 18. 4. Dr. Schneider (Saarbrücken) 18. 4. Schultz 18. 4. Schütz (Berlin) 18. 4. Frau Dr. Schwarzhaupt 19. 4. Simpfendörfer 19. 4. Sträter 31. 5. Struve 7. 5. Dr. Wahl 15. 5. Walpert 19. 4. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 18. 4. Frau Welter (Aachen) 18. 4. Dr. Zimmer 26. 4. Anlage 2 Umdruck 47 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD (Drucksache 154) betr. Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, auf der Grundlage der im Grundgesetz festgelegten Verteilung der Kompetenzen Verhandlungen mit den Ländern darüber aufzunehmen, welche Aufgaben auf dem Gebiet der Kulturpolitik künftighin nur vom Bund, nur von den Ländern oder von Bund und Ländern gemeinsam gefördert werden sollen. Bonn, den 18. April 1958 Dr. Krone und Fraktion Anlage 3 Umdruck 48 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der SPD (Drucksache 154) betr. Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, dahin zu wirken, daß als Sitz des Wissenschaftsrates Berlin bestimmt wird. Bonn, den 18. April 1958 Ollenhauer und Fraktion 1278 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1958 Anlage 4 Umdruck 29 Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse. Der Bundestag wolle beschließen: Die folgenden Anträge werden gemäß § 99 Abs. 1 GO ohne Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen: 1. Antrag der Abgeordneten Schmidt (Hamburg) und Genossen betr. Inanspruchnahme von Naturschutzgebieten für militärische Zwecke (Drucksache 191) 2. Antrag der Abgeordneten Dr. Franz, Wieninger, Dr. Besold und Genossen betr. Freigabe des Rasthauses am Chiemsee (Drucksache 196) 3. Antrag der Fraktion der FDP betr. Postgebühren (Drucksache 265) 4. Antrag der Abgeordneten Dr. Wahl, Metzger, Dr. Kopf und Genossen betr. Interan den Ausschuß für Inneres an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen(f), Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen an den Rechtsausschuß nationale Schiedsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Privatrechts (Drucksache 267) 5. Antrag der Abgeordneten Dr. Zimmer, Dr. Kopf, Metzger und Genossen betr. Schaffung eines europäischen Beamtenstatuts (Drucksache 268) 6. Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein, Altmaier und Genossen betr. Maßnahmen zur Befreiung der politischen Gefangenen in den Diktaturländern (Drucksache 269) 7. Antrag der Fraktion der SPD betr. Berliner Filmfestspiele (Drucksache 271) an den Rechtsausschuß(f), Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten(f), Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik Bonn, den 18. März 1958 Dr. Krone und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wilhelm Probst


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe wirklich die Absicht, es Ihnen, Herr Präsident, leicht zu machen; denn der Pfad, den die bisherige Diskussion in das Dickicht der heutigen Probleme geschlagen hat, ist schon recht breit getreten. Ich bin versucht zu sagen: während ich ihn entlanggehe und die Blumen, die noch übersehen worden sind, pflücke, kann ich beinahe ein Selbstgespräch führen.
    Ich habe den Eindruck gewonnen, daß sich das Hohe Haus über die Notwendigkeit, auf dem Gebiete der Nachwuchsförderung etwas zu tun, einig ist. Ich möchte sagen: es ist sich in der Zielsetzung beinahe einig. Gestatten Sie mir trotzdem, gerade dazu noch einige Lichter zu setzen.
    Wir leben in einer sehr stürmischen Zeit. Unser politisch überkommenes Ordnungsgefüge ist zerstört. Deutschland ist zweigeteilt. Die Bundesrepublik ist an den Rand der westlichen Hemisphäre gerückt, während Deutschland einst in der Mitte des europäischen politischen Raums gelegen hat. Ganz Europa lebt nur noch im Schatten seiner einstigen Größe. Der Mensch hat sich die Kernenergie zunutze gemacht. Wir bauen heute automatische Fabriken und sind dabei, ins Weltall vorzustoßen. In dieser Situation hat man das Gefühl, daß der Mensch in der Gefahr schwebt, daß seine sittlichen und ethischen Kräfte durch die Entfaltung der materiellen Gewalt überrollt werden. Deshalb sollten wir uns, wenn wir die Wissenschaften und unseren wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, auch überlegen, ob wir dabei nicht eine ganz bestimmte Zielsetzung im gesellschaftsbildenden Sinne verfolgen sollten. Ich meine, wir müssen es tun aus den Notwendig-



    Probst
    keiten heraus, in die wir gegenwärtig hineingestellt sind, und wir sollten diese Zielsetzung darin sehen, den Menschen mit der humanistischen und universalen Ausbildung zu schaffen, damit wir ihm in ihm selbst die Kräfte mitgeben, deren er in der Zukunft bedarf, um mit der Technik und ihren Problemen, die die Entfesselung der Energien mit sich bringt, fertig zu werden.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Die Förderung der Naturwissenschaften ist im Vergleich zu den Geisteswissenschaften heute in einem Maße in den Vordergrund gerückt, das kaum mehr erträglich ist. Diese Erscheinung ist in allen technisierten Ländern zu beobachten. Sie hat ihren wesentlichen Grund darin, daß die Mittel für die Forschung, für die Wissenschaft, für die Erziehung und für den Nachwuchs im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Zweckbindung gegeben werden und überwiegend aus den Verteidigungshaushalten kommen.
    Unter der Bedrohung, in dieser technischen Entwicklung auch mit unserem Menschenpotential nicht mehr zu Rande zu kommen, hören wir seit langem die verschiedensten Parolen. Vor Jahren sagte man uns: Ihr müßt ein Volk von Fliegern werden! Heute sagt man uns: Ihr müßt ein Volk von Technikern werden! Gerade in den Darlegungen meiner Herren Vorredner schwang immer so im Untergrund die These mit: Lernt heute Mathematik, wenn ihr verhindern wollt, daß ihr morgen Russisch lernen müßt! Ich halte diese Gedanken als Grundgedanken bei der Förderung des Nachwuchses und der Wissenschaften für außerordentlich gefährlich. Wir brauchen nämlich den wissenschaftlichen Nachwuchs gar nicht in dem Sinne, daß es uns nur darauf ankommt, für bestimmte Berufe den notwendigen Nachwuchs zu stellen. Ich bin überzeugt, daß gegenwärtig im Osten bei den Sowjets gigantische Armeen von Technikern aufgestellt werden, aber selbst dann halte ich diesen Gesichtspunkt noch nicht für den ausschließlich zutreffenden.
    Wir sollten mit unserer Förderung des Nachwuchses erreichen, daß wir den kritischen Menschen erfassen und ihn nach vorn spielen; denn andernfalls, wenn wir den Weg der anderen mitgehen, fördern wir nur die Teilung in Funktionen in unserer modernen Welt. Wir geben ihr einen Menschen, der aus seinem spezialistischen Sehen heraus mit dieser — in ihre Funktionen vielfältig geteilten — Welt nicht mehr fertig wird. Deshalb müssen wir der Zukunft den jungen Menschen mitgeben, der aus seiner Bildung heraus den Blick fürs Ganze noch zur Grundlage hat und mit dem Blick fürs Ganze zu einem späteren Zeitpunkt erst die Reiser aufsetzt, die er für seine Ausbildung im Beruf braucht. Diese Grundlage, die Gabe, unterscheiden zu können, das Wissen um die Zusammenhänge, ist nämlich das Charakteristikum des Gebildeten. Der so Gebildete ist der große Gegenspieler des Spezialisten im östlichen Sinne, weil dieser Gebildete nicht manipulierbar ist. Ich möchte so weit gehen, zu sagen: ob es gelingt, eine neue Elite nach dem Leitbild der europäisch-abendländischen Humanitas zu schaffen, das entscheidet letztlich über unsere freiheitliche Lebensordnung in der Zukunft. Dieses
    Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn wir die Hochschulen ihrer ursprünglichen und ursächlichen Aufgabe erhalten, nämlich ohne zweckbedingte Lenkung der Wahrheit zu dienen, indem wir ihnen die Möglichkeit der freien Forschung erhalten. Mit der zweckbedingten Hergabe der Mittel, die unter allen möglichen Gesichtspunkten zur Entwicklung bestimmter Waffen oder Geräte oder sonstiger technischen Dingen gegeben werden, gefährden wir diese Grundhaltung, weil wir dadurch die für unsere Zukunft entscheidenden Bildungsinstrumente ihrer primären Aufgabe entfremden.
    Es ist kein Zufall, wenn uns die Lehrer an Technischen Hochschulen und auch Leute in der Wirtschaft sagen, daß immer noch der Student die höchste Leistung vollbringt, der eine breite, eine ganzheitliche Bildung in die Spezialausbildung bereits mitbringt, der Abstand von den Dingen halten kann, der sie aus diesem Abstand richtig beurteilt und dadurch am produktivsten in seiner Phantasie ist. Selbstverständlich wissen wir auch, daß heute niemand mehr produktiv sein kann, der nicht in seinem Fach ein spezialisierter Kenner ist. Aber er muß wissen, zu welchem Ganzen seine Spezialität gehört, und er muß kraft dieser Einsicht mit der Entwicklung Schritt halten können.
    Wenn wir die Spezialisierung so verstehen, dann sehe ich darin keine Gefahr. Gerade aus den Vökern, die das Spezialistentum zum Ziel der gesamten Ausbildung machen, werden heute auch Stimmen laut, die darin Gefahr sehen. Es ist heute schon hier in der Diskussion angeklungen, daß sich auch die Amerikaner sehr ernste Gedanken um eine Reform ihrer Bildungswege machen. Eine solche Reform kann aber nur im Sinne dieser meiner Ausführungen die richtige sein. Wir sollten also das allzu enge Spezialistentum meiden, aber mit Nachdruck alles fördern, was eine neue Form des universellen Erkennens enthält.
    Unsere Universitäten sind heute gerade deshalb, weil wir die Mittel vom Zweck her geben, in die Gefahr gebracht, daß sie als die Mutter von dem Gnadenbrot ernährt werden, das ihnen ihre Tochter, die zweckgebundene Forschung, die zweckgebundene Entwicklung, gibt. Daß sie von diesem Gnadenbrot leben müssen, davor sollten wir sie, wenn wir es mit ihrer Grundaufgabe ernst meinen, bewahren.
    Gestatten Sie mir noch ein paar kurze Gedanken über unsere Situation. Der einst international anerkannte Rang unserer Wissenschaft ist von den anderen Ländern zumindest eingeholt, wenn nicht überholt. Das ist für uns deshalb besorgniserregend, weil wir durch unsere Bevölkerungsdichte, durch unsere Kriegsschäden, durch unsere Rohstoffarmut und durch den Zwang, daß unser Volk nur durch den Verkauf menschlicher Arbeitskraft zu ernähren ist, in einer schwierigen Situation sind. Wir sind ein strukturelles Exportland. Wir können die Ernährung unseres Volkes künftig nur dann garantieren, wenn es uns gelingt, auf dem Gebiet der Forschung wieder an die vorderen Plätze heranzukommen.
    Ich bin der Meinung, daß unsere Substanz — das haben auch einige der Herren Vorredner schon zum



    Probst
    -Ausdruck gebracht — auf diesem Gebiet nicht erschöpft ist. Unsere geistige schöpferische Substanz ist vorhanden. Es kommt für uns darauf an, ihr durch die entsprechenden organisatorischen und technischen Hilfen wieder den Weg frei zu machen. Diese Hilfen müssen im Gesamtgefüge unseres Schulwesens wirksam werden und schon unten bei der Grundschule beginnen.
    Wenn von der Notlage einer bestimmten Institution die Rede ist, dann gilt der Satz, den die Eltern- und Lehrerverbände in Niedersachsen ausgesprochen haben: daß unsere Schule in Not ist. Ich möchte es umfassend sagen: bis hinauf zu den Universitäten, vielleicht auch etwas dämpfend sagen: sie ist noch in Not. Ich brauche Ihnen die Dinge im einzelnen nicht mehr darzulegen. Darüber ist genug gesagt.
    Vielleicht ist ein Grund für diese Notlage noch nicht genannt worden. Ich meine die zunehmende Gefahr der Abwerbung qualifizierter Lehrkräfte in das Ausland. Es ist heute für unsere Lehrkräfte nicht mehr interessant genug, in Deutschland zu arbeiten und zu lehren. Die Angebote des Auslands sind zu verlockend. Auch hier müssen wir etwas tun, wenn wir unseren Platz in der Rangordnung dieser Welt behaupten wollen. Ich glaube nicht daran, daß es einer Nation noch möglich ist, ihn zu behaupten, wenn sie nicht einen ausreichenden eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern bereit und vor allem nicht in der Lage ist, ihn zu halten.
    Der Kampf um die Fortexistenz eines Volkes spielt sich nicht nur im militärischen oder im wirtschaftlichen Bereich ab. Viel entscheidender für die Rangordnung der Völker dieser Erde ist die Behauptung der geistes- und naturwissenschaftlichen Position in der Zukunft. Je mehr der Krieg sich als ein die Rangordnung entscheidendes Mittel selbst ad adsurdum führt, um so mehr verlagert sich das Feld der Entscheidung in die Hörsäle.
    Hier ist es interessant, festzustellen — nur ganz grob —, wie wir unser Volkseinkommen verwenden. Ich möchte sagen, wir verwenden es in erster Linie, um unsere Vergangenheit zu liquidieren,

    (Sehr wahr! bei der DP)

    nämlich über die Sozialleistungen und über die Kriegsfolgelasten. Weiter verheizen wir es, um uns die Gegenwart durch einen möglichst hohen Standard angenehm zu machen. Aber was tun wir für die Zukunft? Über diese entscheiden die Erziehung, die Ausbildung und der Stand der Wissenschaft. Da sollte uns kein Opfer groß genug, sollte uns aber auch keine Überlegung schwierig genug sein, um das Problem zunächst einmal von der materiellen Seite her zu lösen.
    Man unterstelle mir jetzt bitte nicht: Ja, es ist ganz gut, davon zu reden, wir haben so lange davon gehört und geredet; jetzt kommt es auf Taten an. — Wir haben noch Reserven, die wir nutzen können, ohne daß das gleichzeitig etwa mit einer Senkung des Lebensstandards oder mit einer Senkung der Sozialleistungen verbunden sein müßte. Ich denke hier an die großen Reserven des Bundesvermögens, die in die Privatwirtschaft zu überführen die Bundesregierung uns in ihrer Regierungserklärung ja zugesagt hat. Den Erlös daraus sollten wir weitgehend für die Finanzierung dieser zukunftsträchtigen Aufgaben verwenden.
    Meine Damen und Herren, wir haben im Anschluß an die Atomdebatte viele herausfordernde Äußerungen über den nationalen Notstand gehört. Wenn es einen solchen gibt, dann gibt es ihn auf diesem Gebiet der Erziehung und der Ausbildung.

    (Sehr wahr! bei der DP.)

    Wir sollten gemeinsam alles tun, um ihn schleunigst zu beseitigen.
    Hier hilft auch kein Verstecken hinter der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Wir dürfen uns nicht scheuen, mit den notwendigen Mitteln nachzufassen, wenn es nur die Zuständigkeitsfragen sein sollten, die uns hindern, in dieser für die Zukunft unseres Volkes schicksalsentscheidenden Lebensfrage das Richtige zu tun.
    Vielen von uns klingt noch die Frage im Ohr, die uns in der russischen Gefangenschaft und unseren nach dem Osten verschleppten Brüdern und Schwestern als erste gestellt wurde. Die Russen fragten: Du Spezialist? Das ist die typische Frage des atheistischen Materialismus. Wir müssen heute so handeln, daß wir morgen unseren eigenen ausgebildeten, unseren gebildeten Nachwuchs fragen können: Bist du ein Mensch? Wenn wir das können, dann haben wir — ich sage es noch einmal — das Richtige für die Lösung der zukunftsentscheidenden Aufgabe der Erziehung und der Ausbildung getan.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Kurt Pohle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich darf dem Hause zur Erleichterung der Abreisedispositionen mitteilen, daß zwei der Herren Kollegen ihre Wortmeldungen schon zurückgezogen

(Zurufe: Bravo!)

und zwei weitere Kollegen dem Präsidium mitgeteilt haben, daß sie nur noch Kurzbeiträge zur Debatte beizusteuern gedenken.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der vorgeschrittenen Stunde nur ganz wenige Minuten.
    Herr Kollege Lohmar, ich freue mich, daß Sie in Ihren Ausführungen versucht haben, sich von der roten Farbe freizuschwimmen.

    (Zurufe von der SPD.) — Doch, das Wort ist gefallen.


    (Abg. Dr. Ratzel: Stellen Sie sich das mal physikalisch vor: „sich von der roten Farbe freizuschwimmen"!)

    Ich kann nur sagen, die Farbe Ihrer Partei ist nun einmal rot, und es ist auch nicht falsch, das öffentlich festzustellen.
    Die Ausführungen der Kollegen von der Opposition bedeuten, wenn man sie zu Ende denkt, um-



    Dr. Barzel
    fangreiche finanzielle Anforderungen. Zu der Frage der Studienförderung wird der Kollege Dr. Stoltenberg gleich noch kurz sprechen.
    Ich möchte mich auf einen Punkt beschränken, auf das Verhältnis zwischen dem Kultur- und dem Wehretat. In zunehmendem Maße formulieren die deutschen Sozialisten erfreulicherweise als Ziel des Sozialismus die Achtung der Menschenwürde und die Entfaltung der Persönlichkeit.

    (Abg. Dr. Ratzel: Das haben sie immer getan, Herr Barzel!)

    Ich will nicht darüber streiten, ob dieses Ziel auf dem Wege des Sozialismus überhaupt erreichbar ist. Es genügt, zu sagen, daß wir uns freuen, eine Übereinstimmung Ihrer und unserer Ziele im Grundsatz feststellen zu können.

    (Zuruf von der SPD: Das fällt Ihnen aber schwer!)

    Leider hört unsere Übereinstimmung im Ziel schon da auf, wo Sie Vorschläge zur Finanzierung Ihres Kulturprogrammes machen. Immer wieder weisen Sie darauf hin, daß die Finanzierung Ihrer sehr großzügigen Förderung zu Lasten des Verteidigungshaushalts erfolgen könne. Abgesehen von Ihrer heute nicht zu erörternden Grundeinstellung zur Verteidigung weisen Sie immer wieder darauf hin, daß man vor dem Wehrprogramm Ihr Kulturprogramm finanzieren könnte und müßte.
    Das stimmt uns nachdenklich, auch in kulturpolitischer Hinsicht. Denn wo bleibt die Menschenwürde, wenn wir mangels eigener Verteidigungskraft bolschewisiert würden? Gäbe es dann noch eine Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit? Was nützten unserem Volke alle Institute, Lehrstühle und geförderten Studenten, wenn das alles Moskau anheimfiele?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Dann würde das doch alles nur zum versklavten Handlanger zur Beherrschung der Technik, zum gepreßten Diener eines Systems, dem Würde und Freiheit des Menschen nichts bedeuten, sondern das angetreten ist, sie auszurotten.
    Wer die freie Entfaltung der Wissenschaft und der Persönlichkeit ernsthaft will, muß zunächst dafür sorgen, daß Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten gesichert sind. Nur hinter diesem Damm auch militärischer Sicherheit kann unsere Wissenschaft zum Wohle des Volkes und der Menschenwürde gedeihen. Unsere kulturpolitischen Vorstellungen beginnen nicht beim wissenschaftlichen Institut, unsere Kulturpolitik beginnt bei der Sicherung der Voraussetzungen

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Bei der Atombombe!)

    für eine freie und fruchtbare Wissenschaft. Deshalb ist unser Wehretat im Grunde nur ein Haushaltstitel in dem Kapitel mit der großen Überschrift „Sicherung und Entfaltung der in Deutschland gewachsenen Kultur und Menschlichkeit".

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Uns wäre es lieber, wenn wir keinen Wehretat brauchten. Aber wir brauchen ihn, nicht aus Lust oder Laune, sondern wegen des sowjetischen Imperialismus. Uns wäre es lieber, wenn wir den Kultur- und Wissenschaftsetat in gleicher Höhe wie den Wehretat verabschieden könnten. Das wird leider nicht möglich sein. Deshalb müssen wir die Realitäten sehen und alles abwägen.
    Wir werden alles tun, was uns möglich und was uns rechtlich erlaubt ist, um die kulturelle Entwicklung unseres Volkes zu fördern. Wir werden aber nie bereit sein, ein wissenschaftliches Paradies zu errichten, das die Sowjets einlädt, es in ihren Dienst zu stellen, weil es ohne einen Schutzwall jedem greifbar wäre, der es haben möchte. Wer die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Wissenschaft will, muß bereit sein, beides zu schützen. Deshalb lassen Sie mich als Schlußsatz sagen: Kulturpolitik beginnt mit der Sicherung der menschlichen Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)