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ID0302300600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 23. Sitzung Bonn, 18. April 1958 Inhalt Nachruf auf den Abg. Wolfgang Klausner 1221 A Antrag der Fraktion der SPD, den Gesetzesantrag auf Befragung des deutschen Volkes (Drucksache 303) auf die Tagesordnung zu setzen Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1221 C Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 1223 B Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen (Drucksache 154) Dr. Ratzel (SPD) 1224 C Dr. Schröder, Bundesminister 1231 A, 1268 B Dr. Heck (Rottweil) (CDU/CSU) . . 1240 C Lohmar (SPD) . . . . . . 1252 B, 1272 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . . 1257 B Probst (Freiburg) (DP) . . . . . . 1260 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . . 1262 D Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . . 1263 C Dr. Frede (SPD) . . . . . . . . 1265 A Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestags (CDU/CSU, SPD, FDP, DP) (Drucksache 327) — Erste Beratung — Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 1244 C Sammelübersicht 4 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen zu Petitionen (Drucksache 280) . . . 1273 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landbeschaffungsgesetzes (SPD) (Drucksache 272) — Erste Beratung — Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 1273 B Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1274 B Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 29) 1275 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . 1275 C Anlagen 1277 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1958 1221 23. Sitzung Bonn, den 18. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 17. 5. Dr. Arndt 19. 4. Dr.-Ing. E. h. Arnold 19. 4. Dr. Baade 18. 4. Bauereisen 26. 4. Bauknecht 10. 5. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Dr. Becker (Mönchen-Gladbach) 18. 4. Blöcker 18. 4. Dr. Böhm 18. 4. Frau Dr. Brökelschen 26. 4. Dr. Bucerius 19. 4. Cillien 18. 4. Conrad 18. 4. Corterier 18. 4. Dr. Czaja 26. 4. Dr. Dehler 19. 4. Diel (Horressen) 5. 5. Dr. Eckhardt 30. 4. Eichelbaum 3. 5. Even (Köln) 19. 4. Felder 30. 4. Dr. Frey 26. 4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Dr. Furler 19. 4. Gedat 18. 4. Gehring 19. 4. Dr. Greve 21. 4. Günther 18. 4. Häussler 30. 4. Heinrich 15. 5. Frau Herklotz 25. 4. Hilbert 18, 4. Höcherl 10. 5. Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 19. 4. Iven (Düren) 26. 4. Jacobi 18. 4. Jacobs 24. 4. Jahn (Frankfurt) 18. 4. Jaksch 18. 4. Dr. Jordan 18. 4. Kiesinger 18. 4. Frau Kipp-Kaule 19. 4. Kirchhoff 18. 4. Koenen (Lippstadt) 19. 4. Kriedemann 19. 4. Dr. Krone 18. 4. Kuntscher 18. 4. Kunze 15. 5. Dr. Leverkuehn 18. 4. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Dr. Maier (Stuttgart) 26. 4. Mattick 18. 4. Frau Dr. Maxsein 18. 4. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Mellies 25. 4. Merten 19. 4. Meyer (Oppertshofen) 26. 4. Neuburger 18. 4. Frau Niggemeyer 30. 4. Paul 30. 4. Dr. Pferdmenges 18. 4. Rademacher 19. 4. Ramms 18. 4. Riedel (Frankfurt) 18. 4. Ruland 18. 4. Scheppmann 2. 5. Schneider (Bremerhaven) 18. 4. Dr. Schneider (Saarbrücken) 18. 4. Schultz 18. 4. Schütz (Berlin) 18. 4. Frau Dr. Schwarzhaupt 19. 4. Simpfendörfer 19. 4. Sträter 31. 5. Struve 7. 5. Dr. Wahl 15. 5. Walpert 19. 4. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 18. 4. Frau Welter (Aachen) 18. 4. Dr. Zimmer 26. 4. Anlage 2 Umdruck 47 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD (Drucksache 154) betr. Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, auf der Grundlage der im Grundgesetz festgelegten Verteilung der Kompetenzen Verhandlungen mit den Ländern darüber aufzunehmen, welche Aufgaben auf dem Gebiet der Kulturpolitik künftighin nur vom Bund, nur von den Ländern oder von Bund und Ländern gemeinsam gefördert werden sollen. Bonn, den 18. April 1958 Dr. Krone und Fraktion Anlage 3 Umdruck 48 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der SPD (Drucksache 154) betr. Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, dahin zu wirken, daß als Sitz des Wissenschaftsrates Berlin bestimmt wird. Bonn, den 18. April 1958 Ollenhauer und Fraktion 1278 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 23. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. April 1958 Anlage 4 Umdruck 29 Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse. Der Bundestag wolle beschließen: Die folgenden Anträge werden gemäß § 99 Abs. 1 GO ohne Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen: 1. Antrag der Abgeordneten Schmidt (Hamburg) und Genossen betr. Inanspruchnahme von Naturschutzgebieten für militärische Zwecke (Drucksache 191) 2. Antrag der Abgeordneten Dr. Franz, Wieninger, Dr. Besold und Genossen betr. Freigabe des Rasthauses am Chiemsee (Drucksache 196) 3. Antrag der Fraktion der FDP betr. Postgebühren (Drucksache 265) 4. Antrag der Abgeordneten Dr. Wahl, Metzger, Dr. Kopf und Genossen betr. Interan den Ausschuß für Inneres an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen(f), Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen an den Rechtsausschuß nationale Schiedsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Privatrechts (Drucksache 267) 5. Antrag der Abgeordneten Dr. Zimmer, Dr. Kopf, Metzger und Genossen betr. Schaffung eines europäischen Beamtenstatuts (Drucksache 268) 6. Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein, Altmaier und Genossen betr. Maßnahmen zur Befreiung der politischen Gefangenen in den Diktaturländern (Drucksache 269) 7. Antrag der Fraktion der SPD betr. Berliner Filmfestspiele (Drucksache 271) an den Rechtsausschuß(f), Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten(f), Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik Bonn, den 18. März 1958 Dr. Krone und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion
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    Rede von Dr. Ludwig Ratzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich bereits mehrmals mit den Fragen der Förderung des naturwissenschaftlichen und technischen Bildungs- und Forschungswesens befaßt. Die Initiativen hierzu gingen immer von der sozialdemokratischen Fraktion aus. Wir wären froh, wenn auch von der Mehrheit dieses Hauses und von der Regierung Initiativen entwickelt würden, weil wir dann eher damit rechnen könnten, daß man sich zu durchgreifenden Maßnahmen durchringt.
    Wir wollen gern feststellen, daß unsere Initiativen den Herrn Bundesinnenminister zu zwei Denkschriften veranlaßt haben, daß die Mittel für die Stipendien erhöht wurden und daß Bund und Länder zwei Verwaltungsabkommen betreffend den Wissenschaftsrat und den Ausbau der Ingenieurschulen beschlossen haben. Aber es sei mir gleich zu Beginn die Feststellung erlaubt, daß wir diese Maßnahmen für völlig unzureichend halten, nicht deshalb, weil die Regierung es der Opposition nicht recht machen kann, nein, wir sind aus sachlichen Erwägungen der Auffassung, daß diese Maßnahmen einfach in keiner Weise den Erfordernissen entsprechen.
    Zu diesem Urteil gelangt ja nicht nur die Opposition, sondern zu diesem Urteil gelangen auch die Wissenschaft, die Berufsverbände und die Wirtschaft. Ich nehme an, daß uns der Herr Bundesinnenminister heute auch in dem einen oder anderen Punkte zustimmen wird. Ich hoffe aber, daß das dann nicht mit der Feststellung verknüpft ist: Leider hat der Bund auf diesem Gebiet keine oder nur geringfügige Kompetenzen. Im Interesse der wichtigen Fragen, um die es hier geht, ist es notwendig, daß wir uns um eine für alle Seiten befriedigende Lösung bemühen. Ich werde hierauf noch zurückkommen.
    Zunächst möchte ich jedoch auf die Situation eingehen, die zu unserer Großen Anfrage geführt hat. Als wir uns hier vor fast zwei Jahren mit diesem Problem befaßten, war das Wort vom „Kalten Krieg der Klassenzimmer" noch neu. Heute ist es bereits stark abgegriffen. Aber das, was es ausdrücken sollte, die großen Anstrengungen, die insbesondere die Sowjetunion auf den Gebieten der Erziehung,



    Dr. Ratzel
    der Wissenschaft, der Technik unternimmt, um den Westen einmal wirtschaftlich und wissenschaftlich zu überrunden, gilt heute mehr denn je. Wer dies vor zwei Jahren noch nicht sah oder auch nicht sehen wollte, dem sind vielleicht im vergangenen Jahr, als die Sputniks am Himmel erschienen, die Augen aufgegangen. Über die zumindest psychologischen Wirkungen dieses Ereignisses in aller Welt gibt es wohl keine Meinungsverschiedenheiten.
    Die Sozialdemokratie hat immer wieder betont, daß man das Verhältnis zwischen Ost und West nicht nur militärisch sehen darf. Sie hat in der Bundesrepublik nicht immer Verständnis dafür gefunden. Ich brauche nur an das im 2. Deutschen Bundestag gescheiterte Atomgesetz zu erinnern. Ist es nicht ein Jammer, daß wir drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Pariser Verträge zwar viele Wehrgesetze verabschiedet haben, daß die Bahn freigegeben wurde für die atomare Aufrüstung der Bundeswehr, daß aber immer noch ein Bundesgesetz über die Verwendung und Nutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken ebenso fehlt wie die bitter notwendige Strahlenschutzverordnung.
    Wie der amerikanische Präsident diese Dinge sieht, geht aus seiner Botschaft über die Lage der Nation vom 10. Januar 1958 hervor. Ich darf einen Satz zitieren. Er sagt:
    Wir könnten jedoch keinen tragischeren Fehler begehen, als uns lediglich auf die militärische Stärke zu konzentrieren.
    Ich habe, wenn ich an den 2. Juli 1957 denke, den Eindruck, daß das, was Eisenhower einen tragischen Fehler nennt, geradezu das Leitmotiv der Politik des Herrn Bundeskanzlers ist.
    Ich bin der Meinung, daß wir den größten Beitrag zu unserer Sicherheit und Freiheit durch die „Aufrüstung" unseres Schul- und Bildungswesens leisten können. Man wird sagen: Es ist auf diesem Gebiet ja bereits sehr viel getan worden. Ich glaube aber, wir sollten uns immer wieder klarmachen, daß der größere Teil dessen, was hier getan wurde, dazu diente, den Zustand von 1939 wiederherzustellen, also das zu ersetzen, was zerstört wurde bzw. verlorenging.
    Aber selbst das ist noch immer nicht erreicht, denn noch immer fehlen Zehntausende von Schulräumen, allein um die achtjährige Schulpflicht zu verwirklichen. Der Ettlinger Industriellenkreis verlangt aber, daß wir darüber hinaus schleunigst die neun- und zehnjährige Schulpflicht obligatorisch machen. Dann würden wir zu den fehlenden 30 000 noch weitere 40 000 Schulräume benötigen. Die Erfüllung eines solchen Programms würde zweifellos ganz beträchtliche Mittel erfordern. Der Ettlinger Industriellenkreis hält diese Ausgaben im allgemeinen Interesse jedoch für absolut notwendig und unumgänglich. Ich meine, es geht doch darum, ein Schul- und Bildungswesen aufzubauen, das den Verhältnissen von 1960 und vielleicht denen von 1970 gerecht wird, und es geht nicht einfach darum, den Zustand von 1939 wiederherzustellen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sollten ernsthaft prüfen, ob die Länder und Gemeinden tatsächlich unter finanziellen Alpträumen leiden müssen, wenn sie an die Realisierung der neunjährigen oder gar zehnjährigen Schulpflicht denken.
    Jedenfalls ist in den Städten der Sowjetunion die zehnjährige Schulpflicht bereits durchgeführt, auf dem Lande in der Durchführung begriffen. Wie mir gesagt wurde, will man auch in der sowjetisch besetzten Zone im Zuge eines Zehnjahresplans die zehnjährige Schulpflicht einführen.
    Daß man drüben in der Sowjetunion auf dem Gebiet des Bildungswesens nicht nur die Quantität steigert, sondern daß auch die Qualität dabei nicht zu kurz kommt, hat der amerikanische Präsident im November des vergangenen Jahres bestätigt. Er hat erklärt, nach Meinung seiner Berater sei dies das ernsthafteste Problem, dem sich die Vereinigten Staaten gegenübersähen. Man wird vielleicht sagen, die Sowjets seien für uns auf dem Gebiet der Bildung kein Vorbild. Gut, aber dann möchte ich umgekehrt fragen: warum sollten sie dann auf dem Gebiete der militärischen Rüstung unbedingt für uns Vorbild sein?

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Heck [Rottweil]: Das war sehr billig!)

    — Sehr billig? Aber ich glaube, es entspricht den Tatsachen.
    Die Frage der neun- und zehnjährigen Schulpflicht ist auch für den technischen Nachwuchs von Bedeutung, denn der größere Teil oder mindestens die Hälfte unserer Fachschulingenieure gehen den Weg über die Volksschule. Es ist notwendig, ihnen hier ein allgemeines Wissen zu vermitteln, das ihnen später die Ingenieurschule nicht mehr geben kann. Wir wissen, daß sehr viele Ingenieure bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn unter den Schwierigkeiten einer nicht ausreichenden Allgemeinbildung leiden.
    Daß wir in unserer Großen Anfrage gerade die naturwissenschaftlichen und die technischen Bildungseinrichtungen ansprechen, hat seinen Grund darin, daß auf diesen Gebieten die Probleme besonders auf den Nägeln brennen. Wir sind der Meinung, daß darüber hinaus natürlich unser gesamtes Bildungs- und Erziehungswesen einer eingehenden Förderung bedarf.
    Es ist wohl allgemein bekannt, daß die deutsche Wissenschaft heute nicht mehr den Stand in der Welt hat, den sie vor einigen Jahren oder Jahrzehnten noch hatte. Ich kann aus dem Bulletin der Bundesregierung Ausführungen des Herrn Dr. Reusch, des Vorsitzers des Vorstandes der Gutehoffnungshütte, zitieren. Er schreibt dort unter der Überschrift „Wirtschaft und Wissenschaft": „Der einst vorhandene internationale Rang der deutschen Wissenschaft ist einem deutlichen Vorsprung des Auslandes gewichen." Dann folgen Ausführungen, die wir von dieser Stelle schon des öfteren gemacht haben. Ich darf aber vielleicht mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einen Satz zitieren: „Die Feststellung des Europäischen Wirtschafts-



    Dr. Ratzel
    rates, daß die Bundesrepublik auch in der Planung zur Förderung des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses innerhalb Europas an letzter Stelle steht, muß und soll für die wechselseitigen Beziehungen zwischen Industrie und Wissenschaft beachtet werden."
    Wir sollten auch das beachten, was drüben in der sowjetisch besetzten Zone geschieht. Ich darf auch hier einen unverdächtigen Zeugen zitieren. In dem Mitteilungsblatt des Stifterverbandes Nr. 9 von 1956 wird ein Artikel aus der „Deutschen Finanzwirtschaft" der SBZ zitiert. Zwar wird die SED-Tendenz dieses Artikels beanstandet, aber die Zahlen, die dort genannt werden, werden als richtig hingenommen. Das Mitteilungsblatt kommt zu dem Schluß, daß diese Zahlen alarmierend sind. Ich darf einige zum Vergleich anführen: Studenten je Professor, Dozent, Assistent usw.: an der HumboldtUniversität 8,3, an der Universität München 29,3. Der Herr Kollege Friedensburg hat ja vor etwa einem Jahr bestätigt, daß die durchschnittliche Zahl der Studenten pro Dozent in der Bundesrepublik bei 22 liegt. Die Sachausgaben kann man auch in etwa vergleichen, weil die Kaufkraft der D-Mark-Ost und unserer Deutschen Mark insoweit nicht verschieden ist. Im Jahre 1954 wurden an der Humboldt-Universität an Sachausgaben je Student 1260 Mark geleistet, an der Universität Jena 1430, an der Universität München 230 und an der Universität Frankfurt 460. Diese Zahlen sollten uns zu denken geben. Ich wäre dem Herrn Bundesinnenminister dankbar, wenn er diese Zahlen einmal prüfte, damit wir klar sehen, ob die Unterschiede in dem, was der Wissenschaft gegeben wird, wirklich so kraß sind. Wenn sie stimmen, dann kann man sich nur dem Stifterverband anschließen und sagen: diese Zahlen sind alarmierend.
    Niemand von uns vertritt wohl den Standpunkt, daß wir uns absolut mit den USA oder mit der Sowjetunion messen können. Aber wir sollten doch den Ehrgeiz haben, uns zumindest mit England oder mit Frankreich zu messen. Daß in der Bundesrepublik nichts Ganzes geschieht, sondern nur Halbes, das im Grunde genommen viel teurer ist als das Ganze, das man tun müßte, das haben sehr viele Wissenschaftler und Hochschulprofessoren zum Ausdruck gebracht.
    Der Herr Bundesinnenminister wird vielleicht sagen: Der Wissenschaftsrat wird in Zukunft die Aufgabe haben, darauf hinzuwirken, daß in der Bundesrepublik bei der Förderung der Wissenschaft und des Nachwuchses etwas Ganzes geschieht. Ich für meine Person wünsche dem Wissenschaftsrat vollen Erfolg; denn im Interesse der Sache ist es notwendig, daß hier endlich etwas Entscheidendes geschieht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn ich mir die Zusammensetzung des Wissenschaftsrates betrachte, kann ich mich gewisser Zweifel nicht erwehren. Ich habe den Eindruck, daß der Auftrieb, der vielleicht von den Wissenschaftlern in diesem Gremium kommt, zu sehr durch den bürokratischen Ballast ausgeglichen wird, den man dem Wissenschaftsrat in Gestalt von Staatssekretären usw. mitgegeben hat. Ich befürchte — ich bedauere, daß ich das befürchten muß —, daß im Wissenschaftsrat sich der sattsam bekannte Zuständigkeitsstreit fortsetzen wird, der in der Bundesrepublik seit Jahren herrscht. Da steht die Wissenschaft, da stehen die Länder, da steht der Bund, und da wird gestritten werden: hie Wissenschaft, hie Bund, hie Länder. Daß das keine Befürchtung ist, die aus der Luft gegriffen ist, das zeigt doch auch ein Bericht in der Presse, wonach man bereits vor der ersten Sitzung des Wissenschaftsrates in Fraktionen getagt hat.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr interessant! Die politisierte Wissenschaft!)

    Ich möchte hoffen und wünschen, daß das in Zukunft nicht mehr der Fall ist.
    Man hätte das besser machen, hätte der Wissenschaft ein anderes Gewicht geben können. Vor einem Jahr haben wir hier Vorschläge gemacht. Wir kennen Beispiele aus England, wo auch ein Komitee besteht. Der Herr Bundesminister für Atomkernenergie hat uns eine Broschüre zur Verfügung gestellt, in der steht, wie das englische Komitee organisiert ist. Da sind von 16 Mitgliedern, glaube ich, 10 Wissenschaftler; dann sind noch 2 oder 3 Schulfachleute und 1 oder 2 Verwaltungsleute vertreten. Dieses Komitee wird natürlich einen ganz anderen Plan zur Förderung der Wisschenschaft und des Nachwuchses aufstellen als der Wissenschaftsrat, bei dem durch Gewichtung der Stimmen dafür gesorgt wird, daß die Wissenschaft ja nicht die Mehrheit bekommen kann.
    Wir sollten wirklich erkennen, daß es allerhöchste Zeit ist, hier in der Bundesrepublik die Frage der Wissenschafts- und der Nachwuchsförderung politisch zu entscheiden, und sollten mit diesen leidigen Kompetenzstreitigkeiten endlich Schluß machen.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

    Zweifellos spielt dabei der föderative Aufbau der Bundesrepublik eine wichtige Rolle. Es ist hier schon gesagt worden, daß seit 1949 schon oft aus einem föderalistischen Saulus ein zentralistischer Paulus geworden sei; auch das Umgekehrte gibt es. Man braucht deshalb nicht gleich, wie der Herr Minister Erhard das tut, von einer Eigenbrötelei und einer Krähwinkelpolitik der Länder zu sprechen. Sein Parteifreund, Ministerpräsident Dr. Gebhard Müller, hat ja diese Ausführungen im BadenWürttembergischen Landtag zurückgewiesen. Wir Sozialdemokraten fühlen uns von diesem Vorwurf des Ministers nicht betroffen, daß wir 1949 zusammen mit den Besatzungsmächten in eine falsche föderalistische Ideologie verstrickt gewesen seien. Ich nehme an, daß Herr Erhard uns auch gar nicht meint. Er meint ganz sicherlich seine politischen Freunde, vielleicht sogar sich selbst.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte.)

    — Nun, dieser Artikel des Herrn Professors Erhard ist erst einige Wochen alt.

    (Erneuter Zuruf von der Mitte.)




    Dr. Ratzel
    — Nein, ich habe doch gesagt: Es ist aus manchem föderalistischen Saulus ein zentralistischer Paulus geworden und — —

    (Zuruf von der Mitte: Und umgekehrt!)

    — Und umgekehrt, habe ich gesagt; warum denn nicht!
    Wir Sozialdemokraten sind auf alle Fälle der Meinung, daß man den Ländern die Mittel geben soll, die sie für die Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben benötigen. Wir glauben, daß sich die Frage der Erziehung und der Wissenschaft heute in einem ganz anderen Lichte zeigt als im Jahre 1949, als das Grundgesetz geschaffen wurde. Man sollte deshalb überlegen, ob man nicht mehr Mittel für die Aufrüstung unseres Bildungs- und Erziehungswesens bereitstellen müßte. Man sollte einmal prüfen, wie die Gewichte zwischen kultureller und militärischer Aufrüstung zu verteilen sind.
    Es ist leider so, daß in der Bundesrepublik keine Instanz da ist, die ein entscheidendes Wort dazu sprechen kann. Aber es wäre schlecht, wenn die kulturelle Aufrüstung der Bundesrepublik gänzlich der militärischen Aufrüstung zum Opfer fallen würde. Man hat ab und zu den Eindruck, daß so etwas möglich ist. Wenn wir die Mittel für die Forschung im Bundeshaushalt 1958 betrachten, können wir feststellen, daß sie sich im Funktionenplan unter dem Kennzeichen J von rund 326 Millionen DM auf rund 412 Millionen DM erhöht haben; die großen Brocken sind vor allen Dingen die des Atomministeriums. Das ist eine Steigerung von 26 %. Die Mittel für die militärische Forschung werden im Funktionenplan 1957 mit 159 Millionen DM und 1958 mit 294 Millionen DM ausgewiesen. Das ist eine Steigerung um 85 %.

    (Abg. Dr. Menzel: Ein Kennzeichen der deutschen Politik!)

    Ich möchte die Frage stellen: Sind denn die Mittel, die für die militärische Forschung 1956 und 1957 bereitgestellt wurden — und dasselbe gilt für die Mittel im Atomhaushalt — überhaupt ausgegeben worden, oder sind sie noch zum größten Teil vorhanden, und haben wir hier nicht fahrlässig gehandelt, indem wir zur Förderung des Nachwuchses und zur Förderung der Hochschulen nicht die notwendigen Mittel gegeben haben, während andererseits die Mittel für militärische und Atomforschung hier eingemottet wurden?

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind jedenfalls der Meinung, daß der Förderung des Nachwuchses, der Wissenschaft und der Forschung für unsere Zukunft eine größere Bedeutung zukommt als der militärischen Aufrüstung.

    (Zuruf von der Mitte: Falsche Alternative!)

    — Nein, auf diesem Gebiet werden die Entscheidungen getroffen. Lesen Sie die Ausführungen des amerikanischen Präsidenten, dann werden Sie eines Besseren belehrt.
    Ich darf Ihnen an Hand eines Zitats darlegen, welcher Art die Aufgaben sind, die noch in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden. Der Heidelberger Rektor, Professor Reicke, hat im Finanzausschuß des Baden-Württembergischen Landtages erklärt:
    Ich wage zu prophezeien, daß in drei oder vier Jahren das Land und die Hochschulen sich vor ganz umwälzende Neuerungen gestellt sehen werden, vor Planungen und Maßnahmen, die unser gegenwärtiges Bemühen um eine sachgerechte Wissenschaftsförderung weit in den Schatten stellen werden.
    Das werden die Aufgaben sein. Dafür müssen wir gerüstet sein, und dazu müssen wir auch den guten Willen haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Den haben wir!)

    — Ob Sie den guten Willen haben, werden wir hei der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts sehen.

    (Zuruf von der Mitte: Da unterscheiden wir uns ja!)

    — Ja, da scheiden wir uns, wenn es um die Realität geht.

    (Zuruf von der Mitte: Nicht im guten Willen, sondern nur in der Methode! Wir haben schon einige Beweise erbracht!)

    — Nun, wir werden das bei der Beratung des Bundeshaushalts sehen.
    Nun darf ich zu den einzelnen Punkten unserer Großen Anfrage einige Bemerkungen machen. Der Bundestag hat am 28. Februar des vergangenen Jahres einem Vorschlag des Ausschusses für Kulturpolitik fast einhellig zugestimmt. In diesem Beschluß wird die Bundesregierung um eine Reihe von Untersuchungen ersucht, insbesondere über den Nachwuchsbedarf an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern und über die Aufwendungen für Forschung, Lehre und Studium einschließlich der Aufwendungen der nichtöffentlichen Hand. Bisher hat die Regierung nur eine Denkschrift über den technischen Nachwuchs vorgelegt, wobei sie sich allerdings auf einige Vorarbeiten stützen konnte. Wir fragen deshalb die Bundesregierung, wann sie eine entsprechende Denkschrift über den naturwissenschaftlichen Nachwuchs und über die Wissenschaftsaufwendungen vorzulegen gedenkt.
    Der Herr Bundesinnenminister hat am 13. Februar dieses Jahres, drei Wochen nach Einbringung der hier zu behandelnden Großen Anfrage, mitgeteilt, daß die erforderlichen Maßnahmen zur Verfeinerung und Vervollkommnung der Wissenschaftsstatistik eingeleitet wurden und ein Arbeitsausschuß eingesetzt wurde. Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß diese statistischen Erhebungen nicht einfach sein werden, daß wir Zeit benötigen. Aber ich glaube, wir sind uns auch alle darüber einig, daß man solche einwandfreie Unterlagen braucht. Wir möchten deshalb den Herrn Minister bitten, diese Arbeiten etwas voranzutreiben.
    Daß die Entwicklung der Zahl der Studierenden der Naturwissenschaften in der Bundesrepublik mit



    Dr. Ratzel
    der Entwicklung z. B. in England nicht ganz Schritt hält, zeigt die Broschüre des Herrn Bundesministers für Atomkernenergie. Daraus geht hervor, daß die Zahl der Naturwissenschaftler von 1949 bis 1956 in der Bundesrepublik von fast 14 000 auf etwas über 17 000 und in England von fast 17 000 auf 19 500 gestiegen ist. In England beträgt die Steigerung über 2 %, in der Bundesrepublik nur etwa 0,8 %.
    Eine Vermehrung der Studierenden der Naturwissenschaften ist notwendig. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ihr Ausschuß für angewandte Forschung hat verlangt, in den nächsten Jahren die Zahl der Studierenden der Naturwissenschaften zu verdoppeln und die Zahl der Lehrkräfte an den naturwissenschaftlichen und technischen Hochschulen zu verzehnfachen. Diese Dinge sind ernsthaft zu überprüfen. Wir wollen solche Zahlen nicht einfach hinnehmen; aber daß hier einiges nicht in Ordnung ist, das ist wohl allgemein bekannt.
    Es ist auch nicht möglich, sich ein völlig klares Bild zu machen über die Höhe der Ausgaben für Forschung, Lehre und Studium. Da gibt es vor allen Dingen den Posten „Wirtschaftseigene Forschung", der nur geschätzt ist und über den wir keine konkreten Unterlagen haben. In Amerika wurde eine sehr eingehende statistische Erhebung durchgeführt, bei der fast 12 000 Industrieunternehmungen erfaßt wurden. Professor Gross kommt in einer Arbeit, die vom „Stifterverband" herausgegeben wurde, zu der Feststellung, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika für Forschung, Lehre und Studium jährlich etwa 10 Milliarden Dollar ausgegeben werden, und er sagt, wenn wir in der Bundesrepublik im Verhältnis dasselbe tun wollten, dann müßten wir unsere Aufwendungen fast verdreifachen.
    Nun zu Punkt 2 unserer Großen Anfrage. Der Herr Bundesinnenminister hat eine Denkschrift über den technischen Nachwuchs erstellt. Er hat auch zugegeben — was vorher bereits gesagt war—, daß die Zahl der Ingenieure vermehrt, im Maschinenbauwesen etwa verdoppelt werden müsse; er hat allerdings keine konkreten Vorschläge gemacht, wie man das erreichen könne. Die Opposition hatte 1956 für den Ausbau und die Kapazitätserweiterung der Ingenieurschulen 20 Millionen Mark verlangt, 1957 50 Millionen Mark. Das ist jedesmal abgelehnt worden. Jetzt hat man über ein Verwaltungsabkommen den Ländern 22 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Diese Mittel kommen einfach zwei Jahre zu spät;

    (Abg. Dr. Heck [Rottweil] : Die hätten wir schon 1945 ausgeben sollen!!?)

    sie werden sich bei der Vermehrung der Ingenieurschulabsolventen erst etwa im Jahre 1963 bemerkbar machen. Denn erst jetzt, in diesem Frühjahr, fangen die Schulen, die von diesen 22 Millionen etwas bekommen, an, zu planen, und bis die ersten Absolventen die mit diesen Mitteln geförderten Schulen verlassen, werden noch mindestens runde fünf Jahre vergehen.
    In den Haushalten der Länder sind die Mittel für die Ingenieurschulen zweifellos erhöht worden. Aber wir sollten nicht übersehen, daß die meisten dieser Mittel, beinahe alle, aufgebraucht werden, um den Nachholbedarf an Einrichtungen zu decken, um die Schulen zu modernisieren, ja, um ihnen überhaupt erst ein Haus zu geben. Ein Beispiel dafür ist Hannover. Dort ist die Schule in Volksschulräumen untergebracht, sie bekommt erst jetzt ein eigenes Schulgebäude. Es wird hier also keine Ausweitung der Kapazität erreicht, sondern es wird nur die schon bestehende Schule vernünftig untergebracht, und das ist notwendig. Ich habe mir sagen lassen, die Staatsbauschule in Oldenburg sei in einer Kaserne aus dem Jahre 1813 untergebracht, und diese Kaserne sei für die Militärs im Jahre 1900 veraltet gewesen. Die Staatsbauschule ist also noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in diesem Bau untergebracht! Damit will ich nur sagen, daß die Mittel, die bisher bereitgestellt wurden, im wesentlichen dazu dienen, die bestehenden Schulen mit ihren Abteilungen erst einmal auf den zeitgemäßen Stand zu bringen.
    Dafür, daß die Lage an den Ingenieurschulen sich, was die Aufnahmekapazität betrifft, nicht verändert hat, kann ich Ihnen mit vielen Zahlen aufwarten. Ich habe mich bei 26 Schulen für Maschinenwesen erkundigt, wie viele Studierende sich anmelden und wie viele aufgenommen werden können. Die Situation hat sich gegenüber dem Frühjahr 1956 nicht verändert. Zwei Beispiele, die gar nicht aus dem Rahmen fallen: In Hannover lagen 1956 380 Bewerbungen vor; es konnten 136 aufgenommen werden; 1958: 550 Bewerbungen, 120 konnten aufgenommen werden. Frankfurt, 1956: 145 Bewerber, 57 konnten aufgenommen werden;

    (Abg. Hackethal: Wie war es mit der Auslese dabei?)

    1958: 330 Bewerber, und 60 konnten aufgenommen werden. Bei einem solchen Verhältnis von Plätzen zu Bewerbungen ist die Aufnahme an der Ingenieurschule für den Betreffenden eine Art Lotteriespiel.

    (Abg. Hackethal: Wie war es mit den festgestellten Begabungen bei der Aufnahme?)

    — Mit den festgestellten Begabungen? Ich möchte nicht sagen „Begabungen"; sagen wir besser „Leistungen". Denn diese Generation, die jetzt geprüft wird, ist die Generation, an der wir noch einiges gutzumachen haben, weil sie nämlich unter den schlechtesten Bedingungen zur Volksschule oder auf das Gymnasium ging.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber ich weiß, daß man, obwohl die Prüfungsleistungen nicht immer befriedigend waren, mit den geeigneten Kandidaten zwei und drei Klassen hätte bilden können. Ich meine, auch um die Kandidaten mit den schlechten Ergebnissen müßten wir uns kümmern, weil wir da einiges gutzumachen haben.
    In diesem Zusammenhang erhebt sich für mich die Frage, wie es überhaupt mit der Freiheit der



    Dr. Ratzel
    Berufswahl bei den Ingenieuren steht. Wegen dieser Verhältnisse kann eben einfach nicht jeder Ingenieur werden, der es will.
    Bei der Beobachtung des Zustandes an diesen Schulen sollten wir auch daran denken, daß, wenn sich die Zahl der Studierenden vielleicht etwas erhöht hat, das zu einem großen Teil darauf zurückgeht, dab die Schulen vom fünf- auf das sechssemestrige Studium umstellen. Damit ergibt sich automatisch eine Erhöhung der Besucherzahl um 20%. Gerade jetzt ist diese Umstellung in Niedersachsen und in Hessen im Gange, und ich glaube, in Nordrhein-Westfalen fängt es jetzt auch an.
    Daß die Zustände an den Schulen selber den Anforderungen der modernen Technik immer noch nicht entsprechen, zeigt das schon vor zwei Jahren angeführte Beispiel des Oskar-von-Miller-Polytechnikums. Dort werden in eine Klasse 100 Studierende aufgenommen.

    (Abg. Erler: Hört! Hört!)

    Trotzdem muß man an dieser Schule Drei-Schichten-Unterricht durchzuführen. Wie kann man da im Hinblick auf den Laborunterricht und auf die Konstruktionsübungen von einem ordnungsgemäßen Studium sprechen?
    Wenn wir die Zahl der Hilfskräfte, Handwerker und Assistenten betrachten, die den Dozenten zur Verfügung stehen, stellen wir fest, daß im Durchschnitt an 26 befragten Ingenieurschulen für Maschinenwesen auf eine solche Hilfskraft 106 Studierende kommen. In Friedberg sind es sogar 600 Studierende, an dem Oskar-von-Miller-Polytechnikum 290.
    Dieser Zustand ist für eine moderne Ingenieurausbildung einfach unmöglich. Da kann man nicht mit kleinen Ptlästerchen kommen, sondern da müssen endlich ganz entscheidende Maßnahmen getroffen werden. Es dürfen keine Verzögerungen eintreten, so wie es geschehen ist, indem man 1956 die Mittel ablehnte und sie dann erst 1957/58 zur Verfügung stellte. Auf der anderen Seite verstauben Millionen im Topf des Verteidigungsministers. So ist es doch! Diese Mittel hätte man vernünftiger anwenden können. — Soviel zu Punkt 2.
    In Punkt 3 fragen wir, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um den gefährlichen Rückstand aufzuholen, in dem sich die Bundesrepublik auf dem Gebiete der Naturwissenschaften befindet. Ich darf, um zu belegen, daß unsere Frage nicht aus der Luft gegriffen ist, sagen, daß Herr Professor Tellenbach nach der Rektorenkonferenz am 8. Januar vor der Presse erklärt hat, es müsse in kürzester Frist Entscheidendes getan werden, wenn wir auf wissenschaftlichem Gebiet nicht hoffnungslos zurücksinken wollen. Aber das sagt nicht nur Professor Tellenbach; es gibt viele ähnliche Aussagen und auch Tatsachen.
    Das Kreuz bei uns hier in der Bundesrepublik ist doch, daß auf diesem Gebiete keine wirklich großzügigen Anstrengungen unternommen werden, daß nicht langfristig geplant wird, daß man nicht im notwendigen Maße koordiniert und daß das wenige, was man gibt, gewöhnlich sehr spät gegeben wird. Wir müssen endlich einmal begreifen, daß wir da in anderen Gräßenordnungen denken müssen, daß es nicht einfach damit getan ist, die Mittel mal um 5 % oder um 10 % zu erhöhen, sondern daß es vielleicht um den Faktor 4 oder 5 oder gar 10 geht, um den wir die Mittel verstärken müssen.
    In England hat man uns auf diesem Gebiete ein gutes Beispiel gegeben. In der bereits zitierten Broschüre des Herrn Bundesministers für Atomkernenergie steht z. B.: In England kamen 1951/52 auf jeden Dozenten 8 Studierende, 1955,56 sogar nur 7. In der Bundesrepublik kamen nach Aussage des Kollegen Professor Friedensburg im Durchschnitt 22 Studierende auf einen Dozenten.
    In der Bundesrepublik wurden, wenn man den Zahlen des Bundesfinanzministers glauben will -ich habe sie nicht völlig nachkontrollieren können, es hat sich da noch eine beträchtliche Lücke ergeben -, im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden DM für die Wissenschaft und Forschung ausgegeben. In England wurden nach den Angaben des Atomkernministeriums jährlich für die Universitäten knapp 600 Millionen DM bereitgestellt, für die naturwissenschaftliche und technische Forschung und Entwicklung weitere 2350 Millionen DM und für die Atomforschung weitere 500 bis. 600 Millionen DM. Das ist doch eine ganz gewaltige Diskrepanz zwischen der Bundesrepublik und England. Ich meine aber, daß wir uns, was unsere Leistungskraft betrifft, durchaus mit Großbritannien vergleichen können. Wir wollen uns gar nicht mit den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen.
    Ich sehe bei dieser schlechten finanziellen Situation der Wissenschaft und der Forschung noch eine weitere Gefahr, nämlich eine Gefahr für die Freiheit der Forschung. Die Forscher, die Wissenschaftler sind ja manchmal von ihrem Tatendrang etwas besessen, und wenn sie von den Ministerien oder von den öffentlichen Einrichtungen nicht die notwendigen Mittel bekommen, suchen sie sie sich anderweitig. Das ist eine Tatsache. Dann geht man zur Industrie und läßt sich da Forschungsaufträge geben, oder man geht vielleicht zum Verteidigungsminister und läßt sich von dem einspannen. In beiden Fällen sehe ich schwarz für die Freiheit der Forschung und insbesondere für die Zukunft unserer Grundlagenforschung. Entscheidend wird die Grundlagenforschung sein und nicht die Zweckforschung. Daß die Wissenschaft diese Gefahren spürt, zeigen verschiedene Äußerungen, die Professoren in der Öffentlichkeit gemacht haben. Es ist doch schlecht, wenn man in einer Zeitung lesen muß — ich glaube, es war die durchaus seriöse „Deutsche Zeitung" -, daß entgegen den Bestimmungen die Doktorarbeit eines Mannes nicht veröffentlicht wurde, weil sie von einem chemischen Unternehmen finanziert worden war und dieses Unternehmen erst einmal drei Jahre brauchte, um sich die einschlägigen Patente zu sichern. Ich meine, das ist ein Bruch mit jeglicher Freiheit der Forschung und der Wissenschaft. Diese Gefahr kommt, je größer die Armut unserer Institute ist, um so mehr auf uns zu.



    Dr. Ratzel
    Wie schlecht die Verhältnisse an den naturwissenschaftlichen Fakultäten sind, zeigt auch eine Denkschrift der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt. Danach hat sich seit 1925 an dieser Fakultät die Zahl der Studierenden um 264 % vermehrt, die Zahl der Ordinarien aber ist uni 30% und die der planmäßigen Professoren urn 9 % gesunken. Man gleicht das zu einem großen Teil durch Vermehrung der Stellen der Nichtordinarien häufig ans. Doch das ist ein Status, den man einem Menschen nicht zumuten sollte; denn dann wartet er vielleicht jahrelang auf eine Berufung, ohne daß sie kommt. Es hat sich an derselben Fakultät gezeigt, daß das Durchschnittsalter bei der Berufung vor 30 Jahren etwa bei 35 Lebensjahren lag und daß es heute nahezu 50 Lebensjahre beträgt. Hier müssen Wege zur Lösung gefunden werden.
    Wenn wir schon zu wenig Naturwissenschaftler und Ingenieure haben, ist es auch keine gute Sache, daß amerikanische Dienststellen — ich habe gehört, daß in Bad Homburg eine solche Stelle sein soll -
    junge Naturwissenschaftler und Ingenieure für die USA abwerben. Das erinnert beinahe an eine Fremdenlegion für Wissenschaftler.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich meine, wir hätten unseren Tribut in den Jahren nach 1945 geleistet, und man sollte uns die unzureichende Zahl von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren für uns selbst belassen und soll sie uns nicht noch wegholen.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Die brauchen ja nicht zu gehen!)

    Man holt ja auch nicht die schlechtesten, sondern gerade die besten.

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Sind Sie gegen die Freizügigkeit?)

    - Freizügigkeit ist ganz schön, aber ich halte es eben für eine schlechte Sache, wenn man die Wissenschaftler damit weglockt, daß man ihnen vielleicht astronomische Gehälter bezahlt. Auf diese Weise kann man die Freizügigkeit zu Tode reiten und uns hier schweren Schaden zufügen.
    Nun zur Frage 4, Förderung der Studierenden an den Ingenieurschulen nach dem Honnefer Modell. Es sind da mittlerweile von der Studentenschaft Untersuchungen angestellt worden. Man sagt: Wir wollen zwar kein Honnefer Modell, aber wir wollen ein Rhöndorfer Modell. Nun, auch wir Sozialdemokraten sagen nicht von vornherein: aus Rhöndorf kann nichts Gutes kommen!

    (Heiterkeit bei der SPD. Lachen in der Mitte.)

    Der Naine ist uns gleichgültig. Uns geht es darum, wie man diese Fragen anpackt und löst.
    Daß die soziale Lage der Studierenden an den
    Ingenieurschulen nicht besser ist als an den Hochdarf ich, glaube ich, als bekannt voraussetzen. Das Bulletin hat darüber vor einigen Tagen
    berichtet. Aber ich möchte an zwei oder drei Zahlen zeigen, wie die Situation in bezug auf die Möglichkeit der Stipendienverteilung tatsächlich ist. Ich habe, wie gesagt, bei 26 Ingenieurschulen umgefragt: Was könnt ihr im Jahr an Stipendien verteilen? Da teilt mir die Ingenieurschule Kiel mit: Wir können etwa 10 % Hörgelderlaß geben. Das heißt, man kann Stipendien in Form von Hörgelderlaß bei über 400 Studierenden in Höhe von 8000 DM im Jahr geben. Das ist nicht viel. In Hannover gibt man 20 % Hörgelderlaß, und dann hat man noch im Jahr 1500 DM zur Verteilung von Stipendien an 700 Studierende zur Verfügung. Daß das mehr als kümmerlich ist, darüber gibt es keinen Streit. In Koblenz hat man bei 1000 Studierenden im Jahr 6000 DM für Stipendien zur Verfügung. Daß hier nach dem Ergebnis der Untersuchungen der Studentenschaft eine Förderung notwendig ist, darüber gibt es wohl auch keinen Zweifel.
    Ich möchte deshalb den Herrn Bundesinnenminister genauso wie sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, bitten: Seien Sie nicht engherzig, sorgen Sie dafür, daß auch die Studierenden an den Ingenieurschulen in einer Weise gefördert werden, die man vertreten kann und die unseren Verhältnissen entspricht!
    Noch einige Worte zur Frage der Studierenden aus den Entwicklungsländern. Auch hier sind wir uns, zumindest was die Worte betrifft, einig; denn der Herr Bundeskanzler hat anläßlich des Besuchs von Herrn Ministerpräsidenten Nehru sehr schöne Worte zu diesem Thema gefunden, der Herr Bundesaußenminister beinahe noch schönere hier in diesem Hause. Aber das, was getan wird, ist eben doch sehr, sehr bescheiden. Der Herr Bundesinnenminister weiß genauso wie ich von derselben Quelle, daß an den 59 bundesdeutschen Ingenieurschulen 250 Studierende aus den Entwicklungsländern sind und daß aus dem Land Indien, dem wir hier so sehr die Hilfe versprochen haben, ganze 12 Studierende an bundesdeutschen Ingenieurschulen sind.
    Ich habe mir sagen lassen, es soll manche Studierende aus den Entwicklungsländern geben, die, weil man sie hier sehr mangelhaft betreut, rasch aus der Bundesrepublik in die sowjetisch besetzte Zone überwechseln. Wenn das den Tatsachen entspricht, dann ist das eine sehr schlechte Sache. Die Art, wie wir uns um diese jungen Menschen bekümmern, wirft auf uns kein gutes Licht. Da sind die Schwierigkeiten mit der Sprache. Man müßte sich eben dieser jungen Menschen besser annehmen. Man müßte irgendwelche Lösungen finden, damit sie nicht auf die Schule kommen, ohne ein Wort Deutsch reden zu können, und dann nach wenigen Wochen die Waffen strecken müssen. Da ist die Frage der Vermittlung von Praktikantenstellen ein schlechtes Kapitel, und zwar nicht nur nach unserer Meinung. Auch hier im Regierungsbulletin stand, daß es mit der Vermittlung von Praktikantenstellen nicht klappt, daß viel zu wenig Praktikantenstellen für Ausländer vorhanden sind. Es sind in der deutschen Industrie auch viel zu wenig Praktikantenstellen für unsere eigenen werdenden Ingenieure vorhanden. Hier hätte viel-



    Dr. Ratzel
    leicht der Herr Bundeswirtschaftsminister ein Betätigungsfeld, um solche Praktikantenstellen zu schaffen.
    Ich darf zum Schluß kommen. Ich habe mich bemüht, die Tatsachen sprechen zu lassen. Der Kollege Dr. Martin würde sagen: „Natürlich in der naiven Weise des Naturwissenschaftlers." Aber diese „naiven" Naturwissenschaftler haben immerhin Tatsachen geschaffen, die unsere Welt verändert haben. Es wird allerhöchste Zeit, daß wir hier in der Bundesrepublik diese Tatsachen zur Kenntnis nehmen, wenn wir nicht auf den Rang eines zurückgebliebenen Landes absinken wollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich möchte deshalb bitten: Tun wir hier wirklich etwas, was in den kommenden Jahren der Kritik standhält! Tun wir etwas für unsere Sicherheit und für unsere jungen Menschen!

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Herr Bundesminister des Innern.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Bundesregierung die Große Anfrage, die soeben begründet worden ist, wie folgt zu beantworten.
    Die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion bezieht sich auf den Ausbau der technischen Bildungseinrichtungen. Sie berührt damit einen wichtigen Ausschnitt unseres Bildungswesens. Um ihn beurteilen zu können, muß man den Gesamtzusammenhang berücksichtigen, also die allgemeinen Fragen der Erziehung, der Bildung und der Wissenschaft. Diese Fragen sind heute mehr denn je von schicksalhafter Bedeutung für unser ganzes Volk. Sie müssen daher vom Bundestag und von der Bundesregierung ernsthaft überlegt und durch wirkungsvolle Maßnahmen beantwortet werden.
    Deshalb möchte ich mich nicht damit begnügen, nur auf die Einzelfragen zu antworten — auch die Begründung selbst war ja schon in einen etwas größeren Zusammenhang gestellt —; ich halte es vielmehr für notwendig, darüber hinaus zur Bildungssituation grundsätzlich Stellung zu nehmen. Ich tue das, meine Damen und Herren, in völliger Unbefangenheit gegenüber den Fragen der Zuständigkeit der Finanzierung und der Verwaltung. Gewiß ist die legislative und exekutive Zuständigkeit des Bundes in dem hier zu behandelnden Bereich durch das Grundgesetz eng begrenzt, wenn auch nicht so eng, wie radikale Verfechter einer ausschließlichen Länderkompetenz in kulturellen Angelegenheiten behaupten. Aber im Ernst wird doch niemand einer verantwortungsbewußten Staatsführung das Recht eigener Sorgen und eigener Gedanken in Fragen von so schwerwiegender Bedeutung für unser Volk und seinen Fortbestand streitig machen wollen. Ich glaube, daß niemand der Bundesregierung das Recht verwehren wird, an den kulturpolitischen Erörterungen, die an vielen Stellen aus innerer Notwendigkeit heraus begonnen haben, intensiv teilzunehmen.
    Das Gewicht der Bildungsfragen für die Zukunft unseres Volkes ergibt sich aus folgenden Überlegungen. Die moderne, hochtechnisierte, weitgehend schon automatisierte Welt der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts läßt sich nicht mehr allein mit dem kleinen Einmaleins bewältigen. Sie zu bewältigen genügt aber auch nicht das für die Bedienung des technisch-ökonomischen Apparats erforderliche Fachwissen. Entscheidend ist, daß der Mensch gegenüber der riesigen Apparatur Subjekt bleibt und daß er seine Personalität erhalten kann. Es gilt, wie Romano Guardini sagt, für den Menschen jenes Mindeste zu retten, von dem her allein er noch Mensch sein kann.
    Gewiß erleichtert die Technik uns das Dasein in ungeahntem Maße. Aber die Aufgabe der Selbstbehauptung nimmt die Technik uns nicht ab, sondern stellt sie uns in früher unvorstellbarer Weise täglich aufs neue. Die Aufgabe der Selbstbehauptung verlangt ein Doppeltes, nämlich Einsicht in die Zusammenhänge des Lebens und die Bereitschaft, Verantwortung zu tragen. Wissen und Verantwortungsbewußtsein machen den Gebildeten aus, Fachwissen allein genügt nicht.
    Für den Staatsbürger in einer Demokratie gilt noch ein Weiteres. Er soll politische Entscheidungen treffen, die von höchstem Gewicht für die Zukunft unserer von gewaltigen Spannungen erfüllten Welt sind. Das kann er nur dann, wenn er nicht hilflos gelassen wird, sondern wenn ihm Wissen und Bildung die nötigen Grundlagen geben.
    Daher hängen unsere innere Sicherheit, unser inneres politisches Gleichgewicht weitgehend von der Bildung unseres Volkes ab. Gerade wir Deutschen, so scheint mir, haben diese Einsicht besonders nötig. Vieles aus unserer Vergangenheit haben wir noch nicht bewältigt, und die überaus spannungsreiche Lage, in der wir leben, stellt ganz besondere Anforderungen. Wir sind daher unserer Jugend und unserem ganzen Volk diese geistigpolitische Ausrüstung schuldig.
    Bildung ist, um mit Walter Dirks zu sprechen, ein unentbehrlicher Schlüssel zu dieser geschichtlichen Aufgabe unserer Selbstbehauptung. So ist die Frage nach der Bildung, die Frage nach dem Sich-in-derWelt-Zurechtfinden, neben die Fragen nach dem Essen, der Kleidung, der Wohnung und der Arbeit mit gleicher Dringlichkeit getreten.
    Das ist bei uns so, meine Damen und Herren, das ist in der ganzen Welt ähnlich. Die Diskussion der Bildungsfragen ist eines der aktuellsten Themen in der ganzen Welt. Sie betrifft Australien so gut wie Deutschland, die Vereinigten Staaten so gut wie die Sowjetunion. In allen Ländern ertönt der Ruf nach einer besseren und umfassenderen Bildung, und in der Situation unseres Bildungswesens spiegelt sich damit ein weltweites Problem, dessen Lösung allen Völkern aufgegeben ist. So hat z. B. auch schon der große Weltkongreß der Lehrer im August 1957 in Frankfurt am Main die mangelnde



    Bundesminister Dr. Schröder
    Übereinstimmung der derzeitigen Schulsysteme mit der Struktur der modernen Gesellschaft als ein Weltproblem behandelt.
    Auch unser Volk muß zur Bewältigung seiner Aufgaben in der modernen Welt geistig so umfassend wie möglich gerüstet sein. Schule, Fachschule und Hochschule müssen die Jugend in der bestmöglichen Weise auf ihre kommenden Aufgaben vorbereiten können. Den Erwachsenen sollte durch die Einrichtungen der Erwachsenenbildung das Verständnis ihrer Umwelt erleichtert werden.
    Die Frage, die heute an uns gestellt wird, lautet also: Wollen wir an dem großen geistigen Ringen in der Welt und um die Welt weiterhin Anteil haben, oder wollen wir uns auf den Weg simpler Spezialisierung einlassen? Wollen wir geistig produktiv bleiben, oder wollen wir bestenfalls nur die Erkenntnisfrüchte anderer verwerten? Wollen wir die Apparatur über den Menschen herrschen lassen, oder wollen wir dem Menschen in Übereinstimmung mit den Leitbildern von Christentum und Humanismus seinen Rang auch in der so tief gewandelten Welt bewahren helfen? Das ist die Schicksalsfrage, die vor uns steht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es leuchtet danach ein, meine Damen und Herren, daß unser Volk auf dem Gebiete des Bildungswesens große Anstrengungen machen muß. Bildung kostet Geld. Da sie kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit ist, können die Bildungseinrichtungen nicht von dem leben, was an anderer Stelle erübrigt wird. Das Geld, das für sie benötigt wird, muß mit der gleichen Dringlichkeit gefordert und bereitgestellt werden wie die Mittel für andere vordringliche Aufgaben. Die notwendigen Beträge müssen ohne Rücksicht darauf verfügbar gemacht werden, daß ein Erfolg mancher Maßnahmen erst nach Jahren sichtbar wird.
    Die Investitionen in Bildungseinrichtungen entziehen sich einer strengen wirtschaftlichen Bilanzierung. Sie schlagen aber langfristig zu Buche. Ich darf daran erinnern, daß z. B. Großbritannien mitten im Krieg, im Jahre 1944, sein großes Gesetzgebungswerk zur Bildung — Education Act — in Gang gesetzt hat. In den Vereinigten Staaten hat Präsident Eisenhower im Januar dieses Jahres, also in einem Augenblick, in dem zum erstenmal seit längerer Zeit ein Rückgang der Beschäftigung sichtbar wurde, vom Kongreß eine Milliarde Dollar für vier Jahre zur Verwirklichung eines großen Erziehungsprogramms gefordert. Schließlich darf ich darauf hinweisen, daß die Regierungschefs auf der NATO-Konferenz in Paris im vergangenen Dezember mit Nachdruck gefordert haben:
    Wir müssen die Mittel für die Ausbildung des Nachwuchses in wissenschaftlichen und technischen Fächern erhöhen und dafür sorgen, daß die freie Entwicklung der Grundlagenforschung weiteren Auftrieb erfährt. Jede unserer Regierungen wird deshalb die Unterstützung überprüfen, die der wissenschaftlichen und technischen Ausbildung und der Grundlagenforschung zuteil wird.
    Nun dürfen allerdings die Dringlichkeit dieser Aufgabe und der hohe Aufwand, den sie erfordert, nicht dazu verführen, daß wir uns auf finanzielle Schätzungen einlassen, die gelegentlich astronomische Ausmaße erreichen. Zu solchen uferlosen Schätzungen kommt es dann, wenn man Wunschvorstellungen realisieren möchte, statt sich auf das Erreichbare zu beschränken. Im Ergebnis dienen mehr oder weniger gigantische Zahlenangaben nicht nur nicht der Sache, sondern sie entmutigen oft gerade diejenigen, die bei der Verwirklichung der vor uns liegenden Aufgaben mithelfen sollen. Wir sollten daher versuchen, realistische, d. h. realisierbare Vorstellungen zu gewinnen, und uns bei allen Planungen vor Augen halten, daß sie auf lange Sicht gelten. Entscheidend scheint mir zu sein, daß wir die Schwerpunkte unserer Not auf diesem Gebiet erkennen und die verfügbaren Mittel dort in zweckmäßigster Weise einsetzen.
    Diese Überlegungen führen zu der Frage, ob unsere Bildungseinrichtungen in der heutigen gesellschaftlichen Situation ihre Aufgabe erfüllen. Alle unsere Bildungseinrichtungen sind im 19. Jahrhundert in einer damals noch ständisch gegliederten Gesellschaft geformt worden: die Volksschule als die Schule des Volkes zur Vermittlung von Elementarkenntnissen, darüber die höhere Schule für die gebildeten Stände und darüber die Universität als die Schule der Gelehrten. Die ständische Gliederung ist von der industriellen Massengesellschaft verdrängt worden. In der hochtechnisierten Gesellschaft unserer Zeit ist Bildung in größerem Umfange und für mehr Menschen als früher nötig. Die Nachfrage nach Menschen mit höherer Bildung steigt noch. Das findet seinen Ausdruck in dem Massenansturm auf die höheren Schulen und die Universitäten. Diese Einrichtungen werden, wie es z. B. der Soziologe Schelsky genannt hat, weitgehend als Zuteilungsstellen von besseren Sozialchancen betrachtet und funktionieren auch als solche, was gewiß nicht ihre primäre Aufgabe ist.
    Unabhängiig von dieser unerwünschten Funktionsverschiebung ist es eine dringende Forderung, nicht nur einer kleinen Schicht, sondern unserem ganzen Volke ein höheres Maß an Bildung zu vermitteln. Dieser Aufgabe sind unsere Bildungseinrichtungen nicht gewachsen, da sie im wesentlichen ihre innere Struktur aus dem 19. Jahrhundert beibehalten haben. Wie sollen sie aber gestaltet werden, um der Masse unseres Volkes die qualitätsvolle Ausbildung für die modernen Berufe und für das Verständnis der modernen Welt zu geben?
    Wir werden, wie mir scheint, um eine neue Überprüfung des Gesamtzusammenhangs nicht herumkommen. Dabei werden wir uns immer vor Augen halten müssen, daß Bildung stets ein individueller Vorgang in Freiheit ist. Der Sinn unserer Überlegungen kann daher im Gegensatz zu allen östlichen Plänen nur der sein, der Freiheit planmäßig Raum zu schaffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In der Erkenntnis der Notwendigkeit einer solchen planvollen Prüfung des Gesamtzusammenhangs hat bereits in der 1. Legislaturperiode der



    Bundesminister Dr. Schröder
    Bundestag die Anregung gegeben, Bund und Länder möchten gemeinsam einen Ausschuß sachverständiger Persönlichkeiten mit dieser Aufgabe betrauen. Im Herbst 1953 haben daher Bund und Länder den Deutschen Ausschuß für das Erziehungs-
    und Bildungswesen gemeinsam ins Leben gerufen. Nach dem Berufungsschreiben soll der Deutsche Ausschuß „ein von jeder behördlichen Einflußnahme unabhängiger Kreis von Persönlichkeiten sein, die ihr Interesse, ihre Kenntnisse und Erfahrungen ehrenamtlich zur Verfügung stellen, um von einem lediglich auf das Wohl der Gesamtheit gerichteten Standpunkt die Entwicklung des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens zu beobachten und durch Rat und Empfehlung zu fördern." Die Zusammensetzung dieses Ausschusses ist nicht durch die Absicht bestimmt, spezielle Fachkenntnisse zu bündeln, und natürlich erst recht nicht durch die Rücksicht auf Verbände und Interessengruppen. Soweit die Mitarbeit besonders sachkundiger Persönlichkeiten erforderlich ist, wird sie durch Zuziehung von Sachverständigen von Fall zu Fall gesichert.
    Aufgabe des Deutschen Ausschusses ist es, eine Gesamtkonzeption des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens zu erarbeiten. Eine Reihe wertvoller Einzelbeiträge und Vorarbeiten hat er abgeschlossen, so u. a. eine Empfehlung zum neunten Schuljahr, zur höheren Schule, zur politischen Bildung und Erziehung, zur Ausbildung der Lehrer an Volksschulen und einiges Weitere. Seine zusammenfassende Darstellung wird leider noch einige Jahre Zeit brauchen. Deshalb haben Bund und Länder in diesen Tagen die Berufung der Mitglieder um fünf Jahre verlängert. Der Deutsche Ausschuß hat sich bewährt; ich möchte seinen Mitgliedern gerade heute und an dieser Stelle für ihre mühevolle, in der Stille geleistete Arbeit aufrichtig Dank sagen.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Ohne der angekündigten Gesamtkonzeption vorgreifen zu wollen, möchte ich zu einigen Fragenkomplexen Stellung nehmen, bei denen es sich um Notstände von aktueller Bedeutung handelt. Sie sollten in jeder Debatte über das deutsche Bildungswesen als Schwerpunkte gelten.
    Zunächst die Schule! Um Bildung in der erforderlichen Breite zu sichern, müssen gute Schulen in der notwendigen Zahl vorhanden sein, und zwar zunächst Grundschulen, die dann zu den verschiedenen Stufen der Fachausbildung weiterführen. Nur auf dieser breiten Grundlage kann sich die Spezialausbildung in ausreichendem Umfang entwickeln.
    Für eine gute allgemeine Schulbildung müssen folgende Voraussetzungen geschaffen werden:
    Ausbau und Neubau von Schulen aller Stufen. In den neun Jahren von 1948 bis 1957 sind bereits 4,7 Milliarden DM für den Bau allgemeinbildender Schulen und weitere 700 Millionen DM für deren Einrichtung aufgewendet worden. Nach Angaben von Professor Heckel, Frankfurt am Main, im Januar dieses Jahres fehlen hei allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen zur Ablösung des Schichtunterrichts noch 22 000 Klassenräume. Die volle Einführung des 9. Schuljahrs würde zusätzlich noch etwa 11 000 Klassenräume erfordern. Ich will die damit angesprochenen Fragen in finanzieller Hinsicht hier nicht vertiefen. Ich will auch nicht untersuchen, ob in dieser oder jener Stadt nicht mancher andere Bau zugunsten weiterer Schulbauten hätte zurückgestellt werden können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Mir ist auch zweifelhaft, ob die Erstellung eines Klassenraums wirklich 100 000 DM, ja sogar bis zu 200 000 DM kosten muß.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wenn man bescheiden und sachgemäß baut, kommt man gewiß mit geringeren Beträgen aus. Ich habe oft den Eindruck, daß manche Bauten in unserer Zeit dauerhafter sein würden, wenn man sie weniger aufwendig und weniger unterhaltsbedürftig gestaltete.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Siehe Bonn!)

    — Bei diesem Stichwort geraten Sie offenbar in Bewegung; aber das, was in Bonn geschieht, ist ja auch von vornherein nicht auf Dauer angelegt worden.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Die Unterhaltungsbedürftigkeit werden Sie wahrscheinlich nicht bestreiten wollen.
    Immerhin ist sicher, daß es sich auf dem Schulbausektor noch um bedeutende Aufwendungen handeln wird.
    Ein Wort zur Ausbildung und Besoldung der Lehrer. Sie muß auf allen Stufen der Aufgabe entsprechen, die dem Erzieher in unserer Zeit gestellt ist. Nur wenn wir Ausbildung und Besoldung der Lehrer so zu gestalten vermögen, daß ihr Beruf anziehend ist, werden wir die ausreichende Zahl qualifizierter Lehrer gewinnen.

    (Abg. Reitzner: Sie haben gegen die L-Besoldung gestimmt!)

    — Es handelt sich nicht um die Frage, wie sich der Bundestag oder andere Parlamente bisher in diesem Punkte verhalten haben, sondern es geht darum, was objektiv richtig ist. —
    Dann müssen wir uns darüber unterhalten, in welchem Zeitraum man etwas Derartiges erreichen kann. Wir sprechen, wie Sie aus meinen Darlegungen ersehen, zunächst über die idealen Verhältnisse, und dann bleibt noch Zeit, auf die Einzelheiten zu kommen.
    Es muß anerkannt werden, daß die Lehrer vor allem in den hinter uns liegenden Not- und Aufbaujahren zum Teil Bewundernswertes unter schwierigen Umständen geleistet haben.

    (Beifall in der Mitte.)

    Gemessen an den vielerlei Hindernissen, die der freien pädagogischen Entfaltung im Wege gestanden haben, hat die deutsche Schule trotz mancher Unzulänglichkeit im einzelnen einen beachtlichen Ausbildungsstand, und sie genießt auch im Ausland



    Bundesminister Dr. Schröder
    Ansehen. Dafür gebührt, wie ich glaube, den Lehrern Dank.

    (Beifall in der Mitte.)

    In der augenblicklichen Situation sind sie jedoch überfordert. Im Januar 1958 fehlten — ebenfalls nach Angaben von Professor Heckel, dem ich hier folge — 7000 Lehrer an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Soll das 9. Schuljahr, das jetzt zum Teil probeweise eingeführt ist, in vollem Umfang eingeführt werden, werden weitere 11 500 Lehrer benötigt werden.
    Wir stehen auf dem Standpunkt, daß alle Begabungen zur Entfaltung gebracht werden sollen, nicht nur auf dem normalen Ausbildungsweg, sondern auch über den sogenannten und viel diskutierten zweiten Bildungsweg. Hier liegt das Problem darin, die einzelnen Ausbildungszüge gegeneinander durchlässig zu machen. Ich möchte aber davor warnen, diesem Problem eine zahlenmäßig allzu große Bedeutung beizulegen.
    Neben der Allgemeinbildung auf den Schulen muß die Erwachsenenbildung, die glücklicherweise frei von allen Berechtigungen ist und hoffentlich auch bleiben wird, als Möglichkeit geistiger Entfaltung der Erwachsenen nachhaltig gefördert werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Notwendigkeit, Hilfen für die Freizeitgestaltung zur Verfügung zu stellen.
    Ich komme zu den Hochschulen. Bei der Hochschule besteht das Problem darin, daß der Andrang der Studenten jährlich zunimmt, während die Zahl
    der Hochschullehrer weiterhin völlig unzureichend ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    An der Universität München sind z. B. 1400 Germanisten immatrikuliert, für die 3 Ordinarien und 3 Dozenten zur Verfügung stehen. In anderen Fächern sind die Zahlen noch ungünstiger. Die Hochschulkonferenz in Bad Honnef im Jahre 1955 hat daher mit Recht eine wesentliche Vermehrung der Lehrkräfte gefordert. Eine entscheidende Besserung konnte jedoch bisher nicht erreicht werden.
    Wenn die Universitäten, die weithin zu Berufsvorbereitungsanstalten und zu Massenunternehmen geworden sind, noch einmal die Chance haben sollen, ihrer Idee zu entsprechen, muß zunächst dafür gesorgt werden, daß die geistige Begegnung zwischen den Studierenden und ihren akademischen Lehrern wieder möglich wird. Dazu muß ein Doppeltes geschehen. Es muß einmal die Zahl der Hochschullehrer entscheidend vermehrt werden. Sodann bleibt aber zu prüfen, ob es weiter bei dem unbeschränkten Zugang jedes Abiturienten zur Hochschule bleiben kann. Es ist offensichtlich, daß zur Zeit zahlreiche Abiturienten die Hochschule besuchen, die nicht wirklich die Hochschulreife mitbringen, d. h. das erforderliche Maß an theoretischer Intelligenz. Diese Studenten überfüllen die Hochschulen und behindern die Begabteren.
    Hier sind zwei Lösungen denkbar. Man kann bei unverändertem Abitur die Zulassung zu den Hochschulen beschränken. Das würde bedeuten, daß die Hochschule sich selbst in eine Hochschulzulassungsprüfung die ihr geeignet erscheinenden Studenten aussucht und damit der ärgsten Überfüllung der Hochschule vorbeugt. Eine solche Zulassungsbeschränkung besteht z. B. an den britischen Universitäten. Das Ergebnis in diesem etwa gleich großen Land ist, daß nur halb so viel Studenten wie in der Bundesrepublik studieren. Das ist eine Tatsache, die einen doch etwas nachdenklich stimmen sollte.
    Oder man kann — das ist die zweite Möglichkeit — bei unverändert freiem Zugang der Abiturienten zur Hochschule dem Abitur seine ursprüngliche Bedeutung als Hochschulreifeprüfung zurückgeben. Das würde bedeuten, daß die Oberstufe der Gymnasien nur von den Schülern besucht wird, die für ein Hochschulstudium geeignet sind und dieses anstreben. Es würde dann künftig keine Schüler mehr geben, die Primen besuchen, um als Abiturienten in den gehobenen Dienst der Verwaltung oder in vergleichbare Stellen in der Industrie usw. zu gehen. Zur Ausbildung für solche Berufe müßte der Abschluß der Mittelstufe der Gymnasien oder vergleichbare Abschlüsse anderer Schularten genügen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Hier müßte dann — ich sage: dann — die Verwaltung bei Bund und Ländern in der Einschränkung des nahezu uferlosen Berechtigungswesens, das auf dem Abitur aufbaut, vorbildlich vorangehen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Welche der beiden Lösungen — die beschränkte Hochschulzulassung oder die strengere Auslese im Zugang zum Abitur — man auch wählen mag, immer kommt es darauf an, die Studenten, die keine Hochschulreife haben, von der Hochschule fernzuhalten. Allerdings müßten bei beiden Lösungen die höheren Fachschulen so ausgebaut werden, daß sie den Zuwachs aus der Zahl der nicht mehr zu den Universitäten zugelassenen Schüler aufnehmen könnten.
    In diesem Zusammenhang darf ich ein Wort zur Studienförderung sagen. Die wirtschaftliche Situation der Studenten hat sich nach Einführung der Stipendien und Darlehen nach dem Honnefer Modell entscheidend gebessert. In den vergangenen Jahren standen wir der ernsten Situation gegenüber, daß ein großer Teil der deutschen Studentenschaft durch Werkarbeit gehindert war, ausschließlich seinem Studium nachzugehen: 11 % der deutschen Studentenschaft finanzierten ihr Studium ganz und 35 % zum Teil mit Werkarbeit. Zur Behebung dieses Notstandes wurde im Bundeshaushalt ein Fonds von 30 Millionen DM für Stipendien und Darlehen für geeignete und bedürftige Studenten geschaffen. Die Förderung erfolgt nicht nach dem Grundsatz der sozialen Fürsorge, sondern ist dem Bildungsgang auf den Hochschulen angepaßt. Sie beruht nicht allein auf der Bedürftigkeit des Studenten, sondern setzt seine Eignung voraus — mindestens soll es so sein —, die festzustellen Aufgabe der Hochschule ist. Das ist der Kern des sogenannten Honnefer Modells einer hochschulgerechten Studentenförderung.
    Mit diesen Bundesmitteln, zu denen Mittel der Länder hinzutreten, konnten etwa 20 % der deutschen Studentenschaft, d. h. also etwa 30 000 Stu-



    Bundesminister Dr. Schröder
    denten, gefördert werden. Außerdem werden durch die Studienstiftung des deutschen Volkes, durch das Evangelische Studentenwerk Villigst, das katholische Cusanus-Werk, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Stiftung „Mitbestimmung" weitere etwa 2 % der deutschen Studenten gefördert. Weitere 13 % der deutschen Studenten — das sind 21 500 Studenten — erhalten eine Sozialbeihilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz, dem Bundesversorgungsgesetz und dem Heimkehrergesetz, die ihnen ebenfalls ihr Studium erleichtert. Insgesamt werden also etwa 35 070 der deutschen Studenten mit insgesamt etwa 67,6 Millionen DM gefördert.
    Über die nötige Zahlengröße gibt es manche Meinungsverschiedenheit. Ich möchte hier aber gerne darlegen, daß sich diese Zahl im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen kann. Ich will und muß hier von den Verhältnissen in der sowjetisch besetzten Zone absehen. Dort wird, wie wir alle wissen, vorwiegend Gesinnungsauswahl betrieben, weil man eine Intelligenzschicht anderer, und zwar äußerst einseitiger, soziologischer Prägung heranziehen will. Ebensowenig können aber hier die britischen Verhältnisse mit den deutschen Verhältnissen verglichen werden, da Großbritannien, wie ich das bereits erwähnt habe, nur halb soviel Studenten wie die gleich große Bundesrepublik hat.

    (Abg. Dr. Ratzel: Das stimmt nicht, Herr Minister!)

    — Warum wollen Sie das eigentlich bezweifeln? Selbst die Untersuchung, auf die Sie sich gerade bezogen haben, legt das doch dar.

    (Abg. Dr. Ratzel: Die Technical Colleges sind z. B. nicht mit erfaßt!)

    — Aber Sie haben die Broschüre vorhin zitiert, und aus der ergibt sich, daß, jedenfalls cum grano salis, es bei etwa gleicher Größe der Bevölkerung rund die Hälfte ist. Großbritannien reguliert, wie ich schon sagte, den Zugang zu den Universitäten durch ein bestimmtes Zulassungsverfahren. Die geringere Zahl der dann zugelassenen Studenten wird allerdings relativ weitgehend mit Stipendien gefördert.
    Ein wirklicher Vergleich der Verhältnisse ist also nur zwischen der Bundesrepublik und jenen Ländern möglich, die verhältnismäßig annähernd gleich hohe Studentenzahlen haben. Das sind z. B. Finnland, Frankreich, Jugoslawien, die Niederlande, Norwegen und Schweden. Der Durchschnitt für die Stipendienförderung liegt für alle diese Länder gemeinsam bei etwa 20 %. Das ist genau die Zahl, die in der Bundesrepublik durch Förderung von Bund und Ländern erreicht wird, wozu, wie ich erwähnt habe, noch 15 % aus anderen Mitteln hinzutreten.
    Die Förderung nach dem Honnefer Modell ist in vollem Umfang erst ab Wintersemester 1957 angelaufen, und die Erfahrungen, die wir in der Kürze der Zeit gemacht haben, sind im allgemeinen befriedigend. An den Hochschulen haben die Förderungsausschüsse mit Ernst und Sorgfalt ihre ganz neue Aufgabe angefaßt. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, daß es auch Schwierigkeiten gegeben hat, die jedoch überwiegend damit zusammenhängen dürften, daß zuwenig Hochschullehrer vorhanden sind. Nicht ohne Grund ist bei der schon erwähnten Hochschulkonferenz in Bad Honnef neben der Förderung von Studenten auch die Vermehrung der Lehrkräfte an den Hochschulen empfohlen worden, und mit Recht hat die Öffentlichkeit gerade diese Seite der Honnefer Empfehlungen neuerdings mit Nachdruck wieder ins Gedächtnis gerufen. Um so mehr muß unter diesen Umständen die mühevolle Auswahlarbeit anerkannt werden, die die vorhandenen Hochschullehrer zu ihren vielfältigen anderen Aufgaben bewältigt haben.
    Für 1958 ist als Bundeszuschuß für die Durchführung des Honnefer Modells ein Betrag von 35 Millionen DM vorgesehen. Über die Einzelheiten dessen, was der Bund für Studenten und Hochschulen tut, unterrichtet eine Denkschrift, die ich in diesen Tagen dem Bundestag und der Öffentlichkeit vorgelegt habe.
    Ich wende mich nun den Fragen des technischen Nachwuchses zu. Erlauben Sie mir, daß ich zunächst eine begriffliche Klarstellung gebe. Die Begriffe „technischer Nachwuchs", „naturwissenschaftlicher Nachwuchs", „akademischer Nachwuchs", „wissenschaftlicher Nachwuchs" werden häufig ohne genaue Abgrenzung gegeneinander verwendet. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich die Begriffe so verwenden, wie sie in der Berufssystematik und in der Berufsstatistik üblich sind. Das maßgebliche Kriterium ist dort die Ausbildung, nicht die spätere Berufstätigkeit.
    Man kann danach unterscheiden zunächst einmal den Nachwuchs für wissenschaftliche oder akademische Berufe. Das ist der Nachwuchs für die geisteswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, der an wissenschaftlichen Hochschulen, an den Universitäten und Technischen Hochschulen, ausgebildet wird. Ein Ausschnitt hieraus ist der naturwissenschaftliche Nachwuchs. Das ist also der Nachwuchs, der in den naturwissenschaftlichen Fächern an den wissenschaftlichen Hochschulen ausgebildet wird. Zur Ausbildung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses gehören nicht die Ausbildungslehrgänge in diesen Fächern an den Fach- und höheren Fachschulen.
    Schließlich der technische Nachwuchs. Dieser gliedert sich in drei Gruppen. Die Diplomingenieure werden an den Technischen Hochschulen, die Ingenieure an den Ingenieurschulen und die Techniker an den Fachschulen oder in gleichwertigen Lehrgängen ausgebildet.
    Wie sieht nun das Zahlenbild aus? Durch die in der 2. Legislaturperiode im März 1957 von mir vorgelegte Denkschrift über den technischen Nachwuchs ist der damals vom Bundestag geforderte Überblick für Diplomingenieure, Ingenieure und Techniker, zusammenfassend „technischer Nachwuchs" genannt, bereits gegeben. Die Denkschrift ist neuerdings dem Hohen Hause nochmals, als Drucksache 225, zugeleitet worden.
    Einen gleichartigen Überblick über die Naturwissenschaftler kann ich noch nicht vorlegen. Die zur Zeit zur Verfügung stehenden statistischen Unterlagen erlauben eine sorgfältige Untersuchung



    Bundesminister Dr. Schröder
    dieser Frage und die Erarbeitung eines wirklichkeitsnahen Überblicks noch nicht. Bei dem Versuch, das vorhandene statistische Material aufzuarbeiten d. h. es auf vergleichbare Normen zu bringen, hat sich gezeigt, daß es so unterschiedlich ist, daß Vergleiche und eine Zusammenfassung nicht möglich sind. Maßnahmen zur Verfeinerung der Nachwuchsstatistik sind eingeleitet. Mit einem schnellen Abschluß ist wegen der genannten großen Schwierigkeiten leider nicht zu rechnen.
    Ich möchte aber hier die wichtigsten Ergebnisse unserer Erhebungen über den technischen Nachwuchs wiederholen: Es ist berechnet worden, daß im Herbst 1956 73 200 Diplomingenieure, 153 100 Ingenieure und 133 700 Techniker vorhanden waren. Dieser Bestand wird unter der Annahme, daß keine zusätzlichen Ausbildungsplätze geschaffen würden, bis 1970 in der Weise zunehmen, daß dann etwa 90 000 Diplomingenieure und 240 000 Ingenieure vorhanden sind. Der wünschenswerte Bestand wird im Jahre 1970, soweit sich die Entwicklung der Bevölkerung und der Industrieproduktion im voraus schätzen läßt, für Diplomingenieure bei etwa 85 000 und für Ingenieure bei etwa 270 000 liegen. Nach diesen Annahmen ist also ein Fehlbestand von etwa 30 000 Ingenieuren zu erwarten.
    Aus diesen Berechnungen sind nun in der Denkschrift folgende Folgerungen gezogen worden: Bis zum Jahre 1970 muß die Kapazität der Ingenieurschulen insgesamt um 60 %, speziell im Maschinenbau und in der Elektrotechnik um 100% erhöht werden. Um die Ingenieurausbildung möglichst wirksam werden zu lassen, empfiehlt es sich, zusätzlich folgende Maßnahmen durchzuführen: Zunächst einmal die Vereinheitlichung des Aufbaus der Ingenieurschulen und des Zugangs zu ihnen, zweitens eine ausreichende Besoldung der Dozenten und drittens die Einführung von Stipendien für Studierende an Ingenieurschulen.
    Die Errichtung einer weiteren Technischen Hochschule scheint nach diesen Übersichten zunächst nicht erforderlich zu sein. Die Zahl der Studienplätze an den Technischen Hochschulen reicht vorläufig aus. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß die Zahl der Studenten, verglichen mit der qualitativen Ausrüstung der Technischen Hochschulen, viel zu hoch ist, d. h. die Qualität der Ausbildung leidet unter ungenügender Ausrüstung. Eine vordringliche Aufgabe ist es daher, die Technischen Hochschulen so auszustatten, daß die Zahl der Lehrkräfte und die Einrichtung der Hochschulen den Studierendenzahlen entsprechen. Im einzelnen sind folgende Maßnahmen erforderlich: eine Erhöhung der Zahl der Assistenten und eine Neueinrichtung von Lehrstühlen. Eine wesentliche Erhöhung der Stipendien für Studenten ist inzwischen durch das Honnefer Modell bereits erreicht worden.
    Der Technikerausbildung auf den Fachschulen kommt in Zukunft eine besondere Bedeutung zu. Auch hier ist eine Erweiterung der Ausbildungsmöglichkeiten notwendig. Dabei wird man prüfen müssen, inwieweit die Industrie die Ausbildung von
    Technikern dadurch unterstützen kann, daß sie den Besuch von Tagesfachschulen erleichtert.
    Zusammenfassend möchte ich zu diesem Kapitel sagen: Das Schwergewicht des Bedarfs liegt bei dem Ausbau der Ingenieurschulen. Dazu hat der Bund den Ländern, und zwar mittelbar durch Übernahme eines Teils der Lasten des Königsteiner Abkommens, im Jahre 1957 den erheblichen Betrag von 22 Millionen zur Verfügung gestellt. Es ist beabsichtigt, die gleiche Regelung für das Rechnungsjahr 1958 zu wiederholen. Weitere Mittel für Ingenieurschulen und für Ingenieurstudenten haben das Bundesatomministerium — 7,15 Millionen DM 1958 —, das Bundeswirtschaftsministerium — 5,5 Millionen DM Kredit für den Ausbau von Ingenieurschulen — und das Bundespostministerium — Einrichtung einer eigenen Ingenieurschule in Berlin — zur Verfügung gestellt.
    Die Länder werden im Mai dieses Jahres mitteilen, in welchem Umfange sie auf Grund der Bundeshilfe die Kapazität ihrer Ingenieurschulen erweitern konnten. Ich bin überzeugt, daß schon jetzt wichtige Fortschritte erzielt wurden. Allein im Land Nordrhein-Westfalen sind in den beiden letzten Jahren drei neue Ingenieurschulen erbaut und andere Ingenieurschulen ausgebaut worden, wodurch sich die Kapazität der Ingenieurschulen um 51 Klassen bzw. 1530 Studienplätze erweitert hat. Für das Rechnungsjahr 1958 ist eine weitere Verstärkung um 19 Klassen bzw. 570 Plätze geplant. Aus einer Übersicht, die wir wahrscheinlich im Mai verfeinert werden vorlegen können, ergibt sich, daß allein von 1956 auf 1957 die Ingenieurschulenkapazität um etwa 16 % gesteigert worden ist. — Ich sehe, daß der Kollege Ratzel hier zweifelnd den Kopf schüttelt. Ich werde ihm nachher mal diese Zahlen im einzelnen geben.
    Was den Ingenieurnachwuchs angeht, so wird er bereits im Rahmen der Studentenförderung nach dem Honnefer Modell gefördert, soweit er an den wissenschaftlichen Hochschulen ausgebildet wird. Bund und Länder sind sich darin einig, daß auch die Studierenden an den Ingenieurschulen eine Förderung brauchen. In welchem Umfang geholfen werden muß, kann erst nach genauem Studium der in. zwischen vorgelegten Sozialerhebung unter den Studierenden dieser Schulen gesagt werden. Die Förderung setzt voraus, daß von den dafür zuständigen Stellen ein Förderungsmodell entwickelt wird, das den Verhältnissen dieser Ausbildungsstätten angemessen ist. Die Erörterungen über ein sogenanntes Rhöndorfer Modell sind im Gange. Die Überlegungen sind aber noch keineswegs abgeschlossen. Anderslautende Meldungen sind verfrüht. Deswegen weiß ich auch nicht, ob die von den Studenten beabsichtigte Taufe ausgerechnet als ,,Rhöndorfer Modell" die letzte Bezeichnung dieser neuen Einrichtung bleiben wird. Aber Herr Kollege Ratzel hat so viel Sympathie für den Namen zum Ausdruck gebracht, daß es sich vielleicht empfiehlt, dabei zu bleiben.

    (Abg. Dr. Ratzel: Für Rhöndorf!)




    Bundesminister Dr. Schröder
    — Ja, ich hoffe, Sie werden dann auch dem Namen zustimmen.
    Für die Förderung der Studierenden an den Ingenieurschulen wie den anderen Fachschulen und höheren Fachschulen durch unmittelbare Zuwendungen sind allein die Länder zuständig. Im Hinblick hierauf und wegen der Besonderheit der Ausbildung dürfte die Einbeziehung in das Honnefer Modell nicht in Betracht kommen. Sollte sich ergeben, daß den Ländern die für die Förderung erforderlichen Mittel nicht in vollem Umfange zur Verfügung stehen, müßte geprüft werden, ob und in welchem Umfange eine Entlastung der Länder etwa durch ein zweites Verwaltungsabkommen über den Ausbau der Ingenieurschulen ermöglicht werden könnte.
    Das, was ich soeben sagte, gilt mutatis mutandis auch für die Förderung der Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen und Ausbildungsstätten.
    Bereits jetzt werden von einzelnen Bundesressorts, ihrer besonderen Aufgabe entsprechend, folgende Leistungen für die Förderung des Nachwuchses an Ingenieurschulen erbracht:
    Das Bundesatomministerium stellt für die Förderung der Studierenden an den Ingenieurschulen in den Jahren 1957 und 1958 zusammen rund 3 Millionen DM zur Verfügung.
    Die Deutsche Bundesbahn gewährt Beihilfen an geeignete Studierende zur Sicherstellung des gehobenen technischen Dienstes; es wurden 1956 115 000 DM und 1957 385 000 DM aufgewendet, und für 1958 sind 450 000 DM vorgesehen.
    Ähnlich unterstützt der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen laufend solche Studierende an Ingenieurschulen, die sich verpflichten, in den Dienst der Bundespost zu treten. Insoweit ahmt der Staat nur das nach, was die Wirtschaft ihrerseits in großem Umfang betreibt und was sich ja bis zum Deutschen Gewerkschaftsbund hin gut eingeführt hat.
    Auch der Bundesminister für Verteidigung hat für seinen Bereich für das Haushaltsjahr 1958 einen Ansatz von 138 000 DM als Studienhilfe für Fachschüler höherer technischer Lehranstalten eingebracht.
    An den Ingenieurschulen — das ist ein weiterer Punkt, der in der Großen Anfrage behandelt wird — studieren z. Z. etwa 450 Ausländer, darunter nach unseren Zahlen ein Drittel Studierende aus Entwicklungsländern. Herr Kollege Ratzel war so freundlich, diese Zahlen etwas zu erhöhen. Sollten seine Zahlen hier richtiger sein, würde ich mich beeilen, zuzustimmen. Die Zahl der ausländischen Studierenden an diesen Schulen ist nicht nur wegen der wenigen verfügbaren Plätze gering, sondern vor allem auch deswegen, weil die seminaristische Art des Unterrichts die vollkommene Beherrschung der deutschen Sprache verlangt. Herr Kollege Ratzel hat hierzu ausgeführt, wenn die Leute eben nicht Deutsch könnten, müsse man sich hier sehr um sie bemühen, daß sie Deutsch lernten. Nun kann das unmöglich gleichzeitig die Aufgabe des
    Unterrichts an solchen Anstalten sein. Ich möchte darauf hinweisen, daß diejenigen von uns, die einmal den Vorzug gehabt haben, im Ausland zu studieren, sich auch ihrerseits sehr darum bemüht haben, wenigstens mit einem Minimum von Sprachkenntnissen in einem fremden Land anzukommen, in dem man Ausbildungseinrichtungen — doch wohl auch zu seinem eigenen Vorteil — benutzen möchte.
    Das Auswärtige Amt vergibt 60 Stipendien, um jungen Ausländern ein Studium an Ingenieurschulen und höheren Fachschulen in Deutschland zu ermöglichen. Es befinden sich darunter 22 Angehörige von Entwicklungsländern. Für diesen Zweck werden 1957 wie 1958 je 250 000 DM aufgebracht.
    Es ist zu erwarten, daß die Erweiterung der Studienplätze an Ingenieurschulen auch eine erweiterte Studienmöglichkeit für ausländische Studierende mit sich bringt.
    Ich komme nun schließlich zur Frage der Wissenschaftsförderung. Neben die Aufgaben der Schul- und Hochschulbildung tritt mit gleicher Dringlichkeit die Wissenschaftsförderung.
    Bildung und Wissenschaft sind ein Ganzes; infolgedessen müssen sich Bildungspolitik wie Wissenschaftsförderung auch auf das Ganze richten. Ich würde es für verfehlt halten, einige Spezialfächer, z. B. nur die Naturwissenschaften, mit Rücksicht auf besondere Tagesinteressen bevorzugt zu fördern und darüber zu vergessen, daß eine ausreichende Zahl von g fiten Schulen zugleich die beste Voraussetzung für Spezialausbildung bedeutet.
    Notwendig ist daher die Förderung unserer Bildungseinrichtungen insgesamt und im Wissenschaftsbereich die Förderung sowohl der Geisteswissenschaften als auch der Naturwissenschaften. Die Bundesregierung hat daher bisher auch keinen Unterschied in der Förderung der geisteswissenschaftlichen und der naturwissenschaftlichen Fächer gemacht. Infolgedessen kann ich keine Auskünfte erteilen, die sich lediglich auf die technischen Bildungseinrichtungen beziehen, sondern ich muß in einigen Fällen Antworten geben, die sich sowohl auf die Förderung der Geistes- als auch auf die der Naturwissenschaften beziehen.
    Eine Denkschrift der Bundesregierung über die Entwicklung der Aufwendungen für Forschung, Lehre und Studium ist nicht geplant. Vielmehr wird über den derzeitigen Stand der Wissenschaft in Deutschland der Plan, den der Wissenschaftsrat vereinbarungsgemäß zu erarbeiten hat, die nötige Auskunft geben. Der Wissenschaftsrat hat, wie das Hohe Haus weiß, inzwischen seine Arbeit aufgenommen. Er wird sich bei der Aufstellung des Gesamtplans auch der Unterlagen bedienen, die ihm die Statistik liefert. Ich habe vorsorglich — und nicht zuletzt auch im Hinblick auf die von mir im Dezember 1956 dem Hohen Hause mitgeteilten Zahlen, für die nur sehr unvollkommene Unterlagen zur Verfügung standen — die erforderlichen Maßnahmen zur Verfeinerung der Wissenschaftsstatistik eingeleitet.



    Bundesminister Dr. Schröder
    In einer Sitzung am 14. Januar 1958, an der u. a. die Vertreter der interessierten Bundesressorts, des Statistischen Bundesamts, der Kultusministerien der Länder, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel und des Stifterverbandes sowie der Leiter des Statistischen Amtes der Niederlande teilnahmen, wurden die Grundlagen festgelegt, auf denen künftig weiter gearbeitet werden soll. Es wurde ein Arbeitsausschuß eingesetzt, der im Rahmen dieser Richtlinien Vorschläge zur Verbesserung und Vervollkommnung der Wissenschaftsstatistik erarbeiten wird. Das Ziel soll eine Statistik sein, die jederzeit einen Überblick über die Höhe der Aufwendungen des Staates — des Bundes, der Länder und auch der Gemeinden — und der nichtöffentlichen Hand für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung ermöglicht. Auch soll geprüft werden, inwieweit ein internationaler Vergleich möglich ist; nach übereinstimmender Meinung der Sachkenner bestehen für ihn zur Zeit noch besonders große Schwierigkeiten, so daß wir alle ausländischen Vergleichszahlen immer nur mit großer Umsicht und Vorsicht gebrauchen dürfen.
    Es kann nun nicht meine Aufgabe sein, heute schon die Schwerpunkte der Wissenschaftsförderung zu bezeichnen. Das ist und soll sein Aufgabe des Wissenschaftsrates. Ich möchte ihm in der Aufstellung seines Programms nicht vorgreifen. Entsprechend dem Grundsatz, daß Natur- und Geisteswissenschaften in gleicher Weise gefördert werden müssen, wird sich dieses Programm auf beide Wissenschaftszweige beziehen.
    Folgende Zahlen mögen dazu dienen, einen Überblick über die Mittel zu geben, die in den letzten Jahren für die Förderung der Wissenschaft in der Bundesrepublik aufgewendet worden sind.
    Nach einer Sonderuntersuchung des Statistischen Bundesamtes haben sich die Aufwendungen des Bundes von 145,2 Millionen DM im Rechnungsjahr 1955 auf 328,9 Millionen DM nach dem Haushaltsplan 1956 erhöht. Im Haushaltsplan 1957 sind die Aufwendungen auf 572,9 Millionen DM gesteigert worden.
    Die Aufwendungen der Länder sind von 892,9 Millionen DM im Rechnungsjahr 1955 auf 960,3 Millionen DM nach den Haushaltsplänen 1956 gestiegen; in diesen Zahlen sind auch die Ausgaben für Ingenieurschulen enthalten. Für das Rechnungsjahr 1957 liegen Zahlen noch nicht vor. Die Aufwendungen dürften sich jedoch nach Schätzungen weiter um rund 100 Millionen DM erhöht haben.
    In den genannten Zahlen enthalten sind die Aufwendungen der Länder im Rahmen des Königsteiner Abkommens; sie haben sich von 43,2 Millionen DM im Jahre 1955 auf 48,3 Millionen DM im Jahre 1956 und auf 53 Millionen DM im. Jahre 1957 erhöht. An dem letztgenannten Betrag ist der Bund, wie ich das erwähnt habe, mit rund 22 Millionen DM beteiligt.
    Die Aufwendungen der Gemeinden für die Förderung der Wissenschaft einschließlich ihrer Zuweisungen an die Länder, die durchschnittlich 13 bis 15 Millionen DM betragen — beliefen sich im Rechnungsjahr 1954 auf 35,4 Millionen DM, im Rechnungsjahr 1955 auf schätzungsweise 36 bis 38 Millionen DM.
    Aus dem Bereich der gewerblichen Wirtschaft stehen mir nur einige vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft genannte Zahlen zur Verfügung. Danach betrugen die Aufwendungen der gewerblichen Wirtschaft ohne die Aufwendungen der wirtschaftseigenen Forschung im Rechnungsjahr 1954 34 Millionen DM, im Jahre 1956 44 Millionen DM. Die Aufwendungen der gewerblichen Wirtschaft für die betriebseigene Forschung und Entwicklung betrugen im Jahre 1956 rund 750 Millionen DM. Für die verbandsgemeinschaftliche Forschung brachte die gewerbliche Wirtschaft 1956 rund 42 Millionen DM auf.
    Meine Damen und Herren! Bei dem derzeitigen Stand der statistischen Auswertung dieses Zahlenmaterials können keine Angaben darüber gemacht werden, wie sich die genannten Beträge auf die einzelnen Bereich der Wissenschaftsförderung -Forschung, Lehre, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Nachwuchsförderung usw. — aufteilen. Es erscheint zweifelhaft, ob bei der engen Verbindung, die zwischen den genannten Bereichen, insbesondere zwischen Forschung und Lehre, besteht, eine Aufgliederung künftig möglich sein wird. Eine solche Aufgliederung würde eine restlose Aufteilung aller Haushaltsansätze in Teilansätze für die einzelnen Bereiche notwendig machen. Das dürfte aber schon deshalb unmöglich sein, weil die bereitgestellten Mittel vielfach der Förderung mehrerer der genannten Bereiche der Wissenschaft zugleich dienen sollen. Im übrigen würde eine bewegliche und wirksame Förderung der Wissenschaft durch eine derartig spezifizierte Aufteilung erschwert. Das ist auch die Ansicht der Kultusminister der Länder.
    Ob, auf welchen Gebieten der Wissenschaft und in welchem Umfang ein „gefährlicher" Rückstand aufzuholen ist, wie die Große Anfrage etwas pessimistisch meint, werden die Erhebungen des Wissenschaftsrates ergeben. Seine Aufgabe ist nicht etwa die Verteilung von im Bundeshaushalt bereitgestellten Mitteln, sondern es obliegt ihm, neben der Aufstellung von jährlichen Dringlichkeitsprogrammen in erster Linie einen Gesamtplan für die Förderung der Wissenschaften zu erarbeiten und hierbei die Pläne von Bund und Ländern aufeinander abzustimmen. Der Wissenschaftsrat hat sich dieser Aufgabe mit besonderer Dringlichkeit angenommen und zunächst umfangreiche Erhebungen im Gesamtbereich der Wissenschaft eingeleitet.

    (Abg. Dr. Ratzel: Hat der Wissenschaftsrat schon einen Geschäftsführer und einen Sitz?)

    — Jedenfalls arbeitet der Wissenschaftsrat.
    Die Sichtung und Auswertung des eingehenden Materials wird sicher einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei bietet die Zusammensetzung des Wissenschaftsrates die Gewähr für eine denkbar umfassende und sachverständige Betrachtung und Beurteilung des ermittelten Tatbestandes.



    Bundesminister Dr. Schröder
    Vielleicht darf ich hier eine Zwischenbemerkung machen. Der Herr Kollege Ratzel hat sich hinsichtlich der Zusammensetzung des Wissenschaftsrates so besorgt gezeigt. Ich habe mir inzwischen noch einmal die Liste angesehen und finde in ihr Namen sehr prominenter Sozialdemokraten, so daß ich seine Sorgen wegen der Zusammensetzung nicht so ganz verstehen kann.

    (Abg. Dr. Ratzel: Ich denke nicht in Parteifraktionen!)

    — Das finde ich großartig!

    (Abg. Dr. Ratzel: Sondern ich denke an das Verhältnis von Wissenschaft und Bürokratie, und da scheint mir die Wissenschaft zu kurz zu kommen!)

    — Daraus kann ich nur folgendes entnehmen. Sie scheinen zu einem sozialdemokratischen Kultusminister nicht mehr Vertrauen zu haben als zu anderen Kultusministern. Ob ich dieses Faktum positiv oder negativ werten soll, will ich jetzt einmal offenlassen.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Aber Sie wissen, daß die Meinung der Bundesregierung dahin gegangen ist — und hoffentlich werden wir dafür anschließend Ihr Lob bekommen —, in diesem Rat nun nicht etwa im Endeffekt nur die „Bürokraten" überwiegen zu lassen, sondern der Wissenschaft eine sehr unabhängige Rolle erster Ordnung dabei zukommen zu lassen. In dieser Absicht sind wir durch die Länder und ihre besonderen Auffassungen etwas beeinträchtigt worden. Ich will das hier gar nicht kritisieren, aber möchte einmal sagen: hier fallen Gerechte und Ungerechte nach beiden Seiten ziemlich gleichmäßig aus, wenn man zwischen Regierung und Opposition als Gerechte oder Ungerechte — aber bitte: verteilen Sie die Akzente wie Sie wollen — überhaupt unterscheiden kann.
    Sobald der Gesamtplan des Wissenschaftsrats fertiggestellt ist, werden uns authentische Unterlagen über Stand und Entwicklungsnotwendigkeiten für Forschung, Lehre und Studium vorliegen, wie wir sie auf andere Weise kaum hätten erhalten können. Ich bin hier also doch etwas optimistischer, als es der Kollege Ratzel für sich zum Ausdruck gebracht hat.
    Bund und Länder haben sich gegenseitig verpflichtet, „die Empfehlungen des Wissenschaftsrates bei der Aufstellung ihrer Haushaltspläne im Rahmen der haushaltsmäßigen Möglichkeiten zu berücksichtigen". Ich darf daher die Hoffnung aussprechen, daß es auf Grund der Arbeit des Wissenschaftsrates möglich sein wird, künftig die gesamte Wissenschaftsförderung in Bund und Ländern auf eine neue Grundlage zu stellen. Ich sage: ich spreche die Hoffnung aus; denn es ist ein großes Unterfangen, was ich damit angedeutet habe.
    Die von mir genannten Zahlen dürften im übrigen gezeigt haben, daß Bund und Länder bemüht waren, ihre Leistungen für die Förderung der Wissenschaft wirksam zu steigern. Die gleiche Tendenz zeigt auch der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsplan für das Jahr 1958. Ich darf z. B. darauf hinweisen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, die Aufwendungen meines Ressorts für die Förderung der Wissenschaft von 172,3 Millionen DM im Haushaltsjahr 1957 auf voraussichtlich - ob das verwirklicht wird, wird an dem Hohen Hause liegen —186,5 Millionen DM im Haushaltsjahr 1958 und die Aufwendungen des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft für diesen Zweck von 58 Millionen DM im Haushaltsjahr 1957 auf rund 82 Millionen DM im Haushaltsjahr 1958 zu erhöhen.
    Falls aus der Veräußerung von gewerblichem Bundesvermögen, über die zur Zeit gesprochen wird, wesentliche Mittel anfallen, muß erörtert werden, in welchem Umfang diese Erträge für die Förderung der Wissenschaft und des technischen Nachwuchses verwendet werden können. Ich verweise auf die dem Hohen Haus vorliegenden Anträge, die das Volkswagenwerk betreffen und zur Zeit in den Ausschüssen beraten werden, ohne daß ich in diesem Zusammenhang näher auf die einzelnen Pläne eingehen kann.
    Meine Damen und Herren, was ich hier vorgetragen habe, ist in knappen Strichen die Situation unserer Bildungseinrichtungen, und dies sind ihre drängendsten Nöte.
    Uns ist im Hinblick auf das Ganze ein bemerkenswerter Wiederaufbau auf vielen Gebieten, insbesondere dem unserer Wirtschaftskraft, gelungen. Wir werden sicher die Frage stellen, ob dem äußeren Aufbau heute schon ein annähernd vergleichbarer Aufbau unserer geistigen Kräfte zur Seite gestellt werden kann. Ich meine, daß dieser innere Aufbau zu einem großen Teil erst noch zu leisten sein wird.
    Sein Gelingen hängt in erster Linie davon ab, daß die erforderlichen geistigen Kapazitäten tatsächlich vorhanden sind und daß ihnen, sofern sie uns geschenkt sind, die freie Entfaltungsmöglichkeit gegeben wird, die weitblickende Regierungen in vergleichbar schwierigen Zeiten früher solchen Kräften auf deutschem Boden gewährt haben. Das Vorbild der preußischen Kulturpolitik in der Reformzeit, die von dem Gedanken getragen war, das Land müsse materielle Verluste durch Ausbau im geistigen Bereich wettmachen, ist auch 150 Jahre später noch aktuell und ebenso verpflichtend für uns.
    Die ernste Situation unseres Bildungswesens erfordert ein rasches, ein energisches, vor allem aber ein gemeinsames Handeln. Bund und Länder sollten sich darüber verständigen, wie sie hierbei die Aufgaben sinnvoll untereinander verteilen können. Den heutigen und den künftigen Aufgaben werden wir nur gewachsen sein, wenn wir zu einer praktischen Abgrenzung der Aufgabenbereiche von Bund und Ländern gelangen. Die Grundlage hierfür müßte ein Katalog der Aufgaben sein, die allein von den Ländern oder die allein vom Bund und schließlich die von Bund und Ländern gemeinsam geleistet werden sollen.
    Bei einer derartigen Abgrenzung muß von vornherein klar sein, daß es sich hierbei nicht um ein



    Bundesminister Dr. Schröder
    Problem des Finanzausgleichs handelt. Die primäre Frage ist die der Sachzuständigkeit. Demgegenüber ist die Frage des Finanzausgleichs sekundär.
    Lassen Sie mich nun noch einige abschließende Bemerkungen machen.
    Seit sechs Monaten zeigen uns die sow jetrussischen und die amerikanischen Erdsatelliten wieder einmal geradezu wie in einem Lehrstück, was wir längst wußten oder doch wissen konnten: daß auf die Dauer eben doch dem Denken die größte Sprengwirkung zukommt. Für die sowjetrussischen Schulen werde ihre Sputniks wahrscheinlich ein sichtbarer Triumph der Forderung Lenins sein: Lernen, lernen, lernen! Für die Amerikaner sind sie dagegen eine Mahnung, zu prüfen, ob ihre heutige Spitzenstellung durch Mängel ihres eigenen Bildungs- und Erziehungssystems ernsthaft bedroht ist. Die Amerikaner haben einen berechtigten Zweifel daran bekommen, ob sie nicht doch lieber etwas weniger „Lebenskunde" — life adjustment — und dafür lieber etwas mehr Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften lehren und lernen sollten.
    Und welche Gedanken müssen dabei uns Deutsche bewegen? Unsere innere und äußere Geltung kann als dauerhafte Grundlage nur unsere geistige Leistung auf allen uns zugänglichen Gebieten haben. Wir vertrauen einstweilen darauf, daß unserem Volk seine Begabung auf diesem vornehmsten Gebiet menschlicher Betätigung erhalten geblieben ist und daß sie nur etwas systematischer gerufen werden muß, um eines Tages wieder in genügender Breite und Tiefe sichtbar zu werden.

    (Beifall in der Mitte.)

    Der offensichtliche Mangel an qualifiziertem Hochschullehrernachwuchs, der auch durch unbesetzte Lehrstühle nachdrücklich dokumentiert wird, laßt uns zur Zeit nicht unbesorgt sein. Das sind nicht nur Fragen der Bezahlung, meine Damen und Herren, und nicht nur Fragen unzureichender Arbeitsstätten usw.; dahinter verbirgt sich auch ein sittliches Problem. Es wäre, wie ich glaube, unserem Volke zu wünschen, daß es etwas weniger den äußeren technischen Glanz des wirtschaftlichen Aufschwungs bewundern

    (Beifall bei der SPD Abg. Dr. Ratzel: Wirtschaftswunder!)

    und statt dessen wieder den kargeren Ausdruck der unvergänglichen geistigen Substanz schätzen lernte. Auf manche Verzierung können wir getrost verzichten, wenn dadurch der Entwicklung der Substanz geholfen werden kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und bei der SPD.)

    Wir ergehen uns seit einiger Zeit, auch hier in diesem Hohen Hause, in mancherlei, oft dramatischen Spekulationen über die deutsche Zukunft. Wahrscheinlich gehört das zu unserem Nationalcharakter und auch zu unserer derzeitigen besonderen Lage. Aber ich meine, wir sollten vielleicht etwas weniger über unsere Zukunft spekulieren, sondern etwas mehr dafür tun.

    (Beifall in der Mitte und bei Abgeordneten der SPD.)

    Es wäre ein schöner Erfolg dieser Debatte. (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)