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ID0301202300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 12. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1958 Inhalt: Ergänzung der Tagesordnung 535 A Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft (Drucksachen 200, zu 200) Dr. h. c. Lücke, Bundesminister . . . 535 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall (FDP) (Drucksache 83) Mischnick (FDP) 543 B, 558 B Dr. Dittrich (CDU/CSU) 546 A Wischnewski (SPD) 548 B Frau Kalinke (DP) 550 A Börner (SPD) 556 B Schüttler (CDU/CSU) 557 A Horn (CDU/CSU) 558 D Entschließungen der 46. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union (Drucksache 124) 559 A Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Dehler; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 171) Ritzel (SPD), Berichterstatter 559 B Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Jaeger; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 172) Ritzel (SPD), Berichterstatter 559 D Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Caspers; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 173) Dewald (SPD), Berichterstatter . . . . 560 B Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafvollstreckung gegen den Abg. Wehr; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 174) Muckermann (CDU/CSU), Berichterstatter 560 C Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfolgung gegen Gustav Essig in Weiler; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 175) Dr. Dittrich (CDU/CSU), Berichterstatter 561 A Schreiben der RA Dr. Keßler, Rolf Gyger, München, betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Jaeger; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung (Drucksache 177) Dr. Bucher (FDP), Berichterstatter . 561 C Nächste Sitzung 562 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 177) . . 563 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1958 535 12. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 14. 2. Frau Albertz 14. 2. Dr. Barzel 24. 2. Bauer (Wasserburg) 22. 2. Bazille 14. 2. Dr. Bechert 14. 2. Dr. Becker (Hersfeld) 15. 3. Frau Beyer (Frankfurt) 15. 2. Birkelbach 14. 2. Blachstein 14. 2. Frau Brauksiepe 14. 2. Dr. Brecht 14. 2. Conrad 14. 2. Frau Döhring (Stuttgart) 17. 2. Dopatka 15. 2. Drachsler 14. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 14. 2. Even (Köln) 15. 2. Faller 7. 3. Felder 31. 3. Franke 14. 2. Frau Friese-Korn 28. 2. Dr. Furler 14. 2. Gedat 22. 2. Gerns 14. 2. Dr. Gleissner (München) 14. 2. Günther 14. 2. Hahn 14. 2. Häussler 14. 2. Hellenbrock 14. 2. Dr. Höck 21. 2. Frau Dr. Hubert 28. 2. Illerhaus 14. 2. Jacobs 12. 3. Dr. Jordan 14. 2. Jürgensen 28. 2. Kemmer 14. 2. Dr. Kempfler 14. 2. Keuning 14. 2. Kiesinger 14. 2. Köhler 14. 2. Dr. Königswarter 14. 2. Dr. Kopf 15. 2. Kühlthau 14. 2. Kunze 15. 2. Dr. Leiske 22. 2. Lenz (Brühl) 14. 2. Dr. Leverkuehn 14. 2. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 3. Dr. Maier (Stuttgart) 14. 2. Maucher 14. 2. Mellies 8. 3. Dr. Mende 14. 2. Mengelkamp 14. 2. Dr. Meyers (Aachen) 8. 3. Muckermann 14. 2. 011enhauer 14. 2. Paul 28. 2. Anlagen zum Stenographischen Bericht Pelster 14. 2. Ramms 14. 2. Frau Dr. Rehling 14. 2. Dr. Rüdel (Kiel) 14. 2. Scharnberg 14. 2. Frau Schmitt (Fulda) 14. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 14. 2. Schoettle 14. 2. Schütz (Berlin) 14. 2. Dr. Serres 14. 2. Seuffert 14. 2. Dr. Siemer 14. 2. Stahl 14. 2. Dr. Weber (Koblenz) 22. 2. Dr. Wilhelmi 14. 2. Zoglmann 14. 2. Anlage 2 Drucksache 177 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) - Immunitätsangelegenheiten - betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler, Rolf Gyger, München, vom 31. Januar 1957 (I/3) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bucher. Die Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler und Gyger, München, haben als Prozeßbevollmächtigte des früheren Abgeordneten Kahn-Ackermann unter Beifügung der Privatklageschrift an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck mit Schreiben vom 31. Januar 1957 gebeten, eine Entscheidung des Bundestages über die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger wegen Beleidigung herbeizuführen. Die Sache wurde bereits vom Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität des 2. Deutschen Bundestages behandelt und ein Schriftlicher Bericht unter zu Drucksache 3582 vorgelegt, der jedoch vom Plenum des Bundestages nicht mehr verabschiedet werden konnte. Nunmehr hat dieser Bundestag darüber zu entscheiden. In der Begründung der Privatklage wird dem Abgeordneten Dr. Jaeger vorgeworfen, er habe ausweislich des in verschiedenen Tageszeitungen, u. a. in der „Landsberger Zeitung" vom 1. und 2. November 1956, erschienenen Berichts in einer Kreisversammlung der CSU in Fürstenfeldbruck am 31. Oktober 1956 in bezug auf den Privatkläger u. a. folgende Äußerungen gebraucht: „Wenn Kahn-Ackermann bekanntgebe, wie viele Briefe er beantwortet, wie viele Versammlungen und Sprechstunden er gehalten habe, dann müßte er - Dr. Jaeger - feststellen, daß er 3 Jahre in Bonn gearbeitet habe, während Kahn-Ackermann 3 Jahre lang im Lande herumgereist sei . ..". Ferner äußerte Dr. Jaeger in diesem Zusammenhang: „Der Aktivist Kahn-Ackermann bzw. Hennecke-Ackermann hat sein Soll erfüllt ... . 564 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1958 Es handelt sich hier um einen Streit der beiden aus dem gleichen Wahlkreis Fürstenfeldbruck kommenden Abgeordneten Kahn-Ackermann und Dr. Jaeger, wer mehr als Abgeordneter gearbeitet habe. Diese im politischen Raum liegende Auseinandersetzung, deren Schärfe unter dem Zeichen des bereits angelaufenen Wahlkampfes gesehen werden muß, führte auch zu einem Antrag des Abgeordneten Dr. Jaeger, die Immunität des früheren Abgeordneten Kahn-Ackermann wegen ähnlicher Äußerungen aufzuheben. Entsprechend der ständigen Praxis des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, bei Beleidigungen politischen Charakters die Immunität nicht aufzuheben, hat der Ausschuß in seiner Sitzung vom 17. Januar 1958 einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger nicht zu erteilen. Bonn, den 28. Januar 1958 Dr. Bucher Berichterstatter
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    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Schellenberg, ich habe in meiner Argumentation nicht die gleichen Worte gebraucht wie Herr Kollege Dittrich, dem Sie die gleiche Frage vorgelegt haben. Selbstverständlich trifft es zu, daß die Erhöhung des Krankengeldes die Kosten in der Krankenversicherung erhöhen mußte. Das wird wohl von niemandem bestritten. Aber es trifft auch zu — und das macht gerade die Statistik des Verbandes der Ortskrankenkassen sehr deutlich; Sie haben ja diese Statistik —, daß die Zahl der Krankheitstage und die Zahl der Bagatellfälle angestiegen sind.

    (Zurufe von der SPD.)

    Diese Statistik zeigt, daß die jetzige gesetzliche Lösung zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Sie werden mehr dazu hören, wenn ich jetzt meine Ausführungen fortsetze. Natürlich mußten die Krankenstände zwangsläufig ansteigen, und ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, daß die Konstruktion mit den Karenztagen das natürlich fördern mußte. Das kann ja gar nicht anders sein.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Deshalb Karenztage abschaffen!)

    Über die wichtige Frage, wie die Karenztage gestaltet werden müssen und wie im Interesse der Versichertengemeinschaften, der Arbeitgeber, der Ärzte zur Hebung der Sozialmoral dem Mißbrauch ein Riegel vorgeschoben werden kann, werden wir allerdings anläßlich der Krankenversicherungsreform sehr ernstlich sprechen müssen.



    Frau Kalinke
    Aber da Sie anscheinend diesen Pressedienst der Ortskrankenkassen im einzelnen noch nicht gelesen haben — ich kann es mir kaum denken, Herr Schellenberg —,

    (Abg. Dr. Schellenberg: Natürlich kenne ich ihn!)

    so will ich hier nicht nur die Gesamtausgaben nennen, die im zweiten Halbjahr 1956 um 102,64 %, nämlich von 298,5 Millionen auf 605 Millionen DM erhöht wurden, und auch nicht über die Steigerung im Vorjahr sprechen, die etwa 70 % beträgt, sondern nur ganz nüchtern das ergänzend hinzufügen, was vom Verband der Ortskrankenkassen als einem Bundesverband für die Situation im ganzen Bundesgebiet gesagt worden ist. Demnach wurde die Entwicklung sowohl hinsichtlich der Beitragssätze wie hinsichtlich des Krankenstandes vom Bundesverband der Ortskrankenkassen vorausgesagt, und diese Entwicklung ist eine Folge der damals geplanten und jetzt verwirklichten Verbesserungsgesetze. Sie haben dem Kollegen Mischnick ja dieselbe Frage gestellt, Herr Kollege Schellenberg, und haben noch hinzugefügt, ob denn etwa die Karenztage mit entscheidend für die Unmoral seien. Ich stimme zu, wenn gesagt wird, daß man ganz gewiß nicht nur von Unmoral der Arbeiter sprechen kann. Es wäre sogar verderblich, das zu tun. Man muß aber davon sprechen, daß durch ein falsch konstruiertes Gesetz die Unmoral sowohl der Arbeiter wie der Arbeitgeber wie auch einzelner Ärzte, die zu gerne bereit sind, nachzugeben und Bescheinigungen auszustellen, geradezu herausgefordert wird.

    (Beifall rechts.)

    Darüber müssen wir hier in aller Offenheit sprechen.
    Der Gesetzgeber hat auch darauf zu achten — auch das ist heute schon ausgesprochen worden —, daß es nicht durch Gesetz zu Belastungen derjenigen kommt, die — nun meine ich wiederum nicht nur die Arbeitnehmer, von denen immer nur die Rede ist — schon durch Beitragserhöhungen neu belastet werden; es werden ja beide, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, belastet. Ein ganz anderer Kreis wird außerdem dadurch belastet, daß die Sozialversicherungsbeiträge als Nebenkosten des Lohnes in den Preis übergehen. Dadurch werden die Ärmsten der Armen, die Rentner, die Alleinstehenden, die Witwen, die Waisen belastet. Vergessen Sie doch bitte diesen Zusammenhang bei den Forderungen, die Sie, meine Damen und Herren von der SPD, aufstellen, nicht. Denn das sind doch die Menschen, deren Schicksal Ihnen wie uns am Herzen liegt.
    Wir sollten also nicht nur von Leistungen sprechen, sondern von Konsequenzen der Beitragserhöhungen und auch von der Gesundheit, deren Erhaltung und Förderung doch bei Ihrem Sozialplan und bei unseren Wünschen zur Krankenversicherungs-Reform Mittelpunkt aller Reformideen ist. Wenn nämlich infolge einer sich vergrößernden Unmoral, zu der es ja kommen könnte, diejenigen, die unverantwortlich handeln, ein Gesetz ausnutzen, dann müssen die anderen, die verantwortlich sind —und das ist zweifelsohne die größere Zahl der Arbeitnehmer und die größere Zahl der Arbeitgeber —, durch Mehrarbeit Gesundheit und Leistungskraft opfern, weil sie durch Überstunden und Mehreinsatz das aufholen müssen, was die Fehlenden nicht mittun konnten.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Industrie und gewerbliche Wirtschaft werden immer mit Ausfallzeiten wegen Krankheit rechnen müssen. Niemand ist davor gefeit. Aber es ist nun einmal ein Tatbestand, daß vor Erlaß des Gesetzes der Krankenstand im Schnitt in der Wirtschaft zwischen 5 und 6 % lag und jetzt zwischen 8 und 10 % liegt. Ich könnte Ihnen das mit sehr vielen einzelnen Beispielen und Statistiken — auch aus der Metallindustrie, von der ja in diesem Zusammenhang die Rede war — deutlich machen.
    Ich will mich keineswegs namens meiner Fraktion voll mit dem identifizieren, was Herr Dr. Oeter in seinem Aufsatz „Prämien für unmoralisches Verhalten" in einer Zeitschrift der Ärzte gesagt hat; aber es sind viele Körner Wahrheit in diesem Aufsatz enthalten. Ich bitte, aus diesem Aufsatz etwas zitieren zu dürfen; er stammt aus dem „Angestellten Arzt" und ist im Februar 1958 erschienen. Es heißt dort:
    Gerade die kurzfristige Arbeitsunfähigkeit
    — und das ist für Herrn Schellenberg, wenn er diesen Aufsatz nicht kennen sollte, sicher sehr interessant im Zusammenhang mit diesem Problem —
    wird aber durch das neue Gesetz mit der Nachzahlung des Krankengeldes für die zwei zunächst einbehaltenen Karenztage regelrecht prämiiert. Der Arbeiter erhält nämlich für den 3. bis 15. Tag, d. h. für insgesamt 13 Tage, 15 x 90 v. H. dessen, was er vor seiner Erkrankung an einem Tage als Nettolohn ausgezahlt erhielt. Das bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger als daß er den Nettolohn eines halben Tages mehr erhält, als wenn er arbeiten würde. Der Differenzbetrag zwischen dem, was er bei Arbeitsunfähigkeit und dem, was er bei Arbeitsfähigkeit erhält, vergrößert sich zudem bis zum 15. Tage schrittweise bis zum 1,8-fachen Betrag eines Nettoarbeitslohnes. Meldet sich der Arbeiter außerdem noch vor dem langen Wochenende krank,
    — die Ärzte haben mir bestätigt, daß das die Regel ist —
    so fallen die Karenztage von vornherein mit zwei Tagen zusammen, an denen er normalerweise nichts verdient, weil er für sie bereits „vorgearbeitet" hat. Das Geschäft mit der Arbeitsunfähigkeit wird auf diese Weise noch besser. Und wenn der Arbeiter sich gar krank meldet, nachdem er vorher fleißig Überstunden gemacht hat, so finden auch diese Überstunden ihren Niederschlag im Krankengeld. das in diesem Falle erheblich über dem Pegel seines Normalverdienstes liegen kann.
    Und nun sagt Herr Dr. Oeter — und das sagt er
    sicher nicht nur als Arzt, sondern auch als ein



    Frau Kalinke
    Mensch, der an die sozialethischen Wirkungen denkt —:
    Wer annimmt, daß der heutige „Normalmensch" solchen Versuchungen auf die Dauer wiederstehen könnte, muß völlig mit Blindheit geschlagen sein.
    Meine Herren und Damen, ich sagte vorweg, daß wir uns — ich betone das — nicht mit allem identifizieren, was hier gesagt worden ist. Aber es sind eben unendlich viele Körner Wahrheit darin. Wir sollten bei solchen Debatten darüber nachdenken, damit wir nicht bei der Frage der Ausweitung des Krankenlohnes zu einer Folgerung kommen, die Oeter so formuliert hat:
    Was der Faule, Nachlässige und Betrügerische zuviel erhält, muß demnach dem Tüchtigen und Gewissenhaften weggenommen werden.

    (Abg. Ruf: Sehr richtig!)

    Dazu kommen — ich sagte es schon — nicht nur die Beitragserhöhungen, nicht nur die Mehrarbeit, sondern auch noch die Kosten des teuren Überwachungsapparats. Ich glaube daher, die Verfolgung des Gedankens — er kam wohl aus dem Arbeitsministerium —, daß die Überwachung gründlicher sein müsse, allein kann das Problem nicht lösen oder die Angelegenheit verbessern. Denn so viele Vertrauensärzte Sie auch ansetzen werden: wenn Sie dieses Gesetz nicht ändern, werden Sie den Arzt wie den Vertrauensarzt weiter überfordern.
    Sehr sachverständige und sowohl mit der Rechtsauslegung wie mit der Auseinandersetzung vor den Sozialgerichten befaßte Persönlichkeiten haben in Aussprachen über dieses Problem festgestellt, daß eben ein gewisser Prozentsatz unechter Arbeitsunfähigkeit auf dieses Gesetz zurückzuführen ist. Ich weiß, daß es sehr viele verantwortungsbewußte Gewerkschaftler und noch viel mehr verantwortungsbewußte Betriebsräte gibt, gerade in den Betrieben der Großindustrie in Nordrhein-Westfalen, Hessen und anderswo, die mit Recht darauf hingewiesen haben, wie wichtig es ist, sich nicht etwa verführen zu lassen, die Solidarhaftung der gesetzlichen Krankenversicherung — das gilt nicht nur für die Betriebskrankenkassen, das gilt auch für die Ortskrankenkassen und die Arbeiterersatzkassen — zu mißbrauchen.
    Leider ist heute nicht von der Dauer der Betriebszugehörigkeit gesprochen worden. Bei der Debatte in der ersten und in der zweiten Lesung und im Ausschuß habe ich immer wieder darauf hingewiesen, daß man dem sozialen Fortschritt am besten dient, wenn man das Niveau der verschiedenen Arbeitnehmergruppen in der Arbeitswelt und in der Sozialpolitik stetig anhebt, anstatt die Gruppen gegeneinanderzuhetzen oder durch Gleichmacherei zu nivellieren. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit sollte bei dieser Entwicklung berücksichtigt werden, weil sie von sehr großem Einfluß auf die Haltung der Arbeitnehmer ist. Daß diese meine Auffassung richtig war, ist, wie in so vielen anderen Fällen, leider viel zu früh bewiesen worden. Denn ganz kurzfristig hat sich gezeigt, daß die Betriebsangehörigen, die lange Zeit in einem Betrieb waren, in erheblich geringerer Zahl erkrankten oder ihre Krankheitsdauer geringer war als die von vielen Neuhinzukommenden, was für jeden Kenner unserer sozialen Situation gar nicht verwunderlich ist, aber leider in den Debatten um die Sozialpolitik gar zu gern verschwiegen wird.
    Gerade ein Werk der Metallindustrie im Rheinland — das wird die Kollegen der SPD sehr interessieren — mit über 7000 Arbeitern hat Zahlen ermittelt, die eine volle Bestätigung für meine Behauptung sind, daß nämlich eine Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit bei der Dauer der Leistungen ein sehr viel besserer Ansatzpunkt gewesen wäre. Und, meine Herren, nun können Sie nicht wieder mit dem Gegensatz zwischen Arbeitern und Angestellten kommen. Diese Frage ist ja nicht nur in unendlich vielen Tarifverträgen geregelt worden, sondern spielt z. B. auch bei der Tarifordnung im öffentlichen Dienst für Angestellte und Arbeiter gleichermaßen eine entscheidende Rolle. Man zahlt dem ein höheres Gehalt, der länger dem Betrieb angehört. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen diese Zahlen aus dem Werk der Metallindustrie im einzelnen zur Verfügung stellen; sie sind für die Kollegen aus der Metallindustrie sicher von ganz besonderem Interesse.
    Ich will Ihnen jetzt einen Sozialdemokraten zitieren — keinen Mann der Deutschen Partei, damit Sie mich nicht etwa der einseitigen Stellungnahme für mittelständische Kreise oder das Handwerk oder die Wirtschaft bezichtigen —, ich will Ihnen etwas zitieren, was, wie Sie ja alle gelesen haben, der baden-württembergische Arbeitsminister, Herr Hohlwegler, gesagt hat. Er hat die Frage gestellt: „Wer wird sich nach elf Tagen gesundschreiben lassen?" und hat sie sogleich selber mit der Bemerkung beantwortet: „Hier ist die Arbeitsmoral wirklich überfordert." Ich kann in diesem Falle tatsächlich Herrn Hohlwegler nicht widersprechen.
    Ich begrüße, Herr Kollege Schellenberg, die Aktivität der Gewerkschaften in den Betrieben, und ich begrüße auch die Wirkung dieser Aktion. Ich weiß, daß in den Betrieben, in denen Plakate in Großformat ausgehängt wurden, worin man die Arbeitnehmer an die Solidarhaftung erinnert hat, ein erfreulicher Erfolg da war; und ich weiß, daß sich die Gewerkschaften bemüht haben — das sei anerkannt, besonders aber den Arbeitnehmern in den Betrieben anerkannt —, aus diesem komplizierten Gesetz durch die Erziehung ihrer Organisationen das Beste zu machen.
    Man sollte über diese Dinge nicht hinwegreden mit neuen Ideologien und mit Gegensätzen, die aufgerissen werden zwischen Arbeitern und Angestellten. So einfach sind die Probleme nicht.
    Vor der Novellierung dieses Gesetzes müssen einige Dinge ernsthaft festgestellt werden. Es muß unter anderem eine Frage geklärt werden, die hier auch schamhaft verschwiegen wird: das Verhältnis der Krankenzahl bei den Pflichtversicherten zur Krankenzahl bei den freiwillig Versicherten in der



    Frau Kalinke
    Krankenversicherung. Ich meine, darüber hat niemand gesprochen. Es ist sehr interessant, daß der Krankheitsrekord vor allen Dingen bei den Pflichtversicherten liegt. Im letzten Quartal haben die Orts-, Land-, Betriebs- und Innungskrankenkassen des Landes Hessen übereinstimmend berichtet, daß am 1. Oktober 10,6 % der Pflichtversicherten und nur 1,3 % der freiwilligen Mitglieder arbeitsunfähig waren, gegenüber 4,66 und 1,28 % am 1. Januar. Bei den freiwillig Versicherten ist also der Prozentsatz gleichgeblieben, bei den Pflichtversicherten hat er sich mehr als verdoppelt.


Rede von Hans-Jürgen Junghans
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Kollegin Kalinke, Sie sagten eben, daß neue ideologische Gegensätze zwischen Arbeitern und Angestellten aufgerissen würden.

(Abg. Frau Kalinke: Ja!)

Ist Ihnen nicht bekannt, daß gerade unser Antrag, die Arbeiter den Angestellten gleichzustellen, doch immerhin ein Antrag war, um diese ideologischen Gegensätze zu beseitigen?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege, nachzulesen, was ich dazu in der ersten, zweiten und dritten Lesung im 2. Bundestag gesagt habe. Ich habe mich da mit dem Problem „Arbeiter und Angestellte" und Ihrer Ideologie auseinandergesetzt. Im Interesse der Kollegen, die das wissen, möchte ich mich nicht wiederholen. Ich meine, daß die Gleichstellung ad hoc nicht möglich ist, daß es bessere Wege gegeben hätte, das Niveau des Arbeiters zu dem des Angestellten, des Angestellten zu dem ganz anders gearteten Recht des Beamten emporzuheben, daß aber alle Wege, einheitliches Recht ad hoc und mit Gewalt zu schaffen, immer falsche Wege sind.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Ist Gesetz Gewalt?)

    — Ein Gesetz, das unter einem Streikdruck von außen und unter Zeitdruck, mit dem Sie damals gepreßt haben, so gemacht wird, führt zu einer gewaltsamen Lösung von Problemen, die man behutsamer besser gelöst hätte.
    Nun ist eine interessante Frage von dem Kollegen der SPD angesprochen worden, nämlich daß sich gezeigt habe, daß die Angestellten keineswegs moralischer seien als die Arbeiter. Ich möchte mich dagegen verwahren, daß hier Angestellte und Arbeiter konfrontiert werden mit der Auffassung, die einen seien moralischer als die anderen.

    (Zuruf von der SPD: Das tun Sie!)

    — Eben nicht! Das ist eine Ihrer üblichen Unterstellungen und Vereinfachungen. Sie sollten es sich nicht so einfach machen. Sie sollten nicht eine Ersatzkassenstatistik heranziehen. Sie wissen genau, daß dem Verband der Ersatzkassen Arbeiter- und Angestelltenersatzkassen angehören und daß es gar keine getrennte Statistik für die Angestelltenersatzkassen gibt, die das beweisen würde, was Sie hier behauptet haben, sondern daß natürlich die Arbeiterersatzkassen in noch stärkerem Maße als die Ortskrankenkassen und die Betriebskrankenkassen dasselbe Dilemma hatten. Wer wollte das bestreiten?
    Der Herr Minister hat auf die Anfrage der CSU erklärt, es sei nichts möglich, daß der Arbeiter ein Krankengeld erhält, welches den Nettolohn übersteigt. Der Kollege von der FDP hat bei der Begründung seines Antrags schon solche Beispiele genannt, in denen es doch möglich ist, und ich bitte daher den Herrn Minister, nachprüfen zu lassen, inwieweit die Dr. Oeterschen Beispiele zutreffen. Ich meine, sie treffen weitgehend zu. Ich glaube, wir haben auch dafür Sorge zu tragen, daß kein sozialethischer Schaden entsteht und daß bei den Arbeitnehmern, die noch ein echtes Gefühl für soziale Verantwortung haben, keine Verwirrung angerichtet wird. Es besteht doch wohl gar kein Zweifel, daß in der Mehrzahl unserer Betriebe das soziale Klima viel besser ist, als es manche Funktionäre gelegentlich darzustellen wünschen.

    (Beifall rechts.)

    Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß die Wirtschaftliche Situation der Mehrzahl aller Arbeitnehmer — und das rechnen wir in der Koalition uns als Erfolg der Wirtschaftspolitik an, die wir in diesen Jahren mit getrieben und verteidigt haben — so ist, daß man ihnen sehr wohl zumuten kann, für Bagatellschäden oder kurze Krankheitsfälle einzutreten. Das wird ein Problem der Krankenversicherungsreform sein. Es bedeutet eine Diskriminierung der Arbeiter, wenn man ihnen in einem Augenblick, in dem sie Bausparverträge abschließen oder Autos, Fernsehapparate usw. kaufen können, nicht zutraut, daß sie in der Lage wären, für kleine Krankheitsfälle selbst verantwortlich zu sein. Ich glaube, daß das bei der Krankenversicherungsreform ein Prüfstein für wahrhaft soziale Verantwortung sein wird, auf die wir uns alle besinnen müssen. Darum habe ich davor gewarnt, Gegensätze aufzureißen. Wenn Sie nun sagen, das sei doch geschehen, dann muß ich Sie an das erinnern, was die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes selber mitgeteilt haben. Die haben nämlich selbst gesagt, daß viele Befürchtungen eingetroffen sind, ja übertroffen worden sind.
    Ich wiederhole also: Die Karenztage sollten nicht außerhalb des dargestellten Zusammenhangs gesehen werden. Ich möchte wirklich darum bitten, daß wir alle uns darum bemühen, bei der Krankenversicherungsreform Wege zu finden, die es ermöglichen, dieses Problem nicht, wie es Herr Schellenberg mehrfach getan hat, als eine Frage der sozialen Diffamierung der Arbeiter zu sehen; ich verweise auf das Protokoll, das hier zitiert worden ist. Ich meine vielmehr, daß wir dieses Problem so sehen sollten, wie wir es sehen müssen: als ein echtes Reformproblem der Krankenversicherung.
    Bitte schön, Herr Schellenberg!