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ID0301201300

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    Deutscher Bundestag 12. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1958 Inhalt: Ergänzung der Tagesordnung 535 A Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft (Drucksachen 200, zu 200) Dr. h. c. Lücke, Bundesminister . . . 535 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall (FDP) (Drucksache 83) Mischnick (FDP) 543 B, 558 B Dr. Dittrich (CDU/CSU) 546 A Wischnewski (SPD) 548 B Frau Kalinke (DP) 550 A Börner (SPD) 556 B Schüttler (CDU/CSU) 557 A Horn (CDU/CSU) 558 D Entschließungen der 46. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union (Drucksache 124) 559 A Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Dehler; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 171) Ritzel (SPD), Berichterstatter 559 B Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Jaeger; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 172) Ritzel (SPD), Berichterstatter 559 D Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Caspers; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 173) Dewald (SPD), Berichterstatter . . . . 560 B Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafvollstreckung gegen den Abg. Wehr; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 174) Muckermann (CDU/CSU), Berichterstatter 560 C Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfolgung gegen Gustav Essig in Weiler; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 175) Dr. Dittrich (CDU/CSU), Berichterstatter 561 A Schreiben der RA Dr. Keßler, Rolf Gyger, München, betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Jaeger; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung (Drucksache 177) Dr. Bucher (FDP), Berichterstatter . 561 C Nächste Sitzung 562 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 177) . . 563 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1958 535 12. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 14. 2. Frau Albertz 14. 2. Dr. Barzel 24. 2. Bauer (Wasserburg) 22. 2. Bazille 14. 2. Dr. Bechert 14. 2. Dr. Becker (Hersfeld) 15. 3. Frau Beyer (Frankfurt) 15. 2. Birkelbach 14. 2. Blachstein 14. 2. Frau Brauksiepe 14. 2. Dr. Brecht 14. 2. Conrad 14. 2. Frau Döhring (Stuttgart) 17. 2. Dopatka 15. 2. Drachsler 14. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 14. 2. Even (Köln) 15. 2. Faller 7. 3. Felder 31. 3. Franke 14. 2. Frau Friese-Korn 28. 2. Dr. Furler 14. 2. Gedat 22. 2. Gerns 14. 2. Dr. Gleissner (München) 14. 2. Günther 14. 2. Hahn 14. 2. Häussler 14. 2. Hellenbrock 14. 2. Dr. Höck 21. 2. Frau Dr. Hubert 28. 2. Illerhaus 14. 2. Jacobs 12. 3. Dr. Jordan 14. 2. Jürgensen 28. 2. Kemmer 14. 2. Dr. Kempfler 14. 2. Keuning 14. 2. Kiesinger 14. 2. Köhler 14. 2. Dr. Königswarter 14. 2. Dr. Kopf 15. 2. Kühlthau 14. 2. Kunze 15. 2. Dr. Leiske 22. 2. Lenz (Brühl) 14. 2. Dr. Leverkuehn 14. 2. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 3. Dr. Maier (Stuttgart) 14. 2. Maucher 14. 2. Mellies 8. 3. Dr. Mende 14. 2. Mengelkamp 14. 2. Dr. Meyers (Aachen) 8. 3. Muckermann 14. 2. 011enhauer 14. 2. Paul 28. 2. Anlagen zum Stenographischen Bericht Pelster 14. 2. Ramms 14. 2. Frau Dr. Rehling 14. 2. Dr. Rüdel (Kiel) 14. 2. Scharnberg 14. 2. Frau Schmitt (Fulda) 14. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 14. 2. Schoettle 14. 2. Schütz (Berlin) 14. 2. Dr. Serres 14. 2. Seuffert 14. 2. Dr. Siemer 14. 2. Stahl 14. 2. Dr. Weber (Koblenz) 22. 2. Dr. Wilhelmi 14. 2. Zoglmann 14. 2. Anlage 2 Drucksache 177 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) - Immunitätsangelegenheiten - betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler, Rolf Gyger, München, vom 31. Januar 1957 (I/3) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bucher. Die Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler und Gyger, München, haben als Prozeßbevollmächtigte des früheren Abgeordneten Kahn-Ackermann unter Beifügung der Privatklageschrift an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck mit Schreiben vom 31. Januar 1957 gebeten, eine Entscheidung des Bundestages über die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger wegen Beleidigung herbeizuführen. Die Sache wurde bereits vom Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität des 2. Deutschen Bundestages behandelt und ein Schriftlicher Bericht unter zu Drucksache 3582 vorgelegt, der jedoch vom Plenum des Bundestages nicht mehr verabschiedet werden konnte. Nunmehr hat dieser Bundestag darüber zu entscheiden. In der Begründung der Privatklage wird dem Abgeordneten Dr. Jaeger vorgeworfen, er habe ausweislich des in verschiedenen Tageszeitungen, u. a. in der „Landsberger Zeitung" vom 1. und 2. November 1956, erschienenen Berichts in einer Kreisversammlung der CSU in Fürstenfeldbruck am 31. Oktober 1956 in bezug auf den Privatkläger u. a. folgende Äußerungen gebraucht: „Wenn Kahn-Ackermann bekanntgebe, wie viele Briefe er beantwortet, wie viele Versammlungen und Sprechstunden er gehalten habe, dann müßte er - Dr. Jaeger - feststellen, daß er 3 Jahre in Bonn gearbeitet habe, während Kahn-Ackermann 3 Jahre lang im Lande herumgereist sei . ..". Ferner äußerte Dr. Jaeger in diesem Zusammenhang: „Der Aktivist Kahn-Ackermann bzw. Hennecke-Ackermann hat sein Soll erfüllt ... . 564 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1958 Es handelt sich hier um einen Streit der beiden aus dem gleichen Wahlkreis Fürstenfeldbruck kommenden Abgeordneten Kahn-Ackermann und Dr. Jaeger, wer mehr als Abgeordneter gearbeitet habe. Diese im politischen Raum liegende Auseinandersetzung, deren Schärfe unter dem Zeichen des bereits angelaufenen Wahlkampfes gesehen werden muß, führte auch zu einem Antrag des Abgeordneten Dr. Jaeger, die Immunität des früheren Abgeordneten Kahn-Ackermann wegen ähnlicher Äußerungen aufzuheben. Entsprechend der ständigen Praxis des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, bei Beleidigungen politischen Charakters die Immunität nicht aufzuheben, hat der Ausschuß in seiner Sitzung vom 17. Januar 1958 einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger nicht zu erteilen. Bonn, den 28. Januar 1958 Dr. Bucher Berichterstatter
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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Sehr verehrter Herr Kollege Schellenberg, ich habe natürlich die Debatte nachgelesen, als ich mich mit dieser Materie befaßt habe. Sie werden mir zugeben müssen, daß es für einen Neuling schwer ist, alle Einzelheiten der Debatte beim Lesen mitzubekommen. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Wenn wir erkennen, daß in einem Punkt eine Schwäche ist, dann sind wir bereit, das gemeinsam zu ändern.

    (Beifall bei der FDP. — Zustimmung des Abg. Dr. Schellenberg.)

    Deshalb haben wir ja diesen Antrag eingebracht. Ich hoffe, auch Sie sind dann bereit, der Lösung, die wir vorgeschlagen haben, zuzustimmen.
    Ich glaube mich allerdings zu entsinnen, daß Ihr Antrag in einem Punkt ursprünglich weiterging, nämlich in der Forderung, überhaupt vom ersten Tage an voll zu zahlen.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Sie haben ihn nicht genau gelesen!)

    — Das war aber mal Ihre Auffassung und — davon bin ich fest überzeugt — ist es auch heute noch. Sie glauben nur nicht, daß es zur Zeit durchsetzbar ist; das ist die andere Frage.
    Nun aber noch zu den Karenztagen. Wir hoffen mit diesem Vorschlag zweierlei zu erreichen: einmal dem verantwortungsbewußten Arbeiter praktisch einen weiteren Tag bezahlen zu lassen — denn dann fallen nicht mehr zwei Tage aus, wenn er nach vier oder fünf Tagen seine Grippe überwunden hat —, auf der anderen Seite nicht einen Anreiz zu schaffen, 14 Tage krank zu feiern, und damit im Endeffekt die Gesamtbelastung sowohl für die Krankenkasse wie für den Arbeitgeber herabzusetzen, ganz zu schweigen davon, daß auf diesem Wege natürlich auch ein Produktionsausfall und alles, was damit zusammenhängt, vermieden werden kann. Ich würde mich freuen, wenn die Vorschläge von meinen politischen Freunden und mir im Ausschuß Ihre Unterstützung fänden.
    Ich darf zum Abschluß sagen: Es ist richtig, daß man bei einem neuen Gesetz zunächst eine gewisse Zeit der Erfahrung verstreichen lassen sollte. Es sind jetzt etwas über 7 Monate. Ich glaube, daß die Stellungnahmen aus allen Teilen der Betroffenen — von beiden Seiten — ein gerechtes Abwägen schon heute zulassen. Wir bitten deshalb das Hohe Haus, den Antrag dem Sozialpolitischen Ausschuß als federführendem Ausschuß und dem Mittelstandsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.

    (Beifall bei der FDP.)




Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dittrich.

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    Rede von Dr. Stefan Dittrich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kind — ich spreche von dem Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle — hat erst nach heftigen Geburtswehen das Licht der Welt erblickt und hat, als es dann auf der Welt war, von allen Seiten heftige Stöße bekommen. Selbstverständlich muß sich der Bundestag mit der Frage beschäftigen, ob eine Novellierung dieses Gesetzes, das ja erst seit 1. Juli 1957 in Kraft ist, erfolgen soll. Es ist übrigens interessant, daß sich, wie aus dem Frage- und Antwortspiel hervorging, soweit es sich um die Vierzehntagefrist handelt, nun die sozialpolitischen Auffassungen der Freien Demokratischen Partei denen der Sozialdemokratischen Partei genähert haben. Für uns ist die Frage, ob es zweckmäßig ist, schon jetzt dem Wunsche auf Änderung des Gesetzes nachzukommen.
    Man wird zunächst prüfen müssen: Hat das Gesetz, so wie wir es seinerzeit im Juni 1957 geschaffen haben, tatsächlich eine Erhöhung des Krankenstandes in der Arbeiterschaft mit sich gebracht? Meine politischen Freunde der Christlich-Sozialen Union haben auf verschiedene Anregungen hin eine Kleine Anfrage an den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gestellt und darauf eine Antwort erhalten. Es ging uns vor allem darum, daß überprüft wurde, ob tatsächlich eine Erhöhung des Krankenstandes in der Arbeiterschaft zu verzeichnen ist.
    Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat uns durch seine Antwort auf diese Frage zunächst beruhigt. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß die Antwort schon vom Dezember 1957 stammt, also nur Ergebnisse etwa aus den Monaten September, Oktober und allenfalls November aufzeigen kann.
    Grundsätzlich kann es vom staatspolitischen Standpunkt aus nicht richtig sein, ein Gesetz, das von der Mehrheit dieses Hauses beschlossen worden ist, schon nach wenigen Wochen zu ändern.

    (Abg. Stingl: Sehr richtig!)

    Es kann grundsätzlich nicht Aufgabe dieses Hauses sein, ein kurz vorher verabschiedetes Gesetz wieder aufzurollen und umzuwerfen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wenn sich aber bei einem Gesetz tatsächlich Mängel zeigen, dann werden wir nicht zögern, es zu ändern. Um aber Fakten — wie solche Mängel — feststellen zu können, muß man erst sehr genaue statistische Unterlagen ermitteln; erst danach kann man handeln.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Es ist uns bekannt, daß vor allem mittelständische Betriebe erhebliche Sorgen haben. Ich habe bei der Beratung des Gesetzes ausgeführt, daß vor allem auf unsere mittelständischen Kreise durch die Arbeitszeitverkürzung, durch die Lohnerhöhungen, durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, durch die Erhöhung der Beiträge zu den Krankenkassen und Unfallversicherungen, durch die Erhöhung der Beiträge zu den Rentenversicherungen Belastungen zugekommen sind, die ohne Zweifel die Kapazität eines kleinen oder mittelständischen Betriebes übersteigen. Es ist uns bekannt, daß aus den Betrieben — ich habe schon davon gesprochen — und aus einzelnen Betriebskrankenkassen Beschwerden über dieses Gesetz gekommen sind. Daraufhin allein kann selbstverständlich der Gesetzgeber eine Gesetzesänderung, wie sie hier beabsichtigt ist, nicht vornehmen. Es wird notwendig sein, daß zunächst einmal Erfahrungen gesammelt werden, und das kann am besten durch die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die Betriebskrankenkassen in ihrer Gesamtheit geschehen.
    Die Zahlen, die uns über den Krankenstand bei den Pflichtmitgliedern der Ortskrankenkassen zugegangen sind, sind nicht von der Hand zu weisen. Das Gesetz ist wie gesagt am 1. Juli 1957 in Kraft getreten. An diesem Tage hatten wir einen Krankenstand von 4,08 v. H., während im Vergleichsmonat des Jahres 1956 ein solcher von 4,14 v. H. zu verzeichnen war. Am 1. September 1957 hatten wir einen Krankenstand von 5,28 v. H., während das Vorjahr nur einen solchen von 4,48 v. H. aufwies. Der Monat Oktober des Jahres 1957 ist außergewöhnlich. Dort zeigte sich ein Krankenstand von 8,36 v. H., während der des Vorjahres nur 4,68 v. H. war. Ebenso ist es im Monat November 1957. Hier hatten wir einen Krankenstand von 7,75 v. H., während er im Vergleichsmonat des Vorjahres nur 4,82 v. H. betrug. Wenn wir an eine Gesetzesänderung herangehen wollen, müssen wir diese Zahlen zur Hand nehmen und sie prüfen.
    Nun wird jeder, der die Verhältnisse kennt, zugeben, daß hier die Grippewelle die Hauptursache ist; darüber gibt es gar keinen Zweifel, und das wird von uns auch nicht verkannt. Aber am 1. Dezember 1957 — damit dürfte die Grippewelle abgeklungen sein — ist ein Krankenstand von 5,29 v. H. gegenüber dem Dezember 1956 von 4,66 v. H. zu verzeichnen gewesen, und der Januar 1958 brachte einen Krankenstand von 5,37 v. H. gegenüber 4,32 v. H. im Januar 1957. Meine Damen und Herren, man wird daraus schon gewisse Rückschlüsse ziehen können. Es ist selbstverständlich ,daß diese Zahlen jedem, der sich mit sozialpolitischen Aufgaben befaßt — und das ganze Haus tut das ja —, gewisse Fingerzeige geben und daß jeder gewisse Schlußfolgerungen daraus ziehen kann.
    Die Zahlen, die uns vor allem aus den Betriebskrankenkassen, insbesondere dem Landesverband der Betriebskrankenkassen in Bayern, zugegangen sind — Sie wissen, die Tagespresse und die Fachzeitschriften haben sich in den letzten Monaten sehr sorgfältig mit diesem Gesetz beschäftigt —, zeigen ebenfalls, daß im Hinblick auf die vergleichbaren Monate des Vorjahres eine Erhöhung des Krankenstandes von annähernd 20 % zu verzeichnen ist. Wenn wir trotzdem an dem staatspolitischen Grundsatz festhalten wollen, ein Gesetz, das die Mehrheit dieses Hauses geschaffen hat, nicht von heute auf



    Dr. Dittrich
    morgen ändern zu lassen, so hindert das nicht, die Entwicklung in der Wirtschaft, auf dem sozialen Sektor sehr aufmerksam zu verfolgen.
    Sie haben sicher der Presse entnommen und aus zahlreichen Ausführungen gehört, daß die Allgemeinheit, unsere Wirtschaft, das von uns geschaffene Gesetz bemängelt hat. Ich frage mich nun, wo die Ursachen liegen. Lassen Sie mich in aller Kürze einige Kritiken vortragen.
    Zunächst einmal sagen die Kritiker: Das Gesetz, das ihr im Deutschen Bundestag zur besseren wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall geschaffen habt, reizt zum Mißbrauch. Die Frage ist, ob wirklich Mißbrauch getrieben werden kann. Wir stellen zunächst einmal fest, daß Mißbräuche in einem so großen Umfang, wie es in etwa der Sprecher der FDP dargestellt hat, innerhalb der Arbeiterschaft nicht aufgetreten sind. Die Behauptung, daß viel Mißbrauch getrieben worden sei, ist absolut falsch. Wir stellen fest, daß die Arbeiterschaft in ihrer Gesamtheit moralisch nicht weniger fest ist als die Angestellten.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte, rechts und links. — Zuruf von der FDP: Etwas anderes haben wir auch nicht behauptet!)

    Das muß mit aller Deutlichkeit hervorgehoben werden.
    Man sagt also, ein Mißbrauch des Gesetzes sei möglich. Wenn man einen Mißbrauch verhindern will, gibt es verschiedene Gegenmaßnahmen. Eine Maßnahme könnte sein, daß die Vertrauensärzte straffer als bisher arbeiten. Solange es möglich ist — und hier appelliere ich einmal an unsere Ärzteschaft —, daß man beim Aufsuchen eines Arztes krank geschrieben wird, wenn man nur etwas Husten oder etwas Katarrh hat, werden wir bei jedem Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf Schwierigkeiten stoßen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb ist auch einmal ein Appell an unsere Ärzteschaft von dieser Stelle aus angezeigt, bei der Überprüfung der Arbeitsfähigkeit oder Nichtarbeitsfähigkeit gewissenhafter und sorgfältiger vorzugehen als bisher.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Das darf natürlich nicht verallgemeinert werden — ich sehe gerade Frau Dr. Steinbiß —; auch in diesem Berufsstand sind eben manche schwarze Schafe vorhanden, die auf diese Weise anderen Schaden zufügen.
    Eine zweite Gegenmaßnahme, die ohne eine Gesetzesänderung möglich wäre, ist die; daß wir einmal an die Solidarität unserer Arbeiterschaft appellieren und dem Handwerksgesellen und dem Fabrikarbeiter sagen: Um dein Geld geht es, wenn dein Arbeitskollege, der neben dir arbeitet, krank feiert und du erhöhte Beiträge an die Allgemeine Ortskrankenkasse zahlen mußt. Es wird deshalb nötig sein, daß auch die Arbeiterschaft einer etwaigen zu großen Ausnutzung dieses Gesetzes mehr als bisher entgegentritt.
    Nun zum Gesetzentwurf der Freien Demokratischen Partei. Er muß von uns besonders kritisch untersucht werden. Dieser Gesetzentwurf weist nach unserer Ansicht erhebliche Mängel auf, und die Mißstände werden durch die darin vorgeschlagenen Änderungen nicht beseitigt. Sehen wir uns einmal den § 1 dieses Gesetzentwurfs an. Danach sollen bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgelts der Mehrarbeitslohn einschließlich der gesetzlichen und tariflichen Zuschläge für Mehrarbeit sowie für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sowie einmalige und laufende lohnsteuerpflichtige Zuschläge zum Entgelt außer Ansatz bleiben. Aber das sind gerade jene 3 bis 8 %, die der Arbeitgeber im Krankheitsfall hinzuzuzahlen hat. Das packt das Problem nicht bei der Wurzel an. Wenn wir eine solche Frage überhaupt zu lösen beabsichtigen, müssen wir bereits beim Krankengeld ansetzen, allerdings brauchte das nicht unbedingt zu geschehen. Wenn Sie § 1 des Gesetzes so durchführen wollen, wie er jetzt dasteht, werden Sie eine Verbesserung in Ihrem Sinne keineswegs erreichen; denn es ist durchaus möglich, daß bei den Sonderzulagen, die der einzelne Arbeiter bekommt, das Krankengeld schon höher ist als der Normallohn. Wenn Sie sich der Mühe unterzögen, Herr Kollege Mischnick, einmal Beispiele durchzurechnen, dann würden Sie zu dem Ergebnis kommen, wie ich es eben feststellte.
    Der § 2 dieses Gesetzes regelt die Frage, ob man nicht die Anzahl der Karenztage von zwei auf einen herabsetzen und dann die 14-Tage-Frist fallenlassen sollte. Meine Damen und Herren, hier muß kritisch vorgegangen werden. Die Frage der Karenztage stellt ein besonders wichtiges und heikles Kapitel der Reform der sozialen Krankenversicherung dar. Dieses Problem sollte nur im Zusammenhang mit den Gesamtfragen gelöst werden.

    (Abg. Ruf: Das hätte man auch damals machen sollen!)

    Wir werden uns mit der Frage der Karenztage und der Frist sorgfältig bei den Beratungen über die Krankenkassenreform beschäftigen müssen. Es ist aber unzweckmäßig, so ein einzelnes Problem im gegenwärtigen Zeitpunkt lösen zu wollen,

    (Abg. Ruf: Das gilt auch für damals!)

    ganz davon abgesehen, daß man in dieser Hinsicht absolut auch anderer Meinung sein kann.
    Wir sehen also: Der Gesetzentwurf, den die FDP und deren Sozialpolitiker vorgelegt haben, würde keine geeignete Lösung des Problems bringen können.
    Wir beobachten und prüfen die Lage sehr sorgfältig, das zeigt unsere Kleine Anfrage an den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Aber wir dürfen vom staatspolitischen Standpunkt aus nicht zu dem Ergebnis kommen, daß man ein Gesetz schon nach so kurzer Zeit einer neuerlichen Prüfung unterzieht. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß sicher Mißbräuche vorgekommen sind, daß es Mißstände gegeben hat. Aber die werden wir hienieden niemals verhindern können. Ein Appell an



    Dr. Dittrich
    die Moral irgendeines Berufsstandes nützt dem Gesetzgeber im allgemeinen nicht allzuviel.

    (Abg. Ruf: Man darf die Moral auch nicht überfordern!)

    Es ist also erforderlich, daß wir Gesetze, und zwar gute Gesetze machen. Zu unserer Rechtfertigung darf ich sagen, daß manche meiner Freunde mit der jetzt geltenden Fassung des Gesetzes nicht einverstanden gewesen sind und ihre Stimme dagegen erhoben haben. Trotzdem bleiben wir bei dem Grundsatz, daß man zunächst einmal abwarten, überprüfen sollte und dann erst zu einer Änderung des Gesetzes kommen dürfte. Wir bitten, den Gesetzentwurf — so ist im Ältestenrat, glaube ich, vereinbart worden — außer dem Ausschuß für Sozialpolitik, der federführend sein soll, dem Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung zu überweisen.

    (Abg. Ruf: Wozu denn Ausschuß für Arbeit? Mittelstand! — Weitere Zurufe.)

    — Meine Damen und Herren, es ist doch vorhin schon beantragt worden, diesen Gesetzentwurf dem Mittelstandsausschuß zur Mitberatung zuzuleiten.

    (Abg. Ruf: Aber nicht dem Arbeitsausschuß!)

    — Im Ältestenrat ist eine solche Entscheidung getroffen worden. Wenn Sie es anders wollen, bleibt Ihnen das vorbehalten. Es war jedenfalls ausdrücklich vereinbart, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung zuzuleiten.

    (Abg. Ruf: Wir wollen bloß einen mitberatenden Ausschuß!)